Magazin fĂźr Meinungsbildung. Ausgabe 3 / April 2011 / CHF 7.80 www.die-politik.ch
Wirtschaft Wunder Wohlstand Winner
inhalt
TiTel
4 ist Wirtschaft christlich? 7 Wef und ethik 10 ZWei erWerbstätige für einen rentner 16 schWeiZer erfolgsreZept 18 unternehmer in der politik 20 aus dem system gefallen 24 kirchenmanagement 25 VolksWirtschaftliche unterlassungssünde 26 Wer hats erfunden? 34 riskante Währungspolitik
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Herausgeber Verein DIE POLITIK redaktionsadresse DIE POLITIK, Postfach 5835, 3001 Bern, Tel. 031 357 33 33, Fax 031 352 24 30, E-Mail binder@cvp.ch, www.die-politik.ch redaktion Marianne Binder, Jacques Neirynck, Yvette Ming, Lilly Toriola, Rudolf Hofer gestaltungskonzept, illustrationen und layout Brenneisen Communications, Basel druck Schwabe AG, Muttenz inserate und abonnements Tel. 031 357 33 33, Fax 031 352 24 30, E-Mail abo@die-politik.ch, Jahresabo CHF 32.–, Gönnerabo CHF 60.– näcHste ausgabe Mai 2011 titelbild: ©iStockphoto.com/Laoshi
Beitrag der SVP zum Atomausstieg
«Ohne Zuwanderung könnten wir uns heute Mühleberg sparen.» Walter Wobmann, Nationalrat SVP, 3. April 2011
ediTOrial – Marianne Binder, Chefredaktorin
rechte für alle. Wohlstand für alle Es gibt verschiedene totalitäre Regimes: kommunistische, faschistische kapitalistische, religiös dominierte. Ihnen ist eigen: ein Volk ohne Rechte, eine Wirtschaftspolitik mit kaum existierender sozialer Komponente, eine Gesellschaft ohne Mittelstand. Der Verwöhnungsgrad der Bürgerinnen und Bürger westlicher Gesellschaften lässt sich an der Anzahl der Romantiker solcher Systeme messen. Die Linke will im Jahre 2011 den Kapitalismus überwinden, und auf der rechten Seite beobachtet man die Verehrung von Führungspersönlichkeiten, denen man die Geschicke vertrauensvoll überträgt. Einfache Botschaften. Einfache Rezepte. Das muss man ernst nehmen. Dass das Heil nicht bei den politischen Polen liegt, ist eine Tatsache. Trotzdem feiern diese Erfolge. Daran ist nicht das Volk schuld, sondern die Qualität der politischen Propaganda. Die Schweiz ist so erfolgreich und wohlhabend geworden durch eine differenzierte Politik des Ausgleichs und des Kompromisses. Wohlstand für alle, lautet das Ziel. Wirtschaft ist nicht Selbstzweck, sondern Förderung der allgemeinen Wohlfahrt. Es muss uns gelingen, das Volk auf die erfolgreiche Wirtschaftspolitik der CVP aufmerksam zu machen. Sie fördert das unternehmerische Handeln, stärkt die Position der Schweiz im internationalen Wettbewerb, bekämpft Marktverzerrungen, schafft Arbeitsplätze und ermöglicht den Wohlfahrtsstaat. Sie macht das Erfolgsmodell Schweiz aus. «Für eine effiziente Wirtschaftspolitik ist das Volk eigentlich hinderlich», hörte ich kürzlich einen vom chinesischen Wirtschaftswunder faszinierten Parlamentarier erklären. Das Mitglied einer Partei, welche sonst die Volksrechte alles andere als beschneiden will, verfällt der Planwirtschaft. Solche Sprüche mögen hoffentlich zur Anekdote verkommen. Doch auch nur dann, wenn wir in diesem Wahlkampf für die Konkordanz und die erfolgreiche Politik der Mitte kämpfen.
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Pirmin Bischof, Nationalrat
fukushima, abzocker, GlobalisierunG: ist Wirtschaft christlich?
Ist Marktwirtschaft christlich oder unchristlich? Ist sie «reformiert» oder «katholisch»? Welchen Einfluss hat die christliche Religion auf das Wirtschaften der Menschen? Wie wird ein globalisiertes Wirtschaftssystem trotzdem gerecht? Was sagt der Christ zu «Abzockern», Arbeitslosigkeit und Umweltzerstörung? Als Rechtsanwalt bin ich nicht Theologe. Als Mitglied der Wirtschafts- und Abgabekommission und Wirtschaftssprecher des Präsidiums der CVP sind solche Fragen aber immer präsent. Das «C» im Parteinamen ist nicht bloss Etikett, sondern konkreter politischer Auftrag! Der «Markt» prägt die westliche Wirtschaft. Mengen und Preise werden nicht durch eine staatliche Lenkungsstelle, sondern durch das freie Spiel von Angebot und Nachfrage festgesetzt. Nach gemeiner ökonomischer Auffassung ermöglicht dieses System die effizienteste «Güterallokation». Jedes Gut wird also seiner «besten» Verwendung zugeführt. Es wird nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel produziert. So will es das Lehrbuch. Fakt ist, dass sich das marktwirtschaftliche System mit seiner ganzen Schlagkraft im christlich-humanistischen Europa und nicht in einer anderen Weltgegend entwickelt hat. Eine Untersuchung von Professor Bruno Frey der Universität Zürich hat 2003 ergeben, dass auch heute noch Christen eine positivere Einstellung zur Wirtschaft als Angehörige anderer Religionen 4
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haben. Muslime sind gegenüber Wirtschaftswachstum am skeptischsten und Hindus gegenüber wirtschaftlichem Wettbewerb.
«reformiert» oder «katholisch»? Der Soziologe Max Weber hat 1905 im seinem Hauptwerk «Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus» die bis heute nachwirkende These vertreten, die wirtschaftliche Entwicklung der westlichen Welt sei wesentlich auf den «protestantischen Geist» zurückzuführen. Die Reformation habe zu einer eigentlichen Revolution des Denkens geführt, welche den modernen Kapitalismus und damit das Wirtschaftswachstum überhaupt ermöglicht habe. Als Beleg mag man Calvins Prädestinationslehre heranziehen, die (in vereinfachter Form) davon ausgeht, dass der persönliche und wirtschaftliche Erfolg
eines Menschen auf Erden das vorgezogene Spiegelbild seiner späteren Stellung im ewigen Leben sei. Tatsächlich erfolgte die Industrialisierung im 19. und 20. Jahrhundert in städtisch-reformierten Gebieten wie Zürich, Basel oder Genf wesentlich schneller als in katholisch-ländlichen Gebieten. Dies galt für die Schweiz und die ganze westliche Hemisphäre. Es ist fraglich, ob diese These heute noch haltbar ist. Die erfolgreichsten Dienstleistungs- und Steuersenkungskantone sind in den letzten Jahren klassisch katholische Kantone wie Zug, Schwyz, Nid- und Obwalden. In Deutschland haben die beiden grossen katholischen Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern die kriselnden protestantischen norddeutschen Länder wirtschaftlich in den Schatten gestellt. Professor Frey führt zudem Norditalien und Irland als Beispiele dafür auf, dass ein weitgehend katholisches Gebiet über längere Frist ein gleiches oder gar höheres Pro-Kopf-Einkommen als das protestantische Europa aufweise. Wenn auch das irische Wirtschaftswunder letztens einen argen Dämpfer erlitten hat, eignet sich die Unterscheidung zwischen Katholizismus und Protestantismus also kaum mehr zur Erklärung eines unterschiedlichen wirtschaftlichen Erfolges.
Wie stehen christen zur marktwirtschaft? Eine Untersuchung der Universität Chicago auf der Grundlage des Datenmaterials aus dem «World Value Survey» (1981–1997) kommt zum überraschenden Schluss, dass regelmässige Gottesdienstbesucher eine grundsätzlich positivere Einstellung zur Wirtschaft haben als Personen, die nicht religiös sind. Religiös Aktive neigen eher zur Ansicht, dass der freie Markt zu fairen Ergebnissen führe und sie sprechen sich auch dezidierter für Institutionen aus, welche die Produktivität und das Wirtschaftswachstum fördern. Religiöse Menschen sind zudem weniger zu einem Rechtsbruch bereit und stützen damit ein stabiles Rechtssystem als eine der wichtigsten Grundlagen einer funktionierenden Marktwirtschaft. Als christlicher Politiker darf ich guten Gewissens den Markt dem sozialistischen Plan vorziehen. Heisst das, dass alles «in Butter» ist und wir christlichen Politiker davon ausgehen können, dass Adam Smith’s «invisible hand» (die unsichtbare Hand) des freien Marktes Probleme wie Armut, Arbeitslosigkeit und Umweltzerstörung von selbst regeln wird?
ist eine christliche Wirtschaft liberal oder sozial? Die kapitalistische Marktwirtschaft ist in christlichen Ländern entstanden. Es waren aber gerade die katholische und die
protestantische Kirche, die dazu beigetragen haben und heute noch dazu beitragen, dass die Marktwirtschaft nicht zur Barbarei ausartet. Markt beruht auf Eigennutz jedes Marktteilnehmers, des typischen «homo oeconomicus». Oder zynisch gesagt: Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht. Ein solches System genügt vielleicht manchester-liberalen Effizienzkriterien, sicher aber nicht dem Prinzip der christlichen Nächstenliebe. Zwinglis Zürcher Reformation verstand sich nämlich nicht nur als Reformation der Kirche sondern auch als Erneuerung von Staat und Gesellschaft. Zwingli hat sich zentral mit den damaligen sozialen Fragen beschäftigt: dem «ungerechten» Zinswesen, der Leibeigenschaft und dem Elend der Söldner. Dem Reformator war es ein Anliegen, die menschliche Gerechtigkeit der göttlichen Gerechtigkeit zumindest anzunähern. Wesentlich später, aber politisch wohl noch durchschlagender, entwickelte sich im 19. Jahrhundert die «katholische Soziallehre». Sie rückte Werte wie die Würde des Menschen, die Solidarität und die Subsidiarität ins Zentrum des wirtschaftlichen und politischen Denkens. Peter Ulrich, Professor für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen stellt fest, dass die protestantische Ethik mit dem Arbeitsethos «tiefer in die Entstehungsgeschichte des Geistes des Kapitalismus verwickelt» sei, wogegen die katholische Soziallehre eher als «externes Korrektiv» des an sich unbestrittenen Marktsystems betrachtet werden müsse. Völlig zu recht ergänzte der Sozialethiker Johannes Fischer aber, dass die katholische Soziallehre einen «kaum zu überschätzenden Beitrag zur Idee eines in sich ausgewogenen Sozialstaates geleistet» habe. Das erfolgreiche Konzept der «sozialen Marktwirtschaft» von Konrad Adenauer und Ludwig Erhard beruht demnach nicht auf manchester-liberalen, aber auch nicht sozialistischen Ideologien, sondern auf der katholischen Soziallehre.
hybris der neuzeit Masslosigkeit und Überheblichkeit wurde schon in der griechischen Welt als «Hybris» von den Göttern bestraft. Ikarus ist nicht etwa abgestürzt, weil er es wagte, mit selbst hergestellten Flügeln aus Federn und Wachs zu fliegen, sondern weil er gegen den Rat seines Vaters Dädalus «zu hoch hinauf wollte» und sich zu sehr der Sonne näherte. In Form von exzessiven und unkontrollierten Managergehältern und intransparentem Verschachern von Industriefirmen durch anonym gelenktes Kapital begegnet die Hybris uns aktuell wieder. Die Masslosigkeit hat in einem verantwortungsorientierten Weltbild gemäss katholischer Soziallehre keinen Platz. Die Politik 3 April 2011
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Hier haben gerade wir christlichen Politiker einen ethischen Auftrag, auch und gerade wenn die Kirche ihre führende Rolle «auf dem Markt der Werte» für viele verloren hat. Wenn der Manchester-Liberalismus Armut, Arbeitslosigkeit und Managerexzesse schulterzuckend hinnimmt, hat christliche Politik den Auftrag, die schöpferische und kraftvolle, aber gefährliche und zuweilen selbstzerstörerische, liberale Anarchie zu lenken. Oder – wie es die Nürnberger Erklärung von 2011 fordert: «Wer sich an den Massstäben Gottes orientiert, wie sie sich in den 10 Geboten finden, lehnt Korruption, Betrug, unfaire Löhne, überzogene Gehälter und Abfindungen genauso ab, wie Habsucht, Neid, Geiz und üble Nachrede.»
ist umweltschutz liberal oder christlich? Aus reinen Effizienzüberlegungen kann auch ein reiner Marktwirtschaftler zum Schluss kommen, dass Umweltschutz sich lohnt, weil in einer Welt mit zerstörten Gewässern, verseuchter Luft oder verstrahlten Landschaften nicht nur das Leben, sondern auch die Wirtschaft unmöglich wird. Wenn der Marktwirtschaftler Rechte zur Umweltverschmutzung (Umweltzertifikate) an einer Börse zum Handel frei gibt, tut er dies aber aus reinen Kosten-/Nutzenüberlegungen. Umweltverschmutzung ist so lange richtig, als das Preis-/Leistungsverhältnis stimmt. Der christliche Wirtschaftspolitiker kommt zwar teilweise zu ähnlichen Resultaten (z.B. CO2-Abgabe), geht aber von einer völlig anderen geistigen Grundlage aus. Für uns Christen ist die Bewahrung der Umwelt nicht primär eine Frage von Effizienz und Angebot und Nachfrage. Die Bewahrung der Schöpfung ist vielmehr zwingender biblischer Auftrag. Dem Menschen steht es nicht zu, die göttliche Schöpfung zu zerstören, vielmehr ist es einer unserer nobelsten Aufträge, Wasser, Luft und Erde in ihrer Integrität zu erhalten und dafür die politischen Mittel einzusetzen, die wir Menschen in der Hand haben. So habe ich als christlicher Verwaltungsrat eines Kernkraftwerks nach dem Unfall in Fukushima meine Position zur Kernkraft grundsätzlich überdenken müssen: Wirtschaften bringt immer Risiko mit sich. Nur: Wie viel atomares «Restrisiko» erträgt der Schöpfungsgedanke? Die christlichen Parteien werden in vielen europäischen Ländern entscheidend sein. Fazit: Die Marktwirtschaft ist nicht per se christlich oder unchristlich. Es hängt von uns christlichen Politikern/innen ab, ob sie sozial und umweltschonend bleibt, oder in Masslosigkeit, Barbarei und Umweltzerstörung abdriftet. ■
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Wörterbuch der Volksvertreter Schuldenbremse, die, subst., Instrument zur Vermeidung der galoppierenden Staatsverschuldung und zur Bekämpfung chronischer Defizite. 2001 vom Stimmvolk beschlossen und kurz darauf durch die Eidgenossenschaft eingeführt. Ziel der Schuldenbremse ist eine ausgeglichene Schuldenbilanz über einen gesamten Konjunkturzyklus hinweg. Das heisst, innerhalb einer Periode dürfen die Ausgaben die Einnahmen nicht übersteigen. Nach der Wirtschafts- und Finanzkrise stehen einige Länder vor einem riesigen Schuldenberg und schielen dabei neidisch auf die Schweiz. Doch die Schweiz hat das Rad nicht neu erfunden. Die meisten Privathaushalte wirtschaften im Alltag nach dem gleichen Prinzip. Sie verzichten auf Ferien, Luxusgüter oder verschieben die Anschaffung eines neuen Autos, wenn die Sparbüchse leer ist. Der Staat soll sich ein Vorbild nehmen.
©World Economic Forum/swiss-image.ch/Foto: Moritz Hager
sieben fragen an klaus schWab
gründer und präsident des WeltWirtschaftsforums 1. Inwiefern trägt das Weltwirtschaftsforum etwas zum
5. Wie sehen Sie die Rolle der Schweiz: Eigenständig
Erfolgsmodell Schweiz bei? Ich denke beide, die Schweiz und das WEF, profitieren von einander. Das Forum verkörpert urschweizerische Werte und trägt sie in die Welt: Beide sind wir unabhängig, orientieren uns an höchsten Leistungsstandards und werden weltweit geschätzt.
keit bewahren oder in der internationalen Gemein schaft aufgehen? Ich denke die Schweiz spielt international eine ausgezeichnete Rolle: Sie ist engagiert, wenn es gilt einen Beitrag zu leisten zur Lösung von Problemen. Aber sie behält immer ihre Unabhängigkeit. Die Eigenständigkeit sollte bewahrt bleiben.
2. Das WEF lebt von persönlichen, auch informellen
6. Eine zu grosse Verflechtung von Wirtschaft und Po
Treffen von Entscheidungsträgern. Braucht es das im Zeit alter moderner Kommunikationsmittel nach wie vor? Auch wir nutzen modernste Kommunikationsmittel: Während des Jahresreffens in Davos wurden wir auf Twitter 40 000 mal erwähnt, unsere Facebook-Freunde-Gemeinde schnellte von 15000 auf 65000 hoch. Das freut uns natürlich. Aber der persönliche Kontakt kann auch durch ausgeklügelte Technologien nicht ersetzt werden. Deshalb ist ja die Nachfrage nach unseren Treffen weltweit ungebrochen gross.
3. Ist die Forderung nach mehr Ethik in der Wirtschaft
mehr als nur ein Modetrend beim WEF? Glauben Sie, dass das WEF Verhaltensänderungen selbsternannter Eliten tatsächlich herbeiführen kann? Ethisches Verhalten hat für uns nichts mit Mode zu tun. Ich bin fest davon überzeugt, dass langfristig nur erfolgreich ist, wer sich an ethische Leitlinien hält. Wer sich nicht korrekt verhält, verschwindet schnell vom Markt. Es braucht eine gemeinsame Ethik. Wir tragen zu diesem Prozess sehr aktiv bei.
4. Sind Wirtschaftsführer sozial? Die meisten sind es. Sie freuen sich über ihren Erfolg, aber auch darüber, dass sie Arbeitsplätze schaffen und Menschen eine Perspektive geben können.
litik kann schädlich sein. Im Gegensatz dazu kann aber apolitisches Verhalten der Wirtschaftsführer ebenso ver heerende Auswirkungen haben auf die staatstragende Politik. Der Populismus wird gefördert. Wie sollte das Verhältnis von Politik und Wirtschaft gestaltet sein? Die Politik schafft den Rahmen für wirtschaftliches Handeln. Es ist wichtig, dass die Verantwortlichen in der Politik sich der Folgen ihrer Tätigkeit bewusst sind. Der permanente Diskurs zwischen Politik, Wirtschaft und auch Zivilgesellschaft ist unabdingbar für die nachhaltige Gestaltung der Zukunft. Das hat nichts zu tun mit undurchsichtiger Verflechtung oder «Verfilzung». Es braucht den offenen Dialog, die gemeinsame Suche nach Lösung, Es wäre zu begrüssen, wenn mehr Wirtschaftsvertreter im Parlament sässen.
7. Welches sind Ihrer Ansicht nach die grossen Themen
der Zukunft, welche auch an künftigen WEFVeran staltungen im Zentrum stehen werden? Längerfristig beschäftigen uns sicher die Entwicklung Chinas und die diversen Folgen für die ganze Welt; die Umstellung der weltweiten Wirtschaft auf umweltgerechte Energienutzung, Produktion und Vertrieb; die Verhinderung neuer Ungleichgewichte im Finanzbereich… ■ –Redaktion Die Politik Die Politik 3 April 2011
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Norbert Hochreutener, Nationalrat
Weniger administratiVe umtriebe Die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sind das Rückgrat der schweizerischen Wirtschaft. Gerade sie werden aber durch die administrativen Aufgaben, die ihnen der Staat aufbürdet, besonders stark belastet.
Viele kleine und mittlere Betriebe statt einiger weniger Grossunternehmen bedeuten eine bessere Risikoverteilung, mehr Krisenresistenz und mehr Beweglichkeit beim Wahrnehmen neuer Chancen. Die KMU spielen im Berufsbildungswesen eine wichtige Rolle. Sie bieten in allen Regionen Arbeitsplätze an und tragen dadurch zu einer ausgewogenen Entwicklung des ganzen Landes bei. Die grosse Bedeutung der KMU für die Schweiz ist auch der Grund, weshalb die CVP einen KMU-Delegierten ernannt hat. In dieser Funktion koordiniere ich seit 2005 die KMU-Politik der CVP.
administrative lasten Im vergangenen Jahr standen die administrativen Lasten der KMU im Vordergrund. Administrative Lasten sind Aufwendungen, die Unternehmen beim Verkehr mit dem Staat zu tragen haben, ohne dass beim Staat entsprechende Einnahmen entstehen. Es sind also beispielsweise nicht Sozialversicherungsbeiträge, sondern die Kosten für die Abrechnung der Sozialversicherungsbeiträge. 8
Die Politik 3 April 2011
Administrative Lasten können nie ganz vermieden werden, aber sie sollten minimiert werden. Tatsächlich nehmen sie zu. 1985 wendete eine durchschnittliche KMU 30.7 Stunden pro Monat für administrative Verpflichtungen auf. 1998 waren es schon 54.5 Stunden. Je kleiner eine Unternehmung ist, umso grösser sind die administrativen Kosten pro Arbeitnehmer, wie in Studien nachgewiesen wurde.
beispiel mehrwertsteuer Bei der Mehrwertsteuer, die letztlich von den Konsumenten bezahlt wird, benutzt der Bund die Unternehmen gewissermassen als Aussenstellen der Steuerverwaltung. Sie müssen die Steuer erheben und mit der Zentrale abrechnen. Die Unternehmen bezahlen nicht die Steuer, sondern die administrative Belastung. Diese administrative Belastung kann tief gehalten werden, wenn – die Vorschriften klar und einfach sind, – die Verwaltung rasch und verbindlich Auskunft gibt, – die erforderlichen Angaben mit EDV der Buchhaltung entnommen und dann übermittelt werden können. Mit dem neuen Mehrwertsteuergesetz sind Voraussetzungen für eine einfachere Abwicklung geschaffen worden. Konkret entscheidet sich jedoch auf der Ebene der Verordnungen, der Rundschreiben und der Verwaltungspraxis, wie gross die administrative Belastung wirklich sein wird. In einer Interpellation hat Nationalrat Pirmin Bischof bereits auf sinnvolle Lösungen bei der Einführung des Gesetzes gedrängt. In einer späteren Phase wird es darum gehen, die praktischen Erfahrungen der Unterneh-
Zwei initiativen für eine familienfreundliche Schweiz
CVP-Kraftpaket für die Familien
mungen zu sammeln und entsprechende Verbesserungen durchzusetzen.
kein schematismus Das Parlament behandelt das neue Aktien- und Rechnungslegungsrecht. An Unternehmen, deren Aktien an der Börse gehandelt werden, werden höhere Anforderungen bezüglich der Buchhaltung gestellt. Das ist auch richtig so. Nur wenn die Anleger die nötige Transparenz und damit das nötige Vertrauen haben, kann das nötige Kapital für unsere Wirtschaft beschafft werden. Die CVP hat sich bisher aber mit Erfolg dagegen gewehrt, dass diese verschärften Vorschriften auch für kleinere Unternehmen gelten sollen. Konkret heisst dies, dass die Grenzwerte, ab denen die schärferen Vorschriften gelten, möglichst hoch angesetzt werden sollen. Eine KMU braucht nun einmal nicht die gleiche Buchhaltung wie Novartis.
unendliche Geschichte Die KMU-Politik hört nie auf. Es gibt immer neue Gesetze, die umgesetzt werden müssen. Wenn nicht von Anfang an auch die administrative Belastung in die Überlegungen einbezogen wird, so wird diese zunehmen. Deshalb habe ich in einer Motion, über die noch nicht entschieden wurde, die Schaffung einer starken KMU-Stelle innerhalb der Bundesverwaltung gefordert. Diese Stelle müsste von Anfang an die Sichtweise und die Bedürfnisse der KMU einbringen, wenn Gesetze und Verordnungen erarbeitet werden. Sie müsste auch die nötigen Kompetenzen haben, um sich gegen Bundesämter durchsetzen zu können, welche zu schematisch denken oder nur von den Bedürfnissen der Verwaltung ausgehen. ■
Die Schweiz muss familienfreundlicher werden – davon ist die CVP überzeugt. Der Stellenwert der Familie auf politischer Ebene entspricht noch immer nicht der gesellschaftlichen Bedeutung, welche die Familie hat. Mit der Lancierung von zwei Volksinitiativen möchte sie der Heiratsstrafe endlich den Garaus machen sowie die Familienzulagen von den Steuern befreien. Die Familie erfüllt eine ausserordentlich wichtige Funktion. Deshalb sollte die Gesellschaft ein grosses Interesse daran haben, Familien zu fördern. Dies geschieht bis heute ungenügend. Verschiedene familienpolitische Forderungen der CVP werden im Bundesparlament blockiert. Jetzt soll das Volk entscheiden. Diskriminierung stoppen Das erste Anliegen ist ein altes. Seit langer Zeit setzt sich die CVP für die Beseitigung der Heiratsstrafe ein. Doch auch nach Jahren des Kampfes und punktuellen Verbesserungen werden Ehepaare steuerlich noch immer in vielen Fällen diskriminiert. Unverheiratete Paare fahren häufig besser – alleine deshalb, weil sie nicht verheiratet sind. Mit dieser Ungleichbehandlung muss Schluss sein. Mittelstand stärken Die zweite Initiative möchte die Kaufkraft der Familien stärken, indem Kinder- und Ausbildungszulagen künftig nicht mehr versteuert werden müssen. Es ist ein wichtiger Beitrag zur Stärkung des Mittelstandes. Die Idee dahinter: Der Mittelstand kommt heute kaum in den Genuss von staatlichen Unterstützungsleistungen, liefert aber im Gegenzug namhafte Steuerbeträge ab. Durch die Steuerbefreiung der Kinderzulagen könnte diese Belastung des Mittelstands gemildert werden. Am 7. Mai 2011 findet in Chur eine ausserordentliche Delegiertenversammlung zur Lancierung der beiden Initiativen statt. ■ –Redaktion Die Politik Die Politik 3 April 2011
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Hans Groth, Lehrbeauftragter Demografie und gesellschaftliche Entwicklung Universität St. Gallen
Wie sicher sind unsere renten nach der krise?
Der demografische Wandel ist neben dem Umgang mit natürlichen Ressourcen mit Abstand die bedeutendste Herausforderung der kommenden Jahrzehnte – für die Schweiz, für Europa und für die ganze Welt. Beschleunigt durch die Staatsschuldenkrise vieler Industrienationen werden uns die kommenden Jahre mit bisher nicht vorstellbaren Reformen des Sozialstaats und seiner umfangreichen Sicherungssysteme konfrontieren. In einigen EU-Staaten hat dieser Umbau bereits begonnen, und zwar mit einer Geschwindigkeit und einem Umfang wie er vor der Finanzkrise noch völlig undenkbar gewesen wäre. Für diese Bewältigung können wir auf keine historischen Erfahrungen zurückgreifen. Umso mehr ist ein ausreichendes Mass an Wissen und Verständnis unabdingbare Voraussetzung, um mit diesem unausweichlichen und einschneidenden Wandel umgehen zu können.
und ihre Nachbarländer sind eine nicht länger zu leugnende Herausforderung: viele Zusagen von Pensionskassen und sozialstaatlichen Transferleistungen sind allein aus demografischer Sicht mittelfristig nicht mehr solide zu finanzieren. Die neuesten Vorhersagen des Bundesamts für Statistik (BfS) für 2010 bis 2030 prognostizieren, dass die Schweizer Wohnbevölkerung langsam auf über 8 Millionen wachsen wird. Dies trotz anhaltend niedriger Geburtenraten, die aber als Folge einer aktiven Zuwanderungspolitik, zum Beispiel durch hochqualifizierte und produktive Arbeitskräfte aus dem EU-Raum, kompensiert wird. Keines der umliegenden Nachbarländer wird ein solches Bevölkerungswachstum verzeichnen können – Deutschland und Italien weisen sogar ein Minus von 4,5 Prozent (= 3,6 Millionen) beziehungsweise 1,3 Prozent (= 800 000) aus.
Wer finanziert künftig ahV und iV? Die Geburtenrate liegt in der Schweiz seit Ende der 80er-Jahre mehr oder weniger konstant bei 1,4 Geburten pro Frau. Um die Bevölkerung ohne Einwanderung konstant zu halten, müsste sie bei 2,1 liegen. Gleichzeitig hat die Lebenserwartung allein in den letzten 30 Jahren in der Schweiz für Männer um 6,5 Jahre und für Frauen um 6,2 Jahre zugenommen. Experten gehen davon aus, dass dieser Trend für eine gewisse Phase ungebrochen anhalten wird. Aber wer kann sich überhaupt heute die praktischen Konsequenzen für die Schweiz und das persönliche Leben jedes Einzelnen vorstellen, wenn im Jahr 2050 zwei Erwerbstätige für einen Rentner aufkommen müssen?
auswirkungen auf die Volkswirtschaft Bei der «UN Population Division» geht man davon aus, dass die verfügbaren Arbeitskräfte zwischen 2010 und 2030 in Europa abnehmen werden: in der Schweiz um –4,7 Prozent, Deutschland –12,9, Italien –7,2, und Österreich –4,6 Prozent. Zeitgleich wachsen die 65plus- und 80plus-Altersgruppen um 30 bis 60 Prozent. In der Schweiz wächst bis 2030 die 65plusAltersgruppe auf 24 und die 80plus-Altersgruppe auf über 7 Prozent der Gesamtbevölkerung. Das sind etwa 2 Millionen Menschen im Pensionsalter gegenüber heute 1,3 Millionen beziehungsweise 611 000 gegenüber 374 000 im Alter von 80 Jahren und älter. Trotz relativ günstiger Gesundheitsprofile und eines vergleichsweise hohen Renteneintrittsalters, im Schnitt über 65 für Männer und 64 für Frauen, sind ein zunehmender Druck auf AHV und IV sowie steigende Staatssubventionen für das Gesundheitswesen unausweichlich. Bleibt alles gleich, muss die Schweiz entweder neue Steuereinnahmen für ihre Sozialwerke erschliessen oder diese mit Krediten finanzieren.
Da der demografische Wandel in der menschlichen Wahrnehmung langsam abläuft, ist es nötig, einen genaueren Blick nicht nur auf die unmittelbare Zukunft, sondern auch auf die kommenden 20 Jahre zu richten. Die Prognosen für die Schweiz
Dies wird mit Sicherheit nicht ohne Folgen für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft bleiben. Momentan weist die Schweiz eine der geringsten OECD-Schuldenraten auf, nur ca. 45 Prozent des BIP. Der Staatshaushalt ist
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– trotz der europaweiten Staatsschuldenkrise – mehr oder weniger ausgeglichen. Dies bedeutet aber nicht automatisch, dass die derzeit von vielen bewunderte Stellung ewig gehalten werden kann. Die Schweiz ist ein Exportland mit einem Handelsumsatz deutlich grösser als sein BIP. Selbst wenn die Schweiz die Herausforderungen seiner Demografie und Staatsverschuldung infolge Transferleistungen und Einsparungen erfolgreich bewältigt, werden die mittel- und langfristigen Aussichten in hohem Masse auch von externen Kräften gesteuert: von der Weltwirtschaft sowie den wichtigsten Handelspartnern und deren Fähigkeit, ihre Herausforderungen in Sachen Demografie und Schuldenlast erfolgreich anzugehen.
Was ist zu tun? In Kenntnis der absehbaren demografischen Entwicklung geht es letztlich darum, nachhaltige Optionen für folgendes Szenario zu erarbeiten: Wie kann die Schweiz eine Steigerung des Lebensstandards und des wirtschaftlichen Wohlergehens gewährleisten? Japan ist bereits heute mit dieser Situation konfrontiert – mit der weltweit höchsten Überalterung und der weltweit höchsten Staatsverschuldung mit aktuell 193 Prozent des BIP. Die Resultate der Bemühungen der japanischen Politik werden wir bereits in den kommenden Jahren «live» beobachten können. Die Schweiz hat es in der Hand, dieses Thema aktiv oder gar proaktiv anzugehen.
Drei Handlungsfelder stehen im Vordergrund: 1. Thematisierung der problematik und ihrer Konsequenzen Was geschieht mit der Schweiz, wenn sie sich der Herausforderung Demografie nicht stellt? Welche Verantwortung hat die heute ältere Generation für die Lebensbedingungen nachfolgender Generationen? Ist es verantwortbar, dass die heute jungen Generationen die Altlasten einmal nicht mehr lebender Generationen zu bezahlen haben? 2. erhalt der volkswirtschaftlichen produktivität Wenn der Anteil der produktiv tätigen Menschen in einer Bevölkerung zurückgeht und die technologischen Produktivitätsfortschritte weitgehend ausgereizt sind, schrumpft eine Volkswirtschaft zwangsläufig. Abhilfe können hier nur noch zusätzliche produktive Jahre schaffen. Doch woher sollen diese kommen? Mögliche Szenarien sind: – Erhöhung der produktiven Jahre der arbeitenden Bevölkerung. – Eine Flexibilisierung der Pensionen. Es kann nicht sein, dass wir immer länger in guter Gesundheit leben und diese zusätzlichen goldenen Jahre als reine Freizeit und Belohnung selbstverständlich konsumieren. – Eine Verbesserung der sozialen Strukturen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die die Nutzung der Ressource «Frauen und Berufsleben» ermöglichen. 3. anpassung und ergänzung der renten- und pensionssysteme Renten- und Pensionssysteme wurden zu einer Zeit konzipiert, als das Verhältnis von produktiver zu pensionierter Bevölkerung noch völlig anders als heute war. Eine kreative und intelligente Anpassung oder Ergänzung der Rentensysteme wird unerlässlich. Wir alle haben es in der Hand zu bestimmen, ob demografische Alterung für uns und unsere Nachkommen ein «Stressfaktor» wird oder eine «Errungenschaft» bleibt. Aufgrund der relativen Trägheit unseres politischen Systems und benötigten Dauer für strukturelle Anpassungen unserer Sozialsysteme gilt es jetzt zu handeln. ■
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Das 20. Internationale «Europa Forum Luzern» widmet sich der Frage, wie sicher unsere Renten sind. Zu den Mitwirkenden gehört unter anderem der Autor dieses Beitrags. Das Forum findet am Montag, 9. Mai 2011 im KKL Luzern statt. www.europa-forum-luzern.ch Die Politik 3 April 2011
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Luc Barthassat, Nationalrat
das brasilianische WirtschaftsWunder 1998 musste Brasilien vom IWF notfallmässig ein Darlehen in der Höhe von rund 41 Milliarden Dollar beziehen. Zwölf Jahre später gilt das lateinamerikanische Land mit einer Wachstumsrate von fast 7,3 Prozent sowie konstant sinkender Arbeitslosigkeit und Armut als einer der wichtigsten Gewinner der grossen Weltwirtschaftskrise von 2009. Wie das? Der Grundstein für den gegenwärtigen Wohlstand wurde von Brasiliens Ex-Präsidenten Fernando Henrique Carduso gelegt. Die von ihm zwischen 1994 und 2002 betriebene Wirtschaftspolitik stoppte die Hyperinflation, die eine Verarmung des Mittelstandes verursacht hatte. Der Nachteil: Cardusos neoliberalen Methoden (starke internationale Integration der Wirtschaft mit einer hohen Abhängigkeit von ausländischen Investitionen, massive Verschuldung, mangelnde Sozialpolitik und proaktive Investitionen) verhinderten ein langfristiges Wachstum und zwangen das Land zu einer schmerzlichen Restrukturierung, was wiederum wachsende soziale Ungleich12
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heiten und eine Explosion der Gewalt in Städten zur Folge hatte.
kurzfristige massnahmen In dieser angespannten sozialen Situation wurde, nach einer ersten Erholung der brasilianischen Wirtschaft im Jahr 2002, Lula da Silva, ein ehemaliger Metallarbeiter, zu Brasiliens neuem Präsidenten gewählt. Zu dieser Zeit musste ein Drittel der Bevölkerung mit weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen, Brasilien litt zudem unter einer massiven Landflucht. Da Silva begann Programme für den sozialen Zusammenhalt zu för-
dern, wie beispielsweise die «bolsa familia e scolares». Diese unterstützt ärmste Familien, die ihre Kinder zur Schule schicken, mit Nahrungsmittelkarten und weiteren Hilfeleistungen. Rund elf Millionen Familien profitieren heute von dieser Unterstützung, die die schulische Betreuung ganzer Bevölkerungsschichten ermöglicht.
langfristiges Wachstum Nach seiner Wiederwahl im Jahr 2006 erkannte da Silva zunehmend, dass kurzfristige Hilfe wie mit der «bolsa familia e scolares» zwar wichtig ist, das Land jedoch auch dringend auf langfristigesWachstumangewiesenistundseineExportabhängigkeit verringern muss. In der Folge wurde ein erstes «Programm zur Beschleunigung des Wachstums» (PAC) auf die Beine gestellt, das mehrere wichtige Infrastrukturprojekte (insbesondere im Energiebereich) sowie die Unterstützung der Kreditvergabe und Finanzierung von Investitionen beinhaltet. Dadurch wurde verhindert, dass die brasilianische Wirtschaft 2009 in eine Rezession fiel. Für die Amtsperiode 2011–2014 unter der neuen Präsidentin Dilma Rousseff ist ein zweites Programm mit der dreifachen Investitionssumme vorgesehen. Diese Pläne lassen auf einen weiteren wirtschaftlichen Aufschwung hoffen.
V e r b i n d l i c h
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s rief mich kürzlich jemand an aus der Verkaufsabteilung eines Zeitungsverlages und fragte, ob wir interessiert seien im Wahljahr Inserate zu platzieren. Werbetechnisch sei dies ideal. Ich antwortete, dass ich es werbetechnisch noch idealer fände, wenn in seiner Zeitung etwas ausgewogenere Artikel über uns erscheinen würden.
Ich könne nicht einfach vom eigenen Blickpunkt aus urteilen, meinte der Verlagsmitarbeiter. Journalisten seien Menschen, deren persönliche Wahrheit eine objektive zu sein hat, Träger der reinen Botschaft, Medien eben. Ob mir das jetzt passe oder nicht! Haben Medienschaffende denn keine eigene Meinung, wollte ich wissen.
möglicher rückfall Dennoch trüben Schatten die positive Entwicklung. Trotz des Aufkommens einer neuen Mittelschicht, nahmen die sozialen Ungleichheiten in den vergangenen Jahren nicht ab. Die Reichen profitieren immer noch weitaus stärker vom Wachstum als die Armen. Brasilien bleibt ein Land mit einer gering entwickelten Infrastruktur und weist eine der höchsten Kriminalitätsraten der Welt auf (10 Prozent der Morde weltweit finden in Brasilien statt). Zudem spart die Bevölkerung kaum, beim Platzen einer Immobilienblase oder bei einer weltweiten Rezession wäre sie deshalb nicht in der Lage die Wirtschaft zu unterstützen. Hinzu kommen die hohen Staatsschulden, die trotz der Rückzahlung an den IWF kaum zurückgegangen sind. Die brasilianische Wirtschaft könnte somit leicht wieder in Schieflage geraten.
Doch, erfuhr ich, aber sie würden ihre eigene Meinung einer universellen unterordnen, eine Art Braindrain leisten im Dienste der Demokratie. Sie gehörten nur in Ausnahmefällen einer Partei an, meist einer parteilosen, und bei den Wahlen seien die Listen, welche sie abgäben, so wenig transparent wie die Parteispenden in der Schweiz.
unumgänglicher akteur Nichts desto trotz ist und bleibt Brasilien – allein wegen seiner Bevölkerungsgrösse und Landesfläche (die fünftgrösste weltweit) sowie seiner aufstrebenden Wirtschaft – ein unverzichtbarer Akteur der Weltpolitik und Weltwirtschaft. Es ist deshalb sinnvoll Brasilien bei Entwicklungsprojekten sowie im Bereich des Technologieaustausches zu unterstützen.
Es gibt einen Zusammenhang zwischen Geld und Wahrheit, deutete er an. Dazu lachte er, ich auch. Doch vielleicht müssten gewisse Unternehmen ihre Mitarbeiter besser schulen, bevor man sie auf Leute wie mich loslässt, die gute Witze in den falschen Hals bekommen.
Der brasilianische Werdegang seit 1998 kann zudem Vorbild für die Schuldenrestrukturierung der europäischen Staaten sein. Eine solche Restrukturierung dürfte jedoch unter keinen Umständen das wirtschaftliche Wachstum bremsen, ansonsten droht die Verarmung ganzer Bevölkerungsschichten. ■
Ich begann mich schlecht zu fühlen. Denn ich bin Partei und werde tagtäglich an der Wahrheit seines Verlages gemessen. Der Verkäufer offerierte mir Rabatt in einem Handel mit der Wahrheit, welche nicht gratis zu haben sei.
meinungsumfrage: Um welchen Schweizer Zeitungsverlag würde es sich handeln bei diesem Gespräch, das selbstverständlich erfunden sein könnte. Unter den vermutlich richtigen Antworten an binder@cvp.ch verlosen wir ein Abonnement von DIE POLITIK. –Marianne Binder Die Politik 3 April 2011
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die schWeiZ aus sicht der geWerkschaften Grundsätzlich ist das Arbeitsrecht in der Schweiz deutlich «günstiger» als in fast allen europäischen Nachbarstaaten – für die Unternehmen. Für die Beschäftigten ist das Arbeitsrecht deutlich «ungünstiger»: Kein Kündigungsschutz (selbst für ältere Beschäftigte mit langer Betriebszugehörigkeit), nur sehr beschränkte Mitbestimmung durch Betriebs- oder Personalräte, kein effektiver Schutz vor Repressalien wegen gewerkschaftlicher Betätigung. Dieses Konzept der Flexicurity wird andererseits flankiert durch eine bessere Arbeitslosenversicherung und eine gewachsene Sozialpartnerschaft. Doch Letztere (ALV und Sozialpartnerschaft) stehen in Zeiten der Globalisierung massiv unter Druck; die Zukunft muss zeigen, ob das «Schweizer Modell» noch trägt. Matthias Hartwich, Gewerkschaft Unia Zentralsekretariat
Für die erste Schweizer Allbranchengewerkschaft Syna ist es in einer globalisierten Wirtschaft wichtig, dass mit konstruktiver Sozialpartnerschaft die unterschiedlichen Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmenden auf dem Verhandlungsweg zu einer Win-Win-Situation führen. Syna setzt sich dafür ein, dass mit einem Interessensausgleich auf Augenhöhe menschenwürdige Arbeitsbedingungen und eine konkurrenzfähige Wirtschaft keine Widersprüche sind. Mit Sorge konstatiert Syna den Abbau bei der Arbeitslosenversicherung. Denn nur mit einem soliden Auffangnetz hat ein liberales und arbeitsplatzförderndes Kündigungsrecht Berechtigung. Mit einer Sozialplanpflicht würde die kompetitive Schweizer Wirtschaft in ihre soziale Verantwortung genommen. Arno Kerst, Vizepräsident Syna
Die für die Schweizer Wirtschaft wohl wichtigste Erfolgsstory der letzten Jahre war die Einführung der Personenfreizügigkeit. Die Unternehmen nutzten die Möglichkeit der Rekrutierung von ausländischen Fachkräften, was der Wirtschaft zu enormen Wachstumsschüben verhalf. Für Travail.Suisse war immer klar, dass gleichzeitig mit der Personenfreizügigkeit ein wirksames Instrumentarium eingeführt werden muss, dass die Arbeitnehmenden auf dem Arbeitsmarkt vor Lohndruck schützt. Heute führen im Rahmen der flankierenden Massnahmen rund 180 Inspektoren jährlich 27 000 Kontrollen durch. Dennoch, Lohndumping wird praktiziert. Für die Zukunft braucht es griffigere Sanktionsmöglichkeiten, insbesondere für Entsendebetriebe und eine Solidarhaftung von Erstunternehmern gegenüber ihren Subunternehmern. Susanne Blank, Leiterin Wirtschaftspolitik Travail.Suisse
Im internationalen Vergleich hat die Schweiz eine Arbeitsrechtsgesetzgebung, die nur wenige Einschränkungen kennt. Unsere Gesetzgebung ist so gestaltet, dass die Flexibilität des Arbeitsmarktes nicht gefährdet wird. Dieser Umstand wird durch die tragende Rolle der Sozialpartner kompensiert. Von ihnen wird erwartet, dass sie die gesetzlichen Bestimmungen mit günstigen Vertragsbestimmungen zugunsten der Arbeitnehmer ergänzen und diese auf die einzelnen Branchen anpassen. Das Zusammenspiel zwischen gesetzlichen Bestimmungen und den Sozialpartnern funktioniert allerdings nur solange Letztere im System eine entscheidende Rolle spielen. Leider sind heute nur noch weniger als die Hälfte der Arbeitnehmenden in einer Gewerkschaft organisiert. Das zunehmende Gewicht des dritten Sektors (Dienstleistung), wo der soziale Dialog kaum verankert ist, hat den Verhandlungsspielraum der Gewerkschaften zusätzlich geschmälert. Angesichts eines immer instabiler werdenden und weniger regulierten Arbeitsmarktes, braucht es – zum Schutz der Arbeitnehmer – eine Stärkung der Rolle der Sozialpartner und eine Verbesserung der Arbeitsgesetzgebung. Meinrado Robbiani, Nationalrat und Kantonalsekretär der Organizzazione CristianoSociale Ticinese
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OrTsTermine Viola Amherd, Nationalrätin
King X … … und ich. Keine Angst, ich fühle mich nicht als Queen – auch wenn mich King X auf dem Arbeitsweg ins Stockalperschloss täglich grüsst. King X, den der Künstler Ueli Wirz allen unbekannten Rechthabern dieser Welt widmet, hätte keinen besseren Standort als den in der alten simplonstrasse in Brigs geschichtsträchtiger Altstadt finden können. Auf dem Weg zum Bezirksgericht, zu den kantonalen Bildungsinstitutionen und zur Stadtverwaltung trifft man so zwangsläufig auf King X. Die Augen über die Köpfe aller anderen auf ein nicht definierbares Ziel in die Weite gerichtet, mit einem umgekehrten Trichter auf dem Kopf, der ihn vor der Aufnahme neuer Ideen schützt, ist er das Antisymbol für jene, die regelmässig an ihm vorbei defilieren.
Denn: Politiker und Politikerinnen haben immer ein präzises Ziel vor Augen, sind offen für gute Ideen, andere Meinungen und natürlich sehr kreativ. Prozessparteien sind nie von ihrer eigenen Wahrheit voreingenommen und offen für andere Standpunkte. Professoren wissen, dass sie nicht alles wissen und Studierende denken auf dem Weg zur Schule an nichts anderes als an die Steigerung ihrer Erfahrungen und Kenntnisse. Trotzdem kann den volksnahen Politikerinnen und Politikern, den unerbittlichen Streithähnen, den allwissenden Professoren und den neunmalklugen Studierenden ein Blick auf diese Skulptur nicht schaden. Denn manchmal denke ich, dass King X wohl eher Zwilling denn Antisymbol der Vorerwähnten ist – das gilt natürlich für alle ausser für mich! ■
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Dominique de Buman, Nationalrat
Schweizer Modell: Rezept füR eine gesunde WiRtschaft! Die Welt hat 2008 und 2009 zunächst eine Finanz-, und dann eine Wirtschaftskrise erlebt, von der sie sich bis heute noch nicht erholt hat. Die Korrekturmassnahmen am System fanden unter den führenden Wirtschaftsmächten keine Übereinstimmung. Und diejenigen, die diese gesellschaftliche Entgleisung zu verantworten haben, bedienen sich mit ihren hohen Entschädigungen wie vor der Krise. Alarmglocken scheinen keine zu läuten. Die Schweiz hat sich in diesem globalen Erdbeben im Vergleich zu ihren europäischen Nachbarn am besten verhalten. Sie hat das Unmögliche geschafft und sowohl die Arbeitslosenquote als auch das Verschuldungsniveau auf dem tiefsten Stand seit je gehalten. Gleichzeitig haben Schweizer Unternehmen ihr Know-how ausgebaut und die Erneuerung von Technologien weiter vorangetrieben – insbesondere im Energiebereich. Eine Analyse der Stabilisierungsmassnahmen, die in drei aufeinanderfolgenden Paketen angenommen wurden:
die arbeitslosenversicherung Im Bereich der Arbeitslosenversicherung hatte die Verlängerung der Bezugsdauer für Kurzarbeitsentschädigung positive Effekte auf die Schweizer Wirtschaft. Dank dieser Verlängerung – zunächst von 12 auf 18 Monate und dann von 18 auf 24 Monate – konnten im Exportsektor, insbesondere in der Uhrenindustrie, unnötige Entlassungen vermieden und unverzichtbares berufliches Know-how gesichert werden. Diese zwischenzeitliche Verlängerung der Bezugsdauer endet am 31. Dezember dieses Jahres. der tourismus Der Tourismus, der viertgrösste Exportfaktor der Schweiz, war schon immer ein Trumpf unserer Wirtschaft. 15 Millionen Franken wurden in eine Marketing-Offensive gesteckt mit dem Ziel, einen Markt zu unterstützen, der von Kunden lebt, welche hauptsächlich aus Europa stammen und von der Wirtschaftskrise betroffen sind. Damit wurde 2009 und 2010 die Belegungsrate in unseren Hotels garantiert und ermöglicht, den negativen Konsequenzen des starken Frankens zu trotzen. Heute gilt es, die Märkte aufstrebender Länder zu akquirieren. Dazu hat der Bundesrat dem Parlament die Genehmigung von zusätzlichen Krediten von je 12 Millionen Franken für die Jahre 2011 und 2012 vorgeschlagen. 16
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neue regionalpolitik Im Rahmen der neuen Regionalpolitik (NRP) wurden den Kantonen Hilfeleistungen zugesprochen, um deren Binnenmärkte zu unterstützen. Hier zeigt die Anzahl der 2009 und 2010 lancierten Projekte ebenfalls den guten Gesundheitszustand unserer öffentlichen Wirtschaft.
kaufkraft Zur Stärkung der Kaufkraft wurden viele verschiedene, gezielte Massnahmen ergriffen. Regierung und das Parlament haben die Steuerlast für die Familien gesenkt und die Auswirkungen der kalten Progression rascher als vorgesehen korrigiert. Damit wurde ein Preisanstieg in anderen Sektoren kompensiert und die Kaufkraft der Konsumenten garantiert. Verhältnismässigkeit bewahrt Weltweit gesehen ist der Gesundheitszustand der Schweizer Wirtschaft sehr gut. Wir dürfen uns der zweittiefsten Verschuldungsrate rühmen, gleich hinter Norwegen. Dies ist das Resultat der vernünftigen Politik von Doris Leuthard als damalige Vorsteherin des EVD. Sie verstand es sowohl den Nihilismusgesängen der SVP wie auch dem kostspieligen Sirenengeheul der Linken auszuweichen. Doris Leuthard konnte eine Politik der Verhältnismässigkeit gegenüber einem Parlament bewahren, das ihr gegenüber nicht unbedingt entgegenkommend war. Die CVP spielte bei diversen Entscheidungen im Parlament eine entscheidende Rolle. Um die wirtschaftlichen Akteure zu unterstützen, hat die CVP das Ausmass der drei Massnahmenpakete auf 2 Milliarden Franken, also 0.4 Prozent des BIP, beschränkt. Vernünftige langfristige Perspektiven Eine unnötige Überverschuldung konnte vermieden werden und zahlreiche Investitionen wurden lediglich angedacht.
Speakers’ Corner
Ausserdem wurden vernünftige und langfristige Massnahmen getroffen. Dies in den Bereichen der Beschäftigung von Jugendlichen, der energetischen Gebäudesanierungen oder der Innovationsförderung. Dies wird auch strukturelle Auswirkungen haben. Die Schlüsselfaktoren für unsere erfolgreiche Politik, um die uns zahlreiche Nachbarländer beneiden, tragen den deutlichen Stempel der CVP. ■
Grincheux Berne, une très belle ville inscrite au patrimoine mondial de l’Unesco. Tous les jours des cars déversent des centaines de touristes entre la gare et le parc aux ours. Qu’ils soient Italiens, Américains ou Chinois, ils se retrouvent tous avec leur appareil photo en main à la Tour de l’Horloge. En attendant que l’heure sonne, ils font les cent pas … et oh surprise ils découvrent un endroit bien étrange! Des plaques métalliques posées à environ 50 cm du sol et qui laissent entrevoir des pieds d’hommes … Les plus curieux s’avancent et aperçoivent alors un urinoir. Oui, un urinoir sans porte et … sans eau courante! En reprenant leur bus, les touristes jetteront un regard perplexe sur l’endroit et verront les têtes de ces messieurs alignés contre le mur. Une bien drôle de carte de visite!
Phantasieloser Bundesrat Eine der Lichtstunden schweizerischer Staatsführungskunst hat die Landesregierung im Mai 1992 dazu gebracht, in Brüssel ein Gesuch um Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen zu deponieren. Seit bald 20 Jahren liegt das Papier dort – und kommt doch nicht zur Ruhe. Wenn nicht gerade der deutsche Landadel, die Tragik rund um den japanischen Tsunami oder libysche Gegenoffensiven die öffentliche Wahrnehmung trüben, lässt sich das Beitrittsverhandlungsgesuch allemal für politische Schattenboxereien nutzbar machen. So jüngst durch den Aargauer Geostrategen Giezendanner, der sogar drei Gründe für den sofortigen Rückzug gefunden und flugs in die Form einer parlamentarischen Initiative gegossen hat. Zweifellos werden EDA, Nebs und economiesuisse sich unter grossem rhetorischem Aufwand gegen dieses Ansinnen stellen müssen. Angesichts dessen fragt man sich, wie die Eidgenossenschaft vor weiterem Aufruhr und innerer Verwerfung bewahrt werden kann. Vielleicht durch das, was die Schweiz am besten kann, nämlich die Sache in den Vordergrund zu stellen. «Sache» ist vorliegend: ein Blatt Papier, Format A4, geschätztes Gewicht von 120 g/m 2 (der Wichtigkeit des Inhalts angepasst; normal sind 80 g/m 2 ), mit einem Warenwert von ungefähren 4 Rappen. Und dann bitte keine langen politischen Tänze, sondern eine saubere sachenrechtliche Klage auf Herausgabe des Eigentums gemäss schweizerischem Zivilgesetzbuch. Denn wer hat denn gesagt, wir hätten dieses Papier geschenkt? Sicher nicht. Wir waren und sind Eigentümer. Und bevor «Brüssel» die Ersitzung unseres Gesuchs geltend machen kann, sollten wir es zurückholen. Nur eben nicht auf politischem Wege, sondern via Zivilprozess, und zwar – wenn schon – vor einem eigenen Richter. Wieso nur verschliesst sich der Bundesrat eigentlich solchen Ideen? Reto Wehrli
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Rudolf Hofer, Bümpliz
Unternehmer in der Politik
Politik und Wirtschaft treffen sich auf der persönlichen Ebene, wenn Unternehmer in die Politik gehen. Das schweizerische Milizsystem bietet ihnen dazu eine gute Chance. Wer mit Berufspolitikern in Konkurrenz treten will, hat kaum die Zeit, daneben eine Unternehmung zu führen. Wie Juristen, Ärzte, Lehrer oder Bauern bringen Unternehmer ihre eigenen Probleme, Erfahrungen und Denkweisen in die Politik. Dieses Einbringen unterschiedlicher Lebenswelten ist ein gewichtiger Vorteil des politischen Systems der Schweiz. Wie weit können Unternehmer aber die schweizerische Politik prägen? Zwei wirtschaftliche und politische Schwergewichte brachten aus ihrer Unternehmererfahrung bestimmte Strategien mit, setzten sie in der Politik ein, stiessen dabei an Grenzen und machten diese so sichtbar.
alfred escher Alfred Escher hat ein Denkmal vor dem Bahnhof Zürich und ein zweites in Artikel 141 über das Gesetzesreferendum in der Bundesverfassung. Das Denkmal in Zürich gilt vor allem seinen Leistungen im Eisenbahnbau. Die Eisenbahnen verlangten Unternehmen einer bisher unbekannten Art und Grösse. Der Kapitalbedarf war viel grösser. Unternehmen konnten nicht durch die Reinvestition von Gewinnen langsam wachsen. Escher war in der Wirtschaft ein genialer Netzwerker, der Investoren zusammenbrachte, welche die nötigen Mittel aufbrachten. Die Gründung der Kreditgesellschaft war ein Mittel zu einer in dieser Grösse vorher unbekannten Kapitalbeschaffung. Die Fähigkeit Netzwerke zu schaffen, brachte Escher auch in die Politik ein. Beim Eisenbahnbau, für den staatliche Konzessionen nötig waren, waren Geschäft und Politik ohnehin schwer zu trennen. 18
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Wirtschaftlich waren Eschers Netzwerke lange erfolgreich. In der Politik stiess Eschers Netzwerk jedoch auf eine demokratische Opposition. Diese wollte im Kanton Zürich das «System Escher» mit dem Gesetzesreferendum knacken, das dann in die Bundesverfassung von 1874 übernommen wurde. Die Übertragung eines übermächtigen Netzwerks in die Politik erwies sich letztlich als kontraproduktiv.
christoph blocher Ein Abstimmungskampf Gottlieb Duttweilers – eines anderen Unternehmers, der in die Politik ging – führte zur Ablehnung der Subventionen für das «Emser Wasser», einem Biotreibstoff der Emser Werke. Wären die Subventionen bewilligt worden, hätte Christoph Blocher wohl nie die Leitung und dann die Aktienmehrheit der Firma in Ems übernehmen können. Er hätte sie nicht zu einem effizienten, international erfolgreichen Chemieunternehmen machen können. Aus der Wirtschaft brachte Blocher seine Fähigkeit zur Führung und Organisation in die Politik ein. Er machte aus der SVP eine effiziente Kampfgemeinschaft, die Abstimmungen und Wahlen gewinnen kann. Effizienz und Disziplin der SVP haben linke Politiker zum Vergleich mit den linksextremen Splittergruppen veranlasst. Wie Markus Somm in seiner Blocherbiographie sagt, dürfte diese Ähnlichkeit darauf zurückzuführen sein, dass beiden die preussische Armee des 19. Jahrhunderts zum Vorbild diente. Diese Schlagkraft hat aber auch ihren Preis. Eine Kampfgemeinschaft braucht Feinde und mit Feinden zusammen kann man keine Lösungen anstreben. Deshalb kann die SVP zwar Mandate sammeln, aber sie kann diese – ohne eine unerreichbare absolute Mehrheit – nicht erfolgreich in politische Lösungen einbringen. Es bleiben gelegentliche Abstimmungserfolge in letztlich peripheren Bereichen und die Kraft zur Verhinderung von Lösungen. Wie lange das Volk seine Stimme Leuten geben will, die damit politisch nichts anfangen können, ist eine offene Frage.
erfolgreiches scheitern Zwei Unternehmer brachten unternehmerische Erfolgsrezepte in die Politik ein, hatten Erfolge und scheiterten letztlich. Sie scheiterten daran, dass in der Politik – wie in jedem Lebensbereich – eigene Gesetze gelten. Erfahrungen in der Wirtschaft können in der Politik hilfreich sein, aber sie genügen nicht. Wenn sie verabsolutiert werden, führen sie in die Sackgasse. ■
alfred escher, 1819–1882, nationalrat 1848–1882: Mitbegründer der Schweizerischen Nordostbahn und der Schweizerischen Kreditanstalt (der jetzigen Credit Suisse). Die von ihm gegründete GotthardbahnGesellschaft geriet wegen Kostenüberschreitungen beim Tunnelbau in Schwierigkeiten. Escher musste als Direktionspräsident der Gotthardbahn-Gesellschaft und als Verwaltungsratspräsident der Kreditanstalt zurücktreten.
Den verbleibenden Tagen mehr Leben geben Ruth Humbel, was ist Palliative Care? ruth humbel, nationalrätin (ag): Palliative Care ist der englische Begriff für eine umfassende, ganzheitliche Behandlung von Patienten mit einer voranschreitenden Erkrankung, die die medizinische, pflegende und begleitende Betreuung einschliesst. Die WHO definiert Palliative Care als eine Haltung und Behandlung, welche die Lebensqualität von Patienten und ihren Angehörigen verbessern soll, wenn eine unheilbare oder lebensbedrohliche Krankheit vorliegt. Das umfasst nebst der medizinischen Versorgung und nebst Massnahmen zur Schmerzlinderung bei Bedarf auch psychologische und spirituelle Unterstützung, immer mit dem Hauptziel einer Verbesserung der Lebensqualität. Warum hat Palliative Care in letzter Zeit an Bedeu tung gewonnen? Die Lebenserwartung der Menschen in der Schweiz steigt. Damit werden immer mehr Menschen von unheilbaren, fortschreitenden Krankheiten betroffen. Nur bei etwa 10 Prozent der Menschen, die jährlich in der Schweiz sterben, kommt der Tod plötzlich oder unerwartet. Die Diagnose «unheilbar krank» ist oft der Beginn einer schwierigen, belastenden Phase des Lebens sowohl für die Betroffenen selbst, wie auch für die Angehörigen. Die Mehrheit der Menschen stirbt nach einer mehr oder weniger langen Krankheits- und Pflegephase.
Palliative Care kann im Spital, in einem Alters- oder Pflegeheim, aber auch zu Hause angeboten werden. Mit Palliative Care kann die Versorgung zu Hause gestärkt, die Angst vor Schmerzen und dem Sterben genommen und der Wunsch nach selbstbestimmtem Sterben (z. B. assistiertem Suizid) verringert werden. Die Gesundheitspolitik stagniert. Die steigenden Kos ten dominieren den Diskurs. Wäre nicht zumindest im Palliative Care Bereich ein Umdenken angebracht? Doch. Die Diskussionen in der Gesundheitspolitik werden dominiert von den stetig steigenden Gesundheitsausgaben und Krankenkassenprämien. Diese Probleme müssen wir in den Griff bekommen, keine Frage. Wichtig ist es aber auch, die Menschenwürde im Alter zu schützen sowie die Endlichkeit des Lebens und die medizinische und pflegerische Betreuung in der letzten Lebensphase zu thematisieren. Wir müssen wegkommen vom Spitzenmedizinstreit und uns dafür einsetzen, dass alle Menschen auch an ihrem Lebensende eine gute Behandlung, Pflege und Begleitung erhalten. Wir sollten vermehrt nicht bloss das Machbare, sondern die Sinnhaftigkeit des Machbaren diskutieren. Wir können dem Leben nicht beliebig mehr Tage hinzufügen, aber wir können den verbleibenden Tagen mehr Leben geben. ■ Interview: Die Politik Die Politik 3 April 2011
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aus dem system Gefallen Es gibt in unserem Land auch sie: Menschen ohne Arbeit, ohne eigene Wohnung, ohne Geld. Ein Besuch im Passantenheim Bern.
Von ganz oben nach ganz unten Gisela S. hat, wie sie selbst sagt, alle Gesellschaftsschichten erlebt: «Ich war mal unten, mal Mittelschicht, mal ganz oben. Und nun bin ich hier.» Angefangen habe sie klein. Mit ihrem damaligen Mann eröffnete sie 1975 ein Lebensmittelgeschäft. «Wir waren sehr erfolgreich und konnten rasch zwei weitere Filialen eröffnen», sagt die 57-Jährige. Die Läden führte sie, ihr Mann einen Früchte- und Gemüsegrosshandel. 18 Jahre lief alles gut. Neun Lehrlinge konnte das Paar in dieser Zeit ausbilden. «Materiell waren wir mehr als gut gebettet», sagt Gisela S. In ihrer Ehe dagegen lief es immer schlechter. Es häuften sich cholerische Wutausbrüche ihres Mannes. Meist ging dabei Mobiliar zu Bruch, einmal erhob er seine Hand auch gegen sie. 1994 folgte die Scheidung, danach ein Leben wie eine Fahrt auf der Achterbahn.
das finanzielle aus
Sie ist nicht die Art von Person, die man in einem Obdachlosenheim erwarten würde. Gisela S.* trägt schwarze Bundfaltenhosen, einen grauen, eleganten Pullover, um den Hals eine schwarz-weisse Perlenkette, Perlohrringe, eine gepflegte Frisur. Zum Interviewtermin erscheint sie mit einem Notizbuch. Würde das Gespräch im «Bellevue» Bern stattfinden, Gisela S. würde ihrer eleganten Erscheinung wegen nicht auffallen. «Es kann so schnell geschehen, dass man plötzlich ganz unten ist», sagt sie. Die 57-jährige Schweizerin ist eine von rund 30 Bewohnerinnen und Bewohnern des Passantenheims Bern, einem Obdachlosenheim, das von der Heilsarmee betrieben wird. Seit dem 11. Januar 2011, als sie mit praktisch nichts in Bern ankam, ist das Passantenheim das Zuhause von Gisela S.
Gisela S. wollte auf eigenen Beinen stehen und schied deshalb nach der Scheidung aus dem Geschäft aus. Sie absolvierte verschiedene Weiterbildungen – Bürofachschule, Personalführung, Aussendienst –, arbeitete mal im Verkauf, mal als Filialleiterin, mal in einem Callcenter. Doch ihr Ziel war der Weg zurück in die Selbständigkeit im Bereich Detailhandel. «Und das schaffte ich auch», sagt sie. In welchem Bereich sie genau tätig war, darüber will die 57-Jährige nicht reden. Ihre Angst erkannt zu werden, sei zu gross. «Ich bin beim Aufbau meines Geschäfts an die falschen Leute geraten. Das hat mir finanziell das Genick gebrochen.» 2007 traf Gisela S. den folgenschweren Entscheid, alles in der Schweiz hinter sich zu lassen. «Ich kündigte sämtliche Versicherungen und zog mit dem wenigen Geld, das mir noch blieb, auf den Hof meines Bruders ins nahe Ausland.» Sie wollte eine Auszeit, «in der Natur und mit der Natur», wie sie sagt. Fünf Jahre blieb sie dort, besorgte den Haushalt ihres alleinstehenden Bruders, schaute zum Garten und half bei der Versorgung des Viehs. Ohne versichert zu sein. Ohne Lohn. Nur für Kost und Logis.
*Name der Redaktion bekannt
Was sie schon einmal erlebt hatte, sollte sich wiederholen. Mehrmals wurde ihr sechs Jahre jüngerer Bruder ihr gegen-
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über gewalttätig. «Meine Angst wuchs von Tag zu Tag.» Als die Situation vergangenen Winter eskalierte, floh Gisela S. mit einem einzigen Koffer, nur mit dem Nötigsten und 700 Euro Erspartem zurück in die Schweiz. «Am 11. Januar 2011, nach elf Stunden Bus- und Zugfahrt bin ich um 5 Uhr abends in Bern angekommen.»
ein dach über dem kopf Gisela S. hat keine Kinder, keine weiteren Verwandten. «Meine restlichen sozialen Kontakte sind in der Zeit, als das finanzielle Aus kam, weggebrochen.» Ihr sei deshalb, zurück in der Schweiz, nichts anderes übrig geblieben, als in ein Obdachlosenheim zu gehen. 12 Franken bezahlt sie für die Übernachtung in einem Zweierzimmer im Frauentrakt. Frühstück inklusive. «Es ist nicht einfach», sagt die 57-Jährige. «Man hat sehr wenig Privatsphäre.» Die meisten ihrer Mitbewohner hätten Alkohol- oder Drogenprobleme. Immer wieder sei deswegen auch die Polizei im Haus. «Zu Beginn hatte ich Angst vor den anderen Bewohnern, inzwischen habe ich gelernt, mit der Situation umzugehen.» Sie sei dankbar, überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben, sagt sie. Und wirkt dabei in ihrer eleganten Erscheinung im kleinen Aufenthaltsraum im Passantenheim etwas deplatziert. Gisela S. möchte so schnell wie möglich wieder ein normales Leben. «Ich suche Arbeit, noch hat es aber nicht geklappt.» Von der Sozialhilfe habe sie bisher nichts erhalten. Ihre Ersparnisse von 700 Euro konnte sie dank dem Verkauf des Schmucks, der ihr aus besseren Zeiten geblieben war, zwischenzeitlich auf 1800 Franken erhöhen. Doch das Geld neigt sich nach drei Monaten in der Schweiz dem Ende zu. «Mittagund Abendessen ist in den Wohnkosten nicht inklusive.» Seit Wochen plagt die 57-Jährige zudem eine hartnäckige Erkältung. «Der Arztbesuch und Medikamente haben mich 100 Franken gekostet – viel Geld für mich.»
hoffnung nie aufgegeben Wie es weitergeht, weiss Gisela S. nicht. Die Aufenthaltsdauer im Passantenheim ist beschränkt, in zehn Tagen steht die 57-Jährige deshalb womöglich wieder auf der Strasse. Schlimmstenfalls gehe sie dann in eine andere Stadt, suche in einem anderen Obdachlosenheim Unterschlupf.
MiSSiNG LiNk
D
ie Diskussion um die Klimaerwärmung, mögliche Folgen und erfolgversprechende Gegenmassnahmen ist kompliziert genug. Manche haben es gerne noch komplizierter. Sie bringen zusätzlich die moralische Ebene ins Spiel. Der Fairness halber je ein Beispiel von beiden Seiten:
«Es wird wärmer, aber das hat natürliche Ursachen und der Mensch ist nicht schuld daran, also müssen wir nichts tun.» Vermutlich ist diese Aussage sachlich falsch. Vor allem aber ist die moralische Frage nach der Schuld irrelevant. Sollte die Klimaerwärmung wirklich nichts mit menschlichen Aktivitäten zu tun haben, hätte sie trotzdem negative Folgen. Es wäre also sinnvoll, ihr dadurch entgegenzuwirken, dass man weniger CO 2 freisetzt. Auch wer nicht schuld daran ist, dass es regnet, sollte den Schirm aufspannen. Moral tönt gut, aber sie kühlt das Klima nicht. «Der CO2-Ausstoss muss in der Schweiz verringert werden. Zertifikate zu kaufen, bei denen man anderen Ländern Geld gibt, damit sie weniger CO2 ausstossen, sind nur ein unmoralischer Ablasshandel.» Dass der Zertifikathandel mehr CO2 spart als die meisten Reduktionen in der Schweiz, weil man jeden Franken dort einsetzen kann, wo er am meisten bringt, scheint hier nicht zu zählen. Moral mag die Seele wärmen, das Klima kühlt sie nicht.
Und wenn die Ersparnisse definitiv aufgebraucht sind? Gisela S. zuckt mit den Achseln. «Irgendeine Lösung wird sich finden», sagt sie mit ruhiger Stimme. Immer wenn sie geglaubt habe, es gehe nicht mehr weiter, habe sich irgendwo eine Türe geöffnet. ■
Es gibt in der Politik genügend ethische Probleme, die schwer oder überhaupt nicht zu lösen sind. Was hat beispielsweise Vorrang: CO2-Reduktion, Bekämpfung des Hungers oder Durchsetzung der Menschenrechte? Wer aber moralisch argumentiert, wo es um Sachprobleme geht, produziert nur heisse Luft. Davon haben wir ohnehin bald zu viel.
–Lilly Toriola
–Gerhard Pfister Die Politik 3 April 2011
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Konrad Graber, Ständerat
untaugliche Mittel gegen abzocker Es ist ein Ärgernis, wenn sich das Top-Management in gewissen Firmen sehr hohe Vergütungen zuspricht, ohne dass die Aktionärinnen und Aktionäre etwas dazu zu sagen haben. Mit zweistelligen Millionenzahlungen wurden viele Bürgerinnen und Bürger vor den Kopf gestossen. Wie kann es sein, dass jemand an einem Tag so viel verdient wie ein anderer in einem Jahr? Die Politik ist gefragt, hier dämpfend zu wirken. Die 1:12-Initiative und die Abzockerinitiative sind allerdings der falsche Weg. Viel besser ist das von der CVP entwickelte Modell, welches der Bundesrat im Wesentlichen übernommen hat. Der Vorschlag der CVP sieht vor, dass Vergütungen ab 3 Millionen Franken nicht mehr als Lohn im klassischen Sinne gelten, sondern als Gewinnbeteiligung zu qualifizieren sind. Dies bedeutet, dass diese hohen Entschädigungen keinen geschäftsmässig begründeten Aufwand mehr darstellen und daher vom Unternehmen versteuert werden müssen. Die Generalversammlung einer Aktiengesellschaft soll das Recht haben zu entscheiden, ob Vergütungen über 3 Millionen Franken ausbezahlt werden sollen oder ob dieses Geld nicht den Aktionärinnen und Aktionären in Form einer höheren Dividende zukommen soll. Allenfalls können diese Beträge auch in der Firma zur Stärkung der Kapitalbasis zurückbehalten werden.
mehreinnahmen von rund 100 millionen franken 2007 erhielten 383 Personen in der Schweiz Entschädigungen von über 3 Millionen Franken. Auf Stufe Bund hätte das Modell der CVP in jenem Jahr zu Steuermehreinnahmen von rund 100 Millionen Franken geführt. Diese Mehrbelastung der Unternehmen, welche sehr hohe Vergütungen bezahlen, steht in einem vernünftigen Verhältnis zu den im Jahre 2007 bezahlten Vergütungen von 2.3 Milliarden Franken. Auch ist zu bemerken, dass die steuerliche Mehrbelastung nicht das eigentliche Ziel des CVP-Modells ist. Sie ist jedoch notwendig, um zur gewünschten Dämpfung bei den sehr hohen Vergü22
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tungen beizutragen. Man kann den Pelz bekanntlich nicht waschen, ohne ihn nass zu machen. Weil es nicht das Ziel ist, über diese Regelung dem Bund mehr Mittel zu generieren, ist es durchaus denkbar, das Modell einnahmenneutral auszugestalten. So ist es möglich, beispielsweise bei der Unternehmenssteuerreform III ein etwas forscheres Tempo anzuschlagen und die 100 Millionen Franken zu kompensieren. Dieses Geld käme dann wieder den Unternehmen zu gute. KMU und Gewerbebetriebe sind nicht dafür bekannt, Entschädigungen über 3 Millionen Franken zu bezahlen. Diese Unternehmen dürften deshalb unter dem Strich von Steuerentlastungen profitieren.
höhere hürden Zusammenfassend lässt sich festhalten: Das CVP-Modell schliesst keine Millionenboni aus. Die Hürden zur Auszahlung von Entschädigungen über 3 Millionen Franken werden aber erhöht. Es soll nicht mehr das Management über sehr hohe Vergütungen entscheiden, sondern die Generalversammlung. Es entscheiden somit diejenigen, denen das Unternehmen gehört. Das ist sachgerecht und dient letztlich – durch die dämpfende Wirkung des Modells – dem sozialen Frieden in unserem Land. ■
Was macht den Standort Schweiz für Unternehmen attraktiv? Die Alfred Müller AG profitiert als KMU von den Tugenden des Schweizer Wirtschaftsstandortes: politische Stabilität, ein liberales Wirtschaftssystem, Rechts- und Arbeitsplatzsicherheit, ein gutes Ausbildungsniveau und eine hohe Arbeitsmoral. Diesen Tugenden hat die Generalunternehmung durch eine seriöse Geschäftsführung stets Sorge getragen. Indem sie langfristiges Denken vor kurzfristige Gewinnmaximierung stellt, durch die Bildung von Reserven Substanz schafft und Mitarbeitende, Partner und Kunden fair behandelt. Immer neue Regulierungen bedrängen heute leider das liberale Gedankengut, das unsere Wirtschaft stark gemacht hat. Gerade die Baubranche leidet unter einer preistreibenden Gesetzesflut. Die Politik ist aufgerufen, das Unternehmertum zu fördern statt neue Vorschriften zu erlassen.
Die Schweiz ist ein Referenzmodell für unsere Nachbarländer. Auch wenn sie in der internationalen Konkurrenz in Sachen Preisniveau nicht immer mithalten kann, so vertrauen doch viele Kunden lieber auf die hohe Qualität von Schweizer Produkten. Diesen Erfolg verdanken wir in erster Linie den Mitarbeitenden. Sie sind der wertvollste Rohstoff unseres Landes. Schweizer Mitarbeitende schätzen ihren Arbeitgeber, arbeiten gewissenhaft und sind gut ausgebildet. Der entscheidende Vorteil der Schweizer Unternehmen gründet vor allem auf der Qualität der Ausbildung, dem Prinzip des dualen Bildungssystems. Dieses ermöglicht jungen Menschen einen Lehrabschluss zu machen, in dem sie zwei Drittel ihrer Zeit im Unternehmen und einen Drittel in der Berufsschule verbringen. Mit einer solchen Ausbildung in der Tasche können junge Menschen in der Schweiz nach ihrem Lehrabschluss mit einer sicheren Basis und Zuversicht in die Zukunft gehen. Setzen wir weiterhin auf das erfolgreiche Dreiergespann Lernende-Eltern-Ausbilder! Dadurch wird die Schweiz ihre Attraktivität behalten.
christoPh müller, Vorsitzender der Geschäfts-
raPhy coutaz, Präsident des Walliser Handwerkerverbands
leitung der Alfred Müller AG
Als Präsident des Schweizerischen Schreinermeister- und Möbelfabrikantenverbandes (VSSM) habe ich jährlich einmal Gelegenheit, mich an der sogenannten Dreiländertagung mit meinen Kollegen aus den gleichen Berufsverbänden aus Deutschland und Österreich zu treffen. Dabei erfolgt ein Gedankenaustausch auf Präsidenten- und Direktorenstufe über berufsspezifische und wirtschaftspolitische Themen. Anhand von vergleichbaren, praktischen Beispielen werde ich von meinen deutschen und österreichischen Kollegen stets aufs Neue daran erinnert, dass sie in ihren Betrieben mit einer viel grösseren Zahl von eurostaatlichen Auflagen und Vorschriften aus Brüssel sowie mit wesentlich kürzeren Arbeitszeiten konfrontiert sind als wir Schweizer. Diese Feststellungen nehme ich mit nach Hause; sie trösten mich über so manche schweizerische Unannehmlichkeit als Unternehmer hinweg. ruedi lustenberGer, Nationalrat und Unternehmer
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Daniel Kosch, Generalsekretär Römisch-Katholische Zentralkonferenz der Schweiz
Kirchenmanagement, ein irritierender Begriff Die römisch-katholische Kirche ist eine der ältesten «global players» mit rund 1,2 Milliarden Mitgliedern und rund 4500 Bischöfen, die zusammen mit dem Papst für die Leitung zuständig sind. Mit ihrer geistlichen Aufgabe sind Verantwortungen verbunden, die zu den klassischen Management-Aufgaben gezählt werden: Personalführung, Finanzen, Verwaltung von Liegenschaften. Auch in der Schweiz ist die katholische Kirche mit rund 3 Millionen Mitgliedern, etwa 1900 Mitarbeitenden in der Seelsorge, mit Erträgen aus Steuern, Kirchen- und Staatsbeiträgen von rund 950 Millionen pro Jahr eine sehr grosse Organisation. Neben den Bistümern, Landeskirchen, Pfarreien und Kirchgemeinden bestehen zahlreiche kirchliche Verbände, Orden, Hilfswerke, Bildungshäuser, die auch als KMU oder Non-Profit-Organisationen (NPO) mit unterschiedlichsten Dienstleistungen in Bereichen wie Bildung und Beratung, Soziales und Freizeitgestaltung betrachtet werden können. Trotz des Bedarfs, in diesen Strukturen Führung und unternehmerische Verantwortung wahrzunehmen, sorgt der Begriff «Kirchenmanagement» nach wie vor für Irritation. Denn die Aufgaben rund um Finanzen, Personal, Strukturen und Infrastrukturen werden vielfach als «Nebenwirkungen» des eigentlichen, primär theologisch verstandenen kirchlichen Auftrags aufgefasst. Entsprechend spielen diese Dinge in der Ausbildung von Seelsorgenden eine untergeordnete Rolle – und bei der Auswahl von «kirchlichem Führungspersonal» hat deren Management-Kompetenz gegenüber ihrem theologischen Profil, ihrer Lebensführung und ihrer Treue zur Kirche weit weniger Gewicht.
erwachendes interesse an führungsaufgaben und Wettbewerb In den letzten Jahren haben jedoch Fragen des Kirchenmanagements deutlich an Bedeutung gewonnen. Es gibt dazu Publikationen, Kurse, Webseiten. Der Grund ist einerseits darin zu sehen, dass wirtschaftliche Fragen nach Effizienz und Effektivität in sämtlichen Lebensbereichen an Bedeutung gewonnen haben. Wie bei der Kultur, der Gesundheit, beim Sozialen oder der Bildung gibt es auch bei der Religion einen Management-Bedarf. Es gilt, sich im jeweiligen Markt zu positionieren und angesichts einer Fülle möglicher Optionen Pri24
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oritäten zu setzen und die verfügbaren Mittel so sinnvoll wie möglich einzusetzen. Ein anderer Grund für das zunehmende Interesse an Kirchenmanagement ist der tiefgreifende Umbruch, mit dem die Kirchen konfrontiert sind. Sie haben nicht nur ihre Monopolstellung verloren, auch ihr «Angebot» wird nicht mehr als unveränderlich und gottgegeben verstanden. Angesichts sinkender Priesterzahlen und rückläufiger Beteiligung an den Gottesdiensten muss entschieden werden, wie die Seelsorge organisiert werden soll. So kommt es zu Restrukturierungsprozessen und es entstehen neue Leitungsaufgaben, die entsprechende Kompetenzen erfordern. Gefordert sind auch die staatskirchenrechtlichen Behörden. Längst genügt es nicht mehr, dass sie die Kirchensteuern verwalten – sie müssen auch gestalten. Immer wichtiger werden Information und Kommunikation. Wie wird sichtbar gemacht, was die Kirche tut – vor Ort wie im Dienst der gesamten Gesellschaft? Obwohl die Kirchen in diesen Fragen sehr viel vom Management in Wirtschaft, staatlichen Strukturen (Public management) und in gemeinnützigen Institutionen (Non-Profit-Management) lernen können, ist es unerlässlich, dass sie ein eigenes Kirchenmanagement entwickeln. Denn sie haben den Auftrag, gerade dem zu dienen, was sich jedem Management entzieht: dem Unverfügbaren und dem, was die Grenzen des Machbaren übersteigt. Und sie sind der Botschaft Jesu verpflichtet, in deren Zentrum ein Gott steht, dessen besondere Aufmerksamkeit und Zuwendung gerade jenen gilt, die auf den Märkten unserer Leistungsgesellschaft keine Chancen haben: den Armen, den Versagern, den Verlierern und den Verlorenen. Demzufolge ist die Kirche gefordert, in ihrem Management den Gesetzen des Marktes Rechnung zu tragen ohne ihnen zu erliegen und ihre Botschaft in diesem schwierigen Umfeld zur Geltung zu bringen. ■
Willi Glaeser, Unternehmer und Möbelhersteller
Buchenholz, die üBergangene ressource Dem Schweizer Wald geht es gut. Er hat sich vom Waldsterben erholt. Das ist erfreulich. Neben seinen vielen Funktionen für Mensch und Tier ist der Wald ein wichtiger Rohstofflieferant. In unseren Breitengraden wird seit mehreren Jahren wieder vermehrt mit Holz gebaut. Architekten haben es als zeitgemässen Baustoff akzeptiert und können damit umgehen. Soweit die guten Nachrichten.
landesweit der grösste Abnehmer war. Es besteht keine begründete Hoffnung, in der Schweiz eine Produktion dieser Art wieder aufzunehmen. Bei der Eisenbahnschwellenproduktion hat die Buche die Eiche ersetzen können, wird aber durch die ausländische Konkurrenz bedrängt und vor allem durch Betonschwellen substituiert.
Doch: Während sich die Nachfrage beim Nadelholz als bevorzugtes Baumaterial laufend erhöht und bereits eine Verknappung spürbar ist, hat das Interesse an Laubholz Jahr für Jahr abgenommen. Rund zwei Drittel des Holzvorrates in den Wäldern besteht aus Nadelholz. Vom verbleibenden Drittel Laubholz stellen die Buchen die Mehrheit. Achtzehn Prozent des gesamten Waldbestands bestehen aus diesen Bäumen. Die übrigen Laubholzarten liegen alle unter vier Prozent. Auch die Statistik der Sägereien spricht eine deutliche Sprache, zu 95 Prozent werden Nadelhölzer eingeschnitten.
neue Verwendungsmöglichkeiten finden Aber das Buchenholz hat auch Vorteile, und diese gilt es zu nutzen: es ist hart, zäh und sehr homogen. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) hat die Zeichen der Zeit erkannt und fördert gezielt die Laubholznutzung mit einer Reihe von Massnahmen. Versuche für tragende Konstruktionen sind im Gange. Auch konnten bereits Normen angepasst werden, welche dem Buchenholz im statischen Holzbau entgegenkommen.
Wertvoller rohstoff Es müssen dringend neue Verwendungsmöglichkeiten für Laubhölzer gefunden werden, speziell für die Buche. Angesichts des weltweit prognostizierten Rohstoffmangels wäre es fahrlässig, nichts zu unternehmen und es wäre eine volkswirtschaftliche Sünde, diese nachwachsende Ressource nicht sinnvoll zu nutzen. Sägefähiges Buchenholz verwendet man nicht zu Heizzwecken oder als Biomasse für die Energiegewinnung. Die Verbrennung steht erst am Schluss des Zyklus. Zuerst muss das Buchenholz viele Jahre lang andere Zwecke erfüllen. neue materialien ersetzen die alten Die Herausforderungen sind vielfältig. Wo liegen die Probleme? Wo die Chancen? Die klassischen Anwendungen der Vergangenheit sind am Auslaufen. Viele Gebrauchsgegenstände wurden in den vergangenen Jahrzehnten durch Kunststoffe ersetzt, Grossanwender fallen weg. Im solothurnischen Attisholz wurde kürzlich die Zellulosegewinnung eingestellt, welche
Des weiteren ist die Buche ein schwieriges Material. Sie liefert vorwiegend unruhiges Holz. Die starken Formveränderungen bei der Trocknung und bei nachträglicher Feuchtigkeitsaufnahme und Feuchtigkeitsabgabe gestalten die Verarbeitung anforderungsreich.
Der vermehrte Einsatz im Hochbau ist begrüssenswert. Besser wäre es, ein industriell hergestelltes Baumaterial zu entwickeln, welches für Gebäude und Inneneinrichtungen verwendet werden könnte. Noch besser, aus Buchenholz Systemprodukte herzustellen und damit einen echten Mehrwert zu schaffen. Diese Systeme müssten so intelligent sein, dass sie exportiert werden können. Es ist eine verpasste Chance, wenn ein hochentwickeltes Land niedrig entwickelte Halbfabrikate oder gar Rohmaterial exportiert, wie dies heute immer noch der Fall ist.
Pionierleistungen Gesucht sind visionäre Unternehmer, welche diese Chance packen. Vor gut siebzig Jahren wurde in der Schweiz die Spanplatte erfunden, sie hat die Branche weltweit verändert. Nur eine Pionierleistung dieser Art, mit grosser Tragweite, kann der Buche weiterhelfen. ■
Willi glaeser ist Branchenkenner und setzt sich für die industrielle Nutzung von Buchenholz ein. Die Politik 3 April 2011
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Rudolf Imhof, alt Nationalrat
Ricola – eine Schweizer erfolgSgeSchichte Die Firma Ricola ist eine der modernsten und innovativsten Bonbonherstellerinnen der Welt. Sie exportiert ihre Kräuterspezialitäten in mehr als fünfzig Länder und ist bekannt für ihre hochwertige Schweizer Qualität. Erfolgsfaktoren der bekannten Schweizer Marke: spezialisierung: Die Spezialisierung begann bereits 1960. Das breite und bunte Sortiment von über hundert Süsswaren wurde innert weniger Jahre aufgegeben. Bereits 1960 begann die Spezialisierung und die Firma konzentrierte sich vor allem auf die Produktion und Vermarktung eines einzigen Produktes: dem Schweizer Kräuterzucker. Mit dieser Fokussierung konnte eine äusserst rationelle und damit kostengünstige Produktion sichergestellt werden. Der Auftritt mit einem klaren Markenprofil wurde möglich. Qualität: Mit der Spezialisierung auf Kräuterbonbons wurde auch die Bedeutung der Kräuter, namentlich der Schweizer Kräuter erkannt. Ricola ist Pionierin des biologischen Kräuteranbaus in der Schweizer Bergregion. Während vielen Jahren (verbunden auch mit Rückschlägen) wurde in Zusammenarbeit mit landwirtschaftlichen Organisationen und mutigen Landwirten der professionelle Anbau vorangetrieben. Daneben wurde die schonende Verarbeitung der Kräuter erforscht, es wurde investiert und viel Know-how gewonnen. Alle Kräuter der Ricola-Kräutermischung werden aus dem Schweizer Berggebiet beschafft. internationalisierung: Nachdem die technischen wie auch die qualitativen Voraussetzungen gegeben waren, wurde erstmals das Marketing aktiv. Bereits in den sechziger Jahren konnte mit dem Export des Schweizer Kräuterzuckers in umliegende Länder begonnen werden. So war insbesondere der Erfolg in Deutschland, Italien und Frankreich der Grundstein zum wichtigsten Wachstumsfaktor. 26
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Heute werden die Kräuterbonbons in über 50 Ländern verkauft. Der Exportanteil beträgt mittlerweile rund neunzig Prozent. konsequente markenführung: Aus dem Produkt Kräuterzucker wurde Schritt für Schritt die Marke RICOLA. Diese wird mit äusserster Sorgfalt gepflegt und entwickelt. Für eine Marke ist Vertrauen und Konstanz wichtig. Zu viele Veränderungen können zu Orientierungslosigkeit führen und den Verbraucher verunsichern. Dennoch muss die Marke auch mit der Zeit gehen, muss sich durch kleine, aber spürbare Veränderungen und vor allem auch neue Angebotsformen laufend aktualisieren. Am Anfang standen sehr traditionelle Werbebotschaften mit Matterhorn und Alphorn. In den letzten Jahren wurde mit dem Konzept «Wer hat’s erfunden?» ein neuer Weg eingeschlagen. Dank kreativer und kontinuierlicher Kommunikationsmassnahmen geniesst Ricola weltweit hohe Bekanntheit und stellt eine der wertvollsten Schweizer Marken dar. schweizer standort: Die Schweizer Herkunft ist in der Markenphilosophie von Ricola ein wichtiger Pfeiler und hat zur Entwicklung massgeblich beigetragen. Rohstoffpreise, Frankenkurs, Cassis de Dijon Prinzip sind Hemmnisse, trotzdem überwiegen die Vorteile des Schweizer Standorts nach wie vor. Wettbewerb: Im Vergleich zu den wichtigsten Konkurrenten ist Ricola ein kleiner Anbieter, muss mit knappem Budget operieren und ist deshalb auf kreative, aufmerksamkeitsstarke Werbebotschaften angewiesen. Mit einer klaren, engen Markendefinition kann Ricola eine Alleinstellung in einer Nische besetzen: der des Kräuterbonbons. Diese Alleinstellung aufrechtzuerhalten gelingt durch laufende Optimierung des Sortimentes, durch Innovationen, durch klare und kontinuierliche Markenbotschaften und eine grosse Konstanz in der Kommunikation. ■
Dringend mehr Polizisten!
Wer hat’s erfunden? Wer hat‘s erfunden?
Die Ricola wurde 1930 gegründet, Firmensitz ist Laufen. Sie exportiert in über 50 Länder und produziert rund 30 Sorten Kräuterbonbons und Tees. Ende 2009 betrug der Umsatz der Gruppe 316 Millionen Schweizer Franken. Als Pionier im Schweizer-Kräuteranbau, legt das Familienunternehmen grössten Wert auf ausgewählte KräuterStandorte. Sie kontrolliert den umweltschonenden Anbau ohne Einsatz von Pestiziden und Herbiziden und die schonende Verarbeitung. Ricola hat mit über 100 Bauern aus dem Schweizer Berggebiet Abnehmerverträge. Ricola beschäftigt heute rund 400 Mitarbeitende. Der Verwaltungsratspräsident von Ricola, Felix Richterich, gewann im Januar den Swiss Award in der Kategorie Wirtschaft.
rudolf imhof trat 1956 als Bonbonmacher-Lehrling in der richterich und co. laufen, der späteren Ricola, ein. Als Mitglied der GL und Verantwortlicher für Produktion und Logistik ging er Ende 1999 in Pension.
Sicherheit ist eine umfassende und integrale Aufgabe, sei dies im Innern unseres Landes oder für die Sicherheit unseres Landes gegen aussen. Diese Sicherheit gilt es zu erhalten. Vordringlich müssen für diejenigen Menschen, welche mit unserem Schutz betraut sind, gute Rahmenbedingungen geschaffen werden. Im europäischen Vergleich hat die Schweiz, gemessen an der Bevölkerung, die geringste Dichte an Polizeikräften. Pro tausend Einwohner hat Italien 5,6, die Schweiz nur 2,1 Polizisten. Man könnte in den effizienteren technischen Mitteln zur Verbrechensbekämpfung eine Kompensation der geringeren personellen Dichte sehen. Doch Technik kann die Nähe nicht ersetzen, die nur dann entsteht, wenn sich Menschen, ob Freund oder Feind, unmittelbar begegnen. Deshalb braucht die Polizei dringend mehr Personal, nicht für die Aufstockung von Spezialisten, sondern für Polizisten, die mit ihrem Quartier, ihrer Gemeinde oder ihrer Stadt eng verbunden sind und somit für diese Gemeinschaft auch Verantwortung übernehmen. Stichwort Polizist Wäckerli. Die Polizeiaufgabe macht dann Sinn, wenn der Polizist die Menschen, die er schützen soll, auch in ihrem Umfeld kennt. Dadurch wird er zum Vertrauten der Bevölkerung. Einsatzpatrouillen, die nur mit dem Fahrzeug im Quartier sporadisch Präsenz markieren, bekommen kein Gespür für den Menschen vor Ort; sie entfremden sich vom Bürger, die Polizei entwickelt sich zur Interventionspolizei.
daraus ergeben sich folgende konsequenzen: – Die Polizisten brauchen eine Ausrichtung auf den übergeordneten Auftrag. Sie müssen Zweck oder Sinn erkennen. Sonst werden sie zu Statisten oder Robotern. – Die Polizeibestände müssen massiv angehoben werden. Überlastung demotiviert und ermöglicht nebst Interventionen keine präventiven Aufgaben mehr. Das Sicherheitsgefühl beim Bürger schwindet. Die Polizei entfremdet sich vom Bürger. Dies ist nicht im Interesse unserer Gemeinschaft. ■ –Pius Segmüller, Nationalrat Die Politik 3 April 2011
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Umdenken bei der nachfolgeregelUng in kmU Die Nachfolgeregelung ist ein höchst aktuelles Thema in der Schweizer Wirtschaft und betrifft in erster Linie KMU-Betriebe. Credit Suisse und die Universität St. Gallen haben hochgerechnet, dass rund 80 000 Unternehmen in der Schweiz in den nächsten fünf Jahren vor einer Nachfolgeregelung stehen. Dies entspricht 27 Prozent aller Unternehmen. Probleme, auf die Unternehmer bei der Nachfolgeregelung stossen können und Lösungsansätze:
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faktor zeit Unternehmer, die ihr eigenes Unternehmen aufgebaut und durch alle Stürme gesteuert haben, kämpfen nicht selten mit der emotionalen Loslösung. Man sollte gerade in Familienunternehmen daran denken, dass die Gespräche mit allen Familienmitgliedern viel Zeit in Anspruch nehmen. Allfällige Nachfolger müssen zuerst aufgebaut werden. Im Weiteren müssen steuerliche Fristen eingehalten werden. Lösung: Im Idealfall beginnen Unternehmer schon vor dem 55. Lebensjahr, sich konkrete Gedanken über die Nachfolgeregelung zu machen und die nötigen Schritte einzuleiten sowie Gespräche zu führen.
«Rentenlösungen» sind steuerlich problematisch. Lösung: Unternehmer sollten spätestens ab dem 55. Lebensjahr damit beginnen, eine von der Unternehmensübertragung unabhängige Altersvorsorge aufzubauen und genügend Privatvermögen anzuhäufen.
Verflochtene Vermögensverhältnisse Nicht selten sind in KMU das private und geschäftliche Vermögen komplett verflochten und die Gelder verschiedener Familienmitglieder sind im Unternehmen investiert. Lösung: Auch hier sollte man vor dem 55. Lebensjahr damit anfangen, privates und geschäftliches Vermögen voneinander zu trennen. Privat gewährte Unternehmensfinanzierungen sind abzulösen.
überhöhte Preisvorstellungen Nicht selten haben Unternehmer die Vorstellung, die Firma einmal für Millionen von Franken verkaufen zu können und sich damit eine angenehme Altersvorsorge zu ermöglichen. Solche Annahmen sind gefährlich. Besteht zum fraglichen Zeitpunkt keine Nachfrage, nützen alle Preisvorstellungen und hohen Erwartungen nichts. Lösung: Unternehmer sollten beim Verkauf der Firma immer an den Nachfolger denken. Würden Sie dieses Unternehmen in der heutigen Zeit auch zum geforderten Preis kaufen? Wenn nein, besteht ein hohes Risiko, dass die Nachfolgeregelung platzt. Erstellen Sie eine seriöse Unternehmensbewertung als Basis für Preisverhandlungen. Wir raten von unrealistischen Unternehmensbewertungen (z.B. Gefälligkeitsgutachten) ab.
unzureichende Privatvorsorge Es ist nicht ratsam, die gesamte private Altersvorsorge nur auf der Hoffnung aufzubauen, das eigene Unternehmen später zu einem hohen Verkaufspreis an einen Nachfolger abgeben zu können. In keiner Branche weiss man, wie sich der Markt in zehn Jahren entwickelt.
nicht optimale rechtliche situation Eine grosse Hürde bei Nachfolgeregelungen in KMU können unzweckmässige Rechtsformen oder rechtliche Strukturen sein. Nicht unerhebliche rechtliche Probleme stellen sich auch bei Ehescheidungen. Lösung: Wenn ein KMU mit solchen
LokaLe Produkte sind im trend Problemen kämpft, gilt es eine rechtliche Bestandesaufnahme im Unternehmen und der Familie zu machen. Letztlich sollte hier immer professionelle Rechtsberatung beigezogen werden.
steuerfallen Unerwartete steuerliche Sperrfristen und andere Steuerfallen (z.B. indirekte Teilliquidation, hohe nicht betriebsnotwendige Mittel im Unternehmen, offene Veranlagungsjahre, Mehrwertsteuerabrechnungen, pendente Steuerprüfungen usw.) können die Geschäftsübergabe zum Scheitern bringen. Lösung: Auch hier kann nur empfohlen werden, sehr früh eine professionelle Steuerberatung einzuholen. fehlender nachfolger Der Nachfolge-Wunschkandidat aus der Familie ist nicht geeignet oder will partout nichts vom Geschäft wissen. Ein langjährig aufgebauter «Nachfolger» springt wenige Jahre vor der Geschäftsübergabe doch noch ab. Oder es sind schlicht keine Alternativen vorhanden. Lösung: Erstellen Sie ein Eignungsprofil des «Wunsch-Nachfolgers». Entspricht jemand aus der Familie oder aus dem Unternehmen diesem Profil, klären Sie frühzeitig ab, ob bei dieser Person überhaupt ein Interesse besteht. Wenn nein, bauen Sie ab Ihrem 55. Lebensjahr einen Nachfolger gezielt auf oder suchen Sie einen, der dem Eignungsprofil entspricht. ■ –Schweizerischer kMU Verband
Nicht nur Pandabären und Korallenriffe sind vom Aussterben bedroht, auch einheimische Wollschweine oder alte Schweizer Kartoffelsorten haben einen schweren Stand. Genauso wie viele andere Nutztierrassen und Kulturpflanzensorten, die über Jahrhunderte in der Schweiz kultiviert wurden und heute regional perfekt angepasst sind. Um diese genetische Vielfalt auch in Zukunft erhalten zu können, setzt sich die Stiftung ProSpecieRara seit bald drei Jahrzehnten für die Erhaltung von traditionellen Kulturpflanzensorten und Nutztierrassen ein. Im Jahr 1999 ist Coop eine Partnerschaft mit der Stiftung ProSpecieRara eingegangen. Ziel dieses Engagements ist die Rettung der biologischen Vielfalt. «Erhaltung durch Nutzung» lautet das gemeinsame Credo. Ein erster gemeinsamer öffentlicher Auftritt der beiden Partner fand mit der Apfelausstellung an der Expo.02 statt. Erstmals konnten Blaue Schweden-Kartoffeln und Coeur de Boeuf-Tomaten gekostet werden. Während den letzten zehn Jahren hat sich die Partnerschaft stetig weiterentwickelt. Viele kulinarische Raritäten wären inzwischen endgültig von der kulturellen Landkarte der Schweiz – und von unseren Speisekarten – verschwunden. Die Sicherung der Sorten und Rassen ist nur der erste Schritt. Langfristig können sie nur erhalten bleiben, wenn die Produkte auch wieder in den Verkaufsregalen zu finden sind. Coop schafft deshalb einen Anreiz für die Produzenten, traditionelle Sorten anzubauen und seltene Tierrassen zu züchten, indem beispielsweise Milchprodukte wie solche von Appenzeller Ziegen angeboten werden. Ziel ist es, die Produkte wieder marktfähig zu machen. Das Angebot wird deshalb kontinuierlich ausgebaut. Unterdessen sind etwa 30 verschiedene saisonal erhältliche Gemüsesorten, diverse Setzlinge oder Sämereien zu finden. Das Potenzial für die alten Sorten ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft. So wurden für die kommende Saison die Anbaumengen für ProSpecieRara-Gemüse stark erhöht und die Produktlinie wird auch kommunikativ eng begleitet und gefördert. Grosse Beliebtheit erfahren auch die regionalen Bio-Spezialitäten und Bergprodukte. Lokal oder regionalspezifisch produzierte Güter sind im Trend. Das Bewusstsein steigt, dass Produkte aus der Nähe weniger umweltbelastend sind, damit der Saisonalität genüge getan wird und die Wertschöpfung vor Ort sichergestellt ist. ■ –Denise Stadler, Mediensprecherin Coop Die Politik 3 April 2011
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Die Korruption hat weltweit zugenommen. Das zeigt eine globale Meinungsumfrage. Mehr als 91 000 Menschen in Teilnehmer in 86 Ländern wurden befragt. Im Fokus des Barometers stehen geringfügige Bestechungszahlungen, die Wahrnehmung, die man von öffentlichen Institutionen hat und wem die Befragten beim Kampf gegen Korruption vertrauen.
global corruPtion barometer 2010 Die negativsten Meinungen zu Korruption herrschen in Europa und NordAmerika, wo jeweils 73% bzw. 67% glauben, dass Korruption in den letzten drei Jahren zugenommen hat. In der Schweiz sind mehr als die Hälfte der Befragten (53%) der Meinung, dass Korruption in diesem Zeitraum vermehrt aufgetreten ist. 30
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Bestechungszahlungen an Behörden zeigen regionale Unterschiede. Im zentralen und südlichen Afrika wurden am häufigsten Bestechungsgelder gezahlt: mehr als jede zweite Person gibt an, in den vergangenen zwölf Monaten bestochen zu haben. Demgegenüber sind es im Nahen Osten und Nord-Afrika 36% der Befragten, in den ehemaligen sozia-
listischen Staaten 32%, in Lateinamerika 23%, auf dem Westbalkan und in der Türkei 19%, im Asien-Pazifik-Raum 15% und in der Europäischen Union und Nordamerika nur 5%. Empfänger von Schmiergeldern sind vor allem Polizei, Behörden im Gesundheitsund Bildungswesen, Registrierungs- und
Simone Curau-Aepli, Caritas Thurgau
auch firmen Wollen gutes tun Genehmigungsbehörden und Steuerbeamte. Besorgniserregend ist die Tatsache, dass sich Schmiergeldzahlungen an die Polizei und Justiz seit 2006 fast verdoppelt haben. Drei Viertel der Befragten geben an, Bestechungsgelder bezahlt zu haben, um Probleme mit den Behörden zu vermeiden oder Prozesse zu beschleunigen. Ärmere Menschen versuchen sich durch Bestechung auch Zugang zur Grundversorgung (wie zum Beispiel Bildung) zu sichern. Weitaus am stärksten betroffen sind Junge und Arme. Ein Drittel aller unter 30-Jährigen melden, in den vergangenen zwölf Monaten Schmiergeld bezahlt zu haben. Das mangelnde Vertrauen in Behörden und Politik ist evident. Acht von zehn Befragten sind der Ansicht, politische Parteien seien korrupt oder extrem korrupt. Dahinter reihen sich die öffentliche Verwaltung und das Parlament auf den Plätzen zwei und drei der korruptesten Institutionen ein. In der Schweiz nehmen die Befragten den privaten Sektor als am korruptesten wahr. Gleich dahinter folgen die Medien und die politischen Parteien. Und obwohl eine grosse Mehrheit (sieben von zehn aller weltweit Befragten) signalisieren, dass sie bereit wären, korrupte Handlungen, die sie beobachten, zu melden, reduziert sich dieser Anteil auf die Hälfte, wenn sie es selbst sind, die Schmiergelder bezahlen müssen. ■ Quelle: www.transparency.ch
Immer mehr Unternehmen entdecken ihre Verantwortlichkeit für Soziales und suchen nach Kooperationsmöglichkeiten mit Hilfswerken. Dank Social-Sponsoring konnte die Caritas Thurgau das Projekt «mit mir» ins Leben rufen. Sponsoring ist für viele Firmen zum erfolgversprechenden MarketingInstrument geworden. In einem längerfristigen Engagement geht es dabei nicht um selbstlose Hilfe für bedürftige Sportler oder Kulturschaffende, sondern darum, das eigene Image bei gewissen Zielgruppen positiv zu beeinflussen und die Beziehungspflege nach aussen und innen aktiv zu gestalten. Das ist legitim und löblich, liessen sich doch sonst die geliebten Openair-Kinos, Konzerte oder eben grosse Sportveranstaltungen gar nicht finanzieren. Soziale Institutionen in der Schweiz träumen von annähernd solchen Unterstützungsbeiträgen von Seiten der Wirtschaft. In der Schweiz hat das Social Sponsoring keine Tradition wie in den USA. Allerdings haben es sich einige Firmen zur Gewohnheit gemacht, anstelle von Weihnachtsgeschenken einer sozialen Institution einen Betrag zu überweisen und dies den Mitarbeitenden und der Kundschaft mitzuteilen.
freiwillige Paten Im Social-Sponsoring gehen Unternehmen mit sozialen Institutionen und Hilfswerken längerfristige Verträge ein und unterstützen damit gewisse Projekte, die mit Spendengeldern finanziert werden. Das Caritas-Netz hat verschiedene Projekte, die nur dank Sponsoring finanziert werden können. Ein solches Projekt ist das Caritas-Patenschaftsprojekt «mit mir», wo Beziehungen zwischen freiwilligen Paten und Kindern von Familien in sozial schwierigen Verhältnissen vermittelt und begleitet werden. Den Kindern fehlt vielfach eine gewachsene soziale Vernetzung (Verwandtschaft, Nachbarschaft, Vereine). Mit der Beziehung zu «Gotte/Götti» oder «Oma/Opa» erhalten die Kinder eine Bezugsperson, die ihnen Türen zum gesellschaftlichen Leben öffnen. Dadurch gewinnen sie Selbstvertrauen, das sich auf ihre persönliche und berufliche Entwicklung positiv auswirkt. Ich bin überzeugt, dass das Sponsoring-Engagement einer Unternehmung in soziale Projekte sehr aufmerksam wahrgenommen und honoriert wird, sei es von den Mitarbeitenden und deren Angehörigen wie auch von der Kundschaft, von Geschäftspartnern oder der Öffentlichkeit. Gebe und du wirst empfangen – das funktioniert auch in der Geschäftswelt. ■ www.caritas-thurgau.ch/mitmir Die Politik 3 April 2011
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Das letzte Geheimnis Der C-36
1939 zerschellte in Herbligen bei Thun ein Kampfflugzeug. 70 Jahre später ging der Grenchner Buchautor Peter Brotschi mit Augenzeugen auf Spurensuche. Und lüftete eines der letzten Geheimnisse um den spektakulären Absturz.
tiert. Ein letztes Mosaikstein jedoch fehlte darin: Lange blieb ein Rätsel, wo genau der C-36-Prototyp abgestürzt war. In keinem Archiv fanden sich Dokumente dazu. Brotschi wusste nur, dass die mutmassliche Absturzstelle des Kampfflugzeuges ausserhalb des Dorfes lag. «Ich ging deshalb auf Suche nach Augenzeugen», sagt Brotschi. Kein einfaches Unterfangen. Die meisten Zeitzeugen, die den Unfall miterlebt haben, sind im Verlauf der Jahre aus der Region weggezogen oder inzwischen verstorben. Doch Brotschi hatte Glück. Auf einen Zeugenaufruf im Gemeindeblatt meldeten sich zwei Personen: Ueli Wüthrich und Fritz Vogt, beide über 80, haben den Absturz hautnah miterlebt und die Bilder von damals bis heute nicht vergessen.
Es sollte ein Tag werden, der sich in das Gedächtnis manch eines Herbligers einprägen würde: Freitag, der 11. August 1939. Es war heiss, und das Gras auf den Feldern stand hoch. Über den Köpfen der Bauern, die das Korn mähten, zog ein Kampfflieger seine Kreise. Nichts Ungewöhnliches – zu jener Zeit waren öfter Flugzeuge am Himmel zu sehen. Testpiloten der Kriegstechnischen Anstalt in Thun brachten die Maschinen in Probeflügen über Herbligen, dem kleinen Dorf am Tor zum Emmental, bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit. Doch an jenem Freitagmorgen lief etwas schief. Statt wie gewöhnlich nach wenigen Sekunden Sturzflug wieder in die normale Position zu kommen, war der C-36-Prototyp plötzlich verschwunden. Augenblicke später hallte über Herbligen ein lauter Knall.
Verschwundenes flugzeug Fritz Vogt arbeitete am besagten Freitagmorgen des 11. August 1939 mit seinem Vater auf einem Feld im Nachbardorf Oberdiessbach. «Wir waren gerade am Heuen, als uns ein Flugzeug auffiel, das am Himmel Loopings flog», erzählt Vogt, der damals 14-jährig war. «Plötzlich war es weg, einfach verschwunden.» Obwohl er keinen Aufprall gehört habe, sei ihm sofort klar gewesen, dass etwas passiert sein musste. «Ich setzte mich aufs Fahrrad und fuhr ins Dorf.»
rätsel um den absturz Was an jenem Morgen des 11. August 1939 genau geschah, hat der Grenchner Buchautor Peter Brotschi in seinem Buch «Gebrochene Flügel» dokumen-
Ueli Wüthrich war als 11-jähriger Bub ebenfalls bei der Feldarbeit und schnitt gemeinsam mit Vater und Onkel das Korn. «Wir beobachteten, wie das Flugzeug hinter einer Kuppe verschwand.
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Sekunden später hörten wir einen unheimlich lauten Knall.» Gemeinsam mit dem Vater fuhr auch er den Hügel hinunter.
ein bild der zerstörung An der Unfallstelle bot sich ihnen ein Bild der Zerstörung: «Das Flugzeug war von der Wucht des Aufpralls zerborsten, der Klee auf dem Feld wegen der Explosion des Treibstoffs gänzlich verbrannt», erinnert sich Ueli Wüthrich. Allzu nahe durften die beiden Jungen damals nicht an das Wrack. «Wir wussten ja nicht, ob es womöglich eine weitere Explosion geben würde.» Daran, wo der über drei Tonnen schwere Kampfflieger abgestürzt ist, können sich die beiden Zeitzeugen noch genau erinnern. Mehr als 70 Jahre nach dem Unfall zeigen sie Buchautor Peter Brotschi auf dem «Haubenmoos», einem Feld etwas oberhalb des Dorfes, übereinstimmend dieselbe Stelle als Absturzort.
ausstieg bei 500 km/h Vom Piloten fehlte an der Unfallstelle damals jede Spur. «Der sprang rechtzeitig ab und landete unterhalb des Bahnübergangs bei Herbligen», hielt der damalige Dorfchronist Niklaus Vogel fest. Ein kleines Wunder – gab es doch vor dem Zweiten Weltkrieg noch keine Schleudersitze. Nicht selten machten es die hohe Geschwindigkeit und der enorme Luftsog unmöglich, dass sich Piloten mit ihrem Fallschirm aus dem Flugzeug retten konnten. Anders der Unglückspilot vom 11. August 1939, Ernst Wyss:
Er schaffte es, bei über 500 Stundenkilometern aus dem Flugzeug zu steigen. Mit seinem Sprung ins Freie war der 34-Jährige allerdings noch nicht gerettet. Fallschirme liessen sich damals noch nicht steuern. Unter ihm kamen die Starkstromleitungen gefährlich näher. «Schon aus grosser Höhe suchte er, den Leitungen durch Schlingerbewegungen auszuweichen», steht in der Dorfchronik. Das verzweifelte Rudern mit den Beinen half: Der Pilot kam genau zwischen beiden Leitungen unversehrt zu Boden. Von einem Dorfbewohner wurde er schliesslich an die Unfallstelle gefahren. Dort angekommen, zündete er sich als Erstes eine Zigarette an.
den kreis geschlossen Dank den Aussagen der beiden Zeitzeugen konnte Brotschi sein Buch 2009 in seiner fünften Auflage veröffentlichen. Nicht nur für die Augenzeugen, auch für die Familie des damaligen Dorfchronisten Niklaus Vogel, schliesst sich somit ein Kreis. Jahrzehnte nach dem Absturz hatte dessen Tochter auf einer Autofahrt durchs Entlebuch eine Panne. «Ein Automobilist nahm sie mit», erzählt ihr 71-jähriger Bruder, der heutige Ortshistoriker Peter Vogel. Als seine Schwester dem Helfer ihren Herkunftsort nannte, sagte dieser: Ganz in der Nähe sei er einmal «aus dem Flugzeug gestiegen». Sein Name: Ernst Wyss. ■ –Lilly Toriola
Der Unglückspilot von Herbligen, Oberleutnand Ernst Wyss, war 1939 als ziviler Testpilot bei der Kriegstechnischen Anstalt (KTA) in Thun angestellt. In der KTA wurden vor dem zweiten Weltkrieg Flugzeuge für die Schweizer Armee entwickelt. Der Prototyp der C-36-Flugzeugfamilie, die Wyss damals testete, sollte nach dem Versuchsflug an die Fliegertruppe nach Dübendorf überführt werden. Die C-36 wurde ab 1941 zu einem wichtigen Flugzeugtyp der Armee. Was kurz vor dem Unfall von 1939 im Cockpit genau geschah, hat Buchautor Peter Brotschi in seinem Werk «Gebrochene Flügel» beschrieben. Weil er das Flugzeug einem Belastungstest unterziehen sollte, leitete Ernst Wyss in 3000 Metern Höhe einen Sturzflug ein. Als die Maschine wie gewollt mit über 500 Stundenkilometern zu Boden raste, nahm er den Gashebel zurück. Das Erdkampf- und Aufklärungsflugzeug begann leicht zu drehen, was Wyss mit Gegendruck am Steuerknüppel korrigieren wollte. Im selben Moment vernahm er einen Schlag. Der erfahrene Pilot richtete das Flugzeug leicht auf. Doch Sekunden später begann der Steuerknüppel heftig zu schwingen. «Nachdem ich den Steuerknüppel mit beiden Händen gefasst hatte, schaute ich auf die Flügel, da waren beide Querruder weggerissen», gibt Wyss später zu Protokoll. Als sich der Kampfflieger immer schneller um die eigene Achse zu drehen begann, entschied sich er zum Ausstieg. «Die weggerissenen Querruder wurden mehr als fünfeinhalb Kilometer vom Flugzeugwrack entfernt gefunden», sagt Peter Brotschi. Unfallursache war ein Konstruktionsfehler.
peter brotschi arbeitet als Lehrer und Aviatikjournalist. Er ist seit 2009 Mitglied des Solothurner Kantonsrats und kandidiert diesen Herbst für den Nationalrat. Sein Buch «Alle Flugunfälle der Schweizer Luftwaffe» ist im Orell Füssli-Verlag erschienen. Die Politik 3 April 2011
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Eugen David, Ständerat
Währungspolitik mit risiken Massive spekulative ausländische Geldzuflüsse machen den Schweizer Franken immer teurer. Die Bewertung hat sich längst von der realen Volkswirtschaft und der realen Kaufkraft abgekoppelt. Realwirtschaftlich dürfte der Franken/Euro-Kurs nicht unter etwa 1.45 Franken liegen.
tert. Qualität und langjährige Kundenbeziehungen mögen den Preis noch kurzfristig in den Hintergrund rücken. Aber die Uhr läuft ab.
Man darf vermuten, dass nebst kurzfristigen Spekulationen die Auflösung von Euro-Konten und Wertschriften, die EU-Ausländer bei Schweizer Banken halten, eine Rolle spielen. Die bevorstehenden Änderungen der Amtshilfe in Steuersachen zeigen wahrscheinlich Wirkung. Auch der momentane unnatürliche Boom im Schweizer Immobilienmarkt dürfte damit zusammenhängen. Die Preise für Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen sind in einem Jahr um fünf Prozent gestiegen. Viel ausländisches Geld wird in Schweizer Immobilien umgeleitet.
risikobewusstsein bei snb wächst Gegenwärtig ist keine Aktivität der Schweizerischen Nationalbank erkennbar, obwohl ihr Risikobewusstsein wächst. So teilt sie in ihrem Dezember-Quartalsheft mit, sie sei bereit, einer Deflation entgegen zu wirken. Ebenso beobachtet sie die wachsende Immobilienblase mit Sorge. Die Deviseninterventionen vom Frühjahr 2010 kamen teuer zu stehen. Daher schiebt sie Massnahmen lange hinaus und nimmt das täglich wachsende Langzeitrisiko für den Schweizer Arbeitsmarkt bis auf weiteres in Kauf.
Dazu kommt: jede Kurssteigerung löst kurzfristig an den internationalen Finanzmärkten erneut eine spekulative Nachfrage nach Schweizer Franken aus und treibt ihn somit weiter in die Höhe. Die täglichen Finanztransaktionen in Schweizer Franken übersteigen die realen Transaktionen im Warenverkehr in Schweizer Franken um das Vierzigfache.
Dazu kommt ein weiteres Problem: Die Abhängigkeit des Schweizer Frankens vom Euro ist um einen Faktor deutlich über 10 höher als umgekehrt. Die Abwertung des Euros gegenüber dem Franken hat ganz unterschiedliche volkswirtschaftliche Auswirkungen: in Euroland sind sie praktisch nicht spürbar, in der Schweiz dagegen sind die Auswirkungen der Franken-Aufwertung massiv.
Betroffen ist nicht nur die direkt exportierende Industrie, sondern mehr und mehr auch deren Schweizer Zulieferer. Die Exportindustrie will das Währungsrisiko verständlicherweise nicht mehr alleine tragen und wälzt die Kosten auf die Zulieferer ab.
nachteile überwiegen Vorteil des harten Frankens: Die Importgüter in der Schweiz sollten billiger werden. (Momentan fliesst zwar der Grossteil des Erlöses noch in die Taschen der meist ausländisch beherrschten Alleinimporteure. An der Import-Preisfront bewegt sich nur wenig). Aber bestimmt kann man sich als Schweizer darüber freuen, dass man in Europa, aber auch in den USA billig einkaufen und Ferien machen kann.
taugliche instrumente? Wegen der unterschiedlichen Grössen der Volkswirtschaften und der Geldmengen bleibt die Frage, ob die Schweizerische Nationalbank überhaupt über taugliche Instrumente verfügt, um sich einer weiteren spekulativen Verteuerung des Schweizer Frankens entgegenzustemmen. Bis heute hat die Nationalbank die Frage unbeantwortet gelassen.
Doch die Nachteile überwiegen. Je länger die Spekulation in den Schweizer Franken andauert, umso mehr werden Arbeitsplätze in der Schweiz gefährdet, vor allem in der Industrie. Innert Jahresfrist haben sich die Schweizer Exportgüter um durchschnittlich 15 Prozent verteuert. Die Wettbewerbsposition des Schweizer Werkplatzes hat sich preislich deutlich verschlech-
Dennoch: Die volkswirtschaftlichen Kosten einer andauernden spekulativen Überbewertung des Schweizer Frankens sind deutlich höher einzuschätzen als die Kosten von allfälligen Massnahmen der Nationalbank. Daran muss die Nationalbank denken und entsprechend handeln. Die bevorstehende Zinsrunde ist die nächste Möglichkeit. ■
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WAS HABEN EIGENTLICH
VOr 20 Jahren… Böse Zungen behaupten, die CVP interessiere sich nur aus reinem Opportunismus für die Umweltpolitik. Doch bereits in ihrem Parteiprogramm 1991 propagierte die CVP die soziale Marktwirtschaft und den Respekt für die Umwelt. Folgendes war zu lesen: «Das Energieproblem stellt sich nicht nur im Zusammenhang mit den Ressourcen und deren Verteilung. Der unbedachte Gebrauch der fossilen Brennstoffe führt zu unvorhersehbaren Veränderungen des Klimas (Treibhauseffekt).» Und weiter: «Die Produktion von alternativen Energien (Sonne, Geothermie, Biomasse, usw.) muss gefördert werden.» Ausserdem stand im Programm von 1991, dass es wichtig sei, die nationale Produktionsforschung, (angefangen bei der Biomasse, Wasserstoff usw.) und Treibstoffe, die kein CO 2 emittieren, zu fördern. (ym)
schWule und lesben in der cVP Verloren? Viel! Denn auch in der CVP gibt es Mitglieder, welche offen zu ihrer Homosexualität stehen und sich dazu bekennen oder in ihrem nahen persönlichen Umfeld mit Lesben oder Schwulen zusammenleben. Deshalb hat das Präsidium der CVP Schweiz im vergangenen Sommer die Fachgruppe Homosexualität einberufen. Die Arbeitsgruppe hat sich und ihre Ziele am 20. August 2010 den Mitgliedern des Parteivorstandes der CVP Schweiz präsentiert. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde die Arbeitsgruppe mit einer Medienmitteilung der CVP Schweiz vom 12. Oktober 2010 vorgestellt. Was will die Fachgruppe konkret? Sie verfolgt in erster Linie zwei Ziele: – Die Sensibilisierung für das Thema Homosexualität in der Partei. Als Partei, die in den Randregionen weiterhin stark vertreten ist, besteht ein Bedarf, dieses Thema zu enttabuisieren. Ziel ist eine Positionierung der CVP in dieser Sache. – Die Fachgruppe setzt sich für den Abbau bestehender Diskriminierungen ein, wie zum Beispiel der Nichtzulassung homosexueller Männer zum Blutspenden. Die CVP verfolgt mit Interesse die Bemühungen für eine Lockerung des Verbots. Die Arbeitsgruppe steht unter der Leitung von Stefan Gassmann, CVP-Mitglied aus Luzern. Weitere Gründungsmitglieder sind Laurent Dietrich, Parteipräsident PDC Stadt Fribourg und Markus Hungerbühler, Parteipräsident der CVP Stadt Zürich. Weitere Informationen über die Fachgruppe werden bald auf der Website der CVP zu finden sein. Die Gruppe steht allen Mitgliedern der CVP und der CVP-Vereinigungen offen. Auch «Heteros» sind herzlich in der Fachgruppe willkommen. Interessierte melden sich bei Stefan Gassmann (E-Mail: stega.suisse@bluewin.ch). –Stefan Gassmann
Die Politik 3 April 2011
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Zwischen 2008 und 2011 haben wir Ăźber
80% der Abstimmungsvorlagen gewonnen!
Wir wissen, was das Volk will! Keine Schweiz ohne uns.
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