6 minute read

Kraftquellen und Kraftübertragung im WT

Next Article
Beinzug-Übung

Beinzug-Übung

Bizeps und Trizeps — Bremse und Gaspedal

Die beiden wichtigsten Oberarmmuskeln, aber mit gegensätzlichen Aufgaben, sind der Bizeps u n d d e r Trizeps. D e n F a u s t s t oß, d. h. den eigentlichen Vorgang des Streckens, bewirkt der Trizeps. Der Bizeps beugt den Arm und zieht ihn nach dem S t oß zur ück. Wenn der Trizeps den Arm zum Fausts t oß streckt und sich dabe i spannt, soll sich d e r Bizeps entspannen. Wenn der Bizeps sich zusammenzieht und den Arm am Ellbogen beugt, entspannt sich der Trizeps. Dies sind an sich selbstverst än d l i c h e D i n g e , a b e r wer hat sich dar üb e r s c h o n G e d a n k e n g e m a c h t und daraus Konsequenzen f ür die Praxis gezogen?

Advertisement

Merke:

Bizeps und Trizeps sind antagonistisch. Sie haben e n t g e g e n g e s e t z t e F u n k t i o n e n . W e r a l s o b e i m F a u s ts t oß den Bizeps spannt, handelt so unklug wie der Autofahrer, der gleichzeitig Gas gibt und b r e m s t !

E = 1/2m.V2

Die kleine Physik des Fauststoßes

Je größer die Geschwindigkeit der auftreffenden Faust ist, desto größer ist die Zerst örungskraft des Fauststoßes. Das halbe Gewicht der Faust, multipliziert mit dem Quadrat der erreichten Geschwindigkeit, ergibt die Energie unseres Fauststoßes. An der Masse unserer Faust können wir kaum etwas ändern, wohl aber k önnen w i r durch Übung der beteiligten und Entspannen der st örenden Muskeln die Faust auf eine höhere Auftreffgeschwindigkeit beschleunigen. Vergewissern Sie sich deshalb, ob Sie wirklich nicht mit dem Bizeps bremsen. Stellen Sie durch Befühlen fest, ob der Beugemuskel tats ächlich während des S t oßes völlig entspannt ist.

Merke:

Je schneller der Fauststo ß, desto gr ößer die Zerstörungskraft.

Der Trizeps macht's

Die Kraft des Fauststoßes hängt — wie wir festgestellt haben — von seiner Geschwindigkeit ab. Die Geschwindigkeit wiederum hängt von der plöt zlichen Streckung des Armes durch den Trizeps ab.

Merke:

Die Kraft des Trizeps muß entwickelt werden. Dies geschieht vor allem durch bestimmte Bewegungen der SIU NIM TAU und spezielles Krafttraining. Je stärker die Trizepskraft, desto st ärker der Fauststoß.

Die überragende Rolle der Gelenke beim Fauststoß

Grundsätzlich wird im Wing Tsun der Ellbogen g a n z durchgestreckt und nach vorne gesto ßen. Die Schulter jedoch geht sogar leicht zurück. Hierdurch wird vorne an der Faust eine Wirkung wie beim Peitschenschlag erzielt, die Sie sich leicht vergegenwärtigen

können, wenn Sie mit einem nassen Handtuch schlagen und es dann plötzlich zurückziehen.

Merke: Schulter, Ellbogen- und Handgelenke bewirken im Wing Tsun einen peitschenden Schlag.

D i e K r a f t s o l l n i c h t i m A r m b l e i b e n , s o n d e r n v öl l i g a u f d e n G e g n e r ü b e r t r a g e n w e r d e n !

Im WT gibt es einen Merksatz: »Setze die Kraft zu früh ein und die Kraft bleibt im Arm. Setze die Kraft spät ein und die Kraft geht in die Faust.« Der Sinn des Fauststoßes liegt in seiner vernichtenden Wirkung. Ein Sto ß sollte im Ernstfall ausreichen, um den Gegner auszuschalten. Wenn man beim Fauststoß die ganze Kraft sofort einsetzt, ist der Stoß am Anfang kraftvoll, richtet aber im Augenblick des Auftreffens möglicherweise nicht den erhofften Schaden an.

Im WT spricht man deshalb noch von einem zweiten Impuls, der wie eine zweite Explosion die vernich tende Kraft erhöht und restlos auf den Körper des Gegners überträgt. Großmeister Yip Man sagte, da ß desto mehr Kraft erzeugt werden könne, je mehr Gelenke an einer Technik beteiligt seien. Nehmen w i r zum Beispiel eine Schlange. Eine Art Knochen mit vielen Gelenken erstreckt sich über die ganze Länge der Schlange. Eine Kettenreaktion dieser Gelenke und der Muskeln stößt die Schlange mit ungeheurer Geschwindigkeit nach vorne. Was meinen wir nun mit Kraft aus den Gelenken? Die Bänder bestehen aus faserigem kr äftigen Material und verbinden die Knochen. Sie sind elastisch und flexibel. Wenn die Faust ihre Höchstgeschwindigkeit erreicht hat, wird sie abrupt aufgehalten, sobald der Arm völlig gestreckt ist. Das bedeutet aber keinesfalls, da ß jede weitere Vorwärtsbewegung tatsächlich gestoppt wird. Die Faust, die gewaltig beschleunigt ist, wird weiter nach vorne getrieben unter Streckung der Bänder der Schulter -, Ellbogen- und Handgelenkbänder. Jetzt wird die Kraft völlig übertragen. Danach ziehen sich die Bänder wieder zur normalen Länge zusammen. Ein WT-Meister kann seinen Arm auf diese Weise erheblich »verlängern«. Anfänglich ist man geneigt, gesundheitliche Sch äden zu befürch ten, aber die WT-Leute praktizieren dies schon seit über 400 Jahren ohne nachteilige Folgen. Allerdings soll man die Streckung des Armes nicht übertreiben, wenn man geade angefangen hat, den Stoß zu erler nen. Die völlige Streckung sollte am Anfang nur langsam geübt werden.

Merke:

Wer seinen Arm beim Fauststoß nicht völlig streckt, verzichtet auf die größte Wirkung!

Weshalb in manchen Kampfstilen der Arm nicht gestreckt wird

In manchen Kampfstilen glaubt man, den Arm beim S t oß nicht strecken zu d ürfen, damit der Gegner nicht mit einem doppelten Block (gegen Handgelenk und Ellbogen) brechen kann. Dies ist aber nicht möglich. Erstens ist ein WT-Fauststoß viel zu schnell, und zweitens kann der Arm eines hohen WT-Meisters auf diese Weise nicht verletzt werden, selbst wenn er dem Gegner ausgestreckt hingehalten wird.

Wenn Sie das Gef ühl haben, einen besonders starken Fauststoß zu machen, dann ist er besonders schwach!

Viele Leute konzentrieren all ihre Kraft im Arm zu einem »schweren« Schlag. Sie erleben dann das ge wisse »Kraftgefühl« im Arm, das ihnen vort äuscht, besonders hart zu stoßen. Aber diese Leute machen sich etwas vor. Denn die Kraft, die sie fühlen, ist die Anstrengung, die der Bizeps unternimmt, um die durch den Trizeps beschleunigte Faust abzubremsen! Gerade dieses Gefühl scheinbarer Kraft sagt uns, daß der Fauststoß sehr schwach ist. Der Arm darf nämlich nicht angespannt werden, die Faust darf nicht schon am Anfang fest geschlossen sein (sonst sind die Unterarmmuskeln angespannt). So paradox es scheint, das subjektive Kraftgef ühl ist trügerisch und in Wirklichkeit der Beweis f ür eine schwache Technik.

Woher wei ß man aber, da ß man beim Fauststoß keinen Fehler macht?

Der Sinn des Fauststoßes liegt darin, den Gegner zu verletzen. Die Energie eines Fausstoßes sollte also nicht von Ihnen, sondern von Ihrem Gegner gesp ür t werden. Und zwar ausschlie ßlich! Die Reaktion des Gegners gibt mir Antwort über die St är k e m e i n e s S t oßes. Gerade die Anspannung unbeteiligter, d.h. hemmender Muskeln auszuschalten, üb t d e r W T-Anfän g e r i n l* jedem Training besonders durch die SIU NIM T A U .

Auf spezielles Krafttraining für Wing Tsun gehen wir in einem separaten Buch ein:

Eberhard Schneider: »Krafttraining f ü r Kung Fu und Karate«

This article is from: