Magazin fĂźr Meinungsbildung. Ausgabe 5 / Juli/August 2011 / CHF 7.80 www.die-politik.ch
Bauernspiegel Ă–kologie Markt Bodenschatz
inhalt
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la réponse du pdc à l’udc.
impressum
Herausgeber Verein DIE POLITIK redaktionsadresse DIE POLITIK, Postfach 5835, 3001 Bern, Tel. 031 357 33 33, Fax 031 352 24 30, E-Mail binder@cvp.ch, www.die-politik.ch redaktion Marianne Binder, Jacques Neirynck, Yvette Ming, Lilly Toriola, Gerhard Pfister, Rudolf Hofer, Irmgard Bühler gestaltungskonzept, illustrationen und layout Brenneisen Communications, Basel druck Schwabe AG, Muttenz inserate und abonnements Tel. 031 357 33 33, Fax 031 352 24 30, E-Mail abo@die-politik.ch, Jahresabo CHF 32.–, Gönnerabo CHF 60.– näcHste ausgabe September 2011 titelbild: iStockphoto.com©ra-photos
ediTOrial – Marianne Binder, Chefredaktorin
kachelofen und strukturwandel Meine ganz frühen Erinnerungen führen mich in das Bauernhaus meiner Grosseltern, das bald darauf abgerissen wurde. Das Land überbaut. Ich sitze auf dem Kachelofen und es duftet nach Kartoffelwähe. Ich erinnere mich an eine Wanderung, als mir eine Kuh über das Gesicht schleckte. Oder: Jährlich liessen wir bei Erwin Umbricht in unserem Dorf ein Schwein schlachten. Am Tag der Metzgete waren wir eingeladen zu Schmorfleisch mit Weinbeeren und Süssmost. Auch an den Landdienst erinnere ich mich, das Schnauben und Scharren der Tiere beim Melken am frühen Morgen, das Heuen, Zäune flicken, Kirschen pflücken, Spiegeleier brutzeln und an die Mahlzeiten mit sechs Kindern am Tisch, der Bauersfrau, ihrer Schwiegermutter, zwei alten Onkeln und drei Angestellten aus Österreich, den Bauern am Kopfende. Die ganze Gesellschaft schweigend. Dann kommen mir Ueli, der Knecht in den Sinn, Ueli, der Pächter und Lilo Pulver in dekorativer Tracht sowie Ursula und Martin Suter mit ihrem Biobetrieb und dem Selbstbedienungsladen mit den Kartoffeln, Früchten, Yoghurt und dem frischen Brot am Samstagmorgen. Eine Nummer der POLITIK den Bauern zu widmen ist ein Annäherungsversuch. Wir protokollieren ein Tageswerk, werfen Seitenblicke auf die Bauern bei Tolstoi und Gotthelf und einen Blick zurück auf die Anbauschlacht im Zweiten Weltkrieg. Wir fragen uns, was der schweizerische Bauerntypus mit seiner Fähigkeit zur Staatenbildung zu tun hat. Wir fragen nach einem Berufsstand zwischen Unternehmertum und Direktzahlungen, den Tücken der Milchproduktion, dem Strukturwandel in der Landwirtschaft, nach der Rolle der Frauen. Den Sorgen und Nöten. Und wir wollten wissen, weshalb der Trumpfbuur die höchste Karte ist. Doch darauf konnten uns auch Jassspezialisten keine Antwort geben. Jede Erklärung ist uns willkommen (binder@cvp.ch). Eine Nummer der POLITIK den Bauern zu widmen ist sogar eine Liebeserklärung. An eine Welt, die zwar gegenwärtig ist, wir jedoch kaum mehr kennen.
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essen sie schweizer produkte!
Die CVP setzt sich seit Jahren für die Schweizer Landwirtschaft ein. Deren Bedeutung wird mit der wachsenden Weltbevölkerung zunehmen, ist Christophe Darbellay, Parteipräsident der CVP Schweiz und Agronom, überzeugt. Christophe Darbellay, wieso sind Bäuerinnen und Bau ern so wichtig für unser Land? Eines der Grundbedürfnisse des Menschen ist das Essen. Die Weltbevölkerung wächst. Nie war die landwirtschaftliche Nutzfläche pro Kopf so klein wie heute. Die Gefahr besteht, dass sich die weltweite Nahrungsmittelsituation in naher Zukunft verschlechtern wird. Die Schweiz deckt heute 60 Prozent ihres Nahrungsmittelbedarfs. Es ist wichtig, dass wir uns gegen mögliche Nahrungsmittelkrisen wappnen, sowohl in quantitativer wie auch in qualitativer Hinsicht. Die Entwicklungen rund um die EHEC-Seuche führen uns diese Notwendigkeit erneut deutlich vor Augen. Die Schweizer Landwirtschaft ist von Nähe und Qualität geprägt. Sie versorgt uns mit hochwertigen Produkten und garantiert uns eine einmalige Landschaft. Ohne die Arbeit der Landwirtinnen und Landwirte gäbe es die Schweiz, so wie wir sie kennen, nicht. Unsere Kulturlandschaft wäre inexistent. Was tut die CVP für die Schweizer Landwirtschaft? Viel! Die CVP ist seit jeher verlässliche Partnerin und Verbündete der Schweizer Landwirtschaft. Wir unterstützen eine nachhaltige und produktive Landwirtschaft. Eine uneingeschränkte Unterstützung der Familienbetriebe ist für uns selbstverständlich. Wir haben die Agrarpolitik 2011 durchgebracht, während ihr alle anderen Parteien den Rücken kehrten. Wir haben es geschafft, den Zahlungsrahmen für die Landwirtschaft im Ver4
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gleich zur bundesrätlichen Vorlage um 150 Millionen Franken anzuheben und haben damit die Verkäsungs- und Siloverzichtszulagen gerettet. Wir haben Lösungen für unsere gebeutelten Milchproduzenten gefunden und uns gegen ein Agrarfreihandelsabkommen mit der EU gewehrt. Dank der CVP wurden fünf Milliarden Franken Bilanzreserve zur Finanzierung von Begleitmassnahmen für die Landwirtschaft im Falle eines WTO-Abschlusses beschlossen. Das Engagement der Politik ist das eine, das des Ein zelnen das andere. Was müssen die Landwirtinnen und Landwirte selbst für ihre Zukunft tun? Die Landwirte haben erhebliche Anstrengungen unternommen, um sich an die neuen Begebenheiten in Bezug auf Ökologie und Marktorientierung anzupassen. Trotzdem sind die landwirtschaftlichen Einkommen heute zu niedrig. Die Landwirtschaft braucht mehr Zeit um sich anzupassen. Das müssen wir akzeptieren. Die Öffnung der Märkte wird weitergehen. Die Konkurrenz der Landwirtschaft im Vergleich zu den Bedürfnissen der Verkehrsinfrastruktur, Bildung und Sicherheit wird zunehmen. Für all diese Herausforderungen gibt es keine Standard-Lösung. Einige wählen die Rationalisierung, andere die Vergrösserung ihres Betriebs oder eine Spezialisierung. Wiederum andere Landwirte setzen auf Diversifizierung, Tourismus oder den Verkauf ihrer Produkte ab Hof. Generell muss die Schweizer Landwirtschaft aber – was der Schweizer Wein-
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n den Chefetagen der hundert grössten Schweizer Unternehmen nahm die Anzahl der Ausländer in den vergangenen fünf Jahren um neun Prozent zu, und liegt jetzt bei fast fünfzig Prozent.
Vorausgesetzt, Unternehmen sind zweckrationale Organisationen, dann müssten offenbar immer weniger Schweizer die qualitativen Voraussetzungen haben, um als Führungskraft eingestellt zu werden. Das glaube ich nicht. Ich gehe davon aus, dass die Schweizer nicht wesentlich unfähiger wurden in den letzten Jahren. Mindestens nicht unfähiger als das Ausland.
bau in den letzten Jahren bereits umgesetzt hat – stärker auf Swissness, die Qualität der Produkte und das Marketing fokussieren. Eigentlich haben wir die Lösung bereits. Wir müssen in den Köpfen der Bevölkerung den Grundsatz «Essen Sie Schweizer Produkte!» verankern. Schweizer Produkte sind gut, grün und schaffen Arbeitsplätze. Schweizer Produkte zu essen, das ist ganz CVP. Was ist im Wahljahr Ihre Botschaft an die Schweizer Bauern? Ich setzte mich für die Produktivität der Landwirtschaft und die Familienbetriebe ein. Und für eine starke Lebensmittelindustrie. Die Landwirtschaft hatte in unserer Partei stets eine verlässliche Partnerin. Das wird auch so bleiben. Glauben Sie nicht den neuen und falschen Propheten! Die Marionetten der Bahnhofstrasse, das ist nicht die CVP. Die CVP ist auf der Seite der Landwirtschaft. Wir sorgen uns um die Schweiz. ■
Dann muss es andere Gründe haben. Ein möglicher: Grosse internationale Unternehmen müssen geführt werden von Leuten mit internationaler Erfahrung. Schweizer aber können in der Heimat zu exzellenter Ausbildung kommen, haben internationale Unternehmen vor Ort – oder in zumutbarer Pendlerdistanz – und in aller Regel sehr anständige Löhne. Sie müssen nicht ins Ausland, um beruflich vorwärts zu kommen. Es geht den Schweizern gut genug, um nicht weiteren Ehrgeiz entwickeln zu müssen. Aber die helvetische Karriere wird zum Nachteil beim Wettbewerb um Toppositionen. Will man also wieder mehr Schweizer als Chefs grosser Firmen, muss man sie mehr in die weite Welt schicken. Das ist zwar keine Garantie. Provinzialität ist keine Frage der Geografie, sondern eine des Kopfes. Auch Vielflieger können Firmen ruinieren. –Gerhard Pfister
Interview: Die Politik Die Politik 5 Juli/August 2011
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Ralf Bucher, geschäftsführer des Aargauischen Bauernverbands
unternehMerisches Denken unD hanDeln als Voraussetzung Mit der kompletten Neuorientierung der Agrar politik seit 1992 Richtung weniger Staat und Subventionen, hin zu mehr Markt und leistungs bezogenen Direktzahlungen, wurden die Bauern stark gefordert. Die Landwirtschaft wurde wett bewerbsfähiger und ökologischer. Die nächste Reformetappe der Agrarpolitik 2014–2017 steht an und setzt diesen Trend konsequent fort. Unternehmerisches Denken und Handeln ist auch in der Landwirtschaft unverzichtbar.
Die Bauern mussten sich als Unternehmer behaupten und vielen ist dies gelungen. Während sich die einen auf einen Betriebszweig (Kernkompetenz) spezialisiert und diesen ausgebaut haben, haben sich andere diversifiziert und neue Betriebszweige aufgebaut. So etwa als Dienstleister mit Ferien auf dem Bauernhof, Pensionspferdehaltung, Direktvermarktung oder als landwirtschaftliche Maschinenbetriebe, welche spezialisierte Arbeiten für Bauern 6
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im Lohnverhältnis machen. Weit verbreitet und bei vielen Betrieben finanziell auch nötig ist der Nebenerwerb, wo ausserhalb des Betriebes noch ein Einkommen erzielt wird, sei es von der Frau, vom Mann oder von beiden.
herausforderungen der raumplanung Gerade aber bei der Spezialisierung und bei neuen Projekten sind die Bauern dem Gesetzgeber vielfach einen Schritt voraus oder können ihren unternehmerischen Gestaltungsraum nicht ausschöpfen. Wenn ein Gemüsebetrieb plötzlich zwei grosse Gewächshäuser bauen will, stösst er auf Widerstand von Anwohnern, Landschaftsschützern und Behörden, die mit neuen Ideen und Projekten überfordert sind oder die Interessenabwägung zu Ungunsten der Landwirtschaft auslegen. Wer Pioniergeist zeigt und neue Ideen hat (beispielsweise eine Biogasanlage, ein Maislabyrinth oder Wellness auf dem Bauernhof), wird schnell damit konfrontiert, dass ein Gesuch vorsichthalber abgelehnt wird. Hier haben wir noch grossen Handlungsbedarf. unterschied zur wirtschaft Weshalb werden die Bauern von der öffentlichen Hand unterstützt, der Schreiner aber nicht? Dazu gibt es hauptsächlich zwei Gründe: 1. Kein markt für gemeinwirtschaftliche leistungen Die Gesellschaft fordert von den Bauern gemeinwirtschaftliche Leistungen (Art. 104 der Bundesverfassung), für die es keinen Markt gibt. Als Beispiel nehmen wir eine Blumenwiese. Wirtschaftlich gesehen ist diese nicht interessant, der Bauer muss aber mindestens sieben Prozent seiner Fläche nach strengen Kriterien zur Förderung der Biodiversität bewirtschaften, um Direktzahlungen zu erhalten.
V e r B i n D l i c h 2. Tiefere nahrungsmittelpreise Die Landwirtschaft wird auf der ganzen Welt von der öffentlichen Hand enorm unterstützt. Damit werden in vielen Ländern indirekt die Nahrungsmittel verbilligt, damit sie für die Bevölkerung erschwinglich werden. In Entwicklungsländern gibt die Bevölkerung über 70 Prozent des Haushaltsbudgets für Nahrungsmittel aus, in der Schweiz nur gerade sieben Prozent. Um beispielsweise einen kostendeckenden Milchpreis für die Schweizer Bauern zu erzielen, müssten die Milchbauern für einen Liter Milch mindestens einen Franken erhalten (der aktuelle Milchpreis liegt bei 60 Rappen), im Laden würde die Milch demzufolge mindestens zwei Franken kosten (aktuell Fr. 1.50). Mit Direktzahlungen auf ökologische Leistungen oder Weidehaltung wird diese Differenz indirekt ausgeglichen.
standortvorteile nutzen Die Schweizer Landwirtschaft hat grosse Standortvorteile. Fruchtbare Böden, genügend Wasser und gut ausgebildete Bäuerinnen und Bauern ermöglichen eine ressourcenschonende, nachhaltige Produktion von qualitativ hochstehenden Nahrungsmitteln direkt vor Ort. Im Bereich Energieproduktion können die Bauern mit grossen Scheunendächern für Photovoltaik, exponierten Windlagen für Windkraftanlagen oder Biogasanlagen ihren Anteil zur erneuerbaren Energieproduktion leisten. wachstum nicht auf kosten des kulturlandes Der Druck auf das Kulturland und damit auf unsere wichtigste Ressource ist gewaltig. Pro Jahr wird die Fläche des Sempachersees (14,5 Quadratkilometer) überbaut. Es braucht grundlegend neue raumplanerische Instrumente, um diesem Druck zu begegnen. Ich denke an verdichtetes und mehrgeschossiges Bauen (je höher je besser), die Nutzung von Industriebrachen und die bessere Nutzung von vorhandener oder neuer Infrastruktur. Die Landwirtschaft hat im zunehmend internationalen Wettbewerb Chancen. Voraussetzung ist und bleibt aber ein unternehmerisches Denken und Handeln. Die Mehrheit der Bauernfamilien stellt sich diesen Herausforderungen. ■
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akterien sind klein und machen grosse Schlagzeilen, so der neue Stamm von EHEC-Bakterien in Norddeutschland. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass eine möglichen Quelle vermeldet wird. Protokoll der Resultate: ein falscher Bakterienstamm bei den spanischen Gurken, ein Lübecker Restaurant, Tomaten und Salatköpfe, und dann die Sprossen.
Eine Zeitung titelte zuhanden der Behörden: «Konsumenten wollen Sicherheit, nicht Hysterie». Das ist zwar richtig, doch falsch adressiert. Also, zurück an den Sender: Der Satz beweist den Druck der Medien auf die Öffentlichkeit. Oder umgekehrt wie erstere behaupten. Wer sichert die absolute Sicherheit? Von den politischen Akteuren wird Transparenz verlangt. Massnahmen. Hier und jetzt. Wer meint, das Wissen sei noch nicht sicher und die Sache noch nicht transparent, ist unfähig und entscheidungsschwach. Dahinter steht die absichtliche Fehleinschätzung menschlicher Fähigkeiten und menschlicher Macht. Und die mutwillige Oberflächlichkeit all derjenigen, die sofort Verantwortung einfordern ohne sie selber tragen zu müssen. Es gab Zeiten, in denen die Wissenschaft zu sagen wagte, sie wisse etwas noch nicht, aber sie halte es für durchaus möglich, dass sie es irgendwann einmal wisse. Heute muss der Colt am Anschlag sein, der reflexartige Schuss ist Teil der Kompetenz. Und wehe, man trifft nicht ins Schwarze. Doch Panik hält nur der Aberglauben aus. Die Blitzpositionierung ist seine Fähigkeit. Die Juden waren an der Pest schuld und die Hexen an den Viehseuchen. Die Brunnen vergiftet der Volksfeind. Momentan das Gemüse. Und das Nachsehen haben die Bauern. Wir sollten aufhören, Wissenschaftler und Politiker wie Medizinmänner zu behandeln, meine ich. Die Vernunft hat den Aberglauben besiegt. Glaube ich… –Marianne Binder
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Irmgard Bühler
rückBlick auf die letzten neunzig Jahre des wandels
1. und 2. Weltkrieg:
Nachdem die Schweiz während dem Ersten Weltkrieg einen grossen Nahrungsmittelengpass erlebt hat, ging man während dem Zweiten Weltkrieg in eine Anbauschlacht über, die einen sehr hohen Selbstversorgungsgrad garantierte.
Landwirtschaftsgesetz von 1951:
Die Versorgungssicherheit wurde festgeschrieben. Ziel war ein gesunder Bauernstand und eine produktive Landwirtschaft. Die Ernährungssicherheit der Bevölkerung stand im Vordergrund. Erreichen wollte man dies durch eine staatlich kontrollierte Landwirtschaft, welche kostendeckende Preise vorschreibt und die Übernahme der erzeugten Produkte garantiert. Allerdings führte diese Politik zu Überproduktion, Überangeboten und steigenden Nahrungsmittelpreisen, die intensive Nutzung des Bodens und der übermässige Gebrauch von Dünger zu ökologischen Problemen. Das Landwirtschaftgesetz mit garantierten kostendeckenden Preisen und einer garantierten Abnahme der Nahrungsmittel hatte Milchschwemmen, Butterberge und Käseüberschüsse zur Folge.
70/80erJahre:
In der Folge führte der Bund verschiedene Produktionslenkungsmassnahmen ein wie die Milchkontingentierung. Sie sollte die Milchmenge auf dem Markt beschränken. Wie viel Liter Milch pro Jahr ein Bauer produzieren durfte, wurde festgeschrieben. Damit erreichte der Bund Preisstabilität. Die Kehrseite: Die Bauern wurden in ihren betriebswirtschaftlichen Möglichkeiten stark eingeschränkt. In den 80er Jahren wurden sie faktisch zu Staatsangestellten. Die Planwirtschaft war Realität. Schon bald führte diese Politik zu riesigen Ausgaben für den Bund. Damit die Übernahmegarantie und die festen Preise überhaupt durchgesetzt werden konnten, führte der Bund Schwellenpreise für Importprodukte, Zölle und Im8
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portkontingente ein. Der Bund war weiter verpflichtet, die produzierten Überschüsse zu übernehmen, so zum Beispiel der riesige Butterberg, während die hohen Nahrungsmittelpreise zu Konsumtourismus ins grenznahe Ausland führten.
90erJahre:
Kehrtwende. Es folgte eine Agrarreform in vier Etappen.
Die erste Etappe (1993–1998):
Entkopplung der Preis- und Einkommenspolitik, Direktzahlungen ersetzten die Subventionen. Die Direktzahlungen sind im Gegensatz zu den Subventionen produktunabhängig und stattdessen an bestimmte Verpflichtungen gebunden. Die Übernahmegarantie des Staates wurde Schritt für Schritt abgebaut. Volk und Stände beschlossen 1996 den Landwirtschaftsartikel von 1951 zu ersetzen. Das neue Gesetz verlangt eine nachhaltige Landwirtschaft, welche auf den Markt ausgerichtet ist. Die Bauern und Bäuerinnen sollen einerseits einen wesentlichen Beitrag zur sicheren Versorgung der Bevölkerung leisten, andererseits die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten, die Kulturlandschaft pflegen und die dezentrale Besiedelung des Landes unterstützen. Damit sind die Bauern nicht mehr nur Nahrungsmittelproduzenten, sondern tragen darüber hinaus zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und zur Pflege der Kulturlandschaft bei.
Zweite Etappe (1999–2003):
Deregulierung. Staatliche Preis- und Abnahmegarantien wurden aufgehoben und halbstaatliche Organisationen wie die Käseunion abgeschafft. Der Brotgetreidemarkt wurde vollständig liberalisiert. Milchkontingente existierten zwar noch, durften aber von einem Milchproduzenten vermietet oder verkauft werden. Der Milchpreis war nicht mehr staatlich garantiert.
Dritte Etappe (2004–2007):
Verbesserte Wettbewerbsfähigkeit und Vorbereitung der landwirtschaftlichen Betriebe auf die Aufhebung der Milchkontingentierung am 1. Mai 2009. Schrittweise wurde die Versteigerung der Fleischimportkontingente eingeführt. Mit Betriebshilfen, Umschulungsbeiträgen etc. wurden weitere Massnahmen zur Sicherstellung der sozialen Nachhaltigkeit getroffen.
Vierte Etappe (2008–2014):
Bessere Konkurrenzfähigkeit, auch gegenüber dem Ausland. Alle Exportsubventionen wurden aufgehoben, ausgenommen derjenigen für Verarbeitungsprodukte wie Schokolade, Biskuits und Teigwaren («Schoggigesetz»). Die Marktstützungsmittel wurden weiter reduziert und in produktunabhängige Direktzahlungen umgelagert. Grenzabgaben für Getreide und Futtermittel wurden gesenkt. ■
BuchTipp
Der Mann Mit Den BäuMen eine erzählung Von Jean giono Der Hirte Elzéard Bouffier setzt Eicheln in die provenzalische Erde – Hunderte, ja Tausende, aus denen Eichen wachsen. Später kommen Birken, Buchen dazu. Sie wachsen über die Jahre zu stämmigen Bäumen, denen nur noch heftige Stürme etwas anhaben können. Aus einzelnen Bäumen werden Wälder. Diese bringen die Feuchtigkeit zurück an einen Ort, der zuvor Einöde und Wüste war. Bald fliesst wieder Wasser durch Bachbette, die seit Menschengedenken trocken waren. Weiden, Wiesen und Gärten erblühen, verlassene Dörfer werden wieder belebt. Elzéard Bouffier hat eine grossartige Kettenreaktion in Gang gesetzt. Er hat dies getan ohne sich um die Fragen nach Eigentum, Besitz oder Gewinn zu kümmern. Zeit, Ansehen oder Anerkennung haben für ihn keine Rolle gespielt. Elzéard Bouffier weiss nicht einmal, wem das Land gehört, auf dem er seine Bäume pflanzt. Nie lässt er sich ablenken. Auf die Frage, wie die Eichen wohl in dreissig Jahren aussehen, antwortet er, wenn Gott ihm das Leben gebe, dann werde er so viele Bäume gepflanzt haben, dass diese ersten 10 000 Eichen wie ein Tropfen im Meer sein werden… Die Veränderungen, die Elzéard Bouffier angestossen hatte, gingen so langsam vor sich, dass man sich an sie gewöhnte, ohne erstaunt zu sein, schreibt Jean Giono. Als später Besucher der Gegend den Wald bestaunen, zu dem die ersten Eichen schon zusammengewachsen sind, sprechen sie von einem «natürlichen Wald» – so harmonisch ist die Saat des Hirten aufgegangen. Diese Harmonie, die unerschütterliche Beharrlichkeit, Genügsamkeit und Heiterkeit des Herzens ist das Erfolgsrezept des Hirten.
Mehrere kräfte am werk Die Geschichte und Entwicklungen verlaufen nicht immer harmonisch und linear. In der Regel sind viel zu viele Kräfte gleichzeitig am Werk, als dass sich Veränderungen in Ruhe anbahnen und festsetzen können. Manchmal schlummert die Saat auch lange im Boden, bevor sie – einer Explosion gleich – plötzlich doch noch aus dem Boden schiesst. Sind es nicht auch die gleichen Tugenden, die wir uns von denjenigen Leuten wünschen, welche in unserer Gesellschaft, in Staat und in der Wirtschaft Verantwortung tragen? Wie oft lassen wir uns doch – gefangen in Hektik, Ungeduld und Gier – blenden durch Oberflächlichkeit, Intoleranz und Schnelllebigkeit? Durch Vereinfachungen und der Sehnsucht nach schnellen Lösungen von Problemen, obwohl wir wissen, dass dies gar nicht von heute auf morgen auf nachhaltige Weise geht.
Geduld und Vertrauen und Selbstlosigkeit – das sind wichtige Eckpfeiler unserer Gesellschaft. In der Vergangenheit wie hoffentlich auch in der Zukunft. Und davon lehrt uns Jean Giono mit seiner Geschichte vom Mann mit den Bäumen. Elzéard Bouffier zeigt uns, was der Lohn für dieses Handeln ist – und dies mag gerade in unserer materialistischen Welt Ansporn sein, dem Beispiel von Elzéard Bouffier zu folgen: Wohl ist es kein Entgelt im herkömmlichen Sinn, nein – es ist der Weg zum Glück. Denn einer der Besucher, der zusammen mit dem Hirten die Gegend durchwandert, bemerkt am Ende des langen Marsches über Elzéard Bouffier: «Er weiss mehr als der mann mit den Bäumen, TVZ alle. Er hat den berühmten Weg zum Glück gefunTheologischer Verlag, den.» ■ 1. Auflage (1981)
ISBN: 3290119491
–Elisabeth SchneiderSchneiter, Nationalrätin
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Markus Zemp, Nationalrat und Präsident der Branchenorganisation Milch
Der Schweizer MilchMarkt –
iM rauhen winD Der liberaliSierung
Die Schweizer Milchwirtschaft war einst der Liebling der Agrarpolitik. Entsprechend hat der Bund alle Stufen der Wertschöpfungskette im Verlaufe der Jahrzehnte reglemen tiert. Die Milchkontingentierung, die Käseunion mit staatlich subventioniertem und garantiertem Export, Bewilligungspflicht und Sortenvorschriften für Käsereien und natürlich eine Margengarantie, hohe Zölle oder gar Importverbote sind nur einige der vielen Stichworte.
iStockphoto.com©Andrzej Podulka
Das gut gemeinte Ziel hinter diesen unzähligen Reglementierungen war, dass die Bauern für ihre Milch kostendeckende Preise erhalten und die nachgelagerte Stufe anständige Margen erwirtschaften konnte. Heute bezahlen wir nicht zuletzt dafür, dass die Branche aufgrund der enormen Reglementierung wichtige Marktentwicklungen verpasst hat. Beispiele dazu sind die emmentalerlastige Produktion, obschon der internationale Markt andere Käsesorten nachgefragt hat, aber auch die Tatsache, dass man keinen Markenschutz für den Emmentaler aufgebaut hat. Es zeigt sich einmal mehr, dass eine Branche nur fit und marktfähig ist und dies auch in Zukunft bleibt, wenn sie den Marktkräften ausgesetzt wird.
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am stärksten liberalisiert Das oben geschilderte ist unterdessen Vergangenheit, heute ist die Milchwirtschaft neben der Weinwirtschaft wohl derjenige Zweig der Landwirtschaft, welcher am stärksten liberalisiert ist. Die Milchkontingentierung ist abgeschafft, der Bund hat sich weitestgehend zurückgezogen, der Käsemarkt gegenüber der EU ist vollständig liberalisiert, jeder kann denjenigen Käse produzieren, den er als marktfähig beurteilt – das Risiko trägt er allein. Und schliesslich kann ein Bauer so viel Milch produzieren, wie er dafür einen Abnehmer findet. Etwa 65 Prozent der produzierten Milch ist heute mehr oder weniger ungeschützt dem europäischen Markt ausgesetzt. Damit schlagen Milchpreisänderungen in Europa direkt auf die Schweizer Preise durch. in Bewegung wie noch nie Die gesamte Branche ist nun auf dem Weg dazu ihren Platz im Markt zu finden. Die Produkteinnovationen haben stark zugenommen. Käsesorten werden via AOC geschützt und somit Mehrwerte erzeugt. Die Branche ist in Bewegung wie noch nie. Der Übergang von der geschützten zur international konkurrenzfähigen Branche ist in vollem Gange und hinterlässt Spuren. Glücklich der Bauer, welcher einen Abnehmer hat, der ein gefragtes Premiumprodukt erfolgreich am Markt absetzen kann. Pech hat derjenige Bauer, der abgelegen wohnt, nur eine kleinere Milchmenge anbieten kann und keine regionale, wertschöpfungsstarke Verarbeitung (Käserei) hat. Hatten in der alten Agrarpolitik alle Bauern der Schweiz mehr oder weniger den gleichen Milchpreis – 1992 etwa 107 Rappen – schwankt er aktuell zwischen 45 und über 80 Rappen.
herausforderungen Aktuell beschäftigen die Milchbranche zwei grosse Probleme. – Der harte Schweizer Franken, welcher die Exportwirtschaft schwächt und den Import stärkt. Dadurch verliert die Schweiz vor allem beim Käse Marktanteile. – Der Konsumtrend, welcher immer mehr in Richtung fettreduzierte Produkte geht. So wird heute die Vollmilch mit Segen des Gesetzgebers von 4 Prozent Fett auf 3,5 Prozent reduziert, immer mehr Joghurts werden fettfrei angeboten, Käsesorten mit weniger Fett sind äusserst gefragt. Das Resultat: Zusammen mit der Ausdehnung der Milchproduktion seit dem Ausstieg aus der Milchkontingentierung um etwa 5,5 Prozent fällt Milchfett an, das keinen Inlandmarkt findet. Es entsteht ein Butterberg, der unterdessen auf 10 000 Tonnen angewachsen ist. Die Schweizer Milchbauern produzieren nicht eigentlich zu viel Milch, sondern zu viel Milchfett. was ist zu tun? Gegen den Kurs des Schweizer Frankens kann die Branche wohl nicht viel machen. Aber das Fettproblem muss sie lösen. Es stehen zwei Instrumente zur Verfügung: Export dank Verbilligung auf dem Weltmarkt und Ersatz von importiertem Palmfett durch Milchfett in der Nahrungsmittelindustrie. Die Tatsache, dass die Schweizer Industrie 100 000 Tonnen pflanzliches Fett importiert, wovon 30 000 Tonnen Palmöl aus teilweise ökologisch bedenklicher Produktion stammen, muss zu denken geben. Hier zeigt sich, wozu ein globaler Markt ohne Standards führen kann. Die grosse Diskussion um diese Buttermarktentlastung dreht sich ausschliesslich um die Finanzierung. Die Landwirtschaft ist bereit, die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, denn damit wird der Milchpreis für alle gestützt. Umstritten und mit politischen Vorstössen garniert ist, wie stark bei der Finanzierung diejenigen Bauern zusätzlich belastet werden, welche seit dem Ausstieg aus der Milchkontingentierung ihre Produktion ausgedehnt haben. Die Branche hat unter der Führung der Branchenorganisation Milch (BOM) nun einen Mittelweg gefunden und man kann hoffen, dass der Butterberg in zwei Jahren verschwunden ist. Eines ist klar. Eine Rückkehr in die Vergangenheit ist der falsche Weg. Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit auf allen Stufen, neue wertschöpfungsstarke Produkte, aggressive Marktbearbeitung im In- und Ausland werden die Milchbranche auf den Pfad des Erfolges führen. Dies ist auch der Weg für bessere Milchpreise. ■
Wieso Bauer Werden? Ich habe Geschichte studiert und arbeite als Mittelschullehrer, trotzdem werde ich in einem Jahr zusammen mit meiner Freundin den Hof meiner Eltern übernehmen. Warum? Weil ich das Arbeiten in der Natur liebe. Weil ich als Landwirt meine Arbeit selber einteilen kann. Weil ich die Tradition meiner Familie weiterführen will. Weil mich die Herausforderung reizt, selbständig ein Unternehmen zu führen. Weil eigenes Fleisch, eigene Kartoffeln, eigene Milch und eigener Honig einfach besser schmecken. Weil die Arbeit als Landwirt sehr abwechslungsreich ist. Weil mir das Leben im Rhythmus der Jahreszeiten gefällt. Weil ich schon als Kind immer Bauer werden wollte. Weil ich als Landwirt meinen Lebensraum gestalten kann. Weil meine Freunde meinen Entschluss unterstützen. Weil die Landwirtschaft eine Branche mit Zukunft ist. Weil unser Hof schön gelegen ist. Weil mir die Arbeit mit Tieren gefällt. Weil ich auch weiterhin als Lehrer arbeiten kann. Weil ich unseren Betrieb weiterentwickeln will. Weil es schön ist, den Tag mit melken zu beginnen. Weil ich hochwertige Lebensmittel herstellen will. Weil mich das Arbeiten mit den Händen befriedigt. Weil die Natur nie gleich und immer spannend ist. Weil ich gerne mit Traktor und Maschinen arbeite. Weil meine Freundin bereit ist, mit mir diesen Weg zu gehen. Weil ich mir nicht vorstellen kann mein ganzes Leben lang eine andere Arbeit zu machen. Und vor allem weil es der Sinn meines Lebens ist. –Fritz Baumann, 30, eidg. dipl. Landwirt und Gymnasiallehrer
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BAUeR iSt niCht GleiCh BAUeR Rahel und Urs Cathomas-Giezendanner AnzAhl PeRSonen AUF DeM hoF
5 Personen: Rahel und Urs Cathomas-Giezendanner mit ihren drei Kindern im Alter von 16 Monaten bis 8 Jahren ARt
Bergbauernbetrieb, Bergzone 3, alles Wiesland oRt
Breil/Brigels, Graubünden PRoDUktion
Mutterkuhhaltung (rund 50 Tiere), Produktion von Bio Naturabeef-Fleisch GRöSSe
25 Hektar (mittelgrosser Betrieb) BetRieB Seit
2002 von den Eltern von Urs Cathomas übernommen BeSonDeRheit
Beide arbeiten daneben im Zwischenverdienst: sie als Postbus und Lastwagen-Chauffeurin, er im Winter als Pistenmaschinenführer.
«Wenn wir die Landwirtschaftspolitik bestimmen könnten, würden wir das Verständnis der Bevölkerung gegenüber der Landwirtschaft stärker fördern. Heute glauben nach wie vor viele, dass Landwirte vom Staat profitieren. Sie bedenken dabei aber nicht all die Vorschriften und Auflagen, die wir einhalten müssen. Die finanzielle Unterstützung der Landwirtschaft ist deshalb dringend notwendig, insbesondere bei den Bergbauern. Gerade hier geht oft vergessen, dass wir mit unserer Arbeit auch Landschaftspflege betreiben. Gäbe es die Bergbauern nicht, würden die Schweizer Alpen verganden. Wir sind deshalb auch Garant für den Erhalt dieser einzigartigen Kulturlandschaft.» Rahel Cathomas-Giezendanner
Ursula und Martin Suter AnzAhl PeRSonen AUF DeM hoF
2 Personen: Ursula und Martin Suter. Der Sohn hilft ab und zu auf dem Hof aus, stundenweise Frauen bei Beerenernte und Obsternte. ARt
Kontrollierter Biobetrieb seit 1976 oRt
Baden, Aargau PRoDUktion
150 Hühner, 10 Mutterkühe, Gemüse, Getreide, Kernobst, Steinobst, Most, Brot GRöSSe
11,5 Hektar BetRieB Seit
Seit 1802 in Familienbesitz BeSonDeRheit
Direktvermarktung an Konsumenten, Selbstbedienung
Gebrüder Daniel Brandt und Frédéric Barth AnzAhl PeRSonen AUF DeM hoF
26 Personen: Gebrüder Daniel Brandt und Frédéric Barth mit Familie sowie Markus Gutknecht als Leiter Produktion Freilandgemüse. Der Vater der Gebrüder Brandt/Barth hilft nach wie vor auf dem Hof aus. 21 Mitarbeiter stammen aus Portugal, wovon 10 das ganze Jahr beschäftig werden können. ARt
Gemüseproduktionsbetrieb, Swiss Garantie und SwissGap zertifiziert oRt
Ried bei Kerzers, Freiburger Seeland PRoDUktion
Gemüseproduktion Freiland: 9 Hektaren mit Radieschen, Bundzwiebeln, Nüsslersalat, Knollensellerie, Lauch, Endieviensalat Gemüseproduktion in Gewächshaus und Folien-Tunnels: 3,5 Hektaren mit Radieschen GRöSSe
13,5 Hektar (mittelgrosser Betrieb) BetRieB Seit
2001 von den Eltern übernommen BeSonDeRheit iStockphoto.com©P_Wei
Die Gebrüder Daniel Brandt und Frédéric Barth sind die grössten Radieschen-Produzenten der Schweiz. Jährlich produzieren sie 500 bis 600 Tonnen und decken damit rund 30 Prozent der Schweizer Radieschenproduktion ab. 12
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«Wenn ich die Landwirtschaftspolitik bestimmen könnte, würde ich das wirtschaftliche und marktorientierte Denken fördern. Mit dem heutigen System, wo Direktzahlungen hauptsächlich an die Bodenfläche gebunden sind, kann kein sinnvoller Strukturwandel stattfinden. Wir brauchen ein Direktzahlungssystem mit einer stärkeren Gewichtung von Innovation, einer besseren Gewichtung des Arbeitseinsatzes und wirtschaftlichen Handelns. Wichtig ist mir als Gemüseproduzent die Weiterführung der Personenfreizügigkeit. Wir schaffen es in der Schweiz heute nicht mehr, Arbeitnehmer für den Gemüsebau zu rekrutieren. Der Nachwuchsmangel ist in der Landwirtschaft generell ein riesiges Problem. Im Gemüsebau sind wir auf ausländische Arbeitskräfte deshalb dringend angewiesen.» Daniel Brandt
Weingut zum Sternen, Andreas Meier AnzAhl PeRSonen AUF DeM hoF
Bis zu 15 Personen ARt
Weinbaubetrieb und Rebschule oRt
«Wenn ich die Landwirtschaftspolitik bestimmen könnte, würde ich bestimmt mehr Imagepflege betreiben und den Begriff Subventionen aus der Welt schaffen. Wir sind nicht einfach Almosenempfänger, sondern erbringen eine grosse Leistung für dieses Land, die Natur und das Wohl des Tieres. Des Weiteren würde ich verhindern, dass die kleinen Betriebe und die Nebenerwerbsbetriebe nicht erdrückt werden. Unsere Strukturen sind nicht durchwegs auf Grossräumigkeit angelegt. Unsere Existenz sind die Böden. Immer grössere Betriebe ziehen eine immer grössere Mechanisierung mit sich und eine Bewirtschaftung, welche die Böden schädigt und zerstört. Gerade Biobetriebe sind oft auf die Kleinräumigkeit ausgerichtet. Sie sind ein Wettbewerbs-und Standortvorteil für die Schweiz.»
Würenlingen, Aargau PRoDUktion
Wein, Jungreben GRöSSe
Weinbau 11,5 Hektar, Rebschule vergleichbar BetRieB Seit
Rebbau seit 19. Jahrhundert, Rebschule seit 1921 BeSonDeRheit
Direktverkauf, Gastronomie und Weinhandel
«Wenn ich die Landwirtschaftspolitik bestimmen könnte, würde ich mich stark machen für eine offene Schweiz. Wir leben nicht in einem Museum. Wir sind am Wettbewerb interessiert, wollen uns und unsere Produkte auf dem internationalen Markt messen, wahrgenommen werden. Gerade haben wir für einen unserer Weine in Brüssel eine Goldmedaille gewonnen. Würden wir uns einbunkern, kämen solche Erfolge nicht zustande. Aus dieser Einstellung heraus finde ich es auch schade, dass die WTOVerhandlungen gescheitert sind. Sie kämen auch meinem Anspruch nach Gerechtigkeit entgegen. Ebenso plädiere ich dafür, dass an der Bildung und Forschung nicht gespart wird, um die Schweizer Landwirtschaft gut zu positionieren. Das ist auch eine Chance für die nachgelagerten Stufen, eine Chance für die Innovation.» Andreas Meier
Martin Suter
Samuel imboden AnzAhl PeRSonen AUF DeM hoF
Vier Familien an zwei Standorten: Franz Peterhans, Walter Imboden, Thomas Peterhans, Samuel Imboden, 1 Lehrling, total ca. 8 Stellen ARt
Betriebsgemeinschaft oRt
Künten und Busslingen, Aargau PRoDUktion
Käsereimilch, Biogas, Obst, Schweine, Eier, Honig, Zuckermais, diverse Ackerkulturen GRöSSe
50 Hektar BetRieB Seit
Betriebsgemeinschaft seit 1974 BeSonDeRheit
Grosser Direktverkauf, diverse Bereichsleiter in der Betriebsgemeinschaft
«Wenn ich die Landwirtschaftspolitik bestimmen könnte, dann sollte man eine standortgerechte und ressourceneffiziente Produktion fördern. Es braucht ein Zusammenspiel von Produktion und Ökologie, wobei im Moment der Fokus zu stark Richtung Ökologie geht. Wir produzieren in der Schweiz aufgrund unserer vorhandenen Ressourcen wie fruchtbarer Boden und genügend Wasser nachhaltiger als im Ausland. Deshalb ist jedes produzierte Lebensmittel in der Schweiz gelebter Ressourcenschutz. Wichtig ist die Ausrichtung der Politik auf die Familienbetriebe. Die neue erneuerbare Energieproduktion mit Biogas ist bereits ein Standbein auf unserem Betrieb und könnte durch die Energiewende noch zunehmen. Wir werden die kommenden Herausforderungen weiterhin aktiv angehen, losgelöst von der Politik.» Samuel Imboden
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Rosemarie Keller, schriftstellerin
kleiner seitenBlick auf die Bauern in der literatur «Als Adam grub und Eva spann, wo blieb denn da der Edelmann?» Dieses Lied wird dem Bauernkrieg (1524/1525) zugeschrieben, dem grössten Massenaufstand der deutschen Geschichte. Martin Luther verfasste darauf seine Schrift «gegen die räuberischen und mör derischen Rotten der Bauern». Stammen wir alle vom Bauern ab? Weil unsere biblischen Voreltern gehalten waren, «im Schweisse ihres Angesichtes» den Boden zu bearbeiten, oder weil andere Vorfahren, die Jäger und Sammler, keinen eigentlichen Beruf ausübten? Haben wir uns zu unserem Schaden oder Nutzen von der Scholle abgewandt? Uns in tausend Berufe zerstreut? Blicken wir einmal bei Tolstoi vorbei: Leo Nikolajewitsch Tolstoi (1828–1910), Landbesitzer aus dem russischen Hochadel, zum Dichter berufen, vom Staat kritisiert. Denn er schildert die Besitzer der Landgüter, die fette Pfründe verwalten, im Militär Kriegspläne aushecken und Soldaten beüben, als Nichtsnutze. Sie sind samt ihren durch Müssiggang verblödeten Frauen dem Untergang geweiht. Im Werk Tolstois erscheint aber auch immer wieder jener Mensch, der diese Zustände in Frage stellt. Der Dichter portraitiert sich hier selbst. Von mächtiger Gestalt, manchmal ungeschlacht aufbegehrend, geisselt er die Dekadenz seiner Kaste, sehnt sich nach Arbeit. Er findet Erfüllung indem er sich zu den Bauern begibt. Der Gutsherr reiht sich ein in die Schar der Mäher, wird gastlich aufgenommen in den Bauernhäusern. Die russische Landschaft, die Tolstoi arbeitend erlebt, hat er uns in seiner Literatur übermittelt. Nicht dass er nur Harmonie im bäuerischen Leben sähe. Er zeigt Menschen. Auf solche Menschensuche begab sich auch Jeremias Gotthelf, der als Pfarrer Albert Bitzius in Lützelflüh lebte und dort 1854, im Alter von 57 Jahren starb. Vorerst schildert Gotthelf im «Bauernspiegel» die dunkle Seite des ländlichen Lebens. Dicht ist dieses Werk, das ihm schwere 14
Die Politik 5 Juli/August 2011
Kritik bringt, so voller Mitgefühl für die Entrechteten, dass wir das Pseudonym «Gotthelf» verstehen. Dieser protestantische Pfarrer ist der Helfer Gottes. In bedrückenden Bildern, wie sein russischer Kollege, zeigt er uns die Wahrheit. Wir sehen die Bäuerin in «Geld und Geist» auf dem Kirchgang. Allein geht sie durch Felder, betrachtet das wogende Meer des reifen Kornes, prüft eine Ähre, pflückt eine Blume. Sie setzt sich zuhinterst in die Kirche. Und nun ist sie offen für die Worte des Pfarrers. Aus dem Zerwürfnis mit ihrem Mann, unter dem der ganze Hof leidet, findet sie den Ausweg. In einem Akt der Versöhnung reicht sie am Familientisch ihrem Mann, wie ehedem, zuerst die Schüssel mit dem Essen. In Gotthelfs Werk verwalten die Bauernfamilien ihre Höfe, tun Recht und Unrecht, lachen und weinen. Wenn der Hoferbe Joggeli eine Frau sucht und deshalb verkleidet «Hausbesuche» macht, achtet er nicht etwa darauf, ob eine junge Frau streitet, sondern wie sie streitet. Weil Gotthelfs Schweiz klein und demokratisch ist, herrschen nicht die russischen Probleme des dekadenten Adels. Doch auch im helvetischen Alltag der Bauern schleichen sich Missstände ein: Die selbstverliebte Tochter des Hauses verbringt den Tag vor dem Spiegel, der alte Bauer nörgelt auf der Ofenbank und der junge Pächter krallt seine Hände um den Geldbeutel. Wir freuen uns, dass es so ist. Denn wir sind besser! Gotthelf sei Dank. Weshalb lesen wir Gotthelf und Tolstoi immer wieder? Weil sie nicht nur die Kunst des Wortes besitzen, sondern eine Botschaft haben. Nach der Diskussion über Recht und Unrecht, die der russische Gutbesitzer Lewin mit einem Bauern führt, folgert Lewin: «Ich habe Antwort auf meine Frage gesucht. Aber mein Denken konnte die Antwort nicht geben, es reichte dazu nicht aus. Die Antwort gab mir das Leben selbst…» Für Tolstoi und Gotthelf üben die Bauern den wichtigsten Beruf aus. Könnte es sein, dass dem ersten und wichtigsten Beruf der alttestamentarischen Welt auch die Zukunft gehört? ■
rosemarie keller hat mehrere Bücher publiziert, unter anderem «Tausend Brunnen» über ein Wasserprojekt in Kamerun.
OrTsTermine Kathy Riklin, nationalrätin
am schreiBTisch literaturhaus Zürich. Einen Löwenanteil meiner Zeit verbringe ich an Schreibtischen und am Laptop. Lesend, schreibend und am Telefon. Ich bearbeite Berge von Dossiers, Protokolle, Briefe und Einladungen. Ich beantworte Dutzende von Mails, schreibe Artikel und Leserbriefe, suche Antworten im Internet, füttere Facebook und Twitter. Irgendwo an irgendeinem Schreibtisch an irgendeinem Ort auf der Welt. Das World Wild Web kennt keine Grenzen. Wenn ich genug habe, gehe ich spazieren. Zum Lindenhof mit seiner bewegten Geschichte und der Ruhe mitten in Zürich, zur St. Peterhofstatt, dem Platz neben der St. Peter Kirche oder durch die verwinkelten Gassen rechts der Limmat
am Rathaus vorbei zum Literaturhaus am Limmatquai. Im Lesesaal mit der schönsten Aussicht auf Fluss und Altstadt herrscht Ruhe, eine Oase in der Zürcher Finanz- und Wirtschaftsmetropole. Ich schaue in Bücher und Zeitschriften. Die Zeit scheint still zu stehen. Eine private Lesegesellschaft gründete im Jahre 1834 diese «Museumsgesellschaft», die zum Zwecke der Bildung und Erbauung Bücher und Zeitschriften bereitstellte. Daraus entstand das Zürcher Literaturhaus. In der denkmalgeschützten Bibliothek studierten auch Lenin und Joyce. Heute wird der Austausch innerhalb der mehrsprachigen Schweizer Literatur gefördert und es finden Lesungen, auch französisch- und italienischsprachiger Autoren statt. ■
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Peter Bieri, Ständerat
AgrArpolitik 2014–2017: Das neue Direktzahlungssystem Die Bäuerinnen und Bauern unseres Landes produzieren Nahrungsmittel und sorgen damit für die Versorgungssicherheit unseres Landes. Doch nicht nur das. Sie erbringen auch viele weitere Leistungen, von welchen unsere Gesellschaft profitieren kann: Sie pflegen die Landschaft, fördern die Biodiversität und sorgen für eine dezentrale Besiedelung. Dafür werden sie vom Bund seit den 90er Jahren mit Direktzahlungen entgolten. Mit der vom Bund vorgeschlagenen Agrarpolitik 2014–2017 soll dies nun unter neuen Gesichtspunkten erfolgen. Die Direktzahlungen werden im Vorschlag des Bundesrats in sieben Kategorien aufgeteilt. 1. kulturlandschaftsbeiträge Die durch den Menschen geprägte Landschaft wird als Kulturlandschaft bezeichnet. In der Schweiz ist ein grosser Teil davon Landwirtschaftsfläche. Damit eine möglichst flächendeckende Bewirtschaftung der alp- und landwirtschaftlichen Flächen möglich ist, will der Bund die Offenhaltung der Kulturlandschaften durch Direktzahlungen (Kulturlandschaftsbeiträge) fördern. Damit soll zum Beispiel Waldeinwuchs verhindert werden. 2. Versorgungssicherheitsbeiträge Damit wir auch im Krisenfall genügend Nahrungsmittel im Inland produzieren können, ist der Bund via Verfassung verpflichtet, für eine genügend hohe Versorgungssicherheit zu sorgen. Die Erhaltung der landwirtschaftlichen Nutzfläche (siehe Punkt 1) reicht dazu nicht aus. Die Ausrichtung der landwirtschaftlichen Produktion soll sich zu normalen Zeiten grundsätzlich an den Marktbedürfnissen orientieren. Eine vielfältige Bewirtschaftung ist aber ein Muss, damit in der Krisenzeit in relativ kurzer Zeit und mit tragbarem Aufwand die Landwirtschaft den Mindestanforderungen angepasst werden kann. Auch die entsprechenden Produktions- und Verarbeitungskapazitäten müssen zur Verfügung stehen. Dazu braucht es genügend Know-how, welches zu normalen Zeiten aufrecht erhalten werden muss. So sollen gemäss Bundesrat Versorgungssicherheitsbeiträge zum Beispiel zur Erhaltung von spezifischen Kulturen beitragen und produktionsbedingte Erschwernisse und Kostennachteile der ackerbaulichen Produktion ausgeglichen werden. 16
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3. Biodiversitätsbeiträge Mit einem Drittel der Flächennutzung hat die Landwirtschaft einen grossen Einfluss auf die biologische Vielfalt in unserem Land. Die Landwirtschaft produziert Biodiversität, gleichsam ist sie von ihr abhängig. Mit den Biodiversitätsbeiträgen will der Bundesrat die Vielfalt der Pflanzen und Tierwelt spezifisch fördern und ein stärkerer Schwerpunkt auf die Qualität der geförderten Strukturen und Flächen legen.
4. landschaftsqualitätsbeiträge In der Schweiz gibt es diverse spezielle Kulturlandschaften wie zum Beispiel Wytweiden, der Bergackerbau oder Kastanienselven. Die Vielfalt und Qualität der Schweizer Kulturlandschaft nimmt viele soziale und ökonomische Funktionen wahr, zum Beispiel im Tourismus. Bis anhin hat der Bund solche Projekte nicht spezifisch unterstützt. Dies war Aufgabe der Kantone und der spezifischen Regionen. Mit den Landschaftsqualitätsbeiträgen sollen nun gewisse Projekte vom Staat gefördert werden können. Für die Plateaulandschaften des Faltenjuras würde dies zum Beispiel bedeuten, dass traditionelle Anlagen und gemischte Herden beibehalten werden. Weiter würde die Zugänglichkeit für Reiter und Fussgänger durch Weidetore und die Einrichtung von Tränken erhöht. 5. produktionssystembeiträge Besonders naturnahe, umwelt- und tierfreundliche Produktionsformen, welche sich in den letzten Jahren bewährt haben, will der Bundesrat über Produktionssystembeiträge fördern. Dabei könnten einerseits Betriebe gefördert werden, welche ihre ganze Produktion zum Beispiel auf den biologischen Landbau
VOr 15 Jahren…
umgestellt haben. Anderseits würden aber auch Betriebe gefördert, die einzelne Produktionsformen wie zum Beispiel graslandbasierte Milch- und Fleischproduktion anwenden.
6. ressourceneffizienzbeiträge Die Landwirtschaft benötigt Boden, Wasser und Luft. Diese Ressourcen müssen von guter Qualität sein und nachhaltig genutzt werden. Eingesetzte Düngemittel wie Stickstoff und Phosphor sowie Pflanzenschutzmittel und Energie sollen effizient eigesetzt werden. Mit den Ressourceneffizienzbeiträgen will der Bundesrat die breitflächige Einführung von neuen Techniken fördern, wie zum Beispiel das Schleppschlauchsystem. Dieses System reduziert bei der Ausbringung der Gülle die Ammoniakemissionen. 7. anpassungsbeiträge Neu sollen nach Bundesrat Zahlungen zur Stützung des Einkommens vollständig von der Produktion und der Fläche entkoppelt werden. Die Anpassungsbeiträge wären an eine bestimmte Person gebunden und sollten den Systemwechsel der Direktzahlungen aus einzelbetrieblicher Sicht abfedern. Die Anpassungsbeiträge würden mit jedem Jahr abnehmen. ■
in der Vernehmlassungsantwort auf die agrarpolitik 2014–2017 äussert sich die cVp skeptisch gegenüber dem neuen direktzahlungssystem. sie spricht sich klar gegen die absicht aus, die direktzahlungen stärker auf den ackerbau und die extensive landwirtschaft auszurichten und damit die Viehwirtschaft zu benachteiligen. die cVp wird sich damit auch in zukunft für eine produzierende, nachhaltige landwirtschaft einsetzen.
Am 9. Juni 1996 sagte das Schweizer Volk mit 77,6 Prozent Ja zum Verfassungsartikel zur Landwirtschaft. Er handelte sich dabei um einen von National und Ständerat ausgearbeiteten Kompromiss, welcher der Volks initiative «Bauern und Konsu menten» entgegentrat. Die Initiative wurde daraufhin zu rückgezogen. Bis dahin fehlten in der Bundesverfassung beson dere Bestimmungen über die Funktion und die Aufgaben der Landwirtschaft. Der neue Ver fassungsartikel schloss diese Lücke. In den Abstimmungs unterlagen hielt der Bundesrat damals fest: «Die Reform der Agrarpolitik schafft die Voraus setzungen dafür, dass die Schwei zer Landwirtschaft markt, aber auch umwelt und tiergerecht Nahrungsmittel produzieren kann. Der neue Verfassungsar tikel umschreibt den Auftrag an die Landwirtschaft und legt fest, dass die bäuerlichen Betriebe für ihre vielfältigen Leistungen auch direkt vom Bund entschä digt werden.» (ym)
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Wenn LandWirte an ihre Grenzen stossen Probleme in der Ehe, Konflikte mit den Schwiegereltern oder gesundheitliche Beschwerden; wenn Bäuerinnen und Bauern in persönlichen Krisen stecken, hat dies oft Folgen für den ganzen Betrieb. Hilfe in der Not bietet das Bäuerliche Sorgentelefon, geleitet von Pfarrer Lukas Schwyn. Lukas Schwyn, wieso braucht es ein Sorgen telefon speziell für Bäuerinnen und Bauern? Die bäuerliche Bevölkerung der Schweiz ist seit Jahren einem immer rasanteren Wandel ausgesetzt, der verschiedene Probleme mit sich bringt: ein zunehmender finanzieller Druck, Konflikte in der Partnerschaft, Generationenkonflikte… Das Problem bei persönlichen Krisen im landwirtschaftlichen Umfeld ist, dass davon immer auch der Betrieb mit betroffen ist. Das Betriebliche und das Persönliche sind sehr eng miteinander verknüpft. Ein Landwirt ist darauf angewiesen, dass ihn seine Partnerin unterstützt. Fällt sie aus, hat dies meist weitreichende Konsequenzen. Nun besteht in der Schweiz bereits ein ähnli ches Angebot mit der «Dargebotenen Hand». Was unterscheidet Ihre Anlaufstelle von der Notrufnummer 143? Vielen Landwirten bereitet beispielsweise die Agrarpolitik 2014–2017 mit dem neuen Direktzahlungssystem Sorgen. Existenzängste bleiben selten ohne Auswirkung auf das Zwischenmenschliche. Versteht ein Berater nichts von den Entwicklungen in 18
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der Landwirtschaftspolitik, ist es schwierig die Nöte der Hilfesuchenden nachzuvollziehen, deren ganze Dimension zu erfassen. All unsere Beraterinnen und Berater sind deshalb entweder Landwirte oder haben anderweitig fundierte Kenntnisse der Landwirtschaft – ein Punkt, der uns sehr wichtig ist. Ohne solche Fachleute wäre ein spezifisches Sorgentelefon für Bäuerinnen und Bauern sinnlos. Suchen die Anrufenden beim Bäuerlichen Sorgentelefon vorab wegen betrieblichen oder persönlichen Problemen Rat? 40 Prozent der Anrufenden suchen Hilfe wegen Beziehungsproblemen. Im Vordergrund stehen dabei Generationenkonflikte, erst dann folgen Ehe- und Partnerschaftsprobleme. 30 Prozent der Hilfesuchenden haben gesundheitliche Probleme, bei 15 Prozent sind es finanzielle Sorgen, 13 Prozent rufen an wegen betrieblichen Problemen. Wir erhalten pro Jahr rund 120 Anrufe. Das macht pro Öffnungszeit – unser Sorgentelefon ist zweimal in der Woche offen – im Durchschnitt ein Anruf. Das mag auf den ersten Blick nach wenig klingen. Die Beratungsgespräche sind aber meist relativ ausführlich und können bis zu zwei Stunden dauern. Wir wollen keine Schnellabfertigung. Es gehört zu unseren Grundsätzen, dass wir uns Zeit für die Hilfesuchenden nehmen, sie ausreden lassen. Welche Entwicklung konnten Sie in den ver gangenen Jahren feststellen? Die Anzahl Hilfesuchender steigt seit 2004 leicht, aber kontinuierlich an. Wir haben zudem festgestellt, dass die finanziellen und die gesundheitlichen Probleme im vergangenen Jahr zugenommen
haben; die gesundheitlichem um rund 18 Prozent, die finanziellen um 10 Prozent. Das weist darauf hin, dass der ökonomische Druck auf die Landwirtschaftsbetriebe im Zuge des Strukturwandels gestiegen ist. Gibt es den typischen Hilfesuchenden? Unsere Beratung erfolgt anonym, wir erfassen jedoch Alter und Geschlecht. 60 Prozent der Hilfesuchenden sind Frauen. Die Hälfte der Anrufenden sind zwischen 40 und 60 Jahre alt. Hilferufe kommen aber auch von Jungen und Menschen in hohem Alter.
gesundheitlich ernsthaft angeschlagenen Mann dazu bringen kann, kürzer zu treten. Er weigert sich der Situation ins Auge zu schauen, geschweige denn zum Arzt zu gehen. Oder der Fall eines Landwirten, der wiederholt droht sich umzubringen. Seine Frau hat sich an uns gewendet, weil sie befürchtet, dass er ihr gegenüber erneut gewalttätig wird, wenn sie ihn auf seine Probleme anspricht. Es gibt zudem Menschen, die uns regelmässig anrufen, einfach weil sie einsam sind und jemanden zum reden brauchen. Wie sieht die Hilfe des Bäuerlichen Sorgen telefons in solchen Fällen aus? Viele haben ihre Sorgen lange verschwiegen und teilen sie mit einem Anruf bei uns erstmals mit jemandem. In den Gesprächen entwickeln sie oft dadurch, dass sie die Situation mit den Beratern ausführlich analysieren, selbst Lösungsansätze. Wo wir an Grenzen stossen, unterstützen wir die Anrufenden bei der Suche nach weiterführender Hilfe. Dann kommt beispielsweise eine andere Organisation vor Ort oder die Opferhilfe zum Einsatz. ■
Wer bei uns anruft, ist generell in einem relativ verzweifelten Zustand. Es gibt Hilfesuchende, denen es leichtfällt zu erzählen, aber auch solche, die zunächst kaum etwas sagen, die ermutigt werden müssen sich zu öffnen. Vor allem Männern fällt es vielfach schwer über Probleme zu sprechen. Wir stellen zudem fest, dass sich Männer oft erst an uns wenden, wenn Konfliktsituationen bereits eskaliert sind, wenn es beispielsweise bereits zur Trennung gekommen ist.
–Interview: Lilly Toriola
Können Sie einige konkrete Fälle nennen, mit denen die Beraterinnen und Berater konfrontiert sind? Es sind Fälle wie der einer jungen Städterin, die trotz ihrer landwirtschaftlichen Ausbildung nicht von ihrer Schwiegermutter auf dem Hof akzeptiert wird. Oder eine Frau, die nicht weiss, wie sie ihren
das Bäuerliche sorgentelefon (041 820 02 15, Montag 8.15 bis 12 Uhr, Donnerstag 18 bis 22 Uhr) bietet seit 16 Jahren Hilfe für Bäuerinnen, Bauern und deren Angehörige in Not. Betrieben wird es von vier Trägerorganisationen: der Schweizerischen Reformierten Arbeitsgemeinschaft Kirche und Landwirtschaft (SRAKLA), der Schweizerischen Katholischen Bauernvereinigung (SKBV), dem Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverband (SVBL) und der Beratungsorganisation Agridea. Die zehn Beraterinnen und Berater arbeiten auf freiwilliger Basis. Finanziert wird das Sorgentelefon durch Spenden.
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Tagesprogramm eines FrühauFsTehers Ein Protokoll von Jakob Büchler, Nationalrat und Landwirt 05.00 uhr: Tagwache. Es ist Mitte Mai. Die Kühe sind noch auf der Nachtweide. 05.30 uhr: Die Kühe werden von der Nachtweide in den Stall geholt. Zuerst werden sie gemolken. Heute ist der Milchkontrolleur im Stall. Er entnimmt jeder Kuh eine Milchprobe. Daraus werden die Fett-, Eiweiss- und Milchzuckerwerte festgestellt, ebenso die Sauberkeit. Die Resultate können am nächsten Tag online eingesehen werden. 07.00 uhr: Ein Tankwagen wird am Auto angehängt, die Milch in der Käserei abgeliefert. Die Reinigung der Melkanlage wird von der Bäuerin übernommen. Eine verantwortungsvolle Aufgabe, denn auch davon hängt die Milchqualität ab. 07.15 uhr: Die Kühe gehen wieder auf die Weide und bleiben bis gegen Abend dort. 07.30 uhr: Die grösseren Kinder fahren mit dem Schulbus in Schule und Kindergarten. Der Rest der Familie kommt im Haus zum gemeinsamen Frühstück zusammen. 08.00 uhr: Die Ställe werden gereinigt, die Mastkälber frisch eingestreut, die Tränkeautomaten gesäubert und wieder aufgefüllt. 09.00 uhr: Für den Schlachthof müssen 20 Mastkälber verladen werden. Dafür muss der Betriebsleiter per Internet eine Abmeldung bei der Tierverkehrsdatenbank aufgeben. Zusätzlich wird für 20
Die Politik 5 Juli/August 2011
jedes Tier ein Begleitdokument in dreifacher Ausführung ausgedruckt: eines für den Mäster, eines für den Transporteur und eines für den Schlachthof. Am Abend kann bei der Tierverkehrsdatenbank die Schlachtqualität der Mastkälber abgerufen werden. 10.00 uhr: Das Wetter ist gut, das Gras steht schon recht hoch. Der Heuet hat bereits begonnen. Der Bauer geht mit dem Traktor auf die Wiese und mäht fünf Hektaren Gras für die Heuernte. Nach dem Mähen wird das noch grüne Gras ausgebreitet, um eine optimale Abtrocknung zu ermöglichen. 12.00 uhr: Die Kinder kommen von der Schule zurück, die Bauernfamilie kommt am Mittagstisch zusammen. Die Bäuerin hat ein feines Mittagessen vorbereitet. Die Mittagspause ist für die ganze Familie ein wichtiger Zeitpunkt für Gespräche. Auch der Wetterbericht wird genau angehört, denn das gemähte Gras darf nicht verregnet werden. 13.30 uhr: Das gemähte Heu wird nochmals gewendet. 14.15 uhr: Die Weide muss vergrössert werden, damit die Kühe genügend Weidegras finden können. 15.00 uhr: Die Heuerntemaschine hat eine kleine Reparatur nötig. Das hinterste Rad hat keinen Luftdruck mehr. Die Werkstatt auf dem Bauernhof ist für solche Reparaturen bestens eingerichtet. Der Reifen wird repariert und wieder
aufgepumpt. Es ist wichtig, dass solche Arbeiten selber erledigt werden können, denn die Kosten für Maschinenreparaturen sind hoch. 16.30 uhr: Die Kühe kommen von der Weide zurück in den Stall. Der Bauer hat eine Kuh entdeckt, die am hinteren Fuss leicht hinkt. Sie wird in den Klauenpflegestand eingebunden. Das erkrankte Bein wird aufgezogen, die schmerzende Stelle ausgeschnitten, mit Klauensalbe behandelt und stabil verbunden. Der hinkenden Kuh geht es damit schon etwas besser. Der Verband wird am nächsten Tag gewechselt. 17.30 uhr: Die Melkmaschine wird eingerichtet und die Kühe wieder gemolken. Die frische Milch fliesst in den Milchtank, wo sie sofort auf 4 Grad Celsius herunter gekühlt wird. 19.00 uhr: Die Arbeit ist erledigt. Die Familie trifft sich zum Abendessen. Die Kinder erledigen noch ihre Hausaufgaben. 19.30 uhr: Der Bauer ist Mitglied bei der Feuerwehr im Dorf. Heute steht eine wichtige Übung auf dem Programm. Diese dauert bis 21.30 Uhr. Mit einem wohlverdienten Besuch im Restaurant Bären geht ein intensiver Tag zu Ende. Landwirt ist ein strenger, aber schöner Beruf. Die Arbeit mit den Tieren und mit der Natur ist etwas Besonderes. ■
Reto Wehrli, nationalrat
wieso Mehr Bezahlen? DaruM! Volkswirtschafter, Diplomaten und Politiker fragen sich: Sind Gatt/WTO und ist ein Freihan delsabkommen mit der EU für die schweizerische Landwirtschaft von Vorteil? Die reine akademi sche Lehre – sie ist bekanntlich in der Bundesver waltung gut vertreten – bejaht diese Frage. Sie beruft sich auf die Theorie des komparativen Vorteils. Diese besagt, dass jeder das produzieren soll, was er am besten kann. Dadurch entsteht weltweite Arbeitsteilung und jedes Produkt wird schliesslich am Ort der niedrigsten Kosten hergestellt. Das macht bei Industrie und Dienstleistungen wirtschaftlich gesehen Sinn (wie es mit der Ökologie steht, ist eine ganz andere Frage). Jedenfalls ist die Schweiz eine der grossen Profiteurinnen der weltweiten Marktöffnungen. Unser Land stellt praktisch keine Massenerzeugnisse und nicht einmal mehr Autos her, dafür spezialisierte Güter mit höherer Wertschöpfung. Das gleiche Muster funktioniert bei der Landwirtschaft nicht. Was die schweizerische Landwirtschaft herstellen kann, ist schnell aufgezählt: Milch, Milchprodukte und Fleisch, dazu etwas Obst und Getreide. Alles andere sind Nischen. Sich in diese zu verziehen, erweist sich bei genauerem Hinsehen als Illusion. Selbst wenn wir nur noch Himbeeren herstellen, tun wir das teurer als andere auf der Welt. Wer also Freihandel ernst meint und konsequent durchzieht, der nimmt in Kauf, dass die schweizerische Landwirtschaft zu existieren aufhört. Allenfalls kann ihr Sterben mit einem komplizierten Subventionssystem verlängert werden.
nicht wie Dienstleistung und industrie Die Landwirtschaft steht also im Gegensatz zu Industrie und Dienstleistung: Diese brauchen den Freihandel, weil sie sich laufend in höhere Wertschöpfungen begeben können und weil sie viel mehr herstellen, als wir selber brauchen. Und damit sieht sich die schweizerische Handelsdiplomatie vor der vielleicht nicht lösbaren Aufgabe, Freihandel für Industrie und Handel zu erreichen, ihn aber für die Landwirtschaft zu verhindern. Für den Kontakt mit den Konsumenten, für den Marktauftritt unserer Bauern heisst das: Es müssen die nicht-komparativen Vorteile einer eigenen, leistungsfähigen Landwirtschaft noch viel mehr betont und glaubwürdig gemacht werden. Zum Beispiel ökologische Verantwortung, Erhalt unserer wunderbaren Landschaft (sonst droht die Vergandung), Ernährungssicherheit, Qualität der Produkte (gesunde Ernährung) oder emotionale Aspekte. Dann kann zum Beispiel der helvetische Tierschutz von jedem einzelnen Landwirt positiv interpretiert werden. Zwar bedeutet Tierschutz zunächst Aufwand, aber immer mehr Käuferinnen und Käufer wollen wissen, wie die Tiere behandelt werden. Jedenfalls nicht so wie in der EU, wo lebende Tiere immer noch über tausende von Kilometern transportiert werden und auch trotz verschärfter Gesetze unter Stress, Durst und Hitzeschocks leiden. Jährlich werden 360 Millionen Tiere in der EU herumgekarrt, zwei Millionen sterben dabei. Konsumentinnen und Konsumenten sollen sich nicht mehr fragen «Wieso muss man für schweizerische Produkte mehr bezahlen?», sondern: «Wie komme ich überhaupt dazu, ausländische Massenware zu kaufen?» ■
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Rudolf Hofer, Bümpliz
die kuh, der Bauer und die welt Warum wurde aus dem Bündnis, das die drei bäuerlichen Gemeinschaften von Uri, Schwyz und Unterwalden 1291 schlossen, ein moderner Staat? Einige Historiker verweisen auf den Eintritt von Städten in den Bund. Das war sicher ein Erfolgsfaktor. Weshalb blieben aber die Landorte gleichberechtigte Akteure, die keineswegs von den Städten domi niert wurden? Mit anderen Worten: Wes halb entwickelten die schweizerischen Bauern eine derartige Fähigkeit zur Staatenbildung, die Bauern andernorts abging? Eine Erklärung liegt in der Produktion von Vieh statt Getreide. Der typische europäische Bauer des Mittelalters produzierte vor allem Getreide. Er tat dies in eigener Verantwortung auf dem Land, das er von seinem Grundherrn erhielt und in Fronarbeit. Seinen Nahrungsmittelbedarf deckte der Bauer selber. Einen Teil des Getreides verkaufte er, um Werkzeuge und weitere Hilfsmittel zu kaufen und seine Abgaben zu bezahlen. Beim grossflächigen Getreideanbau beaufsichtigte der Grundherr die Fronarbeit seiner Leibeigenen, was nötig war, weil ein ökonomischer Anreiz für effizientes Arbeiten fehlte.
schlechte Voraussetzungen für den getreideanbau In der Schweiz und besonders im schweizerischen Alpengebiet sind die natürlichen Bedingungen für den Getreideanbau nicht günstig. Dagegen bietet sich die Viehproduktion an. Wenn man Vieh und Viehprodukte, für die man einen bestimmten Aufwand treiben muss, im Flachland gegen Getreide eintauscht, erhält man im Flachland eine Menge Getreide, deren Produktion in der Innerschweiz einen wesentlich grösseren Aufwand verlangen würde. Das spiegelt das wieder, was die Ökonomen das Gesetz der komparativen Kosten nennen. Dieses Modell 22
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spielt aber nur, wenn die Differenz in den Produktions- nicht durch die Transportkosten aufgefressen wird. Deshalb ist die Viehzucht im Mittelalter in den Alpen und Voralpen und weniger im Mittelland eine sinnvolle Alternative.
anderer Bauer, andere gesellschaft Der alpine Viehzüchter ist mobiler als der Getreidebauer. Die Kuh folgt im Jahreszyklus dem Gras auf die Alp, der Viehzüchter folgt der Kuh. Verkauft er sein Vieh und seinen Käse im Flachland, erweitern sich sein räumlicher Aktionsradius und sein gesellschaftlicher Horizont. Er ist ein Bauer, der die Städte kennt. Wer für den Markt produziert und seinen Lebensbedarf am Markt einkauft, lernt mit Geld umzugehen. Ohne grossflächigen Getreideanbau, sind auch die feudalen Grundherrschaften schwächer. Entsprechend stärker muss die Selbstorganisation der Bauern sein. Die Behauptung gegen die feindliche Natur, die Organisation der Alpwirtschaft und der Handelsreisen zwingen die Bauern, entsprechende Institutionen zu entwickeln. Das führt nicht zu einer Gesellschaft der Gleichen und Freien, aber Adel und reiche Bauern müssen mit den anderen Bauern zusammenarbeiten. Die Erschliessung des Gotthards für den Verkehr stärkte langfristig die Waldstätte wirtschaftlich durch das Säumerwesen, und politisch durch die Kontrolle eines der strategisch wichtigsten Verkehrswege des Deutschen Reiches. Kurzfristig absehbar waren aber die Profite durch den Viehabsatz in den grossen und reichen Städten Norditaliens. Wer knappe Ressourcen in ein derartiges Grossprojekt investierte, orientierte sich wohl eher an der kurzfristigen Rendite.
politische konsequenzen Dem Adel und den Städten des Mittellandes traten also nicht Bauern entgegen, deren Gesichtskreis auf das eigene Dorf und einige Nachbardörfer beschränkt war. Wer Mailand kannte, dem mussten die schweizerischen Städte recht provinziell vorkommen. Bauern, deren wichtigste Ressourcen das Exportprodukt Vieh und ein grosser Handelsweg waren, mussten grossräumig und strategisch denken.
Foto: Michel Capobianco
Die Impulse von 1291 und 1315 führten denn auch vor allem zur Ausdehnung der Eidgenossenschaft nach Norden an den Rhein und nach Süden bis Chiasso. Es sind genau die Richtungen, die wir heute unter dem Titel Zufahrtsstrecken zur NEAT diskutieren. Die Westausdehnung war weitgehend eine Berner Politik. Die Ostausdehnung geht auf die Appenzeller zurück.
Der zweite schub Um die Mitte des 19. Jahrhunderts reduzierten Dampfschiffe, Eisenbahnen und der Abbau von Zollgrenzen den Distanzschutz für den Getreideanbau. Mit sinkenden Transportkosten wirken sich die komparativen Kosten aus. Milch- und Viehwirtschaft gewinnen auf Kosten des Getreideanbaus an Gewicht. Jeremias Gotthelf stellt die kulturellen und sozialen Auswirkungen dieses Wandels in «Die Käserei in der Vehfreude» dar. Die Bauern zeigen ihre Fähigkeit zur Selbstorganisation. Die Käserei ist als Genossenschaft organisiert. Die Umstellung macht – nicht zur Freude Gotthelfs – Investitionen in leistungsfähigere Kühe sinnvoll. Eine kapitalistische Denkweise zieht in die Landwirtschaft ein. Käse wird für den Weltmarkt
produziert. Bei Gotthelf gibt der alte Käsehändler seinen Söhnen für die Preisverhandlungen das Argument mit: Das Meer sei eingefallen, man könne nicht mehr nach Amerika, und der Kaiser von Russland habe bei Hängen den Käs verboten, es sei nichts mehr zu machen. Das ist Globalisierung im Emmental.
Das erbe Selbstverständlich ist die Viehwirtschaft nur eine der Faktoren, welche die Entwicklung der Eidgenossenschaft geprägt haben. Wer von den bäuerlichen Wurzeln der Schweiz spricht, sollte aber nie vergessen, dass er von einem speziellen Bauerntypus spricht. Selbstbewusstsein und Weltoffenheit – eine speziell schweizerische Mischung – findet sich bereits bei den Innerschweizer Bauern, die durch die Weltverbundenheit Selbstbewusstsein entwickeln. Die Vorliebe für Selbsthilfeorganisationen setzt sich – etwas weniger erfreulich – in der langen Toleranz gegenüber Kartellen fort. So prägt die Kuh nicht nur den Bauern, sondern den Schweizer überhaupt und auch sein Verhältnis zur weiten Welt. ■ Die Politik 5 Juli/August 2011
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Evelyn Bahn, Referentin für Welternährungsfragen beim INKOTA-netzwerk Deutschland
Land GrabbinG: weltweiter wettlauf um ackerland
Ausländische Investoren haben in den vergangenen Jahren allein in Afrika über 30 Millionen Hektar Ackerland aufgekauft oder gepachtet. Während die lokale Bevölke rung an Hunger leidet, produzieren die Investoren Nahrungsmittel und Energie pflanzen für den Export oder nutzen den fruchtbaren Boden als Spekulationsobjekt. Vertreter von Kleinbauernorganisationen weisen darauf hin, dass sich in vielen Entwicklungsländern Land und Wassernutzungskonflikte zuspitzen. Vor diesem Hintergrund hat sich der englische Begriff «Land Grabbing» (Grapschen nach Land) durchgesetzt. Die steigende Nachfrage nach Energiepflanzen und Futtermitteln, der prognostizierte Anstieg der Weltbevölkerung sowie die Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft spielen eine Rolle für das wachsende Interesse an Ackerland. Als im Jahr 2008 die Grundnahrungsmittelpreise explodierten, sicherten sich insbesondere devisenreiche Regierungen und Staatsbetriebe aus den Golfstaaten sowie China grossflächig Ackerboden in den Entwicklungsländern, um sich von den schwankenden Weltmarktpreisen unabhängig zu machen. Bei Investoren aus Europa handelt es sich hingegen um Energieunternehmen, die Pflanzen für die Gewinnung von Agrarkraftstoffen anbauen. Auch Investmentfonds sind in das Bodengeschäft eingestiegen. Allein in Deutschland werden über dreissig verschiedene Fonds angeboten, die mit rund fünf Milliarden Euro direkt oder über Beteiligungen in Ackerland investieren.
landkäufe von gewaltigem ausmass Die Weltbank kommt in einer Studie zum Schluss, dass im Zeitraum Oktober 2008 bis August 2009 Landgeschäfte über 46,6 Millionen Hektaren angekündigt oder abgeschlossen wurden – das entspricht in etwa dem Gebiet Schwedens. Ein Viertel der verkauften oder verpachteten Flächen umfassen mehr als 200 000 Hektaren. 70 Prozent der geplanten Landgeschäfte werden mit Regierungen der Subsahara-Staaten abgeschlossen. Paradoxerweise sind viele der betroffenen Länder seit Jahrzehnten von Hungersnöten betroffen und weite Teile der Bevölkerung leiden unter Mangelernährung, darunter Äthiopien, Kongo, Sierra Leone, Tansania oder Kambodscha. 24
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gewaltsame Vertreibung der Bauern Die hohe Korruptionsrate in vielen der betroffenen Länder führt dazu, dass die lokale Bevölkerung in die Verhandlung über das Land nur unzureichend oder gar nicht einbezogen wird. Vertreter der staatlichen Eliten handeln die Verträge mit den Investoren aus und Familien, die das Land bislang bewirtschafteten, werden erst nach Abschluss des Vertrags über die Einzelheiten informiert. Die Folge ist, dass Kleinbauern zum Teil gewaltsam von ihrem Land vertrieben werden. Das deutsche Politikmagazin «Report Mainz» deckte auf, dass drei Investmentfonds der Deutschen Bank Gruppe in einen thailändischen Zuckerrohrkonzern investierten. Mithilfe von bestochenen Soldaten und Polizisten vertrieb der Konzern 400 Reisbauern und ihre Familien in Kambodscha von ihren Feldern, um dort Zuckerrohr anzubauen. Während die betroffenen Familien ihre Lebens- und Ernährungsgrundlage verloren haben, wird das Zuckerrohr nach Europa exportiert. Eine Entschädigung für den Verlust des Ackerlandes haben die Bauern bislang nicht erhalten. Die Berichte über Landvertreibungen häufen sich in vielen Regionen der Welt. Neben bäuerlichen Familien zählen auch Nomaden, Indigene und Fischer zu den Verlierern des Wettlaufs um Ackerland. Ökologische risiken Die Grossprojekte der ausländischen Investoren bergen zudem erhebliche ökologische Risiken, wie den Verlust von Wäldern, der Biodiversität und der Bodenfruchtbarkeit sowie einen erhöhten Treibhausgasausstoss. Allen Investoren geht es um eine exportorientierte Agrarproduktion mit möglichst hohen Pro-
duktivitätsgewinnen. Durch die Agrarinvestitionen werden industrielle Produktionsmechanismen, die auf den Anbau von Monokulturen, den Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln sowie dem massiven Verbrauch von Wasser setzen, manifestiert. Bauernorganisationen in den Entwicklungsländern sprechen bereits von «Water Grabbing».
unverbindliche Verhaltensappelle sind keine lösung Die Weltbank hat eine Reihe freiwilliger Verhaltensregeln aufgestellt, mit denen auf die negativen Auswirkungen von Land Grabbing reagiert werden soll. Ziel ist es, eine «Win-Win-Situation» zu erreichen, bei der auch die lokale Bevölkerung von den Investitionen, beispielsweise durch die Schaffung von Arbeitsplätzen, Infrastruktur und Technologietransfer profitieren soll. Der Weltbankvorschlag stösst bei Nichtregierungsorganisationen auf breite Ablehnung und gilt als Versuch, das Modell einer exportorientierten Wachstumsstrategie für die Landwirtschaft in den Entwicklungsländern zu verteidigen und die Landnahmen zu legitimieren. Dringend benötigt werden verbindliche Regeln und die Einklagbarkeit fundamentaler Menschenrechte durch natürliche Personen, Nichtregierungsorganisationen und Personengruppen. proteste von unten Derweilen schreitet der Ausverkauf von Land ungebremst fort. Doch auch die lokalen Proteste nehmen zu: In Tansania, Madagaskar und Mali stiessen Landnahmen durch ausländische Unternehmen auf massiven Widerstand der Bevölkerung. Beim
Weltsozialforum in Dakar im Februar 2011 wurde «Land Grabbing» von den zivilgesellschaftlichen Organisationen scharf verurteilt. In Tansania und Mosambik diskutieren die Regierungen mittlerweile über ein Aussetzen aller Landprojekte für den Anbau von Energiepflanzen, die für den Export bestimmt sind. Hier könnten auch die Regierungen der Europäischen Union ansetzen, um den grossflächigen Landnahmen und deren negativen Auswirkungen etwas entgegenzusetzen. Die politischen Ziele zur Beimischung von Agrarkraftstoffen sollten ausgesetzt und für den Import von Energiepflanzen aus Entwicklungsländern sollte ein Moratorium verhängt werden. Generell gilt: Bevor Land verkauft oder verpachtet wird, müssen gemeinsam mit den lokalen Gemeinden umfangreiche Untersuchungen der ökologischen und sozialen Folgen durchgeführt werden. Dabei müssen auch indirekte Landnutzungseffekte, die Flächenkonkurrenz zwischen Nahrungsmittel- und Energiepflanzenproduktion sowie die Einhaltung von Sozialstandards berücksichtigt werden. In den Entwicklungsländern sollte das Recht der Bevölkerung auf angemessene, gesunde und lokal produzierte Nahrungsmittel absolute Priorität geniessen. ■ inkota ist ein ökumenisches Netzwerk entwicklungspolitischer Basisgruppen, Weltläden, Kirchgemeinden und Einzelengagierter, mit Sitz in Deutschland. INKOTA förderte eine Gegenöffentlichkeit von Menschen, die für die Vision eines solidarischen Lebens und für Nord-Süd-Partnerschaften über die geschlossenen Grenzen hinweg eintreten.
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Luc Barthassat, Nationalrat und Weinbauer
Von der WeinschWemme zum edelprodukt
In den 80erJahren gab es in der Schweiz Wein im Überfluss. Der Markt war derart gesättigt, dass gar Schwimmbäder zur Lagerung genutzt wurden. Die Qualität des Weins liess allerdings zu wünschen übrig. Der Grossteil der Schweizer Weinbaugenossenschaften und Weinproduzenten setzte in den 80er-Jahren auf Quantität anstelle von Qualität. Ich erinnere mich, dass gerade wir Genfer Rebbauern lange diesen Ansatz verfolgten. Wir gehörten aber glücklicherweise auch zu den ersten, die ihn hinterfragten und die Produktionsmenge pro Quadratmeter zu regulieren begannen. Die chronischen Überschüsse waren der Qualität und damit auch dem Image des Schweizer Weins abträglich. Weinschwemme und Markteinbruch führten zudem zu angespannten Verhältnissen und Neid unter den Weinproduzenten.
neue Dynamik, mehr Qualität Heute, 30 Jahre später, ist eine ganze Generation von jungen Winzern am Werk, die mit den Fehlern der Vergangenheit aufgeräumt hat. In den vergangenen Jahren entstand dank einer besseren Ausbildung an den Berufsfachschulen und der Forschungsanstalt Agroscope Changins-Wädenswil eine neue Dynamik. Seit Januar 2008 gelten zudem im Rahmen der Agrarpolitik 2011 schärfere und einheitliche Kriterien beim Weinbau: Die neue Weinverordnung regelt die minimalen natürlichen Zuckergehalte pro Region und die Maximalerträge für AOCWeine sowie die Minimalanforderungen für Land- und Tafelweine. Heute können es unsere Weine spielend mit der ausländischen Konkurrenz aufnehmen. Der Schweizer Wein ist inzwischen von so hoher Qualität, dass wir bereits zahlreiche Medaillen an internationalen Wettbewerben geholt haben.
Vielfalt an rebsorten Auch wenn in der Schweiz bei den Rotweinen vorwiegend Gamay, Pinot Noir und Merlot angebaut wird, so kommen doch mehr und mehr neue Rebsorten auf wie beispielsweise Gamaret in der Region Genf, Cabernet Sauvignon oder Garat noir in anderen Regionen. Nach wie vor wird in der Schweiz aber mehr Weisswein getrunken. Der Chasselas, die typische Schweizer Weissweintraubensorte, erfreut sich wieder wachsender Be26
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liebtheit. Daneben wachsen hierzulande auch Aligoté, Chardonnay, Pinot blanc und Pinot gris, um nur einige Sorten zu nennen. In Sachen Modetrends ist beim Wein jedoch Vorsicht geboten. Wein ist keine kurzfristige Angelegenheit. Wer eine Rebe pflanzt, kann erst Jahre später den Ertrag ernten. Die grosse Auswahl an Rebsorten ist deshalb eine klare Stärke des Weinlandes Schweiz.
gesunde konkurrenz Die Schweizer Winzer produzieren hauptsächlich für den Schweizer Markt. Nur gerade ein bis zwei Prozent werden exportiert. Um Marktanteile zu steigern, sei es im Grosshandel oder bei Einzelkunden, setzt jeder Produzent auf das Image seiner Region, sein Terroir und insbesondere auch die Degustation. Der Schweizer Wein ist kein Massen-, sondern ein emotionales Produkt, bei dem auch das Degustationserlebnis eine wichtige Rolle spielt. Die Qualität unseres Weins mag im Vergleich zum Ausland einen vergleichsweise hohen Preis haben. Dies liegt nicht nur am starken Schweizer Franken, sondern vor allem an den umfangreichen Investitionen der Winzer in ihre Reben, Kellereien und Verkaufsräumlichkeiten, wo sie ihre Kunden empfangen. Kunden, die interessiert und heute wesentlich besser informiert sind, als noch vor ein paar Jahren. Sie bewegen sich zwischen den verschiedenen Regionen, was unter den Weinbauern eine gesunde Konkurrenz schafft.
Qualität im Fokus Die Schweiz hatte schon immer eine starke Weinbautradition. In 20 von 23 Kantonen wird auf einer Gesamtfläche von 15 000 Hektaren Wein angebaut. In der Genfersee-Region, in jedem Schweizer Kanton finden sich ganz eigene Begebenheiten, unterschiedliche Böden und Mikroklimata, unterschiedliche Geschmäcker, spezifische Vorlieben. Der gemeinsame Nenner der Schweizer Weinproduzenten ist heute der Grundsatz, ganz auf die Qualität der Produkte zu setzen. ■
GlOssar BiO
Biologischer landbau
Die knospe
Ziel des biologischen Landbaus ist das Wirtschaften im Einklang mit der Natur. Auf chemisch-synthetische Pestizide wird verzichtet. Die Tierhaltung ist artgerecht. Der schonende Umgang mit begrenzten Ressourcen ist ein Muss.
Die Knospe ist das bekannteste Label für Bio-Produkte. Produkte, welche dieses Label erhalten, werden auf reinen Bio-Bauernbetrieben produziert. Es wird auf artgerechte Nutztierhaltung und Fütterung geachtet. Auf Gentechnik, chemisch-synthetische Spritzmittel sowie Kunstdünger wird vollständig verzichtet. Die Endprodukte dürfen keine Zusatzstoffe wie Aroma- und Farbstoffe enthalten und müssen schonend verarbeitet sein.
kreislaufdenken
Der Biolandbau strebt einen möglichst geschlossenen Kreislauf an. So wird das Futtermittel für die Tierhaltung auf dem eigenen Hof produziert. Im Idealfall werden nur so viele Tiere gehalten, wie durch das selbst produzierte Futtermittel gefüttert werden können. Durch die Tierhaltung entsteht organischer Dünger, welcher wiederum auf dem Hof beim Ackerbau und der Produktion des Futtermittels benutzt werden kann. So ist der Kreislauf (Futterproduktion–Tierhaltung–Dünger) wieder geschlossen. Fruchtfolge
Bei der Fruchtfolge wird ein Acker nicht jährlich mit derselben Pflanzensorte bebaut. Stattdessen werden verschiedene Nutzpflanzen nacheinander in einer gewissen Reihenfolge angepflanzt. In der klassischen Dreifelderwirtschaft, welche im Mittelalter betrieben wurde, wurde zuerst Wintergetreide und im nächsten Jahr Sommergetreide angebaut. Danach wurde der Acker brach gelegt oder als Weide benutzt, bevor er wieder mit Wintergetreide bestellt wurde. Heute gibt es viele verschiedene Fruchtfolgen, welche vom Boden und der regionalen Witterungseinflüssen abhängig sind. Da der Boden mit Fruchtfolgen schonender angebaut wird, führen Fruchtfolgen zu einer ertragreicheren Ernte und Schädlinge können besser bekämpft werden. Vielseitige Fruchtfolgen sind insbesondere für die Biolandwirtschaft besonders wichtig. Sie schützen die Pflanzen vor Krankheiten und Schädlingen, ein Pflanzenschutz ohne Chemie wird möglich und es führt zu mehr Biodiversität. nützlinge
Im Gegensatz zu Schädlingen sind Nützlinge sehr willkommen. Nützlinge sind zumeist Spinnen oder Insekten, welche beispielsweise Schädlinge als Nahrung oder Wirt brauchen. In der biologischen Landwirtschaft sind Nützlinge besonders wichtig, da diese keine chemischen Pestizide benutzt und auf die Hilfe der Natur angewiesen ist.
Bioverordnung
In der Bioverordnung wird festgelegt, welche Bedingungen in der Produktion und der Verarbeitung eingehalten werden müssen, damit ein Produkt als Bioprodukt bezeichnet werden darf. Unter anderem sind chemisch-synthetische Hilfsstoffe wie Düngemittel und Pestizide nicht erlaubt. Gentechnisch veränderte Organismen dürfen nicht verwendet werden. Eine ausgewogene Fruchtfolge ist Pflicht. Saat- und Pflanzengut muss grundsätzlich aus Biobetrieben stammen. Neben vielen Vorschriften zur Haltung der Tiere sollen zum Beispiel auch bei Tierkrankheiten grundsätzlich natürliche Heilmethoden angewandt werden. Ist eine chemisch-synthetische Behandlung unumgänglich, müssen doppelt so lange Wartefristen eingehalten werden wie in der konventionellen Produktion. Im Extremfall darf das Tierprodukt nicht mehr als biologisch bezeichnet werden. Bio-Betriebe werden jährlich auf die Einhaltung der Vorschriften kontrolliert und zertifiziert. Biodiversität
Biodiversität gleich Vielfalt des Lebens. Dies beinhaltet mehrere Ebenen: Vielfalt der Ökosysteme (Wasser, Wald, Alpen), Vielfalt der Arten (Tiere, Pilze, Pflanzen, Mikroorganismen) sowie Vielfalt der Gene (Sorten und Rassen von wildlebenden und genutzten Arten). Weiter ist die Wechselwirkung innerhalb der einzelnen Ebenen sowie zwischen den drei Ebenen für eine nachhaltige Biodiversität sehr wichtig. Eine Landschaft mit hoher Biodiversität ist viel robuster gegenüber extremen Umwelteinflüssen als eine mit einseitiger Monokultur. So sorgen artenreiche Lebensgemeinschaften mit ihren vielfältigen Wurzelsystemen in Berggebieten beispielsweise dafür, dass der Boden auch an steilen Hängen nicht rutscht. –Ruedi Donat, Biobauer im Kanton Aargau
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erinnerungen an die anBauschlacht Vor dem Zweiten Weltkrieg importierte die Schweiz rund die Hälfte ihrer Nah rungsmittel. Um eine Lebensmittel knappheit bei einem drohenden Embar go der Achsenmächte abzuwenden, schlug der Landwirtschaftsspezialist und spätere Bundesrat Friedrich Traugott Wahlen die Erhöhung des Selbstversor gungsgrads der Schweiz vor. Der «Plan Wahlen», ab 1940 in Kraft, ist heute auch als Anbauschlacht bekannt. Durch Erhö hung der Eigenproduktion, Reduzierung der Viehzucht, Ausweitung des Acker baus und Rationierung sollte die Selbst versorgung in der Schweiz gesichert werden. Der Selbstversorgungsgrad stieg so zwischen 1940 und 1945 von 52 auf 70 Prozent. Erinnerungen von Hans Keller (Baden), damals 10jährig.
Die «Schlacht» bestand vorerst aus der Bewältigung der Schwierigkeiten für den Ersatz des Hofbauern, der pflichtgemäss und ohne Aufschub am 2. September 1939 eingerückt war zum Aktivdienst. Die Dauer der Abwesenheit war ungewiss, rechnen musste man mit mehreren Wochen, trotz des Septembers, die Zeit der Ernten. Die kriegswirtschaftliche Vorsorge, rigorose Massnahmen, Plan Wahlen – benannt nach dem Chef – wurden zu Vertrautem. Die Landwirtschaft wurde überzogen mit Vorschriften und Anweisungen. Kaum je vorher dürften schwielige Hände mit Bleistiften mehr Formulare und Fragebogen ausgefüllt haben. Sie betrafen die Anbauflächen, wo sie zu finden waren, welcher Art sie waren, wie sie bisher genutzt wurden, die Möglichkeiten der Vergrösserung, sie betrafen die Tierhaltung, die Obstbäume. Und es fehlte auch nicht die Androhung von Bussen bei unterlassenen oder falschen Angaben. Bald kreuzten Ackerbaukommissare auf in Hut, Krawatte und ausgetragenen Anzügen im lottrigen Look der Dreissigerjahre, mit Veloklammern und Ledermappen. Sie klapperten die Flure ab und prüften die Deklarationen. Für die Bauern wurde der Anbau von Brotgetreide zur Selbstversorgung Pflicht. Auf jedem Hof wurden Schweine gehalten. Das Bild der Landschaft veränderte sich. Hecken und Baumgruppen wurden abgeholzt: Kartoffeläcker mussten her. Dass in den letzten Kriegsjahren auch Wald umgesäbelt wurde im Hinblick auf friedliche Baulandzeiten, darf angenommen werden.
Foto: Familie Blum, Roggliswil
Auch die nichtlandwirtschaftliche Bevölkerung wurde eingespannt und damit eine Volksbewegung aufgezogen. Die Versorgung entwickelte sich zur nationalen Pflicht. Aus Vorgärten und winzigen Rasenplätzen entstanden Gemüsebeete. Statt über Mode, Sport und die barbusige Josephine Baker berichteten die Zeitungen über Tricks und Kniffe im Gemüseanbau, auch zu Kleinstanlagen auf den Balkonen der Mietwohnungen. Mit extra Wägeli sammelten die Kinder unter Konkurrenzdruck die von Militärangehörigen beziehungsweise deren Pferden produzierten Rossbollen zum Düngen.
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Eine Wanderausstellung zeigte Anbauvorschläge, Samensorten und Gartengeräte, dazu einen Film in Endlosschlaufe. Bezopfte Mädchen und Buben in Kniehosen – es waren die abge-
1942 und 1943 wurde in der Schweiz die Sommerzeit eingeführt, damit das werktätige Volk am Abend bei genügend Helle sich dem Garten zuwenden konnte. Das Klauen von Bohnen, Gurken oder was sonst dem eigenen Speisezettel Bereicherung verschaffte, galt als böses Delikt. In der Schweiz hungerte wohl niemand während des Krieges. Aber die Vorstellung eines mächtigen, fetttriefenden speckigen Stück Fleisches plagte doch viele. ■
Foto: Familie Cretegny, Genthod
Foto: Forschungsanstalt ART, Ettenhausen (Archiv)
Foto: Agrotechnorama, Ettenhausen (Archiv)
Verschiedene Insekten wurden zu Volksschädlingen erklärt. Maikäfer hatten in Fangquoten abgeliefert werden müssen, eine grausame Sache, lebend kiloweise in Fässern. Der Kartoffelkäfer war ein Feind, der gleich nach der deutschen Wehrmacht rangierte. An jedem Gemeindeschaukasten, beim Milchhüsli und an den Scheunentoren hing sein Fahndungsbild: «Wanted
for Coloradokäfer.» Schüler sammelten in Linien formiert Bucheckern, ebenso spritzten sie Giftkörner in Mäuselöcher. Die Gemeinden organisierten das Dörren von allem möglichen Dörrgut. Sogar Brown&Boveri stellte Dörrgerate her.
Foto: Forschungsanstalt ART, Ettenhausen (Archiv)
schnittenen langen Hosen der älteren Brüder – legten ihre Schulranzen ab, fassten Häuel und Chräuel, Hacken und Spaten und zogen geordnet und zügig dem Pflanzblätz zu. Fröhliche Gesichter mit dem Gesang: «Mir pflanzed a, mir pflanzed a.» Trotz Mangel an anderen filmischen Vorführungen erkannte der unbedarfte Schüler, was für ein einfältiges Werk hier dem höheren Zweck dienen sollte.
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Lilly Toriola
Globalisierte alpwirtschaft
Sie kommen aus Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien oder Osteuropa: Wer heute in den Schweizer Alpen unterwegs ist, trifft nicht selten auf Sennen, die kein Schweizer deutsch sprechen. Schätzungen von Alpwirt schaftsexperten zufolge stammt inzwischen 30 bis 50 Prozent des Alppersonals aus dem Ausland. Nachwuchsprobleme und Globalisie rung – das ist auch in der heilen Welt der Alpen Alltag geworden. Das Phänomen ist nicht neu. «Bereits in den 70er und 80er Jahren finden sich in Dokumenten Hinweise, dass Bergbauern Mühe bekundeten, genügend Alppersonal zu finden. In den letzten Jahrzehnten hat sich das Problem aber schleichend verstärkt», sagt Sarah Fasolin. Die Berner Sozialanthropologin hat die Zusammenarbeit von ausländischen Alpsennen und deren Bergbauern im Rahmen einer Forschungsarbeit untersucht. Fünf Sennen hat sie einen Sommer lang mit der Kamera begleitet. Entstanden ist daraus der Dokumentarfilm «Die Käsemacher», der überraschend den Sprung in die Schweizer Kinos geschafft hat.
nachwuchs fehlt
heile welt – harte arbeit «Viele ausländische Sennen arbeiten bereits seit Jahren auf Schweizer Alpen und verfügen über eine grosse Erfahrung», sagt Sarah Fasolin. Schwierigkeiten gebe es mit den Routiniers kaum. Nicht immer einfach sei es dagegen mit Neulingen – sowohl ausländischen wie schweizerischen – die gar keine landwirtschaftliche Erfahrung mitbringen. Auch auf sie ist die Alpwirtschaft angewiesen. In kürzester Zeit werden sie in Kursen an landwirtschaftlichen Schulen oder von den Bergbauern «learning by doing» in das Handwerk eingeführt. Heute finden sich auf den Schweizer Alpen deshalb auch
©Die Käsermacher/Sarah Fasolin
Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung zogen in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr Men-
schen in die Städte. «Die grossen Hofgemeinschaften lösten sich in den Berggebieten zunehmend auf. Die Sennerei liess sich damit kaum mehr innerhalb der eigenen Verwandtschaft abdecken.» Auch familienexterne Lösungen finden sich heute nur noch schwer. Ein Hauptgrund ist laut Fasolin die Unvereinbarkeit des Sennenberufs mit einer festen Anstellung. Sommer für Sommer eine Auszeit von mehreren Monaten zu nehmen, können sich nur die Wenigsten leisten. Seit Jahren ist die Schweizer Alpwirtschaft deshalb auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen, denen die harte Arbeit und geringe Entlöhnung (pro Tag zwischen 100 bis 150 Franken) nichts ausmacht. Ohne deren Unterstützung würde das urschweizerische Metier nicht mehr funktionieren.
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Zweites Leben für landwirtschaftliche Gebäude Städter, Studenten, Manager, Aussteiger oder Pensionäre. «Die Alpwirtschaft profitiert von der Faszination, die ihr anhaftet. Viele erhoffen sich von einem Alpsommer eine Auszeit von der Hektik der Zivilisation.» Nicht wenige haben jedoch allzu romantische Vorstellungen. Oft folgt nach wenigen Wochen die Ernüchterung. «Die Arbeit ist hart, 15-Stunden-Tage sind die Regel», erklärt Fasolin, die selber drei Sommer als Sennerin auf einer Alp verbracht hat. Und die Verantwortung ist gross. Sennen, das bedeutet sich während zwölf bis sechzehn Wochen, alleine auf sich gestellt, um die Tiere zu kümmern und meist auch den Käse selber zu produzieren. Jeden Morgen um fünf Uhr auf den Beinen sein, bis mindestens 20 Uhr abends. «Viele sind überfordert und geben mitten in einer Saison auf.» Häufige Wechsel sind üblich. Manche Bergbauern müssen sich Jahr für Jahr neue Sennen suchen.
enge Begleitung Trotz Schwierigkeiten klappt es mit der Mehrheit der Alp-Anfänger erstaunlich gut, betont die Sozialanthropologin. «Mit einer engen Begleitung durch den Bergbauern oder die landwirtschaftlichen Schulen lässt sich bei Neulingen einiges an fehlender Erfahrung wett machen.» Käsen beispielsweise sei ein genau definierter Prozess, der gut gelinge, wenn nach Lehrbuch verfahren wird und nichts Unvorhergesehenes dazwischen kommt. Das zeigen auch die Beispiele in «Die Käsemacher» eindrücklich. Am Ende des Sommers erhalten fast alle der begleiteten ausländischen Sennen, darunter ein Italiener, der noch nie Berner Alpkäse hergestellt hatte, von den Käseexperten eine ausgezeichnete Bewertung. ■
Der Dokumentarfilm «die käsemacher» läuft nach wie vor in ausgewählten Schweizer Kinos. www.diekaesemacher.ch
Die CVP will die Nutzungspraxis ungenutzter erschlossener Gebäude in der Landwirtschafts zone lockern. Bauten, welche nicht mehr für landwirtschaftliche Zwecke verwendet werden, müssen neu genutzt werden können. Die Anzahl bewirtschafteter Bauernhöfe hat sich in den letzten 50 Jahren beinahe halbiert. Zahlreiche landwirtschaftliche Gebäude haben dadurch ihren ursprünglichen Zweck verloren. Viele stehen leer und werden nicht mehr genutzt. Eine Umnutzung der Gebäude wird durch das heutige Raumplanungsgesetz jedoch erschwert. Die Möglichkeiten, diese für andere Zwecke zu verwenden, sind stark eingeschränkt. Eine Genehmigung zu erhalten, um eine alte, unbenutzte Scheune in eine Wohnung umzubauen oder für den Agrotourismus zu nutzen, ist praktisch unmöglich. «Gleichzeitig finden Menschen, die gerne auf dem Land wohnen möchten, entweder keinen Wohnraum oder dann nur auf Kosten einer weiteren Zersiedelung der Landschaft», sagt Nationalrat Markus Zemp (AG), der einen entsprechenden Vorstoss eingereicht hat. Die CVP fordert aus diesem Grund eine Anpassung des Raumplanungsrechts. Landwirtschaftlich erschlossene Gebäude sollen zukünftig in Wohnungen umgebaut und auch von Nicht-Landwirten erworben werden können. «So stärken wir unsere Landwirte nachhaltig und einer Zersiedelung der Landschaft wird Einhalt geboten», betont Zemp. Nach Ansicht der CVP soll die Raumplanungsgesetzgebung ausserdem so angepasst werden, dass ungenutzte, erschlossene landwirtschaftliche Gebäude (auch Scheunen) in der Landwirtschaftszone leichter für den Agrotourismus verwendet werden können. Damit wird die Wettbewerbsfähigkeit des Agrotourismus in der Schweiz verbessert. Für Landwirte ergibt sich eine zusätzliche Einkommensquelle. ■ –Die Politik
Im Rahmen ihrer Wahlkampagne 2011 lancierte die CVP die Themenreihe «Ideen für eine erfolgreiche Schweiz». Die Ideen erschöpfen sich nicht in der blossen Benennung von Problemen, sie zeigen Lösungen auf. Lesen Sie mehr zur Idee «Zweites Leben für landwirtschaftliche Gebäude» und weiteren Ideen auf www.cvp.ch. Die Politik 5 Juli/August 2011
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«Das typische Bauernpaar giBt es nicht mehr»
Regula Siegrist, die Landwirtschaft befindet sich in einem stetigen Wandel. Mit welchen Auswirkungen? Der Druck auf die Landwirtschaft ist gestiegen. Öffentlichkeit und Politik wollen eine tierfreundliche Produktion in einer intakten Landschaft, die Wirtschaft berechnet knallharte Preise und unterscheidet nicht zwischen in- und ausländischen Bedingungen. Die Produktpreise sind massiv gesunken, die Direktzahlungen wiegen den Verlust nicht auf. Bauernfamilien stopfen das Loch mit zusätzlichen Nischenprodukten, oft auf Kosten der Familie und der Gesundheit. Burn-out, Finanzprobleme und familiäre Konflikte haben massiv zugenommen. Welchen Herausforderungen wird sich die Schweizer Landwirtschaft in den kommenden Jahren stellen müs sen? Angesichts der globalen Natur- und Wirtschaftskatastrophen sind für die Schweiz die gesetzliche Verankerung der Ernährungssouveränität und die Erhaltung der Fruchtfolgeflächen wichtig. Die Bauernfamilien haben Anspruch auf eine Lebensqualität, welche der schweizerischen Bevölkerung angepasst ist. Dazu gehören ein ausreichendes Einkommen, soziale Absicherung, geregelte Freizeit und Ferien. Welche Rolle spielt hier die Ausbildung? Um unsere natürlichen Ressourcen wie Fruchtfolgefläche, Wasser und Wald für die nächste Generation zu erhalten, brauchen wir fähige Berufsleute. Sie müssen eine Ausbildung erhalten, welche den ständig ändernden Bedingungen ent32
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Foto: Michel Capobianco
Der Strukturwandel in der Schweizer Landwirtschaft hat auch Auswirkungen auf die Rolle der Frau. Regula Siegrist, Geschäftsführerin des Schweizerischen Bäuerinnen und Landfrauenverbandes, betont: «Um die Herausforderungen der kommenden Jahre zu meistern, braucht es auch eine solide Ausbildung der Frauen.»
spricht und neue Erkenntnisse einbezieht, um in der Schweiz unseren Standards angepasste Nahrungsmittel zu produzieren. Landwirtinnen und Landwirte müssen sich als Unternehmer dem Markt anpassen können, brauchen gute Kommunikationskompetenzen für das Zusammenleben auf dem Hof und Flexibilität um Veränderungen zu begegnen. Stehen Frauen in landwirtschaftlichen Berufen diesel ben Möglichkeiten offen wie Männern? Die landwirtschaftliche Grundbildung steht allen offen. Nicht jede Frau hat das Flair für grosse Maschinen, aber auch nicht jeder Mann. Mit Motivation lässt sich vieles lernen. In unserem Land übernehmen meistens Männer den Hof, aber die Zahl der Betriebsleiterinnen ist steigend. Viele Betriebe werden vom Betriebsleiterpaar gemeinsam geführt, die Bäuerin arbeitet neben dem Haushalt auf dem Betrieb mit. Der Schweizerische Bäuerinnen- und Landfrauenverband setzt sich stark dafür ein, dass dieser Einsatz zu einer besseren rechtlichen Stellung der Bäuerin führt. Vieles wurde erreicht, aber die Verbandsfrauen werden sich in den landwirtschaftlichen Gremien weiterhin für die Anliegen der Frauen einsetzen, damit Bäuerinnen in schwierigen Situationen nicht nach jahrelanger Arbeit vor dem Nichts stehen.
Welche Verbesserungen konnten in den letzten Jahren im Bereich der Ausbildung für Frauen erzielt werden? In der Schweiz gibt es die Ausbildung zur Landwirtin, zum Landwirt und zur Bäuerin. Wer Ackerbau und Viehproduktion vorzieht, wählt den Beruf Landwirt. Wer sich auch für Selbstversorgung oder Familie und Gesellschaft interessiert, macht den Abschluss als Bäuerin. Der Schweizerische Bäuerinnen- und Landfrauenverband hat erreicht, dass die Bäuerin mit Fachausweis berechtigt ist zum Bezug von Direktzahlungen oder Investitionskrediten, wenn sie den Betrieb führt – eine klare Anerkennung ihres Berufs. Ideal ist, wenn sich beide, Frauen und Männer in Haus und Hof zurecht finden. Die modulare Ausbildung bietet diese Möglichkeit, aber sie muss genutzt werden. In vielen Köpfen herrscht nach wie vor das Bild der Bauersfrau, die sich um Küche und Garten kümmert, während er auf dem Traktor über das Feld fährt. Ist dies heute noch aktuell? Das typische Bauernpaar gibt es nicht mehr, alle müssen ihren Weg finden. Immer öfter ist mindestens ein Partner ausserbetrieblich tätig – weil die Frau im Erstberuf tätig bleibt oder der Mann einem Nebenerwerb nachgeht. Die Mehrfachbelastung Haushalt–ausserbetriebliche Anstellung–Familie–Betrieb ist für die Bäuerin enorm. Oftmals führen zusätzliche Betriebszweige zu Dauerüberlastung mit Folgeschäden. Wenn wir wollen, dass der Familienbetrieb in der Schweiz eine Zukunft hat, müssen wir gute Grundlagen anbieten, damit sich junge Leute landwirtschaftlich ausbilden lassen und sich künftige Bäuerinnen gut aufgehoben fühlen in einem oftmals neuen Berufsfeld. Dazu gehört ein ausreichendes Einkommen und ein der übrigen Bevölkerung angepasster Lebensstandard bezüglich Sozialleistungen und Freizeit, damit die Freude am Beruf bleibt. ■ –Interview: Yvette Ming
der schweizerische Bäuerinnen- und landfrauenverband (sBlV) besteht aus 28 Kantonalsektionen mit rund 63 000 Mitgliedern in allen Sprachregionen. Der SBLV vertritt die Anliegen der Landfrauen aus dem ländlichen Raum und ist der Berufsverband der Bäuerinnen. Der SBLV ist Träger der modularen Bildung zur Bäuerin.
Wörterbuch der Volksvertreter Auge um Auge, Zahn um Zahn, aus der Bergpredigt, meist missverstanden und im Sinne von Rache angewandt, geht jedoch um Vergeltung. Frühform von Versicherungsschutz. Anweisung richtet sich an den Täter. Gewalt soll nicht fortgesetzt, sondern vergolten werden mit einem adäquaten Ersatz des angerichteten Schadens. Dem Opfer soll angemessen Recht getan werden. Plädoyer auch gegen die Selbstjustiz und für eine zivilisierte tolerante Gesellschaft, welche verhindert, dass die Spirale der Gewalt ins Endlose dreht.
Sie bestimmen, wie die titelseite der kommenden Politik-Ausgabe aussieht! Die CVP ist die Familienpartei. Sie macht sich auf allen Ebenen für eine familienfreundlichere Schweiz stark, beispielsweise mit den Zwillingsinitiativen «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» und «Familien stärken! Steuerfreie Kinder- und Ausbildungszulagen». Die kommende Ausgabe der POLITIK, die im September erscheint, ist dem Kernthema der CVP gewidmet, der Familie. Bestimmen SIE, wie die Titelseite der Familien-POLITIK aussehen soll. Besuchen Sie die Facebook-Seite der POLITIK unter www.facebook.com/diepolitik, werden Sie Fan unseres Magazins und stimmen Sie über drei Titelseiten-Varianten ab. Unter allen Abstimmenden wird ein gratis Jahresabonnement der POLITIK verlost.
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Dr. Paul Steffen, Direktor Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART
Schweizer AgrArforSchung Am BAll
Globale und auf die Schweiz bezogene Herausforderungen sind die treibenden Kräfte der Schweizer Agrarforschung. Im Fokus der nächsten zwei Dekaden stehen die Sicherung der Nahrungsmittelproduk tion, die umwelt und tiergerechte Pro duktion und der schonende und effiziente Einsatz von natürlichen Ressourcen.
Drei pfeiler Auf europäischer Ebene werden unter dem Begriff «wissensbasierte Bioökonomie» Forschungsstrategien entwickelt, die eine Antwort auf diese Herausforderungen geben sollen. Für die Schweizer Agrarforschung sind der Bericht des Bundesrates auf das Postulat «Nahrungsmittelkrise, Rohstoff- und Ressourcenknappheit» (Hansruedi Stadler, Alt Ständerat, CVP UR) das Strategiepapier «Land- und Ernährungswirtschaft 2025» sowie die «Klimastrategie Landwirtschaft» wichtige Grundlagen, um den Handlungsbedarf und Ziele abzuleiten.
Gemäss Schätzungen der Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) nimmt die Nachfrage nach Nahrungsmitteln global bis 2030 um 50 Prozent zu. Grund dafür ist die Bevölkerungsentwicklung. Auch die Schweizer Wohnbevölkerung wird gemäss Prognosen des Bundesamtes für Statistik von heute 7,8 auf 8,6 Millionen Menschen im Jahr 2025 steigen. Zudem ändern sich die Ernährungsgewohnheiten in vielen Ländern: Einerseits ernähren wir uns mehr und mehr ausser Hause, die Nachfrage nach tierischen Produkten steigt und wir möchten zugleich mehr Informationen über die verarbeiteten Produkte. Andererseits ist auch ein Trend Richtung gesunder Ernährung und Bioprodukten festzustellen.
Dabei übernehmen die Agroscope Forschungsanstalten als Kompetenzzentren des Bundes im Bereich der Agrarforschung eine zentrale Rolle. Ihre Stärke ist die Kombination von Forschungs- und Entwicklungsleistungen, wissenschaftsbasierter Politikberatung und Expertise sowie des ebenfalls wissenschaftsbasierten Vollzuges von gesetzlichen Aufgaben.
Steigender Nahrungsmittelbedarf bei gleichzeitig verknappten, nicht erneuerbaren und natürlichen Ressourcen wie Boden, Wasser und Biodiversität sind eine grosse Herausforderung. Besonders betroffen ist die Landwirtschaft bei den Düngern wie Phosphor und Stickstoff, welche zentral sind für die Lebensmittelproduktion. Aber auch guter Ackerboden wird immer knapper. Und durch den Klimawandel stellen sich bezüglich Wasser sowie Sorten und Krankheiten in der Pflanzenproduktion neue Fragen. Schliesslich ist die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Landwirtschaft eng gekoppelt mit Innovationskraft, Anpassungsfähigkeit und der wirtschaftspolitischen Entwicklung. 34
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Forschung und entwicklung An der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik ist die Forschung von Agroscope durch einen lösungsorientierten und praxisnahen Ansatz gekennzeichnet. Hier treffen durch die interdisziplinäre Vorgehensweise biologisch-ökologische, wirtschafts- und sozialwissenschaftliche sowie ingenieurwissenschaftliche Fragestellungen zusammen. Hinzu kommt eine ganzheitliche Systembetrachtung, die Praxiswissen, Anwender und Interessengruppen einbezieht. Beispiele dafür sind die Feuerbrandforschung, der Herkunftsnachweis von Emmentaler AOC oder die Züchtung neuer Sorten für das Grasland Schweiz. Zentral ist auch die frühzeitige Beurteilung neuer Methoden und Technologien wie Gentechnologie, Robotik, Precision Farming oder Nützlingen zur Schädlingsbekämpfung. In diesem Sinne hat sich Agroscope auch mit zwei Freilandversuchen zu Nutzen und Risiken der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen stark engagiert und wird
die Wirkung von Nanomaterialien auf Bodenmikroorganismen und Nutzpflanzen untersuchen. Unter dem Stichwort Cleantech bearbeitet Agroscope ferner Zukunftstechnologien.
politikberatung als schlüsselrolle Für die Politikberatung ist kurzfristig abrufbare, wissenschaftliche Kompetenz zur Verfügung zu stellen, die häufig auf Resultaten langfristig angelegter und kontinuierlich bearbeiteter Fragestellungen basiert. Hier können stellvertretend die Minderung der Treibhausgasemissionen und die Anpassung an den Klimawandel genannt werden – zwei der wichtigsten umwelt-, gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Herausforderungen. Durch die Abschätzung des künftigen Bewässerungsbedarfs der Schweizer Landwirtschaft sind Grundlagen geschaffen, die für die Wasserwirtschaft zentral sind. Auszubauen sind die wissenschaftlichen Grundlagen über Zusammenhänge und Wirkungen bei der Erfassung und Bilanzierung von klimarelevanten Emissionen sowie von Stoff- und Energieflüssen. Erst dadurch wird es der Schweizer Landwirtschaft möglich sein, die Möglichkeiten zur Vermeidung von Treibhausgasemissionen optimal einzusetzen und eine Reduktion der Treibhausgasemissionen von einem Drittel bis 2050 zu realisieren. Vollzugsaufgaben im Dienste der allgemeinheit In den letzten dreissig Jahren ist kaum ein Jahr vergangen, das nicht von einem Lebensmittelskandal in Europa überschattet wurde. Gepantschtes Speiseöl, Methylalkohol in italienischem Rotwein, Dioxin in Lebens- und Futtermitteln, Gammelfleisch und jüngst der EHEC-Erreger, um nur einige zu nennen. Diese Skandale und Hiobsbotschaften zeigen wie fragil der landwirtschaftliche Sektor und wie wichtig der Vollzug gesetzlicher Aufgaben ist. Vollzugsaufgaben sind häufig von der Schutzfunktion des Staates gegenüber den Bürgern sowie der Natur und Umwelt abgeleitet und machen einen festen Bestandteil des Tätigkeitsfeldes von Agroscope aus. Es geht dabei unter anderem um die Prüfung, Zertifizierung und Bewertung von Produkten im Hinblick auf die Einhaltung hoher Qualitätsund Sicherheitsstandards. Dazu gehören beispielsweise die amtliche Futtermittelkontrolle oder die Prüfung von Pflanzenschutzmitteln. Diese haben zum Ziel für gesunde und sichere Lebens- und Futtermittel zu sorgen, und das Vertrauen der Bevölkerung zu halten. Die Schweizer Agrarforschung ist am Ball. Unter Mitwirkung der wichtigsten Institutionen erarbeitet das Bundesamt für Landwirtschaft zurzeit das Forschungskonzept 2013–2017 für den Politikbereich Landwirtschaft. Dabei dienen die aktuellen globalen und schweizerischen Herausforderungen als Leitschnur. ■
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Grincheux Oui, les jardins familiaux sont en danger! Il s’agit en général de petits lopins de terre situés en bor dure des villes où les familles font pousser des légumes, des baies et des fleurs. Ces jardins col lectifs sont aussi des lieux conviviaux où chacun se rend régulièrement pour arroser ses haricots et ses carottes mais aussi pour rencontrer d’autres jardiniers en herbe et faire un brin de causette. En général, ces jardins familiaux sont propriétés de collectivités publiques. Ces terrains assez plats, bien ensoleillés et proches des centres urbains pourraient être valorisés et utilisés pour con struire des logements ou des centres commer ciaux… Lorsque des projets se concrétisent, cer taines communes proposent de déplacer ces jardins familiaux dans des zones agricoles par fois très éloignées des quartiers populaires et pas toujours desservies par les transports publics. Oui, ces jardins sont en danger… car nous ne voulons pas faire des dizaines de kilomètres en voiture pour aller chercher une salade ou cueillir des fraises pour le dessert! Die Politik 5 Juli/August 2011
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Zwischen 2008 und 2011 haben wir Ăźber
80% der Abstimmungsvorlagen gewonnen!
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