Magazin fĂźr Meinungsbildung.
Sonderausgabe 100 Jahre CVP Oktober 2012 / CHF 15.– www.die-politik.ch
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Herausgeber Verein DIE POLITIK redaktionsadresse DIE POLITIK, Postfach 5835, 3001 Bern, Tel. 031 357 33 33, Fax 031 352 24 30, E-Mail binder@cvp.ch, www.die-politik.ch redaktion Marianne Binder, Jacques Neirynck, Gerhard Pfister, Lilly Toriola, Rudolf Hofer, Sophie Nägeli, Sarah McGrath-Fogal, Philipp Chemineau, Yvette Ming, Barbara Christen gestaltungskonzept, illustrationen und layout Brenneisen Communications, Basel druck Schwabe AG, Muttenz inserate und abonnements Tel. 031 357 33 33, Fax 031 352 24 30, E-Mail abo@die-politik.ch, Jahresabo CHF 52.–, Gönnerabo CHF 80.– näcHste ausgabe Dezember 2012
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Mike Bacher Rudolf Hofer Christophe Darbellay Doris Leuthard Angela Merkel Alois Hartmann Urs Schwaller Wolfang Schäuble Jean-Claude Juncker Lucrezia Meier-Schatz Pirmin Bischof Heiner Geissler Philipp Stähelin Judith Stamm Eva Segmüller Babette Sigg Frank Reto Knutti Arnold Koller Gerhard Pfister Gebhard Kirchgässner Heidi Z’graggen Julius Binder Hans Groth & Jonas Huber Corina Casanova Karl Vogler Norbert Hochreutener Patricia Mattle Erhard Busek Roger de Weck Roger Blum Urs Altermatt Ruth Metzler-Arnold
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Daniel Goldstein Brigitte Häberli-Koller Stefan Engler Yannick Buttet Filippo Lombardi Ivo Bischofberger Peter Hänni David Luginbühl Leonard Röösli Reto Nause Pirmin Meier Ida Glanzmann-Hunkeler Markus Zürcher Bernhard Ehrenzeller Wolfram Obert Josef Stirnimann-Maurer Werner Ritter Stefan Meierhans Karin Frick Iwan Rickenbacher Christian Lohr Anton Schwingruber Ettore Tenchio Alexandra Perina Hans Peter Fagagnini Ruth Humbel Mark Balsiger
Editorial – Marianne Binder
Entstanden aus der katholisch-konservativen Bewegung, hiess sie bei ihrer Gründung Schweizerische Konservative Volkspartei, dann KonservativChristlichsoziale Volkspartei, dann Christlichdemokratische Volkspartei, CVP. Keines der Attribute ist überholt, denn alle, ob katholisch, konservativ, schweizerisch, christlich, sozial oder demokratisch machen die CVP aus. Die Diskussion um den Namen gehört dazu, auch heute wieder, wenn es um das C geht. 100 Jahre nach ihrer Gründung feiern wir die historische Leistung dieser breiten Volkspartei für unser Land, ihren Beitrag zum modernen Bundesstaat und zum Erfolgsmodell Schweiz und widmen ihr zwei sich ergänzende Sondernummern unseres Magazins, eine französischsprachige und eine deutschsprachige. Wir danken allen Autorinnen und Autoren der französischsprachigen Ausgabe LA POLITIQUE und der deutschsprachigen DIE POLITIK. Wir danken ihnen für ihre Auseinandersetzung mit der CVP, für ihre Analyse, auch die kritische, und wir danken ihnen für die Verbundenheit mit unserer Partei. Wir danken Persönlichkeiten aus Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft für ihre Auseinandersetzung mit den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Klima und Umwelt. Demografische Entwicklung. Positionierung der Schweiz in einer globalisierten Welt. Wahrung der Medienfreiheit. Gerechte Verteilung der Güter. Besseres Zusammenspiel von Wirtschaft und Politik im Interesse der Bürgerinnen und Bürger. Entstanden ist ein Zeitdokument, auf welches das Geburtstagskind stolz sein darf. Und wir sind stolz auf das Geburtstagskind. Auf alle jene, welche es geprägt haben und heute noch prägen. Die CVP macht mit ihrer traditionsreichen Politik die auf Ausgleich orientierte politische Identität der Schweiz aus. Sie abzubilden ist das Ziel der beiden vorliegenden Sondernummern. Tragen wir dieser schweizerischen Politik Sorge. Tragen wir der CVP Sorge.
Sämtliche Texte und weitere Beiträge zum Jubiläum der CVP finden Sie auf www.die-politik.ch
Marianne binder ist Kommunikationsverantwortliche der CVP Schweiz und Chef redaktorin des zweisprachigen Magazins DIE POLITIK/LA POLITIQUE. Sonderausgabe
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Mike Bacher
Der lange weg zur ParteigrünDung
Die Gründung der CVP Schweiz hat eine lange Vorgeschichte. An ihrer Wiege stehen harte Auseinandersetzungen, ein Bürgerkrieg, Kulturkampf und verschiedene Parteigründungen, bis 1912 schliesslich der Traum einer nationalen Partei Realität wurde. Nachdem 1798 französische Truppen im Nachgang zur Revolution in die Schweiz einmarschiert waren, hörte die alte Eidgenossenschaft auf zu existieren. Die folgende Periode wurde durch Marionettenstaaten bestimmt, die faktisch von Frankreich abhängige Vasallenstaaten waren. Mit dem Wiener Kongress 1814/15 wurde die Eidgenossenschaft als Staatenbund wiederhergestellt und eine Periode der Restauration (Wiederherstellung der alten Zustände) begann. Allerdings waren nicht alle mit den «neuen alten Verhältnissen» zufrieden. Namentlich die Liberalen wünschten sich eine zentralistischere Staatsform. Ein Ansinnen, das von den föderalistischen Konservativen abgelehnt wurde. Im Zuge der Pariser Julirevolution 1830 organisierten sich zahlreiche Kantone neu und nahmen eine liberal-radikale Verfassung an. Da sie allerdings nicht die erforderliche Mehrheit besassen, um den Bundesvertrag zu ändern, begannen sie offen mit einem gewaltsamen Umsturz zu liebäuJosef leu von ebersol geln. Gleichzeitig radikalisierten sich die Liberalen, welche nun betont antiklerikal (kirchenfeindlich) auftraten und namentlich gegen die katholische Kirche und ihre Klöster polarisierten. Das wiederum spornte den Zorn der Katholiken zusätzlich an. 4
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Klosteraufhebung und Freischarenzüge Der erste grosse Höhepunkt dieser Auseinandersetzungen war der «Aargauer Klostersturm» im Januar 1841, als der dortige Grosse Rat widerrechtlich sämtliche Klöster im Kanton aufhob, deren Vermögen beschlagnahmte und die Mönche binnen 24 Stunden auswies. Besonders hart traf es die alten und reichen Klöster Muri und Wettingen, die weit über Europa hinaus eine grosse Symbolkraft besassen. Dieser Schritt sorgte bei den Schweizer Katholiken für grosse Empörung. Kurz darauf verloren die Liberalen im Kanton Luzern ihre absolute Mehrheit, die nun an die Konservativen fiel. Unter der Leitung des Bauernpolitikers Josef Leu von Ebersol und des Juristen Konstantin Siegwart-Müller wurde Luzern umgehend wieder zum «Haupt der katholischen Schweiz». Der Verlust Luzerns wiederum ärgerte die Liberal-Radikalen derart, dass sie 1844 und 1845 zwei Freischarenzüge aus der ganzen Schweiz starteten, um Luzern einzunehmen und die (demokratisch gewählte) Regierung zu stürzen. Beide Freischarenzüge konnten von den Innerschweizer Kantonen gemeinsam abgewehrt werden. Die Tagsatzung der Eidgenossenschaft selber, damals die höchste Instanz, verurteilte zwar formell die gewalttägigen Umsturzversuche und Klosteraufhebungen, doch militärische Hilfe bot sie nicht. Entsprechend schlossen sich sieben Kantone – Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug, Freiburg, Wallis – zum Sonderbund zusammen, mit dem Versprechen, sich gegenseitig beizustehen. Sie wurden später innerhalb der Partei zu den klassischen «Stammlanden».
sonderbundskrieg und neuer bundesstaat Diesen Sonderbund aber akzeptierte die Tagsatzung nicht und beschloss dessen Auflösung, notfalls mit militärischen Mitteln. Unter der Leitung des Genfer Generals Henri-Guillaume Dufour kämpften die «eidgenössischen» Truppen drei Wochen gegen die Sonderbundstruppen, welche dem Bündner General Johann Ulrich von Salis-Soglio unterstanden. Mit der Einnahme Luzerns am 24. November 1847 endete der Krieg faktisch. In der Folge wurden in allen Sonderbundskantonen Marionettenregierungen eingesetzt und die konservativen Verbände aufgelöst. Obschon die Konfession eine wichtige Rolle spielte, lag der Gegensatz vielmehr in der Frage zwischen Föderalismus und Zentralismus, Konservativ gegen Liberal. Entsprechend wurde 1848 der neue Bundesstaat, unter Ausschluss der Föderal-Konservativen, in Form eines liberalistischen Staates mit Zentralgewalt geschaffen. Wiederaufbau und erste nationale Parteiideen Damit standen die Konservativen, namentlich diejenigen katholischer Konfession, im neuen Bundesstaat einer grossen Mehrheit gegenüber, die ihnen gegenüber ablehnend bis offensiv-feindlich gestimmt war. Die Zerschlagung und das Verbot ihrer Vereine und Verbände wirkten ebenfalls lähmend. Einzig der Schweizerische Studentenverein, 1841 als Gegenmassnahme zur Klosteraufhebung begründet, hatte überlebt und trug als
Hoffnungsschimmer die Ausbildung der konservativen Jugend in die Zukunft. Ihm gesellte sich 1857 der Piusverein hinzu. Zugleich scharte sich die kleine Fraktion der Katholisch-Konservativen in Bern um den jungen Luzerner Nationalrat Philipp Anton von Segesser, der für die nächsten Jahrzehnte zur prägenden Figur der Konservativen Politik in der Schweiz wurde. Als konsequenter Konservativer und Föderalist befürwortete er bereits vor 1847 den Zusammenschluss aller konservativen Kräfte in der Schweiz, unabhängig der Konfession. Sein Ziel war die Schaffung einer gemeinsamen Organisation aller föderal-konservativ denkenden Schweizer.
Kulturkampf und interne Kämpfe Allerdings stiessen seine Ideen nicht bei allen Gesinnungsgenossen auf offene Ohren. Während sich die StammlandePolitiker weitgehend Segesser anschlossen («Landammännerpartei»), betonten gerade die Westschweizer Katholiken den Konfessionalismus besonders und forderten eine ausschliesslich katholische Partei. Hinzu kamen die Angehörigen der Diaspora oder paritätischen Kantone (etwa Zürich, Basel oder St.Gallen), welche den konsequenten Föderalismus der Innerschweizer ablehnten. Diese internen Richtungsstreite verhinderten gegenseitig die Realisierung einer gemeinsamen Partei. Kleine Gründungsversuche in den 1860er-Jahren hatten nur
sonderbundskrieg: beschiessung der schanze von gislikon am 23. november 1847. Sonderausgabe
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kurzfristig Erfolg. Mit dem aufkommenden Kulturkampf ab 1870 wurde die Situation für Schweizer Katholiken noch schwieriger. Nachdem sie bereits seit 1847/48 demonstrativ als «Bürger zweiter Klasse» behandelt wurden, ergoss sich nun von Seiten der Liberal-Radikalen im Nachgang zum I. Vatikanischen Konzil 1870 eine neue Angriffswelle gegen sie. Dies einte zwar die Katholiken, doch ein Parteigründungsversuch 1874 des Freiburgers Abbé Joseph Schönredet und des Solothurners Theodor Scherer versandete durch die schwelenden Streitigkeiten. angetrieben durch den Bündner Anton Augustin und den Basler Ernst Feigenwinter, dass «die Bildung und Organisation einer Konservativen Partei unverzüglich an die Hand zu nehmen» sei. Tatsächlich wurde die Katholische Volkspartei am 12. August 1894 gegründet. Bewusst charakterisierte der Begriff Volkspartei «einen scharf abgezeichneten Begriff; es sagt: Kampf dem System». Denn nachdem den Konservativen mit Joseph Zemp 1891 wenigstens ein Bundesrat (der freilich sechs freisinnigen Bundesräten gegenüberstand) zugestanden wurde, waren sie erstarkt. Zahlreiche Faktoren führten aber dazu, dass die Katholische Volkspartei bis 1898 scheiterte.
adalbert wirz
Zwei Parteigründungsversuche Mehr Erfolg versprach die am 18. Juli 1881 gegründete, von den Luzernern Josef Zemp und Julius Schnyder von Wartensee initiierte «Konservative Union». Allerdings bangte die Fraktion in Bern um ihre Vorherrschaft, weshalb ihre Mitglieder dem Projekt ablehnend gegenüberstanden. Bereits ein Jahr später scheiterte die Union endgültig. Gleichzeitig festigte sich die Fraktion in Bern, um wenigstens eine grössere Effizienz an den Tag zu legen. Wie Urs Altermatt feststellt, war damit «ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum nationalen Schulterschluss der katholisch-konservativen Partei erfolgt». Die Diaspora-Katholiken, die in Bern kaum Parlamentarier stellen konnten, sahen sich allerdings ins Abseits gestellt. Entsprechend forderten sie 1893, 6
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Der Weg bis 1912 Allerdings zeigten die Zeiterscheinungen den Mangel einer nationalen Partei immer stärker auf. Deshalb begannen Stimmen aller Lager um 1900 erneut auf diesen Missstand hinzuweisen. Die Initiative ergriff der Obwaldner Adalbert Wirz als ehemaliger Zentralpräsident des Piusvereins. Unterstützt wurde er vom Luzerner Regierungsrat Joseph Düring, der das Werk seines 1900 verstorbenen Freundes Anton Augustin weiterführen wollte. Wirz, Düring und Augustin waren alle ehemals im Zentralkomitee des Studentenvereins gewesen. Diesen gesellten sich Hans von Matt aus Nidwalden, der Luzerner Redaktor Josef Winiger, Emil Pestalozzi-Pfyffer aus Zürich und Fraktionspräsident Othmar J. Staub aus St.Gallen dazu. Nach über fünf Jahren waren die Widerstände grösstenteils aus dem Wege geräumt, und das Komitee konnte am 22. April 1912 zur Parteigründung im Hotel Union in Luzern einladen. Ständerat Adalbert Wirz, der zugleich Fraktionspräsident war, wurde zum ersten Parteipräsidenten gewählt. Mit der Wahl des Namens «Konservative Volkspartei», der mit grossem Mehr den Namen «Katholische Volkspartei» oder «Schweizerische Volkspartei» vorgezogen wurde, demonstrierten die Gründer ihre Absicht, eine Partei zu schaffen, welche gemeinsam die konservativen und föderal denkenden Politiker umschliesst. Damit erfolgte nun der endgültige Durchbruch; die Christlichdemokratische Volkspartei, wie sie seit 1970 heisst, war Realität geworden. ■
Mike bacher studierte Rechtswissenschaften mit Schwerpunkt Rechts geschichte an den Universitäten Luzern und Innsbruck. Er war von 2008 bis 2012 Generalsekretär der Jungen CVP Schweiz, ist seit 2009 Präsident der Jungen CVP Obwalden sowie seit 2011 Präsident der CVP Engelberg.
1912 Rudolf Hofer
Die Parteigründung 1912 begann mit einem handfesten Streit um den Parteinamen. Während eines Vierteljahres war nicht klar, ob die neue Partei überleben würde. Die Frage hinter dem Namensstreit wurde letztlich erst in den Siebzigerjahren gelöst. Bereits die Einladung zum Gründungskongress, der im Hotel Union in Luzern stattfand, machte klar, dass die neue Partei aus den bereits vorhandenen katholisch-konservativen und christlichsozialen politischen Organisationen bestehen sollte. Die grosse Mehrheit der Mitglieder würde also katholisch sein. Zum Streit kam es um den Namen. Der provisorische Vorstand schlug «Schweizerische Konservative Volkspartei» vor. Die Freiburger wollten «Konservative» durch «Katholische» ersetzen. die abstimmung ergab folgendes resultat: – Schweizerische Konservative Volkspartei: 145 Stimmen – Schweizerische Katholische Volkspartei: 37 Stimmen – Schweizerische Volkspartei: 11 Stimmen.
Grundsatzfrage: katholisch oder konservativ? Der provisorische Vorstand definierte die Partei als Organisation der Katholiken und «ihrer politischen Gesinnungsfreunde anderer Konfession», die sich «im Sinne und Geiste der Parteigrundsätze» betätigt. Die Freiburger definierten sie dagegen als Organisation der Katholiken, die auch Mitglieder anderer Konfession aufnehmen könne, und liessen den Verweis auf die Parteigrundsätze weg. Das Freiburger Konzept sah eigentlich eine katholische Spezialorganisation für Politik vor, mit Zielen, die von einem konfessionellen Charakter geprägt waren. Die Partei wäre somit lediglich eine katholische Organisation neben verschiedenen anderen katholischen Musik- oder Wohltätigkeitsvereinen gewesen. Der provisorische Vorstand wollte dagegen
eine eigenständige Partei, die ihre Zielsetzungen selber definierte und aufgrund ihres Programms Mitglieder losgelöst von der Konfession gewinnen konnte. Der Gegensatz war also grösser, als dies der abstrakte Namensstreit vermuten lässt. Dies erklärt auch, weshalb viele Freiburger Delegierte nach dem Namensentscheid den Kongress verliessen. Es ging um eine Grundsatzfrage.
lockere Parteistrukturen Mit der Verabschiedung von Statuten und Programm war das Überleben der neuen schweizerischen Partei keineswegs gesichert. Frühere nationale Organisationen wie die «Konservative Union» und die «Katholische Volkspartei» waren in der Vergangenheit wegen interner Zwistigkeiten bald wieder von der Bildfläche verschwunden. Die Polemik um die Namensfrage ging in der Presse weiter. Erst die Sitzung des Parteikomitees am 11. Juni 1912 brachte Klarheit. Die Freiburger waren wenigstens mit einem Mitglied vertreten. Der schwierige Start erklärt, weshalb die schweizerische Partei gegenüber den Kantonalparteien sehr vorsichtig auftrat. Die Parteistruktur blieb lange sehr locker. Erst 1970 erfolgte eine Stärkung der gesamtschweizerischen Partei und – bezeichnenderweise – gleichzeitig auch das Abstreifen der konfessionellen Bindung. ■ rudolf hofer ist Redaktionsmitglied der POLITIK und fundierter Kenner der Geschichte der CVP. Sonderausgabe
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Christophe Darbellay
ein JahrhunDert iM Dienste Des Menschen Mit einer reich befrachteten Geschichte, tief verankert in der schweizerischen Politik und einem wertvollen Erbe, feiert die Schweizer Christdemokratie ihre hundert Jahre! Die Geschichte der Partei widerspiegelt diejenige des vergangenen Jahrhunderts. Wir haben die moderne Schweiz mitgestaltet, an allen Fronten mitgekämpft, die grossen Projekte des letzten Jahrhunderts mitgetragen und verbessert. Wir haben weitgehend dazu beigetragen, dass unser Land zu dem geworden ist, was es heute ist: ein Erfolgsmodell. Als die Konservative Volkspartei am 22. April 1912 im Unionsaal in Luzern gegründet wurde – 1970 wurde daraus die CVP – war sie schon jahrzehntelang Bestandteil der Schweizer Geschichte. Sie war entstanden aus der Konfrontation mit der freisinnigen Übermacht und bestand aus vielen kantonalen Bewegungen, die einen gelb, die anderen schwarz. Alle waren jedoch ausgerichtet auf die Soziallehre der Kirche. Der berühmten Enzyklika «Rerum Novarum» (1891) von Leo XIII. Damals in Luzern war es schwer vorstellbar, dass diese vielfältigen kantonalen und regionalen Eigenheiten des Wallis, des Kantons Freiburg, der Zentralschweiz, der Ostschweiz, des Tessins und des Bündnerlandes eine Basis bilden würden für eine gemeinsame Partei. Dass es gelang und seit hundert Jahren gelingt, liegt nur am täglichen, aussergewöhnlichen Engagement jedes seiner Mitglieder. Ohne die grossartigen Menschen unserer kantonalen und kommunalen Sektionen, ihr grossartiges Engagement, das Zusammengehörigkeitsgefühl, die Lebensfreude und den politischen Willen, zusammen etwas zu bewirken, den Ideenreichtum, die Ideale, wäre unsere Partei wertlos.
«Ohne die grossartigen Menschen unserer kantonalen und kommunalen Sektionen, ihr grossartiges Engage ment, das Zusammengehörigkeitsge fühl, die Lebensfreude und den politischen Willen, zusammen etwas zu bewirken, den Ideenreichtum, die Ideale, wäre unsere Partei wertlos.»
Die CVP ist eine Partei der Ideen. Eine Partei von Frauen und Männern mit einem gemeinsamen Ideal, welches lange vor der Gründung der Partei entstanden ist. Im Sonderbundskrieg hatten die Katholisch Konservativen für eine Politik gekämpft, welche im Dienste des Menschen steht, welche den Menschen im Zentrum hat. Eine solche Politik ist konstruktiv. Wir sind und wollen eine lebendige Partei bleiben, eine Partei des Mittelstandes, der Familien, der kleinen und mittleren Unternehmen, eine Partei, welche aufbaut und nicht spaltet. Unsere Vorfahren verloren den Sonderbundskrieg. In den folgenden Jahren wurden sie erdrückt durch eine freisinnige Schweiz. Zwischen 1848 und 1891 waren sieben der sieben Bundesräte Freisinnige. Doch unsere Vorfahren haben nicht aufgegeben, haben sich mit bewundernswertem Mut zur Wehr gesetzt. Überall! In ihren Gemeinden, in ihren Kantonen, in den Medien, in den Vereinen. Bis zum Einzug des ersten katholisch-konservativen Bundesrates Josef Zemp! Ihr Blick war nicht rückwärts gerichtet. Sie verweigerten sich nicht der modernen Zeit, der Industrialisierung, doch sie wollten ihr ein menschliches Gesicht geben. Heute würde man von Nachhaltigkeit sprechen. Aber dies war vor einem Jahrhundert! Heute, im Jahr 2012, kann sich die CVP rühmen, in allen Kantonen am politischen Leben teilzunehmen. In vielen Kantonen sowie im Ständerat, der Kammer der Kantone, ist sie nach wie vor eine führende Partei. Ich bin stolz, Präsident dieser geschichtsträchtigen Partei zu sein. Ich fordere Sie alle auf, noch näher zusammenzurücken, um gemeinsam die Herausforderungen des neuen Jahrhunderts anzugehen. Dort, wo es um den Zusammenhalt der Schweiz geht, wird die CVP immer zur Stelle sein. ■
Christophe Darbellay christophe Darbellay ist Nationalrat des Kantons Wallis und seit 2006 Parteipräsident der CVP Schweiz. 8
Die Politik 6 Oktober 2012
CVP-Bundesrätinnen und -Bundesräte seit 1848
Josef Zemp Lu 1891–1908
Josef A. schobinger Lu 1908–1911
Giuseppe Motta ti 1911–1940
Jean-Marie Musy Fr 1919–1934
Philipp etter ZG 1934–1959
enrico Celio ti 1940–1950
Joseph escher Vs 1950–1954
thomas Holenstein sG 1954–1959
Giuseppe Lepori ti 1954–1959
Jean Bourgknecht Fr 1959–1962
Ludwig von Moos OW 1959–1971
roger Bonvin Vs 1962–1973
Kurt Furgler sG 1971–1986
Hans Hürlimann ZG 1973–1982
Alphons egli Lu 1982–1986
Arnold Koller Ai 1986–1999
Flavio Cotti ti 1986–1999
ruth Metzler-Arnold Ai 1999–2003
Joseph deiss Fr 1999–2006
doris Leuthard AG Seit 2006
Doris Leuthard
zusaMMenarbeit macht starK! Die Zukunft ist nie linear. Während wir heute die Grundlagen für das Leben von morgen planen, werden wir schon übermorgen mit neuen Herausforderungen konfrontiert sein. Dennoch stehen die globalen MegaTrends fest: Machtverschiebung unter den Staaten, Migration und Demografie, steigende Energienachfrage und Umweltbelastung. Dies zu bewältigen setzt Flexibilität und die Bereitschaft zu unkonventionellem Handeln voraus.
Gemäss den neusten Perspektiven 2052 des «Club of rome» sieht die Zukunft düster aus: – Klimawandel mit extremen Wetterausschlägen, – Verknappung der ressourcen, – rückgang des Wachstums mit grossem sozialem Gefälle, insbesondere in den industrienationen. Parallel dazu verlieren viele Volkswirtschaften mit anhaltender Wirtschaftskrise an Boden. Die Gewichte verschieben sich. Industrienationen werden in ihrer Rolle von aufstrebenden Schwellenländern abgelöst. Deren Ruf nach mehr Einfluss auch auf der politischen Bühne nimmt entsprechend zu. Europa stagniert und muss sich mit neuen, sich akzentuierenden Situationen befassen. Je länger die EU ihre Probleme nicht lösen kann, ja gar ein Auseinanderfallen droht, desto mehr schwächt sie sich. Nur ein vereinigtes, starkes Europa kann auf Augenhöhe mitwirken. Das geht auch an der Schweiz nicht spurlos vorbei. Ein rezessives Europa schwächt unseren Aussenhandel. Eine instabile EuroZone wird den Schweizer Franken weiter belasten. Der illegale Handel mit Bankdaten, die schon fast paranoide Verfolgung von Bankmitarbeitern durch gewisse Staaten sind nur aktuell sichtbare Anzeichen für den zunehmenden Druck auf das angebliche Paradies Schweiz. Wollen wir – gemäss Verfassung – die «gemeinsame Wohlfahrt, die nachhaltige Entwicklung, den inneren Zusammenhalt und 10
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die kulturelle Vielfalt» fördern, genügt der isolierte Blickwinkel nicht. Die Schweiz ist zwingend auf Kooperation, Offenheit und Partner angewiesen. Zur konkreten Problemlösung ist einmal mehr interdisziplinäres Handeln nötig. Herausgefordert sind wir insbesondere durch die Zuwanderung, bei der Ausgestaltung eines konstanten Wirtschaftswachstums, einer kontrollierten und umweltverträglichen Verkehrs- und Raumentwicklung sowie eines zukunftsfähigen Umbaus der Energieversorgung.
Die Perspektiven So wie die Weltbevölkerung wächst, wächst auch die Schweiz: Von derzeit 8 Millionen weisen die Prognosen auf eine Bevölkerungszahl von 9,5 Millionen Menschen im Jahre 2030 hin. Anders als im globalen Kontext basiert dieses Wachstum auf Zuwanderung. Die Schweiz ist attraktiv, international und weist entsprechend bereits heute einen Ausländeranteil von fast 23 Prozent aus. Das hat viele Vorteile. Aber es führt ebenso zu innenpolitischen Spannungen. Ein immenses Wachstum verzeichnet auch die Mobilität: Der Schienenverkehr hat sich zwischen 1960 und heute verdoppelt, der Strassenverkehr nahm um das Fünffache zu, der Luftverkehr gar um das 17-fache. Bis 2030 werden die Verkehrsleistungen des öffentlichen Verkehrs um 50 Prozent und jene des motorisierten Individualverkehrs um 19 Prozent zunehmen.
tegie 2050 zeigt, dass die Lebensqualität nicht von der Menge der Kilowattstunden abhängt. Wir haben die politische, die wissenschaftliche und die finanzielle Basis, um jene Technologien zu entwickeln, die in den nächsten Jahren die Welt verändern werden. Die Schweiz kann – beim sorgsamen Umgang mit Energie und Ressourcen – Trendsetter der Welt werden.
«Die Schweiz muss sich nicht neu erfinden. Aber ihre Interessen verteidigen.» Doris leuthard
Die Spannungsfelder im Dreieck Wirtschaft–Umwelt–Gesellschaft werden sich auch bei uns akzentuieren. Verfolgte sehen in der Schweiz das «gelobte Land». Für sie soll Platz sein. Müssen wir aber auch Platz für alle anderen bereitstellen? Für die wirtschaftliche Konkurrenz sind wir das «Paradies», in dem es immer etwas zu holen gibt. Wie gehen wir um mit dem Druck auf unser Land?
Die rezepte Die Schweiz muss sich nicht neu erfinden. Aber ihre Interessen verteidigen. Als Kleinstaat mit föderalem Aufbau haben wir viele Vorteile. Unser Gesellschafts- und Demokratiemodell, unsere Integrationsleistung ist einzigartig. Die CVP sollte sich daher wie bislang für eine selbstbewusste, offene Schweiz einsetzen, die sich ihrer Geschichte, ihrer Werte bewusst ist. Die Schweiz ist eines der innovativsten und damit auch wettbewerbsfähigsten Länder der Welt. Diese Position können wir mit exzellenter Bildung und einer leistungsfähigen Infrastruktur verteidigen. Dadurch sind wir ein zukunftsfähiges Land und ein attraktiver Wirtschaftsstandort mit hoher Lebensqualität. Das aber setzt voraus, dass wir nicht nur optimieren, sondern mit innovativen Technologien, neuen Märkten und kreativen Lebens- und Arbeitsformen das Land auf die nächsten zwanzig, dreissig Jahre vorbereiten. Den Energie- und Ressourcenverbrauch können wir vermindern, ohne dem Standort Schweiz zu schaden. Die Energiestra-
Neue Wege müssen wir auch bei der Verkehrs- und Raumentwicklung einschlagen. Heute bestimmt die Verkehrsplanung mehr die Raumplanung und Siedlungsentwicklung. Dadurch bewegen wir uns in einer Art Teufelskreis: Siedlungsentwicklung führt zu Verkehr führt zu Bautätigkeit führt zu Verkehr führt zu Bautätigkeit. Die strategische Antwort darauf ist das Raumkonzept von Bund, Kantonen und Gemeinden. Es zeigt, wie die Zersiedelung gebremst, Boden intelligenter genutzt und funktionale Räume zum Leben, zum Arbeiten und für die Mobilität – über kommunale und kantonale Grenzen hinaus – entstehen können.
Mobilität wird weiter zunehmen. Genügend Kapazitäten bereitzustellen ist wichtig. Mobilität muss aber dabei energieeffizient, klimafreundlich und kostentragend sein. Das veränderte Mobilitätsverhalten muss einfliessen in neue Lösungsansätze. Technologische Entwicklungen und koordinierte Verkehrsplanung werden wegweisend sein, wie das etwa bei den AgglomerationsProgrammen begonnen wurde.
Gemeinsam zum Ziel Heute müssen wir die öffentliche Diskussion darüber führen, wie die Schweiz in dreissig Jahren aussehen soll. Erfolgreich sind wir nur, wenn wir uns nicht am kleinsten gemeinsamen Nenner kantonaler Interessenwahrung orientieren, sondern am grössten gemeinsamen Zähler nationalen Nutzens. Wir brauchen eine kluge Infrastrukturpolitik, um den Zusammenhalt der Regionen zu fördern, die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts zu stärken und eine hohe Lebensqualität zu sichern. Als Transmissionsriemen dieser Politik sind Wirtschaft, Bildungsinstitutionen und natürlich die Parteien gefragt. Die CVP hat in der Verkehrs-, Energie- und Umweltpolitik immer eine entscheidende Rolle gespielt. Wir sind zum Umdenken bereit. Gemeinsam können wir die Grenzen des Wissens verschieben. Gemeinsam schaffen wir den technologischen Quantensprung – bei der Bewältigung der Energiezukunft, der Modernisierung der Mobilität und damit bei der Gestaltung einer intakten Umwelt. ■
Doris leuthard ist Vorsteherin des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK). Von 1999 bis 2006 war sie Nationalrätin des Kantons Aargau, von 2004 bis 2006 Parteipräsidentin der CVP Schweiz. 2010 war sie Bundespräsidentin. Sonderausgabe
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Grusswort der Vorsitzenden der CDU Deutschlands, Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
Sehr geehrte Damen und Herren, im Namen der CDU Deutschlands wie auch persönlich gratuliere ich der Christlichdemokratischen Volkspartei der Schweiz sehr herzlich zu ihrem 100-jährigen Bestehen und wünsche Ihnen einen erfolgreichen Verlauf der Festveranstaltungen. Das Jubiläum der CVP fällt in eine Zeit grosser Herausforderungen in Europa. Vor dem Hintergrund der Globalisierung müssen wir den Euro als Gemeinschaftswährung stärken. Wir müssen die Währungsunion zu einer dauerhaften Stabilitätsunion gestalten. Dazu gilt es, solide Rahmenbedingungen zu schaffen, damit auch in Zukunft wettbewerbsfähige Arbeitsplätze in Europa entstehen und die Menschen in Freiheit und Wohlstand sicher leben können. Dabei ist der Euro weit mehr als eine Währung. Er steht geradezu symbolhaft für die Einigung der Europäischen Union als Wertegemeinschaft. Auch Deutschland und die Schweiz verbinden gemeinsame Werte. Unser gemeinsamer Kompass als Christdemokraten und gute Erfahrungen mit der Sozialen Marktwirtschaft werden uns helfen, die Herausforderungen der Zukunft zum Wohle nachfolgender Generationen zu gestalten. In diesem Sinne wünsche ich der CVP viel Erfolg und Gottes Segen bei Ihrer weiteren politischen Arbeit zum Wohle der Schweiz. Mit freundlichen Grüssen
Dr. Angela Merkel
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Die Politik 6 Oktober 2012
Alois Hartmann
erneuerunGsProZess
Seit Mitte der Sechzigerjahre war im gesellschaftlichen, kirchlichen und politischen Leben des Landes wie vielerorts in Europa eine Wende festzustellen. Die junge Generation drängte nach vorn. Zudem war mit der baldigen Einführung des Frauenstimmrechts zu rechnen. Für die Partei mit dem schwerfälligen Namen «konservativ-christlichsozial» hatten viele nur noch ein mitleidiges Lächeln übrig. Die «Wahlen 67» brachten erneut Verluste. Alle spürten, dass sich die Partei an Haupt und Gliedern zu erneuern hatte. Mitte 1968 waren die Weichen personell neu gestellt worden. Franz Josef Kurmann übernahm vom Churer Nationalrat Ettore Tenchio den Vorsitz, Urs C. Reinhardt vom legendären Martin Rosenberg das Generalsekretariat. Mit Heinz Niemetz stiess ein begnadeter Politologe zum Team. Kurmann setzte sich mit bewundernswertem Einsatz für die Erneuerung ein. Ziel war es, von der «losen Dachorganisation» zu einer «föderalistisch gegliederten Mitgliederpartei» zu gelangen. Im Spätsommer 1970 lagen die ersten konkreten Vorschläge auf dem Tisch. In rascher Folge wurden sie von Gremien und Kantonalparteien beraten, immer wieder abgeändert. Wie vorauszusehen war, bildete die Forderung nach einer «Einheitspartei» in jedem Kanton – nach der Vereinigung von Konservativen und Christlichsozialen – eine harte Nuss. Ohne Kompromisse ging es nicht. In Obwalden und im Oberwallis blieb es bei je eigenen Organisationen. Anders im Kanton Luzern, wo die Diskussion zur Vereinigung der beiden Organisationen bereits früher begonnen hatte und in die Gründung der «Volkspartei» mündete. Einige Christlichsoziale verweigerten sich und führen seither ein Eigenleben.
Weg zum neuen namen Einen weiteren Knackpunkt bildete der Name. Von Anfang an war klar: Es musste ein neuer her! Durchgespielt wurden alle Varianten. Zeitweise stand «Volkspartei» im Vordergrund – wegen Luzern und weil die Solothurner schon seit längerer Zeit
diesen Namen führten. Doch wurde rasch deutlich, dass «christlich» nicht fehlen durfte; das wäre nicht akzeptiert worden. «Christlich» sollte standortbestimmend und richtungsweisend sein. So führten die Diskussionen schliesslich zum neuen Namen «Christlichdemokratische Volkspartei der Schweiz» (CVP). Am 12. Dezember 1970 verabschiedeten die Delegierten nach zeitweise heftigen Diskussionen die neuen Statuten und den neuen Namen und es folgte eine der spannendsten Phasen im Erneuerungsprozess: die Diskussion in der «Gesellschaftspolitischen Kommission» unter dem Vorsitz des Freiburger Professors Thomas Fleiner. Im Mai 1971 wurde in Luzern das Programm mit dem provozierenden Titel «Für eine Politik der dynamischen Mitte» verabschiedet. Damit einher ging ein neuer Auftritt in der Öffentlichkeit (alles in orange!), geschaffen vom Ebikoner Grafiker Mark Zeugin. ■
alois hartmann war von 1964 bis 1972 Mitarbeiter auf dem General sekretariat der CVP, später Bundeshausredaktor beziehungsweise Chef redaktor des «Vaterland», von 1988 bis 1996 Sekretär der CVP Kanton Luzern, während Jahren auch städtischer Parteipräsident und Grossrat. Sonderausgabe
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Urs Schwaller
Klare Positionen In Zeiten zunehmender Polarisierung und unheiliger Allianzen ist die CVP im heutigen Parlament besonders gefordert. In der laufenden Legislatur 2011–2015 stellt die CVP 29 Nationalrätinnen und Nationalräte. Im Ständerat sind es noch 13 Standesvertreter. Diese Zahlen umfassen auch die CSP-Vertreter der Kantone Obwalden und Wallis. Wie bereits in der letzten Legislatur bilden wir mit der Evangelischen Volkspartei (EVP) eine gemeinsame Fraktion. Diese Fraktionsgemeinschaft liegt zahlenmässig nach der SVP-Fraktion (62) und der SPFraktion (57) mit 44 Parlamentariern an dritter Stelle. Die FDPFraktion zählt 41 Mitglieder (30/11), die Grüne Fraktion 17 (15/2), die Grünliberale Fraktion 14 (12/2) und die BDP-Fraktion 10 (9/1). Fraktionslos ist ein einziges Mitglied der Bundesversammlung. Die zahlenmässige Aufschlüsselung der Fraktion zeigt, dass zwischen den Pol-Parteien eine Aufsplitterung stattgefunden hat.
mehr absprachen Für die tägliche Parlamentsarbeit bedeutet dies, dass wir gerade in den Kernthemen der CVP vermehrt Absprachen, insbesondere mit den Parteien zwischen den Polen, treffen müssen. Wir haben dies in der letzten Legislatur in einer Fraktionsgemeinschaft mit der EVP und den Grünliberalen getan. In dieser Legislatur tun wir dies weiterhin mit der EVP. Erstmals und im Blick auf gemeinsame Listen 2015 werden wir auch mit der BDP enger zusammenarbeiten. Ziel dieses gemeinsamen Vorgehens ist es, eine starke Kraft im Zentrum zu halten.
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Die Politik 6 Oktober 2012
Für die CVP als Partei muss das erklärte Ziel 2015 sein, wiederum 15 Prozent Wähleranteile zu gewinnen. Nur so bleiben wir auch in der nächsten Legislatur die Kraft in der Mitte, welche konstruktive Positionen im Parlament mit Erfolg durchbringt. In der Tat spannen die Linke und die Rechtsnationalen nur zusammen, um aus zumeist diametral entgegenstehenden Motiven Vorhaben zu verhindern, nicht aber, um Mehrheiten für neue Lösungen zu finden.
botschaften vermitteln In den letzten Wahlen haben wir als CVP wieder Wähleranteile verloren (12,3 Prozent, minus 2,2 Prozent). Verloren, obwohl 90 Prozent der Entscheidungen im Parlament in unserem Sinne ausgefallen sind. Mit unseren lösungsorientierten Mitte-Positionen haben wir die entscheidenden Mehrheiten geschaffen. Es ist aber nicht gelungen, diese Botschaft auch an die Wähler zu bringen. Und hier dürfte auch eines unserer Probleme in der öffentlichen und veröffentlichten Wahrnehmung liegen. Selbstverständlich hilft uns in den nationalen Wahlkämpfen nicht, dass wir über weniger finanzielle Mittel als beispielsweise die SVP, SP oder die FDP verfügen. Selbstverständlich hilft es uns nicht, dass wir keine Medien im Rücken haben und sich
einzelne Journalisten mit einer regelmässigen CVP-Kritik ihren kirchlichen Frust von der Seele schreiben. Selbstverständlich hilft uns nicht, dass mit unserer traditionell starken Verankerung in den Kantonen und den damit einhergehenden regionalen Interessen oft die nationale Wahrnehmung als CVP leidet.
«Weniger Kompromisse und damit mehr eigene Profilierung ist die Lösung.»
Nach meiner Einschätzung fiel aber in der öffentlichen und veröffentlichten Wahrnehmung mehr ins Gewicht, dass wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten im Interesse einer konstruktiven Lösungsfindung im Parlament am Schluss zu oft unsere Positionen abgeschwächt haben. In der heutigen Polarisierung der Politik, in einer Schwarz-Weiss-Berichterstattung hat dies zur Folge, dass die CVP für die Wähler verschiedentlich keine eigene klare Positionierung mehr hatte. Die Lösungskompetenz wird anderen zugeschrieben. Die Rolle der blossen Mehrheitsbeschafferin interessiert nicht mehr oder zu wenig.
cVP = Wertepartei Langfristig ausgerichtete Politik braucht ein Fundament, muss werteorientiert sein. Hier ist ebenfalls zusätzlicher Handlungsbedarf gegeben. Das C für christlich im Parteinamen der CVP darf für die Partei nicht bloss eine landesweite Klammer, sondern muss auch die Verpflichtung sein, sich immer wieder als die Wertepartei zu profilieren.
Frühzeitig Positionen festlegen Für mich heisst dies, dass wir in unseren Kernthemen Familie, Arbeits- und Ausbildungsplätze, Bildung, sichere Sozialwerke und nachhaltige Umweltpolitik nicht nur frühzeitig die Positionen festlegen und kommunizieren, sondern diese Positionen, unter Inkaufnahme des Scheiterns der Vorlage, bis und mit der Schlussabstimmung durchziehen müssen. Weniger Kompromisse und damit mehr eigene Profilierung ist die Lösung. In den Kernthemen drängt sich keine Änderung auf. Die CVP setzt sich für den Mittelstand ein: − Wir wollen weiterhin Beschäftigung, Wachstum, das heisst Ausbildungs- und Arbeitsplätze; wir setzen auf die kleineren und mittleren Unternehmen, auf den Export und den bilateralen Weg. − Wir wollen Familien in all ihren Formen stärken, kämpfen für die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie und mehr Sicherheit für die Kinder. − Wir wollen eine zuverlässige und sichere Schweiz auch in den Sozialwerken AHV, IV, ALV und KVG. − Wir wollen eine glaubwürdige Umweltpolitik mit einem schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie, einer starken Wasserkraft, dem Ausbau erneuerbarer Energien und mehr Energieeffizienz.
Urs Schwaller
Wir sind in unserem Land die nach christlichen Grundwerten orientierte Partei. Ich halte nichts von den endlosen Diskussionen der letzten Jahre, das C theoretisch definieren zu wollen. Statt vieler Umfragen muss die CVP als klassische christliche Volks- und Mittepartei in den einzelnen Dossiers vermehrt die Wertediskussion führen. Eine Wertediskussion, die immer wieder festhält, dass Leben ohne Selektionskriterien zu schützen ist. Im Gegensatz zu allen anderen auch hochrangigen Grundrechten gilt die Menschenwürde absolut. Sie ist nicht abwägungsfähig und auch aus finanziellen Gründen oder migrationspolitisch nicht relativierbar. Die Wertediskussion ist von der CVP nicht nur in der Gesundheitspolitik, sondern vermehrt auch in Wirtschafts-, Umwelt-, und Sicherheitsfragen zu führen. Das schärft zusätzlich das CVP-Profil und stärkt die Erkennbarkeit der geleisteten politischen Arbeit. Von den Fraktionsmitgliedern fordert dieses Engagement eine zusätzliche Auseinandersetzung mit den Themen. Das kann verlangt werden. Wer den Namen christlich in seiner Parteibezeichnung und auf seiner Wahlliste führt, muss sich in seiner politischen Arbeit auch an den Inhalten des C messen lassen. Das Programm stimmt. Wir haben sehr gute Parlamentarier, die in ihrer grossen Mehrheit wissen, dass eine starke und geeinte Fraktion auch ihnen dient. An uns allen ist es nun, einen Gang höher zu schalten. 2015 steht vor der Tür. ■ urs schwaller ist Ständerat des Kantons Freiburg und seit 2005 Präsident der Bundeshausfraktion.
Sonderausgabe
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Wolfgang Schäuble
werte als grunDlage für orientierung
Ein Parteijubiläum bietet Gelegenheit, Rückschau zu halten auf das Erreichte – also auf das, was eine Partei auf allen ihren Gliederungsebenen an Gestaltung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in der Vergangenheit geleistet hat. Eine solche Rückschau ist auch für die Selbstvergewisserung nützlich, wenn es gilt, sich in Bezug auf neue gesellschaftliche Entwicklungen zu positionieren – seien es innenpolitische Herausforderungen, wie etwa die Bewältigung des demografischen Wandels, oder internationale, wie die Gestaltung der Globalisierung mit ihren immensen Folgewirkungen. Welche Rolle soll die Partei für das Land spielen? Für welche Ziele, Werte und Überzeugungen steht sie? Welche Schwerpunktthemen macht sie sich zueigen? Dies sind Fragen, die sich jede Partei immer wieder stellen muss, will sie ihren politischen Rückhalt beim Souverän, dem Wähler nicht verlieren. Naturgemäss erfolgt eine solche Selbstvergewisserung immer im jeweiligen nationalen Kontext. Die Schweiz weist im Vergleich zu Deutschland bezüglich ihrer staatlichen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen teilweise erhebliche Unterschiede auf. Das gilt für die geografische und kulturelle Vielfalt zwischen Bodensee und Tessin genauso wie für das Drei-Sprachen-Regime. Eine der Haupterklärungen für das Erfolgsmodell Schweiz und für sein hohes Mass an politischer Stabilität ist denn auch die Balance, die die Schweiz zwischen einheitlichem Bürgersinn einerseits und einem sehr stark ausgeprägten Föderalismus andererseits herzustellen vermag. Zur Stabilität trägt auch bei, dass der starke Föderalismus – anders als in anderen Teilen Europas – über jeglichen Verdacht des Separatismus erhaben ist.
unterschiede vereinen Trotz der Strukturunterschiede zwischen der Schweiz und Deutschland bin ich davon überzeugt, dass die christlich-demokratischen Volksparteien unserer beiden Länder voneinander lernen und profitieren können. 16
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Zur grundsätzlichen Charakteristik und auch zur Stärke christdemokratischer Parteien gehört es, dass sie vom Arbeiter bis zum Unternehmer ein ausgesprochen breites soziales, aber auch konfessionelles Spektrum abdecken. Die CDU Deutschlands hatte – gerade was ihre überkonfessionelle Prägung anbelangt – den «Vorteil», sich nach dem Zweiten Weltkrieg neu aufstellen zu können. Die programmatischen und personellen Verbindungslinien aus dem Widerstand christlich-demokratischer Hitler-Gegner zur deutschen Nachkriegspolitik sind vielfältig. Der Zusammenhalt von katholischen und evangelischen Christen in den Widerstandskreisen und die gemeinsame Erfahrung von Verfolgung und Haft bestärkten viele darin, die parteipolitische Zersplitterung der Weimarer Republik zu überwinden, eine grosse, überkonfessionelle Volkspartei zu gründen und die nicht-sozialistischen Kräfte in der Union zu sammeln. Ohne lehrmeisterlich erscheinen zu wollen, erscheint es mir vor diesem Hintergrund aus Sicht der CVP wünschenswert, das nach wie vor bestehende Spannungsverhältnis zwischen katholischer Identität und konfessioneller Öffnung sowie den bestehenden Gegensatz zwischen konservativen Stammlanden und christlich-sozial geprägtem Mittelland zu reduzieren.
ausgleich heisst immer auch mässigung Als echte Volkspartei der dynamischen Mitte sind CVP wie CDU in Tradition und Geschichte ihrer Vaterländer verwurzelt, aber zugleich offen für Neues. Als solche müssen sich beide Volksparteien immer wieder der Aufgabe stellen, in der Diskussion zwischen unterschiedlichen Interessen, Gesichtspunkten und Argumenten Lösungen zu finden, die für alle Schichten und Gruppen unserer Bevölkerung akzeptabel sind. Das ist die grosse stabilisierende Funktion der Volkspartei der Mitte. Das ist keine Kleinigkeit, sondern um der Nachhaltigkeit einer freiheitlichen, demokratischen Ordnung willen unverzichtbar. Das immerwährende Bemühen, akzeptable Lösungen für alle Gruppen der Bevölkerung zu finden, bedeutet nicht, Kompromisse um des Kompromisses willen zu schliessen, sondern es bedeutet Ausgleich. Ausgleich heisst immer auch Mässigung, auch das ein Kennzeichen der Mitte: Ohne eine hinreichende Bereitschaft zur Mässigung ist Mitte nicht denkbar, ist Nachhaltigkeit nicht denkbar, würden wir uns in den Wechselbädern zwischen
«Eine der Haupterklärungen für das Erfolgsmodell Schweiz und für sein hohes Mass an politi scher Stabilität ist denn auch die Balance, die die Schweiz zwi schen einheitlichem Bürgersinn einerseits und einem sehr stark ausgeprägten Föderalismus ande rerseits herzustellen vermag.» Wolfgang Schäuble
den Extremen verlieren. Deswegen hängen Mass und Mitte, Ausgleich und Mässigung eng zusammen.
geordnete Einheit, der Bundesstaat, die verfasste politische Gemeinschaft tätig werden.
In der Finanzkrise ist eine menschliche Eigenschaft erschreckend deutlich zu Tage getreten – die Eigenschaft, durch Übertreibung zu zerstören. Wir haben aus der Finanzmarktkrise schmerzhaft erfahren, dass Menschen – und damit Märkte – zu Übertreibungen neigen, und dass diese Übertreibungen zerstörerisch sein können, für die Menschen wie die Märkte. Wir sind deshalb in Deutschland, in Europa und innerhalb der G20 dabei, den Finanzmärkten die Möglichkeit zu nehmen, sich durch Übertreibungen selbst zu zerstören. Aber wir werden uns davor hüten, dass das Pendel zu stark in die gegenteilige Richtung ausschlägt. Nur mit Kontrolle, Regulierung und Bürokratisierung ist die Effizienz einer sozialen Marktwirtschaft nicht annähernd zu erreichen. Deshalb braucht es Werte als Grundlage für Orientierung, und deshalb ist für uns das christliche Menschenbild grundlegend für unsere programmatischen Bemühungen.
Wie gesagt: Mitte ist nichts Statisches, sondern etwas Dynamisches. Wir werden die Zukunft unserer beiden Länder nur gestalten können, wenn wir aus einer starken Mitte heraus fähig bleiben, Fehlentwicklungen zu korrigieren, neue Anpassungen an neue Herausforderungen zu suchen. Dafür müssen wir uns unseres ordnungspolitischen Kompasses bewusst bleiben, auch in Zeiten, wo es vielleicht nicht politisch opportun ist, sich dazu zu bekennen, dass freiheitliche Lösungen auch dort, wo freiheitliche Lösungen im Einzelfall durch Übertreibungen delegitimiert wurden, die nachhaltig besseren Lösungen sind. Alles andere hiesse, die Kräfte, die in Menschen als freien Individuen und in freiheitlich verfassten Gesellschaften am Werk sind, zu unterschätzen. Damit genau dies nicht passiert, braucht es starke christlich-demokratische Volksparteien der Mitte.
mitte ist etwas Dynamisches Die christlichen Volksparteien müssen versuchen, einen mittleren Weg zu gehen, in dem Bewusstsein, dass die gesellschaftliche Mitte sich dynamisch weiterentwickelt und keinen statischen Gleichgewichtszustand repräsentiert. Auch deshalb ist das Subsidiaritätsprinzip für die christlich-demokratischen Volksparteien so wichtig. Vorrang haben die kleineren Einheiten, die Familie und die Kommunen. Sie sollen so viel wie möglich selbst regeln, weil sie dazu besser in der Lage sind. Nur dann, wenn es nicht anders geht, muss als ultima ratio die über-
Ich gratuliere der Christlichdemokratischen Volkspartei herzlich zu ihrem 100-jährigen Bestehen und wünsche ihr alles Gute für die nächsten 100 Jahre! ■
wolfgang schäuble ist seit 2009 Bundesminister der Finanzen der Bundesrepublik Deutschland. Der promovierte Jurist ist seit 47 Jahren Mitglied der ChristlichDemokratischen Union. Von 1991 bis 2000 war er Vorsitzender der CDU/CSUBundestagsfraktion, von 1998 bis 2000 Bundesvorsitzender der CDU. Wolfgang Schäuble ist Mitglied des CDUPräsidiums und des CDUBundesvorstands. Sonderausgabe
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Jean-Claude Juncker
wie hältst Du es Mit DeM anDeren Menschen?
In der Christlichen Demokratie ist die soziale Frage weder eine Randfrage der Wirtschafts- und Finanzpolitik noch eine rhetorisch-romantische Sonntagsfrage. Die soziale Frage steht im Gegenteil im Zentrum der C-Programmatik. Und auch der erwähnten Wirtschafts- und Finanzpolitik. Dies hat zentral mit dem christlichen Menschenbild zu tun. Es ist das Bild des Menschen als ganzheitliche Person. Es ist das Bild des Menschen als freie Person im Mit-Sein mit seiner Familie und mit allen staatlichen und nicht-staatlichen Gemeinschaften, die ihn begleitend und unterstützend umgeben. Vor allem aber im verantwortungsvollen Mit-Sein mit dem jeweils anderen Menschen. Denn im Antlitz der und im Austausch mit der jeweils anderen Person erkennt und entdeckt man sich selbst. Und man entdeckt so auch authentische christdemokratische Parteien, die weder strukturkonservativ noch wirtschaftsliberal sind. Sie können von ihrem Wesen her eigentlich nur struktur- und sozialreformistische Parteien sein.
soziale Demokratie hat nichts mit sozialismus zu tun Christliche Demokratie ist infolgedessen immer auch humanistische und ergo soziale Demokratie. Mit Sozialismus hat dies freilich nichts zu tun. In der Christlichen Demokratie geht es nicht um ein allbestimmendes Kollektiv-Uhrwerk, dessen mechanisches Glied der reduzierte Mensch ist. Nein, es geht um Gemeinschaft und Gerechtigkeit, um Solidarität und soziale Liebe. Auch um Subsidiarität und Freiheit. Und nicht zuletzt um Gemeinwohl. Dabei steht der Mensch immer über dem Staat. Freiheit und Verantwortung Diese christdemokratische Vision einer neuen Gesellschaft hat genauso wenig mit Wirtschaftsliberalismus zu tun. Nicht von ungefähr spricht die klassische Soziallehre von einer Äquidistanz zwischen Kollektivismus und Individualismus. Zwar ist die Freiheit das auszeichnende Merkmal der menschlichen Person. Doch auch hier ist die ganzheitliche Freiheit gemeint: die Frei18
Die Politik 6 Oktober 2012
heit nicht nur der Materie oder gar des Marktes, sondern erneut in erster Linie die Freiheit des Geistes, der Selbstbestimmung, des Seins. Und weil Sein immer Mit-Sein ist, ist Freiheit nur in Mit-Verantwortung denkbar. Marktradikalität – also der Markt als Zweck und Ziel, ja als «Götze» (Johannes Paul II.) statt als Instrument und Mittel – wird so zur Perversion der ganzheitlichen Freiheit des Menschen. Genauso wie absoluter Kollektivismus zur Perversion der zwischenmenschlichen Gemeinschaft, der ganzheitlichen Gerechtigkeit und Solidarität sowie auch der naturrechtlichen allgemeinen Bestimmung der Güter wird.
Konsequenzen des handelns Im Politiker, im Geschäftsmann, im Gewerkschafter, im Verbraucher, im Arbeitgeber, im Arbeitnehmer, im Menschen wird eine Frage konkret zur zutiefst menschlichen Frage: «Wie hältst Du es mit dem jeweils anderen Menschen?» Welche Konsequenzen hat meine Entscheidung als Chef der Eurogruppe für Arbeitslose in Griechenland? Welche Konsequenzen hat meine Entscheidung als Unternehmer für meine Mitarbeiter? Welche Konsequenzen hat mein Streik für meine Kollegen? Welche Konsequenzen hat mein Kaufverhalten für die Gesellschaft? Überhaupt ist die Gesellschafts- und Gemeinwohlfrage ebenfalls immer zu stellen. Und zwar nicht nur bezogen auf die jeweilige nationale Gesellschaft, sondern auch und vor allem auf die internationale, transnationale, ja kosmopolitische Gesellschaft von Nationalstaaten, von Regionen, von Städten, von NGOs, vor allem aber erneut von einfachen Menschen. Angesichts von einer Milliarde Menschen, die weltweit unterernährt sind, wird die globale soziale Frage so zur kosmopolitischen Schande. solidarität Die neue Beantwortung der Sozialen Frage muss deshalb unbedingt mit einer stufenlosen und transnationalen Subsidiarität – eine Erfindung der Christlichen Soziallehre – sowie einer grenzenlosen und globalen Solidarität einhergehen. Und zwar sowohl bei der politischen als auch bei der akademischen Beantwortung. Die globale Soziale Frage schreit förmlich nach der vom Münchner Soziologen Ulrich Beck angeregten «kosmopolitischen Wende». Denn Ungerechtigkeit muss heute global und transnational untersucht werden. Und Gerechtigkeit kann nur
sen, Verordnungen und Richtlinien widerspiegeln. Nur so wird globale und internationale Gerechtigkeit erst möglich. Und somit auch globale und internationale, vor allem aber integrale Freiheit. Diese ganzheitliche Freiheit steht in keinem Gegensatz zur ganzheitlichen Gerechtigkeit. Im Gegenteil: Sie ist ein Teil von ihr. Gerechtigkeit bedeutet letztlich Freiheit, Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung und Selbsterfüllung für alle Menschen. Aber auch in Verantwortung mit allen Menschen.
«Angesichts von einer Milliarde Menschen, die weltweit unter ernährt sind, wird die globale soziale Frage zur kosmopolitischen Schande.» Jean-Claude Juncker
noch kosmopolitisch erreicht werden. Gleichwohl darf uns diese Erkenntnis nicht vom nationalen, regionalen und persönlichen Handeln abhalten.
Keine ethikfreien Zonen Konkret bedeutet diese Neue Soziale Frage eine Erneuerung des Dialogs mit allen Kulturkreisen und mit allen Religionen. Denn Humanismus und auch Christliche Demokratie sind das Gegenteil vom Huntingtons «Kampf der Kulturen». Nur so wird globaler und internationaler Frieden erst möglich. Humanismus und Christliche Demokratie sind ebenso das Gegenteil der Zwei-Reiche-Lehre von persönlicher und gesellschaftlicher Ethik und Moral. Auch in Politik und Wirtschaft darf es keine ethikfreien Zonen geben. Jeder Staat und jeder Markt braucht einen ethisch-humanistischen Zielrahmen. Denn Ziel jedes Staatswesens und jedes Marktes muss das möglichst gerechte Wohl der Gemeinschaft und des einzelnen Menschen sein. Dieses Gemeinwohl muss sich in den jeweiligen Gesetzen und Beschlüs-
Demokratie ist von christlicher essenz Die Neue Soziale Frage ruft also nach einer neuen ganzheitlichen Politik, nach einer neuen Sozialen und Ökologischen Marktwirtschaft, nach einer neuen offenen und gemeinschaftlichen Gesellschaft. Diese politische Wende ist seit jeher Teil der frohen sozialen Kernbotschaft der Christlichen Demokratie. Sonst wäre sie nicht christlich. Ohne Herrschaft des Volkes wäre sie nicht demokratisch. Und Demokratie ist nur in bürgerlicher Gleichheit, sozialer Gerechtigkeit und personaler Freiheit möglich. Vielleicht schrieb der französische Sozialphilosoph Jacques Maritain deshalb einst, dass Demokratie eigentlich auch von christlicher Essenz sei. Oswald von Nell-Breuning hat einst das Wort von der «Sozialwirtschaft» geprägt. Er meinte damit ein «Mittelsystem zur Selbstverwirklichung des Menschen». Es ist seither etwas verloren gegangen. So wie auch der reiche Schatz der Christlichen Soziallehre. Auch wenn diese durchaus noch ausbaufähig ist. Etwa um das Prinzip des gerechten und somit begrenzten persönlichen Profits in Anwendung der bereits erwähnten und vom Zweiten Vatikanischen Konzil geforderten allgemeinen Bestimmung der Güter dieser Welt. Geistiges Zentrum Eine neue kosmopolitische Sozialwirtschaft ist die notwendige Antwort auf die Neue Soziale Frage der Gegenwart. Eine neue Sozialwirtschaft muss Wirtschaft und Finanzen wieder mit Ethik und Moral versöhnen. Der ungezähmte Markt muss mit sichtbarer Hand so gebändigt werden, dass er dem Sozialen dient. Nicht umgekehrt. Eine neue Sozialwirtschaft muss ebenso Politik und Gesellschaft wieder mit Ethik und Moral versöhnen. Wohlverstandene «Realpolitik» ist nur wirklich «real», wenn sie Interessen mit Werten versöhnt. Und wenn sie gleichermassen die geopolitischen Interessen der Staaten den gemeinschaftlichen Interessen der Menschen unterordnet. Die Christliche Demokratie muss heute mehr denn je den integralen Menschen neu für sich entdecken. Und so die Neue Soziale Frage wieder zu ihrem geistigen Zentrum und ihrer programmatischen Mitte machen. Nicht zuvorderst aus elektoralen Gründen, sondern aus ihrem ureigensten personalistischen Wesen heraus. ■
Jean-claude Juncker ist Mitglied der Christlich Sozialen Volkspartei (CSV/PCS) von Luxemburg. Von 1989 bis Juli 2009 war er Finanzminister Luxemburgs, seit 1995 ist er Premierminister. Juncker ist damit derzeit der dienstälteste Regierungschef in der Europäischen Union. Seit 2005 ist er zudem Vorsitzender der EuroGruppe. Sonderausgabe
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Lucrezia Meier-Schatz
Vereinbarkeit – herausforDerung – chance Die Arbeitswelt ist von einer tiefgreifenden Veränderung erfasst. In wenigen Jahren wird die bisher dominierende Generation der «Baby Boomer» durch die Generation der «Digital Natives» ersetzt. Letztere wird 2020 die Mehrheit der Erwerbstätigen stellen. Sie werden auch die Führungspositionen einnehmen und somit eine neue Unternehmenskultur prägen. KMU und grosse Unternehmen stehen vor neuen Herausforderungen, denn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Digital Natives-Generation haben eine andere Vision der Erwerbstätigkeit. Dadurch entstehen neue Erwerbsbiographien und neue Arbeitsweisen. Viele werden im Beruf Gestaltungsmöglichkeiten suchen. Erhalten sie diese nicht, suchen sie sich eine neue Herausforderung. Sie sind flexibel und verändern die heutige Industrie-/Angestelltenkultur, weil ihnen der Begriff der Kontinuität nicht gleich wichtig erscheint wie den heutigen älteren Mitarbeitenden. Sie gehen Probleme anders an, holen sich das Wissen anderer artfremder Bereiche, um ihre Sichtund Denkweise zu erweitern, um Lösungen für die neuen beruflichen Fragestellungen und Herausforderungen zu finden. Sie sind vernetzter, offener und mobiler. Führungskräfte, die sich mit den digitalen Herausforderungen beschäftigen, prognostizieren eine Arbeitswelt, in der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darauf bestehen, flexibel zu arbeiten. Einige Unternehmen haben diesen Trend erkannt und ermöglichen bereits heute diese neue «Flex-work»-Strategie.
abwechslung und Kontinuität Diese Generation fordert ferner mehr Gleichstellung und ist bereit, aus Rücksicht auf Partner/Partnerin, Kinder und Lebensumstände, Kompromisse einzugehen. Sobald der Kompromiss und nicht a priori die Erwerbsarbeit priorisiert wird, müssen Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen Lösungen anbieten, sonst laufen sie Gefahr, dass die Mitarbeitenden nach Alternativen Ausschau halten. Diese Kompromissfähigkeit verbunden mit der Abkehr vom Einverdienergrundsatz zeigt das Spannungsfeld zwischen Abwechslung und Kontinuität, in welchem sich 20
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diese Generation befindet. Das Spannungsfeld zwischen Berufund Privat- respektive Familienleben wird dadurch sichtbar und zu einem der zentralen Probleme der Alltagsgestaltung. Seit einigen Jahren ist unsere Gesellschaft einem neuen Zeitmuster ohne klaren Rhythmus unterworfen. Die klare Abgrenzung zwischen Beruf und Privatleben, zwischen Beruf und Familienleben verwischt sich für eine Mehrheit aller Erwerbstätigen. Die Folgen sind mannigfaltig: Die gemeinsamen privaten Zeitstrukturen sind Gegenstand von Verhandlungen; die Berufszeit und auch die öffentliche Zeit drängen in die Familienzeit hinein. Somit verlieren die früheren klaren kulturellen
Muster, wie Zeit und Familie organisiert sein sollen, ihren Stellenwert. Die komfortable Trennung zwischen Berufsalltag und Privatleben verschwindet zusehends.
Zeit Die Erfolgsfaktoren der Unternehmen sind angesichts der digitalen Herausforderungen ebenfalls einem Wandel unterworfen. Unternehmen haben erkannt, dass sie ihren Mitarbeitenden mehr massgeschneiderte Möglichkeiten anbieten müssen. Viele Unter-
zunehmend die Grenzen zwischen Erwerbszeit und Privatzeit verwischen, wird ein Teil der Mitarbeitenden vermehrt neue Zusammenarbeitsformen und mehr Flexibilität wünschen. Mitarbeitende werden mehr Selbstverantwortung einfordern, weniger Steuerung und die Anerkennung ihrer Arbeitsweise, denn das Verständnis der Arbeit als gestaltbares Element gewinnt in Zukunft an Bedeutung. Ein immer bedeutenderer Teil der Mitarbeitenden will selber entscheiden können, wann, wie und wo sie die Arbeit für den Arbeitgeber erledigen werden.
Job-nomaden Diese Forderung nach mehr Flexibilität wird nicht nur von Männern und Frauen mit Familienverantwortung – mit Kindern und/oder mit pflegebedürftigen Angehörigen – laut. Menschen ohne Familienverantwortung sind örtlich viel flexibler und entfalten sich zu den «Job-Nomaden» von Morgen. Es sind Menschen, die Spass an der Arbeit als Motivator betrachten, darin einen Teil ihrer Selbstverwirklichung sehen und bereit sind, wenn die betrieblichen Parameter nicht mehr stimmen, weiter zu ziehen, um eine neue Herausforderung anzupacken. In Anbetracht dieser Veränderungen und des demografischen Wandels sowie der Alterung unserer Gesellschaft, müssen Unternehmen die Arbeitsorganisation neu gestalten. Denn Vereinbarkeit und Familienfreundlichkeit werden im Wettkampf um gute und qualifizierte Mitarbeitende eines der wichtigsten Handlungsfelder der kommenden Jahre.
Vereinbarkeit Somit wird die Vereinbarkeit zu einem wichtigen Baustein, um die vielfältigen Herausforderungen zu meistern. Im Wissen aber, dass Menschen sowohl Zeit für die Übernahme von Verantwortung im Beruf als auch Zeit für die Übernahme von Verantwortung in der Familie benötigen, werden familienfreundliche Arbeitsbedingungen immer wichtiger.
nehmen setzen momentan fast ausschliesslich bei der Flexibilisierung der Erwerbszeit primär für Frauen an. Doch die Bedeutung von flexiblen Arbeitszeiten und von Elternteilzeit beeinflusst nur beschränkt den Erfolg eines Unternehmens, dies mindestens solange das Unternehmen von einer Präsenzzeit ausgeht. Zunehmend wichtiger werden – um den Bedürfnissen der Digital Natives gerecht zu werden – neue Arbeitsformen als Erfolgsfaktor. Die Präsenzzeit wird durch die Vertrauensarbeitszeit ergänzt. Die Einführung der Vertrauensarbeitszeit hat denn auch Auswirkungen auf die Unternehmenskultur, auf die betriebsinterne Zusammenarbeit und auf das Führungsverhalten. Da sich
Die Umsetzung einer familienfreundlichen Unternehmenspolitik wird zu einem wichtigen Wettbewerbs- und Standortfaktor auch für Unternehmen in kleinen ländlichen Regionen. Viele KMU bieten bereits heute flexible Arbeitszeitmodelle an. Sie müssen diese den neuen Bedürfnissen anpassen. Alleine schaffen sie es aber nicht, denn es braucht ein breites Bewusstsein der Öffentlichkeit und der lokalen Behörden, um die Umsetzungskraft des Unternehmens zu unterstützen. Die Anstrengungen der Unternehmen müssen durch wohnortnahe, bedarfsgerechte Infrastrukturen und auch Betreuungsinfrastrukturen für Arbeits-, Rand- und Ferienzeiten gestützt werden. Dieses Miteinander ist die Voraussetzung für das Gelingen der Übernahme von Verantwortung sowohl am Arbeitsplatz als auch in der Familie. ■ lucrezia Meier-schatz ist Nationalrätin des Kantons St.Gallen, Mitglied der Wirtschafts und Abgabenkommission und profilierte Familienpoli tikerin. Sonderausgabe
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Pirmin Bischof
ist wirtschaft christlich?
Ist Marktwirtschaft christlich oder unchristlich? Ist sie «reformiert» oder «katholisch»? Was sagt der Christ zu «Abzockern», Globalisierung und Finanzkrise? Als Rechtsanwalt bin ich nicht Theologe. Als WAK-Mitglied und Wirtschaftssprecher des Präsidiums der CVP sind solche Fragen aber immer präsent. Das «C» im Parteinamen ist nicht blosses Etikett, sondern konkreter politischer Auftrag! Der «Markt» prägt die westliche Wirtschaft. Mengen und Preise werden nicht durch staatliche Lenkungsstellen, sondern durch das freie Spiel von Angebot und Nachfrage festgesetzt. Nach gemeiner ökonomischer Auffassung ermöglicht dieses System die effizienteste «Güterallokation». Fakt ist, dass sich das marktwirtschaftliche System mit seiner ganzen Schlagkraft im christlich-humanistischen Europa und nicht in einer anderen Weltgegend entwickelt hat. Eine Untersuchung von Professor Bruno S. Frey der Universität Zürich hat 2003 ergeben, dass auch heute noch Christen eine positivere
Einstellung zur Wirtschaft als Angehörige anderer Religionen haben. Muslime sind gegenüber Wirtschaftswachstum am skeptischsten und Hindus gegenüber wirtschaftlichem Wettbewerb. Der berühmte Soziologe Max Weber hat 1905 in seinem Hauptwerk «Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus» die bis heute nachwirkende These vertreten, die wirtschaftliche Entwicklung der westlichen Welt sei wesentlich auf den «protestantischen Geist» zurückzuführen. Die Reformation habe zu einer eigentlichen Revolution des Denkens geführt, welche den modernen Kapitalismus und damit das Wirtschaftswachstum überhaupt ermöglicht habe. Als Beleg mag man Calvins Prädestinationslehre heranziehen, die (in vereinfachter Form) davon ausgeht, dass der persönliche und wirtschaftliche Erfolg eines Menschen auf Erden das vorgezogene Spiegelbild seiner späteren Stellung im ewigen Leben sei. Tatsächlich erfolgte die Industrialisierung im 19. und 20. Jahrhundert in städtisch-reformierten Gebieten wie Zürich, Basel oder Genf wesentlich schneller als in katholisch-ländlichen Gebieten. Dies galt für die Schweiz und die ganze westliche Hemisphäre.
Katholizismus oder Protestantismus Es ist fraglich, ob diese These heute noch haltbar ist. Die erfolgreichsten Dienstleistungs- und Steuersenkungskantone sind in den letzten Jahren klassisch katholische Kantone wie Zug, Schwyz, Nid- und Obwalden. In Deutschland haben die beiden grossen katholischen Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern die kriselnden protestantischen norddeutschen Länder wirtschaftlich in den Schatten gestellt. Professor Frey führt zudem Norditalien und Irland als Beispiele dafür an, dass ein weitgehend katholisches Gebiet über längere Frist ein gleiches oder gar höheres Pro-Kopf-Einkommen als das protestantische Europa aufweise. Wenn auch das irische Wirtschaftswunder letztens einen argen Dämpfer erlitten hat, eignet sich die Unterscheidung zwischen Katholizismus und Protestantismus also kaum mehr zur Erklärung eines unterschiedlichen wirtschaftlichen Erfolges. 22
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Wie steht der Christ/die Christin zur Marktwirtschaft? Eine Untersuchung der Universität Chicago auf der Grundlage des Datenmaterials aus dem «World Value Survey» (1981–1997) kommt zum überraschenden Schluss, dass regelmässige Gottesdienstbesucher eine grundsätzlich positivere Einstellung zur Wirtschaft haben als Personen, die nicht religiös sind. Religiös Aktive neigen eher zur Ansicht, dass der freie Markt zu fairen Ergebnissen führe und sie sprechen sich auch dezidierter für Institutionen aus, welche die Produktivität und das Wirtschaftswachstum fördern. Religiöse Menschen sind zudem weniger zu einem Rechtsbruch bereit und stützen damit ein stabiles Rechtssystem als eine der wichtigsten Grundlagen einer funktionierenden Marktwirtschaft. Als christlicher Politiker darf ich guten Gewissens den Markt dem sozialistischen Plan vorziehen. Heisst das, dass alles «in Butter» ist und wir christliche Politiker davon ausgehen können, dass Adam Smith’s «invisible hand» (die unsichtbare Hand) des freien Marktes Probleme wie Armut, Arbeitslosigkeit und Umweltzerstörung von selbst regeln werde?
liberal oder sozial? Die kapitalistische Marktwirtschaft ist in christlichen Ländern entstanden. Es waren aber gerade die katholische und die protestantische Kirche, die dazu beigetragen haben und heute noch dazu beitragen, dass die Marktwirtschaft nicht zur Barbarei ausartet. Markt beruht auf Eigennutz jedes Marktteilnehmers, des typischen «homo oeconomicus». Oder zynisch gesagt: Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht. Ein solches System genügt vielleicht manchester-liberalen Effizienzkriterien, sicher aber nicht dem Prinzip der christlichen Nächstenliebe. Zwinglis Zürcher Reformation verstand sich nämlich nicht nur als Reformation der Kirche, sondern auch als Erneuerung von Staat und Gesellschaft. Zwingli hat sich zentral mit den damaligen sozialen Fragen beschäftigt: dem «ungerechten» Zinswesen, der Leibeigenschaft und dem Elend der Söldner. Dem Reformator war es ein Anliegen, die menschliche Gerechtigkeit der göttlichen Gerechtigkeit zumindest anzunähern. Wesentlich später, aber politisch wohl noch durchschlagender, entwickelte sich im 19. Jahrhundert die «katholische Sozialleh-
«Es waren gerade die katholische und die protestantische Kirche, die dazu beigetragen haben und heute noch dazu beitragen, dass die Marktwirtschaft nicht zur Barbarei ausartet.» Pirmin Bischof
re». Sie rückte Werte wie die Würde des Menschen, die Solidarität und die Subsidiarität ins Zentrum des wirtschaftlichen und politischen Denkens. Peter Ulrich, Professor für Wirtschaftsethik an der Universität St.Gallen stellt fest, dass die protestantische Ethik mit dem Arbeitsethos «tiefer in die Entstehungsgeschichte des Geistes des Kapitalismus verwickelt» sei, wogegen die katholische Soziallehre eher als «externes Korrektiv» des an sich unbestrittenen Marktsystems betrachtet werden müsse. Völlig zu recht ergänzte der Sozialethiker Johannes Fischer aber, dass die katholische Soziallehre einen «kaum zu überschätzenden Beitrag zur Idee eines in sich ausgewogenen Sozialstaates geleistet» habe. Das erfolgreiche Konzept der «sozialen Marktwirtschaft» von Konrad Adenauer und Ludwig Erhard beruht demnach nicht auf manchester-liberalen, aber auch nicht sozialistischen Ideologien, sondern auf der katholischen Soziallehre.
hybris Masslosigkeit und Überheblichkeit wurde schon in der griechischen Welt als «Hybris» von den Göttern bestraft. Ikarus ist nicht etwa abgestürzt, weil er es wagte, mit selbst hergestellten Flügeln aus Federn und Wachs zu fliegen, sondern weil er gegen den Rat seines Vaters Dädalus «zu hoch hinauf wollte» und sich zu sehr der Sonne näherte. In Form von intransparenten Finanzprodukten und -strömen, die die Welt an den Rand einer wirtschaftlichen Katastrophe gelenkt haben, und in Form von exzessiven und unkontrollierten Managergehältern begegnet die Hybris uns aktuell wieder. Die Masslosigkeit hat in einem verantwortungsorientierten Weltbild gemäss katholischer Soziallehre keinen Platz. Hier haben gerade wir christlichen Politiker einen ethischen Auftrag, auch und gerade wenn die Kirche ihre führende Rolle «auf dem Markt der Werte» für viele verloren hat. Wenn der Manchester-Liberalismus Armut, Arbeitslosigkeit und Managerexzesse schulterzuckend hinnimmt, hat christliche Politik den Auftrag, die schöpferische und kraftvolle, aber gefährliche und zuweilen selbstzerstörerische, liberale Anarchie zu lenken. Oder – wie es die sogenannte Nürnberger Erklärung von 2011 fordert: «Wer sich an den Massstäben Gottes orientiert, wie sie sich in den 10 Geboten finden, lehnt Korruption, Betrug, unfaire Löhne, überzogene Gehälter und Abfindungen genauso ab wie Habsucht, Neid, Geiz und üble Nachrede.»
Fazit Die Marktwirtschaft ist nicht per se christlich oder unchristlich. Es hängt von uns christlichen Politikern/innen ab, ob sie menschlich ist, oder in Masslosigkeit, Barbarei und Umweltzerstörung abdriftet. ■
Pirmin bischof ist Ständerat des Kantons Solothurn, Mitglied der Wirt schafts und Abgabenkommission und des Präsidiums der CVP Schweiz. Sonderausgabe
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Heiner Geissler
MoDerne Politik unD ethik
Schon immer war das «C» im Namen einer politischen Partei Gegenstand heftiger Diskussionen. Für viele war der Begriff «christlich» eine glatte Provokation, für andere eine grosse Lüge.
Für wieder andere war der Begriff der anmassende Versuch, in einer Welt des Pluralismus das politische Leben nach den Prinzipien einer bestimmten Religion gestalten zu wollen und dies in einem Land wie der Schweiz, in dem nicht nur Christen als Staatsbürger leben, sondern auch Muslime, Buddhisten, Hindus, ebenso Gnostiker und Agnostiker, Atheisten. Menschen also, die nach ihrer Facon selig werden wollen. Eine solche Konzeption liefe in der Tat auf einen Gottesstaat hinaus und dessen führende Akteure wären nichts anderes als christliche Ayatollahs. Insofern kann es eine «christliche Politik» nicht geben. Der christliche Glaube gibt uns jedoch ein Menschenbild, das sich diametral unterscheidet von sozialistischen, nationalistischen 24
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oder ökonomistischen Menschenbildern. Die Ereignisse des 20. Jahrhunderts haben klar gemacht, dass es moderne Politik nicht geben kann, wenn nicht die mit ihr zusammenhängenden ethischen Fragen beantwortet werden. Dies ist ein wichtiger Grund, warum die CVP oder andere christlich-demokratische Parteien in Europa bei ihrem «C» bleiben müssen, unabhängig davon, ob es in Bern, Lausanne oder St. Moritz 45 oder 75 Prozent Christen gibt und auch unabhängig davon, wie viele Leute sonntags in die Kirche gehen.
menschenbild Als Grundlage der Politik ist zwingend, dass christliche Demokraten immer die Frage stellen müssen nach dem Humanum, das ihren politischen Entscheidungen zugrunde liegt. Heute wird der Mensch nicht mehr in erster Linie nach Herkunft, Nation oder Rasse beurteilt. Er wird vielmehr nach wie vor diskriminiert je nachdem, ob er Mann oder Frau ist. Und er wird in unserer Wirtschaftsordnung als Kostenfaktor behandelt, die Todsünde des jetzigen wirtschaftlichen Systems. Das christliche Menschenbild ist eine unverzichtbare Voraussetzung für eine ethisch relevante Politik, deren Ergebnisse auch von den Bürgerinnen und Bürgern akzeptiert und positiv bewertet werden können, die gar keine Christen sind.
«Die Ereignisse des 20. Jahrhunderts haben klar gemacht, dass es moderne Politik nicht geben kann, wenn nicht die mit ihr zusammenhängenden ethischen Fragen beantwortet werden.» Heiner Geissler
im evangelium begründet Dies betrifft vor allem die moderne Umsetzung des wichtigsten Gebotes des Evangeliums, der Nächstenliebe, modern gesprochen der Solidarität, die keine Gefühlsduselei, keine platonische Angelegenheit ist und nicht als Gutmenschentum abqualifiziert werden darf. Nächstenliebe bedeutet vielmehr eine Pflicht, denen zu helfen, die in Not sind. Dies gilt auch für den Feind. Das ist in Wahrheit die Bedeutung der so verspotteten Feindesliebe. Sie ist eine realisierbare Utopie und sie scheitert nicht an einer rein quantitativen Unmöglichkeit, ihr zu entsprechen. Denn wer nicht in Not ist, dem muss man nicht helfen. Dies ist der Raum für Eigeninitiative, Eigenverantwortung, für private Kompetenz bei den Risiken des Lebens. Diese im Evangelium begründete Sicht der Politik sprengt nationale, kulturelle und religiöse Grenzen. Sie gilt allen Menschen, unabhängig von Klasse, Rasse, Geschlecht, Nation. Versöhnung, Entspannung und friedliche Lösung von Konflikten müssen den Vorrang haben vor Gewalt und Krieg. Fremdenfeindlichkeit ist mit dieser Botschaft unvereinbar. Die nach wie vor vorhandene Diskriminierung der Frauen in der Arbeitswelt, der Gesellschaft, in den Parteien, Gewerkschaften und Kirchen widerspricht dem christlichen Menschenbild. Das Kapital hat den Menschen zu dienen und nicht sie zu beherrschen. Die kapitalistische Wirtschaftsordnung wi-
derspricht daher diesem ethischen Fundament und ist ein Verbrechen an Milliarden von Menschen, die in Armut, Krankheit und Unwissenheit leben müssen. Die Wirtschaftsordnung muss neu geordnet und auf ein ethisches Fundament gestellt werden, das verlangt das Konzept einer internationalen öko-sozialen Marktwirtschaft.
Furchtlose Volksvertreter Schliesslich stellt das christliche Menschenbild Anforderungen an diejenigen, die in der Politik Verantwortung tragen. Anforderungen vor allem für glaubwürdiges Handeln, das heisst die Einheit von Ideen, Reden und Handeln verlangt den unabhängigen, selbstbewussten, freimütigen und furchtlosen Abgeordneten. Die Politik auf einem solchen Menschenbild basierend ist ein grosses realisierbares und attraktives Versprechen. Wenn eine Partei auf neue Fragen keine ethisch begründeten Antworten geben kann, dann wird sie auf Dauer nicht mehr konsensfähig sein. ■ heiner geissler war von 1982 bis 1985 deutscher Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, von 1977 bis 1989 Generalsekretär der CDU und während 25 Jahren Mitglied des Deutschen Bundestages. Heute gilt sein Einsatz der Humanisierung des Globalisierungsprozesses, einer Internationalen Ökosozialen Marktwirtschaft, der Durchsetzung der Frauenrechte und direkter demokratischer Bürgerbeteiligung. Sonderausgabe
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Philipp Stähelin
Massstab finanzPolitik schweiz Seit längerer Zeit kämpfen Europa, die USA und weitere Staaten mit Finanz- und Konjunkturkrisen. Der Ursprung, aber auch die laufende Vertiefung der Probleme dieser Länder, deren Union(en) und der internationalen Systeme liegen in einer verfehlten Finanzpolitik. Man lebte über die eigenen Verhältnisse und tut es nach wie vor. Die Entwicklung der Staatsfinanzen wurde zur «Quantité négligeable» deklassiert. Dass sich die Ausgaben des Staates nach den Einnahmen zu richten haben, dass zwischen Ausgaben und Einnahmen Zusammenhänge bestehen, wurde negiert. Verantwortungsbewusste Finanzpolitik ist purer Schuldenmacherei gewichen. Doch ebenso wie der Krug nur so lange zum Brunnen geht, bis er bricht, können Staaten nur solange Schulden anhäufen, bis das Vertrauen in ihr Finanzgebaren, ihre Bonität, ihre Strukturen, in sie selbst erschöpft ist. Und so schrillen heute überall die Alarmglocken.
ausnahmefall schweiz Wir scheinen wieder einmal eine Insel der Glückseeligen zu bilden. Gerne übersehen wir dabei, dass wir uns bis Ende der Neunzigerjahre im gleichen Fahrwasser befunden haben. In kurzer Zeit haben wir damals unsere Schulden auf Bundesebene praktisch verdoppelt. Eine Gesamtsicht der Haushalte von Bund, Kantonen, Gemeinden und auch Sozialversicherungen ist kaum je gezogen worden. Modelle einer verantwortungsbewussten und langfristig angelegten Finanzpolitik blieben verkannt und wurden oft sogar bewusst ausgeblendet. Losung: Je mehr der Staat ausgibt, desto besser geht es uns. Im Unterschied zu unserem europäischen Umfeld fand bei uns im letzten Jahrzehnt jedoch ein Umdenken statt. Wir haben zu einer langfristig angelegten, nachhaltigen Finanzpolitik im Ausgleich von Ausgaben und Einnahmen zurückgefunden. Die hohe Bedeutung dieser gesunden Finanzpolitik für unser Wohlergehen ist erkannt und damit auch das Vertrauen in unser Land intakt.
Frucht der politischen anstrengung Diese Entwicklung, unser finanzpolitisches Umdenken, das uns in dieser Zeit auf internationaler Ebene auszeichnet, ist Frucht einer politischen Anstrengung, des Durchziehens konsequenter institutioneller Konzepte und steter geduldiger Kleinarbeit. In vielem hat nicht zuletzt auch die CVP den Lead geführt mit einer wohl unspektakulären, dafür aber konsequenten Politik. Sie hat den Finanzinstrumenten, auf welche wir heute stolz sein können, zum Erfolg verholfen. In einem kurzen Zeitabschnitt sind so die Grundsätze der Haushaltsführung unter dem Stichwort der Schuldenbremse, der neue Finanz- und Lastenausgleich und das Finanzhaushaltsgesetz mit den neuen Grundsätzen der Rechnungslegung entstanden. Konsequente Kleinarbeit Entscheide aus allen staatlichen Sachbereichen haben finanzielle und damit oft auch finanzpolitische Auswirkungen. Die Versuchung ist gross, im Interesse der Sache – der Sachpolitik eben! – auch einmal einen sogenannten kleinen Sündenfall zu begehen. Doch: Finanzpolitik ist konsequente Kleinarbeit. Die Betonung liegt auf konsequent. Mit grosser und wachsender Sorge müssen wir deshalb etwa die Forderung nach Spezialfinanzierungen und Fonds betrachten, welche die Schuldenbremse unterlaufen. Stirnrunzeln verursacht eine sich entwickelnde Praxis, sich abzeichnende Rechnungsüberschüsse kurz vor Torschluss noch über Nachtragskredite am Budget vorbei zu schmuggeln und für weitere Ausgaben, statt für den Schuldenabbau zu verwenden. An solche vermeintlich kleine Sünden gewöhnen wir uns rasch. Das erfolgreiche Instrumentarium erleidet dabei jedoch Schaden. Bleiben wir aufmerksam. ■
Philipp stähelin war von 1999 bis 2011 ständerat des kantons thurgau und von 2001 bis 2004 Präsident der cVP schweiz.
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Judith Stamm
Josi J. Meier Wenn ich an Josi Meier, die erste Schweizer Ständeratspräsidentin denke, werde ich von Erinnerungen überschwemmt. Ihr erfolgreicher Lebenslauf ist bekannt. Aber wie können wir ihre bezwingende Ausstrahlung beschreiben, wie ihr tiefes Verständnis für Musik, Literatur, bildende Kunst würdigen, wie ihrem unermüdlichen Wirken für unser Land, ganz markant auch in der Aussenpolitik, gerecht werden? Josi Meier schuf im gesellschaftlichen und politischen Leben für uns Frauen Wege, wo es zu ihrer Jugendzeit keine gegeben hatte und keine möglich schienen. Symbol dafür ist ihre Wahl zur ersten Ständeratspräsidentin. Carlo Schmid, Ständeherr aus Appenzell-Innerrhoden, trat ihr 1991 seinen Platz ab, den er aufgrund der sonst üblichen Reihenfolge hätte einnehmen können. Damit zollte er Josi Meier seinen Respekt, der Politikerin, der Juristin, der beeindruckenden Persönlichkeit. Für Josi Meier war es etwas vom Wichtigsten, Menschen um sich zu haben, sie zu bewirten, mit ihnen zu diskutieren, Impulse zu geben, auf die Geschehnisse Einfluss zu nehmen. «Kaffee und Kuchen bei Josi Meier» wurde auch für ehemalige Kolleginnen und Kollegen aus Bundesbern zum geflügelten Wort. Und bei Kaffee und Kuchen war auch seinerzeit von Politikerinnen im letzten Abstimmungskampf für eine Mutterschaftsversicherung eine gemeinsame Erklärung entworfen und dann veröffentlicht worden. «Josi Meier’s Küchenkabinett» war wieder einmal in Aktion getreten! Josi Meier war kämpferisch, lebenslustig und zutiefst gläubig. Ehrendoktorate der Universitäten Fribourg und Luzern, die Ehrennadel der Stadt Luzern, weisen auf ihre herausragenden Leistungen hin. Aber sie war auch die Frau, die auf dem Wochenmarkt mit Preisbewusstsein ihre einzelnen Kartof-
feln, Pfälzerrüebli und Eier einkaufte, sich über herumliegenden Abfall aufregte und sich gegen überbordenden Nachtlärm zur Wehr setzte. Die sich bis zuletzt am Sonntagnachmittag im Gottesdienst und in der Predigt in der Jesuitenkirche ihre geistige Nahrung holte. Im November 2006, einige Monate nach ihrem 80. Geburtstag, starb sie. Aber wir wissen sie aufgehoben an einem besseren Ort. ■
Judith stamm war von 1983 bis 1999 Nationalrätin des Kantons Luzern und 1996/1997 Nationalratspräsidentin. Sie gehörte zu den prägenden Figuren der CVPFraktion. Sonderausgabe
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«meine Wahl löste einiGes aus»
Eva Segmüller stand von 1987 bis 1992 als erste Frau an der Spitze einer nationalen Partei, der CVP. Rückblick einer Pionierin auf bewegte Zeiten. Eva Segmüller, Sie haben sich sehr früh politisch engagiert, zuerst im katholischen Frauenbund und danach in der CVP. Welche Schwerpunkte lagen Ihnen damals am Herzen? Mein Einstieg in die Politik geschah über den Katholischen Frauenbund St.Gallen-Appenzell, den ich seit 1972 präsidierte. Ich übernahm somit kurz nach der Einführung des Frauenstimmrechtes die Führung des grössten kantonalen Frauenverbandes. Wir fokussierten nebst der Religion weiterhin auf das Soziale und gründeten das Hilfswerk «Mütter in Not». Mütter und ihre Kinder, ihr Wohlbefinden standen im Mittelpunkt. Doch mit der Einführung des Frauenstimmrechts tat sich eine neue Dimension auf: die politische Mitwirkung. Endlich konnten wir uns auch auf nationaler Ebene aktiv einbringen und politisch in der Gesetzgebung aktiv mitwirken. Das war spannend und wirkte sich auch positiv auf die Verbandstätigkeit aus. Der Kanton St.Gallen hatte bereits 1971 eine CVP-Nationalrätin, acht Jahre später ersetzten Sie die damalige 28
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Nationalrätin Hanni Thalmann. Sie gehörten somit zu den ersten Frauen, die das Bild der CVP prägten – wie konnten Sie dieses beeinflussen? Die CVP gehörte zu den frauenfreundlichen Parteien und zählte 1971 nach den Nationalratswahlen, an welchen erstmals Frauen zugelassen wurden, fünf Nationalrätinnen. Die CVP-Frauen setzen neue Themen auf die Agenda: die Familienpolitik, die Familienbesteuerung, die Berücksichtigung der Erziehungs- und Betreuungsaufgaben der Frauen in der AHV, die Krankenversicherung und die Förderung der Berufsbildung der Frauen. Die CVP-Nationalrätinnen konnten – dank einem ausgesprochenen Zusammengehörigkeitsgefühl – neue Akzente in der Fraktion setzen. Ohne diese Komplizität unter uns Frauen hätten wir aus unserer Minderheitsposition keine Politik zu Gunsten der Frauen durchsetzen können. Wir gründeten eine Arbeitsgruppe Familienpolitik, die ich präsidierte, und schufen das erste familienpolitische Leitbild der Partei. Was zur Folge hatte, dass wir uns als CVP nachhaltig als die Familienpartei etablieren konnten. Verschiedene Frauen der ersten Generation haben Führungsfunktionen übernommen, Nationalratspräsidentin Elisabeth Blunschy-Steiner, Nationalratspräsidentin Judith Stamm, Ständeratspräsidentin Josi Meier und Sie als erste Parteipräsidentin der CVP. Wie wurden Sie als Präsidentin von der breiten Öffentlichkeit aufgenommen? Es war spannend: In der Öffentlichkeit wurde meine Wahl als erste Präsidentin einer Bundespartei sehr gut aufgenommen. Irgendwie spürte ich, dass viele diesen Schritt unserer Partei nicht zugetraut hatten. Ja, meine Wahl löste einiges aus! Welche positiven Erinnerungen verbinden Sie mit dieser Präsidialzeit? Frauen und Männer für politische Anliegen zu sensibilisieren und ihnen aufzuzeigen, dass wir gemeinsam vieles auf dem politischen Parkett bewirken können, das waren sehr positive Erfahrungen. Selbstverständlich setzte ich als Parteipräsidentin neue Themen, denn ich vertrat Männer und Frauen und konnte die Partei nicht nur über frauenspezifische Anliegen in der
Öffentlichkeit positionieren. Ich musste Kompromisse eingehen, Anliegen zurückstellen – und spürte hie und da natürlich auch die Stimmen enttäuschter Frauen, die hofften, dass ich mehr für sie bewegen sollte. Sicher gab es auch Kritik und negative Erfahrungen – wie gingen Sie damit um? Wer war Ihnen Stütze? Ich war immer in männerdominierten Gremien, das war nicht immer sehr leicht, denn nicht alle konnten und wollten sich mit dem neuen Führungsstil abfinden! Ich musste mich durchsetzen, mir Gehör verschaffen. Wer sich exponiert, erntet natürlich auch Kritik. Kritik ist ja nicht immer konstruktiv, daher brauchen solche Herausforderungen Kraft und Energie. Ich durfte aber immer auf viele Menschen innerhalb und ausserhalb der Partei und auf meine Familie zählen, die mich auch in schwierigen Zeiten trug und motivierte. Dafür bin ich auch heute noch sehr dankbar.
der CVP – ich denke namentlich an unsere Bundesrätin Doris Leuthard. Von aussen gesehen habe ich den Eindruck, dass sich Frauen im Gegensatz zu früher weniger gemeinsam für eine Sache einsetzen. Damals mussten wir uns intensiv mit den rechtlichen Grundlagen der Gleichstellung auseinandersetzen – das förderte den Zusammenhalt. Heute spielt die Vielfalt der Lebensbiographien eine grössere Rolle in der Beurteilung der verschiedenen politischen Vorlagen. Der damalige Spruch meiner Kollegin Josi Meier, der schon lange vor ihrer Wahl zur Ständeratspräsidentin in aller Munde war – «Frauen gehören ins … Bundeshaus» – ist nach wie vor wichtig, auch wenn wir für eine kurze Zeit sogar eine Frauenmehrheit im Bundesrat hatten. Ich hoffe sehr, dass sich auch weiterhin gute engagierte Frauen für politische Ämter zur Verfügung stellen. Es ist eine tolle Aufgabe im Dienste der Gesellschaft. ■ –Interview: Barbara Christen, Wissenschaftliche Mitarbeiterin CVP Schweiz
Wenn Sie zurückblicken – wie hat sich zwischenzeitlich aus Ihrer Sicht die Situation der Frauen verändert und wie beurteilen Sie ihren Einfluss auf die Politik der CVP? Heute sind Frauen in der Politik sehr präsent und auf allen Ebenen integriert. Wir hatten und haben starke Frauen, auch in
Babette Sigg Frank
elisabeth blunschy-steiner Wer erinnert sich noch dankbar an das Stimmrecht, das die Schweizer Frauen 1971 nach langjährigem Kampf erhielten? Nur wenige Beteiligte werden dies nie vergessen, nämlich diejenigen, welche sich an vorderster Front dafür einsetzten. Eine davon ist Elisabeth Blunschy-Steiner. Die Schwyzer Juristin, welche ihre Kindheit in Lausanne verbrachte und somit zweisprachig aufwuchs, gründete mit dem christlich-sozial engagierten Politiker Alfred Blunschy eine Anwaltskanzlei und eine Familie. Sie konnte an seiner Seite die Gemeinde- und Kantonspolitik hautnah miterleben, aber nicht daran mitarbeiten – ein stossender Umstand, der sie zum aktiven Engagement für das Frauenstimmrecht geradezu zwang. Das Präsidium des katholischen Frauenbundes sowie der Caritas Schweiz verhalfen ihr zu grosser Präsenz auf dem nationalen Parkett. Dieses breite Engage-
ment trug Früchte! So zog sie 1971 für die CVP und den Kanton Schwyz in den Nationalrat ein. Sechs Jahre später wurde sie zur ersten Nationalratspräsidentin der Schweiz gewählt! Familienrecht, soziale Gerechtigkeit, Rechte der Frauen als gleichgestellte Partnerinnen in Gesellschaft und Beruf: Das waren ihre zentralen Anliegen. In den Achtzigerjahren wurde ihr der Ehrendoktortitel der theologischen Fakultät Luzern verliehen. Elisabeth Blunschy war Wegbereiterin vieler starker Politikerinnen, die nach ihr im Nationalrat die (Frauen-) Politik der CVP vertraten: Judith Stamm, Romy Dormann, Josi Meier, um nur ihre unmittelbaren Nachfolgerinnen zu nennen. ■
babette sigg frank ist Präsidentin der CVPFrauen Schweiz.
Sonderausgabe
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Reto Knutti
leben auf kosten Der zukünftigen generationen Billige fossile Energie ist eine Grundlage unseres heutigen Wohlstandes. In den meisten Produkten und Dienstleistungen steckt letztlich fossile Energie. In einem Brot beispielsweise ist die in Kalorien verwertbare Energie etwa gleich gross wie die fossile Energie, die zur Produktion nötig war. Wir fahren mit Öl, wir heizen mit Öl oder Gas und kaufen Kohlestrom aus dem Ausland. Traktoren, Dünger, Backofen, Verpackungen, Transport … – wir essen im Prinzip Öl. Es ist ein ungeheuerliches Experiment, das wir hier mit der Erde veranstalten, denn der Kohlenstoff, den wir so aus dem Boden holen, landet in der Atmosphäre. Als Kohlendioxid CO2 . Damit haben wir das Klimaproblem geschaffen. Mit der Verbrennung von Öl, Gas und Kohle, aber auch durch die Landwirtschaft und die Abholzung von Wäldern gerät immer mehr CO2, Methan und Lachgas in die Atmosphäre. Die Konzentrationen dieser Treibhausgase sind heute weit höher als während der letzten 800'000 Jahre. Das führt zu einer Erwärmung, die wir nicht nur messen, sondern mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch dem Verursacher zuordnen können: dem Menschen. Die physikalischen Grundlagen dazu sind übrigens seit über hundert Jahren bekannt. Ohne Massnahmen zum Klimaschutz wird sich die Erwärmung fortsetzen oder gar beschleunigen. Damit ändert sich der Was-
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serkreislauf, extreme Wetterereignisse häufen sich, der Meeresspiegel steigt an, Gletscher und Eiskappen schmelzen, der Permafrost taut auf. Zugegeben, es wird Gewinner dieser Entwicklung geben, vor allem aber Verlierer. Rückgängig machen lässt sich die Erwärmung kaum, wir können sie im besten Fall begrenzen. Die internationale Staatengemeinschaft hat sich auf das sogenannte 2-Grad-Celsius-Ziel geeinigt. Um dieses zu erreichen, müssten die CO2-Emissionen bis Mitte Jahrhundert weltweit etwa halbiert werden, und bis Ende Jahrhundert auf fast null sinken. Weil unsere Energieversorgung, unsere Infrastruktur und letztlich das Funktionieren unserer Gesellschaft nicht von einem Tag auf den anderen auf den Kopf gestellt werden kann, bedeutet dies, dass wir rasch handeln und die Emissionen in den nächsten paar Jahren senken müssen. Umso mehr, weil viele
Entwicklungs- und Schwellenländer zu Recht auch ihren Anspruch auf fossile Energie und damit Treibhausgasemissionen geltend machen. Je früher wir handeln, desto mehr Reserven haben wir später und desto günstiger werden die Massnahmen sein.
Das Klima ist global Die Klimaänderung ist zwar neben Biodiversität, Wasser, Luft, Boden und Nahrung nur eine von vielen Herausforderung der Umwelt und Nutzung von natürlichen Ressourcen. Aber sie ist in ihrer Dimension vielleicht einzigartig und zudem mit allen anderen verbunden. Das Klima ist global, und jede Tonne CO2 bleibt eine Tonne, egal ob diese hier oder in China emittiert wird. Entweder wir lösen das Klimaproblem global oder wir lösen es nicht. Andere Probleme sind lokal und damit einfacher anzupacken. Zudem reagiert das Klimasystem sehr langsam, und was wir heute tun (oder nicht tun), wird sich erst in Jahrzehnten und Jahrhunderten auswirken. Damit stellt sich die Frage nach Gerechtigkeit über Generationen. Haben wir ein Recht, Ressourcen zu nutzen, die ohne Zweifel vielen Generationen nach uns Probleme bereiten werden? Wie bewerten wir unseren Anspruch auf billige Energie gegenüber langfristigen Schäden an Ökosystemen? Ist eine Kosten-Nutzen-Analyse überhaupt ein sinnvoller Ansatz, wenn man von irreversiblen Schäden spricht, oder von aussterbenden Tierarten? Meine Ölheizung kann zu einer Hitzewelle oder Dürre in Texas beitragen, aber vielleicht auch zu höheren landwirtschaftlichen Erträgen irgendwo in Afrika. Was ist der Wert eines Menschenlebens in Texas gegenüber einem in Afrika? Solche Fragen sind nicht abwegig, ganz im Gegenteil, immerhin hat sich die Schweiz in der Bundesverfassung einer nachhaltigen Entwicklung verschrieben.
Keine einfachen lösungen Umweltprobleme gab es früher schon, und einige hat man auch mit Erfolg angepackt. Beim Klima liegt die Sache allerdings anders: Betroffen von den Auswirkungen des Klimawandels sind letztlich alle, verursachen aber tun den grössten Teil davon nur wenige. Mit der Energie sind zudem alle Aspekte unseres Lebens, von Wohnen über Mobilität bis hin zum Essen betroffen. Es gibt keine einzige einfache technologische Lösung, die uns alle fossilen Energieträger ersetzt. Aber vor allem ist das Problem langfristig und global. In der Vergangenheit haben wir dort gehandelt, wo ein schneller und lokaler Erfolg zu erwarten war. Wir sind bereit zu geben, wenn wir auch etwas dafür bekommen. Eine erfolgreiche Klimapolitik hingegen heisst anderen Gesellschaften und künftigen Generationen die gleichen Rechte einzuräumen. Die Dringlichkeit des Problems verkannt Es ist nicht so, dass wir die Probleme nicht erkannt hätten. Aber wir ignorieren sie, streiten sie ab, oder packen sie halbherzig an. Der Club of Rome hat vor vierzig Jahren mit seiner Studie
«Grenzen des Wachstums» vieles vorweggenommen. Nicht alles hat sich bewahrheitet und wir wissen heute mehr als damals, aber die Kernideen waren da. Vor zwanzig Jahren fand der Erdgipfel in Rio statt, heute Symbol für einen Wendepunkt in der Umwelt- und Entwicklungspolitik. In diese Zeit fällt auch die Gründung des Weltklimarats IPCC, welcher seither regelmässig den aktuellen Stand der Klimaänderung erhebt. Die Nachfolgekonferenz Rio+20 von 2012 propagiert weiterhin mit optimistischen Worten eine gemeinsame Vision: Man sei entschlossen, den politischen Willen für eine nachhaltige Entwicklung «wiederzubeleben» (Artikel 18). Das impliziert, dass die «nachhaltige Entwicklung» nicht dort ist, wo man sie 1992 in Rio geplant hat. Ebenso diffus bleiben die internationalen Klimaverhandlungen: Man hat sich zwar auf das 2-Grad-CelsiusZiel geeinigt. Ein konkretes Nachfolgeabkommen zum KyotoProtokoll, das 2012 ausläuft, würde hingegen erst 2020 in Kraft treten. Man spricht von «gemeinsamer, aber differenzierter Verantwortung», aber wie ein solches Abkommen konkret aussieht und umgesetzt werden soll, ist schleierhaft. Ohne Zweifel liegen die Lösungen nicht auf der Hand und sind die Herausforderungen enorm. Dennoch ist meine persönliche Meinung, dass wir viel zu wenig investieren, um sie anzupacken. Der vorgeschlagene Zeitplan für ein neues Klimaabkommen wird der Dringlichkeit des Problems in keiner Weise gerecht. Braucht es mehr Forschung und bessere Klima-Voraussagen, damit wir entscheiden können? Für die Anpassung an den Klimawandel ist die Unsicherheit in den Klimaprognosen in vielen Fällen noch ein Problem. Aber selbst dort gibt es viele Massnahmen, die sinnvoll sind, um die Verwundbarkeit zu reduzieren, egal ob das Klima ändert oder nicht. Wenn unsere Gesellschaft mit den heutigen Umweltbedingungen besser zurechtkommt, dann wird sie auch mit den zukünftigen besser umgehen können. Und im Bereich der Vermeidung wissen wir schon lange, dass die Reduktion von CO2-Emissionen der einzige Weg ist. Wir können nicht warten bis wir alles wissen, und mehr Wissen führt auch nicht notwendigerweise zu besseren und rationaleren Entscheidungen. «Papi untersucht, was das Wetter macht», sagt mein vierjähriger Sohn heute, während meine Tochter gerade das Wort «Wasser» gelernt hat. In ein paar Jahren werden sie verstehen, was Klima ist. Und in zwanzig oder dreissig Jahren? Die Kinder von heute werden als erste Generation die vollen Auswirkungen des Klimawandels erleben. Werden sie unsere weitsichtige Klimapolitik loben? Oder werden sie vorwurfsvoll sagen: «Papi, ihr habt es doch gewusst. Habt ihr damals eigentlich auch einmal an uns gedacht?» ■
reto knutti ist Professor für Klimaphysik an der ETH Zürich und arbeitet für den Weltklimarat. Er ist Hauptautor des neusten Klimaberichts des «Intergovernmental Panel on Climate Change» (IPCC). Sonderausgabe
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Arnold Koller
erbe unD auftrag Die CVP (beziehungsweise ihre Vorläuferinnen) war nach der Gründung des Bundesstaates die Partei der Ausgeschlossenen, der Verlierer des Sonderbundskrieges und nach dem Kulturkampf sogar der in der Bundesverfassung Diskriminierten. Nach dem Zweiten Weltkrieg war sie die Partei mit der grössten Fraktion in der Bundesversammlung, Begründerin der Zauberformel, zusammen mit Freisinn und Sozialdemokratie staatstragende Partei. Dieser holzschnitzartige Überblick der 100-jährigen Geschichte der CVP zeigt vor allem eins: Wir Christdemokraten können stolz sein auf das, was unzählige bekannte und unbekannte Gesinnungsfreunde im Verlaufe der Zeit erkämpft haben. Vom vollständig entmachteten Aussenseiter zur staatstragenden Partei, das war eine unglaubliche Leistung unserer Partei und ihrer führenden Köpfe.
Verantwortlich für das erfolgsmodell schweiz Die Schweiz wäre ohne CVP heute wohl nicht das viel beachtete und beneidete Erfolgsmodell. Ohne die wichtige Scharnierfunktion der CVP zwischen Freisinn und Sozialdemokratie hätte sich die Schweiz kaum zu einem derart stabilen und ausgewogenen Rechts- und Sozialstaat entwickelt, sondern eher wie viele europäische Länder politisch in zwei grosse Lager aufgeteilt, mit all den damit verbundenen politischen und wirtschaftlichen Reibungsverlusten. Natürlich war das nicht allein der Verdienst der CVP, sondern die Frucht vieler Faktoren, besonders der direkten Demokratie und des Föderalismus. Aber ohne die grosse Mittepartei wären viele schweizerische Errungenschaften (wenn überhaupt) mit viel mehr Friktionen errungen worden. Das Erbe, das wir von unseren Vorfahren 32
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übernommen haben, verdient grossen Dank und echte Bewunderung.
offene Fragen an die Partei Heute ist die CVP die Bundesratspartei, die am meisten Volksabstimmungen gewinnt, aber gleichzeitig Wähleranteile verliert. Zum einen zeigt dies, dass die Politik der CVP nach der Meinung der Mehrheit unseres Volkes nicht so schlecht sein kann. Anderseits gibt das Paradox «grosse Erfolge bei Volksabstimmungen und gleichzeitig Wählerverluste» viele Rätsel auf und ist Anlass zu echter Sorge. Wird die CVP von vielen Bürgerinnen und Bürgern immer weniger als Politik gestaltende Kraft und mehr als zufällige Mehrheitsbeschafferin gesehen? Ist unsere Politik zu konturlos, ja zu kompromissverliebt geworden? Warum haben, um konkret zu werden, die (meisten) CVP-Parlamentarier nicht den Mut aufgebracht, die Ausschaffungsinitiative der SVP, in Anknüpfung an die Entscheidung betreffend der Initiative «für eine vernünftige Asylpolitik» der Schweizer Demokraten aus dem Jahre 1996, mit guten juristischen Gründen (Verstoss gegen Art. 139 Abs. 3 BV in Verbindung mit Art.99 Parlamentsgesetz) für ungültig zu erklären? Geben wir, um auf der erfolgreichen politischen Seite zu stehen oder um Gruppeninteressen zu vertreten, auch in Fragen nach, bei denen es aus grundsätzlichen Überlegungen keinen (faulen) Kompromiss geben dürfte? Fehlt uns in Sachfragen, sieggewohnt wie wir meistens sind, der Mut zur Niederlage? Sind wir noch die solidarische Kampfgemeinschaft, die in der Lage ist, die Partikularinteressen der einzelnen Gruppen bei für die Partei massgeblichen Fragen den gemeinsamen Werten und Zielen unterzuordnen? Oder sind wir zu einer Ansammlung vor allem Individualinteressen verfolgender Politiker geworden? All dies sind Fragen, denen sich die Partei stellen muss, wenn sie eine erfolgreiche Zukunft haben soll.
«Die Schweiz wäre ohne CVP heute wohl nicht das viel beachtete und beneidete Erfolgsmodell.» Arnold koller
c als unverzichtbare Klammer Neben diesen grossen Fragen scheint mir die Diskussion über das (Weglassen des) C in unserem Parteinamen zweitrangig. Mag sein, dass einige Bürgerinnen und Bürger, die sonst CVP wählen würden, das nicht tun, weil ihnen das C als vermeintliche konfessionelle, religiöse oder historische Hürde im Wege steht. Aber eine 100 Jahre alte Partei sollte ihren Namen und damit natürlich auch ihre programmatische Ausrichtung nicht leichtfertig ändern. Neue Label mögen für den besseren Verkauf von Konsumgütern förderlich sein. Für eine alte Volkspartei wie die CVP wäre eine solche Namensänderung fatal. Zwar soll und muss sich auch eine alte und bewährte Partei ändern, fortentwickeln und neuen Gegebenheiten anpassen. Die «Schweizerische Konservative Volkspartei» (so der ursprüngliche Name) hat dies im Verlaufe ihrer Geschichte auch immer wieder gemacht. Was eine altbewährte Partei aber nie tun darf, ist ihre Seele verkaufen. Und das C ist die Seele der CVP. Sie ist die einigende Klammer, die Jung und Alt, Bauern und Gewerbler, Arbeiter und Manager im Innersten zusammenhält. Dabei ist daran zu erinnern, dass keine andere grosse Partei soziologisch so viele Gegensätze zusammenhält wie die CVP. Ohne diese weltanschauliche Klammer würde unsere Partei die internen Spannungen längerfristig nicht aushalten und damit auch ihre interessenausgleichende Funktion im schweizerischen Parteiensystem rasch verlieren. Durch eine Namens- und damit notgedrungen verbundene, mindestens teilweise Programmänderung hätte die CVP mittel- bis langfristig vielmehr zu verlieren als zu gewinnen.
anspruchsvoller auftrag Das C in unserem Namen ist allerdings nicht nur Klammer, es muss, wenn es diese Partei auch in Zukunft tragen soll, auch Verpflichtung sein. Einmal lassen die heutigen C-nahen Probleme wie Fortpflanzungsmedizin, Sterbehilfe, Asyl usw. keine einfachen (Verbots-)Antworten mehr zu, sondern verlangen nach differenzierten Lösungen. Aber die Partei hat beispielsweise in
der Fortpflanzungsmedizin bewiesen, dass sie dazu fähig ist (Zulassung, aber klare ethische Grenzen, die es nun durchzusetzen gilt). Es ist die ureigenste Aufgabe der CVP, im politischen Prozess so etwas wie ein ethischer Katalysator zu sein. Sodann ist wichtig, dass die Partei klar herausarbeitet, bei welchen Punkten ihres Programms es keine Kompromisse mit anderen Auffassungen geben kann (es dürften letztlich wenige sein) und in welchen Punkten Kompromisse möglich und nötig sind. Damit ist auch gesagt, dass die CVP im grossen Bereich der politischen Ermessens- und Zweckmässigkeitsfragen wie jede andere Partei die Kunst des Möglichen befolgen muss. Eine Partei, die das C in ihrem Namen trägt, muss aber in grundsätzlichen Fragen des menschlichen Seins und Zusammenlebens dem technisch Machbaren stets das ethisch Verantwortbare entgegenhalten. Sie muss zeigen, dass sie die auf vielen Gebieten erforderliche Güterabwägung mit aller Sorgfalt und mit Blick auf ein christliches Menschenbild vornimmt. Selbst wenn sie mit solchen Positionen im Parlament und in den Volksabstimmungen künftig weniger oft obsiegen sollte, wird sie damit in den Augen unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger an Glaubwürdigkeit und Profil gewinnen. Letztlich lässt sich der Rückgang von Wähleranteilen nachhaltig nicht durch kurzfristig angestrebte Parteifusionen verbessern. Das lässt sich nur erreichen, wenn die CVP durch Rückbesinnung auf ihre eigenen Werte wieder erstarkt und damit aus einer Position der Stärke zum natürlichen Leader der viel gepriesenen, heute aber noch nach allen Seiten offenen «Neuen politischen Mitte» wird. ■
anold koller war von 1987 bis 1999 Bundesrat. Von 1987 bis 1989 stand er dem Eidgenössischen Militärdepartement (EMD) vor und von 1989 bis 1999 dem Eidgenössischen Justiz und Polizeidepartement (EJPD). Von 1971 bis 1986 gehörte er dem Nationalrat an, 1984/85 war er Nationalratspräsident. Koller war 1990 und 1997 Bundespräsident. Sonderausgabe
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Gerhard Pfister
Warum es Die cVP braucht Warum soll es eine Partei weiterhin geben, die jetzt 100 Jahre feiert, im Ständerat die führende Gruppe stellt, aber einen historisch tiefen nationalen Wähleranteil ausweist? Sie entscheidet das ohnehin nicht selbst, sondern die Wählerschaft. Aufgabe der Partei ist es, der Wählerschaft die Gründe dafür in Erinnerung zu rufen. Das tut die CVP mit wechselndem, seit den Achtzigerjahren leider mit abnehmendem Erfolg. Wenn man die Sache aus einer gewissen historischen Distanz sieht, spricht man von einem «Trend». Gegen diesen Zeitgenossen sind schon ganz andere erfolglos angetreten als der Schreibende. Deshalb eine persönliche Sicht auf die CVP. Die CVP ist für mich politische Heimat. Wie bei der Heimat üblich, ist man in sie hineingeboren und nicht deshalb dort, weil man sich rational dafür entschieden hat. So wie mir ergeht es manchen CVPlern: Man gehört dazu, weil es gute Tradition ist. Das ist zwar schön, wird aber seltener. Und es entbindet davon, zu begründen, warum das auch gut so ist. Genau darin liegt ein Problem für die CVP: Die heutige Wählerschaft belohnt einerseits Persönlichkeiten (da hat es die CVP leichter als andere), andererseits Themenführerschaft – und damit tut sich eine Partei schwer, die ein gesamtheitliches Politikverständnis hat. Trotzdem ist die CVP die Partei, die politische Heimat bietet, die Fragen der Identität besser beantwortet als andere. Denn für Identitätsfragen in der Politik helfen weder Liberalismus noch Sozialismus. Sie mögen zwar rationale Konzepte einer «richtigen» Gesellschaftsordnung sein. Aber sie bieten keine Heimat, und sie übersehen das Menschliche auch in der Politik, nämlich 34
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die Unvollkommenheit alles Existierenden. Da hilft nur eine Partei, die an die christlich-demokratischen Grundwerte unserer Gesellschaft erinnert, nur die Partei, die die soziale Marktwirtschaft als Erfolgsmodell des Nachkriegs-Westens umsetzte, die die ethischen Tugenden von Mass und Mitte vertritt, die Respekt gegenüber der Tradition hat, weil sie bewährt ist. Dafür steht die CVP ein, trotz Anfeindungen von denen, die mit radikalen Positionen mehr für sich, aber weniger für das Gesamtwohl erreichen. Ideologien sind inhärent inhuman. Die linken 68er wie die nationale Rechte der letzten Jahre – alle Ideologen schaden dem Gemeinwohl, indem sie ihre Vision über das Menschliche, Gewachsene stellen. Zu diesen radikalen Umgestaltungsversuchen, seien sie sozialistisch, neoliberal oder nationalistisch, braucht es den humanistischen Kontrapunkt CVP. «Näher am Menschen» – das kann die CVP zu Recht von sich behaupten. Ohne diesen Kontrapunkt CVP ist die Schweiz nicht mehr das, was sie bisher war.
«Sich des C’s zu genieren, ist, wie wenn sich Schweizer des Kreuzes im Landeswappen genieren würden.» Gerhard Pfister
mehr als einfach tiefe steuern Schauen wir doch einmal, wie es in der Schweiz aussieht, wo die CVP dominiert oder wichtige Kraft ist: Es sind da einige Kantone, wo es mit bürgerlicher C-Politik gelang, aus armen Agrargebieten äusserst erfolgreiche Wirtschaftsstandorte zu gestalten. Die tiefen Steuern sind nur ein kleiner Teil dieser CVP-Erfolgsgeschichten in Zug, Schwyz, Nidwalden, Appenzell Innerrhoden. Nebenbei eine deutliche Widerlegung der gängigen vereinfachenden Auslegung der Weber’schen These vom Zusammenhang zwischen Protestantismus und erfolgreichem Wirtschaften. In weiteren CVP-Stammlanden wie St.Gallen, Freiburg, Wallis, Obwalden, Uri, Luzern (aufgrund von Geografie, Grösse und Struktur nicht bevorteilt) hat man es in den letzten Jahren erfolgreich geschafft, zu modernisieren, die Standortattraktivität zu steigern. Das ist (auch) Teil christlich-demokratischer Politik! Würde solche CVP-Politik auch auf Bundesebene mehrheitsfähig, stünde die Schweiz (noch) besser da! Wie könnte eine CVP der kommenden Jahre aussehen? Wenn man heute Wähler gewinnen will, muss man zeigen, wofür man steht. Daran ist in der CVP zu arbeiten. Und dafür könnte das C im Parteinamen helfen – und nicht hindern. Was ist am C denn eigentlich so verwerflich und unmodern? Wäre es nicht gerade heute nötig, dass mindestens eine Partei noch daran erinnert, worauf unsere westliche Gesellschaft aufbaut, nämlich auch auf christlichen Werten? Was ist daran so schlecht, mehrheitlich von Katholiken gewählt zu werden, aber selbstverständlich Politik für alle zu machen? Die schweizerische CVP ist nicht die deutsche CDU, weil die Schweiz keine bipolare Parteienlandschaft kennt, sondern historisch, geografisch und kulturell vielfältigste Differenzierungen zeigt, die von verschiedenen politischen Parteien abgebildet werden. Genau diese schweizerische Vielfältigkeit bildet keine
Partei so gut ab wie die CVP. Ist ein «mitfühlender Konservativismus» nicht eine zukunftsfähige politische Konkretisierung der Nächstenliebe? Ist angesichts der ökologischen Herausforderungen die «Bewahrung der Schöpfung» nicht eine absolute Priorität? Braucht es nicht eine Partei, die Eigenverantwortung und Freiheit immer in der Balance sieht zur Solidarität? Und wer, wenn nicht die CVP, soll das schweizerische Erfolgsmodell des Föderalismus, die Subsidiarität, immer wieder einfordern? Die CVP ist zudem prädestiniert dazu, im aufziehenden Konflikt mit fundamentalistischen Pseudo-Religionen Stellung zu beziehen für eine christlich fundierte westliche Gesellschaft und deren Rechtsverständnis.
Das c wie das schweizerkreuz Wer sonst kann täglich politisch umsetzen, was es heisst, dass in der schweizerischen Verfassung nur Gott allmächtig ist – und damit der menschlichen Machtausübung über andere Menschen Grenzen setzt? Sich des C’s zu genieren, ist, wie wenn sich Schweizer des Kreuzes im Landeswappen genieren würden. Auch das Kreuz bedeutet nicht, dass alle Schweizer bessere Menschen wären, aber es ist ein Bekenntnis zur eigenen Herkunft, Tradition und zu Werten, die immer wieder täglich gelebt (und politisch konkretisiert) werden müssen, sollen sie nicht zur Fassade verkommen. Das heisst nicht, evangelikaloder klerikalergeben Politik zu machen, aber es heisst, selbstverständlich den Dialog mit Kirchen (wieder) zu pflegen. Das C ist eine schwierige, aber immerhin eine Marke. Andere Parteien wären froh, sie hätten wenigstens eine. Das C ist permanente Heraus- und partielle Überforderung für die Politik. Aber wer sich’s leicht machen will, soll halt in Gottes Namen eine andere Partei wählen. ■
gerhard Pfister ist Nationalrat des Kantons Zug und Mitglied des Präsi diums der CVP Schweiz. Sonderausgabe
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Gebhard Kirchgässner
Fern JeDer realität Das Konzept des bed ing ungslosen Ein kommens hat viele Bef ürworter, sowoh l im rechten wie im lin ken pol itische n Spektr um. Wenn auch es pri nzi pie ll Vorteile hät te; in der Realität ist es nicht um set zba r.
In der Schweiz wird gerade die Initiative zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens lanciert, welches «der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglichen» soll. Gedacht ist an eine Höhe von etwa 2500 Franken pro Monat pro Erwachsenen und rund 1250 Franken pro Kind. Für eine Familie mit zwei Kindern bedeutet dies 90'000 Franken im Jahr. Im Vergleich dazu betrug der standardisierte Bruttomedianlohn in der Schweiz im Jahr 2010 pro Monat 6000 Franken, also 72'000 im Jahr. Der Gesamtaufwand beträgt (nach Angaben der Initianten) etwa ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts der Schweiz. Das Prinzip ist einfach: Jede Bürgerin und jeder Bürger erhält pro Monat diesen festen Betrag vom Staat. Er muss dann über die Besteuerung vom Staat wieder zurückgeholt werden. Bis zu einer gewissen Grenze erhält die Bürgerin oder der Bürger Einkommen vom Staat, danach, wenn die zu zahlende Steuer höher als das Grundeinkommen ist, muss sie oder er dem Staat etwas abgeben. Ein anderer Name für dieses Konzept ist «negative Einkommensteuer»: Je nach Höhe des in der Steuererklärung deklarierten Einkommens erhält der Steuerzahler vom Staat einen Betrag und zahlt damit eine negative Steuer, oder, falls sein Einkommen über der Schranke liegt, muss er (positive) Steuern bezahlen.
Vorteile? Im Prinzip hat dieses Konzept drei Vorteile: – Es soll Arbeitsanreize schaffen. Im heutigen System unseres Sozialstaats verkürzt sich bei einem Sozialhilfeempfänger, der Arbeit aufnimmt, im gleichen Umfang, wie er damit Einkommen erzielt, die ihm zukommende staatliche Leistung, gelegentlich sogar in höherem Masse: Die leistungsschädliche Grenzsteuerbelastung liegt heute bei den untersten Einkommensschichten häufig bei 100 Prozent und zum Teil sogar darüber. Würde das bedingungslose Grundeinkommen beispielsweise mit einer Flat-Tax von 40 Prozent bezahlt, so be36
Die Politik 6 Oktober 2012
hielte er von jedem zusätzlichen Franken, den er verdient, immerhin 60 Rappen übrig. Man erhofft sich davon positive Beschäftigungseffekte. – Es soll das Sozialhilfesystem vereinfachen. Nicht nur die Sozialhilfe und die AHV, sondern beispielsweise auch das Kindergeld könnte entfallen. Gleichzeitig könnte damit die Sozialbürokratie abgebaut werden. – Es soll den Armen mehr Würde verschaffen. Heute müssen sie vor der Sozialbürokratie nachweisen, dass sie bedürftig sind. Das muss zwar nicht, kann aber entwürdigend sein beziehungsweise von den Betroffenen so empfunden werden, weshalb viele heute den Weg zum Sozialamt scheuen, obwohl sie einen Anspruch auf Leistungen hätten. Man schätzt, dass die Bezugsquote für Sozialhilfe heute unter 20 Prozent liegt. Folgt man dem holländischen Philosophen Philippe Van Parijs, so ergibt sich nur durch ein solchen Grundeinkommen wirkliche Freiheit, da man nur so die freie Wahl zwischen Arbeit und (Selbstverwirklichung in der) Freizeit hat. Bei all diesen Vorzügen wundert es nicht, dass dieses Konzept viele Befürworter findet. Dies gilt sowohl für das rechte wie für das linke politische Spektrum. Während die Initianten in der Schweiz eher dem linken Spektrum zuzurechnen sein dürften, hat dieses Konzept mit Milton Friedman einen starken konservativ-liberalen Unterstützer gefunden. In Deutschland wird es beispielsweise von der FDP vertreten.
nicht finanzierbar Umso erstaunter mag man feststellen, dass dieses Konzept bisher nie ernsthaft getestet wurde, und dass es auch viele Wissenschaftler gibt, die es nicht unterstützen. Der wichtigste Grund dafür ist, dass es nicht finanzierbar ist. Wollte man tatsächlich ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts erst einmal verteilen, um es dann wieder einzusammeln, benötigte man bei einer Finanzierung über die Einkommensteuer über den gesamten Bereich
«Niemand, der arbeitsfähig ist und dem eine zumut bare Arbeit angeboten wird, kann einen Anspruch darauf erheben, dass die anderen Mitglieder der Gesellschaft dann, wenn er diese ablehnt, seinen Lebensunterhalt durch ihre Arbeit finanzieren.» Geb hard kirchgässner
Grenzsteuersätze, die vermutlich deutlich über 50 Prozent lägen. Dazu käme die Belastung durch die Pensionskassenbeiträge. Mit einer Grenzbelastung von etwa 60 Prozent wäre aber noch keine einzige Schule und keine Strasse unterhalten, es gäbe kein Gerichtswesen und keine Polizei. Will man auf diese Einrichtungen nicht verzichten, dann lägen die Grenzbelastungssätze vermutlich eher bei 80 Prozent. Daher wäre kaum ein positiver Beschäftigungseffekt zu erwarten; vielmehr gäbe es starke Anreize, nicht mehr zu arbeiten und sich mit dem von Staat erhaltenen Geld ein einfaches, aber nicht unattraktives Leben zu ermöglichen. Bei einer Finanzierung über die Mehrwertsteuer müsste diese vermutlich über 50 Prozent liegen. Bei beiden, bei der Einkommen- wie bei der Mehrwertsteuer, ergäben sich dadurch massive Anreize zu Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung.
neue anspruchsgruppen Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Bezugsquote dann systembedingt bei 100 Prozent läge. Alle Rechnungen, die von den heutigen Sozialhilfeaufwendungen ausgehen und zu zeigen versuchen, dass diese durch das neue System ohne gewaltige Probleme aufbringbar wären, unterschlagen dies. Dazu kommt, dass wir jetzt ganz neue Anspruchsgruppen schaffen. So haben zum Beispiel alle Studierenden einen Anspruch auf dieses Einkommen, genauso wie nicht arbeitende Ehepartnerinnen und -partner, unabhängig vom Einkommen der Eltern beziehungsweise des anderen Partners. Der Bundesrat hat im Jahr 2005 eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die untersuchen sollte, inwiefern in der Schweiz ein solches (oder ein ähnliches) System realisiert werden könnte. Das Ergebnis war, was eigentlich schon zuvor vermutet werden konnte: Ein solches Einkommen ist entweder zu niedrig, um ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, oder es ist nicht finanzierbar. Selbst ein Auffüllen der Armutsfalle, das heisst dass Erwerbstätige mit Einkommen zwischen 30'000 und 80'000
Franken wegen des Wegfalls staatlicher Leistungen mit steigendem Erwerbseikommen heute teilweise ein niedrigeres verfügbares Einkommen erhalten, ist kaum finanzierbar. Und unser derzeitiges Sozialsystem würde vermutlich heute schon zusammenbrechen, wenn alle, die einen Anspruch auf staatliche Leistungen haben, diesen auch einfordern würden.
Kein anspruch Ist das bedingungslose Einkommen nicht existenzsichernd, mag es zwar finanzierbar sein, aber die oben genannten positiven Aspekte entfallen: Es bedarf nach wie vor einer Sozialbürokratie, und dort hinzugehen und die eigenen Situation offenbaren zu müssen, ist für viele Bürgerinnen und Bürger nicht einfach. Schliesslich stellt sich auch die Frage, mit welchem Recht jemand, der nicht arbeiten will, einen Anspruch auf staatliche Unterstützung erheben kann. Der amerikanische Philosoph John Rawls hat Van Parijs widersprochen und darauf hingewiesen, dass zwar jeder, der aus objektiven Gründen nicht arbeiten kann, Anspruch auf Unterstützung durch die Gemeinschaft hat, dass aber niemand, der arbeitsfähig ist und dem eine zumutbare Arbeit angeboten wird, einen Anspruch darauf erheben kann, dass die anderen Mitglieder der Gesellschaft dann, wenn er diese ablehnt, seinen Lebensunterhalt durch ihre Arbeit finanzieren. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Insofern ist das bedingungslose Grundeinkommen zwar eine faszinierende Idee, aber da sie nicht finanzierbar ist, bleibt sie im Bereich der Utopie. ■
gebhard kirchgässner ist Direktor des Schweizerischen Instituts für Aussenwirtschaft und Angewandte Wirtschaftsforschung (Siaw) an der Universität St.Gallen. Seine Forschungsgebiete sind die neue politische Ökonomie sowie die angewandte Ökonometrie. Sonderausgabe
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Heidi Z’graggen
GlücKliche schWeiZ
Wir Schweizerinnen und Schweizer gehören zu den glücklichsten Menschen der Welt. Das wird durch die Glücksforschung bestätigt. Neben den wirtschaftlichen Einflussfaktoren wie Arbeitslosigkeit und Einkommen sowie den soziodemografischen wie Alter, Familienverhältnisse und Gesundheit sind auch politische Bestimmungsgrössen für unsere Lebenszufriedenheit von Bedeutung. Demokratie und Föderalismus tragen nach den Forschungen von Bruno S. Frey, Pionier der Ökonomischen Theorie der Politik und der ökonomischen Glücksforschung, wesentlich zu unserer Lebenszufriedenheit bei. Je höher die Mitgestaltungsmöglichkeiten im demokratischen System sind, umso höher ist auch die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger. Das politische System der Schweiz mit der direkten Demokratie, den Instrumenten von Initiative und Referendum, dem stark ausgeprägten Föderalismus und dem Milizsystem trägt also dazu bei, dass wir im internationalen Vergleich so zufrieden sind.
mitwirkung macht glücklich Der Einsatz der Schweizerinnen und Schweizer in Arbeit, Gesellschaft und Politik sowie der Wille, eine Nation zu sein, haben unser Land zum Erfolg geführt. Die optimalen Voraussetzungen gaben wir uns mit freiheitlichen Rahmenbedingungen im politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen System selber. Indem wir als Mitwirkende im Milizsystem auf Gemeinde-, Kantons- oder Bundesebene oder als mitbestimmende Bürgerinnen und Bürger bei Urnengängen Gestaltende waren und sind. Es ist die Aufgabe des Staates, die Rahmenbedingungen für wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, ökologischen und politischen Wohlstand zu schaffen. Und da in der Schweiz alle wichtigen Entscheidungen vom Volk ausgehen, haben wir mit unseren politischen Entscheidungen die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft mit möglichst grossen Freiheitsgraden, tiefen Steuerbelastungen und hervorragend ausgebauten Infrastrukturen klug gesetzt und so Innovation, Wachstum, Arbeitsplätze und Wohlstand ermöglicht. Dieser Wohlstand wiederum ermöglich38
Die Politik 6 Oktober 2012
te den Ausbau und Erhalt des Sozialstaates, eine angemessene Umverteilung, gesellschaftliche Solidarität und hervorragende Bildungseinrichtungen. Wir haben damit unser Land zu einem der erfolgreichsten und sichersten auf der Welt gemacht.
selbstverantwortung als Voraussetzung Das gemeinsame Ziel für unser Land haben wir in der Bundesverfassung festgehalten: «Die Schweizerische Eidgenossenschaft schützt die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Unabhängigkeit und Sicherheit des Landes. Sie fördert die gemeinsame Wohlfahrt, die nachhaltige Entwicklung, den inneren Zusammenhalt und die kulturelle Vielfalt des Landes. Sie sorgt für grosse Chancengleichheit unter den Bürgerinnen und Bürgern. Sie setzt sich ein für die dauerhafte Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und für eine friedliche und gerechte internationale Ordnung» (Bundesverfassung, Art 2). Um die-
«Das Mass aller Dinge für das Glück unserer Bürgerinnen und Bürger und unseres Landes blei ben unsere Mitbestim mung und unsere Mitge staltungsmöglichkeiten.» Heidi Z’graggen
ses Ziel zu erreichen, gilt das Prinzip der Subsidiarität: «Bei der Zuweisung und Erfüllung staatlicher Aufgaben ist der Grundsatz der Subsidiarität zu beachten» (Bundesverfassung, Art. 5a). Und wir müssen den Willen haben, nach eigenen Kräften zum Erfolg des Landes beizutragen: «Jede Person nimmt die Verantwortung für sich selber wahr und trägt nach ihren Kräften zur Bewältigung der Aufgaben in Staat und Gesellschaft bei» (Bundesverfassung, Art. 6).
Selbstverantwortung, Subsidiarität und Mitbestimmung sind also die Voraussetzungen für künftigen Wohlstand und Erfolg. Wir müssen uns als Bürgerinnen und Bürger in erster Linie auf uns selber stützen und die Selbstverantwortung nach eigenen Kräften leben wollen. Ein Präventiv-, Rundumversorger- und Zwangsbeglückerstaat, der bis ins kleinste Detail alles und jedes regelt, ist ein einengender, freiheitsberaubender Staat. Er nimmt die Luft zum Atmen, zum Gestalten und zur Innovation. Die vielen parlamentarischen Initiativen, Motionen oder Interpellationen – sei es auf Bundes- oder Kantonsebene – deuten allerdings auf Regelungsverdichtung hin. Diese nimmt aber nicht nur den Bürgerinnen und Bürgern die Luft zum Atmen, sie schränkt auch die Gestaltungsfreiheit der Wirtschaft und jene der Kantone und Gemeinden ein. Sie greift in das Prinzip der Subsidiarität ein. Wenn aber die föderale Autonomie die Lebenszufriedenheit erhöht, muss es unser Anliegen sein, die dezentralen Einheiten zu stärken. Die Kantone und ihr Wettbewerb untereinander waren und sind Taktgeber für Neuerungen und den Erfolg in der Schweiz. Wir Schweizerinnen und Schweizer sollten die Vielfalt als erfolgbringende Eigenheiten hoch schätzen. Hierzu sind die Kantone in erster Linie selber gefordert, indem sie eigenverantwortlich handeln und so Vorreiter für gute Lösungen bleiben. Stark bleiben Kantone und Gemeinden dann, wenn sie möglichst viele Freiheitsgrade für die Entfaltung ihrer eigenen Stärken haben. Kurzfristig mögen einheitliche Regelungen für das ganze Land verführerisch erscheinen, doch bei näherer Betrachtung wird sich zeigen, dass die Bedürfnisse der Bewohnerinnen der Städte, der Agglomerationen, der Landschaft und der Berggebiete unterschiedlich sind und unterschiedliche kantonale Lösungen erfordern, die sich die Bürgerinnen und Bürger für ihre Region auch selber erarbeiten. Zentralisierungstendenzen müssen wir im Interesse der Wohlfahrt und des Glücks unseres Landes entschieden entgegentreten.
Direkte Demokratie und selbstwert Das Mass aller Dinge für das Glück unserer Bürgerinnen und Bürger und unseres Landes bleiben aber unsere Mitbestimmung und unsere Mitgestaltungsmöglichkeiten. Die direkte Demokratie macht Menschen glücklicher, sie fördert das Wohlbefinden und den Selbstwert. Die guten, wohlabgewogenen und breit akzeptierten Entscheide des Volkes garantieren der Schweiz auch in Zukunft Stabilität, Sicherheit, Freiheit und Wohlstand. Wir alle sind gefordert, diesen hohen Grad der Mitbestimmung zu halten, damit wir uns auch weiterhin zu den glücklichsten Menschen der Welt zählen können. ■ heidi z’graggen ist Regierungsrätin des Kantons Uri und Mitglied des Präsidiums der CVP Schweiz. Sonderausgabe
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Foto: Michel Capobianco
Der Zeit Voraus
Julius Binder war von 1963 bis 1975 für den Kanton Aargau im Nationalrat und von 1979 bis 1987 im Ständerat. Hans Fahrländer befragte den heute 87-Jährigen, der zusammen mit anderen Zeitgenossen die Partei geprägt hat, über seine politische Arbeit und die CVP. 1971 fusionierte die katholisch-konservative mit der christlich-sozialen Partei zur CVP. Für Sie ein richtiger Entscheid? Ja. Das konservative und das soziale Element gehören untrennbar zusammen und müssen geschlossen vertreten werden. Ich habe mich nie zur völlig freien, sondern stets zur sozialen Marktwirtschaft im Sinne Ludwig Erhards bekannt. Sie galten und gelten als Vordenker der Schweizer Politik des 20. Jahrhunderts. Was Sie, meistens via Motion und meistens in sehr grundsätzlichen Fragen aufs Tapet brachten, wurde dort zwar aufgenommen, aber erst nach Jahren oder Jahrzehnten zur Gesetzesreife gebracht. Sie waren Ihrer Zeit offenkundig voraus. Die Wege in der Schweizer Politik sind kompliziert und langwierig. Das macht sie dafür auch immun gegen Schnellschüsse. Stichwort Umweltschutz. 1964 habe ich im Nationalrat eine Motion für einen Verfassungs40
Die Politik 6 Oktober 2012
artikel und ein Gesetz zum Schutz der Umwelt eingereicht. Der damalige Bundespräsident Ludwig von Moos – CVP! – hat mich zwar dazu gedrängt, die Motion in ein weniger verbindliches Postulat abzuschwächen, doch ich habe abgelehnt. In der Folge wurde meine Motion im Nationalrat fast einstimmig angenommen. Im Ständerat redete von Moos abermals gegen die Motion, doch durch kräftige Überzeugungsarbeit meines Freundes, Ständerat Robert Reimann, erlangte sie auch hier eine deutliche Mehrheit. Bei der Ausarbeitung des Verfassungsartikels leistete Innenminister Hans-Peter Tschudi (SP) entscheidende Führungsarbeit. Am 6. Juni 1971 wurde der Verfassungsartikel an der Urne mit einem rekordverdächtigen Resultat angenommen: 1,23 Millionen Ja-Stimmen standen bloss gut 96'000 Nein-Stimmen gegenüber! Die grünen Parteien gab es damals noch nicht. Aber damit hatte man erst den Verfassungsartikel, noch kein Gesetz. Ja, die Gesetzesarbeit – ich war Mitglied der Expertenkommission – dauerte bis zur Annahme durch das Volk 1985 sehr lange.
Es galt zunächst ein neues Bundesamt zu schaffen. Und es gab grosse Einwände, von der bürgerlichen Mehrheit, aber auch von der Wirtschaft. Ich selber sah nie einen Gegensatz zwischen Ökonomie und Ökologie. Nach meiner Ansicht hat es die Wirtschaft – bis heute – verpasst, statt Widerstand zu machen, die Chance für den Aufbau einer starken, innovativen Umweltschutz-Industrie zu ergreifen. Einen Vorstoss zum UNO-Beitritt lancierten Sie 1969. Realisiert wurde der Beitritt 2002. Das sind 33 Jahre … Die bürgerliche Mehrheit wollte lange nichts davon wissen. Doch ich denke, heute bereut niemand mehr den Beitritt. Praktisch der ganze internationale Einfluss, den wir haben, läuft über die UNO. Den Vorstoss zur Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen lancierten Sie 1982, in Kraft gesetzt wurde der NFA 2008. Macht 26 Jahre. Es war vor allem der Bund, der lange dagegen war. Erst als er in Finanznöte kam, als die Defizite sich anhäuften, war der Bundesrat bereit für eine Neubeurteilung – natürlich zulasten der Kantone! Dies wiederum provozierte den Widerstand der Kantone, die nicht bereit waren, mehr Aufgaben zu übernehmen und dafür die Steuern zu erhöhen. Und so zog sich diese Geschichte in die Länge. Wie beurteilen Sie die aktuelle Politik? Der heutige Zustand der Schweiz gefällt mir nicht. Als alter Mann stelle ich fest: Unser Land ist zu grundlegenden Reformen nicht mehr fähig. Der Staat stagniert, treibt grosse Aufgaben der Bildungs-, der Gesundheits-, der Verkehrs- oder der Finanzpolitik vor sich her und löst sie nicht. Derweil ist die Wirtschaft, trotz Euro-Krise, gut unterwegs und international vernetzt. Da herrscht ein Missverhältnis. Besonders schmerzlich: Die Staatsleitungsreform, seit Jahrzehnten im Gespräch und auch von mir mehrfach gefordert, ist immer noch nicht realisiert. Eine Minimalreform wäre ein verlängertes Bundespräsidium mit echten Führungsaufgaben und eine Entlastung der Bundesräte im Tagesgeschäft durch Staatssekretäre. Aber Sie stehen zum heutigen Regierungssystem? Ich stehe zur Konkordanz – aber die Heiligsprechung der Zauberformel mache ich nicht mit. Sie wurde ja 1959 von einem CVPler, vom damaligen Generalsekretär Martin Rosenberg, erfunden. Aber sie steht nicht in der Verfassung und in keinem Gesetz. Wichtiger als ein solcher Verteilschlüssel ist: Die besten Köpfe gehören in den Bundesrat. Wer fast nur Opposition betreibt, gehört dagegen nicht in die Landesregierung. Wie kam der Riesensatz der SVP zur stärksten Partei zustande? Wegen der Schwäche der anderen Mitteparteien und wegen der Persönlichkeit Christoph Blochers. Blocher hätte indessen seine
«Ich sah nie einen Gegensatz zwischen Ökonomie und Ökologie. Nach meiner Ansicht hat es die Wirtschaft – bis heute – verpasst, statt Widerstand zu machen, die Chance für den Aufbau einer starken, innovativen Umweltschutz Industrie zu ergreifen.» Julius Binder
Ziele niemals erreicht, wenn CVP und FDP in der Mitte gemeinsam ihre Ziele angestrebt und durchgesetzt hätten. Sie meinen eine Fusion der beiden Erzrivalen? Ja. Und ich bin mit dieser Ansicht nicht allein. Grad kürzlich bin ich wieder auf ein Dokument aus dem Wahljahr 2007 gestossen. In einem prominent aufgemachten Artikel in der grössten Boulevard-Zeitung der Schweiz forderte Bundesrat Pascal Couchepin FDP und CVP offen zur Fusion auf! Leider bis heute ohne Erfolg. Die CVP befindet sich vielerorts auf dem Krebsgang. Was ist mit ihr los? Es wird intern viel gestritten. Das ist an sich nicht schlecht. Aber der Streit sollte zu vernünftigen Lösungen führen, die dann von allen vertreten werden. Dies gilt vor allem in grundsätzlichen Fragen. Kurt Furgler hat uns in der Zeit, als er noch Fraktionschef war, immer eingeimpft: In grundsätzlichen Fragen muss die Fraktion geschlossen auftreten. In nebensächlichen Fragen dagegen sind Abweichungen möglich. Wie halten Sie es mit dem C im Parteinamen? Ich stehe noch heute zum gültigen Parteinamen, zum C – zumindest bis ein besserer Vorschlag unterbreitet wird. Ich teile die harte Kritik am C nicht. Schliesslich beginnt auch unsere Bundesverfassung mit der Präambel «Im Namen Gottes des Allmächtigen!» Warum sollte sich denn eine Partei ihrer christlichen Grundlagen schämen? Sie sind nach wie vor überzeugter Katholik. Ich bin als Katholik geboren, ich werde als Katholik sterben – aber der heutige Papst gefällt mir nicht. Er sollte sich wenigstens zur Aufhebung des Zölibats durchringen und die Frauenordination zulassen. ■
hans fahrländer war Chefredaktor des «Badener Tagblatt» und der «Aargauer Zeitung». Heute ist er Autor und Leiter des Publizistischen Ausschusses bei den AZ Medien. Sonderausgabe
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Hans Groth & Jonas Huber
Die macht Der DemoGraFie
Fortschritte der Menschheit und damit der Weltgeschichte hängen immer auch mit Bevölkerungsgrösse und ihrer Dynamik zusammen. Doch etwaige Vorhersagen und Projektionen des Bevölkerungswachstums sind alles andere als einfach. Das explosive Wachstum der Weltbevölkerung von einer Milliarde zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf sieben Milliarden im Jahr 2011 ist beispiellos in unserer gut 50'000-jährigen Geschichte. Demografie hat damit eine neue Dimension – sie hat
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Die Politik 6 Oktober 2012
eine Zeitraffung erhalten. Allerdings hat sie unser Leben und das der Gesellschaften, in denen wir leben, schon immer mehr geprägt als zunächst angenommen. So kann man den Untergang des römischen Reiches mit einem auf Dauer nicht beherrschbaren Migrationsdruck, den aktuellen Aufstieg Asiens mit einem ausserordentlich günstigen Verhältnis von Arbeitsfähigen zu Alten und Heranwachsenden – sogenannte demografische Dividende – und das Schrumpfen der Bevölkerung in Japan mit anhaltend niedrigen Geburtenraten bei praktisch fehlender Migration nachvollziehbar begründen. Schliesslich wird Afrika in diesem Jahrhundert «demografische Geschichte» schreiben: Infolge hoher Geburtenraten – im Durchschnitt
Die rangfolge der 15 bevölkerungsstärksten länder (1970/2010/2050) 1970 rang 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
4,9 Geburten pro Frau bei einer Spannbreite von 2,3 Kindern in Südafrika bis 7,1 Kindern in Mali – wird sich die Bevölkerung in den kommenden vierzig Jahren auf über zwei Milliarden Einwohner verdoppeln. Eine nie dagewesene Zahl junger Menschen wird nach Arbeit und Prosperität suchen.
land
2010 bevölkerun g* 815 554 209 130 118 104 96 78 67 59 56 53 52 51 47
chin a indien usa russland indonesien Japa n bras ilien Deut schl and* * bangladesc h Pakistan Vereinig tes königreich italien Mexi ko frankreich ukra ine
6
schweiz (70)
bevölkerun g*
** inklusive DDr
63 62 61 45 8
frankreich (21) Vereinig tes königreich (22) italien (23) ukra ine (29) schweiz (93)
land
bevölkerun g*
indien chin a usa nigeri a indonesien Pakistan bras ilien bangladesc h Philippine n Dr kongo äthiopie n Mexi ko Vereinig te republik tansania russland äg ypte n
1692 1296 403 390 293 275 223 194 155 149 145 144 138 126 123
Japa n (16) Viet nam (17) Deut schl and (25) Vereinig tes königreich (22) frankreich (21) italien (23) ukra ine (29) schweiz (93)
109 104 75 73 72 59 36 8
8%
33%
* in Millionen
1341 1225 310 240 195 174 158 149 143 127 113 93 88 83 82
chin a indien usa indonesien bras ilien Pakistan nigeri a bangladesc h russland Japa n Mexi ko Philippine n Vietna m äthiopie n Deut schl and
15%
2%
2050
land
4%
34%
51%
3%
industrienationen
38 %
55%
schwellenländer
51%
7%
entwicklungsländer
rest der welt
mehr als nur nackte Zahlen Quelle: Eigene Darstellung basierend auf UN World Population Prospects, the 2010 Revision Eine weitere interessante Entwicklung zeichnet sich in Europa ab: Frankreich neue rangordnung mit Folgen wird ab 2060 – als Folge höherer Geburtenraten über lange Ein leicht verständlicher «Einstieg» in diese äussert komplexen Zeiträume – nach mehr als 250 Jahren wieder bevölkerungsFragen wird möglich, wenn man die Rangfolge der 15 bevölkereicher sein als Deutschland. Die Liste dieser Beispiele könnte rungsstärksten Länder über den Zeitraum von 1970 bis 2050 man beliebig fortsetzen. Demografie ist also mehr als nur nackbetrachtet und dabei diese in Industrienationen, Schwellente Zahlen über Lebenserwartung, Migration und Geburtenländer sowie Entwicklungsländer aufgliedert (siehe Abbildung). raten. Es geht um eine ganz andere Dimension: Im 21. JahrhunIn einem zweiten Schritt gewinnt man wertvolle Gedankenandert wird Demografie die Machtverhältnisse zwischen den regungen, wenn man diese Länder nach ihren Gewichtungen derzeit 196 unabhängigen Staaten grundlegend verändern. Die beziehungsweise Stimmrechten in internationalen Organisasich hieraus ergebende Dynamik wird neben dem Umgang mit tionen näher betrachtet. natürlichen Ressourcen mit Abstand das bedeutendste politische Spannungsfeld für die gesamte Welt, für Europa und Während 1970 noch 15 Prozent der Weltbevölkerung in den zwangsläufig auch für die Schweiz. Die kommenden Jahrzehnte Industrienationen lebten, werden es 2050 nur noch 4 Prozent werden uns vor einen Wandel stellen, für dessen Bewältigung sein. Unter den 15 bevölkerungsreichsten Ländern werden dann wir auf keine historischen Erfahrungen zurückgreifen können. auf Platz drei nach Indien und China lediglich die USA mit gut Noch nie war der demografische Wandel so dynamisch und 400 Millionen Einwohner als einzige heutige Industrienation dessen Bewältigung so anspruchsvoll. verbleiben. Absteiger aus dieser «Top 15 Liga» sind unter anderem Japan und Deutschland, England, Frankreich und Italien Angesichts dieser Tragweite sind wir alle gefordert – Politik, – also Länder mit grossen Volkwirtschaften, vielfältigen geoGesellschaft und Wirtschaft – uns mit folgenden Fragen vorpolitischen Verflechtungen sowie heute (noch) «demografisch» ausschauend auseinanderzusetzen: überproportionalen Stimmrecht-Gewichtungen in internatio– Wie wird Demografie das Verhältnis zwischen Nationalnalen Organisation wie beispielsweise UN-Sicherheitsrat, IMF, staaten beieinflussen und neu definieren? G20 oder G8. Die zunehmende Grösse der Schwellen- und in – Welche neuen Allianzen und Bündnisse werden sich aus den besonderem Mass der Entwicklungsländer mit ihrem Bestreben, veränderten demografischen Machtverhältnissen ergeben? auch wirtschaftlich zu wachsen, wird nicht ohne Folgen blei– Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand: Sind diese überhaupt ben. Wie kann man begründen, in Zukunft die Stimme von bemit Alterung und schrumpfender erwerbstätiger Bevölkevölkerungsreichen Ländern wie zum Beispiel Nigeria, Pakistan, rung möglich? Philippinen, Kongo, Äthiopien, Tansania oder gar Ägypten – Welchen Einfluss hat Demografie auf Wertvorstellungen, Ornicht verstärkt zu berücksichtigen? ganisationsformen und Schwerpunkte von Individuen, Familien, Gesellschaften, Regierungen und Volkswirtschaften? Sonderausgabe
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Wird es in Zukunft möglich bleiben, dass Europa und Japan ihre heute einflussreiche Rolle halten können oder welche neuen Partnerschaften und Allianzen gilt es zu entwickeln? Welche besondere Verantwortung kommen den USA als Sprachrohr für die schrumpfende westliche Welt zu? Was müssen diese lernen, um mit den neuen «Bevölkerungsriesen» in den Schwellenund Entwicklungsländern umzugehen?
«Im 21. Jahrhundert wird Demografie die Machtver hältnisse zwischen den derzeit 196 unabhängigen Staaten grundlegend verändern.»
Im Zentrum steht die Frage: Wie kann der Westen unterstützend tätig werden, dass sich in diesen Ländern eine Staats- und Gesellschaftsform entwickelt, die breiten Wohlstand und damit politische und soziale Stabilität ermöglicht? In dem dieses Jahr erschienenen Buch «Why Nations Fail?» gehen die Harvard Professoren Daron Acemoglu und James A. Robinson der Frage nach, unter welchen Bedingungen eine Nation zu Wohlstand, Einfluss und Macht kommt und diesen auch hält. In der langfristigen Analyse ist dies eine Frage politischer Institutionen, die Pluralismus, Freiheit des Einzelnen und verlässliche Eigentumsrechte garantieren. Unter diesen «inklusiven» Rahmenbedingungen entwickelt sich ein freies, fortschritt-orientiertes Wirtschaftsleben, welches die Basis für Verdienstmöglichkeiten und Wohlstand breiter Bevölkerungskreise bildet. Sogenannte «extraktive», elitäre Systeme mit Konzentration der Macht und der Ressourcen auf wenige, sind kein Model mit dem diese Länder zu der Gruppe der wirtschaftlich leistungsfähigen Nationen aufschliessen können. In derartigen Systemen haben schlichtweg zu wenig Menschen die Möglichkeit, am politischen und wirtchaftlichen Leben zu partizipieren, etwas zu bewegen und schliesslich auf Grund ihrer Leistungen oder Errungenschaften vom Fortschritt zu profitieren.
Hans Groth und Jonas Huber
chance jetzt packen Investitionen in verbesserungsbedürftige Institutionen in Entwicklungs- oder auch in Schwellenländern sind für Industrienationen die einmalige Chance, die «Macht der Demografie» im 21. Jahrhundert zum Nutzen der gesamten Welt zu gestalten. Die seit Beginn der industriellen Revolution geschaffenen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Errungenschaften des Westens sind das Ergebnis «inklusiver» Gesellschaftmodelle – sie sind ein unbezahlbarer Reichtum, der es möglich machen könnte, den demografischen Wandel zu bewältigen beziehungs-
weise die neue Rangfolge der Nationen als Motor für mehr Freiheit und Prosperität für die gesamte Weltbevölkerung zu nutzen.
und die schweiz? Auch wenn die Schweiz basierend auf ihrer Bevölkerungszahl aktuell nur den Rang 96 und 2050 den Rang 110 einnimmt, darf das Thema «Die Macht der Demografie» für die zukünftige Positionierung der Schweiz in der Völkergemeinschaft nicht unterschätzt werden. Letztlich geht es um die Auseinandersetzung mit der Frage: Wie kann unser überdurchschnittlich hoher Wohlstand in Frieden, Freiheit und tief verwurzelter Eigenverantwortung auch in Zukunft behauptet werden? Das Jahr 2050 scheint aus heutiger Sicht weit entfernt zu sein – aber dies täuscht. Die demokratische und föderale Grundordnung der Schweiz hat zweifelsohne ihre Vorteile, sie braucht aber auch mehr Zeit als eher zentralistisch organisierte Staatswesen, um sich an neue Gegebenheiten anzupassen. Die Beschäftigung mit dem Demografie-Problem und die notwendigen politischen Auseinandersetzungen haben deshalb bereits heute eine hohe Priorität. Veränderungen müssen umsichtig erarbeitet, diskutiert und entsprechend der schweizerischen politischen Kultur beschlossen werden. Doch im grossen Unterschied zu vielen anderen politischen Schwerpunkten gibt es beim Thema «Demografie» keine sofortige Dividende. Dennoch ist eine Auseinandersetzung der Politik mit diesem Thema schon heute kein «nice to have». Im Gegenteil, sie ist ein «must have» und sichtbar wahrgenommene Verantwortung in die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Voraussetzung ist allerdings, dass man die Demografie-Szenarien nicht nur kennt und interpretieren kann, sondern auch Lösungsvorschläge und Antworten einbringt. Der erste sinnvolle Schritt dürfte ein breit abgestützter Diskurs zu folgender Frage sein: «Was widerfährt einem Land wie der Schweiz, wenn es seine Augen vor der ‹Macht der Demografie› verschliesst?» ■
hans groth ist Lehrbeauftragter für Demografie und gesellschaftliche Entwicklung an der Universität St.Gallen (HSG) und VRPräsident des World Demographic & Ageing Forum (WDA). Jonas huber ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am WDA Forum. 44
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Corina Casanova
zusaMMenhalt Wir sind ein einig Volk von Brüdern – und von Schwestern, spätestens seit wir vor 40 Jahren das Frauenstimmrecht eingeführt haben. Seit 1848 sind wir ein Bundesstaat; seit über 160 Jahren hält uns eine Bundesverfassung zusammen. Und seit Jahrhunderten sind wir eine Eidgenossenschaft – ein einig Volk von Geschwistern.
Der Wille zum Zusammenhalt ist uns gegeben. Kontinuität gehört zu uns. Seit 1848 gehen wir diesen Weg konsequent, setzen im Rhythmus von Jahrzehnten Meilensteine des Zusammenhalts – und schaffen Instrumente des Ausgleichs. Sie festigen unser republikanisches Denken und führen uns in Richtung Konkordanz.
land ohne Vorherrschaften Bei der Totalrevision der Bundesverfassung 1874 wurde das Gesetzesreferendum eingeführt. Im Jahr 1891 kam die Volksinitiative auf Partialrevision der Verfassung hinzu. 1919 wurde der Nationalrat erstmals nicht im Majorz-, sondern im Proporzverfahren gewählt. Diese Entwicklungen führten allmählich zu einer politischen Landschaft ohne Vorherrschaften, weder von Parteien noch von Landesgegenden, Konfessionen oder gesellschaftlichen Schichten. Die in die Bundesverfassung aufgenommenen Korrektivmöglichkeiten begannen zu wirken. Der erste Bundesrat, der nicht freisinnig war, kam 1891 ins Amt und gehörte unserer Partei an, noch vor ihrer eigentlichen Gründung. Ab 1919 waren wir mit zwei Mitgliedern in der Regierung vertreten. Die Entwicklung führte weiter bis zur Zauberformel – auch ein Meisterwerk unserer Partei – und darüber hinaus. abbild der schweiz Konstanz und Kontinuität zeichnen unser Regierungssystem aus. Die in der Verfassung festgeschriebene Grösse des Kollegiums hat seit 1848 allen Änderungsversuchen standgehalten. Der Bundesrat regiert als Kollegium. Ausgleich kommt darin zum Ausdruck. Niemand hebt sich übermässig hervor. Konsens ist angesagt. Alle Landesgegenden sind über kurz oder lang in der Regierung vertreten. Diese Merkmale sind Sinnbild unseres Staatsverständnisses und Abbild der Schweiz. Unser Land der vier Sprachen und Kulturen ist das Land mit lauter Minderhei-
ten. Wir nehmen Rücksicht auf unsere Minderheiten. Wir gehören persönlich immer wieder zur einen oder anderen Minderheit. Einmal befinden wir uns bei den Gewinnern und einmal bei den Verlierern. Einmal geht es um Stadt–Land, einmal um Alt–Jung, um Nord–Süd, um Randregion–Zentrum oder um Ost–West. Die kleineren Kantone haben mit dem Ständemehr bei Verfassungsabstimmungen ein grösseres Gewicht. Auch im Ständerat ist es so. Diese Mechanismen fördern den Ausgleich und stärken den Zusammenhalt. Die Schweiz hat diese Prinzipien verinnerlicht. Wir teilen und verteilen die Staatsmacht. Die Referendumsdemokratie ist ein wichtiger Anstoss; die politischen Rechte haben wir im Blut. Die Macht ist über drei staatliche Ebenen und auf viele gesellschaftliche und politische Akteure verteilt. Die Staatslenkung liegt nicht nur in den Händen der Exekutiven, sondern auch der Parlamente und des Volkes. Alle sind an den politischen Entscheiden mitbeteiligt. Das führt zu Stabilität. Wir haben den politischen Willen, permanent den Ausgleich zwischen den verschiedenen Regionen, zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen und deren Sprachzugehörigkeit zu schaffen und zu bewahren. Die Stabilität hat uns Wohlstand gebracht. Wohlstand erleichtert den sozialen Frieden. Sozialer Friede wirkt stabilisierend. Wir tragen Sorge zu unseren Errungenschaften. Die Vielfalt unseres Landes ist unsere Stärke. Ausgleich sichert den Zusammenhalt. Das gelingt uns seit über 160 Jahren und gibt unserem Land seine Einzigartigkeit. Und unsere Partei ist tragender Teil dieses Gefüges. ■ corina casanova ist Bundeskanzlerin und hat als Bündnerin eine spe zielle Sensibilität für den Ausgleich von Stadt und Land. Sonderausgabe
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Karl Vogler
Das christlich-soZiale GeDanKenGut der Ursprung der christlich-sozialen Bewegung liegt in den grossen sozialen Ungerechtigkeiten des 19. Jahrhunderts. diese veranlassten Papst leo Xiii im Jahre 1891 zur Niederschrift der Enzyklika «rerum novarum». der «arbeiterpapst», wie er später auch genannt wurde, hatte das Vertrauen in den freien Markt verloren und verlangte vom Staat, für löhne zu sorgen, welche die Existenz sichern, ebenso sollte er das Privateigentum schützen. arbeit und Kapital sollten in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Aus den sozialen Reformen, welche von der römisch-katholischen Kirche ausgingen, entstanden in vielen ländlichen wie städtischen Kantonen als Ergänzung zur Katholisch-Konservativen Partei die christlichsozialen Parteien. Einige schlossen
sich der CVP an, gewisse Sektionen blieben immer eigenständig, einige spalteten sich wieder ab. In Zürich entstand die CVP gar aus der CSP, eine Katholisch-Konservative Partei gab es nie. Für mich ist die CVP/CSP die politische Partei beziehungsweise Bewegung, welche meinen politischen Vorstellungen am besten entspricht, weil Werte wie Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und gesellschaftlicher Ausgleich Grundlage für sozialen Frieden in einer freien Marktwirtschaft bilden. ■
karl Vogler ist Nationalrat (CSP) des Kantons Obwalden und Mitglied der CVPBundeshausfraktion.
Norbert Hochreutener
60+ hat ZuKunFt «alt werden wollen alle, alt sein will niemand», habe ich kürzlich in einer talkshow gehört. alt sein ist scheinbar etwas Verwerfliches, sonst würde man es ja wollen … Für Gesellschaft und Wirtschaft hat die Abwertung älterer Menschen fatale Folgen. Wissen, Erfahrung und Entwicklungsmöglichkeiten der älteren Generationen brach liegen zu lassen, ist schlicht dumm. Denn damit bleibt ein riesiges Potential ungenutzt. Auch wenn die über 60-Jährigen aufgrund ihrer zahlenmässigen Überlegenheit an den Hebeln sitzen, sind sie gefordert, die Interessen der gesamten Gesellschaft im Auge zu haben. Besonders fördern möchte ich die Jungen. Deshalb: Lasst uns Ältere vermehrt mit der jüngeren Generation zusammenarbeiten! Konkret müssen 60+ und die junge CVP bei bestimmten Themen zusammen spannen. Gemeinsame Forderungen erheben. Und gelegentlich auch gemeinsame Parteitage durchführen. Zwei Themen gehören für mich dabei zwingend auf die gemeinsame Traktandenliste: die Familien und die Sozialversicherungen: – Verschiedene Formen der Familienförderung, wie beispielsweise Familienbesteuerung und Kinderzulagen, stehen zwar bereits in der Verfassung, nicht aber die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Demnächst kommt der vom Parlament 46
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angenommene Familienartikel zur Abstimmung, welcher dieses Anliegen aufnimmt. Ein bedarfsgerechtes Angebot an familien- und schulergänzenden Tagesstrukturen und bezahlbare Kinderkrippen sind unerlässlich. Ausserdem müssen wir auch unseren gut ausgebildeten jungen Frauen mit Kinderwunsch eine berufliche Karriere ermöglichen. Optimale Rahmenbedingungen für Familien mit Kindern liegen auch im Interesse der Wirtschaft. Das Volk in der kommenden Abstimmung für diesen Familienartikel zu überzeugen, erachte ich als grosse Aufgabe der CVP. – Wer rechnen kann, weiss, dass der aktuelle Rentenumwandlungssatz zu hoch ist. Die Jungen (überhaupt die Aktiven) zahlen die zu hohen Renten der Pensionierten. Das im Verlauf der beruflichen Laufbahn angesparte Kapital muss für eine längere Zeitspanne reichen, weil wir länger leben. Deshalb müssen die jährlichen Renten leicht angepasst werden. Auch hier dürfte in den nächsten Jahren erneut eine Volksabstimmung zu erwarten sein. Ein gemeinsames Engagement von 60+ und JCVP für diese Vorlage wird unerlässlich sein. ■
norbert hochreutener war von 1995–1999 und von 2003–2011 Nationalrat des Kantons Bern, er ist der Vater des Familienartikels und Präsident der CVP 60+.
Patricia Mattle
CVP-VereiniGUnGen
JcVP: chancen PacKen Seit meiner Geburt in den achtzigern hat sich viel verändert. damals sind die ersten PC's aufgekommen – heute hat jeder von uns mindestens ein Smartphone und einen laptop. Die Welt von uns Jungen ist schnelllebig, wir erfahren in Echtzeit, was in der Welt grad los ist. Wir kommentieren auf Facebook, chatten mit Freunden über WhatsApp, sind über Skype mit Menschen in der ganzen Welt verbunden. Sorgen mache ich mir kaum und an das Morgen denke ich selten. Damit bin ich kein Einzelfall. Doch manchmal fällt mir nach dem Partymachen ein: Da sind ja noch ernste Herausforderungen, die wir irgendwann angehen müssen! Die Energiefrage, das erhöhte Verkehrsaufkommen, die steigenden Gesundheitskosten, die Finanzierung der Altersvorsorge …
nach der Wirtschaftskrise – welche Perspektive bleibt? Rund 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in Spanien und Griechenland, weit über 30 Prozent in Italien und Portugal und über 20 Prozent in Frankreich. Solche Meldungen verunsichern uns und bereiten uns Sorgen. Wird die Schweizer Wirtschaft die Kri-
se weiterhin so gut überstehen, und werden wir unsere Jobs behalten können? Welche Perspektiven hat unsere Generation global gesehen? Werden wir jungen Schweizerinnen und Schweizer am internationalen Markt längerfristig bestehen können?
unsere Zukunft selber anpacken Wir Jungen leben manchmal in den Tag hinein. Durch die Krise sind wir aber nachdenklich und etwas konservativer geworden. Familie und richtige Freundschaften gewinnen wieder an Bedeutung. Die Arbeitsplatzsicherheit, ein regelmässiges Einkommen, die soziale Absicherung, das breite Ausbildungsangebot und viele weitere schweizerische Gegebenheiten werden wieder mehr geschätzt. Alles in allem finde ich es echt cool, jetzt jung zu sein. In der Schweiz haben wir (fast) unbegrenzte Möglichkeiten. Unbeschwertheit ist aber falsch am Platz. Die Zukunft müssen die jungen Leute in die Hand nehmen. Denn es ist ihre Zukunft. ■
Patricia Mattle ist Mitglied des Präsidiums der CVP Schweiz und war bis 2008 Präsidentin der Jungen CVP des Kantons St.Gallen.
Babette Sigg
cVP Frauen: KamPF seit Generationen «Suffragetten» oder «Blaustrümpfe» wurden sie verächtlich genannt; die Frauen der ersten Stunde, welche sich beharrlich für Frauenrechte einsetzten. Sie forderten in der ersten «Women’s rights Convention» von 1848 das Wahlrecht für Frauen sowie eine Ehe-reform. ihr Ziel war eine politische und gesellschaftliche/wirtschaftliche Gleichstellung der Frauen. Nicht gleich wollten sie sein, sondern gleichberechtigt – ein grosser Unterschied, der oft nicht verstanden wurde und an welchem Frauen bis heute zu beissen haben. Was aber haben die Frauen heute, über 160 Jahre später in der Schweiz erreicht? Das Stimm- und Wahlrecht beispielsweise. Wenn auch erst seit 40 Jahren. Angesichts dieser wenigen Jahrzehnte in der Schweiz können wir uns heute über das «Frauenjahr 2011» freuen, in welchem die höchsten politischen Ämter, nämlich Nationalrats-, Ständerats- und Bundespräsidium sowie das Bundeskanzleramt, in Frauenhänden waren. Die politische Gleichstellung haben wir erreicht, so steht es im Gesetz.
steiniger Weg Doch verfallen wir nur nicht dem Irrglauben, dass auf uns gewartet wird! Frauen, und seien sie noch so gut ausgebildet, weisen sie noch so viel Erfahrung und soziales Engagement vor, stossen immer wieder an die gläserne Decke. Lohngleichheit? Meist sind wir weit davon entfernt. Auch heute noch braucht es für eine Frau etwas mehr: grössere Beharrlichkeit, bessere Zeugnisse, mehr Überzeugungskraft. Wen wundert es, dass hier und da das «Schreckgespenst» namens Frauenquote zitiert wird? Die Entwicklung zeigt leider, dass sich nur wenige Unternehmen zu Frauen in hohen Kaderstellen bekennen. Diese Unternehmen, das belegen Studien deutlich, machen übrigens durchwegs positive Erfahrungen. Die Frage liegt nahe: Wovor fürchten sich dann die Quotengegner? Doch nicht etwa … vor der Emanzipation? ■ babette sigg frank ist Präsidentin der CVPFrauen Schweiz. Sonderausgabe
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Erhard Busek
nachbarn Mit DeM rücken zueinanDer?
Mit der Schweiz ist das für Österreich so eine ganz eigene Sache! Ich bin aufgewachsen mit dem Entschluss des österreichischen Parlaments, 1955 die immerwährende Neutralität Österreichs nach Schweizer Muster durchzuführen. Offengestanden: Wir haben uns überhaupt nicht daran gehalten, sondern sind sofort den Vereinten Nationen beigetreten, vom andersartigen schlampigen Verhalten in Sachen Landesverteidigung gar nicht zu reden. Die Linie hat sich konsequent festgesetzt, weil wir nach dem Ausscheiden der Briten aus der EFTA eigentlich sehr bald in Richtung EWG, heute EU, unterwegs waren – trotz Neutralität. Früher war es auch üblich, dass jeder neue österreichische Regierungschef seinen ersten Auslandsbesuch in Bern gemacht hat – aus Solidarität zum neutralen Nachbarn. Das ist leider völlig abhandengekommen und wird auch heute durch die Regeln innerhalb der EU, als erstes Brüssel zu besuchen, nicht mehr so gesehen. Dabei war gerade die Schweiz in meiner Kindheit und Jugend ein bewunderter Nachbar. Nicht im Zweiten Weltkrieg beteiligt, wirtschaftlich und sozial erfolgreich, in keine Konflikte verwickelt und letztlich durch das Zusammenleben in der Confoederatio Helveticae von verschiedenen Volksgruppen ein ausgezeichnetes Beispiel.
Kontakte zur cDu und csu Trotz all dieser Argumente musste ich immer wieder feststellen, dass es ganz selbstverständlich war, zur CDU und CSU Kontakt zu haben, während die CVP eigentlich immer von geringerem Interesse war. Das war sicher auch durch die Bemühung, der europäischen Integration zu folgen, überschattet. Dabei gab es eine Reihe von CVP-Politikern, die engste Verbindungen mit Österreich hatten, etwa Bundesrat Kurt Furgler oder auch Bundesrat Flavio Cotti, mit dem ich heute noch befreundet bin. Wir haben auch sehr bedauert, dass die Schweiz nicht den Weg zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gefunden hat, wenngleich wir das nach Kräften unterstützt haben. Heute macht es Schwierigkeiten zu erklären, warum wir mit Liechtenstein ein EFTA- und EWR-Mitglied als Nachbar haben, die Schweiz allerdings nur in der EFTA vertreten ist. In der Zeit meiner Verantwortung für die ÖVP habe ich engen Kontakt zur CVP gehalten, weil es nicht nur dieselbe Parteifamilie ist, sondern wir auch viele Berührungspunkte haben. Eines war natürlich unterschiedlich: Bis 1989 lagen wir am Eisernen Vorhang – was der Schweiz erspart blieb. 48
Die Politik 6 Oktober 2012
Dialog besser pflegen Daher habe ich mich auch in verschiedenen Funktionen, etwa als Präsident der Österreichischen Forschungsgemeinschaft oder des Europäischen Forum Alpbach immer wieder bemüht, Begegnungen zustande zu bringen, wo ganz selbstverständlich die Schweiz vertreten ist, etwa in Herausarbeitung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Schweiz, Liechtenstein, Süddeutschland und Österreich. Es tut mir leid, dass heute eigentlich niemand mehr in diese Richtung selbst bemüht ist, wobei gerade in dieser Zeit Liechtenstein sehr mit der Schweiz verbunden war, aber in den letzten Jahren einen gewissen Weg zu Österreich zurückgefunden hat. Das aber ist ein anderes Thema. So empfinde ich die gewiss vorhandene Freundschaft meines Landes mit der Schweiz immer noch als «mit dem Rücken zueinander». anderes staatsverständnis Die Gemeinsamkeiten zwischen CVP und ÖVP sind ausser Frage, wie etwa soziale Marktwirtschaft, Familie, Mittelstand und anderes. In der Subsidiarität und direkten Demokratie ist die Schweiz ein Beispiel, das oft in Österreich genannt wird,
«Trotz aller Europakrisen kann ich der Schweiz nur empfehlen, auf ihre eigene Art den Weg zu mehr Europa mitzugehen, denn die Con foederatio Helvetica ist auf ganz wunderbare Weise eigentlich schon sehr lange sehr europäisch!» erhard Busek
wenngleich wir in diesen Bereichen relativ wenig zusammengebracht haben. Daran ist nicht der europäische Integrationsprozess schuld, sondern eher eine gewisse zentralistische Tradition, die allerdings in Österreich immer wieder geleugnet wird. Aber schon meine Verfassungsrechtslehrer haben deutlich darauf hingewiesen, dass Österreich eigentlich kein Bundesstaat, sondern ein dezentralisierter Einheitsstaat ist. Die starke politische Rolle der Bundesländer ändert nichts daran, weil das Verfassungs- und Rechtsgebäude durchaus anders aussieht. Die politischen Diskussionen in der Schweiz sind allerdings nicht ohne Einfluss auf Österreich.
ausländerpolitik der schweiz So hat etwa die Rolle der SVP und Blocher in der Frage der Migrationspolitik und der Integration von Ausländern eine gewisse Rolle gespielt. Persönlich glaube ich, dass die Darstellung der innerschweizerischen Vorgänge in Österreich nicht immer glückhaft geschieht, wenngleich jeder Korrespondent der Neuen Züricher Zeitung in Österreich eine grosse Rolle spielt. Das ist ein buntes Bouquet von Gemeinsamkeiten und Unterschiedlichkeiten, die letztlich auch dadurch geprägt sind, dass weite Gebiete unser beider Länder durch die Alpen bestimmt sind und wir dadurch auch eine bestimmte Verbindung an Natur und Volkskultur haben. Die Medien spielen dabei eine interessante Rolle, wobei naturgemäss der deutschsprachige Raum der Schweiz für Österreich bestimmender ist. schweizerdeutsch … Persönlich gestehe ich auch, dass ich mit der Art der SRG, Publikumsdiskussionen in richtigem Schwyzerdytsch zu machen, durchaus meine Probleme habe, wenngleich ich durch die Jahre gelernt habe, es auch ein wenig zu verstehen … Kulturell aber
sind die Verbindungen durchaus sehr eng, weil der Austausch von Künstlern im Theater- und Musikleben letztlich ein sehr starker ist. Wir schätzen Zürich und Luzern, sind froh darüber, dass es österreichische Studenten in St.Gallen gibt und bewundern die Kunstmesse in Basel – um nur einige Orte aufzuzählen. Ebenso wird anerkannt, dass es manche Österreicher zu Spitzenpositionen in traditionellen Schweizer Unternehmen gebracht haben. Und meine Generation erinnert sich, dass uns die Schweizer im Nachkrieg sehr geholfen haben.
und was bringt die Zukunft? Persönlich bin ich überzeugt, dass auch jenseits der Frage der EU-Mitgliedschaft der Schweiz wir in Europa näher zusammenrücken müssen. Das zeigt sich auch sehr deutlich darin, dass die Schweiz, die zur Schengenzone gehört, eine liebe Mühe hat, die Aufwertung des Schweizer Franken durch einen fixierten EU-Kurs zu bewältigen und auch die rechtlichen Bestimmungen sich einander annähern. Eine dramatische Veränderung hat es allerdings in meiner Zeit gegeben: Als ich jung war gab es viele, insbesondere im naturwissenschaftlichen Bereich, die in die Schweiz ausgewandert (Chemie und Pharmaunternehmen etc.) oder an Schweizer Universitäten gegangen sind. Österreichs Weg zu Europa hat dazu geführt, dass hier die Möglichkeiten durchaus grösser geworden sind. Trotz aller Europakrisen kann ich der Schweiz nur empfehlen, auf ihre eigene Art den Weg zu mehr Europa mitzugehen, denn die Confoederatio Helveticae ist auf ganz wunderbare Weise eigentlich schon sehr lange sehr europäisch! ■ erhard busek war Vizekanzler der Republik Österreich, Sonderkoordi nator der Österreichischen Regierung für die EUErweiterung und Son derkoordinator des Stabilitätspaktes für Südosteuropa. Sonderausgabe
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WechselsPiel
Politik und Medien sind voneinander nicht zu trennen. Roger Blum, emeritierter Professor für Medienwissenschaft, und Roger de Weck, Generaldirektor der SRG SSR, im Gespräch über die CVP, den Service public und die Entwicklung der Medienwelt zwischen Qualität und Kommerz. roger de Weck: In der Geschichte der SRG spielte die CVP eine Schlüsselrolle. Einige Verwaltungsratspräsidenten und Generaldirektoren waren Mitglieder der CVP. Was meinen Sie, Roger Blum, warum ist dem so? roger Blum: Ich denke, dass es einerseits Zufall ist, andererseits ist die CVP jene Partei, die am klarsten im bürgerlichen Lager zum Service Public steht. Die CVP hat ein Profil, das mehrheitsfähig ist und konnte damit Stimmen holen. roger de Weck: Indem die CVP klar zum Service Public steht, bekundet sie ihren Sinn für Gleichgewicht. Die europäische Christdemokratie erbrachte nach den Weltkriegen und der Weltwirtschaftskrise zwei historische Leistungen im Sinne des Ausgleichs. Christdemokraten waren Pioniere der europäischen Einigung: Man nehme Rücksicht auf die Nachbarn! Ebenso waren sie Pioniere der sozialen Marktwirtschaft: Man nehme Rücksicht auf Schwächere! Ihrerseits hat die SRG namentlich die staatspolitische Aufgabe, zum Gleichgewicht zwischen vier Landesteilen sehr unterschiedlicher Grösse beizutragen; der Service public bürgt dafür, dass nicht nur die Deutschschweizer Mehrheit, sondern auch die lateinischen Minderheiten gutes Radio und TV haben. roger Blum: Wir leben in einen Land, in dem Minderheiten mehr als berücksichtigt werden, beispielsweise die italienische Schweiz mit einem eigenen Radio- und Fernsehprogramm. Der Ausgleich ist in der Schweiz nicht nur eine Eigenschaft der CVP, sondern auch der FDP und der SP. Die Christlichdemokraten sind im Übrigen in Frankreich und weitgehend auch in Italien verschwunden, britische hat es nie gegeben, mehrheitlich sind es die deutschsprachigen Länder, die sie noch aufrechterhalten. Das hat damit zu tun, dass diese Länder stärker als andere auf Stabilität und geordnete Strukturen achten. 50
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roger de Weck: Welche europäischen Staaten sind erfolgreich? Es sind diejenigen, deren starke Demokratie die Bürgerinnen und Bürger ernst nimmt, weswegen sie Verantwortung übernehmen; es sind diejenigen Länder, die Sozialpartnerschaft pflegen, also auch auf diese Weise nach dem Interessenausgleich trachten: Skandinavien, Deutschland, Holland, Österreich und die Schweiz. roger Blum: Diese Länder gehören auch zu jenen, die im Medienbereich eine spezifische Tradition haben. Es sind oft Länder, welche die Reformation durchliefen. Die Schulbildung ist früh in die Dörfer gedrungen und hat eine Lesekultur gefördert, welche älter und ausgeprägter ist als diejenige in Portugal, Spanien oder auch Italien. Darin liegen auch die unterschiedlichen Kommunikationsformen des politischen Diskurses begründet und eine unterschiedliche Mediennutzung. Wo die eine Bevölkerung bereit ist, Argumente entgegen zu nehmen, ist die andere eher auf Unterhaltung in Radio und Fernsehen ausgerichtet und die Printnutzung bescheiden. roger de Weck: Wird mein Enkelkind in zwei Jahrzehnten noch erfassen, dass es eine Epoche gab, in der man die Katego-
rien Zeitung, Radio und Fernsehen unterschied? Die Medien sind in einem radikalen Umbruch. Dank dem Internet verwischen die Gattungen und wechseln wir von der Informationszur Interaktionsgesellschaft. Google und Facebook verkörpern die Globalisierung und Digitalisierung der Medienwelt. roger Blum: Heute haben wir eine Angebotsvielfalt, die noch nie dagewesen ist. Diese vielfältige Nutzung differenziert, aber noch nie in der Geschichte der Medien ist ein Medium durch ein anderes verdrängt worden. Sie ergänzen sich und übernehmen neue Funktionen. roger de Weck: Ob privat oder Service public, der willkommene Umbruch fordert alle heraus. Wo eine Zusammenarbeit unter Schweizer Medienhäusern ihre Stellung auf dem zusehends globalisierten Werbemarkt stärken und ihre Kosten senken könnte, nützt sie dem bedrängten Medienplatz Schweiz. roger Blum: Die Zusammenarbeit kann aber auch dazu führen, dass man sich nicht mehr publizistisch konkurrenziert. Wenn dann die Interessengemeinschaft so stark ist, dass alle miteinander verbandelt sind, dann haben wir plötzlich den Eintopf, was eine Gefahr bedeutet. Es muss gestritten werden können in diesem Land. roger de Weck: In der Tat ist eine angebotsneutrale Zusammenarbeit sinnvoll. Sie hilft, einen Niedergang wie in Grossbritannien abzuwenden: Dort gibt es – mit Ausnahmen wie «The Economist» – fast keine Medienhäuser mehr in britischer Hand. Globale Konzerne haben sie übernommen. Nur der Service public der BBC sichert ein eigenständiges, unabhängiges britisches Angebot.
roger Blum: Konkurrenz und Wettbewerb tragen bei zu einer besseren Qualität. Jedoch: Der Wettbewerb kann die Medien auch kannibalisieren. Die Konkurrenzgesetze, die sonst eigentlich in der Wirtschaft spielen, zum Beispiel dass mehr Druck auch zu mehr Qualität herausfordert, wirken sich auf zwei sich konkurrenzierende Medien nicht zwingend aus. Sinken die Ressourcen der einzelnen Anbieter, geht dies auf Kosten der Qualität. roger de Weck: Sinken in einer Firma die Verkäufe, bemüht sie sich um bessere Produkte. Beim Kommerzfernsehen gilt das Gegenteil: Fällt die Quote, wird das Produkt verschlechtert und trivialisiert. Boulevard und Populismus sind das Rezept, um mit einem Minimum an Geldmitteln ein Maximum an Publikum zu locken. roger Blum: Populismus ist aber nicht nur Boulevard. Populismus entspricht der Entwicklung der Mediengesellschaft. Es wird kürzer, knapper und weniger vertieft informiert. Wenn man die amerikanischen Wahlkämpfe analysiert, dann sind die Soundbytes der Politiker immer kürzer geworden. Ähnliche Entwicklungen kann man überall sehen: Es wird verkürzt, es herrscht ein stärkerer Negativismus vor, das gilt auch für sogenannte Qualitätsmedien und Qualitätssendungen. roger de Weck: Bei aller Chronistenpflicht sollten Journalistinnen und Journalisten eigene Themen setzen, statt sich diese vorsetzen zu lassen. Und da ist das Internet eine Belebung der Demokratie: Was die herkömmlichen Medien nicht abbilden, kommt im Internet zum Zuge. Das Internet durchbricht die üblichen Filter des Medienbetriebs und eröffnet den Bürgerinnen und Bürgern neue Ausdrucksmöglichkeiten.
Foto: Jaggat/Shutterstock.com
roger Blum: Klar, das Internet birgt Tausende von Möglichkeiten. Trotzdem ist es wie ein amerikanischer Supermarkt: Man kann nicht alles kaufen, weil man das Geld dazu nicht hat, einem die Zeit fehlt und weil es auch nie die Absicht eines Menschen ist, von allem etwas zu kaufen, was angeboten wird. Man darf nicht vergessen, dass nie alle Menschen im Internet sind. Und: Auch wenn das Internet beispielsweise bei der arabischen Revolution eine sehr wichtige Rolle gespielt hat, so hat der persönliche Kontakt eine noch wichtigere Rolle gespielt. roger de Weck: Das Internet hinterfragt die Arbeit der Medien: Journalisten sind nicht länger die einzig massgeblichen Vermittler von Information. Vieles kann man nunmehr direkt an der Quelle nachlesen, eine nützliche Konkurrenz. Trotzdem bleibt die Gesellschaft auf die professionelle Verarbeitung und Vertiefung von Information durch gut ausgebildete Journalistinnen und Journalisten angewiesen. Guten Journalismus jedoch gibt es nur, wenn Journalisten anständig bezahlt werden und anständige Arbeitsbedingungen haben. ■ –Aufgezeichnet von Marianne Binder und Sarah McGrath-Fogal
Sonderausgabe
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Urs Altermatt
Partei Der helVetischen konkorDanz
Stärker als die anderen Parteien sind die Christlichdemokraten mit der helvetischen Regierungsformel der Konkordanz verbunden. Die Ausgleichs- und Vermittlungsfunktion ist geradezu ein Markenzeichen der CVP in der Politikgeschichte der Schweiz. Seit der Gründung des Bundesstaates 1848 trat die CVP für Parität und Proporz aller politischen Kräfte im schweizerischen Regierungssystem ein und erzwang von der freisinnigen Staatspartei nach einem Jahrzehnte dauernden Kampf 1891 den Eintritt in den Bundesrat. Nach der ersten Proporzwahl von 1919 stieg die Partei zur Juniorpartnerin in der freisinnig dominierten Bürgerblock-Regierung auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sie in konsequenter Weiterführung ihrer bisherigen Strategie zusammen mit der SP 1959 die Zauberformel von 2:2:2:l durch.
concordia Konkordanz kommt vom lateinischen Wort concordia und bedeutet in der eidgenössischen Politik konstruktiven Konsens und Zusammenarbeit, Ausgleich und Machtteilung der Interessen. Warum sind die Christlichdemokraten mit dieser Konstanten der schweizerischen Politik so eng verbunden? – Erstens: Nach der katastrophalen Niederlage im Bürgerkrieg von 1847 mussten die Katholisch-Konservativen die bittere Erfahrung machen, dass sie als oppositionelle Minderheit den Status von diskriminierten Bürgern zweiter Klasse besassen und im Bundesstaat von Macht und Pfründen des neuen Bundesstaates ausgeschlossen waren. Erst nach der Erweiterung der Volksrechte 1874 vermochte die katholisch-konservative «Rechte» (so lautete die zeitgenössische Bezeichnung) mit Hilfe von Referenden die Gesetzesmaschinerie des Freisinns zu hemmen und Anfang der 1890er-Jahre einen Sitz in der Landesregierung zu erobern. Um die Jahrhundertwende von 1900 leiteten die Christlichdemokraten einen strategischen Kurswechsel ein, nahmen von der obstruktionistischen Fundamentalopposition endgültig Abschied und betrachteten sich fortan als an der Regierung beteiligte Minderheitspartei, die gelegentliche Opposition nicht scheute. Nach dem Ersten Weltkrieg integrierten sie sich als Juniorpartner in der Bürgerblock-Regierung und steuerten dort einen ausgeprägt antisozialistischen Kurs, den sie erst mit dem nationalen Schulterschluss der Parteien im Zweiten Weltkrieg schrittweise aufgaben. 52
Die Politik 6 Oktober 2012
– Zweitens: Was das soziale Profil der Wählerschaft betrifft, umfasste die CVP von Anfang an ein breites Wählerspektrum; von Bauern, Gewerbetreibenden und Arbeitern bis zum Beamten, Akademiker und Kleinunternehmer. Die soziale Bandbreite der Volkspartei zwang die CVP stets zu komplizierten innerparteilichen Kompromissen zwischen den Parteiflügeln, zunächst zwischen den Stammlanden und der Diaspora, dann zwischen dem konservativen und christlichsozialen Flügel, was ähnlich wie bei den Freisinnigen zu Richtungskämpfen führte und die Schlagkraft schwächte. Es war die gemeinsame katholische Weltanschauung, die die Partei zusammenhielt und zugleich ideologisch zum innerparteilichen Ausgleich zwang. Seit 1957 nannte sich die Partei «Konservativ-Christlichsoziale Volkspartei». In der Zauberformel-Regierung konnte die KCVP ihre typische Kompromiss- und Mediationsstrategie auf das politische System der ebenfalls fragmentierten Schweiz anwenden, um die Interessengegensätze in Staat und Gesellschaft zu entschärfen. – drittens: In den 1950er-Jahren rückten die Christlichdemokraten, die in der Vorkriegsregierung des Bürgerblocks einen prononciert antisozialistischen Rechtskurs eingeschlagen hatten, in vorsichtigen Schritten von der rechten Seite des Parteienspektrums in die Mitte, was ihnen von Fall zu Fall Allianzen mit der Linken ermöglichte. Damit leitete die Partei, zunächst ohne Absicht, die Verflüssigung der Mitte-Rechts-Regierung ein, die die Schweizer Politik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägte. Der Strategiewechsel der CVP gab den Parteiallianzen eine neue Dynamik, da die Christlichdemokraten in einer geschickten Koalitionspolitik mit bürgerlichen und linken Parteien den moderaten Ausbau des Wohlfahrtsstaates unterstützten.
apertura a sinistra Erst diese Apertura a sinistra der europäischen Christdemokratie ermöglichte in den Sechziger- und Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts die wegweisenden Reformen in der Gesellschafts-,
«Als Folge des gesellschaft lichen Wandels zur Freizeit und Konsumgesellschaft, insbesondere als Konsequenz der Individualisierung und Säkularisierung, zeigte sich eine Erosion bei Wählerinnen und Wählern der CPartei, die ihre Stellung als Mehr heiten bildende Regierungs partei aushöhlte.» Urs Altermatt
geburt der zauberformel 1959: Vereidigung der bundesräte Max Petitpierre (fDP), Paul chaudet (fDP), fritz t. wahlen (bgb), Jean bourgknecht (kcVP), willy spühler (sPs), ludwig von Moos (kcVP), hans-Peter tschudi (sPs) und des bundeskanzlers charles oser (v.l.).
Sozial-, Verkehrs- und Umweltpolitik, die die Fundamente des heutigen Westeuropa schufen. In der Schweiz stärkte die «Zauberformel» den Einfluss der CVP, denn sie nahm in Parlament und Regierung eine Brückenfunktion ein. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die CVP zum Amalgam der Zauberformel, da sie in der Vierparteien-Regierung die Scharnierstellung als Mittlerin zwischen dem Freisinn und der Sozialdemokratie besetzte. Nach innen äusserte sich die Konkordanzstrategie in den Parteireformen, die 1970 zur Umbenennung in «Christlichdemokratische Volkspartei» führten.
Wählerverluste Unter dem Einfluss der zyklisch aufflammenden Wirtschaftskrisen machte Westeuropa, das in der Nachkriegszeit von wechselnden Koalitionen zwischen Christ- und Sozialdemokraten regiert wurde, seit den Achtzigerjahren eine konservative Wende mit neoliberalen Wirtschaftskonzepten durch. In Frankreich und Italien verschwanden die Christlichdemokraten ganz von der politischen Bühne, und in der Schweiz rückte die CVP in einem schleichenden Prozess von ihrem Reformkurs ab und bewegte sich wieder nach rechts. Die 1971 feierlich proklamierte Formel von der «dynamischen Mitte» verlor in der sich polarisierenden Politik ihr Profil, die Konturen der «sozial-liberalen» und «christlich-konservativen» Mittepartei verflüchtigten sich als eigenständigen dritten Weg. So paradox es tönt: Mit dem politischen Erfolg gingen die goldenen Jahrzehnte der Christlichdemokraten zu Ende. Als Folge
des gesellschaftlichen Wandels zur Freizeit- und Konsumgesellschaft, insbesondere als Konsequenz der Individualisierung und Säkularisierung, zeigte sich eine Erosion bei Wählerinnen und Wählern der C-Partei, die ihre Stellung als Mehrheiten bildende Regierungspartei aushöhlte. In den Neunzigerjahren begann der Aufstieg der nationalkonservativen SVP. Die eigentliche Zäsur brachte 2003 der Verlust des immerhin seit 1919 bestehenden zweiten Bundesratssitzes, was ihr machtpolitisches Gewicht schwächte. Da die CVP im Ständerat nach wie vor eine starke Stellung einnimmt, bleibt sie in der nationalen Politik ein ernst zu nehmender Faktor.
neue mitte-strategie Doch die Renaissance ist beschwerlich und erfordert eine neue Mitte-Strategie. Die Zukunft der CVP liegt in einer strukturellen parteipolitischen Regruppierung in der Mitte der Parteienlandschaft. Wenn die Mitteparteien in Parlament, Bundesrat und Volksabstimmungen eine entscheidende Rolle spielen wollen, müssen sie zusammenrücken und ernsthaft eine gemeinsame Strategie finden. ■
urs altermatt lehrte 30 Jahre Zeitgeschichte an der Universität Freiburg, der er von 2003 bis 2007 als Rektor vorstand. Er ist Autor des eben erschienenen Buches «Das historische Dilemma der CVP» (Verlag «hier und jetzt» Baden). Sonderausgabe
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Politik unD wirtschaft – FreunD oDer FeinD?
Die ehemalige Bundesrätin Ruth Metzler-Arnold im Gespräch mit Raphael Suter. Als Mitglied der Appenzeller Regierung hatten Sie kein Vollamt inne und haben noch in der Privatwirtschaft gearbeitet. Gab es keine Friktionen? Wenn Sie Interessenkonflikte meinen: Nein – ich hatte meine Revisionsmandate in Appenzell Innerrhoden abgegeben. Es ist erstaunlich, dass die Frage nach Interessenkonflikten viel häufiger gestellt wird, wenn man in der Privatwirtschaft tätig ist. Bei Engagements im gesellschaftlichen und kulturellen Bereich oder bei wohltätigen Aktivitäten ist der Reflex eines möglichen Interessenkonfliktes kaum vorhanden. Wie haben Sie als Bundesrätin das Zusammenspiel von Politik und Wirtschaft erlebt? Sehr unterschiedlich. Die Kontakte mit Wirtschaftsvertretern sind nicht nur in guter Erinnerung. Ich denke an die Forderungen der Versicherungsbranche im Zusammenhang mit dem BVG-Mindestzins im Jahre 2002. Das ungeschickte und unprofessionelle Vorgehen hat politischen wie wirtschaftlichen Schaden angerichtet. Die Wirtschaft musste lernen, mit der Politik einen Dialog zu führen, der langfristig ausgerichtet ist und einen nachhaltigen Informationsaustausch ermöglicht. Wie gross ist der Einfluss der Wirtschaft auf die Politik und umgekehrt? Der Einfluss der Politik auf die Wirtschaft kann sehr gross sein: Denken wir an den Beschluss des Bundesrates zum Atomausstieg mit seinen unter Umständen tiefgreifenden und für die Wirtschaft nachteiligen Konsequenzen. Oder an den besorgniserregenden Trend des Regulators ganz generell in wirtschaftliche Prozesse einzugreifen. Doch wenn Wirtschaftsführer – wie zu meiner Zeit als Bundesrätin – meinen, sie müssten den verantwortlichen Politikern sagen, wie sie ihre Arbeit zu machen haben, erstaunt es nicht, wenn das Pendel in die Gegenrichtung ausschlägt. Seit einigen Jahren meinen nun auch gewisse Politiker, sie wüssten wie ein Unternehmen und sogar Grossbanken zu führen sind. Das kann nicht gut gehen. Wie kann man diesem Trend entgegenwirken? 54
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Je mehr Politiker vom Funktionieren der Wirtschaft und von Unternehmen verstehen, je mehr Unternehmer und Manager sich für politische Prozesse und Inhalte interessieren, desto besser ist die Zusammenarbeit. Entscheidend ist der gegenseitige Respekt vor der Arbeit, den Funktionen und den jeweiligen Entscheidungsträgern. Nur so erfolgt ein guter Wissensaustausch und nur so ist die gegenseitige konstruktive Einflussnahme möglich. Wie schwierig war der Wiedereinstieg in die Wirtschaft nach Ihrem Ausscheiden aus dem Bundesrat? Die Herausforderung war, dass potentielle Arbeitgeber sich zuerst an den Gedanken gewöhnen mussten, eine ehemalige Bundesrätin als Mitarbeiterin im Unternehmen zu haben. Meine Situation war erstmalig in der Schweiz, da ich im Alter von knapp vierzig Jahren noch mehr als die Hälfte meines Berufslebens vor mir hatte. Ich hatte die Energie und die Lust, mich wieder voll in der Wirtschaft zu engagieren. So war es für mich toll, dass ich in einem Schweizer Weltkonzern – zu Beginn sogar im Ausland – einsteigen konnte. Wichtig war mir, so rasch wie möglich nicht mehr nur als ehemalige Bundesrätin gesehen zu werden. Mit meinen Erfahrungen in der Privatwirtschaft vor und nach meiner Zeit im Bundesrat ist das gelungen. Mein Profil basiert heute auf der Breite und der Kombination meiner Erfahrungen in Wirtschaft und Politik. Wie hilfreich oder wie hinderlich ist ein Bundesratsmandat für die Rückkehr in die Wirtschaft? Hilfreich und hinderlich zugleich. Die einen wollen die ehemalige Bundesrätin, vielleicht sogar nur als Aushängeschild. Andere, die ein negatives, ja abschätziges Bild von der Arbeit eines Bundesrates haben und sogar unterstellen, ein Bundesrat müsse in seinem Amt nicht führen können, wollen wohl nicht einen ehemaligen Bundesrat in ihr Unternehmen integrieren – oder nur für Lobbying-Aktivitäten auf hohem Niveau. Es ist eine Situation, die es in Zukunft noch viel mehr geben wird: schauen Sie die zahlreichen jungen Regierungsräte in den Kantonen, oder auch die jüngeren Bundesräte an. Ich gehe davon aus, dass auch diese noch eine aktive Zeit nach dem Regierungsamt haben werden.
«Ich war mir immer bewusst, dass ich ein Amt innehabe, dass ich in meiner Funktion als Amtsperson und nicht als Privatperson angesprochen, gefor dert und eingeladen werde.» Ruth Metzler-Arnold
Haben Sie ein Rezept für Politiker, die aus der politischen Karriere aussteigen? Nicht ein Rezept, jedoch eine Überzeugung, welche die Parteiarbeit betrifft: Die Parteien brauchen eine professionelle Personalpolitik! Einerseits, um gute Leute zu begleiten und zu positionieren für höhere Ämter, andererseits auch, um die Schlussphase von politischen Mandaten vorzubereiten. Abwahlen nach langen Amtsperioden sollte es nicht geben – es sollte gar keine langen Amtsperioden geben. Da sind die Parteien in der Verantwortung. Auf fehlende Amtszeitbeschränkungen verweisen genügt nicht. Sie befürworten somit auch eine Durchlässigkeit zwischen Politik und Wirtschaft? Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Verwaltung sind miteinander verbunden. Es braucht Möglichkeiten für Quereinsteiger. Man kann immer von Erfahrungen anderer lernen! Viele Politiker sind eigentlich Lobbyisten und Wirtschaftsvertreter. Wo sehen Sie die Gefahren dieses Systems? In einseitigen Beurteilungen und inkonsequenten Äusserungen. Unser Milizsystem bringt es mit sich, dass Parlamentarier in der Regel auch noch einem Beruf nachgehen. Dieses System baut die Lobby bewusst ins Parlament ein, nicht primär in die Wandelhallen. Gewerkschafter, Bauern, Arbeitgeber etc. sind so direkt in die Lösungsfindung eingebunden. Eine ausserparlamentarische Lobby-Kultur gibt’s zwar auch in der Schweiz, was auch ein Weg sein kann, solange Transparenz gegeben ist. Dann hätten wir auch in der Schweiz eine Politik der Interessenvertretung? Politik ist immer Interessenvertretung! Für das Land, einen Kanton, eine Branche, ein einzelnes Anliegen. Nicht alle Interessenvertreter scheinen jedoch dieselbe Legitimität zu haben: Bauernvertreter, Arbeitnehmervertreter, Konsumentenschützer vertreten scheinbar nur hehre Interessen, KMU-Vertreter sind geduldet, Angestellten von grossen Firmen, insbesondere
Banken, Versicherungen oder Pharmaunternehmen hingegen werden eigenständige politische Arbeit abgesprochen. Das tönt provokativ, doch so nehme ich die Diskussionen und Berichterstattungen wahr. Sie machten den Eindruck, dass Sie den Umständen entsprechend gut mit Ihrer Abwahl umgingen und nicht in ein Loch fielen. Ich war mir immer bewusst, dass ich ein Amt innehabe, dass ich in meiner Funktion als Amtsperson und nicht als Privatperson angesprochen, gefordert und eingeladen werde. Im Dezember 2003 waren es die politische Konstellation und veränderten Kräfteverhältnisse im Parlament, die nicht zu meinen Gunsten waren. Es gehört auch ein wenig Glück dazu, mir haben im Dezember 2003 nur drei Stimmen gefehlt… Ungewolltes Ausscheiden gibt es nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft. Auch Manager scheinen manchmal stark überrascht, wenn ein Unternehmen sich kurzfristig von ihnen trennt. Schwierig hat es auch hier, wer sich über Amt, Funktion oder auch hohes Salär definiert und diese die Basis für das eigene Selbstverständnis bilden. Man hat eine Funktion inne, die einem übertragen wurde aufgrund der eigenen Persönlichkeit mit den Erfahrungen und Kompetenzen, die man mitbringt, aber auch aufgrund bestimmter Umstände und Rahmenbedingungen sowie vielleicht sogar mangels anderer Personen, die gerade nicht zur Verfügung standen. Da sind wohl nicht alle realistisch genug. ■ –Das Interview wurde geführt von Raphael Suter, Redaktionsleiter BaselStadt bei der Basler Zeitung.
ruth Metzler-arnold war von 1999 bis 2003 Bundesrätin und Vorste herin des EJPD. Die Juristin und Wirtschaftsprüferin ist heute Partnerin des Beratungsunternehmens KLAUSMETZLERECKMAN, Präsidentin des Verwaltungsrates der OSEC und Mitglied in weiteren Verwaltungs räten. Nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundesrat war sie mehrere Jahre bei Novartis tätig. Sonderausgabe
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Daniel Goldstein
la Deutschschweiz n’existe Pas
«Ich bin Deutschschweizer.» Der Satz stimmt zwar, aber gesagt habe ich ihn noch nie; Sie wohl auch nicht, beziehungsweise «Deutschschweizerin», falls das zutreffen sollte. «Je suis romand» oder «romande» klingt schon viel natürlicher; vielleicht auch deshalb, weil es für die Welschen (auf Deutsch wie auf Französisch) eine eigene Bezeichnung gibt, nicht nur eine aus «Schweiz» und der Sprache gebildete. Aber auch ein Romand wird, nach der Herkunft gefragt, im Inland wohl spontan eher den Kanton nennen, im Ausland die Schweiz. Für eine Deutschschweizerin gilt das erst recht. Es herrscht also, wenn es um die Identität geht, eher Kantönligeist als Sprachregionengeist, und das ist gut für den nationalen Zusammenhalt. Andernfalls würde der Schweiz eine «Belgisierung» drohen. Diese drohte ihr nach der EWR-Abstimmung von 1992 tatsächlich, zumal in der europafreundlicheren Romandie Identitätspflege als Gebot der Stunde gesehen wurde. Darum bemühte sich namentlich der im Jahr zuvor gegründete «Nouveau Quotidien» (der später in «Le Temps» aufging). Hinzu kam der Versuch, eine «lateinische Schweiz» zu konstruieren, der aber nur schon wegen der eher «deutschschweizerischen» Tessiner Einstellung zur EU kaum Chancen hatte. Ohnehin haben sich seither in allen Landesteilen solide Mehrheiten für den Bilateralismus gegenüber Brüssel gebildet; die Unterschiede könnten sich wieder verstärken, wenn sich dieser Weg definitiv als Sackgasse erweisen sollte.
empfindliche ex-untertanen Auch wenn die Schweiz weit von belgischen Zuständen entfernt ist: Es sollte «uns Deutschschweizern» zumindest zu denken geben, dass wir als «totos» und «zücchin» sowohl in der Romandie als auch im Tessin längst in den Genuss abschätziger Bezeichnungen kommen. Ob im romanischen und im italienischsprachigen Graubünden ebenfalls, entzieht sich meiner Kenntnis. In umgekehrter Richtung sind mir keine «Schlämperlige» für Miteidgenossen lateinischer Zungen bekannt. Mit Freiburger Witzfiguren zielen Berner nicht auf eine Sprachgruppe, und interkantonale Sticheleien überqueren kaum je den Röstigraben. Als die «Weltwoche» im Februar 2012 die Romands als «Griechen der Schweiz» zu bezeichnen beliebte, lag sie damit gewollt quer in der sprachlichen und politischen Landschaft. Selbst wenn sie sich sonst weniger rabiat zeigt, hat Deutschschweizer Überheblichkeit wohl auch zu den erwähnten Schimpf56
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oder Spottwörtern geführt. Mehrheiten neigen ohnehin zur Herr-im-Haus-Mentalität, und in der Schweiz kommt hinzu, dass Deutschschweizer in weiten Teilen der französischen und der italienischen Schweiz zuerst als Eroberer auftraten. Untertanengebiete gab es freilich auch innerhalb der Deutschschweiz. Die historischen Herrschaftsverhältnisse relativieren zudem die Theorie, mit der wir Ausländern gern die Schweiz erklären: Unser Land vereinige jene Gebiete, die nicht zu den grossen jeweils gleichsprachigen Nachbarländern gehören wollten.
ton macht heimatmusik Im Ausland zu sein, kann das Auge für Heimatliches schärfen – oder das Ohr: Schweizer erkennen einander oft am Tonfall, ob sie nun gerade ihre eigene Sprache oder jene des Gastlands sprechen. Mit etwas Übung bemerkt man auch die Akzente in andern schweizerischen Sprachen. Nicht wenige Romands reden ein Französisch, das dem Deutschschweizer «Français fédéral» ähnlicher ist, als sie gerne zugeben. Eine parallele Ähnlichkeit in der französischen Aussprache lässt sich übrigens auch bei Flamen und Wallonen feststellen. Das allein braucht ja noch nichts zu bedeuten. Sprachübergreifende Heimatliebe mag in der Fremde leichter ausbrechen und den Kernsatz im Schweizer Pavillon der Weltausstellung 1992 von Sevilla Lügen strafen: «La Suisse n’existe pas.» War damals gemeint, es gebe eben mehrere Schweizen, dann sollte man diese jedenfalls nicht in erster Linie linguistisch definieren. Den sprachlichen Minderheiten mag die regionale Identitätspflege den Rücken stärken. Für die deutschsprachige Mehrheit wäre «La Suisse alémanique n’existe pas» ein staatspolitisches Gebot, wenn es nicht schon eine gut belegte Tatsachenfeststellung wäre. ■ Daniel goldstein ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» (www.sprachverein.ch). Für den Berner «Bund» schreibt er die Kolumne «Sprachlupe» (sprachlupe.ch).
Brigitte Häberli-Koller
Bildung und Forschung – wichtigste Ressourcen Eine arbeitsgruppe der CVP Schweiz hat vor einiger Zeit ein umfassendes und wegweisendes Positionspaper für eine erfolgreiche, wettbewerbsfähige Schweiz im Bildungsbereich erarbeitet. Bildung und Forschung sind die wichtigsten Ressourcen der Schweiz und zentral für eine starke Wirtschaft. Bildung stärkt die Eigenverantwortung und die Selbständigkeit des Einzelnen und ist Voraussetzung für Wohlstand und Zufriedenheit. Eine konsequente und wirksame Förderung derjenigen Frauen und Männer, die während einigen Jahren zu Hause ihre Kinder betreut haben, sich in dieser Zeit grosse Kompetenzen erarbeitet haben und wieder in eine andere berufliche Tätigkeit einsteigen möchten, ist für mich ein Muss. Deren Fähigkeiten und Erfahrungen müssen bei der Ausbildung mitberücksichtigt und angerechnet werden. Weiter stehe ich der zunehmenden Akademisierung verschiedener Lehrberufe, wie zum Beispiel derjenigen auf der Kindergarten- oder Basisstufe, ausserordentlich kritisch gegenüber. Diese Lehrpersonen haben die wichtige Aufgabe, die Kinder auf die Schule vorzubereiten und sie in ihrer frühen Entwicklung zu fördern und zu unterstützen. Hochschulreife Kenntnisse in den Fächern Mathematik oder Physik sind auf dieser Stufe nicht nötig. Viel wichtiger ist die Fähigkeit, auf die Kinder einzugehen, sie zum Lernen und Spielen zu motivieren und ihnen einen guten und positiven Start ins Schulleben zu ermöglichen. ■
brigitte häberli-koller ist Ständerätin des Kantons Thurgau und war langjährige Vizepräsidentin der Bundeshausfraktion. Sonderausgabe
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Stefan Engler
wie Viel Vielfalt erträgt Die einheit
Zu Graubünden gehören St. Moritz und Davos als globales Dorf, das die Spannung auszuhalten hat zwischen lokaler Verwurzelung und globalem Anspruch. Dazu gehören als Gegenstück auch das kleine St. Antönien oder Villa im Lugnez. Das Weltbild in St. Moritz ist ein anderes als im ländlichen abgeschlossenen St. Antönien. Hier das an Möglichkeiten so reiche St. Moritz, dort das vor allem an Ursprünglichkeit reiche Prättigauer Dorf. Für die Bundes- wie für die Kantonalpolitik stellt sich stets die gleiche Frage: Wie viel Einheit braucht man, um diese Vielfalt haben zu können? Alle ländlichen Regionen weisen zu wenig eigene regionale Kaufkraft auf. Für das wirtschaftliche Überleben sind wir auf Exporte, auch touristischer Produkte, angewiesen. Es macht für das Berggebiet deshalb Sinn, Allianzen zu schmieden und Forderungen zu unterstützen, die in erster Linie dem städtischen Wirtschaftsraum dienen, beispielsweise bei den Rahmenbedingungen für die internationale Wettbewerbsfähigkeit oder bei der Lösung von Verkehrsproblemen. Wir wissen, dass, wenn es den Metropolen gut geht, es auch uns gut geht.
skepsis gegenüber Zentralismus Ich zähle jedoch zu jenen, die grundsätzlich gegenüber allen zentralistischen Bestrebungen misstrauisch sind. Die Neigung zu Patentlösungen, die Versuchung, allen auf dem Weg der Gesetzgebung zu ihrem Glück verhelfen zu wollen, ist ein Produkt des Zentralismus. Was für St. Moritz richtig und notwendig ist, kann nicht gleichzeitig eine massgeschneiderte Lösung für St. Antönien sein. Gleichheit wird oft mit Gerechtigkeit verwechselt. Das Gemeinwesen soll nicht das Lebensglück eines jeden Einzelnen garantieren. Vielmehr soll sich die Politik am Wohl der Gesellschaft orientieren. Sie soll den inneren Zusammenhalt erhalten. stabilität der Gemeinschaft Der Kitt dieses inneren Zusammenhaltes bildet die Grundversorgung in einen Land mit vier Sprachen, vielen Kulturen, peripheren Bergtälern und grossen städtischen Agglomerationen. 58
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Dazu gehören angemessene Infrastrukturen und ein funktionierendes Gesundheitssystem, der Anspruch auf Existenzsicherung und ein gutes Bildungsangebot. Nicht das individuelle Glück, die Stabilität der Gemeinschaft steht damit im Vordergrund. Was den Umfang der Grundversorgung ausmacht und wer diese zu organisieren hat, sind die Dauerthemen der politischen Auseinandersetzung.
Wir werden immer weniger Zu denken geben muss jedoch die demografische Entwicklung. Sie wird die Bedingungen für alle massgeblich beeinflussen und verändern. Anfang des 20. Jahrhunderts – im Jahre 1900 – waren von hundert Erdeinwohnern zwanzig Europäer. Heute sind es im virtuellen Dorf mit hundert Einwohnern noch elf Europäer, im Jahre 2050 werden es noch sieben Europäer sein und im Jahre 2100 gerade noch vier Prozent. Ab dem Jahre 2005 wurden im Kanton Graubünden mehr Todesfälle als Geburten verzeichnet. Die Anzahl der Geburten hat sich innerhalb der letzten vierzig Jahre von über 3000 auf rund 1500 Geburten pro Jahr verringert. Problem unterschätzt Eine solche Entwicklung hat nicht nur zur Folge, dass es weniger Hebammen braucht. Die Auswirkungen für das Bildungswesen, für die Besiedlung und Organisation unseres Kantons, für die Infrastrukturen, die Finanzen, das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben, werden nach meinem Dafürhalten zu wenig gewichtet. Wir alle sind diesem dramatischen gesellschaftlichen Wandel, der uns bereits im Verlaufe der nächsten zwanzig Jahre treffen wird, ausgesetzt. ■ stefan engler ist Ständerat des Kantons Graubünden, ehemaliger Regie rungsrat und Parteipräsident der CVP Graubünden.
aiMons nos Montagnes, nos alPes De neige… Aimons nos campagnes que Dieu les protège. Et chantons en chœur le Pays romand de tout notre cœur et tout simplement ! Ces paroles d’une chanson célébrant la Romandie au début du XXème siècle restent l’une des seules existences concrètes de la Suisse romande. Etre Suisse c’est d’abord appartenir à un canton puis à un pays. Cette réalité reste plus forte dans certaines régions que dans d’autres mais constitue la réalité de base de tout notre pays. Le système politique lui-même reflète cette situation puisque les Cantons y conservent un poids aussi grand que le Peuple. L’identité romande, comme souvent l’identité suisse, se définit par rapport – voire même en opposition – à d’autres. Ainsi les Romands ne sont en aucun cas des Français, même s’ils partagent leur langue et une très grande partie de leur culture, ni Suisses allemands malgré certains traits de caractères et surtout malgré une longue histoire commune dont nous sommes fiers. Finalement, l’une des forces – qui est en même temps une fai-
blesse – de la Suisse, c’est l’attachement que chaque citoyenne et chaque citoyen a pour sa commune, son canton et son pays. Comme Valaisan, je suis aussi Romand mais mon attachement va à mon canton et à mon pays. La Romandie existe finalement plus pour les Suisses alémaniques et les Tessinois que pour nous.
renforcer le fédéralisme Actuellement, la tendance est à la centralisation. Ceci se remarque tant au niveau de la Confédération que dans les cantons. Pour maintenir une Suisse qui gagne, nous devons veiller aussi à maintenir cet attachement local qui fait l’âme d’un pays. Le PDC est le parti des cantons, le PDC est le parti de la Suisse. ■
Yannick buttet ist Nationalrat des Kantons Wallis.
Filippo Lombardi
ticino: PPD senZa la c Die Tessiner CVP, die PPD, hat nie ein C im Namen geführt, obwohl die Partei klar vom christdemokratischen Gedankengut inspiriert ist. Entstanden ist sie in den 1830er-Jahren im Rahmen der liberalen Bewegung. Diese wollte die Strukturen des jungen Kantons – er hatte die Souveränität nur durch die Mediationsakte von 1803 erlangt – modernisieren und liberalisieren. Im Jahr 1913 nahm die Partei den Namen «Partito conservatore democratico ticinese» (PDCT) an. Dieses «Konservativ-Demokratische» verinnerlichte die Soziallehre, welche die Kirche proklamierte und welche die Christlich-Sozialen inspiriert. Ende der Sechzigerjahre verlangte der Zeitgeist eine Modernisierung des Parteinamens. Im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils, welches die «Autonomie der Laien in der Politik» proklamiert hatte, wurde die Definition «konservativ» nicht mehr verwendet. Die Idee, das C einzubeziehen, wurde wieder aufgegeben. Einerseits weil man der Ansicht war, Kirche und Staat seien zu trennen, und andererseits wollte man sich von der «Democrazia Cristiana» abgrenzen, welche unterdessen das benachbarte Italien regierte.
Der Name PPD, welcher schliesslich im Jahre 1970 bestimmt wurde, ist immer noch aktuell: Partito Populare Democratico (Demokratische Volkspartei). Sie übernimmt das Erbe «volksverbunden, aber nicht konfessionell» der italienischen, von Luigi Sturzo zwischen den beiden Weltkriegen gegründeten Partei. Er hatte das C nicht explizit im Namen erwähnt, liess sich aber in den Statuten seiner Partei vom Christentum inspirieren. ■
filippo lombardi ist ständerat des kantons tessin, Journalist und Direktor des Privatfernsehens teleticino. Sonderausgabe
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Yannick Buttet
Ivo Bischofberger
GottFrieD Keller – genius Der freiheit unD Des föDeralisMus
Am 5. November 1840 unterzeichneten Vertreter einer konservativen Volksbewegung im Wirtshaus Rössli im luzernischen Ruswil die bekannte «Ruswiler Erklärung». Die später daraus hervorgegangene Katholisch-Konservative Partei nahm in den Wirren des Kulturkampfes eine kirchenfreundliche und in der national-staatlichen Frage eine pointiert föderalistische Haltung ein und grenzte sich dadurch von der liberalen Mehrheit des 1848 gegründeten Bundesstaates klar ab. All die Ereignisse um und nach 1840 liessen den vorerst noch stummen Zeitgenossen Gottfried Keller nicht unberührt … «In der Sprache, mit der man geboren, welche die Väter gesprochen, denkt man sein ganzes Leben lang.» Geboren 1819 war für Gottfried Keller die politische Gesinnung seines früh verstorbenen Vaters prägend. Immer wieder wurde er im engeren Bekanntenkreis daran erinnert, dass sein Vater Rudolf ein aktiver Parteigänger der liberalen Bewegung war, welche gegen die restaurative Politik der alten städtischen Eliten mobil machte und sich vehement um freiheitliche und föderalistische Strukturen bemühte. «In der Sprache, mit der man geboren, welche die Väter gesprochen, denkt man sein ganzes Leben lang.» Und so ist es nicht verwunderlich, dass der knapp 15-jährige Schüler Gottfried Keller durch die Aufsichtskommission aus der kantonalen Industrieschule ausgeschlossen wurde. Er hatte an einem Aufmarsch teilgenommen, den ältere Schüler nach dem Muster der damals in der politisch bewegten Schweiz häufigen Putsche veranstalteten. Dabei wollte es der Zufall, dass es vor dem Hause eines pädagogisch unqualifizierten und politisch missliebigen Lehrers zu lärmenden Szenen kam und der junge Gottfried «als Rädelsführer erkannt wurde». «Aus einem vagen Revolutionär und Freischärler à tout prix habe ich mich an ihnen zu einem bewussten und besonnenen Menschen herangebildet…» Die «vom Schicksal aufgezwungenen Lehr- und Wanderjahre» formten Gottfried mehr und mehr auch politisch. So nahm er 1844 und 1845 an den beiden Zürcher Freischarenzügen nach Luzern teil. Nach der Niederwerfung des Sonderbundes 1847/48 erlebte Gottfried Keller einhergehend mit dem staatlichen Umbau der Schweiz eine «innere Wandlung». Die Tätigkeit der Gründer des modernen Bundesstaates, Jonas Furrer und Alfred 60
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Escher, welche er von einem Volontariat auf der Zürcher Staatskanzlei her kannte, hatte ihn tief beeindruckt: «Ich bin ganz im geheimen diesen beiden Männern viel Dank schuldig. Aus einem vagen Revolutionär und Freischärler à tout prix habe ich mich an ihnen zu einem bewussten und besonnenen Menschen herangebildet, der das Heil schöner und marmorfester Form auch in politischen Dingen zu ehren weiss und Klarheit mit der Energie, möglichste Milde und Geduld, die den Moment abwartet, mit Mut und Feuer verbunden wissen will.» «Was die jetzige Schweiz bedarf» Keller hatte erkannt, dass die Bundesverfassung von 1848 kein Siegerdiktat, sondern einen Ausgleich zwischen zentralistischen und föderalen Bestrebungen darstellte, der gerade die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Kantone betonte. Oder wie es der zeitgenössische Bericht der Revisionskommission vom April gleichen Jahres festhielt: «Ein Föderativsystem, welches die beiden Elemente, die nun mal in der Schweiz vorhanden sind, nämlich das nationale oder gemeinsame und das kantonale oder besondere achtet, welches jedem dieser Elemente gibt, was ihm im Interesse des Ganzen oder seiner Teile gehört, welches sie verschmelzt, vereinigt, welches die Glieder dem Ganzen, das Kantonale dem Nationalen unterordnet, indem sonst keine Eidgenossenschaft möglich wäre und die Kantone an ihrer Vereinzelung zugrunde gehen müssten: – das ist’s, was die jetzige Schweiz bedarf.» Die politische Seite der Person Gottfried Keller fand in seinem Schreiben tiefen Niederschlag und gründete auf seiner ausgeprägten Vaterlandsliebe. Aufgrund einschlägiger und zum Teil schmerzlicher Lebenserfahrungen wurde er in der Folge zu ei-
nem überzeugten Demokraten, dem es in seiner Tätigkeit vorab darum ging, eben diesem «jungen demokratischen Pflänzlein» zu seinem Recht zu verhelfen und immer dort einzuschreiten, wo sich «eine Regierung allzu stark vom Volk entfernte oder zu selbstgefällig wurde». Keller scheute sich auch nicht, seine eigenen Parteifreunde zu massregeln, wenn sie demokratische Ideale mit Füssen traten. Ja, es war ihm auch nicht zuwider, die aufkommenden Sozialdemokraten zu unterstützen, wenn er «hinter deren politischen Aktivitäten hehre demokratische Absichten» erkennen konnte. Er stellte sich je länger je mehr auch der Herausforderung des aufkommenden Materialismus und
enburger, Graubündner und Basler gibt, ja sogar zweierlei Basler! Dass es eine Appenzeller Geschichte gibt und eine Genfer Geschichte; diese Mannigfaltigkeit in der Einheit, welche Gott uns erhalten möge, ist die rechte Schule der Freundschaft, und erst da, wo die politische Zusammengehörigkeit zur persönlichen Freundschaft eines ganzen Volkes wird, da ist das Höchste gewonnen; denn was Bürgersinn nicht ausrichten sollte, das wird die Freundesliebe vermögen, und beide werden zu einer Tugend werden!» Mit Blick auf die 100-jährige Schaffenszeit der CVP Schweiz wird der Dichter Gottfried Keller – vielleicht nolens volens – zum Verfechter der Werte, welche die politische Tätigkeit ihrer Vertreterinnen und Vertreter prägte und weiterhin prägen soll, ja prägen muss. Oder wie es Alfred Zech in seiner Arbeit über diesen Dichter formuliert: «In Dingen der allgemeinen Kultur nach allen Seiten aufgeschlossen sein, in der Politik an schweizerischer Freiheit und Selbstbestimmung festhalten, die Eigenart der Heimat und ihrer Bewohner von ganzem Herzen lieben, aber ihre Fehler nicht übersehen oder in Tugenden verwandeln
«Keine Regierung und keine Bataillone vermögen Recht und Freiheit zu schützen, wo der Bürger nicht im Stande ist, selber vor die Haustür zu treten und nachzuse hen, was es gibt.» Gottfried keller
unterstütze jeden Widerstand, solange dieser «nicht vom Neid der Besitzlosen erfüllt, sondern von den hohen Idealen der Demokratie geleitet wurde». «… diese Mannigfaltigkeit in der Einheit, welche Gott uns erhalten möge …» Schliesslich gipfelten all seine Bemühungen in der Novelle «Das Fähnlein der sieben Aufrechten», der ersten im Rahmen der Züricher Novellen. Im allgemein von der Literaturkritik als «die politischste und patriotischste» anerkannte Erzählung formuliert Gottfried Keller im Herzstück der Novelle, in der Rede des jungen Karl Hedinger, sein föderalistisches Glaubensbekenntnis: «Wie kurzweilig ist es, dass es nicht einen eintönigen Schlag Schweizer, sondern dass es Zürcher und Berner, Unterwaldner und Neu-
freischaren mit gottfried keller als trommler. karikatur von Johannes ruff, 1845.
– das ist Gottfried Kellers vaterländisches Bekenntnis, und in diesem Sinne dürfen wir ihn allezeit als den guten Genius der Schweiz anrufen.» ■
ivo bischofberger ist promovierter Historiker und Germanist, war Rektor des Gymnasiums Appenzell und ist Ständerat von Appenzell Innerrhoden. Sonderausgabe
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Peter Hänni
hat Der schWeiZerische FöDeralismus eine zukunft?
Wenn es darum geht, Ausländerinnen und Ausländern die Besonderheiten des schweizerischen Bundesstaates zu erläutern, wird das Stichwort «Föderalismus» gerne in einem Zug mit der direkten Demokratie, der Mehrsprachigkeit sowie der stark ausgebildeten Kompromisskultur erwähnt. Diese Elemente machen in ihrer Gesamtheit zu einem grossen Teil die Eigenheiten unseres Staates aus, die kaum bestritten sind. Wenn wir den Blick aber gegen Innen wenden, ist die Wahrnehmung oft viel kritischer, gerade was den Föderalismus betrifft. Oft und gerne wird in den Medien das Bild eines leicht hinterwäldlerisch organisierten Staates gezeichnet. In besonders krassen Fällen spricht man dann vom Kantönligeist. Nachstehend soll der Frage nachgegangen werden, ob der schweizerische Föderalismus eine Zukunft hat und welchen Herausforderungen er sich ausgesetzt sieht.
im Jahre 1848 hat keine einzige Kantonsfusion stattgefunden, im Gegenteil, im Jahre 1979 wurde die Anzahl der Kantone mit der Schaffung des Kantons Jura auf 26 erhöht. Alle Versuche, die territoriale Gliederung auf Kantonsebene neu zu gestalten, scheiterten schon in einem frühen Anfangsstadium (Genf/ Waadt, Basel-Stadt/Basel-Landschaft). Auch hier lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit absehen, dass daran in naher ZuDie Schweiz zählt 26 Kantone, die je ihre eigene Verfassung hakunft kaum etwas ändern wird, selbst wenn auf dem Papier imben, sie leistet sich 26 Kantonsregierungen und ebenso viele mer wieder neue Modelle einer anderen (als vernünftiger bekantonale Parlamente. Daneben bestehen noch immer rund zeichneten) territorialen Gliederung vorgestellt werden. Auf 2500 Gemeinden. Es stellt sich die Frage, ob dieses Modell mit Kantonsebene wird deshalb zur Lösung interkantonaler Probleeiner starken räumlichen Gliederung zukunftsfähig ist. Auf der me mit Zusammenarbeitsverträgen gearbeitet. Das mag zwar Gemeindeebene sind die Dinge in Bewegung geraten, verim Widerspruch zur reinen Lehre stehen und da und dort auch schwanden doch in den letzten zehn Jahren mehr als 300 Gesogenannte Demokratiedefizite mit sich bringen, doch die Bürmeinden im Zuge von Gemeindefusionen. Dieser Trend wird gerinnen und Bürger nehmen diese Nachteile in Kauf, solange anhalten und es bedarf keiner besonderen hellseherischen die Existenz ihres Kantons nicht grundsätzlich in Frage gestellt Fähigkeiten, um die Prognose zu wagen, dass im Jahr 2020 wohl wird. Vor diesem Hintergrund ist eher anzunehmen, dass die weniger als 2000 Gemeinden gezählt werden. Wachsende MoKantone weiterhin mit pragmatischen Ansätzen versuchen werbilität, Abschwächung des Milizgedanden, die anstehenden Fragen zu lösen. kens und die gestiegenen Ansprüche und Das ist zwar nicht visionär, doch ist des«Wenn es darum geht, Erwartungen der Bürgerinnen und Bürwegen die Zukunftsfähigkeit der schweimehrere Ethnien, Sprach zerischen Spielart des Föderalismus nicht ger ihren Gemeindeverwaltungen gegenüber lassen sich als wichtige Gründe diein Frage gestellt. und Religionsgemein ser Entwicklung ausmachen. schaften, urbane und solidarität und ländliche Gebiete unter steuerwettbewerb Keine Fusionen einem Dach in Frieden zu Im Vergleich zu ausländischen Beispieauf Kantonsebene Während also auf Gemeindeebene die len föderalistisch organisierter Staaten versammeln, sollten wir Kleinräumigkeit als Problem wahrge(beispielsweise Bundesrepublik Deutschunsere Erfahrungen mit nommen wird, scheint dies auf Kantonland) verfügen die schweizerischen Kanall jenen teilen, die sich sebene in keiner Art und Weise zuzutreftone über eine erhebliche Autonomie dafür interessieren.» fen: Seit der Gründung des Bundesstaates im Bereich der Finanzen und Steuern. Peter Hänni
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Dieser Umstand bringt es mit sich, dass einzelne Kantone zwar im Rahmen des Finanzausgleichs Solidarität einfordern, jedoch der Versuchung nicht immer widerstehen können, im Steuerwettbewerb mit anderen Kantonen einen har ten Kurs zu fahren. Allerdings haben sich die Gemüter seit dem wegweisenden Urteil des Bundesgerichtes im Falle des degressiven Obwaldner Steuertarifs wieder etwas beruhigt. Ganz allgemein scheint sich die Einsicht durchgesetzt zu haben, dass Standort- und Steuerwettbewerb zwar im System selber angelegt oder sogar erwünscht sind, eine rücksichtslose Handhabung jedoch keine nachhaltigen Ergebnisse hervorbringt, für Irritationen unter den Kantonen sorgt und ihre Steuerautonomie längerfristig unterminiert.
Verbundaufgaben von bund und Kantonen Im Rahmen der grössten je unternommenen Föderalismusreform in der Schweiz, dem Neuen Finanzausgleich (NFA), sollten die Aufgaben, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zwischen Bund und Kantonen entflochten werden, die Finanzflüsse transparenter gemacht und die Rolle der Kantone im Bundesstaat damit gestärkt werden; Verbundaufgaben sollten die Ausnahme sein. Das ist zweifellos zu einem beachtlichen Teil auch gelungen. Es lässt sich indessen nicht verkennen, dass in einem zentralen staatlichen Aufgabenbereich, dem sogenannten Bildungsraum Schweiz, neue Strukturen geschaffen worden sind, die dem Grundgedanken des NFA zuwiderlaufen und die den Beweis der Praxistauglichkeit noch erbringen müssen. modell für europa und die Welt? Die Schweiz sollte nicht so vermessen sein, ihre Staatsorganisation anderen staatlichen Gemeinschaften als Modell anzupreisen oder anzudienen. Hingegen lässt sich nicht bestreiten, dass zahlreiche ausländische Staaten ein erhebliches Interesse bekunden, mehr über den schweizerischen Föderalismus zu erfahren. Diese Tatsache steht in einem bemerkenswerten Spannungsverhältnis mit der eingangs geschilderten medialen Binnenwahrnehmung unseres Föderalismus und der dabei unterstellten Rückständigkeit und Sperrigkeit in einer globalisierten Welt einerseits und dem gerade wegen der Globalisierung wachsenden Interesse am schweizerischen Föderalismus anderseits. Demokratie, Rechtsstaat, leistungsfähige Regierungen und Verwaltungen kennen auch zahlreiche andere Staaten, die
Schweiz ist einfach ein Beispiel unter vielen. Wenn es aber darum geht, mehrere Ethnien, Sprach- und Religionsgemeinschaften, urbane und ländliche Gebiete unter einem Dach in Frieden zu versammeln, dann sollten wir unsere Erfahrungen mit all denen teilen, die sich dafür interessieren. Das trifft für eine grosse Zahl afrikanischer, arabischer und asiatischer Staaten zu, die sich vor schwierige Herausforderungen gestellt sehen, sind doch ihre territorialen Grenzen ein Erbe des europäischen Kolonialismus, der kaum je Rücksicht genommen hat auf vorbestehende ethnische, sprachliche oder religiöse Unterschiede. Hier kann und soll die Schweiz einen Beitrag zur Friedenssicherung und zur Entwicklung angemessener staatlicher Strukturen und Institutionen leisten. ■ Peter hänni ist Professor für Staats und Verwaltungsrecht an der Universität Freiburg und Direktor des Instituts für Föderalismus. Sonderausgabe
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David Luginbühl
Von Der schicksalsgeMeinschaft Presse unD Partei
Zu Beginn der 1980er-Jahre sprach der damalige Präsident der CVP Schweiz bei einem Treffen von Parlamentariern und Zeitungsverlegern von einer «Schicksalsgemeinschaft» von Presse und Partei. 2012 kann die CVP ihr 100-JahrJubiläum feiern. Die «CVPPresse» ist hingegen aus dem Markt der Tageszeitungen verschwunden. 1991 erschien die letzte Ausgabe der Luzerner Tageszeitung Vaterland, dem einstigen Flaggschiff der CVP-Presse der deutschsprachigen Schweiz. Die erste Ausgabe des Vaterland erschien am 1. Oktober des Kulturkampfjahrs 1871. Sie ersetzte die seit 1833 erschienene Luzerner Zeitung. Der Untertitel «Konservatives Zentralorgan für die deutsche Schweiz» machte deutlich, dass die Gründer eine Zeitung mit überregionaler Ausstrahlung anstrebten. Als Pendant in der Westschweiz erschien am gleichen Datum erstmals die heute noch bestehende La Liberté. Die Freiburger Gründung legte den Akzent stärker auf den religiös-kirchlichen Bereich und bezeichnete sich im Untertitel als «Journal catholique quotidien».
werden kann. Vor Wahlen setzten sie sich für die jeweiligen konservativen und christlichsozialen Kandidaten ein, katholische Vereine machten auf Veranstaltungen aufmerksam, im Feuilleton wurde katholische Literatur besprochen. Ein Abonnement bedeutete ein politisches Bekenntnis, die Abonnentenkartei ersetzte in gewisser Weise das nicht vorhandene Mitgliederregister der Parteien.
Vaterland und Liberté bildeten die Flaggschiffe einer expandierenden katholisch-konservativen Presse. Als weitere bedeutende Gründungen können das Basler Volksblatt (1873), die Ostschweiz in St.Gallen (1874) und später die Neuen Zürcher Nachrichten (1904) genannt werden. Die sprachliche, kantonale und politische Vielfalt des «politischen Katholizismus» drückte sich in einer feingliedrigen parteinahen Presselandschaft aus.
Der Begriff «Parteipresse» kann in die Irre führen. Wie die übrigen CVP-Zeitungen war auch das Vaterland nicht im Besitz der Partei, weder der kantonalen noch der nationalen, die es 1871 noch nicht gab und an deren Gründung der VaterlandRedaktor Josef Winiger massgeblichen Anteil hatte. Herausgegeben wurde es von einer Aktiengesellschaft, deren Aktionäre sich aus dem Umfeld der Partei rekrutierten. Der Verwaltungsrat setzte sich bis in die 1990er-Jahre in erster Linie aus Parteigrössen des Verbreitungsgebiets zusammen.
abonnement als politisches bekenntnis Diese Zeitungen wurden zu institutionellen Pfeilern dessen, was mit Urs Altermatt als «katholische Subgesellschaft» bezeichnet
enge Verflechtung Eine Momentaufnahme aus der Mitte der 1950er-Jahre macht deutlich, wie stark die politischen Verflechtungen auch auf der
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«Das Verschwinden parteinaher Tageszeitungen hatte für die Parteien tiefgreifende Folgen. Der Kampf um die Aufmerksamkeit politisch unab hängiger Medien zwang zu einer Professionalisierung der Kommuni kation und neuen Formen der Öffent lichkeitsarbeit.» David luginbühl
Ebene der Redaktion waren. Als Bundeshausredaktor wirkte Generalsekretär Martin Rosenberg. Mit Nationalrat Karl Wick und Ständerat Franz Karl Zust waren zwei eidgenössische Parlamentarier vertreten, mit Carl Mugglin ein nachmaliger Regierungsrat. Komplettiert wurde die Redaktion durch Otto Schmid, der als kantonaler Parteisekretär eingetreten war, und Joe Niderberger, der den unpolitischeren Teil der Zeitung betreute. Carl Mugglin meinte 1973 rückblickend auf seine Tätigkeit als Vaterland-Redaktor: «Damals war alles noch schön eingeteilt: Auf der einen Seite die Kirche, auf der anderen Seite die Partei.»
«V» verschwand zugunsten eines Titelkopfs, der sich an jenem des 19. Jahrhunderts orientierte. Parteipolitische Aktivitäten von Vaterland-Redaktoren waren inzwischen zur Ausnahme geworden.
überlebenskampf der cVP-Presse Zu einer Herausforderung für die CVP-Presse entwickelte sich seit den späten 1960er-Jahren die Pressekonzentration, von welcher parteinahe Blätter besonders betroffen waren. In Politik und Wissenschaft wurde diese Entwicklung mit grösster Besorgnis registriert. Der Historiker Erich Gruner bezeichnete die parteinahe Meinungspresse in seinem Standardwerk über die politischen Parteien als «unentbehrlich» für die öffentliche Meinungsbildung in der Demokratie. Es herrschte Alarmstimmung ob dem Kahlschlag im «Bannwald der Demokratie». Die CVP-Presse diskutierte vor diesem Hintergrund eine verstärkte Zusammenarbeit. Rund um das Vaterland entstand ein komplexes Kooperationssystem, das von gemeinsamen Beilagen über Mantellieferungen bis hin zum Druck der Partnerzeitungen in Luzern reichte. Dieses Kooperationssystem erwies sich letztlich als nicht zukunftsfähig. Vielerorts kam es in der Folge zu Fusionen ehemaliger regionaler Konkurrenten, so auch in Luzern: 1991 fusionierten das Vaterland und das freisinnige Luzerner Tagblatt. Seit 1971 hatten die beiden Zeitungen bereits im Inseratesektor kooperiert. Diese Zusammenarbeit hatte damals noch heftige Reaktionen hervorgerufen. Die Fusion hingegen ging beinahe widerstandslos über die Bühne. 1995 schliesslich folgte die Fusion mit den Luzerner Neuesten Nachrichten zur Neuen Luzerner Zeitung.
Die enge Verflechtung von Journalismus, Parteipolitik und Kirche erschien später jedoch vielerorts problematisch. Bereits 1964 veranstaltete die Arbeitsgemeinschaft der katholischen Presse einen Fortbildungskurs mit dem Titel «Hat die Gesinnungspresse noch eine Chance?» Auch die Synode 72 beschäftigte sich mit dem Thema der katholischen Presse und ihrer Nähe zur CVP. Das Vaterland reagierte auf diese Diskussionen mit einer zunehmenden Distanz zur Partei. Zwei Zäsuren stechen hervor: 1971, im Zuge der nachkonziliären Aufbruchsstimmung und der Umbenennung der CVP, wurde die Redaktion stark verjüngt. Unter der Leitung von Otmar Hersche setzte sich diese wohlwollend-kritisch mit der CVP auseinander – zu kritisch, wie einige Parteiexponenten 1973 meinten. In Opposition zu den nationalen Gremien hatte sich das Vaterland für die Bundesratskandidatur von Hans Hürlimann eingesetzt, der dann auch gewählt wurde. Grafisch schlug sich diese Aufbruchsstimmung in einem neuen Titelkopf nieder, das rote «V» wurde zum Markenzeichen des erneuerten Vaterland. Der Untertitel «Zentralorgan» wurde ins Impressum verbannt.
medienwandel – Parteienwandel Das Verschwinden parteinaher Tageszeitungen hatte für die Parteien tiefgreifende Folgen. Der Kampf um die Aufmerksamkeit politisch unabhängiger Medien zwang zu einer Professionalisierung der Kommunikation und neuen Formen der Öffentlichkeitsarbeit. Doch die Bedeutung der medialen Transformationen reicht über diesen Kommunikationsaspekt hinaus. Mit der Verlagerung des Wahlkampfs aus der Parteipresse in die Arenen der nationalen elektronischen Medien haben sich auch die Parteien verändert. Die weit über die Nachkriegszeit hinein die Printmedienlandschaft prägenden parteinahen Zeitungen waren nie nur politische, sondern immer auch stark regional und lokal geprägte Medien. Wahlkämpfe wurden weniger von nationalen Strategien als von historischen und kleinräumigen Rivalitäten geprägt. Die gegenwärtige Nationalisierung der Parteien muss auch vor dem Hintergrund dieses Transformationsprozesses verstanden werden. ■
1983 kam es zum öffentlichen Bruch. Chefredaktor Hermann Schlapp wollte das Vaterland wertkonservativer machen und gleichzeitig klar von der Partei abgrenzen. Die Zeitung durfte nach Schlapp «kein PR-Blatt für CVP-Politiker» sein. Die Bezeichnung «Zentralorgan» wurde gänzlich aufgegeben, das rote
David luginbühl ist Diplomassistent im Bereich Zeitgeschichte an der Universität Freiburg. 2007 ist von ihm im Verlag Academic Press Fribourg erschienen: «Vom ‹Zentralorgan› zur unabhängigen Tageszeitung? Das ‹Vaterland› und die CVP 1955–1991.» Sonderausgabe
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Leonard Röösli
JoseF ZemP «eidgenössischer Gedanke» Als Bundesrat – er stand sechs freisinnigen Bundesräten gegenüber – übernahm Josef Zemp das Post- und Eisenbahndepartement. Die Entwicklung in der Schweiz – finanzielle Zusammenbrüche; politischer Druck aus dem Deutschen Reich und aus Italien; spekulative Kapitalbeteiligungen – veranlassten ihn, seine ursprünglich ablehnende Haltung zu Verstaatlichungsabsichten zu ändern. Trotz heftigem Widerstand aus seinen eigenen Reihen ging er Schritt für Schritt den Weg der Verstaatlichung. In einem Referat über die Abstimmungsvorlage vom 20. Februar 1898 in Entlebuch argumentierte er: «Es handelt sich darum, die fünf in den Händen der Privatgesellschaften liegenden Bahnen, welche dirigiert werden von Ausländern, zu vereinigen in der Hand der Eidgenossenschaft, damit sie als ein bedeutendes Verkehrsmittel dem Lande selbst dienen können. Ist das nun ein frevelhafter Gedanke, dass wir in der Schweiz die Bahnen betriebstüchtig zu machen versuchen zum Nutzen des Landes und nicht mehr zum Nutzen des Auslandes? Das ist ein eidgenössischer Gedanke, das ist nicht ein politischer Gedanke! … Rings um uns herum vollzieht sich die Verstaatlichung der Eisenbahnen, weil, wie ein Minister eines europäischen Grossstaates verkündete, die Leistungsfähigkeit des Eisenbahnwesens im grossen wirtschaftlichen Wettstreit, den man Krieg nennen kann, die Geschicke bestimmen wird.»
Im Jahre 1891 wurde der Entlebucher Josef Zemp als erster Katholisch-Konservativer in den Bundesrat gewählt. Dabei hatte er ursprünglich nie die Absicht gehabt, sich politisch zu betätigen. Er sei dazu nicht begabt, meinte er. Josef Zemp’s Wahl in den Luzerner Grossen Rat 1863 erfolgte deshalb fast zufällig. Doch dann wurde der junge Anwalt eine der treibenden Kräfte, die im Kanton Luzern den politischen Umschwung von der radikal-liberalen zur katholisch-konservativen Mehrheit herbeiführte und festigte. Auch seine Wahl in den Nationalrat 1872 erfolgte eher zufällig. Danach stieg er rasch zu einer der markanten Führungsfiguren in Parlament und Fraktion auf. In den Auseinandersetzungen um die Geburtswehen des Bundesstaates 1848 und der angestrebten Gesamtrevision der Bundesverfassung bis 1874 verfolgte Josef Zemp zwei Ziele: ein Bundesstaat mit föderalem Aufbau und das Referendum als direkt-demokratisches Instrument. 66
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Vater der sbb Bundesrat Josef Zemp gelang es, Parlament und Volk für eine Sache zu gewinnen, die später als Sternstunde schweizerischer Politik bezeichnet wurde. Zur Jahrhundertwende wurden somit die «Schweizerischen Bundesbahnen» gegründet. Aus einer gestärkten Position heraus gelang es ihm, die ersten grossen europäischen Alpentransversalen Gotthard und Simplon unter schweizerische Hoheit zu bringen. Heute wissen wir, welche volkswirtschaftliche, politische und strategische Bedeutung die Schweizerischen Bundesbahnen im vergangenen 20. Jahrhundert hatten und weiterhin haben werden. Was Josef Zemp in seinem politischen Wirken auszeichnete: unverrückbarer Standort im Grundsätzlichen, Aufgeschlossenheit und Offenheit den Entwicklungen und Strömungen seiner Zeit gegenüber, ohne sich in deren Fahrwasser treiben zu lassen. ■ leonard röösli ist der Urenkel von Bundesrat Josef Zemp und Onkel von Nationalrätin Ida GlanzmannHunkeler. Er hat in Freiburg die Rechte studiert und war auf verschiedenen Gebieten im In und Ausland tätig.
Reto Nause
staDt ohne kaMine
Ich habe eine Vision: Sie zeigt die Stadt Bern aus der Vogelperspektive. Im Vordergrund das grüne Band der Aare, das sich um die Altstadt schlängelt, im Hintergrund Münsterspitze und Bundeshaus-Kuppel. Vor allem zeigt sie Häuser ohne Kamine. Doch alles der Reihe nach. Am 28. November 2010 haben die Berner Stimmberechtigten entschieden, dass die Stadt bis spätestens 2039 aus der Atomenergie aussteigen soll. Für den städtischen Energieversorger Energie Wasser Bern bedeutet der Entscheid einen eigentlichen Kraftakt: In den kommenden Jahren wird das Unternehmen mehrere hundert Millionen Franken investieren, damit der Umbau der Energieproduktion gelingt, die heute zu fast 60 Prozent auf Strom aus Kernkraftwerken basiert. Wie ist das überhaupt zu schaffen? Seit vor einem Jahr auch der Bund den Atomausstieg beschlossen hat, treibt diese Frage die gesamte Schweiz um.
städte als treibende Kraft Wir müssen unseren Umgang mit Energie unter die Lupe nehmen und die Energieproduktion insgesamt kritisch beleuchten. Und da spielen Städte und Gemeinden eine zentrale Rolle: Ob der Atomausstieg gelingt, entscheidet sich letztlich hier. Die Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern, die kurzen Entscheidungswege, aber auch der enge Kontakt zur lokalen Wirtschaft macht gerade Städte zur treibenden Kraft bei der künftigen Energiepolitik. So hat etwa die Stadt Bern mit dem Energierichtplan, der sich zurzeit in der Vernehmlassung befindet, erstmals aufgezeigt, wie die Bundesstadt ihr Ziel einer nachhaltigen Energieversorgung langfristig erreichen will. Der Richtplan gibt Leitplanken für die städtische Strom- und Wärme-
versorgung der nächsten zwanzig Jahre vor und zeigt mögliche Massnahmen auf. Dabei werden Raumplanung und Energienutzung so aufeinander abgestimmt, dass das lokal und regional verfügbare Energieangebot besser ausgeschöpft wird. Vorgesehen ist, dass die Wärme, die bisher zu 90 Prozent aus fossilen Energieträgern wie Erdöl und Erdgas gewonnen wurde, künftig zu 70 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen stammt. Mit einer besseren Isolation der Gebäudehüllen soll Heizenergie gespart werden. Ausserdem sollen Sonnenkollektoren installiert, das Fernwärme-Netz ausgebaut und vermehrt Wärmepumpen eingesetzt werden.
ohne Diskussionen geht es nicht Private Hausbesitzer zu einer Sanierung ihrer Liegenschaften zu motivieren ist schwierig. Und man kann auch niemanden verpflichten, auf seinem Dach eine Solarstromanlage zu installieren – es sei denn, Teile des Richtplans würden in die baurechtliche Grundordnung der Stadt überführt und damit für alle verbindlich. Nicht leicht zu realisieren werden auch die angedachten Anpassungen in der bisherigen Netzausbaustrategie beim Gas sein, denn sie sind mit Investitionen verbunden. energiewende als chance Die Energiewende bringt aber auch grosse Chancen mit sich. Verringerung der Ausland-Abhängigkeit, verstärkte lokale Wertschöpfung und neue Arbeitsplätze in der Schweiz sind nur einige Stichworte dazu. Zudem wird die Energiewende zu neuen Partnerschaften zwischen Stadt und Land führen. Nicht nur Bern, auch andere Städte haben sich in der Schweiz für eine nachhaltige Energiepolitik entschieden. Das heisst, dass sie vermehrt in erneuerbare Energien investieren wollen. Diese finden sie nicht zuletzt im Berggebiet, etwa bei der Wasserkraft wie das Beispiel Grimsel zeigt. Dies bedingt, dass sich Stadt und Land künftig auf neue Zusammenarbeitsformen verständigen, von denen beide Seiten profitieren. ■ reto nause ist ehemaliger Generalsekretär der CVP Schweiz, Gemeinde rat und Energiedirektor der Stadt Bern. Sonderausgabe
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Pirmin Meier
Kurt FurGler – staatsMann aus einer ePoche Des aufbruchs Die Art und Weise, wie Kurt Furgler, CVPBundesrat von 1971 bis 1986, den Tarif des Politisierens in der Schweiz neu erklärte, erstmals auch über das Mittel des Fernsehens, machte den St.Galler zur wohl stärksten Persönlichkeit in der Politik der neueren Schweiz. Die Bezeichnung «Staatsmann» kommt ihm in einer historischen Dimension zu, wie man sie in der Geschichte der Partei nur noch Josef Zemp (1834–1908) und Giuseppe Motta (1871– 1940) zusprechen mag. Dabei war der Staatsmann Zemp primär Innenpolitiker, Motta Aussenpolitiker von europäischem Zuschnitt. Kurt Furgler war beides und wohl bis heute der international angesehenste Schweizer Politiker.
Von beeindruckender autorität Innenpolitisch hatte Furgler sehr viel mit dem Ausländerrecht zu tun, sei es die bekannte «Lex Furgler» betreffend den Erwerb von Grundstücken, sei es das in einer Volksabstimmung gescheiterte Ausländergesetz, seien es in den Siebzigerjahren die epischen Auseinandersetzungen etwa mit James Schwarzenbach. Furgler brachte, als Chef des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, eine Reformmaschine unschweizerischen Zuschnitts in Gang: Revision des Kindsrechts, des Eherechts, des Adoptionsrechts, eine verstärkte Raumplanung, neues Asyl68
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recht, neues Zivilschutzkonzept, neuartige Bundessicherheitspolizei (Busipo), Verschärfung des Strafrechts, internationale Rechtshilfe und die vor allem in der Westschweiz gescheiterte Vorlage einer Bundessicherheitspolizei. Als staatsmännischer Vermittler und Gestalter von beeindruckender Autorität erwies sich Kurt Furgler in der erfolgreich abgeschlossenen Lösung der während Generationen schwelenden Jurafrage. Selbst in der zeitweilig höchst umstrittenen Frage der Totalrevision der Bundesverfassung, kam es nachträglich – unter Arnold Koller – zu einem Achtungserfolg (1999).
handeln nach Prinzipien Furgler wollte indes nicht nur Recht behalten, ihm ging es – innerhalb und ausserhalb der Partei – um das Überzeugen. Politische Mitte bedeutete für ihn keine zeitgeistige Anpassung an den Mainstream, sondern, wenn schon, nach Aristoteles, im Sinne praktischer Vernunft «das Äusserste, was einer erreichen kann». Handeln nach Prinzipien, orientiert nach Problemlösung und insgesamt nach der besseren der gegebenen Möglichkeiten. Weil Kurt Furgler sich nie mit der Politik begnügen wollte, die ohnehin geschieht, musste er mehr politische Niederlagen einstecken als der Durchschnitt schnell zu vergessender Bundesräte. Er war auch der einzige, der – aus Gewissensgründen, in der Abtreibungsfrage – in den Ausstand trat. In diesem Sinn profilierte sich Kurt Furgler vor dem Gericht der Geschichte als ein exemplarischer Schweizer Politiker mit christlicher Wertorientierung. ■
Pirmin Meier
hans hürlimann – huManistisch orientierter Politiker Das Hauptprofil von Bundesrat Hans Hürlimann lag klar in der Bildungspolitik. In dieser Hinsicht wurde er der wohl bedeutendste CVP-Politiker des 20. Jahrhunderts. Über Hans Hürlimann und Kurt Furgler vermerkte der damalige Generalsekretär der CVP, Hans Peter Fagagnini: «Die beiden CVP-Bundesräte hätten nicht verschiedener sein können, und doch haben sie je auf ihre Weise uneingeschränkt positiv für die Allgemeinheit gewirkt. Ihre ureigene Heimat prägte sie mehr als die Position eines Obersten der Schweizerarmee, die sie neben einer kinderreichen Familie, Beruf und Politik auch noch innehatten. Hans Hürlimann, nicht der Strahlemann und auch nicht derjenige, der den Stachel zeigt, war Regierungsmann durch und durch. Als Sozial- und Bildungsminister führte er mit sicherer Hand.» Hans Hürlimanns Wahl in den Bundesrat selbst gegen einen so hochbegabten Konkurrenten wie Leo Schürmann erwies sich als Glücksfall. 1973 war es nämlich im höchsten Grade fällig, dass das Departement des Innern, zuvor von AHV-Legende Hans Peter Tschudi geführt, von einem Bildungspolitiker übernommen wurde. Als Zuger Bildungsdirektor hatte Hürlimann 1965 die Innerschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz mitbegründet, zwischen 1968 und 1973 die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) geleitet,
notabene zu einer Zeit, da eidgenössische Schulkoordination noch ein Fremdwort zu sein schien. In harter Klein- und Überzeugungsarbeit setzte er 1970 das Konkordat über die Schulkoordination durch, wurde in jenem Jahr auch Mitglied des Schweizerischen Schulrates (ETH), eine Aufgabe, in welcher 120 Jahre zuvor der Innerschweizer Revolutionär Jakob Robert Steiger (1801–1862) geglänzt hatte. Als Bundesrat nahm sich Hürlimann des Hochschulförderungsgesetzes an, setzte auch die Forschung auf einen der oberen Prioritätenplätze in der Bundespolitik. Hans Hürlimann hat Bildung nicht nach einem läppischen Schlagwort als «Rohstoff» der Schweiz verkauft, war er doch selber einer der gebildetsten Politiker seiner Generation. Leidenschaftlich gern las er Biographien. Im Aufbau seiner Reden orientierte er sich nach Cicero. Er hatte nicht einmal Angst davor, sich mit der Forderung nach der Dreikind-Familie dem Image eines Patriarchen auszusetzen. Der Sohn eines Schmiedemeisters im zugerischen Walchwil und ehemalige Stiftsschüler von Einsiedeln war ein fortschrittlicher Innenminister. Aber das «alte Wahre», um es mit Goethe auszudrücken, hatte es ihm zeitlebens angetan. Ich habe nie im Leben einen so vertrauenswürdigen Politiker gekannt wie Hans Hürlimann. ■ Pirmin Meier ist Erwachsenenbildner und Schriftsteller. Seine Haupt werke sind Biographien über Paracelsus und Bruder Klaus. Beim Schwei zer Fernsehen war er kürzlich bei Sternstunde Religion über die religiöse Volkskunde im Alpenraum zu sehen. Sonderausgabe
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Ida Glanzmann-Hunkeler
sicherheitsPolitik iM 21. JahrhunDert Schweizerinnen und Schweizer haben ein Recht auf Sicherheit und fordern dies mit all den vielen aktuellen Gefahren und Risiken, denen wir im heutigen Umfeld ausgesetzt sind. Um diese Sicherheit zu gewährleisten, sind der Staat und die Gesellschaft gefordert. Die Angst um Angehörige und die Besorgnis um die eigene Sicherheit stehen bei vielen Leuten an erster Stelle bei Befragungen zur Sicherheit. Auch die Angst um die eigene Gesundheit wird mit Sicherheit verbunden, der Erhalt des Arbeitsplatzes und die soziale Sicherheit, ganz besonders im Alter. Der Sicherheitsaspekt im öffentlichen Raum wird nicht unbedingt an erster Stelle erwähnt. Interessanterweise fühlen sich Personen im eigenen Haus und in der eigenen Wohnung sicher. Wenn bei Ängsten konkret nachgefragt wird, kommt schnell die Angst vor einem Terroranschlag, die Kriminalität im Internet und die Angst vor kriminellen Ausländern im öffentlichen Raum. Ein Krieg wird wieder vermehrt erwähnt, aber in der Schweiz ziemlich ausgeschlossen. Dies hat sicher mit den Auseinandersetzungen in Nordafrika und im Nahen Osten zu tun.
Welche sicherheit wird gefordert Jeder Einzelne schliesst für sich selber oft unzählige Versicherungen ab, damit er sich sicher fühlt. Die soziale Sicherheit wird zum grossen Teil vom Staat mit Unterstützung der Wirtschaft und der Arbeitnehmenden gewährleistet. Bei der öffentlichen Sicherheit werden sichere Strassen, Gemeinden, Städte gefordert, dies während vierundzwanzig Stunden. Risiken und Gefahren der öffentlichen Sicherheit hängen von vielen Faktoren ab, angefangen bei Naturgefahren über Terroranschläge bis hin zu Cyberattacken. Wie kann diese sicherheit gewährleistet werden? Wenn der Staat alle Risiken abdecken will, geht dies nur mit einer Zusammenarbeit von allen Gremien, die die Sicherheit gewährleisten. Die Armee ist mit den geforderten 100'000 Mann der grösste Faktor und der Staat muss dabei gewährleisten, dass diese gut ausgerüstet und technisch auf dem neusten Stand ist. 70
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Dazu gehört aus Sicht der CVP auch die Luftwaffe, die den Luftraum sichern muss. Die Polizei ist oft als erste Einsatzkraft vor Ort, wenn ein Vorfall stattfindet. Allein die Präsenz der Polizei führt zu mehr Sicherheit, aber auch hier braucht es noch mehr Kräfte, die dies durchführen können. Die Kantone sind gefordert, noch mehr Leute auszubilden. Die CVP fordert seit Jahren, dass die Polizeikorps aufgestockt werden und eine bessere Zusammenarbeit über die Kantonsgrenzen gewährleistet werden soll. Sobald aber ein Grossanlass oder ein internationaler Anlass geplant wird, reicht die Präsenz der Polizei allein nicht mehr. Dann wird auch die Armee zur Unterstützung hinzugezogen. Neben der Armee und der Polizei werden weitere Organisationen, wie der Zivilschutz, die Feuerwehr und die Rettungsmannschaften der Spitäler ebenso einbezogen, wenn es gilt, beispielsweise nach einem Unwetter die Sicherheit der Bevölkerung möglichst schnell wieder zu gewährleisten. Die CVP wird die Diskussionen über die Armee weiterführen, die Umsetzung auf die geforderten 100'000 Mann kritisch mitverfolgen und sicher auch Modelle, die eine allgemeine Dienstpflicht fordern, nicht aus den Augen verlieren. Die Sicherheit darf nicht nur auf dem Papier mit guten Schemas dargestellt werden, sie muss effizient umsetzbar sein und die Schweizerinnen und Schweizer müssen ganz besonders in Krisenfällen auf diese Kräfte zählen können. ■ ida glanzmann-hunkeler ist Nationalrätin des Kantons Luzern, Vizepräsidentin der CVP Schweiz und Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission.
Markus Zürcher
über Jubiläen unD werte Worin liegt der Sinn von Jubiläen, sofern die Magie der runden Zahl nicht bloss marketingtechnisch genutzt werden soll? Sinnstiftend sind Jubiläen nur dann, wenn wir uns Ursprung und Herkunft sowie die damals handlungsleitenden Werte im Horizont der heutigen Problemlagen vergegenwärtigen, diese auf ihr Potenzial für die Welt von heute befragen und hinterfragen. Diese Befragung der Vergangenheit und ihrer Autoritäten im Lichte unserer heutigen Welt nennt man dialogisch. Gegen die scholastische Tradition, welche zu den Autoritäten des Glaubens und der Philosophie emporblickte und danach strebte, deren Texte möglichst im Sinne der Autoren auszulegen, traten die Humanisten an: Sie erkannten in den Autoritäten der Vergangenheit gleichberechtigte Gesprächspartner, mit denen sie die Fragen der Gegenwart auf Augenhöhe verhandeln wollten. Diese humanistische Wende begründete nicht nur das heutige Wissenschaftsverständnis, wo nicht der Rang, sondern das bessere Argument zählt, sondern lieferte auch die Grundlagen eines demokratischen Selbstverständnisses. Die studia humanitatis, die humaniora, humanités, humanities, humanidades, umanità, die den verschiedenen europäischen Kulturstaaten gemeinsame humanistische Bildung, gibt heute in ihrer weltweiten Verbreitung denn auch eines der wenigen gemeinsamen Fundamente in einer globalisierten und verflochtenen Welt ab.
über Werte nachdenken Soll die Energiewende gelingen, schonender Umgang mit Ressourcen alltäglich werden und das Gesundheitssystem mit exorbitanten Kosten und sinkendem Nutzen nicht mehr Erwartungen enttäuschen als einlösen, so muss dringend über Werte nachgedacht werden. Trotz Energie und Ressourcen sparender Technologien werden Jahr für Jahr mehr Energie und Ressour-
cen verbraucht, durch den Mehrkonsum die technologischen Einsparungen überkompensiert. Notwendig sind neue Lebensstile und damit Werte; möglicherweise braucht es auch neue Geschichten, wenn die Abende etwas dunkler und etwas kälter werden. Das Gesundheitswesen kann sich nicht auf seine Kernaufgaben konzentrieren, so lange einstige Tugenden wie Schüchternheit oder bislang als normal akzeptierte Eigenschaften wie Ängstlichkeit zu Krankheiten stilisiert werden. Weder ein würdiges Alter noch ein würdiges Sterben ist möglich, so lange die Jugendlichkeit als Mass aller Dinge gilt und wir nicht zu einer neuen Kultur des Abschiedsnehmens finden. Beides wünscht die Mehrheit der Bevölkerung.
«no alternative»? Die Geisteswissenschaften sind dazu qualifiziert, die wertbestimmte Konstruktion von Lebensstilen wie von Krankheit, Gesundheit und Tod aufzuzeigen. Sie sollen in dieser Aufgabe gefordert, aber auch ernst genommen werden. Sie verdeutlichen, dass die sprachliche und bildliche Darstellung der «Wirklichkeit» diese nicht bloss abbildet, sondern erschafft und folgenreich gestaltet, dass das was ist, nicht gegeben, sondern von Menschen in dieser Form erschaffen wurde. Sie bilden damit einen Schutzwall gegen das in Politik und Gesellschaft zunehmen dominierende TINA-Prinzip – there is no alternative – und eröffnen damit den Handlungs- und Gestatungsspielraum, der Politik überhaupt erst ermöglicht: Möge die CVP diesen in den kommenden 100 Jahren verteidigen und nutzen. ■
Markus zürcher ist generalsekretär der schweizerischen akademie der geistes- und sozialwissenschaften. er hatte verschiedene lehraufträge für soziologie und für geschichte der sozialwissenschaften an den universitäten freiburg und bern. Sonderausgabe
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Bernhard Ehrenzeller
wegMarken Der cVP in Der bunDesVerfassung Am 1. Januar 2000 ist die heute geltende Bundesverfassung in Kraft getreten. Ganz im Gegensatz zur Vorgängerverfassung aus dem Jahre 1874 und der Gründungsverfassung des Jahres 1848 ist die neue Bundesverfassung massgeblich geprägt worden durch Vertreterinnen und Vertreter christlich-demokratischer Provenienz. Die CVP-Parlamentarierinnen und Parlamentarier konnten denn auch aus Überzeugung der neuen Verfassung zustimmen. Nachhaltig in Erinnerung geblieben ist vielen Zeitgenossen der Verfassungsentwurf Furgler aus dem Jahre 1977. Der Totalrevisionsentwurf war weitsichtig und zukunftsweisend, doch überschätzte und überforderte Bundesrat Kurt Furgler Reformwillen und -bereitschaft der politischen Kräfte, wie auch das Beharrungsvermögen der Kantone. Den sogenannten Nachführungsbeschluss der Bundesversammlung im Jahre 1987 betrachteten die meisten Parlamentarier als stilles Begräbnis der «Totalrevisionsübung».
Verfassungsreform als Prozess Es bedurfte des «EWR-Nein-Schocks» vom 6. Dezember 1992, den der damalige Justizminister Arnold Koller zum Anlass nahm, vorerst «das eigene Haus in Ordnung zu bringen». Als klug und zielführend hat sich seine politische Einschätzung erwiesen, dass unter den heutigen Bedingungen eine Verfassungsreform nur gelingen kann, wenn sie als Prozess verstanden wird. Der erste wichtige Schritt war eine sprachliche, systematische und inhaltliche Nachführung und Aktualisierung des geltenden Verfassungsrechts. Diese neue Verfassung, die von Volk und Ständen am 18. April 1999 angenommen worden ist, sollte aber gleichzeitig auch als geeignete Plattform dienen für darauf abgestützte Reformpakete wie die Justiz- und Volksrechtsreform, später die NFA und die neue Bildungsverfassung. Die Verfassung sollte also so ausgestaltet sein, dass sie offen ist für Weiterentwicklungen des Verfassungsrechts. Klare zeitliche Vorgabe Für den so ausgestalteten Reformplan hilfreich war zweifellos die breite parlamentarische Unterstützung der Motion von CVP-Ständerätin Josi Meier, welche das Jubiläumsjahr 1998 (150 Jahre Bundesstaat) als zeitliche Zielvorgabe für die Verabschiedung einer totalrevidierten Verfassung anvisierte. Es bedurfte nicht nur des hohen persönlichen Engagements von Bundesrat Arnold Koller, sondern auch einer tragfähigen und 72
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geschickten Gesamtorganisation des Verfassungsreformprozesses, um diese zeitlichen und inhaltlichen Reformziele zu erreichen. Verschiedene verwaltungsinterne und -externe Verfassungsexperten, die der CVP angehören oder ihr nahestehen, haben das Ihre zum Erfolg beigetragen. Eine einflussreiche Rolle gespielt haben schliesslich CVP-Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die sich in der parlamentarischen Beratung dezidiert für den Verfassungsentwurf eingesetzt haben. Besondere Bedeutung kam dem Engagement von Nationalrat (und späteren Bundesrat) Joseph Deiss zu, der die Verfassungskommission des Nationalrates mit viel Geschick leitete.
invocatio dei Auch die neue Bundesverfassung beginnt mit der Berufung auf Gott den Allmächtigen. Die «invocatio dei» selbst beruht zwar nicht auf einem Antrag der CVP, sondern entspricht der herkömmlichen Formel, die auch in den Vorgängerverfassungen und in Verträgen der alten Eidgenossenschaft enthalten war. Die CVP hat jedoch massgeblich dazu beigetragen, dass dieser Gottesanruf auch im 21. Jahrhundert in der schweizerischen Verfassung verankert geblieben und nicht verwässert worden ist. Im Text der Präambel, die eine originelle Neuschöpfung unter Verwendung von Elementen aus dem Verfassungsentwurf Furgler darstellt, kommt im Folgenden ein Staatsverständnis zum Ausdruck, das unverkennbar christlich-demokratisches Gedankengut wiederspiegelt. subsidiarität Ein Angelpunkt dieses Staatsverständnisses betrifft das Subsidiaritätsprinzip. In der Bundesverfassung kommt dieser, der christlichen Soziallehre entspringende und im Rahmen der NFA-Reform im Jahre 2003 in Art. 5a BV ausdrücklich verankerte Grundsatz in exemplarischer Weise zum Ausdruck, indem aufgezeigt wird, wie Freiheit, Autonomie und Verantwortung im gesamten Staatswesen ineinander verwoben und voneinander
abhängig sind und sein sollen: von der individuellen und gesellschaftlichen Verantwortung jeder Person (Art. 6 BV), über den Schutz der Familie (so u.a. Art. 13, 14, 41, 116 BV), zur Autonomie der Gemeinden (Art. 50 BV), zur bundesstaatlichen Rollenverteilung zwischen den Kantonen und dem Bund (Art. 3, 42ff. BV) bis zur Einordnung des Bundesstaates in die internationale Gemeinschaft (sog. Aussenverfassung). Auch der für den nationalen Zusammenhalt wichtige Ausgleich zwischen Sprachgemeinschaften und zwischen den Stadt-, Agglomerations- und Bergregionen findet gebührende Beachtung (z.B. Art. 50, 175 BV).
Föderalismus und eigenverantwortung Insgesamt ist es bei der Verfassungsreform durch enges Zusammenwirken von Bund und Kantonen gut gelungen, in der Verfassung ein modernes, zukunftsträchtiges Föderalismusverständnis zu verankern, das die Eigenverantwortung der Kantone als Mitträger des Bundesstaates achtet, sie aber auch im Rahmen der Mitwirkung einbindet in die Gesamtverantwortung des Staates nach Innen und Aussen. Sicher: Es ist einfacher, in der Verfassung Grundsätze zu formulieren, als sie in der politischen Praxis umzusetzen. Es bedarf deshalb des fortdauernden Einsatzes föderalistisch gesinnter Parteien wie der CVP, damit die in der Verfassung grundgelegte föderalistische Ordnung auch in der Gesetzgebung Anwendung findet. Da und dort wäre der
«Unverkennbar kommt in der Bundesverfassung christlichdemokratischer Geist zum Ausdruck.» Bernhard ehrenzeller
Partei sogar mehr Mut zu wünschen, wenn es um die Verteidigung der Verfassungswerte im politischen Alltag geht.
sozialstaat schweiz Sicher: Nicht bei allen Verfassungsartikeln ist die aktive Mitwirkung der CVP in gleicher Weise erkennbar. Mit Fug lässt sich aber sagen, dass die neue Bundesverfassung ohne Mitwirken der CVP anders aussehen würde. So hat die Partei massgeblich dazu beigetragen, dass der Sozialstaat Schweiz in der Bundesverfassung angemessen zum Ausdruck kommt, etwa durch die Verankerung des Rechts auf Hilfe in Notlagen (Art. 12 BV), der Koalitionsfreiheit (Art. 28 BV) und der Sozialziele (Art. 41 BV). Auch in den unter dem Aspekt der Menschenwürde besonders heiklen Bestimmungen über die Forschung am Menschen, die Fortpflanzungsmedizin und die Gentechnologie im Humanbereich (Art. 118b/119 BV) hat die CVP einen wichtigen Beitrag zu einer tragfähigen Konsenslösung geleistet. christlich-demokratischer Geist Notwendigerweise ist eine gute Verfassung ein Kompromisswerk, das auf einen klugen und weitsichtigen Ausgleich aller legitimen Ansprüche ausgerichtet ist. Es wäre somit fatal für das Staatswesen Schweiz, wenn sich primär eine Partei mit der Verfassung identifizieren könnte. Doch unverkennbar kommt in der Bundesverfassung christlich-demokratischer Geist zum Ausdruck. Der Staat, den die neue Bundesverfassung konstituiert, achtet in seinem Handeln die Menschwürde und die Grundrechte aller Personen. Die Freiheit und die Freiräume der Bürgerinnen und Bürger wie der Wirtschaft sind gewährleistet. Gleichzeitig ist der Staat verpflichtet, die sozial Schwächeren zu schützen. Die Staatsmacht, die dem Bürger entgegentritt, ist insgesamt moderat ausgestaltet, eingebunden in Demokratie, Rechtsstaat und Föderalismus, und trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – handlungsfähig. Insgesamt konstituiert also die Verfassung ein Gemeinwesen nach menschlichem Mass, einen Staat, der seiner Bürger und der Menschen willen, nicht seiner selbst willen da ist. In diesem Verfassungsverständnis kann sich die CVP wiedererkennen. ■ bernhard ehrenzeller ist Professor für Staats und Verwaltungsrecht an der Universität St.Gallen und Mitherausgeber des St.Galler Kommentars zur Bundesverfassung. Sonderausgabe
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Wolfram Obert
satteln wir Die christDeMokratischen PferDe Was kennzeichnet heute das Erscheinungsbild einer christdemokratischen Partei? Warum können Stammwähler in der Öffentlichkeit nicht mehr klar beschreiben, was die Alleinstellungsmerkmale einer christdemokratischen Partei ausmachen? Besteht in diesen Tagen ein aktueller Verlust christdemokratischer Identität?
Was kann eine christliche und demokratische und schweizerische Politik leisten? Was ist ihre ureigenste Aufgabe, damit die Menschen in den Tälern des Wallis, auf den Berghöfen im Graubünden, in der zentralen Schweiz am Vierwaldstättersee, in der unverbrüchlichen Zugehörigkeit des Tessin, in der Vielfältigkeit der französischsprachigen Romandie und in allen übrigen Regionen dieses faszinierenden Landes diese Fragen beantworten und sich über eigene Gedanken an der politischen Willensbildung in der Schweiz inskünftig beteiligen können.
echtheit und bodenständigkeit Beginnen wir bei den Protagonisten einer solchen Politik und stellen wir die Frage, was sie gegenüber ihren Wählern und Bürgern heute leisten müssen. Die politischen Wissenschaften erklären uns den Unterschied zwischen Darstellungs- und Entscheidungspolitikern. Wer eine Nation, eine Gemeinschaft von Bürgern, führen will, muss gleichermassen beide Seiten vertreten können; die Darstellung in der Politik und die Entscheidung in politischen Notwendigkeiten. Und wer auf der Bühne des politischen Geschehens überleben will, braucht vor allem eines: Echtheit (Authentizität), Glaubwürdigkeit und Bodenständigkeit. Drei typische, urtümliche und ausschlaggebende Schwei74
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zer Eigenschaften, die viele Betrachter aus dem Ausland an der Schweiz lieben. Drei Eigenschaften, die ursprünglich zum Gelingen christlicher und demokratischer Politik beitragen. Wenn wir diesen Anspruch nun in eine solche Politik übertragen wollen, gibt es nur die folgende Interpretation. Ein christlicher und demokratischer Politiker steht für seine Wählerinnen und Wähler ein. Sein Wort gilt, auch wenn ihm der Wind in Sturmstärke ins Gesicht bläst, auch wenn er seine Entscheidungen in eine neue Richtung setzen muss, wie beispielsweise Doris Leuthard nach dem Atomunfall in Fukushima. Auch Angela Merkel zeigt davon immer wieder ein gutes und echtes Stück Politikerhandwerk und sie wird in ihrer stabilen Art dafür bedauerlicherweise immer wieder aus eigenen Reihen angegangen, weil Stabilität in den eigenen Reihen oft mit Selbstherrlichkeit verwechselt wird. Bodenständigkeit ist das christlich-demokratische Fundament der Glaubwürdigkeit. Auch bei ehemaligen Schweizer Bundesräten und Bundespräsidenten lassen sich derartige Stabilität und Plausibilität während der Amtszeiten belegen, eine durchaus politische Werthaftigkeit und schweizerische Konstante, die zutiefst christlich-demokratische Politik beschreibt. Staats-
schauspieler wie Nicolas Sarkozy oder Showtalente wie der «Medienkanzler» Gerhard Schröder haben in der Politik letztlich verloren. Und alle künftigen, notorischen Solisten werden in der Politik nur einen zeitlich kurzen und in der politischen Einflussnahme begrenzten Platz belegen.
Das Verhältnis zur basis Manchmal liegen die Probleme einer christdemokratischen Partei direkt vor der eigenen Haustür. Lange Zeit war man sich in christdemokratischen Lagern zu sicher, dass eine Distanz von Mandatsträgern zu den Bürgern an der Basis keine Rolle spielen würde. Eine eklatante Fehleinschätzung christdemokratischer Politik im In- und Ausland. Politiker müssen mit allen Bürgern auf Augenhöhe umgehen, denn Politiker sind keine
«Oft sind Mandatsträger ange sichts der zunehmenden Bedeu tung einer politischen Lobby oder der stetig deutlicher werdenden Verantwortungsübernahme von Nichtregierungsorganisationen, damit beschäftigt, erläutern zu müssen, warum sie was tun. Aber sie sollen nicht erklären, sie sollen überzeugen!» Wolfram obert
Übermenschen. Damit werden gleichzeitig auch die Diskussionen über Politikerverdrossenheit und damit auch der PolitikVerdrossenheit ausgefegt. Oft sind Mandatsträger angesichts der zunehmenden Bedeutung einer politischen Lobby oder der stetig deutlicher werdenden Verantwortungsübernahme von Nichtregierungsorganisationen damit beschäftigt, erläutern zu müssen, warum sie was tun. Aber sie sollen nicht erklären, sie sollen überzeugen! Eine überzeugende Kommunikation mit den Wählern erklärt Politik nahezu von selbst!
Das «c» und die cVP Grundfragen vernünftiger christdemokratischer Politik betreffen das Selbstverständnis und die persönliche Individualität einer Partei in der Parteienlandschaft. «C» heisst christliche Werte leben, vorleben und erleben. Dazu gehören unmissverständlich die Solidarität und die gelebte Toleranz in einer schweizerischen Gemeinschaft, auch mit Zugezogenen und Ausländern, sowie eine gewisse Subsidiarität des Staates gegenüber seinen Bürgern. Das heisst aber auch, dass alle Schweizerinnen und Schweizer letztlich zur Selbstverantwortung aufgerufen sind. Selbstverantwortung, die im beruflichen und familiären, im kantonalen und gemeindlichen, im gesellschaft-
lichen und eigenverantwortlichen Leben (Ehrenamt, politische Mitarbeit und andere Möglichkeiten, sich zu engagieren) sich wiederspiegelt. «C» heisst auch Wertschätzung gegenüber meinen Mitmenschen, als unmittelbarer Ausdruck der Solidarität und der Toleranz. «C» heisst auch Bewahrung und Schöpfung von Traditionen, die die Kultur und die Unterschiedlichkeiten und Eigenheiten der Schweizer Regionen ausmachen. «C» heisst auch, Ökologie und Ökonomie in der Schweiz als Denkprozess für die CVP Schweiz immer wieder deutlich zu kommunizieren.
Das «V» und die cVP Das «V» steht für das Schweizer Volk. Die politische Meinungsbildung an der Basis wieder ernster zu nehmen ist Auftrag christdemokratischer Politikgestaltung. Fragen und Zuhören sind zutiefst christdemokratische Anforderungen, die wir nicht erst neu erfinden müssen. Wir haben sie! Und wir dürfen sie vor allem keiner anderen politischen Gruppierung überlassen! Damit entsteht ein «Wir-sind-Wir»-Gefühl, das ein Markensymbol der klassischen und gleichzeitig modernen CVP-Politik werden kann. Das «P» und die cVP Die Partei ist eine Einheit. Diese Einheit gilt es, nicht nur im persönlichen Gespräch zu stärken. Gerade vor dem Hintergrund eines ökonomischen, ökologischen, gesellschaftlichen und demografischen und vor allen Dingen medienorientierten Wandels sind Standort und Einheit der Partei stets zu hinterfragen und neu zu bestimmen, ohne die konservativchristdemokratische Grundrichtung politisch preiszugeben. Sonntägliche Stammtischgespräche vor Ort sind neben anderen parteilichen Veranstaltungen, neben Canvassings auf Schweizer Strassen und Plätzen nur einige, richtige und wichtige Formen politischer Präsenz und Parteiarbeit. Das Einbeziehen neuer Medien ist folgerichtig eine weitere unersetzliche Herausforderung für eine moderne Volkspartei CVP. 100 Jahre cVP Christdemokratische Politik muss transparent sein, sie muss stets mit Leben gefüllt sein, sie muss ernsthaft sein und Spass machen, sie muss für alle Generationen lebhaft und erlebbar sein, fröhlich, volksnah, modern, aufregend, konservativ und treu, nachvollziehbar und beständig. Und sie muss immer und jederzeit präsent sein. 100 Jahre CVP. Satteln wir die christdemokratischen Pferde mit den Menschen und mit unseren Themen. Die CVP hat das nötige Rüstzeug dafür. Alles Gute für die nächsten 100 Jahre CVP in der Schweiz. ■
wolfram obert ist Rhetoriktrainer, Dozent für Kommunikationsstrate gien an der Universität Fribourg und war während vieler Jahre für die KonradAdenauerStiftung in Bonn und Dortmund tätig. Sonderausgabe
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Josef Stirnimann-Maurer
rössli rusWil wiege Der cVP
Am 5. November 1840 wurde im Gasthof Rössli im luzernischen Ruswil die CVP geboren. Porträt eines geschichtsträchtigen Hauses.
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Der Bauernführer Josef Leu von Ebersol und 315 katholischkonservative Gesinnungsgenossen unterzeichneten am Donnerstag, den 5. «Wintermonat» 1840 im Rössli Ruswil die «Ruswiler Erklärung» – ein Manifest für den Föderalismus, gegen den liberalen Zeitgeist und gegen die liberale Kantonsregierung. Diese war ihnen zu eigenmächtig und bei der Verfassungsrevision kurz danach wurde sie gestürzt. Aus dem Manifest entwickelte sich der «Ruswiler Verein», der sich zu Beginn wegen der grossen Teilnehmerzahl im Freien treffen musste und die bedeutendste Vorgängerorganisation der Konservativen Volkspartei und der heutigen CVP wurde.
reiches kulturelles leben Schriftlich erwähnt wurde das Ruswiler Rössli erstmals 1575, das heutige Gebäude entstand schon ums Jahr 1630. In den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts baute der damalige Wirt das Rössli grosszügig aus. Damit bekam der Gasthof mit seinem grossen Saal eine besondere Stellung im gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Leben. Die Rössli-Geschichte des 20. Jahrhunderts ist zugleich die Geschichte der «Rössli-Meitschi», der fünf Töchter von Xaver Erni, der als Vertreter der zweiten Generation Erni von 1907 bis 1947 wirtete. In einem dokumentierten Gespräch kurz vor der Jahrtausendwende zeichnen sie ein farbiges Bild des politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Lebens im Ruswil ihrer Zeit. Im Zweiten Weltkrieg beherbergte das Rössli häufig Offiziere der Schweizer Armee, einmal sogar General Henri Guisan. Gegen Kriegsende schliefen im Saal internierte Kriegsteilnehmer aus Frankreich, Polen und Deutschland.
theater, bälle, Feiern Lange vor und nach den beiden Weltkriegen war Ruswil mit der Theatergesellschaft, dem Orchester, mehreren Musikvereinen und Chören eine kulturelle Hochburg. Im einzigen grösseren Saal weit und breit fanden sämtliche Aufführungen statt. Immer waren auch die fünf Töchter dabei, als Schinkenbrot- und Kuchenverkäuferinnen, als Garderobièren und als heimliche Zaungäste an Proben und Aufführungen. Regelmässige Grossereignisse früherer Jahre im katholischen Ruswil waren die Primizfeiern: Junge Geistliche Herren sassen nach ihrer ersten Messe in der heimischen Pfarrkirche mit 300 Gästen beim Bankett im Rössli. Anders, aber ebenso berühmt waren die Rössli-Bälle: Um die Jahrhundertwende jene des Cäcilienvereins, später die legendären Fastnachtsbälle in der Dekoration des unvergesslichen Ruswiler Kunstmalers Willi Huwiler, der die Dorfaktualitäten zum allgemeinen Gaudi mit grossformatigen Karikaturen dokumentierte. Auch Gastspiele fanden statt, zum Beispiel von Walter Roderer als «Mustergatte».
Eine fast sagenhafte Parallelgeschichte zu dieser «Hochkultur» schrieb in dieser Zeit das «Rössli-Stobali» im Strassengeschoss des Gasthofs: Eine Beiz, wo der Boden mit Sägemehl bestreut war und wo buchstäblich jedermann verkehrte. Aktenkundig ist zum Beispiel, dass der bekannte Ruswiler Huobschür-Mörder am Abend des 20. Dezember 1909 im «Stobali» sass, bevor er bei Nacht und Nebel und Schneesturm aufbrach zu seiner Schreckenstat. Lustiger sind die Erinnerungen an jene Tage und Nächte, wo eine Stammkundschaft von Knechten, Handwerkern und Viehhändlern mit allerlei Jungvolk zusammentraf, diskutierte, feierte und zu später Stunde auch «g‘scherete», wie die Überlieferung berichtet.
heiles landleben «The Hotel Roessli is for me Everything a hotel should be!» Dieses umfassende Lob schrieb Aidan A. Kay, Feriengast aus Neuseeland im Juli 1961 ins Gästebuch. In den Sechzigerjahren beherbergte das Rössli Menschen aus allen Ecken der Welt: Deutschland, Österreich, England, Holland, Indien, Israel… Was Ruswil damals, fünfzehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, zu bieten hatte, war unverfälschtes, sozusagen «heiles» Schweizer Landleben. So kam es, dass Robert Erni junior, später Wirt in vierter Generation, wiederum zu einer Gastfamilie nach Deutschland eingeladen wurde und dort mit den Grosskindern des deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer spielte, ja sogar mit dem Kanzler persönlich korrespondierte. Verbunden mit der cVP Das «Rössli» blieb über all die Jahre mit der Konservativen Volkspartei und mit der CVP verbunden; immer wieder fanden politische Veranstaltungen statt. Vor dem Zweiten Weltkrieg sollen die konservativen Bundesräte Musy, Motta und Etter das «Rössli» besucht haben. Mit eigenhändigem Gästebucheintrag belegt ist die Anwesenheit von CVP-Bundesrat Kurt Furgler samt hochkarätiger Entourage im Jahr 1978. Ende Juni 2012 gaben Robert und Pia Erni-Wicki nach 33 Jahren das Wirten auf. Lange fand sich kein Käufer für den geschichtsträchtigen Gasthof. Jetzt engagiert sich eine Interessengemeinschaft aus den Reihen der kantonalen CVP unter der Leitung von Alt-Parteipräsident Martin Schwegler: Sie hat die Aktien des Rössli übernommen und will es als Wiege der CVP, aber vor allem als blühendes, traditionsreiches und repräsentatives Dorfgasthaus erhalten. ■
Josef stirnimann-Maurer ist pensionierter Tierarzt und freier Mitarbeiter der Lokalzeitung «Anzeiger vom Rottal», Ruswil. Sonderausgabe
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Werner Ritter
cVP st.gallen – älteste Partei euroPas 1830 brach in Frankreich die Julirevolution gegen die Herrschaft der Bourbonen aus. Die Revolution in Frankreich gab den liberalen Kräften in der Schweiz einen massiven Auftrieb, was zum Umsturz der bisherigen Ordnung in verschiedenen Kantonen der Schweiz, unter anderem auch im Kanton St.Gallen, führte. Nach heftigen und von Tumulten begleiteten Auseinandersetzungen wurde im März 1831 in St.Gallen eine neue Kantonsverfassung angenommen. Sie enthielt wesentliche liberale und demokratische Neuerungen und strebte Parität zwischen dem katholischen und evangelischen Konfessionsteil an, war doch die konfessionelle Frage im konfessionell gemischten Kanton St.Gallen im 19. Jahrhundert von grosser Bedeutung und entsprechend heikel. Die Zeit nach der Verfassungsrevision von 1831 war im Kanton St.Gallen von Auseinandersetzungen um das damals bestehende Doppelbistum Chur-St.Gallen und die Ausrichtung der Katholischen Kirche geprägt. Bei den Wahlen vom 5. Mai 1833 errangen die Liberalen einen derartigen Wahlerfolg, dass nicht nur der Grosse Rat, sondern auch das Katholische Kollegium, das Parlament der St.Galler Katholiken, eine liberale Mehrheit aufwies, was zu einer entsprechenden Besetzung des Katholischen Administrationsrats sowie der vom katholischen Konfes-
sionsteil zu bestellenden Ämter und Funktionen führte. Konservativ gesinnte Katholiken lehnten diese Entwicklung ab.
unterordnung der katholischen Kirche Unmittelbar nach dem Tod des kranken Bischofs Karl Rudolf von Buol-Schauenstein von Chur und St.Gallen hob das Katholische Kollegium zudem das Doppelbistum Chur-St.Gallen auf und verlangte den Anschluss St.Gallens an das Bistums Basel. Weitere Massnahmen folgten. Vom 22. bis 28. Januar 1834 fand in Baden eine Konferenz der Regierungsvertreter der Kantone, die zum Bistum Basel gehörten, statt. Der Kanton Zug nahm an der Konferenz nicht teil, dafür aber der Kanton St.Gallen, der an sich mit dem Bistum Basel nichts zu tun hatte. Die an der Konferenz gefassten Beschlüsse sahen in wesentlichen Fragen eine Unterordnung der Katholischen Kirche unter den Staat vor. Das Katholische Kollegium genehmigte die Beschlüsse am 11. April 1834 und am 14. November 1834 verabschiedete der Grosse Rat ein Gesetz über die Rechte des Staates in kirchlichen Dingen.
Konservative Gegenbewegung Diese Ereignisse empörten die konservativ gesinnten Katholiken. Am Dreikönigstag 1834 fand deshalb eine erste Besprechung zur Gründung einer konservativen Partei statt. Am 29. Januar 1834, wenige Tage nach der Badener Konferenz, trafen sich 25 Männer in Oberegg in der Gemeinde Muolen. Dort fand am 29. Oktober 1834 eine zweite Versammlung statt. Diese Versammlung beschloss die Einreichung von zwei Petitionen an das Katholische Kollegium und den Grossen Rat, die Gründung eines Kantonalvereins und die Herausgabe einer eigenen Zeitung. Obwohl innert weniger Tage 3224 Unterschriften gesammelt und eingereicht wurden, ignorierten das Katholische Kollegium und der Grosse Rat die Petitionen. Darauf wurde beschlossen, die Gesinnungsfreunde im ganzen Kanton zu einer Volksversammlung auf den letzten Sonntag des Jahres 78
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«Mit dem Gründungsdatum 28. Dezember 1834 ist die CVP des Kantons St.Gallen die wohl älteste noch bestehende Kanto nalpartei der Schweiz und da mit auch die älteste noch aktive Partei auf dem europäischen Kontinent.» Werner Ritter
Vetosturm Die neue, schlagkräftige Organisation führte sofort zu politischen Erfolgen. In einem eigentlichen Vetosturm, der wegen des hohen Quorums nötig war, wurde das Gesetz über die Rechte des Staates in kirchlichen Dingen nachgerade hinweggefegt. Ebenso wurden die Konservativen bei den Maiwahlen 1835 massiv gestärkt und hatten wieder die Mehrheit im Katholischen Kollegium. Dass es im Kanton St.Gallen Parteien mit festen Strukturen brauchte, war die Folge der Verfassung von 1831, insbesondere des Vetos. Somit ist die CVP des Kantons St.Gallen ein Kind der Volksrechte. Mit dem Gründungsdatum 28. Dezember 1834 ist die CVP des Kantons St.Gallen die wohl älteste noch bestehende Kantonalpartei der Schweiz und damit auch die älteste noch aktive Partei auf dem europäischen Kontinent.
nach Gossau einzuladen. Die Versammlung war – nota bene vor dem Bau der ersten Eisenbahn und vor der Erfindung des Autos – mit geschätzten 5000 Teilnehmenden derart gut besucht, dass sie vom Gasthaus zum Hirschen in die Kirche verlegt werden musste. Zweck des neugegründeten Vereins waren der Schutz und die Verteidigung der gesetzlichen Freiheit, der bürgerlichen Rechte, des katholischen Glaubens und der römisch-katholischen Religion sowie die zeitgemässe Förderung der Landwirtschaft, der Haushaltung, des Gewerbes sowie ganz allgemein der Volkswohlfahrt. Der Schutz der Freiheitsrechte, insbesondere der Religionsfreiheit, die Förderung von Wirtschaft und Gewerbe, der Familie sowie der Volkswohlfahrt standen am Anfang der konservativen Volkspartei, prägen aber in zeitgemässer Form bis heute die Politik der CVP des Kantons St.Gallen.
Das gesamte 19. Jahrhundert war im Kanton St.Gallen von heftigen politischen Auseinandersetzungen zwischen Konservativen und Liberalen geprägt. In den 1840er-Jahren ging es hauptsächlich um die Reform des Bundesvertrags von 1815 und die Auflösung des Sonderbundes. Dabei gaben die Grossratswahlen vom 2. Mai 1847 im Kanton St.Gallen den Ausschlag. Seit 1845 herrschte im St.Galler Grossen Rat zwischen Konservativen und Liberalen ein Patt von 75 zu 75 Stimmen. Im Jahr 1847 verloren die Konservativen die Wahlen im Bezirk Gaster, weil das sonst konservativ stimmende Dorf Amden auf die liberale Seite geschwenkt war. Aufgrund der neuen Kräfteverhältnisse sprach sich der Grosse Rat des Kantons St.Gallen mit 76 zu 71 Stimmen für die Auflösung des Sonderbundes aus und machte damit den Weg nicht nur für den Sonderbundskrieg, sondern auch für die moderne Schweiz frei. ■
werner ritter ist Rechtsanwalt, Mitglied des Kantonsrats St.Gallen und lebt in Hinterforst. Sonderausgabe
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Stefan Meierhans
cVP-Job Preisüberwacher
Aus meiner Sicht ist das Amt des Preisüberwachers geradezu typisch auf die CVP zugeschnitten. Wohl deshalb ist unsere Partei in der Reihe der Preisüberwacher am häufigsten vertreten. Der erste Preisüberwacher war Leo Schürmann, ein CVPler aus dem Kanton Solothurn. Ein CVP-Preisüberwacher – Joseph Deiss – ist später Bundesrat geworden. Odilo Guntern, CVPMann aus dem Wallis, hat zuerst faire Preise und dann als Datenschutzbeauftragter den Datenschutz gewährleistet – stets im Dienste der Konsumentinnen und Konsumenten. Auch wenn der Preisüberwacher natürlich kein parteipolitisches Amt ist; ist es Zufall, dass der Preisüberwacher so häufig aus den Reihen der CVP stammt? Ich glaube nicht. Denn es ist im Grunde eben ein klar liberal-soziales Amt. Weshalb?
liberal und sozial «Wirksamer Wettbewerb ist der beste Preisüberwacher» – dieser vielzitierte Satz beschreibt den liberalen Teil des Preisüberwachers: Wo immer möglich, soll zusammen mit der Wettbewerbskommission – in der der Preisüberwacher von Amtes wegen Einsitz hat – Wettbewerb geschaffen werden. Freiheit für Konsumentinnen und Konsumenten, wie auch für Anbieter, im Wettstreit um Kundschaft stets besser, innovativer und günstiger werden – das ist der Grundsatz.
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Es gibt jedoch Bereiche, wo der Wettbewerb schwierig zu schaffen ist – oder wo er kaum Sinn macht, weil die Vorteile eines Monopols klar überwiegen. Denken Sie an Infrastrukturen: Es macht kaum Sinn, mehrere Tramschienen oder Eisenbahngeleise nebeneinander zu verlegen. Es macht kaum Sinn, einen Haushalt an drei verschiedene Gasleitungen anzuschliessen – und wer wollte drei unterschiedliche Wasserhähnen in seiner Dusche installieren, um bei Bedarf auf einen anderen Wasserlieferanten umzusteigen? Es gibt Bereiche, wo der Wettbewerb nicht (ausreichend) spielt. Wo Preise nicht das Ergebnis wirksamen – ich betone wirksamen! – Wettbewerbs sind. Das schafft Situationen, wo Unternehmen versucht kein können, ihre Marktmacht unrechtmässig auszunützen. Hier greift der soziale Teil des Preisüberwachers: Wenn sich der einzelne gegen einen übermächtigen Marktplayer oder Monopolisten nicht wehren kann, wendet er sich an den Preisüberwacher. Das jetzt geltende Preisüberwachungsgesetz wurde am 20. Dezember 1985 vom Parlament verabschiedet. Seit diesem Zeitpunkt besteht die wettbewerbspolitische Preisüberwachung als unabhängiger Regulator in jenen Bereichen, wo die Preise nicht das Ergebnis wirksamen Wettbewerbs sind.
entwicklungstendenzen Die Zahl der Bürgerbeschwerden wegen Preismissbrauchs hat exponentiell zugenommen. Waren es vor zehn Jahren rund 800 Beschwerden pro Jahr, so zählten wir im abgelaufenen Jahr 2639 Beschwerden. Wenn sich die Tendenz des ersten halben Jahres bestätigt, werden es Ende 2012 über 3000 Beschwerden sein. Dies ist sicher einerseits auf eine erleichterte Kommunikation mit dem Preisüberwacher zurückzuführen: Heute kann schnell und unbürokratisch eine E-Mail an uns gerichtet oder ein Webformular ausgefüllt werden. Andererseits ist die Anzahl Beschwerden auch ein Zeichen dafür, dass dank höherer Transparenz die Konsumenten-«mündigkeit» zugenommen hat. Letztlich ist die Zahl der Beschwerden auch ein Vertrauensbe-
weis: Denn wer würde schon schreiben, wenn er nicht glaubte, dass er damit etwas bewirken kann?
staatsnahe unternehmen im Fokus Über 80 Prozent der Beschwerden, die bis Jahresmitte 2012 eingegangen sind, beschäftigen sich mit Kommunikation (Post, Telekom, Internet), Transport (Öffentlicher Verkehr) oder dem Gesundheitswesen (Medikamentenpreise, Spital- und Arzttarife etc.). Dies widerspiegelt deutlich, dass die Hauptproblematik – trotz Frankenstärke, welche die Beschwerden hinsichtlich Alltagsgütern sprunghaft hat ansteigen lassen – in den klassischen Märkten mit Marktversagen zu suchen ist. Interessanterweise stehen klar diejenigen Bereiche an der Spitze, bei welchen der Bund – als Eigner – stark involviert ist (Kommunikation: Post, Swisscom; Transport: SBB). auf die binnenkosten achten Die Schweiz ist nach wie vor eine Hochpreisinsel. Neben den Preisen für Importwaren, die im Zuge der Frankenstärke zwar gesunken, aber in vielen Fällen noch immer überhöht sind, müssen wir inskünftig noch besser auf die Binnenkosten – die Kosten im Inland – achten. Diese Kosten dürfen nicht aus dem Ruder laufen! Dies ist nicht nur im Interesse der Endverbraucher, sondern auch des Wirtschaftsstandortes Schweiz. Deshalb wird es inskünftig noch wichtiger sein, dass der Preisüberwacher ein Kostenüberwacher im Inland ist: Dazu gehören neben den Gesundheitskosten insbesondere die Preise für Infrastrukturen, Kommunikation und auch Energie. Damit wir im internationalen Wettbewerb auch in Zukunft gute Karten haben, Arbeitsplätze sichern und die Industrie in der Schweiz halten können. ■
stefan Meierhans ist seit Oktober 2008 Preisüberwacher. «Monsieur Prix» ist Jurist. Nach seinem Studium in Basel, Oslo und Uppsala arbei tete er zuerst im Bundesamt für Justiz. Anschliessend wirkte er von 1998 bis 2003 im Stab der Bundesräte Koller und MetzlerArnold.
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Die inDifferenten bewegen
Mit welchen Herausforderungen werden Parteien in ein paar Jahren konfrontiert sein? Karin Frick, Leiterin Research beim Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) blickt im Interview in die Zukunft. Karin Frick, wie wird sich die Welt in den kommenden 50 Jahren verändern? An der Oberfläche wird die Welt nicht wesentlich anders aussehen. Unter der Oberfläche aber wird sie mit einem Netz unterlagert sein, das uns mit allen Gegenständen und auch untereinander verbindet. Ein Tisch wird auch in 100 Jahren wie ein Tisch aussehen, doch er wird gleichzeitig ein Interface darstellen. Alltagsgegenstände werden ein technisches Nervensystem haben. Vieles wird aussehen wie heute, aber als Computer mit uns interagieren. Wir werden also die Veränderungen von blossem Auge gar nicht wahrnehmen können? Die Technologie verschwindet aus dem sichtbaren Bereich. Umso wichtiger ist es, dass wir lernen, diese unsichtbaren Prozesse zu verstehen. Es werden wohl keine Computer mehr herumstehen, stattdessen werden diese überall integriert sein. Was wir heute im Notebook, Tablet oder Smartphone haben, die ganzen Technologien, die sich im Fernseher oder im Radio befinden, all dies wird in Zukunft rund um uns herum abrufbar: im Fenster, in der Flasche oder im Tisch. Bedeutet die Technologisierung des Alltags auch, dass sich die Gräben zwischen Digital Natives – jenen, die mit modernster Technologie aufwachsen – und älteren Generationen vergrössern wird? Nein, das bezweifle ich. Ein iPad können heute auch 80-Jährige bedienen. Meine Schwiegereltern nutzen Tablets und Smartphones, weil diese Geräte einfacher zu bedienen sind als zum Beispiel ein Notebook. Die Maschinen werden immer «smarter» und menschlicher. Diese Entwicklungen werden die Kluft zwischen den Generationen verschwinden lassen. Gehen dafür andere auf? Ja, und zwar die Kluft zwischen jenen Menschen, die die stetig wachsendenden Informationsmengen eigenständig und aufge82
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klärt reflektieren, und jenen, die sich verweigern. Letztere werden ein «programmiertes Leben» führen, während erstere das Potenzial haben, ihr Leben selber zu programmieren. «Program or be programmed», sagt der Webpionier Douglas Rushkoff dazu. Was bedeutet das für den politischen Bürger? Vereinfacht gesagt, besteht unsere Gesellschaft aus drei Gruppen: einer wachsenden Gruppe von Menschen, die sich aktiv und bewusst informiert, einer Gruppe von Indifferenten und schliesslich einer Gruppe von Ignoranten. Diese Dreiteilung findet sich zu allen Zeiten. Die «Bewussten» sind in der Lage, den Lead zu übernehmen und Themen zu setzen. Diese Menschen sind aktiv, empören sich und setzen sich ein. Politisch heisst das: Wie bewege ich die Indifferenten? Eine Antwort kann sein: Indem ich ihnen Angebote zu einem bewussteren Umgang mit Information, Konsum, Energie, Gesundheit und so weiter anbiete. Decision design wird deshalb immer wichtiger. Was heisst das? Decision design nennt man die Gestaltung der Wege, die Menschen unterwegs zu einer Entscheidung zurücklegen. Die erste Gruppe von Menschen muss sich also überlegen, wie sie die Schnittstellen baut, an denen sie den Indifferenten Angebote unterbreiten. Um Erfolge zu feiern, müssen politische Parteien also solche Entscheidungs-Designer in ihren Reihen haben? Erfolgreiche Online-Händler wie Amazon zeigen, wie wichtig es ist, den Kunden den Weg zur gewünschten Entscheidung zu optimieren. Das trifft nicht nur auf Konsumentscheidungen zu, sondern auch auf politische. Parteien müssen sich also überlegen, wie sie die grosse Gruppe der Indifferenten bewegen können. Im Konsumbereich existieren viele Dienstleister mit kundenorientierten Angeboten. Dienstleister wie Comparis schaffen beispielsweise Preis-Transparenz unter den Händlern. Sehen Sie solche Möglichkeiten für Dienstleistungen auch bei der politischen Arbeit? Politische Ideen müssen genau so verkauft werden wie ein Produkt oder eine Dienstleistung. Ähnlich wie eine Gesundheits-
«Ich glaube, wichtiger als ein allumfassendes Parteiprogramm sind in Zukunft Spielarten der Mitbestimmung.» karin Frick
App, die den Anwendern ständig feingliederige Informationen über den Körper liefert, müsste auch ein Parteiprogramm eine personalisierte Dienstleistungs-App sein. Aber so wie die Politik heute funktioniert, tendiert sie nicht zur Transparenz. Politiker müssen heute gute Schauspieler sein. Transparentes Handeln stellt sehr hohe Anforderungen an die Integrität. Was wären mögliche Treiber für Transparenz in der Politik? Der Trend zur Transparenz wird so oder so unabwendbar sein. Durch die ständige Ansammlung von Daten in Netz werden wir immer besser Bescheid wissen über Politiker: Abstimmungsverhalten, Lobby-Vernetzungen, Spenden. Diese Themen gelangen in den Wahlkampf und erzeugen Druck. Aber das wird nicht reichen. Wird die Politik jemals ein Interesse an Trans parenz entwickeln? Ähnlich wie beim Bankgeheimnis wird sich der Ruf nach Transparenz auch in der Politik durchsetzen. Der Druck wird sich stetig erhöhen. Wikileaks war nur ein Anfang. Auf Seiten der Politik wird man sich anfangs
wohl gegen solche Entwicklungen wehren. Doch irgendwann wird jemand den Wert einer transparenten, unpopulistischen Arbeit erkennen und sie ausführen, andere können dann auf diesen Trend aufspringen. Sehen Sie bereits jetzt in der Politik Anzeichen für eine solche Entwicklung? Bewegungen wie Occupy zeigen, dass politisches Bewusstsein da ist, wo wir es nicht unbedingt erwartet hätten. Selbst wenn das eine kurzfristige Geschichte war, dahinter stehen schlaue Leute mit vernünftigen Ideen. Das ist ein guter Boden für die Politik der Zukunft. Was heisst das für die Partei der Zukunft? Ich glaube, wichtiger als ein allumfassendes Parteiprogramm sind in Zukunft Spielarten der Mitbestimmung. Um nahe bei ihren Wählern zu sein, müssen Parteien mit ihnen glaubwürdig interagieren. Das erfordert aber wie gesagt ein grosses Mass an Transparenz. ■
–Interview: Die Politik
karin frick ist Leiterin Research und Mitglied der Geschäftsleitung des Gottlieb Duttweiler Instituts. Das Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) ist als unabhängige Denkfabrik der älteste ThinkTank der Schweiz. Sonderausgabe
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CVP-PArteiPräsidentinnen und -Präsidenten seit 1912
Adalbert Wirz OW 1912–1917
eugène deschenaux Fr 1917–1919
Josef räber sZ 1919–1928
ernst Perrier Fr 1928–1932
eduard Guntli sG 1932–1934
raymond evéquoz Vs 1934–1935
emil nietlisbach AG 1935–1940
Pierre Aeby Fr 1940–1946
Joseph escher Vs 1946–1950
Max rohr AG 1950–1955
Jean Bourgknecht Fr 1955–1959
ettore tenchio Gr 1960–1968
Franz Josef Kurmann Lu 1968–1973
Hans Wyer Vs 1973–1982
Flavio Cotti ti 1982–1986
eva segmüller sG 1987–1992
Carlo schmid Ai 1992–1994
Anton Cottier Fr 1994–1997
Adalbert durrer OW 1997–2001
Philipp stähelin tG 2001–2004
doris Leuthard AG 2004–2006
Christophe darbellay Vs Seit 2006
Iwan Rickenbacher
ParaDigMenwechsel Wie ich im Frühjahr 1988 als Nachfolger von Hans Peter Fagagnini zum Generalsekretär der CVP Schweiz gewählt wurde, war die CVP mit 61 Mitgliedern hinter der FDP mit 65 die zweitstärkste Fraktion. Die SP zählte 46, die SVP 29 Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Die Liberalen waren mit 12, der Landesring der Unabhängigen und die Grüne Partei mit je 9 Mitgliedern vertreten. Die zwei Sitze im Bundesrat mit Flavio Cotti und Arnold Koller waren unbestritten. Als die beiden CVP-Bundesräte im Frühjahr 1999 überraschend gemeinsam zurücktraten, wurde der Doppelanspruch der Partei bereits in Frage gestellt. Diese wenigen Fakten zeigen auf, wie sich das Bild des Parlaments, der Fraktionen, der Parteien in den vergangenen zwanzig Jahren verändert hat, nicht nur aus Sicht der CVP. Aus der Optik des damaligen Generalsekretärs ergeben sich zusätzliche Entwicklungen, die über die blossen Zahlen hinaus reichen.
Professionalisierung des Parlaments Ein Meilenstein in der Modernisierung der Parlamentsarbeit war die Einführung Ständiger Kommissionen mit der Parlamentsreform vom 4. Oktober 1991. Dies war auch ein wichtiger Schritt zu einer zunehmenden Intensivierung und Professionalisierung der Parlamentsarbeit. Heute betätigen sich weniger als 15 Prozent des Nationalrates und kaum ein Mitglied des Ständerates zu mindestens einem Drittel der Arbeitszeit im angestammten Berufsfeld. Parallel dazu entwickelten sich die Partei- und Fraktionspräsidien zu einem beruflichen Hauptamt, was auch zu einer Neudefinition der nach wie vor vollamtlichen Partei- und Fraktionssekretariate führte. Die entwicklung der medienwelt Vor zwanzig Jahren fühlten sich nicht wenige der Bundeshauskorrespondentinnen und -korrespondenten einer Partei und Fraktion nahe. Die öffentliche Debatte bundespolitischer Themen erfolgte in der beschaulichen Freitagsrunde. Die politischen Akteure waren es, die weitgehend untereinander Form und Inhalt der Auseinandersetzung definierten.
Die Inszenierung einer eigentlichen Arena im Fernsehen der deutschsprachigen Schweiz ab 1993 markierte den Paradigmenwechsel. Medien begannen, ihre Darstellungsformen den politischen Akteuren aufzuzwingen. «Arenatauglichkeit» wurde zu einem Kriterium für die Besetzung bestimmter Führungspositionen.
entkoppelung meinungsbildender eliten Noch anfangs der Neunzigerjahre fassten die vier Bundesratsfraktionen von CVP, FDP, SP und SVP in 80 Prozent aller Abstimmungsvorlagen, welche den Stimmberechtigten unterbreitet wurden, die gleiche Parole. Heute liegt die Übereinstimmung noch bei 20 Prozent. Ein Grund für diese Entwicklung liegt auch ausserhalb des Parlaments, in der Festlegung eigener und mit nahestehenden Parteien kaum abgesprochenen Positionsbezügen wichtiger Meinungsbildner, von Wirtschaftsverbänden, von sozialen Bewegungen, von Interessengruppen. Die Generalsekretariate der Parteien und Fraktionen sind heute auf ganz andere Art gefordert als zu meiner Zeit. Sie müssen die erhöhten Ansprüche eines intensiver arbeitenden Parlaments nach Grundlagen und Informationen erfüllen. Sie sind es, welche zwischen den oft divergierenden Bedürfnissen der Medien und ihrer politischen Spitzenvertreter vermitteln. Sie müssen sich damit auseinandersetzen, dass starke Interessengruppen gezielter auf Mitglieder ihrer Partei und ihrer Fraktion einwirken. Und dies mit den personellen und finanziellen Ressourcen beinahe von ehedem. ■
«Die Generalsekretariate müssen sich heute damit auseinandersetzen, dass starke Interessengruppen ge zielter auf Mitglieder ihrer Partei und ihrer Fraktion einwirken. Und dies mit den personellen und finanziellen Ressourcen beinahe von ehedem.» iwan Rickenbacher
iwan rickenbacher ist Erziehungswissenschafter, war von 1975 bis 1988 Direktor des Lehrerseminars des Kantons Schwyz, von 1988 bis 1992 Generalsekretär der CVP Schweiz. Seither ist er als Kommunikationsbe rater tätig und Honorarprofessor an der Universität Bern. Sonderausgabe
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In der gesellschaftspolitischen Diskussion werden nur allzu gerne und allzu schnell die eigentlichen Standards verschoben. Der Hang zur reinen Normorientierung wird immer stärker. Es ist nur noch gut, was in einem eng definierten Rahmen stattfindet und uns scheinbar vor jeglichen Problemen und besonderen Herausforderungen fernhält. Die Akzeptanz dessen, was aus der Natur oder einem natürlichen Prozess heraus entsteht, wird immer geringer. Wir fürchten uns vor der Ohnmacht, etwas nicht bestimmen, nicht planen zu können. Fast ehrfürchtig lassen wir uns von immer mehr Informationen überfluten und meinen, dadurch besser informiert zu sein. Die Realität zeigt, dass wir in vielen Fällen nicht besser orientiert sind, weil wir mit den Daten und Fakten sehr oft nicht wirklich umgehen können.
Christian Lohr
behinDert, na unD?
Die pränatalen Tests wie auch die Präimplantationsdiagnostik werden heute als Möglichkeiten angesehen, werdenden Eltern frühzeitige Angaben zur wahrscheinlichen Gesundheit ihrer Babys zu machen. Die Vermeidung oder Linderung von genbedingten Erbkrankheiten ist in der Sache sicher sehr positiv. Sehr kritisch wird es aber in dem Bereich, wo es manipulativ wird, das heisst, wenn Fehlentwicklungen injiziert werden. So möchte ich in aller Deutlichkeit festhalten, dass es weder ein Recht auf ein gesundes, nicht behindertes Kind gibt noch die Vorstellung bestehen darf, es könnten makellose Katalogkinder im Designverfahren bestellt werden. Der Wunsch nach einem Kind in der ganzen Unversehrtheit, ist selbstverständlich nachvollziehbar und legitim. Unbestritten soll aber auch sein, dass die Natur in vereinzelten Fällen eben andere Situationen beschert.
eine chance geben Die Entscheidung über den Schwangerschaftsabbruch bleibt immer bei der Mutter, bei den Eltern. Dies soll an dieser Stelle von mir auch nicht infrage gestellt werden, das wäre anmassend. Ich setze mich aber entschieden dafür ein, gerade auch einem Kind mit einer Behinderung eine Chance zum Leben zu geben und diese nicht im Voraus abzusprechen. Unsere Gesellschaft ist gefordert, sich zu Mitmenschen mit einem Handicap zu bekennen und einer Aussortierung entschieden entgegenzutreten. Die betroffenen Familien brauchen eine offene und fachlich fundierte Beratung und verdienen Unterstützung. Dabei geht es nicht nur um Finanzen, wie viele meinen würden. Es ist eine Frage der Grundhaltung, wie offen wir Menschen mit einer Behinderung gegenüber im täglichen Zusammenleben sind.
Wie stark verändern pränatale Tests und die Präimplantationsdiagnostik unsere Grundhaltung gegenüber dem Schutz des Lebens? In der zu führenden breiten gesellschaftspolitischen Diskussion geht es bei aller Würdigung der medizinischen Fortschritte zentral auch darum, der Selektion von Lebenskriterien vorzubeugen. 86
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Entscheidend ist für mich jedoch ebenso ein weiterer Punkt: Die Lebenswertigkeit kann und darf nicht ein Thema sein, das über reine Kosten definiert wird. Denn tun wir das, verlieren wir mit einem solchen Verständnis auch einen bedeutenden Teil unserer eigenen Würde. ■
christian lohr ist Nationalrat des Kantons Thurgau. Er ist Publizist und Dozent und mit einer schweren körperlichen Behinderung auf die Welt gekommen. Sein Engagement gilt einer breiten Gesellschaftspolitik, in welcher Fairness eine wichtige Rolle spielt.
Anton Schwingruber
Der MitglieDerausweis: ein WertPaPier! Nie werde ich in einer Partei mitmachen! Ganz sicher nicht in der CVP. Das war meine nachpubertäre, feste Überzeugung. Der Begriff Partei war (und ist) negativ besetzt. Nicht selber denken und argumentieren dürfen. Das nachbeten, was die Parteibosse vorgeben. Sich als (romtreuer) Katholik oder zumindest bekennender Christ einbeziehungsweise aussetzen. Nein danke. Schon bald aber wollte ich mitbestimmen, etwas bewegen, verbessern, die Isolationen an den Häusern erzwingen… Ich merkte, das kann man nur durch politische Aktivitäten. Parteien sind politische Meinungsbildungsinstitutionen. Politik ist die Kunst, Mehrheiten zu schaffen. Wem will ich nun wozu eine Mehrheit beschaffen helfen? Ich bewegte mich in CVP-Kreisen. Da war es mir einigermassen wohl. Die Idee, eine neue Partei zu gründen, erschien mir zu aufwendig. Irgendeinmal wurde ich sogar Präsident der kantonalen CVP und dann sogar noch Regierungsrat, immer mit dem Zusatz CVP. Heute bin ich sogar stolz darauf, einer Wertepartei anzugehören, die es nicht immer leicht hat.
Werte auf Wertpapiere reduziert Die heutige Gesellschaft scheint die Werte auf Wertpapiere zu reduzieren. Nur noch was finanziell bewertbar ist, scheint etwas wert zu sein. Für viele hat es deshalb keinen Wert mehr, sich für Andere und für andere Werte ein- und auszusetzen. Sie sind und bleiben unzufrieden. Wir Menschen streben aber nach Glück und Zufriedenheit. Das kann man mit einem politischen Engagement erreichen. Vor allem dann, wenn es gelingt, die politische Grundüberzeugung kurz und knapp zu formulieren, wie das CVP-Kantonalpräsident Martin Schwegler bei seiner Abschiedsrede wie folgt tat: «C-Politik bedeutet Eigenverantwortung mit Verpflichtung zur Solidarität und Nachhaltigkeit.» Es geht also vorerst um den Menschen. Dann um den Mitmenschen und schliesslich um die ökologische Zukunft. Also schau zuerst für und um dich (Subsidiariät), aber nicht auf Kosten des andern (Solidarität) oder der Nachkommen (Nachhaltigkeit). Dieser Dreiklang ist tatsächlich phänomenal. Natürlich birgt er viel Konfliktpotential. Das gilt es immer wieder auszudiskutieren. In Achtung und Respekt vor andern Meinungen. Dann gilt es eben, einen Lösungsvorschlag mehrheitsfähig zu machen. Mit verlässlichen Partnern zusammenzuarbeiten. Überzeugt und überzeugend zu wirken. Und dann zu gewinnen. Der Gewinn ist dann meistens nicht mit Geld messbar. Es ist die Überzeugung, einen ideellen, wertvollen Beitrag geleistet zu haben. Damit wird die Mitgliedschaft zur Partei ein Wert an sich. ■ anton schwingruber ist Doktor der Jurisprudenz und war von 1995–2011 Regierungsrat des Kantons Luzern.
Ettore Tenchio
Die Glut bewahren
T
radition bedeutet nicht, Asche zu bewahren. Tradition bedeutet, die Glut unter der Asche zu bewahren, damit sie stets von Neuem aufflammen kann. Ich war von 1960 bis 1968 Präsident der Konservativ-Christlichsozialen Volkspartei der Schweiz. Diese Zeiten liegen längst hinter uns. Aber als Erinnerungen, als Funken aus der Glut von damals, seien hier doch einige Ziele und Errungenschaften der damaligen Partei genannt: der Familienschutzartikel in der Bundesverfassung und die Kinderzulagen (BV Art. 116), die Eliminierung der konfessionellen Ausnahmeartikel der Bundesverfassung (Art. 51 ff), die die politische Diskriminierung der Katholiken behob, der Kampf für das Frauenstimmrecht – was damals nicht so einfach war, auch innerhalb der Partei – und die Ratifizierung der europäischen Menschenrechtskonvention. Wenn ich mich an die damaligen Slogans und Werbesprüche erinnere, so sind diese auch heute noch aktuell: – «Gerechtigkeit für alle» – «Weder rechts noch links sondern geradeaus» – «Mit uns die Zukunft gestalten» Auch diese Glut im Herzen, die die drei genannten Slogans beinhalten, sollten wir uns als Tradition bewahren. Und wir sollten eine Partei haben, welche die christliche Inspiration nicht verleugnet. Will man den Namen der Partei verändern? A la bonne heure, soll man es wagen. Nur sollte man dabei eine der Kardinaltugenden nicht vergessen: die Klugheit! Also halten wir das «C» auch weiterhin fest, als unser Markenzeichen und die Klammer, welche die Partei mit der inneren Struktur und Breite unserer Bevölkerung zusammenhält. ■
ettore tenchio war von 1947 bis 1971 Nationalrat des Kan tons Graubünden, zuvor Regierungsrat und von 1960 bis 1968 Präsident der KonservativChristlichsozialen Volkspartei. Sonderausgabe
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Alexandra Perina
blunschY, Meier unD staMM: gebot unD auftrag Ich bin am 3. August 1976 geboren. Sechzehn Jahre nachdem die Anti-Baby-Pille in den USA eingeführt worden ist, zu einer Zeit, als die sexuelle Revolution vorüber war. Was hat der politische Kampf der CVP-Frauen Blunschy, Meier und Stamm für meine Generation bewirkt? 1976 hatten die Schweizerinnen das Stimm- und Wahlrecht erst seit fünf Jahren erkämpft. Die Schweiz gehörte zu den letzten europäischen Ländern, welches der weiblichen Bevölkerung die vollen Bürgerrechte zugestand. Sogar die Türkei war uns diesbezüglich Jahrzehnte voraus. Den Türkinnen wurde bereits 1930 das aktive Wahlrecht und 1934 das passive Wahlrecht zugestanden. 1996, als ich meine Matura absolvierte, habe ich viel über die Frauen in der Schweiz gelesen, die für ihre politischen Rechte und für die Gleichstellung von Mann und Frau gekämpft haben. Ich bin stolz, dass starke CVP-Frauen entscheidend an der rechtlichen Gleichstellung von Mann und Frau beteiligt waren. Das Trio aus der Innerschweiz – Elisabeth Blunschy, Josi J. Meier und Judith Stamm – haben den Weg für Frauen wie mich geebnet. Ihr politisches Erbe, der Kampf und das Engagement dieser Frauen wurden mir durch sie quasi in die Wiege gelegt. Ich habe für die Frauenrechte keine Unterschriften sammeln müssen, keine Abstimmungskämpfe geführt und nicht an Podiumsdiskussionen teilnehmen müssen, wo ich unerwünscht bin. Aus diesem Grund schulde ich den erwähnten CVP-Frauen heute ein politisches Engagement und Mitwirken für und in der Gesellschaft.
Vereinbarkeit 2012? Heute stimmt mich vor allem das Desinteresse junger Frauen an der Politik nachdenklich. Von Wahlen zu Wahlen schwindet der Anteil gewählter Frauen. Oft ist es eine Herkulesaufgabe, Frauen zu motivieren auf einer Liste zu kandidieren. Bereits die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist eine Herausforderung: Familienarbeit heisst Erziehungs- und Hausarbeit, dazu kommt noch eine Teil-Erwerbsarbeit. Zusätzlich dazu noch aktiv zu politisieren hat für Frauen mit Kindern eine vierfache Belastung zur Folge. Als junge Mutter interessieren mich Fragen über die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft. Ich stelle leider fest, dass trotz der sehr hohen Erwerbsquote der Frauen die Strukturen nicht so angelegt sind, dass eine Vereinbarkeit von Erwerbs- und Fami-
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lienarbeit einfach zu bewerkstelligen ist. Wie soll man beispielsweise sechs Wochen Sommerferien überbrücken, wenn ein Kind schulpflichtig ist und das andere im Kindergarten?
Veränderung braucht Zeit Der Kampf von Elisabeth Blunschy, Josi J. Meier und Judith Stamm sind mir Pflicht und Gebot zugleich. Gesellschaftliche Veränderungen dauern. Mit meinem politischen Engagement möchte ich das politische Erbe der erwähnten Pionierinnen verteidigen. Ich wünsche mir, dass in weiteren hundert Jahren die Worte von Simone de Beauvoir, die sie 1949 formuliert hat, nicht mehr gültig sind: «Ainsi la femme indépendante est aujourd’hui divisée entre ses intérêts professionnels et les soucis de sa vocation sexuelle; elle a peine à trouver son équilibre; si elle l’assure c’est au prix de concessions, sacrifices, d’acrobaties qui exigent d’elle une perpétuelle tension.» ■ alexandra Perina ist Fraktionssekretärin der Bundeshausfraktion.
Hans Peter Fagagnini
VoM Vorteil Des allParteiensYsteMs Die helvetische Gemütsverfassung ist eine besondere. Das zeigt sich in Krisen, die oft rasch Unwillen über die Politik aufkommen lassen. Die Gründe liegen in der Allparteienregierung. In ihr sind alle entscheidenden Kräfte in die Führung eingebunden. Es gibt darum kein anderes politisches Gremium, das sich als Alternative anbieten könnte, um Auswege zu monieren. Es stehen sich eben nicht Regierung und Opposition gegenüber, wo die Regierung in die Wüste geschickt werden kann und tags darauf die Opposition die Führung übernimmt. Deshalb muss auch niemand eine Systemkrise ausrufen – im Gegensatz zu unseren Strukturen, denen ein inhärenter Anreiz zum raschen Ruf nach der Krise eigen ist. Das allein vermag eine Reform aber nicht zu begründen. Was aber, wenn die Lage schlecht und die Stimmung gut ist? In einem solchen Fall ist erst auszumachen, ob überhaupt ein Reformbedürfnis manifest wird. Reformieren müsste man wohl schon. Aus der Staatsleitungsreform stünden ausgearbeitete Varianten zur Verfügung. Sie alle versprühen jedoch keinen besonderen Charme. Abgesehen von den bereits geäusserten Nachteilen sind sie immer noch auf die Allparteienregierung ausgerichtet. Offenbar macht es Mühe, in Varianten mit Regierung und Opposition zu denken. Wenn schon Opposition, dann soll diese Rolle schon eher das Volk an der Urne übernehmen. Immerhin bieten die Volksrechte dafür die Plattform. Da kaum jemand auf diese Rechte verzichten will, ist an eine grundlegende Umorientierung des politischen Systems auch gar nicht zu denken.
nach aussen geeint Lohnt es sich aber überhaupt, ein System mitzuschleppen, das alle paar Jahre als führungsschwach gebrandmarktet wird? Wer keine Bereitschaft zur Radikalkur ohne Volksrechte will, der muss sich damit abfinden. Aber es gibt noch einen weiteren und
vor allem triftigen Grund, am lieb gewordenen Allparteienfokus festzuhalten. Die Erfahrung mancher Kleinstaaten zeigt nämlich, dass diese besser beraten sind, wenn sie nach aussen geeint auftreten, als wenn sie sich als Mehrheit und Minderheit manifestieren. Ihre Reichweiten sind zu kurz, als dass sie es sich leisten könnten, interne Konflikte auch noch international auszutragen.
Kein ausruhen auf dem bisherigen Anstrengungen zu mehr Konsistenz und Führung dürfen nicht ausbleiben. Dazu zählt nur schon ein erster Schritt, den Bundespräsidenten für mehr als ein Jahr ins Amt zu wählen und ihm je nachdem eine Vetomöglichkeit im Kollegium einzuräumen. Zugegeben, Letzteres könnte für ihn gefährlich werden. Seine sechs Kollegen könnten sich provoziert fühlen und sich gegen ihn vereinigen. Da aber jeder Bundesrat weiss, dass er auch einmal als Bundespräsident amten wird, sollte der Anreiz zur Provokation limitiert sein. Nicht zu verfolgen wären dagegen weitere Kompetenzverlagerungen an die Verwaltung. Dafür aber der Erlass eines Regulativs, der aufführt, wann ein Bundesrat im Parlament erscheinen sollte. Heute schnellen die Stunden rasch in die Höhe, die ein Magistrat in Kommissionen und im Plenum verbringt. Und wenn er oder sie einmal eine Sitzung auslässt, muss er oder sie entweder mit Kritik aus den Räten rechnen, oder dann plagt das schlechte Gewissen. Über alles ist deshalb eine Reform trotz allem angezeigt. ■ hans Peter fagagnini war von 1974 bis 1988 Generalsekretär der CVP Schweiz, Vizedirektor im Bundesamt für Verkehr und Generaldirektor der Schweizerischen Bundesbahnen SBB. Sonderausgabe
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Ruth Humbel
christliche Politik ist nicht einseitig sozial Ist die Politik der CVP noch christlich? Rutscht die CVP nach rechts? Steht sie vor einer Zerreissprobe? Fragen, über welche die Medien spekulieren, insbesondere mit Verweis auf die Beschlüsse bei der Asylgesetzrevision und die laufende IV-Revision. Um es gleich vorweg zu nehmen: Die CVP ist eine bürgerliche Partei in der Mitte des Parteienspektrums mit realitätsbezogener Werteorientierung. Die Politik der CVP basiert auf christlichen Werten. Sie ist nicht laut, sondern sachbezogen und lösungsorientiert. Weder tabuisiert sie unbequeme Realitäten noch bewirtschaftet sie Probleme. Das geschlossene Auftreten der Fraktion ist erstrebenswert. Ohne sture Parteidoktrin ist eine Einheitsmeinung in einer Volkpartei indes nicht möglich.
Familienpartei und iV-revision Die IV ist das einzige Sozialwerk, das sich in den letzten Jahren als reformfähig erwiesen hat. Das Volk hat zwei Reformen gutgeheissen. Die 5. IV-Revision hat die CVP mit der Rechten durchgebracht, die Zusatzfinanzierung mit der Linken. Es ist das Ziel der CVP, den letzten wichtigsten Reformschritt umzusetzen, nämlich die Konsolidierung der IV bis Ende 2017, unter anderem mit einer Anpassung des Rentensystems sowie der Kinderzulagen für IV-Rentner. Der Ständerat hat 2011 auf Antrag der CVP gegen den Antrag des Bundesrates und der Rechten beschlossen, keine laufenden Renten zu kürzen. Eine Reduktion der Kinderzulagen für IV-Rentner ist indes vertretbar, weil die Kürzung durch die neu geschaffenen Familienzulagen kompensiert wird und es zudem Situationen gibt, in denen Familien durch die Berentung über mehr Einkommen verfügen als vorher mit Erwerbstätigkeit. Klar ist, dass dieser Entscheid
«Bischöfe und Priester, Würdenträger jeglicher Glaubensrichtungen sind genauso Bürger mit Meinungsäusserungsfreiheit wie andere auch. Aber als Institution sind die Kirchen in unserem säkularen, demokratischen Rechtsstaat keine dem Staat übergeordnete moralische Instanz.» Ruth Humbel
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intern Widerspruch auslöst. Die CVP setzt sich seit Jahren für die Stärkung der Familien ein, sie ist die klassische Familienpartei. Muss sie einer sachlich gerechtfertigten Kürzung einer IV-Familienzulage zustimmen oder darf sie das aus Parteiopportunität nicht?
solidarität nicht ausnutzen Schnell und gern wird der CVP unterstellt, sie verstosse gegen christliche Werte. Bei näherer Betrachtung entlarvt sich dieser Vorwurf jedoch mehr als ein rhetorisches Schlagwort sozialromantischer Gesinnungsmoralisten denn als Befund einer tieferen theologischen Analyse. Christliche Politik ist eben nicht einseitig sozial und solidarisch. In einer gerechten solidarischen Gesellschaft darf sich der Einzelne darauf verlassen, Hilfe zu bekommen, wenn er in Not ist. Die Gesellschaft ihrerseits muss aber auch Gewähr haben, dass die Solidarität nicht ausgenutzt wird. In der christdemokratischen Politik gehören Solidarität und Subsidiarität zusammen wie Freiheit und Verantwortung. Umverteilung muss fair erfolgen und den gesellschaftlichen Realitäten angepasst werden. rolle der Kirche Das Christentum blickt auf eine zweitausendjährige Geschichte zurück und christliche Werte werden immer aus der konkreten Zeit heraus interpretiert. Im jungen Bundesstaat mussten die unterdrückten Katholiken bei der protestantischen Vorherr-
schaft gleiche Rechte erkämpfen. Heute treten katholische und protestantische Kirchenvertreter gemeinsam auf, um parlamentarische Mehrheitsentscheide zu geisseln, wie jüngst bei der Revision des Asylgesetzes zur Frage des Wechsel von Sozial- zu einer Grundhilfe während des Verfahrens. Gewiss, Bischöfe und Priester sind genauso Bürger mit Meinungsäusserungsfreiheit wie andere auch. Aber als Institution ist die Kirche in unserem säkularen, demokratischen Rechtsstaat keine dem Staat übergeordnete moralische Instanz.
unwürdig ist nur die länge des Verfahrens «Im Namen Gottes des Allmächtigen!» steht am Anfang unserer auf christlichen Werten basierenden Bundesverfassung. Der ethisch-rechtliche Massstab politischen Handelns sind daher die verfassungsmässig garantierten Grundrechte, die Menschenrechtskonvention sowie die Flüchtlingskonvention. Als Christdemokratin bin ich in meinem politischen Handeln diesem übergeordneten Recht verpflichtet. Das gilt auch in der Asylpolitik. Was soll daher unchristlich, nicht menschenwürdig sein, wenn Flüchtlinge, die in ihrem Land an Leib und Leben gefährdet sind, bei uns für die Dauer des Asylverfahrens den erforderlichen Schutz, Unterkunft, Verpflegung, Kleider und medizinische Versorgung bekommen? Unwürdig sind höchstens die Länge des Verfahrens und die damit verbundene Unsicherheit für die Betroffenen. Das ist indes primär ein Vollzugsproblem der Behörden in Bund und Kantonen. ■
ruth humbel ist nationalrätin des kantons aargau, Mitglied der staatspolitischen kommission, der kommission für soziale sicherheit und gesundheit und des fraktionsvorstandes.
Sonderausgabe
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Mark Balsiger
MeDien, Politik unD wahlkaMPf
Nicht nur Kulturpessimisten sehen das politische System der Schweiz in der Krise. Diese hat auch die politischen Parteien erfasst: Sie kämpfen mit einem Problem, das einer breiten Öffentlichkeit kaum bekannt ist – dem Mitgliederschwund. Seit Mitte der Neunzigerjahre haben die Kantons- und Ortssektionen der etablierten Parteien bis zu 35 Prozent ihrer Mitglieder verloren. Diese Entwicklung destabilisiert das Milizsystem, führt zu einem chronischen Personalmangel für politische Ämter und ist damit eine Gefahr für die Demokratie. Die Kampagnenkommunikation ist nicht in der Krise, sondern im Umbruch: Auf den ersten Blick verläuft der Wahlkampf in der Schweiz zwar weitgehend traditionell – so, wie er bereits in den Sechziger-, Siebziger- und Achtzigerjahren geführt wurde. Beim genaueren Hinschauen stellt man aber fest, dass die gängigen Aktivitäten eine bedeutend schwächere Resonanz haben als früher. Parteiveranstaltungen sind Rituale mit beträchtlichem GähnFaktor, Podiumsdiskussionen ziehen nur noch spärlich Publikum an, für Standaktionen und Unterschriftensammlungen finden sich mitunter kaum genügend Helferinnen und Helfer. Die Jahrhundertabstimmung über den EWR von 1992 war eine Wasserscheide. Seither haben sieben Trends den Wahlkampf erfasst: 1. schweizweite oder sprachregionale Wahlkämpfe Bei eidgenössischen Wahlen existieren zwar weiterhin 26 verschiedene Wahlkreise, die Kantonsgrenzen sind aber nicht mehr relevant. Den Wahlkampf prägen ein paar wenige Themen, die den Diskurs schweizweit oder sprachregional bestimmen. Der Klimawandel dominierte die eidgenössischen Wahljahre 2003 und 2007, 2011 war es bis im Sommer der Super-Gau in Fukushima, später, als B-Thema, die Geldpolitik der Nationalbank.
2. Permanenter Wahlkampf Der permanente Wahlkampf ist kein oft bemühter und kritisierter Mythos, sondern eine Tatsache. Er hat mit Inseratekampagnen und «Buurezmorge» wenig zu tun. Beim permanenten Wahlkampf werden alle Aktivitäten einer Partei oder eines Politikers auf die Wahlen ausgerichtet, orchestriert, mediengerecht aufbereitet und verpackt. Dabei werden Probleme bewirtschaftet, ausgeschlachtet und skandalisiert, im Idealfall aber auch Programme und Lösungsansätze präsentiert. 92
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3. Personalisierung Die Personalisierung der Politik setzte in der Schweiz deutlich später ein als in anderen Ländern. Anfang der Neunzigerjahre waren Parteipräsidenten wie Peter Bodenmann, Franz Steinegger und Carlo Schmid medial präsenter als die meisten Bundesräte. Inzwischen hat sich das geändert: Die meisten Mitglieder der Landesregierung sind stark präsent. Das Fernsehen ist inzwischen auch in der Schweiz zum einflussreichsten Massenmedium geworden. Wer möglichst viele Menschen erreichen will – sei es, um sie zu informieren, sei es, um sie zu beeinflussen – muss vor die Kamera. Die Suggestivkraft von Fotos und bewegten Bilder ist enorm. Deshalb nutzen die Bundesräte das Fernsehen gezielt. In den Neunzigerjahren weigerte sich Flavio Cotti noch konsequent, in der «Arena» aufzutreten. Heute würde sich das kein Mitglied der Landesregierung mehr erlauben. Die Selektionskriterien der Medien sind knallhart: Wer beispielsweise nicht «Arena»- oder «SonnTalk»-tauglich ist, bleibt im Schatten. Nur wenige Politikerinnen und Politiker werden mit der wichtigsten Währung beschenkt: Aufmerksamkeit. Haben sie sich den Status des schlagfertigen und pointiert argumentierenden Talkgasts erarbeitet, zählen sie fortan zur Prominenz, was wiederum ein Kriterium ist, um anderswo eingeladen zu werden. Das Kriterium «Prominenz» steht bei der Auswahl der Gäste im Vordergrund. Ob sie auch wirklich etwas zu sagen haben, ist irrelevant. 4. emotionalisierung Stilmittel der Medienberichterstattung sind: Skandalisierung, Eventisierung und Emotionalisierung. Ein Thema muss für viele Medien heutzutage sexy oder emotional aufladbar sein, sonst greifen sie es nicht auf. Je komplexer oder abstrakter ein Thema, desto grösser ist das Risiko, dass die Leute innerlich abschalten und selbst einfache Fakten nicht mehr zur Kenntnis nehmen. Diese Entwicklung dürfte sich weiter verschärfen, weil es in Zu-
bundesratswahlen 1975. kurt furgler im tV-interview mit dem späteren Vizebundeskanzler achille casanova.
kunft keine einfachen Lösungen mehr für die Herausforderungen der Gesellschaft gibt. Infolge der Informations- und Reizüberflutung sind die Medienkonsumenten nur noch beschränkt aufnahmefähig. Was zählt, ist das, was bei ihnen ankommt. Emotionen wie Freude, Angst oder Wut sind einfach zu wecken. In der Schweiz brechen in allen Lebensbereichen jahrzehntealte Gewissheiten weg; der Globalisierungs- und Migrationsdruck verunsichert, was dazu führt, dass viele Menschen für einfache Antworten empfänglich geworden sind.
5. medien als regisseure Nebst der Emotionalisierung spielt die Medialisierung und Dramatisierung der Politik eine eminente Rolle. Das zeigt sich darin, dass Storys regelmässig wie Theaterstücke inszeniert werden. Vereinzelte Medien sind Regisseure geworden. Das Verhältnis mit der Politik ist symbiotisch: Politiker suchen das Scheinwerferlicht und bieten exklusive Informationen; Medienschaffende wiederum sind auf der Suche nach Primeurs und bezahlen dafür mit Scheinwerferlicht. 6. entpolitisierung des Wahlkampfs Insgesamt ist eine Entpolitisierung des Wahlkampfs zu beobachten. Wurden früher in breiten Bevölkerungsschichten engagierte Debatten – zum Beispiel über Asyl, Atomenergie oder Arbeitslosigkeit – geführt, dominieren heute Symbolpolitik und Reizthemen. Das liegt auch an den fundamentalen Umwälzungen der Medienarena Schweiz, die von ökonomischen Kriterien angetrieben werden. Viele Journalisten müssen heutzutage News wie am Fliessband fabrizieren; die Zeitung ist kein Kulturgut mehr, sondern ein Industrieprodukt, das Profit abwerfen muss; den Medienkonsumenten werden keine Inhalte mehr geboten, sondern Schlagzeilen, süffige Storys und «Content».
7. nutzung des internets Das Internet sorgte mit Verzögerung für einen Entwicklungsschub im Schweizer Wahlkampf. Mit seinem Aufkommen Mitte der Neunzigerjahre sind Wahlkampagnen vielfältiger geworden; seit 2008 die Sozialen Netzwerke Einzug gehalten haben, ist die Irritation gross. Viele Politisierende fühlen sich überfordert und schaffen es nicht, ihre Schwerpunkte neu zu definieren. Das hat verschiedene Gründe: Sie fürchten den Aufwand oder bezweifeln, dass sie mit den neuen Kanälen auch tatsächlich neue Wählersegmente erreichen können. Dabei wächst die Bedeutung des Internets weiter. Im Netz tummelt sich die Masse: Im letzten Jahr waren in der Schweiz rund 4 Millionen Menschen täglich online, 2005 waren es erst 2,1 Millionen. Jede dritte Person in unserem Land hat inzwischen ein Facebook-Profil; die Nutzerinnen und Nutzer verbringen durchschnittlich 25 Minuten pro Tag auf dieser Plattform. Der verunglückte Börsengang im Mai 2012 sorgte für einen erheblichen Reputationsschaden, vielen Jugendlichen ist Facebook nicht mehr hip genug und sie haben sich inzwischen anderen Anbietern zugewandt. Trotzdem wächst die Anzahl Facebook-User weiter. Die strukturelle Veränderung der Medienlandschaft und das neue Rollenverständnis der Medien stehen in einem direkten Zusammenhang mit der Kampagnenkommunikation und der neuen Darstellung der Politik. Krasser ausgedrückt: Die Medien haben die Politik und den Wahlkampf formatiert. ■
Mark balsiger führt seit 2002 eine Kommunikationsagentur für Politik beratung, Medienarbeit und Auftrittskompetenz. Er ist Autor zweier Bü cher über politische Kommunikation; auf wahlkampfblog.ch notiert er seine Beobachtungen zu Politik und Medien. Sonderausgabe
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Es konnten möglicherweise nicht alle Inhaber von Urheberrechten eruiert werden. Personen, die Rechte geltend machen möchten, bitten wir, sich an CVP Schweiz, Klaraweg 6, 3006 Bern zu wenden.
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Bildquellenangaben Seite titelseite – Der Bundesrat besichtigt die Grenzbefestigungen: Kunstanstalt Frobenius A.G, 1914, Militärpostkartensammlung der Bibliothek Am Guisanplatz, Bern. – Die Mitglieder des ersten Nationalrates (1849–1851): 1966, Erich Gruner. Die Schweizerische Bundesversammlung 1848–1920, Bern. – Schweizer Karte: Die Geschichte der CVP, CH-Magazin, 1987, SRG SSR. 4 Josef Leu von Ebersol: Dia, Archiv CVP Kanton Luzern. 5 Beschiessung der Schanze von Gislikon, 23. Nov. 1847. J. Ziegler. Lithographie auf Papier, koloriert. Um 1850–1890. Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich. 6 Adalbert Wirz: von Josef Brandenberger angefertigte Kopie. Original: Anton Stockmann. Rathaus Sarnen. 7 Katholisches Vereinshaus Union Hôtel Luzern: César Ritz Colleges Switzerland, Luzern. 9 Josef Zemp: Dia, Privatarchiv Alois Hartmann, Rothenburg. Josef A. Schobinger: Eugen Teucher, Unsere Bundesräte in Wort und Bild, Basel, 1944. Giuseppe Motta: Nationalbibliothek, Bern. Jean-Marie Musy: Nationalbibliothek, Bern. Philipp Etter: 1959, Bundesarchiv, Bern. Enrico Celio: Jahrbuch der eidgenössischen Räte, Parlamentsbibliothek, Bern. Joseph Escher: Nationalbibliothek, Bern. Thomas Holenstein: Staatsarchiv St.Gallen. Giuseppe Lepori: Archiv PPD Ticino. Jean Bourgknecht: 1932, Bundesarchiv, Bern. Ludwig von Moos: 1971, Bundesarchiv, Bern. Roger Bonvin: Archiv CVP Wallis. Kurt Furgler: 1977, Peter Friedli, Fotograf, Bern. Hans Hürlimann: Peter Friedli, Fotograf, Bern. Alphons Egli: Archiv CVP Kanton Luzern. Arnold Koller: Bundesarchiv, Bern. Flavio Cotti: Archiv PPD Ticino Ruth Metzler-Arnold: Archiv CVP Schweiz. Joseph Deiss: Archiv CVP Schweiz. Doris Leuthard: Archiv CVP Schweiz. 13 Aktionsprogramm 1971: Archiv CVP Schweiz. CVP-Zug: Die Geschichte der CVP, CH-Magazin, 1987, SRG SSR. 27 Josi Meier: Drei Wege ins Bundeshaus. Elisabeth Blunschy, Josi J. Meier, Judith Stamm. Sprenger Viol Inge, 2003, Luzern. 28 Eva Segmüller: Archiv CVP Kanton St.Gallen. 29 Elisabeth Blunschy-Steiner: Ruedi Fischli, Fotojournalist, Baden. 30 Greenpeace 53 Vereidigung der Bundesräte Max Petitpierre (FDP), Paul Chaudet (FDP), Fritz T. Wahlen (BGB), Jean Bourgknecht (KCVP), Willy Spühler (SPS), Ludwig von Moos (KCVP), Hans-Peter Tschudi (SPS) und des Bundeskanzlers Charles Oser. 1959, Keystone, Zürich. 61 Gemälde Gottfried Keller: Pastell Ludmilla Assing, 2. Mai 1854. Karikatur Gottfried Keller: «Wie eine wohlorganisirte Freischaar ausziehen that». Karikatur von Gottfried Keller als Tambour der Zürcher Freischärler. Aquarell, Johannes Ruff, 1845. 63 Stammbaum der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Ludwig Suter, Schweizer Geschichte für Schule und Haus, Einsiedeln 1912. 64 Familie Ruckli beim Lesen des «Vaterlandes»: 1918, Edwin Ruckli, Kestenholz. 66 Josef Zemp: Dia, Privatarchiv Alois Hartmann, Rothenburg. 68 CVP-Fraktionsausflug 1981 nach Stans mit Bundesrat Hans Hürlimann und Bundesrat Kurt Furgler: Privatarchiv Alois Hartmann, Rothenburg/Fotos: Edouard Rieben, Fotograf, Biel. 76 Rössli Ruswil: ca 1898, Privatarchiv Robert Erni, Ruswil. 78 Neue gallörsche Konfessionskarte: 1861, Staatsarchiv St.Gallen. 79 Beschreib des grossen katholischen Vereins: 1834, Staatsarchiv St.Gallen. 84 Adalbert Wirz: von Josef Brandenberger angefertigte Kopie. Original: Anton Stockmann. Rathaus Sarnen. Eugène Deschenaux: Jahrbuch der eidgenössischen Räte, Bibliothek am Guisanplatz, Bern. Josef Räber: Staatsarchiv Schwyz. Ernst Perrier: Staatsarchiv Fribourg. Eduard Guntli: Staatsarchiv St.Gallen. Raymond Evéquoz: Nationalbibliothek, Bern. Emil Nietlisbach: Jahrbuch der eidgenössischen Räte, Parlamentsbibliothek, Bern. Pierre Aeby: Staatsarchiv Fribourg. Joseph Escher: Nationalbibliothek, Bern. Max Rohr: Jahrbuch der eidgenössischen Räte, Parlamentsbibliothek, Bern. Jean Bourgknecht: Bundesarchiv, Bern. Ettore Tenchio: Nationalbibliothek, Bern. Franz Josef Kurmann: Privatarchiv Stefan Calivers, Willisau. Hans Wyer: Archiv CVP Wallis. Flavio Cotti: Archiv PPD Ticino. Eva Segmüller: Archiv CVP Kanton St.Gallen Carlo Schmid: Archiv CVP Schweiz. Anton Cottier: Archiv CVP Schweiz. Adalbert Durrer: Archiv CVP Schweiz. Philipp Stähelin: Archiv CVP Schweiz. Doris Leuthard: Archiv CVP Schweiz. Christophe Darbellay: Archiv CVP Schweiz. 93 Bundesratswahlen 1975: Kurt Furgler im TV-Interview. Privatarchiv Alois Hartmann, Rothenburg/Foto: Edouard Rieben, Fotograf, Biel. rückseite – General G. H. Dufour: Guggenheim, H., Militärpostkartensammlung der Bibliothek Am Guisanplatz, Bern. – Verhandlungen der Ruswilerversammlung: 1840, Staatsarchiv Luzern. – Konservative Volkspartei: 1984, Festschrift 150 Jahre CVP Kanton St.Gallen.
Ein besonderer Dank geht an folgende Personen und Institutionen, die die CVP Schweiz bei der Erarbeitung der historischen Inhalte besonders unterstützt haben: Alois Hartmann, Rothenburg; Edouard Rieben, Fotograf, Biel; Andreas Schmidiger, Entlebucher Heimatarchiv, Escholzmatt; Josef StirnimannMaurer, Ruswil; Stefan Gemperli, Staatsarchiv St.Gallen; Patric Schnitzer, Staatsarchiv St.Gallen; Peter Fleer, Schweizerisches Bundesarchiv, Bern; Martin Brunner, Parlamentsbibliothek, Bern; Franz Kiener, Staatsarchiv Luzern; Haus zum Dolder, Sammlung Dr. Edmund Müller; Mémoire régionale, Internetportal für historische Dokumente aus der Region Biel, Seeland und Berner Jura; Manuel Bigler, Bibliothek am Guisanplatz; Stefan Calivers, Willisau; SRG SSR.