Magazin der CVP Schweiz, April 2010

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Politik Die

Magazi zin n ffĂźr Me Mein inun ungsbildung. Ma

Ausga Au sgabe be 4 / Apr April il 20 2010 10 / CHF 7.80 www.die-politik.ch www

C Architektur VerAntwortung wirtschAft


inhalt

TiTel

4 nachhaltigkeit pur 6 Marktwirtschaft und ethik 9 politik und religion 12 kugel und universuM 14 c-debatte

Foto: Keystone

10 engel-unterbeschäftigt

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17 JaMMernde apokalyptiker 18 seelenwelten 21 dynaMik der soziallehre 22 ppd – senza la c OrTsTermine

16 hiMMelreich

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Aus den KAnTOnen

26 graubünden: annäherung unter den landesteilen st. gallen: werte, faMilien, wirtschaft

impressum

Herausgeber Verein DIE POLITIK redaktionsadresse DIE POLITIK, Postfach 5835, 3001 Bern, Tel. 031 357 33 33, Fax 031 352 24 30, E­Mail binder@cvp.ch, www.die­politik.ch redaktion Marianne Binder, Jacques Neirynck, Yvette Ming, Simone Hähni, Lilly Toriola gestaltungskonzept, illustrationen und layout Brenneisen Communications, Basel druck UD Print, Luzern inserate und abonnements Tel. 031 357 33 33, Fax 031 352 24 30, E­Mail abo@die­politik.ch, Jahresabo CHF 32.–, Gönnerabo CHF 60.– näcHste ausgabe Mai 2010

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Alles hAT eine BedeuTung – Oder mAn giBT sie ihr. Über die Curiosa von Barton Benes, von Friederike Maria Stangier Der New Yorker Künstler Barton Benes sammelt. Nicht nur aus reiner Sam­ melleidenschaft sondern aus künstlerischem Prinzip. Es begann 1963 auf seiner ersten Reise nach Europa, bei der er in den römischen Katakomben einen Knochen entwendete. Benes sammelt zwar Gegenstände – doch es geht ihm vielmehr um die Geschichten, die diesen Fundstücken innewoh­ nen. Seine Curiosa, wie er sie nennt, sind Überbleibsel sonderartigster Art. Darunter befindet sich unter anderem Weggeworfenes von Stars, wie ein kleines Messer mit Resten von Ketchup von Sharon Stone oder ein Schnip­ sel einer Krawatte Mark Rothkos. Diese Starrelikte kokettieren ironisch mit der Mystifizierung von Objekten durch Personenkulte. sein Verweis auf den umgang mit christlichen reliquien ist offenbar. Stars avancieren zu «neuen Göttern». Neben diesen modernen Starreliquien finden sich aber auch Relikte und Andenken der eigenen Geschichte Benes’, die seit den achtziger Jahren von der Krankheit Aids bestimmt wird. So lassen sich in seinem Werk Sharp von 1999 einige medizinische Objekte finden, die Teil seines Lebensalltags geworden sind. Doch es findet sich auch vieles andere darunter, ein Nagel, eine Löwenkralle, ein Skorpionsstachel und vieles «Spitzes» mehr. Alles akribisch beschriftet und thematisch in einem Wand­ kasten sortiert. Dieses «Museum der Kuriositäten» eröffnet eine neue Welt, die zunächst nicht auf das Ganze schaut, sondern auf die Details. Diese sind aufgeladen zum einen mit ihrer wirklichen Geschichte, zum anderen aber auch mit der Geschichte, für die sie unweigerlich stehen könnten. Jeder Be­ trachter bringt seine eigene Biografie und Weltanschauung mit und proji­ ziert diese auf die Gegenstände. So geht es schliesslich in Benes Arbeiten auch darum, wie manche Dinge durch unseren Glauben zu etwas erhoben werden, zu neuen Reliquien einer neuen Religion werden können, obwohl sie ihrer eigentlichen Bedeutung entleert wurden. Benes wirkt dieser Sinn­ entleerung entgegen, indem er mit Beschriftungen auf die wahre Geschichte verweist. Barton Benes, mixed media, Sharp, 1999, 90×104×7 cm Galerie Gisèle Linder, Basel


ediTOriAl – Marianne Binder, Chefredaktorin

die fArbe c

Dem polnischen Regisseur Krzysztof Kieślowski gelingt in den neunziger Jahren ein Meisterwerk mit seiner Trilogie über die Farben der französischen Flagge: Trois couleurs – bleu, blanc, rouge. Er macht die Farben zu Darstellern, sie sind er­ lebbar, sie durchdringen den Geist. Der Wunsch nach individueller Freiheit und Befreiung ist blau und mit ihr die Trauer, die Melancholie und die Liebe. Das Ringen um die Gleichheit hat die weisse Farbe der Neutra­ lität, der Klugheit und der Genauigkeit. Der Kampf zwischen den Geschlechtern ist auch amüsant, und da Rache süss ist, erscheint die Bilderwelt der wechselseitigen Winkelzüge als hätte man sie überzuckert. Die Brüderlichkeit, «das Aschenbrödel der liberalen Ideologie, hat ein seltsam krummes Schicksal auszuhalten», wie es Georg Kohler in der letzten POLITIK ausdrückt. Sie ist im letzten Teil der Trilogie in Rot getunkt und mit ihr die verkorkste Kommunikation unter den Menschen, das Zwangvolle der Solidarität, aber auch das humane Interesse am Schicksal des anderen und das Bemühen um Verständnis. Das Logo der CVP ist orange. Die Farbe meint: zukunftsorien­ tiertes und verantwortungsvolles Denken, den inhaltlichen Erfolg der konstruktiven Mittepolitik, die Absage an den Populismus, die Bewahrung des Bewährten, das Erfolgsmodell Schweiz. Die Farbe C, Centre, Centro trifft ins Schwarze. Die vorliegende Nummer der Politik widmet sich dem C.

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Erwin Teufel, ehemaliger Ministerpräsident von Baden-Württemberg

Politik Aus christlicher VerAntwortung Am 19. November wurde in Baden die Vereinigung 60+ gegründet. Als Haupt­ referent eingeladen war Erwin Teufel, ehemaliger Ministerpräsident des Bun­ deslandes Baden­Württemberg und Mit­ glied des deutschen Ethikrates. Er sprach zum Thema «Politik aus christlicher Verantwortung». Der ehemalige Stadt­ amman von Baden Josef Bürge, ehemaliger Aargauer Grossrat und schweizerischer Delegierter im Europarat, veröffentlicht nachfolgend einen Auszug aus seiner Rede. «Vor der neuen Vereinigung 60+ der CVP Schweiz über ein so schwergewichtiges Thema zu sprechen, ist Herausforderung und Genugtuung zugleich. Wir Deutschen erkennen trotz al­ ler aktueller Diskussionen in der Schweiz auf weiten Strecken klare Ansätze für eine verantwortungsvolle Politik aus christ­ licher Sicht. Halten Sie von der CVP aus daran fest!

Freiheit und Verantwortung Was nun sind ihre Elemente? Verantwortung ist seit 150 Jahren der Begriff für die «Pflicht», wie sie Kant definiert hat. Unser Tun und Lassen vor dem Schöpfer, einem Gericht oder den Mit­ menschen zu verantworten, heisst gleichzeitig den Umgang mit unserer freien Entscheidung ernst­ und Pflichten wahrzu­ nehmen. Freiheit und Verantwortung gehören unzertrennlich zusammen. Konfliktlösung im Gespräch, Langfristigkeit in Planung und Umsetzung erkannter zukünftiger Bedürfnisse, Konsenswille, das Erreichen tragfähiger Lösungen, Besonnen­ heit, Gradlinigkeit und Berechenbarkeit sind wichtige Elemen­ te, die Vertrauen schaffen und damit der Gesellschaft aufbauend dienen. Verantwortung auf der Basis stets von neuem zu erar­ beitenden Vertrauens ist damit leichter zu tragen; in Familie, Schule, Gruppe, Verein, Gemeinde und Staat. Vertrauen ist die wichtigste Ressource der Politik, nicht zuletzt auch christlicher Politik.

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Erziehung und Bildung Begabungen sind uns in die Wiege gelegt. Erarbeitetes Wissen und Können aber sind starke Stützen verantwortlichen Han­ delns. Erziehung und Bildung sind tragende Pfeiler christlicher Politik. Arbeitsteilung tut heute Not. Das Spezialistentum ist un­ abdingbar, wird aber dort zur Gefahr, wo es sich der Gesamtstra­ tegie einer Gemeinschaft bemächtigt, wo Partialinteressen über­ handnehmen. Schon Hegel erkannte, dass «die Wahrheit das Ganze» ist. Umfassende Bildung legt die Basis für Wissen, Kön­ nen und Erfahrung. Sie stärkt Selbstsicherheit und gleichzeitig kritische Reflexion des eigenen, bewussten Handelns. Rechte des Menschen Zentraler Wert sind die Rechte des Menschen und der Schöp­ fung. Sie manifestieren deren Würde und Unantastbarkeit. John F. Kennedy formulierte es klar: «Der Mensch hat seine Rechte nicht aus der Gunst des Staates, sondern unmittelbar aus der Hand Gottes.» Recht auf Leben, Recht auf Bildung, Recht auf Arbeit sind herausragende Werte. Sie helfen mit, die Arbeitsteilung zu tragen, Leistung zu erbringen und zu opti­ mieren, wechselnden Bedürfnissen gerecht zu werden, erfüllt zu leben. Zielorientiertes Handeln ist gefragt, nicht hilflose Floskeln wie «der Weg ist das Ziel». Sprache und Kommunikation Ein besonderer Stellenwert kommt Sprache und Kommunika­ tion zu. Einander zu verstehen, weiterzuentwickeln, weiterzu­ vermitteln ist Voraussetzung für gutes gemeinsames Handeln, trotz oder dank weltanschaulicher Differenzen. Zukunftsorientiertes und ganzheitliches Denken Die Nutzung von Erkenntnissen in Wissenschaft und Forschung ist für kommende Generationen lebensnotwendig. Grenzen sind ihr in der Pflege und Bewahrung der Schöpfung gesetzt. Handlungsmaxime ist der Schutz der natürlichen Lebens­ grundlagen, Nachhaltigkeit pur. Politik aus christlicher Ver­ antwortung bedeutet somit, Gottes Schöpfung in ihrer ganzen Vielfalt zu respektieren, den freien, urteilsfähigen Menschen zu bilden, Gemeinschaftsformung und ­entwicklung zu pflegen und durch die demokratische Kontrolle aller Verant­ wortungstragenden Missbräuche und Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen und ihnen kraftvoll zu begegnen.» ■


Foto: Keystone

Foto des Monats

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Pirmin Bischof, Mitglied der Wirtschafts- und Abgabekommission des Nationalrates

ABZoCKER, FiRMEnKAuF-Monopoly, GloBAliSiERunG

Ist Marktwirtschaft christlich oder unchristlich? Ist sie «reformiert» oder «katholisch»? Welchen Einfluss hat die christliche Religion auf das Wirtschaften der Menschen? Wie wird ein globalisiertes Wirtschaftssystem trotzdem gerecht? Was sagt der Christ zu «Abzockern», Arbeitslosigkeit und Umweltzerstörung? Als Rechtsanwalt bin ich nicht Theologe. Als WAK­Mitglied und Wirtschaftssprecher des Präsidiums der CVP sind die Fragen aber immer präsent. Das C im Parteinamen ist nicht blosses Etikett, sondern konkreter politischer Auftrag! «Zwischen Grossmünster und Paradeplatz» lautete sinniger­ weise der Titel eines Symposiums, das die katholische Kirche des Kantons Zürich und das Institut für Sozialethik der Uni­ versität Zürich vor einiger Zeit im Hotel Savoy (eben am «ban­ kengekrönten» Paradeplatz!) in Zürich veranstalteten. Führen­ de Vertreter aus Kirche, Wissenschaft und Wirtschaft stellten sich die Frage, welchen Einfluss das Christentum in seiner protestantischen und katholischen Ausprägung auf das Wirt­ schaftsleben hatte und in Zukunft haben könnte.

ist «Marktwirtschaft» reformiert oder katholisch? ist sie überhaupt christlich? Die westliche Wirtschaft ist eine marktwirtschaftliche. Produk­ tionsmengen und Preise werden nicht durch eine staatliche Lenkungsstelle, sondern durch das freie Spiel von Angebot und Nachfrage festgesetzt. Nach gemeiner ökonomischer Auf­ fassung ermöglicht dieses System die effizienteste «Güteral­ lokation». Jedes Gut wird also seiner «besten» Verwendung zugeführt. Es wird nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel pro­ duziert. So will es das Lehrbuch. Foto: Stefan Bohrer

Tatsache ist, dass sich das marktwirtschaftliche System mit seiner ganzen Schlagkraft im christlich­humanistischen Eu­ ropa und nicht in einer anderen Weltgegend entwickelt hat. Eine Untersuchung von Professor Bruno Frei, Universität Zü­ rich, hat 2003 ergeben, dass auch heute noch Christen eine positivere Einstellung zur Wirtschaft als Angehörige anderer Religionen haben. Muslime sind gegenüber Wirtschaftswachs­ tum am skeptischsten und Hindus gegenüber wirtschaftli­ chem Wettbewerb. Der berühmte Soziologe Max Weber hat 1905 im seinem Haupt­ werk «Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalis­ 6

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mus» die bis heute nachwirkende These vertreten, die wirt­ schaftliche Entwicklung der westlichen Welt sei wesentlich auf den «protestantischen Geist» zurückzuführen. Die Reformation habe zu einer eigentlichen Revolution des Denkens geführt, welche den modernen Kapitalismus und damit das Wirtschafts­ wachstum überhaupt ermöglicht habe. Als Beleg mag man Cal­ vins Prädestinationslehre heranziehen, die (in vereinfachter Form) davon ausgeht, dass der persönliche und wirtschaftliche Erfolg eines Menschen auf Erden das vorgezogene Spiegelbild seiner späteren Stellung im ewigen Leben sei. Tatsächlich er­ folgte die Industrialisierung im 19. und 20. Jahrhundert in städ­ tisch­reformierten Gebieten, wie Zürich, Basel oder Genf, we­ sentlich schneller als in katholisch­ländlichen Gebieten. Dies galt für die Schweiz und die ganze westliche Hemisphäre. Es ist fraglich, ob diese These heute noch haltbar ist. Die erfolg­ reichsten Dienstleistungs­ und Steuersenkungskantone sind in den letzten Jahren klassisch katholische Kantone wie Zug, Schwyz, Nid­ und Obwalden. In Deutschland haben die beiden grossen katholischen Bundesländer Baden­Württemberg und Bayern die kriselnden protestantischen norddeutschen Länder wirtschaftlich in den Schatten gestellt. Professor Frei führt zu­ dem Norditalien und Irland als Beispiele dafür an, dass ein weitgehend katholisches Gebiet über längere Frist ein gleiches oder gar höheres Pro­Kopf­Einkommen als das protestantische Europa aufweise. Die Unterscheidung zwischen Katholizismus und Protestantismus eignet sich also kaum mehr zur Erklä­ rung eines unterschiedlichen wirtschaftlichen Erfolges. Wie steht der Christ/die Christin zur Marktwirtschaft? Eine Untersuchung der Universität Chicago auf der Grundlage des Datenmaterials aus dem «World Value Survey» (1981–1997) kommt zum überraschenden Schluss, dass regelmässige Got­


tesdienstbesucher eine grundsätzlich positivere Einstellung zur Wirtschaft haben als Personen, die nicht religiös sind. Re­ ligiös Aktive neigen eher zur Ansicht, dass der freie Markt zu fairen Ergebnissen führe und sie sprechen sich auch dezidier­ ter für Institutionen aus, welche die Produktivität und das Wirtschaftswachstum fördern. Religiöse Menschen sind zu­ dem weniger zu einem Rechtsbruch bereit und stützen damit ein stabiles Rechtssystem als eine der wichtigsten Grundlagen einer funktionierenden Marktwirtschaft. Als christlicher Po­ litiker darf ich guten Gewissens den Markt dem sozialisti­ schen Plan vorziehen. Heisst das, dass alles «in Butter» ist und wir christlichen Poli­ tiker davon ausgehen können, dass Adam Smith’s «invisible hand» des freien Marktes Probleme wie Armut, Arbeitslosig­ keit und Umweltzerstörung von selbst regeln werde?

ist eine christliche Wirtschaft liberal oder sozial? Die kapitalistische Marktwirtschaft ist in christlichen Ländern entstanden. Es waren aber gerade die katholische und die pro­ testantische Kirche, die dazu beigetragen haben und heute noch dazu beitragen, dass die Marktwirtschaft nicht zur Barbarei ausartet. Markt beruht auf Eigennutz jedes Marktteilnehmers, des typischen «homo oeconomicus». Oder zynisch gesagt: Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht. Ein solches System genügt vielleicht manchester­liberalen Effizienzkriterien, sicher aber nicht dem Prinzip der christlichen Nächstenliebe. Zwinglis Zürcher Reformation verstand sich nämlich nicht nur als Erneuerung der Kirche, sondern auch von Staat und Gesellschaft. Zwingli hat sich zentral mit den damaligen sozi­ alen Fragen beschäftigt: dem «ungerechten» Zinswesen, der Leibeigenschaft und dem Elend der Söldner. Dem Reformator war es ein Anliegen, die menschliche Gerechtigkeit der göttli­ chen Gerechtigkeit zumindest anzunähern. Wesentlich später, aber politisch wohl noch durchschlagender, entwickelte sich im 19. Jahrhundert die «katholische Sozial­ lehre». Sie rückte Werte wie die Würde des Menschen, die Soli­ darität und die Subsidiarität ins Zentrum des wirtschaftlichen und politischen Denkens. Peter Ulrich, Professor für Wirt­ schaftsethik an der Universität St. Gallen, stellt fest, dass die protestantische Ethik mit dem Arbeitsethos «tiefer in die Ent­ stehungsgeschichte des Geistes des Kapitalismus verwickelt» sei, wogegen die katholische Soziallehre eher als «externes Kor­ rektiv» des an sich unbestrittenen Marktsystems betrachtet werden müsse. Völlig zu Recht ergänzte der Sozialethiker Jo­ hannes Fischer aber, dass die katholische Soziallehre einen «kaum zu überschätzenden Beitrag zur Idee eines in sich aus­ gewogenen Sozialstaates geleistet» habe. Das erfolgreiche

Konzept der «sozialen Marktwirtschaft» von Konrad Adenauer und Ludwig Erhard beruht demnach weder auf manchester­ liberalen noch sozialistischen Ideologien, sondern auf der christlichen Soziallehre. Masslosigkeit und Überheblichkeit wurden schon in der grie­ chischen Welt als «Hybris» von den Göttern bestraft. Ikarus ist nicht etwa abgestürzt, weil er es wagte, mit selbst hergestell­ ten Flügeln aus Federn und Wachs zu fliegen, sondern weil er gegen den Rat seines Vaters Dädalus «zu hoch hinaus wollte» und sich zu sehr der Sonne näherte. In Form von exzessiven und unkontrollierten Managergehältern und intransparentem Verschachern von Industriefirmen durch anonym gelenktes Kapital begegnet die Hybris uns aktuell wieder. Die Mass­ losigkeit hat in einem verantwortungsorientierten Weltbild gemäss christlicher Soziallehre keinen Platz. Hier haben gerade wir christlichen Politiker einen ethischen Auftrag, auch und gerade wenn die Kirche ihre führende Rolle «auf dem Markt der Werte» für viele verloren hat. Wenn der Manchester­Liberalismus Armut, Arbeitslosigkeit und Mana­ gerexzesse schulterzuckend hinnimmt, hat christliche Politik den Auftrag, die schöpferische und kraftvolle, aber gefährliche und zuweilen selbstzerstörerische, liberale Anarchie zu lenken.

ist umweltschutz liberal oder christlich? Aus reinen Effizienzüberlegungen kann auch ein reiner Markt­ wirtschaftler zum Schluss kommen, dass Umweltschutz sich lohnt, weil in einer Welt mit zerstörten Gewässern und ver­ seuchter Luft nicht nur das Leben sondern auch die Wirtschaft unmöglich wird. Wenn der Marktwirtschaftler Rechte zur Umweltverschmutzung (Umweltzertifikate) an einer Börse zum Handel frei gibt, tut er dies aber aus reinen Kosten­/Nutzen­ überlegungen. Der christliche Wirtschaftspolitiker kommt zwar teilweise zu ähnlichen Resultaten (z.B. CO2­Abgabe), geht aber von einer völlig anderen geistigen Grundlage aus. Für uns Christen ist die Bewahrung der Umwelt nicht primär eine Frage von Effi­ zienz, Angebot und Nachfrage. Die Bewahrung der Schöpfung ist vielmehr zwingender biblischer Auftrag. Dem Menschen steht es nicht zu, die göttliche Schöpfung zu zerstören, vielmehr ist es einer unserer nobelsten Aufträge, Wasser, Luft und Erde in ihrer Integrität zu erhalten und dafür die politischen Mittel einzusetzen, die wir Menschen in der Hand haben.

Fazit Die Marktwirtschaft ist nicht per se christlich oder unchrist­ lich. Es hängt von uns christlichen Politikern/innen ab, ob sie sozial und umweltschonend bleibt oder in Masslosigkeit, Bar­ barei und Umweltzerstörung abdriftet. ■ Die Politik 4 April 2010

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With God on our Side Bob Dylan Oh my name it is nothin’ My age it means less The country I come from Is called the Midwest l’s taught and brought up there The laws to abide And that the land that I live in Has God on its side Oh the history books tell it They tell it so well The cavalries charged The Indians fell The cavalries charged The Indians died Oh the country was young With God on its side Oh the Spanish-American War had its day And the Civil War too Was soon laid away And the names of the heroes l’s made to memorize With guns in their hands And God on their side Oh the First World War, boys It closed out its fate The reason for fighting I never got straight But I learned to accept it Accept it with pride For you don’t count the dead When God’s on your side When the Second World War Came to an end We forgave the Germans And we were friends Though they murdered six million In the ovens they fried The Germans now too Have God on their side I’ve learned to hate Russians All through my whole life If another war starts It’s them we must fight To hate them and fear them To run and to hide And accept it all bravely With God on my side But now we got weapons Of the chemical dust If fire them we’re forced to Then fire them we must One push of the button And a shot the world wide And you never ask questions When God’s on your side Through many dark hour I’ve been thinkin’ about this That Jesus Christ Was betrayed by a kiss But I can’t think for you You’ll have to decide Whether Judas Iscariot Had God on his side So now as I’m leavin’ I’m weary as Hell The confusion I’m feelin’ Ain’t no tongue can tell The words fill my head And fall to the floor If God’s on our side He’ll stop the next war 8

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Grincheux In Grimms Märchen haben die sieben Zwerge keine Namen. Die Franzosen haben ihnen trotzdem welche gegeben, nämlich Prof, Grincheux, Simplet, Atchoum, Ti­ mide, Dormeur und Joyeux. Einer der Zwerge, Grincheux, der Griesgram, besteht darauf, in der POLITIK regelmässig Dampf abzulassen. Heute regt er sich über die Kindersitze und die Sitzkissen auf, welche er seit dem 1. April in seinem kleinen Auto montieren muss. Comme tout père responsable, j’attache une grande importance à la sécurité de mes trois enfants âgés de 2, 5 et 10 ans. Mais trop c’est trop! Depuis le 1er avril, il est interdit de rouler en voiture avec des enfants si ceux­ci ne sont pas installés dans un siège ou sur un réhausseur. On voit que M. Leuenberger ne roule pas souvent en voiture, car je le mets au défi de mettre deux sièges et un réhausseur sur la banquette arrière d’une petite voiture qui consomme peu d’essence et qui est donc respectueuse de notre environnement! Mercredi dernier, belle­maman voulait aller à la piscine avec nos trois bambins. Impossible. Elle a un siège pour le petit dernier, mais pas de réhausseur… Elle a ensuite téléphoné à un taxi qui très gentiment lui a fait com­ prendre qu’il n’était pas équipé pour ce genre de course. Alors que tout le monde veut réduire les charges des familles, celles­ci doivent dorénavant acheter – outre le siège du petit dernier – des réhausseurs, un pèse­personne car les enfants qui pèsent plus de 15 kg ne doivent pas mettre leurs petites fesses sur le même réhausseur que ceux qui en pèsent 14, un ruban métrique car pas question de quitter le réhausseur si l’enfant ne mesure pas 1,50 m, sans oublier une petite charrette pour amener tout ce matériel à belle­maman tous les mercredis.

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Markus Arnold, Dr. theol., Ethikdozent

sollen, dürfen, Müssen wir uns Politisch engAgieren?

Es gibt eine verbreitete Überzeugung, dass Religion von Politik grundsätzlich zu trennen sei. Glaube und Religion seien Privatsache. Die Religion habe mit Innerlichkeit zu tun, sie gebe Kraft in Grenz­ und Krisensituationen, sie beantworte auch Sinnfragen, wenn wir mit unserer Vernunft nicht mehr weiter kämen. Ganz falsch ist das sicher nicht, doch meist wird die Forderung nach der Beschränkung des christlichen Glaubens auf das Private nicht theologisch begründet. Die Forderung entspricht dem gängigen liberalen Credo des 19. Jahrhunderts. Theologisch wird man die Frage mit einem klaren «Ja» beantworten müssen: Gläubige Christinnen und Christen sollen sich nicht nur politisch engagieren, sie müssen es sogar tun.

Religion ist grundsätzlich politisch Christlicher Glaube hat eine politische Dimension. Dies ergibt sich nicht nur aus der Tatsache, dass jede Religion grundsätz­ lich politisch ist: Entweder vertritt sie klare Optionen zur Ge­ staltung der Sozialbezüge in einer Gesellschaft (Familie, Bil­ dungswesen, soziale Sicherheit, wirtschaftliche Gerechtigkeit usw.) oder sie verzichtet bewusst auf solche und setzt sich für radikale Innerlichkeit ein (Religion als Privatsache). Politi­ sches Engagement und politische Abstinenz sind gleichermas­ sen politisch bedeutsam! Radikale Innerlichkeit ist indes der christlichen Tradition fremd. Christlicher Glaube impliziert immer auch aktives politisches «In­der­Welt­sein». Die Bibel redet hier eine deutliche Sprache: In der jüdisch­christlichen Tradition ist der Glaube nie die Angelegenheit von Individuen. Er wird in Gemeinschaft ge­ lebt. Das Alte Testament spricht vom Volk Gottes: In diesem sind der Kult und sozialethische Konsequenzen nicht zu tren­ nen. Denken wir nur an das Ethos der Propheten: Wer sich nicht der Armen annimmt, soll Gott nicht opfern! Gott ist zu­ dem immer auch ein befreiender Gott, der Israel aus dem Skla­ venhaus Ägyptens herausführt. Diese Perspektive wird im Neuen Testament weiterentwickelt: Im neuen Gottesvolk, in den frühen christlichen Gemeinden soll es kein Machtgefälle

zwischen Herren und Sklaven, Männern und Frauen, Juden und Griechen geben (so Paulus in Gal 3,28). Noch konkreter wird Jesus: Die Nächstenliebe, die untrennbar mit der Gottes­ liebe verbunden ist (Gleichnis vom barmherzigen Samariter, Lk 10,25–37), wird auf die Feindesliebe ausgedehnt. Der Prüf­ stein für die Christusbegegnung ist der Umgang mit den Ge­ ringsten (Mt 25,31–46).

universale Konsequenzen Das lässt sich konkreter nicht formulieren und hat implizit universale Konsequenzen, welche letztlich in der unantastba­ ren Würde der menschlichen Person gipfeln. Damit ist eine soziale Stossrichtung jeglicher christlicher Politik und die Verpflichtung zum diesbezüglichen Handeln in einem gege­ ben. Ebenso hat auch die zentrale Botschaft Jesu vom angebro­ chenen Gottesreich eine soziale und damit auch politische Dimension. Dies verbietet eine ausschliessliche Verinnerli­ chung des Gottesverhältnisses. Fazit Christlicher Glaube ohne soziales und politisches Engagement ist ein verkürzter Glaube! ■

Ausschnitt aus dem neusten Buch von Markus Arnold: Politik und ethik in christlicher Verantwortung. Dabei handelt es sich um ein kleines Handbuch im Taschenbuchformat (ca. 150 Seiten), dass sich an politisch engagierte Christinnen und Christen richtet. Die wichtigsten Themen werden in verständlicher Sprache im Rahmen überschaubarer Kapitel dargestellt. Das Buch erscheint Ende April. Zu beziehen bei: rex verlag luzern, Arsenalstr. 24, 6011 Kriens, www.rex-buch.ch Die Politik 4 April 2010

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den rAhMen sPrengen Schriftstellerin Rosemarie Keller im Gespräch mit der Kunstmalerin Sr. Maria Raphaela Bürgi.

Ihre Bilder sind bewegt, voller Leidenschaft. Sie sind nicht das, was man von einer Klosterfrau erwartet! In den Publikationen, die Ihre Ausstellungen und Ihr Werk begleiten, wurden Sie mit Chagall und Klee verglichen. In jungen Jahren bewunderte ich Chagalls Sicherheit, mit der er die leuchtenden Farben setzte, und Klee beeindruckte mich durch seine Themenfindung aus den ei­ genen seelischen Tiefen. Ich ahme nicht nach, aber noch heute lerne ich in Ausstel­ lungen von grossen Meistern. Vieles, das ich malte, war Lebenskampf, Ringen um Glauben. Als Verbindungsweg zwischen Erde und Unendlichkeit, benutze ich das Symbol der Leiter. Es gibt frühe Bilder, da sah ich die blaue Erde, treibend im All. In diese Zeit fiel das Sabbatjahr in England. In London begriff ich plötzlich die moder­ ne Kunst. Zum Blau gesellte sich die Farbe Rot. Das Innere in Aufruhr, Verlangen… …nach Erlösung? Auch das. Wir sind der Erlösung bedürftig. Sie wurde uns gegeben, aber wir können es nicht fassen. Darum malte ich die Jakobsleiter, auf der Engel auf­ und niederstei­ gen. Sie sind die Helfer im Dialog zwischen Gott und Mensch. Je länger je mehr sehen wir auf Ihren Bildern Engel im Sonnenlicht. Früher waren es andere geflügelte Wesen, Tauben und Schmetterlinge. Ist das eine Lobpreisung dessen, was nicht an die Erde gebunden ist? Wir sind Teil der Schöpfung, die wir pflegen müssen, zu der wir – ich verwende das etwas abgegriffene Wort – Sorge tragen müssen.

sr. Maria raphaela bürgi Geboren und aufgewachsen in Olten. Vor und nach dem Klostereintritt (1947) Ausbildung an der AGS Basel. Zeichenlehrerin am Theresianum Ingenbohl. Daneben freischaffende Künstlerin. Seit 1991 in ihrem Atelier in Basel. Zahlreiche Buchpublikationen zum Werk. rosemarie keller Aufgewachsen in einem Badener Hotel, in dem ihre verwitwete Mutter jüdische Flüchtlinge beherbergte. Biografie «Die Wirtin», Pendo 1996. Weitere Bücher unter anderen: «Ich bereue nicht einen meiner Schritte» und «Tausend Brunnen». 10

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Das Bild, an dem Sie arbeiten, heisst «Schlafender Engel»: Von Erdenschwere befreit, die mächtigen Flügel zur Seite gelegt, hingegeben an einen Schlaf wie ihn wohl nur Schuldlosigkeit kennt, liegt der Engel in einem Blumenmeer. Heisst er vielleicht Raphael, dem Sie Ihren Klosternamen verdanken? Ist er unterbeschäftigt? Er hatte immer viel Arbeit mit mir. Es ist nicht einfach, eine Klosterfrau zu begleiten, die viel von dem preisgeben muss, was den Menschen auf dieser Erde aufwühlt, ihn verfolgt, auch quält. Damit an die Öffentlichkeit zu treten, war manchmal schwer. Doch ich erachtete es als Auftrag. Heute habe ich die Furcht vor der Öffentlichkeit verloren. Es macht mir nichts mehr aus. Zudem bin ich in einer hellen Phase. Doch sicherlich stellen Sie fest: Das Engelsbild, an dem ich arbeite, stimmt farblich noch nicht. Es braucht hier auf der linken Seite Rot. Farben und Formen suchen Harmonie. Eigentlich sind Rahmen fast eine Zumutung für Ihre Bilder. Mir scheint, sie haben keine Grenzen. Nehmen Sie doch für die POLITIK das Aquarell «Sturm». Ich malte es 1993 in Nord­ friesland. Ich liebe die Farben des Nordens. Wie wirkt es auf Sie? ■


Der Wind beugt die Äste dreier Bäume. Fahl erscheint die Sonne hinter blaugrauem Gewölk. Der Hintergrund ist in rötlich-gelbes Licht getaucht. Ich weiss nicht, ob dieses Licht droht. Jedenfalls verheisst es etwas, das wir noch nicht kennen. Wenn die Betrachterin auch schaudert, sie wird zugleich getröstet. Ist es, weil die Kraft, im Sturm zu stehen, spürbar wird? Kurz gefasst: Ich sehe ein Stück Natur in ihrer Schönheit. Wenn ich, nochmals ganz kurz, Schwester Raphaelas Bilder beurteilen dürfte, ich sagte: Sie dienen der Schönheit der Schöpfung. Die Politik 4 April 2010

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Gott ist eine unendliche Kugel, deren Mittelpunkt überall und deren Oberfläche nirgends ist. Blaise Pascal (Französischer Mathematiker, Literat und Philosoph, 1623–1662)

die uniVerselle sPrAche der syMbole Der Tessiner Architekt Ugo Brunoni baute 1994 im Genfer Künstlerviertel Pâquis eine katholische Kirche, deren architektonischer Stil sich keiner Religion eindeutig zuordnen lässt. Statt mit den üb übli lichen chri rist stli lich chen Symb mbol olen arbeitete nité té»» m mit it ei eine nerr u uni nive vers rsellen Symbolspra­ Brunoni in der «Eglise de la Sainte­Trini che. Der Sakralbau ist geprägt von geomet etri risch schen Grundformen wie dem Kreis oder dem Quadrat, die ihre ganz eigene spirituelle Dimension on en entf tfalten. 12

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DAS QuADRAT

DER KREiS

Das Quadrat gehört zu den am häufigsten verwendeten geo­ metrischen Formen und wird in der Symbolsprache in den verschiedensten Variationen eingesetzt. Zusammen mit dem Mittelpunkt, dem Kreis und dem Kreuz gehört es zu den vier Grundsymbolen.

Der Kreis ist im Gegensatz zum Quadrat ohne Anfang und Ende. Die kreisende, gleichförmige Bewegung steht deshalb für Vollkommenheit, aber auch für Zeit und Unendlichkeit. Mit seiner nie endenden Linie veranschaulicht der Kreis die Zeit als unendliche Abfolge unveränderlicher Momente, die stets auf die folgenden hinweisen.

Das Quadrat symbolisiert die Erde, das Weltliche und die Ma­ terie. Es steht für das vom Menschen geschaffene Ordnungs­ prinzip und die bestehende Welt. Sein Gegenstück ist der Kreis, der den Himmel versinnbildlicht. Das Quadrat steht so­ mit im Gegensatz zur Transzendenz, zu allem Unerschaffenen und Göttlichen.

Der Kreis gilt aufgrund seiner Vollkommenheit als Symbol des Himmels und der spirituellen, unsichtbaren und trans­ zendenten Welt. Er steht für das Göttliche und die Schöpfung, die in ständiger Wiederkehr Leben produziert, Leben regu­ liert und lenkt. Gleichzeitig versinnbildlicht er den Kosmos und seine Verbindungen zur Erde.

Aufgrund seiner Statik und seinen vier fest verankerten Seiten gilt das Viereck als unbewegliche Figur. Es bedeutet Halt, Stag­ nation und Starre, gleichzeitig aber auch vollendete Stabilität. Die Symbolik des Fortbestands wurde beispielsweise für das «Himmlische Jerusalem» übernommen, jener ewigen Stadt, die gemäss dem neutestamentarischen Buch der Offenbarung des Johannes nach der Apokalypse entstehen sollte. Um des­ sen Unendlichkeit zu unterstreichen, war das «neue Jerusa­ lem» als quadratische Anlage geplant.

DER WÜRFEl Der Würfel hat dieselbe Bedeutung wie das Quadrat. Es sym­ bolisiert ebenfalls das Irdische und die vier Grundelemente Feuer, Erde, Wasser und Luft. Aufgrund seiner statischen Er­ scheinung galt der Würfel bereits in der Antike als Symbol von Stabilität und Fortbestand. Der Sockel eines Herrscherthrons wurde deshalb häufig in Form eines Würfels gestaltet.

DiE KuGEl Die Kugel hat, wie bei der Analogie Würfel­Quadrat, dieselbe symbolische Bedeutung wie der Kreis. Und wie bei der Ver­ bindung von Würfel und Kreis, steht auch die Kombination von Würfel und Kugel sinnbildlich für himmlische und irdi­ sche Vollkommenheit. Die Verbindung findet sich oft auch in der Architektur wieder, meist in Form einer Halbkugel, die auf einen würfelförmigen Sockel aufgebracht oder an einen recht­ eckigen Raum angebaut ist. Eines der bekanntesten Beispiele dafür ist die Apsis; der als Halbkreis geformte östliche Ab­ schluss des Kirchenraumes. ■•

Die Verbindung der beiden Gegensätze Würfel und Kreis steht in der mystischen Symbolik für das Irdische und das Überir­ dische, die endliche und unendliche, die geschaffene und die noch unerschaffene Welt. Die Politik 4 April 2010

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C-Debatte: 5 Fragen an Martin Schwegler, Parteipräsident CVP Luzern

Das Präsidium der Bundespartei hat An­ fang Jahr eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Nationalrätin Lucrezia Mei­ er­Schatz eingesetzt. Sie hat den Auftrag, ein Positionspapier zur Frage, was aus Sicht der CVP christliche Politik bedeu­ te, zu erarbeiten. In dieser Gruppe arbeiten ebenfalls Jacques Neirynck, Nationalrat aus dem Kanton Waadt und die Parteipräsidenten von Zürich und Luzern, Markus Arnold und Martin Schwegler. Die von der CVP Schweiz lancierte C-Diskussion ist von verschiedenen Personen wiederholt gefordert worden, unter anderem von Ihnen und Markus Arnold. Weshalb ist Ihnen diese Debatte so wichtig? Wir haben das C im Namen. Folglich müssen wir auch kom­ petent Auskunft geben können, was wir darunter verstehen. Und da das C entgegen mancher Meinung nicht so eindeutig ist, müssen wir das, was wir unter christlicher Politik verste­ hen für uns selbst definieren. Dann wird also keine Namensdiskussion gestartet? Nein, im Gegenteil. Alle Mitglieder der Arbeitsgruppe wollen das C nicht zur Diskussion stellen. Genau weil es im Namen bleiben soll, ist eine C­Diskussion innerhalb der CVP wichtig. Die einen erwarten von einer christdemokratischen Partei «ultralinke» Positionen und andere verbinden das C mit dem Attribut «stockkonservativ». Es ist höchste Zeit, dass die Par­ tei klar macht, wie sie selbst christliche Politik definiert. Läuft die CVP mit der Lancierung einer C-Diskussion nicht Gefahr, als verlängerter Arm der Kirchen wahrgenommen zu werden? Lange Zeit hatte man Angst, eine C­Diskussion innerhalb der CVP werde dazu führen, dass wir als katholisch oder als frömmlerisch wahrgenommen werden. Ich meine, solche Ängste haben nur jene, welche sich noch nie mit der Frage aus­ einandergesetzt haben, welchen politischen Gehalt das C hat. 14

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In den siebziger Jahren hat sich die CVP klar als überkonfes­ sionelle Wertepartei zu positionieren versucht und gewann Wähleranteile. Doch wir müssen darüber nachdenken, welche Ansprüche eine C­Partei, eine Wertepartei erfüllen muss. An­ sonsten hängt man uns beliebig Etiketten an. Die Botschaft muss klar sein in der ganzen Schweiz. Wird ein Positionspapier erarbeitet? Am Anfang dachten wir «nur» an die Erarbeitung eines Posi­ tionspapiers. Doch dann reifte die Einsicht, dass der Nutzen weniger in einem Papier liegt als vielmehr in der Diskussion. Im Idealfall könnten nämlich alle unsere Mitglieder in zwei bis drei Sätzen sagen, was aus Sicht der CVP christliche Politik ist. Deshalb haben wir eine elektronische Umfrage zu ver­ schiedensten politischen Themen gemacht. Die Ergebnisse fliessen in ein Papier ein, welches vom Mai bis Juli bei den Ortsparteien in Vernehmlassung gegeben wird. Die Arbeitsgruppe hat die Befragung elektronisch durchgeführt. Wieso ist man auf diese Idee gekommen? Meine Kantonalpartei macht dies seit etwa einem Jahr regel­ mässig. Am Anfang der Luzerner Erneuerung im Jahre 2004 stand eine breite Basisbefragung. Die Menschen schätzen es, wenn sie sich an der Meinungsbildung innerhalb der Partei beteiligen können. Wir erhalten dabei sehr wertvolle Hinweise auf das, was in einer politischen Frage möglich ist und was nicht und können diese Erkenntnisse in die Arbeit der Partei und Fraktion einfliessen lassen. Wir sehen auch, wo allenfalls noch Überzeugungsarbeit geleistet werden muss. ■


Tim Frey, Generalsekretär der CVP Schweiz

zukunft christdeMokrAtie Heute erleben wir in vielen Ländern Europas Friede und Stabilität durch Kooperation und eine weite Verbreitung einer Politik, die von wirtschaftlichen Freiheiten und sozialer Verantwortung geprägt ist. Das bedeutet nur eines: Die Ideen der Christdemokratie lassen sich realisieren, sie werden realisiert und sie finden auch viel Zuspruch. Die Sozialdemokratie, die vor dem Hintergrund maroder Staatsfinanzen keine wirklichen Rezepte für die Zukunft hat, bietet keine Perspektiven. Desgleichen eine neue Rechte. Sie zieht mit populistischen Mitteln «Unzufriedene» an, ist

aber ebenso arm an Ideen für tragfähige Lösungen wie die Genossen. In der Schweiz haben wir uns seit den sechziger Jahren daran gewöhnt, dass die CVP Wähleranteile verliert – langsam aber stetig. Dabei übersehen wir, dass die CVP auch wieder Wäh­ leranteile gewinnt. Bei den Parlamentswahlen 2007 ebenso wie auch in einigen Kantonen. Noch hat sich dieser Trend nicht generell bestätigt. Es zeigt sich aber immer deutlicher, dass dort, wo gute Köpfe für die Ideen der Christdemokratie einste­ hen, neue Erfolgsgeschichten möglich werden. Und der Blick über die Landesgrenzen hinaus bestätigt dieses Bild. ■ tim frey ist Autor der Studie «die christdemokratie in westeuropa. der schmale grat zum erfolg», erschienen 2009 im Nomos Verlag, Baden-Baden (ISBN 978-3-8329-4264-9).

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OrTsTermine Esther Egger, Nationalrätin

s’himmelriich

liegt in Kirchdorf in der gemeinde Obersiggenthal, leicht über unserem haus und das…

… erst noch im Kanton Aargau, der lediglich für seine Auto­ bahnen und Kernkraftwerke bekannt ist, obwohl er mit Schlössern und Burgen, Auenlandschaften, den Jurahöhen, den Wanderwegen und Seen, einem Radroutennetz sonder­ gleichen und viel Kultur aufwarten kann. Waren Sie etwa noch nie in einem Konzert des Aargauer Symphonie Orches­ ters oder in der Oper auf Schloss Hallwyl? … in diesem von napoleon 1803 willkürlich zusammengewürfelten Kanton der regionen, in welchem Baden und seine Umgebung wesentlich dazu beitragen, die wirtschaftlich viertstärkste Kraft in der Schweiz zu sein (was sogar die Nei­ der dieses sogenannten «Speckgürtels» eingestehen müssen). … obwohl wir eine multikulturelle, mittelgrosse gemeinde mit allen problemen und sorgen einer Agglomerationsgemeinde sind, die aber die Chancen der kulturellen Vielfalt von rund 80 Nationen nutzt und gerade auch dadurch eine hohe Lebensqualität bietet. … vielleicht gerade deshalb, weil wir mit Bildungszentren und ohne Universitäten ebenfalls wesentlich dazu beitragen, dass der notwendige Nachwuchs für die ansässigen Grosskon­ zerne sicher gestellt wird. Ich setze mich seit Jahren mit Über­ zeugung für eine gute Ausbildung ein. 16

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… bietet wohl den grundstein für einen politisch äusserst fruchtbaren Boden, denn unsere Gemeinde stellt drei Mitglie­ der des Nationalrates und dieses Jahr sogar dessen Präsidentin. … obwohl wir den nebel im limmattal zwar bestens kennen, uns aber trotzdem die Laune nicht verderben lassen. Das ha­ ben schon zu Spanischbrötlibahn­Zeiten die hassgeliebten Zürcher gemerkt, wenn sie unsere lebensfrohe Region und ihre Thermalquellen besucht und ausschweifend genossen haben. Heute geben wir ihnen immerhin noch die Gelegenheit, das grosse Glück im Casino zu suchen. Und die Bäder, ja, die wer­ den schon bald mit Botta­Bauten auf Vordermann getrimmt. … trotz in der nähe liegender Kernkraftwerke und Zwischenlager für Kernenergieabfälle und obwohl der Opalinus­ ton uns wenn möglich noch mehr Verantwortung aufbürden wird. Wir tragen diese jedoch mit und helfen, die für unser Land lebensnotwendige Stromversorgung zu gewährleisten. … bietet denjenigen das privileg, den Weitblick zu erhalten, den sie suchen. Ich persönlich schöpfe hier oben Kraft und Energie und dies ganz ohne Aargauer Rüeblitorte, obwohl ich diese heiss liebe. … lässt politik auch einmal einfach Politik sein. ■


Reto Wehrli, Nationalrat

Menschenrechte und rechtsstAAt Menschenrechte, aus ähnlichen Gründen und zu einem ähnli­ chen Zeitpunkt wie der neuzeitliche Staat entstanden, werden vor allem mit Blick auf ihren Inhalt diskutiert, so etwa: keine Todesstrafe, keine Folter, keine parteiischen Richter, Recht auf Bildung, Recht auf freie Meinungsäusserung. Weniger beach­ tet, jedoch ebenso massgeblich ist, wie Menschenrechte umge­ setzt, konkretisiert, in staatliches Recht gegossen werden. Die­ ser Frage widmet sich die Arbeit von Franz Xaver von Weber.

Der bessere Staat ist global vernetzt Menschenrechte erlangen nur dann wirklich Geltung, wenn der einzelne Staat (und nicht nur die Staatengemeinschaft) diese Geltung wollen. Die Arbeit, an der Universität Flensburg als Habilitation angenommen, kommt (konsequenterweise) ohne naturrechtliche Fundierung aus. Sie erweist sich als eine Studie über den besseren Staat. Dieser ist im Verständnis des Autors heute notwendigerweise global vernetzt. Darum gilt: Was gut für uns ist, muss im Kern gut für alle sein. Mit nach­ vollziehbarem Grund wendet die Studie ihren Blick nach Bra­ silien, Nepal, Papua Neu Guinea und Ost­Timor. Demokratie und Rechtsstaat Ist die Antinomie Demokratie – Menschenrechte ein Verder­ ben? Nein. Aber sie beschreibt eine Gefahr und erfordert ex­ zellente Staatskunst. Im Gegenwind medialer Schnellkost muss eine Spannung höheren Grades ausgehalten werden. Die Schweiz gibt ein besonders sensitives Beispiel. Demokratie braucht Rechtsstaat. Ohne diesen ist sie ungesichert und da­ mit nicht auf Dauer gestellt. Interessant deshalb die in der Ar­ beit präsentierten Ideen zu einem Zweikammerparlament mit Zweitrat, der mit der primären Aufgabe betraut ist, die Men­ schenrechte in die staatliche Rechtsordnung zu überführen. Der Menschenrechtsstaat Menschenrechte und Rechtsstaat in der globalisierten Welt

Franz Xaver von Weber ber

Helbing Lichtenhahn Verlag rlag

Wer sich über den Menschenrechts­ staat kundig machen will, liest das Buch mit vertretbarem Aufwand. Dies ist gegen die Regel und eine der ho­ hen Qualitäten des Buches. ■ Franz Xaver von Weber der menschenrechtsstaat – menschenrechte und rechtsstaat in der globalisierten Welt Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel 2010, 202 Seiten.

MiSSiNG LiNk

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er politische Diskurs der Schweiz wird von jammernden Apokalyptikern dominiert. Lin­ ke und Rechte betonen stets, was in unserem Land alles schief läuft. Schuld daran ist immer die Mitte, denn sie ermöglicht Lösungen und Mehrheiten, einmal mit der Linken, einmal mit der Rechten. Allerdings zahlt sie einen Preis: die Lösung ist in aller Regel ein Kompro­ miss. Das schleift das Parteiprofil ab. Meistens gewinnt man so Abstimmungen, verliert aber Wahlen. Der Umkehrschluss liegt auf der Hand: Wenn wir schon beschuldigt werden, verantwortlich für alles Übel zu sein, dann sind wir auch verantwortlich für alles, was gut läuft. Und es läuft sehr viel sehr gut. Die Schweiz hat das schwierige Jahr 2009 überstanden, ohne dass die Staats­ rechnung defizitär wurde. Sie hat sich nicht massiv neu verschulden müssen. Die Arbeitslosenquote ist hinter dem in Erdöl schwimmenden Norwegen die tiefste Eu­ ropas. Die Wachstumsprognosen sind für die Schweiz weitaus am günstigsten. Wir haben massvolle Konjunk­ turprogramme durchgesetzt, anstatt Milliardenverspre­ chen nicht einzulösen. Die Schweiz startet mit weniger Sturmschäden als andere Länder in den kommenden Wirtschaftsaufschwung. Natürlich leugne ich die Herausforderungen nicht. Aber wenn es Probleme gibt, sind es Probleme eines erfolgrei­ chen Landes. Dieser Erfolg der Schweiz ist das Resultat einer erfolgreichen politischen Arbeit der Mitte. Ich vermute, es gibt viele Menschen in unserem Land, die zufrieden sind mit den Leistungen unserer Politik. Wenn die CVP es schafft, sie zu überzeugen, unsere Lis­ ten in die Urnen einzulegen, gewinnen wir nicht nur die meisten Abstimmungen, sondern auch wieder Wahlen. –Gerhard Pfister

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S e e l e n w e lt e n Jozsef Kisdaroczi Dipl. Architekt ETH SIA

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ie Türe wird von einer Feder zugezogen. Sie soll nicht offen bleiben. Vom Forstweg aus, entlang eines hohen Lattenzaunes aus dem winterlichen Wald kommend, hat man den unscheinbaren Eingang durchschritten. Das Knirschen von feinem Kies unter dem Schuhwerk durchbricht die Stille. Der geschwungene Weg ist mit Steinbändern gesäumt, das Herbstlaub eingesammelt und die Wege mit dem Rechen gepflegt. Zwischen den Bäumen ist der Waldfriedhof zu erkennen. Silhouetten von Gebäuden und Mauern durchbrechen die vertikale Ordnung von Tannen­ und Buchenstämmen. Und plötzlich ist da offener Himmel. Die grosse rechteckige Lichtung, aus dem Waldkörper ge­ schnitten, ist einer von drei Urnenhainen, welche die stille Friedhofsanlage bestimmen. Geometri­ sche Strenge, dialektisch der Natürlichkeit des Waldes entgegengestellt, bestimmt die Gestaltung der beinahe hundertjährigen Grabreihen. Es ist die Asche von Verstobenen, die hier in Urnen be­ stattet wurde. Der mächtige Engel auf der Säule wacht über ihren Seelenfrieden. Wieder im Wald nähern wir uns einem Gebäude aus Beton, Glas und Eisen. Im Spiegel der grossen Scheiben zeigen sich die Baumwipfel. Der Kiesweg führt vorbei und lenkt den Blick in die aufge­ räumte helle Halle. Zwei Türen in der Stahlfront und der bereitgestellte Sargwagen verweisen zu­ rückhaltend auf die Nutzung des Raumes. Im Ofenraum werden die Körper der Verstorbenen dem Feuer übergeben und eingeäschert. Die Stille des Waldes beruhigt und die wiegenden Baumwipfel relativieren die Zeit. Der Weg führt in einen Hof. Eingefasst von hohen Betonrahmen öffnet sich der weite Himmel. Der Vorhof des Ofenhauses lässt innehalten. Eingefügt in das Betonskelett sind schwere Stahlplatten mit Schriftzeichen. Mal durchbrochen, mal als Relief fügen sich die ausgestanzten Buchstaben zu Wor­ ten. Es ist ein Ort der Besinnung und Sammlung, quadratisch leer, gleichzeitig beseelt und umgeben von hohen Buchen.

tIeFe HIMMel w e I t e w e lt leISe wIeGen MUtIG GeHen Worte von Klaus Merz, Schweizer Schriftsteller

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Jozsef Kisdaroczi Architekturstudium ETH Zürich 1969 –1975 Architekten-Kollektiv AG Winterthur Bilder: Georg Aerni Fotograf Zürich Aufgenommen im Friedhof Rosenberg, Winterthur

Die Abdankungshalle steht gleich daneben. Einer Waldkapelle nachempfunden, geschützt vom aus­ ladenden Ziegeldach ist sie in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts als Ort des letzten Geleits umgebaut worden. Zuvor hatten aufgeklärte Bürger vor einhundert Jahren das Krematorium in diesem Wald erbaut und die Feuerbestattung als Verein betrieben. Heute findet sie ihre Bedeutung als öffentliche Institution in der multikulturellen Gesellschaft, frei von bestimmender Konfession und vorgegebenem Kultus, im Tod des Einzelnen auf dem letzten gemeinsamen Weg von Körper und Seele. Ein sakraler Raum für die Freiheit des Seins im Tod. Auf der Symmetrieachse der Abdankungskapelle führt die lange Treppe aus dem Wald. Der Lärm des Stadtverkehrs kommt entgegen und die Sicht über die Weite der Stadt öffnet sich. Angekommen auf dem zentralen Platz des Friedhofes gehen wir weiter zum grossen geschmiedeten Eingangstor und verlassen mit einem Blick zurück die Welt der ruhenden Seelen. ■

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Lucrezia Meier­Schatz, Nationalrätin

Von Marx zu Leo xIII. Die Kirche hat sich stets mit der geistigen Bildung der Laien und Kleriker beschäftigt. Vom Spirituellen her hat sie sich Politik und Gesellschaft zugewandt. Diese über Jahrhunderte dauernde Entwicklung hat ihren Höhepunkt im Jahre 1891 in der Enzyk­ lika Rerum Novarum erreicht. Papst Leo XIII. wollte mit ihr dem Konflikt, der die Gesellschaft aufwühlte und bedrohte, ein Ende setzen. Ging es Leo XIII. lediglich darum, den Führungsanspruch in der sozialen Frage zu behaupten? Rerum Novarum ist in der Tat eine recht späte Antwort auf das kommunistische Manifest von 1847. Die Enzyklika hätte auf Generationen von Christen nicht die bekannte Wirkung gehabt, ohne das Engagement von liberalen Christen des neunzehnten Jahrhunderts und vor al­ lem nicht ohne die soziale Denkarbeit, welche die von Bischof Gaspard Mermillod geleitete «Union de Fribourg» leistete. Man ist sich heute einig über deren ausserordentlichen Ein­ fluss auf das Denken Leos XIII. Die Enzyklika ist im Umfeld eines historischen Umgestaltungsprozesses entstanden.

Die Umschreibung von Rechten und Pflichten Leo XIII. anerkennt die Gegensätzlichkeit der sozialen Klassen und beruft sich auf die Moral, um die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konflikte zu lösen. Er lehnt sowohl den Liberalismus wie den Sozialismus ab und verweist auf die Grundsätze der Gerechtigkeit. Zum ersten Mal werden Natur­ rechte festgelegt und die Rechte der Arbeitnehmer sowie die Pflichten der Unternehmer umschrieben. Es geht um das Recht auf Lohn, über den frei verfügt werden darf, und es geht um das Naturrecht Privatbesitz. Andererseits ist das Engagement des Staates im Sinne des Volkswohls gefordert. Die Umschrei­ bung der Beziehungen zwischen Privatpersonen und Staat bil­ det das Herzstück der neuen Soziallehre. Bereitschaft zum Dialog Als Antwort auf die schroffe Zurückweisung, mit welcher seine Vorgänger auf die Erklärung der Menschenrechte von 1789 rea­ giert hatten, kommt Leo XIII. zurückhaltend auf sie zu sprechen. Seine Nachfolger Pius XI., Pius XII. und vor allem Johannes XXII. entwickeln in der Folge ein neues Verständnis für die För­ derung der Menschenrechte im Sinne eines ethischen Ideals. Jo­ hannes XXIII. bekräftigt die Unverletzlichkeit der Menschen­ rechte. Ebenso bekräftigt er den unerlässlichen Auftrag der internationalen Organisationen, die Umsetzung der wirtschaft­ lichen, sozialen, politischen und kulturellen Rechte zu fördern.

Die Dynamik der Soziallehre In der kurzen Amtszeit Johannes XXII. erlebte die Soziallehre neue Anregungen. Johannes XXIII. erkannte die «Zeichen der Zeit» und umschrieb in seiner christlichen Anthropologie die Menschenwürde im Umfeld von Rechten, Pflichten und grund­ legenden Freiheiten. Mit Nachdruck unterstützte das Zweite Vatikanische Konzil die Anstrengungen der internationalen Gemeinschaften und Organisationen in ihrem Ziel, juristisch­politische Verhältnisse zu schaffen, die den Menschenrechten und den grundlegenden Freiheitsrechten gerecht werden. Diese Sicht des Konzils wur­ de durch die Diplomatie Pauls VI. und Johannes­Pauls II. um­ gesetzt. Der im Laufe eines Jahrhunderts entwickelte christliche Stand­ punkt wurde in den Enzykliken Centesimus Annus, Laborem exercens und Sollicitudo Rei Socialis Pauls II. bekräftigt. Es geht um die Achtung der Würde der Person, um die persönli­ che Freiheit und Verantwortung, um Solidarität im Sinne einer «menschlichen und christlichen Tugend» mit besonderer Be­ rücksichtigung der Armen, um die Aufgabenteilung in der Ge­ sellschaft und die Rolle des Staates (Subsidiaritätsprinzip): dies alles im Namen des Gemeinwohls, in dem die Gesamtheit der menschlichen Bedingungen ihren Ausdruck findet und das die volle persönliche Entfaltung begünstigt. Johannes Paul II. und Benedikt XVI. haben der Soziallehre eine neue Ausrichtung gegeben, indem sie das Prinzip einer «univer­ selle Zweckbestimmung aller Güter» geltend machen. Dabei geht es ihnen darum, die ökologischen Fragen, die sich künfti­ gen Generationen stellen, anzugehen, im Sinne einer Umwelt­ politik, die dem Prinzip der Nachhaltigkeit gerecht wird. Die christliche Sozialpolitik appelliert an die Christen, ob sie nun katholisch seien oder protestantisch, sich für die Zielset­ zung einer humanen Gesellschaft zu engagieren. Ein schwieri­ ges Vorhaben, das aber für den Fortgang unserer Gesellschaft unverzichtbar ist. ■ Die Politik 4 April 2010

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Filippo Lombardi, Ständerat

weshAlb die tessiner cVP dAs C nicht in ihreM nAMen führt Die Tessiner CVP, die PPD, hat nie ein C im Namen geführt, obwohl die Partei klar vom christdemokratischen Gedanken­ gut inspiriert ist. Entstanden ist sie in den 1830er Jahren im Rahmen der liberalen Bewegung. Diese wollte die Strukturen des jungen Kantons – er hatte die Souveränität nur durch die Mediationsakte von 1803 erlangt – modernisieren und libera­ lisieren. Unsere Partei hat sich als «liberal­konservative» Par­ tei definiert, im Gegensatz zu den «Liberal­Radikalen» mit ihrer etatistischen und anti­klerikalen Ausrichtung.

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In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fegte der Kultur­ kampf auch durch den Tessin. Er war eher beeinflusst durch den radikalen Jakobinismus aus Frankreich, als durch den Protestantismus, welcher südlich der Alpen weniger verbreitet war. Im Übrigen war der Tessin der einzige katholische Kan­

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ton, welcher sich nicht dem Sonderbund anschloss, um 1847 auf der Seite der Konföderation zu kämpfen. Als Folge wurden die Tessiner «Konservativen» natürliche Partner der Schwei­ zerischen «Katholisch­Konservativen». Diese verteidigten die Werte und die Interessen der katholischen Welt, standen aber auch für den Föderalismus ein, die Aufwertung der Lokalauto­ nomie, die peripheren ländlichen Regionen und die Berggebiete. Im Jahr 1913 nahm die Partei den Namen «Partito conservatore democratico ticinese» (PDCT) an. Dieses «Konservativ­De­ mokratische» verinnerlichte die Soziallehre, welche die Kirche proklamierte und welche die Christlich­Sozialen inspiriert. Diese waren aus der mächtigen Gewerkschaft Organizzazione Cristiano Sociale Ticinese (OCST) hervorgegangen, eine gros­ se Arbeiterbewegung im Tessin, seit langem in der Partei gut integriert. Ende der sechziger Jahre verlangte der Zeitgeist eine Moderni­ sierung des Parteinamens. Im Gefolge des Zweiten Vatikani­ schen Konzils, welches die «Autonomie der Laien in der Politik» proklamiert hatte, wurde die Definition «konservativ» nicht mehr verwendet. Die Frage, ob man das C einbeziehen sollte, wurde ebenfalls in Erwägung gezogen und in der Folge wieder aufgegeben. Einerseits weil man der Ansicht war, Kirche und Staat seien zu trennen, und andererseits wollte man sich von der «Democrazia Cristiana» abgrenzen, welche unterdessen das benachbarte Italien regierte. Der Name PPD, welcher schliesslich im Jahre 1970 bestimmt wurde, ist immer noch aktuell: Partito Populare Democratico (Demokratische Volkspartei). Sie übernimmt das Erbe «volksver­ bunden, aber nicht konfessionell» der italienischen von Luigi Sturzo zwischen den beiden Weltkriegen gegründeten Partei. Er hatte das C nicht explizit im Namen erwähnt, liess sich aber in den Statuten seiner Partei vom Christentum inspirieren. ■


Jacques Neirynck, Nationalrat

werte Verteidigen, nicht ideologien!

Honni soit...

le détail

Die Entscheidungen des Parlaments reichen von der sozialen Sicherheit bis zur Frage, ob man Soldaten nach Somalia ent­ senden solle. Üblicherweise stimmen SP, SVP und Grüne ge­ schlossen. CVP und FDP sind oft geteilt. Daraus wird der Schluss gezogen, Erstgenannte hätten klare Überzeugungen, Letztere nicht.

Dem schönen Wort «détail» wird mit Blick auf die aktuelle eidgenössische Politik gerecht, wer es mit «Vereinzeltheit» übersetzt. Erst diese leichte tra­ duktorische Überspanntheit kann erfassen, was uns «Bern» derzeit bietet. Ganz grosses Kino näm­ lich. Titel: Es tue jeder, was er kann.

Dagegen zu halten ist, dass die Arbeit im Parlament keine auto­ matische«OperationKnopfdruck»,sondernjederAbstimmungs­ entscheid das Resultat vertiefter Auseinandersetzung mit der Materie sein sollte. So gesehen sind die drei erstgenannten Parteien Gefangene ihrer Ideologien. Ihr Stimmverhalten ent­ spricht demjenigen ehemaliger stalinistischer Parteien und nimmt keine Rücksicht auf persönliche Überzeugungen.

Wir verbuchen auf der Habenseite (Auswahl): – Hundsgesetz … äh, zum wievielten? Legislatori­ sches Horrorszenario: Der gemeine Rauhaarda­ ckel ist ein Raubtier (wenn man nur lange genug überlegt). Schliesslich vom Wolf. – Rauchen. Ist das nun Bund oder Kantone oder mit oder ist es ohne «Fumoir». Und kommt nicht jetzt dann noch die Volksinitiative der Lungenli­ ga zur Abstimmung?

«Mehr Staat» fordert die traditionelle Linke, «mehr Nationa­ lismus» die traditionelle Rechte, «mehr Natur» wollen die Na­ turschützer. Um eine perfekte Gesellschaft zu schaffen, so die Illusion der Linken, genügt es, den Reichen alle Schuld der Welt in die Schuhe zu schieben und sie ihres Reichtums zu entledigen. Ebenso illusorisch rettet die Rechte die «Reinheit» unseres Landes: Mit der Ausschaffung aller Ausländer sind die Probleme auf einen Schlag gelöst. Die Massnahmen der Naturschützer zur Rettung der Welt bestehen darin, alle Men­ schen der Umweltverwüstung anzuklagen, weil sie nur der Natur ein Existenzrecht zugestehen. In allen Fällen werden die Fehler klar benennbaren Schuldigen zugeschrieben, realisti­ sche Lösungsvorschläge sind überflüssig. Weil der unter die­ sem stalinistischen Druck stehende Volksvertreter nicht mehr das sagen kann, was er denkt, verliert er die Fähigkeit zu wis­ sen, was er denkt, wenn er denn überhaupt noch denkt.

Die Sollseite (Auswahl): – Bankgeheimnis: Das ist eigentlich weg, oder? Ganz ohne Parlament, auch ohne Volksabstim­ mung und so. Stört’s? – Gesundheitswesen: Nimmt seit 20 Jahren um zwei Prozentpunkte über dem BIP­Wachstum zu. Keiner weiss wieso und was dagegen. Egal, wir haben ja die Dackel. Wo wir uns vereinzeln? Im Unbedeutenden. Ein wohlmeinender Bundeshausbesucher bemerkte gestern, wir hätten hier ein Niveauproblem. Meinte er damit, die Politik führe oder eher, sie repräsen­ tiere? –Reto Wehrli

Die Politikerinnen und Politiker der Mitteparteien legen Wert darauf, sich vor Abstimmungen mit dem Inhalt auseinander­ setzen zu können. Die anderen stimmen zuerst und denken nachher. ■

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C WöRtER mIt

ABC-Waffen, auch Massenvernichtungswaffen genannt, sind bekannt für ihre besonders vernichtende Wirkung auf Lebewesen und Umwelt. Zu dieser Gruppe zählt man chemi­ sche, biologische, radiologische und nukleare Waffen.

AC: Ante Christum natum ist die lateinische Bezeichnung für vor Christus (v.Chr.).

BBC: Die British Broadcasting Corporation wurde 1922 als unabhängiger Radiosender gegründet und betreibt heute meh­ rere Hörfunk­ und Fernsehprogramme. CD: Die Compact Disc wurde anfangs der 1980er Jahre in Zusammenarbeit von Philips und Bayer erfunden, um Musik digital abspeichern zu können.

CDU/CSU: Die Schwesternparteien Christlich Demokrati­ sche Union Deutschlands und Christlich­Soziale Union in Bayern e. V. werden allgemein als Union oder Unionsparteien bezeichnet. Die CDU stellt mit Angela Merkel die amtierende Bundeskanzlerin Deutschlands. CEO: Der Chief Executive Officer ist eine mittlerweile ver­ breitete amerikanische Bezeichnung für den Geschäftsführer, Vorstandsvorsitzenden oder Generaldirektor eines Unterneh­ mens. CERN: Der Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire ist die frühere Bezeichnung der heutigen Europäischen Orga­ nisation für Kernforschung, die in der Nähe von Genf physi­ kalische Grundlagenforschung betreibt. Bekannt ist vor allem der riesige Teilchenbeschleuniger.

CH: CH ist die Abkürzung für mehrere Wortbildungen. Die wohl bekannteste Bedeutung erlangt CH als Landeskennzei­ chen der Schweizerischen Eidgenossenschaft. CH ist die offi­ zielle Abkürzung des lateinischen Namens Confoederatio Helvetica, um keine der vier Amtsprachen zu bevorzugen.

CIA: Der Auslandsnachrichtendienst der Vereinigten Staaten von Amerika lautet ausgeschrieben «Central Intelligence Agen­ cy» und wurde 1947 gegründet.

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CNN: Das amerikanische Cable News Network wurde 1980 als weltweit erster reiner Nachrichtensender gegründet.

CS steht für eine ganze Liste von Begriffen, unter anderem für Caesium (chemisches Element), Cirrostratus (Wolkenform), CouchSurfing (weltweites Freundenetzwerk im Internet), Cre­ dit Suisse, Customer Service, Cybersex, den ehemaligen Län­ dercode von Serbien und Montenegro und das ehemalige Fahrzeugkennzeichen der Tschechoslowakei.

CSI: Die Concours de Saut International sind internationale Turniere im Springreitern, z.B. das CSIO St.Gallen. Crime Scene Investigation ist die englische Bezeichnung für Spurensiche­ rung und gleichzeitig eine bekannte amerikanische TV­Kri­ mi­Serie. CSS: Die heute zweitgrösste Versicherung der Schweiz wurde 1899 in St. Gallen als (christlichsoziale) Selbsthilfeorganisation gegründet und 15 Jahre später als Krankenkasse anerkannt.

CSSR: ČSSR ist die Abkürzung der damaligen Tschechoslo­ wakischen Sozialistischen Republik und CS­SR ist der ehema­ lige Ländercode für Serbien. CVP: Unter anderem steht CVP für Cruz Vermelha Portu­ guesa, das Portugiesische Rote Kreuz.

C-Waffen: Chemische Waffen gehören zur Gruppe der ABC­Waffen.

EC: EC steht unter anderem für Eislauf­/Eishockeyclub, den Ländercode von Ecuador, die Europäische Gemeinschaft oder für die Kreditkarte Eurocard.

FC: Diese Abkürzung steht im deutschen Sprachgebiet für Fussballclub.

Hohes C: Das hohe C steht entweder für einen sogenannten Fruchtsaft oder für den Musikton C. ICE: Der Intercity Express ist eine schnelle Zugkategorie der Deutschen Bahn, die 1991 in Betrieb genommen wurde.


C

icrc: Das Internationale Komitee vom roten Kreuz (engl. International Committee of the Red Cross) wurde 1863 vom Schweizer Henry Dunant gegründet. Es ist die Gründungsor­ ganisation der Internationalen Rotkreuz­ und Rothalbmond­ Bewegung und des humanitären Völkerrechts, besser gesagt der Genfer Konventionen. Der Hauptsitz ist in Genf.

V e r b i n d l i c h

E

Pc: Der Personal Computer wird auch Einzelplatzrechner ge­ nannt und wird seit den 1970er Jahren industriell hergestellt.

inmal stolperte ich in einer andalusischen Stadt über einen Plastikbecher. Er war mit Münzen gefüllt und gehörte drei Bettlern, die auf der Strasse hockten. Als ich das Geld wieder aufgesammelt hatte, entdeckte ich weitere volle Be­ cher, und jeder hatte ein Schild. «Für Bier» «Für einen IPod» «Für neue Schlafsäcke» «Für einen Porsche» Ich musste lachen. Auch die Bettler lachten. Ich wollte fotografieren, da hob einer ein Schild: «Foto 10 Euro»

PVc: Das Polyvinylchlorid ist ein harter Kunststoff, der haupt­ sächlich im Bauwesen verwendet wird. Aber auch alltägliche Gegenstände bestehen aus PVC, z.B. Kreditkarten oder früher Schallplatten. PVC wird auch die Grüne Partei Kanadas ge­ nannt.

Die Bettler haben unter www.lazybeggers.com ← eine eigene Website und informieren darauf, dass ihr Aufwand darin bestünde, die Leute zum Lachen zu bringen. Für Bettler sei das eine aussergewöhn­ liche Leistung. Da haben sie Recht.

Schlüssel-c: Eine Art von Notenschlüssel.

Die Geschäftsidee macht Eindruck, und der mo­ derne unternehmerisch handelnde Almosenemp­ fänger steht keinesfalls im Widerspruch zur Bibel. Man darf das Geld für sich arbeiten lassen und sollte die Talente nicht vergraben. Das Konzept der innovativen Caritas soll dasjenige der reinen Selbst­ losigkeit, für das der heilige Martin steht, nicht in Frage stellen. Doch weshalb nicht daran feilen? Der Heilige halbierte seinen Mantel und gab einen Teil einem armen Mann, der gar nichts hatte. Stofffet­ zen vergrössern sich nie, und beide Männer froren fortan, der eine zwar sehr viel weniger, dafür der andere neu ein bisschen.

Oecd ist die englische Abkürzung (Organisation for Economic Co­operation and Development) für die Organisation für wirt­ schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit Sitz in Paris.

Vitamin c: Der Begriff geht auf einen Biochemiker zurück, der 1921 Substanzen aus Zitronensaft so benannte. Erst zehn Jahre später fand man heraus, dass das Skorbutheilmittel As­ corbinsäure («a» = nicht; und lateinisch «scorbutus» für Skor­ but) und Vitamin C ein und dieselbe Substanz sind.

UneScO: Die Organisation der Vereinten Nationen für Er­ ziehung, Wissenschaft und Kultur (engl.: United Nations Edu­ cational, Scientific and Cultural Organization) wurde 1945 gegründet und hat ihren Sitz in Paris. Sie ist eine selbstständi­ ge Sonderorganisation der UNO.

UniceF: Der United Nations International Children’s Emergency Fund wurde Ende 1946 gegründet und hat seinen Sitz in New York. Das Kinderhilfswerk der UNO setzt sich heutzutage vor allem in Entwicklungsländer für Kinder und Mütter ein.

Wc: Die berühmte Abkürzung für das Water Closet steht auch für Abort, Klosett, Latrine oder Toilette.

–Sibyl Eigenmann

Für einen Besuch auf der Website schreibe man die Adresse wie angegeben bitte falsch. Die Beggars erklären den Fehler damit, dass sie beim Einrichten der Seite sehr alkoholisiert gewesen seien und eine Korrektur zu teuer kam. Doch wem die Orthogra­ phie wichtig ist, kann dafür spenden. Erwünscht sind auch Rasierklingen (Gillette Mach 3) oder Bü­ cher. Zum Geschäftsmodell der lazybeggers.com ge­ hört ein enormes Kapital an Zeit. Es ist vorbildlich, wie verantwortungsvoll sie damit umgehen. –Marianne Binder Die Politik 4 April 2010

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Aus den KAnTOnen

Wirtschaftlichkeit – oberste Maxime? Darf eine nationale Verkehrspolitik nur dort investieren, wo die Schweiz rentiert? Wie in keinem anderen Politikbereich streiten sich Kantone und Landesteile, wo und wie viele Mittel in die Verkehrs­ infrastruktur investiert werden sollen. Was die Bahninfrastruktur anbelangt, hat die Politik mindestens teilweise das Heft aus der Hand gegeben und über­ lässtesdenSchweizerischenBundesbahn­ en, zu beurteilen, wo in den kommenden 30 Jahren investiert werden soll. Dass diese ihre Vorschläge darauf abstützen, was betriebswirtschaftlich die beste Kos­ ten­/Nutzen­Differenz bewirkt, dagegen kann kaum etwas eingewendet werden. Allerdings darf man sich mit Fug die Fra­ ge stellen, ob eine nationale Verkehrspoli­ tik darüber hinaus nicht zusätzliche Ziele als jene der Wirtschaftlichkeit des Ver­ kehrssystems zu verfolgen hat. Das wie­ derum wäre allerdings von der Politik und nicht von den SBB zu entscheiden.

Verzerrung des Wettbewerbs Aus Optik des ländlichen Gebiets und abgelegen von den wirtschaftlichen Me­ tropolen ist zu fordern, dass eine echte nationale Verkehrspolitik auch dazu bei­ zutragen hat, dass eine gesellschaftliche

Annäherung unter den Landesteilen stattfindet. Damit verbunden ist die For­ derung,dassInvestitionen indieVerkehrs­ infrastrukturen regional ausgewogen sein müssen. Sind sie dies nicht, tragen sie indirekt zu einer Verzerrung des Wett­ bewerbs bei, indem neue Standortnach­ teile entstehen beziehungsweise schon vorhandene noch verschärft werden. Wer nämlich gegenüber der Konkurrenz an Erreichbarkeit und Mobilität einbüsst, wird im Standortwettbewerb verlieren.

Schlüsselfaktor Erreichbarkeit Unter diesem Gesichtspunkt kann das, was kürzlich vom Bundesamt für Verkehr und den SBB an Perspektiven für die «Bahn 2030» vorgestellt wurde, in keiner Art und Weise befriedigen. Die Qualität der Erreichbarkeit gehört zu den Schlüs­ selfaktoren für eine angemessene wirt­ schaftliche Entwicklung auch im ländli­ chen Raum. Es gilt als bekannte Tatsache, dass leistungsfähige Verkehrssysteme und gute Erreichbarkeit entscheidende Voraussetzungen für die Entwicklungs­ chancen von städtischen und von länd­ lichen Räumen sind.

Hoffnung besteht Der Bericht des Bundesrats zur «Zukunft der nationalen Infrastrukturnetze in der Schweiz» vom November 2009 präsen­ tiert sich versöhnlicher, als die Vorstel­ lungen des Bundesamtes für Verkehr und den Schweizerischen Bundesbahnen. Gemäss diesem Bericht gehört es zur Aufgabe der Infrastrukturpolitik, dass die nationalen Infrastrukturnetze in sämtlichen Landesteilen für alle Be­ völkerungsgruppen eine ausreichende Grundversorgung sicherstellen und den Bedürfnissen nach Sicherheit Rechnung tragen sollen. Man darf gespannt darauf sein, wie sich dieses Bekenntnis für eine flächen­ deckende Infrastruktur­Politik in den Ausbauprogrammen für Schiene und Strassen niederschlagen wird. ■ –Stefan Engler, Regierungsrat, Vorsteher des Bau-, Verkehrs- und Forstdepartementes Graubünden

Erneuerung als Geschenk zum Jubiläum Die älteste Partei im Kanton St. Gallen, die CVP, ist 175 Jahre alt. Sie feierte ihr Jubiläum nicht primär mit einer Rückschau auf Erfolge, sondern richtete den Blick nach vorne und schenk­ te sich zum Jubiläum eine Erneuerung. Die Kantonalpartei hatte das neue Leitbild und die Grundsätze der neuen Organisation gemeinsam mit ihrer Basis im Rahmen ihres Erneuerungsprojekts «CVP – unsere Zukunft» erarbei­ tet. Das Projekt baut auf den Werten auf, für welche die Partei seit jeher einsteht, namentlich Selbstverantwortung und Soli­ 26

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darität. Parteipräsident Jörg Frei brachte es am Jubiläums­Par­ teitag auf den Punkt: «Hätten sich die Abzocker vom Parade­ platz – die Ospels, Ebners, Blochers und wie sie alle heissen – an den Grundsätzen der CVP orientiert, müssten wir heute nicht über eine Abzocker­Initiative, über das Bankgeheimnis und über Manager­Boni lamentieren.»

Klares profil, schlagkräftige organisation Neu sind die Prägnanz und Kürze, mit denen das Leitbild der St.Galler CVP – im Unterschied zum bisherigen umfassenden


Rentabilitad – maxima suprema? Dastga ina politica da traffic naziunala investir mo là, nua che la Svizra renda? En nagin auter sectur da la politica sa dispitan ils chantuns e las regiuns, nua che duain vegnir investids quants meds finanzials en l’infrastructura da traffic. En quai che concerna l’infrastructura da la viafier ha la politica – almain per part – manchentà da «cumandar las fes­ tas», surlaschond a las Viafiers federalas da decider, nua ch’i duai vegnir investì ils proxims 30 onns. Che quella basa sias propostas sin quai che effectuescha la meglra differenza tranter ils custs ed il gudogn na po strusch vegnir crititgà. Ins po però sa dumandar cun dretg, sch’ina politica da traffic naziunala na sto betg persequitar anc autras finamiras che van pli lunsch che quellas da la rentabilitad dal sistem da traffic. Questa dumonda percunter stuess dentant vegnir decidi­ da da la politica e betg da las VFF.

Sfalsificaziun da concurrenza Or da l’optica dal territori rural e distant da las metropolas economicas stoi ve­ gnir pretendì ch’ina vaira politica da traffic naziunala sto er contribuir a la pussaivladad d’ina avischinaziun socia­

la tranter las regiuns naziunalas. Collia­ da cun quai è la pretensiun che investi­ ziuns en l’infrastructura da traffic ston esser equilibradas regiunalmain. Sch’el­ las n’èn betg quai, contribueschan ellas indirectamain a sfalsifitgar la concur­ renza cun crear novs dischavantatgs lo­ cals resp. cun rinforzar dischavantatgs locals ch’èn gia avant maun. Tgi che perda – cumpareglià cun la concurrenza – sia cuntanschibladad e sia mobilitad, sto er temair da perder la concurrenza concernent il lieu.

Functiun-clav cuntanschibladad Sut quest puntg da vista na sa quai ch’è vegnì preschentà dacurt da l’uffizi fede­ ral da traffic e da las VFF sco perspecti­ vas per la «Viafier 2030» insumma betg cuntentar. Er en il territori rural tutga la qualitad da la cuntanschibladad tar ils facturs­clav per in svilup economic ade­ quat. Igl è in fatg enconuschent che sis­ tems da traffic effizients ed ina buna cuntanschibladad èn premissas decisi­ vas per las schanzas da svilup da territo­ ris urbans e rurals.

Parteiprogramm – ihre Schwerpunkte benennt. Projektleiter Michael Hugentobler fasste das Profil in der Kürzestformel «WFW» zusammen – Werte, Familien, Wirtschaft – oder eben auch: «Wir feiern Wahlerfolge.» Das Profil der CVP Kanton St. Gallen lautet neu und kurz: die Partei der Werte, die Partei der Familien, die Partei der Wirtschaft mit ökologischer und sozialer Verantwortung. Um die angestrebten Wahlerfolge zu erreichen, verabschiedete der Parteitag auch eine neue, schlan­ kere Organisation, die sich konsequent über alle Ebenen hin­ weg am Ressort­Gedanken orientiert.

Radi da speranza Pli conciliant che la preschentaziun da l’uffizi federal da traffic e da las VFF da­ vart l’avegnir dal traffic da noss pajais sa mussa il rapport davart il «avegnir da las raits naziunalas d'infrastructura en Svizra» dal cussegl federal dal novem­ ber 2009. Tenor quel èsi l’incumbensa da la politica d'infrastructura da procu­ rar che las raits d’infrastructura naziu­ nalas garanteschan a tut las gruppas da la populaziun en tut las regiuns da la Svizra in provediment da basa suffizient che resguarda ultra da quai lur basegns da segirezza. Il chantun Grischun spetga e pretenda che quest confess per ina politica naziu­ nala d’infrastructura haja consequen­ zas per ils programs d’engrondiment e da cumplettaziun da la viafier e da las vias. ■ –Stefan Engler, Regierungsrat, cusseglier guvernativ e schef dal departament da construcziun, traffic e selvicultura

politische Mitte mit klarem profil Festredner Urs Schwaller, Ständerat und Präsident der Bun­ deshausfraktion, machte deutlich, dass die Schweiz die politi­ sche Mitte mit einem klaren Profil noch nie so dringend ge­ braucht hat wie heute. Mit einem Sitz im Bundesrat gebe es für die CVP keinen Grund, für alle sieben Bundesräte Verantwor­ tung zu übernehmen: «Eine moderate Oppositionspolitik ent­ spricht unserer heutigen Ausgangslage deshalb besser und schärft auch unsere Konturen.» ■ –Iwan Köppel, ehemaliger Parteisekretär CVP Kanton St.Gallen Die Politik 4 April 2010

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fAMilienPolitik iM trend der zeit Meine Kollegin Nicole Lauener hat mir kürzlich ein Buch empfohlen, welches man geradezu als Grundausrüstung für eine Familienpartei bezeichnen könnte. MINIMUM von Frank Schirrmacher. Ein Brand hat ein mit hunderten von Touristen bewohntes Hotel zerstört, viele Menschen wurden verletzt, nicht wenige Gäste sind gestorben. Überwachungskameras haben das Ge­ schehen gefilmt. Das Filmmaterial wurde später ausgewertet – eine Auswertung, welche Überraschendes an den Tag legte: Während viele verängstigte Menschen hektisch kreuz und quer zum Teil vergeblich nach einem lebensrettenden Aus­ gang suchten, waren es Familienmitglieder, welche in Ruhe ihre Kinder, Mütter, Väter oder Tanten suchten und – erst wenn sie geeint waren – das Gebäude verliessen. Je mehr Fa­ milienmitglieder eine Person bei sich hatte, umso grösser war die Chance, den Brand zu überleben. Besonders auffallend: Es waren die Frauen, bzw. Mütter, welche den grössten Erfolg zur Lebensrettung ihrer Familienmitglieder aufweisen konnten. Dies ist eine von zwei realen, nachkonstruierten Extremsitua­ tionen, welche dem Autor Frank Schirrmacher als Ausgangs­ punkt für seine Analyse dienen. Damit soll dargestellt werden, was passiert, wenn die Gesellschaft keine soliden Familiensys­ teme mehr aufbaut. Die Familie ermöglicht letztendlich die grösste soziale Sicherheit, welche insbesondere auch in Extrem­ situationen als verwandtschaftliches Netzwerk zum Tragen kommt. Nach dem Rückblick wechselt Schirrmacher zum Ausblick: Es ist bekannt, dass Single­Haushalte, bzw. Haushalte ohne Kin­ der rapide zunehmen. Gleichzeitig zeichnet sich eine demo­ graphische Wende ab, die es uns zukünftig nicht mehr erlau­ ben wird, das Ein­Ernährer­Modell zu leben. Unsere Enkel werden als Eltern kaum mehr die Wahl haben, ob sie arbeiten wollen oder nicht: Sie werden arbeiten müssen, so wie dies im letzten Jahrhundert bereits der Fall war. Diese Tendenzen ha­ ben überspitzt formuliert folgende Konsequenzen: Wenige El­ ternteile mit noch weniger Kindern müssen beide arbeiten. Die verwandtschaftlichen Netzwerke sind mehrheitlich nicht mehr da. Wer hütet die Kinder? Wer pflegt die vielen Senio­ ren? Die Lösung wird wohl weder in zunehmenden Single­ 28

Die Politik 4 April 2010

Wörterbuch der Volksvertreter Einen Bericht verlangen, verbale Wortkette, angewendet von Bundesratsmitgliedern, Fraktionen oder einzelnen Parlamentariern. Kann zur Folge haben, dass Departemente oder zahlreiche Experten den Auftrag bekommen, sich mit einem Thema ausgiebig zu befassen. Oft gebraucht bei einem Mangel an politischen Ideen, konkreten Forderungen oder mangelndem Mut, zu unpopulären Massnahmen zu stehen. Generiert der Bundesverwaltung eine Unzahl von Arbeitsstunden, manchmal, wenn sie will. Unklar, wer diese Auslegeordnungen studiert. Regel jedoch: je länger der Bericht, desto weniger Leser. Beispiel: Der Sicherheitsbericht. Die drei, die ihn durchgeblättert haben, haben darin keine Antwort auf die Frage gefunden, wie lange der Weg zur besten Armee der Welt noch ist. Vermutlich so lange, wie der Weg zum besten Bundesrat der Welt.

haushalten noch in anhaltend tiefen Geburtenraten gefunden werden. Ein Lösungsweg besteht im Wiederaufbau minimaler sozialer, gemeinschaftlicher und insbesondere familiärer Netz­ werke. Und die Politik? Sie muss und darf innovativ und subsidiär dort eingreifen, wo Netzwerke Unterstützung brauchen – bei­ spielweise bei Sportvereinen – und sie kann vor allem eines: Familien finanziell entlasten und strukturell unterstützen. –Barbara Schmid-Federer


der Tipp

Mord iM belleVue Norbert Hochreutener ist ein gewiefter Beobachter des politi­ schen Betriebs im Bundeshaus, und zugleich einflussreicher Mitspieler. Das merkt man dem neuesten Roman des Duos Hochreutener/Ramstein an. Die überraschend gewählte Bundesrätin Katrin Bürgi, aus Zug, wird ebenso überraschend kurz nach ihrer Wahl tot auf der Terrasse des Hotels Bellevue aufgefunden. Sie war eine schil­ lernde Persönlichkeit und in der internationalen Wirtschafts­ welt sehr gut vernetzt. Marc Dubach, Journalist mit detektivi­ schem Talent, macht sich selbständig daran, die mysteriösen Umstände des Todes einer Bundesrätin zu klären. Dabei gerät er in höchste Gefahr, amouröse Verstrickungen und wilde Ver­ folgungsjagden. Russen­Mafia, Diamanten­Handel, illegale Casi­ nos und viele weitere Ingredienzen der globalisierten Wirt­ schafts­Unter­Welt führen Dubach in ein Netz von Intrigen und Machtspielen, denen er nur mit Mühe lebend (aber teil­ weise lädiert) entkommt. Der Roman ist flüssig geschrieben. Er gibt Einblicke in den Politbetrieb in Bern, in die klandestinen Treffen an der Belle­ vue Bar oder andern Orten, die die Medien noch nicht ent­ deckt haben, die Intrigen vor und nach Bundesratswahlen, die Machtspiele und Taktiken der Fraktionschefs, Parteipräsiden­ ten und selbsternannten Strategen. Sogar neue Modelle der Kon­ kordanz und neue Regierungsformen werden unterhaltsam vorgestellt. Manche Figuren erinnern an aktuelle Persönlich­ keiten der Bundespolitik. Man spürt den Puls des politischen Zentrums der Schweiz. Marc Dubach weist eine beeindruckende analytische Schärfe und ausserordentlich gute Beziehungen in den Politikbetrieb auf. Er ist von der leisen Melancholie eines Mannes gezeich­ net, dessen Alter sich um die 50 bewegt, kann schönen Frauen nur schwerlich widerstehen, und die Genüsse von Bachus be­ gleiten seine detektivische und journalistische Tätigkeit auf Schritt und Tritt. Dabei verfügt er über eine journalistisch­ politische Tugend, welche vorbildhaft sein kann: er nimmt sich selbst nicht allzu wichtig. Der Schluss des Romans ist überra­ schend. «Mord im Bellevue» wird Sie glänzend unterhalten und liefert zugleich Einblicke in die Bundespolitik wie sie nur ein Profi als Autor bieten kann, der sich auf dem glitschigen politischen Parkett spielerisch leicht bewegt, ohne auszurut­ schen.

VOr hunderT JAhren… kam am 21. April 1910 Theodor Roosevelt in Paris mit dem Orient­ Express an. Er wurde in der Lichter­ stadt wie ein König empfangen. Am folgenden Tag berichtete die freibur­ gische «La Liberté», die damals fünf Rappen kostete, folgendes: «Wir ver­ stehen, dass man in Frankreich Herrn Roosevelt bewundert. Schliesslich hat er alle Qualitäten, die der franzö­ sischen Regierung fehlen. Der ver­ schlafene Herr Fallières, der sich nie bewegt, ausser er schiesst in Ram­ bouillet gerade ein paar Hasen, könn­ te sich ein Beispiel nehmen an seinem Kollegen, dem Löwenjäger und Lö­ wenbezwinger. Und die gesamte fran­ zösische Regierung dazu. Die bringt ja ausser der ‹grandiosen Tat› Katho­ liken zu verfolgen, nichts Weiteres zustande und unterminiert die staats­ tragenden Ideen, welche die Grösse Frankreichs ausmachen, öffentlich. Diese Regierung könnte – wenn sie denn in der Lage wäre, sie aufzufassen – von Herrn Rossevelt eine Lektion bekommen: eine politische Lektion in Toleranz und nationaler Erneue­ rung.» (ym)

norbert hochreutener, heinz ramstein: dubach im machtpoker. mord im Bellevue. Olten 2010. ISBN 978­3­03812­324­8

–Gerhard Pfister Die Politik 4 April 2010

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Globalance Globalisierung braucht eine globale Werte­Balance. Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund SEK setzt sich auf der Grundlage des evangelischen Glaubens für eine menschengerechte wirtschaftliche Glo­ balisierung ein. Gott ist Ursprung und Ziel aller Bereiche des Lebens. Christlicher Glaube hat sich deshalb auch um die Gestaltung des wirtschaftlichen Handelns zu kümmern, denn darin soll sich Gottes Liebe und Gerechtigkeit spiegeln.

Globalance als Werte-Balance zwischen Freiheit und Gerechtigkeit Eine Werte­Balance setzt Werte in Beziehung zueinander, auch wenn diese in Spannung zueinander ste­ hen. Entscheidend ist die Balance zwischen Freiheit und Gerechtigkeit: Die Vergrösserung der Freiheit durch Öffnung von Grenzen und Märkten ist nur lebensdienlich, wenn sie mit einem gerechten Zugang möglichst vieler Menschen zu Ressourcen und damit zu Lebenschancen verbunden ist. Diese Werte­Balance führt zu einer globalen Stärkung der Menschenrechte. Globalance erfordert ferner, dass Macht in den verschiedensten Bereichen fair geteilt wird. Schwächere müssen gestärkt werden, wie es die Milleniumsziele der UNO vorsehen, Beziehungen zwischen Männern und Frauen müssen gerecht gestaltet werden durch eine geschlechterspezifische Sicht und Gestaltung der Globalisierung. Zur Lösung der Herausforderungen ist eine sozial und ökologisch regulierte Marktwirtschaft ein tragfähi­ ges System. Dazu gehört, dass Probleme in demokratischen und weltweit koordinierten Reformprozessen gelöst werden können. ■ –Daniel de Roche

Foto: bc

Der Rat und die Mitgliedskirchen des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK) haben 2005 eine Orientierungshilfe verabschiedet, deren Titel Programm ist: «Globalance», Christliche Perspektiven für eine menschengerechte Globalisierung von: Christoph Stückelberger/Hella Hoppe, ©2005, Schweizerischer Evangelischer Kirchenbund SEK, Verlag Institut für Theologie und Ethik ITE, Bern ISBN 3-7229-6017-7.

daniel de roche ist Grossrat der EVP im Kanton Freiburg, Synodalratspräsident der Evangelisch-reformierten Kirche des Kantons Freiburg und Präsident der «Conférence des Eglises (protestantes) Romande» (CER). 30

Die Politik 4 April 2010


glOssAr migrATiOn

Migrantin/Migrant

Eine Migrantin, ein Migrant ist eine Person, die ihr Heimat­ land verlassen hat und vorübergehend oder dauernd in einem anderen Land oder in einer anderen Gegend lebt. Herkunfts­ land, Migrationsgrund und Aufenthaltsdauer spielen dabei keine Rolle. Aufenthaltsbewilligungen

EU/EFTA­Angehörige erhalten eine Kurzaufenthaltsbewilli­ gung L bei Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses von weniger als einem Jahr. Können sie ein Arbeitsverhältnis von mehr als einem Jahr vorweisen, erhalten sie eine Aufenthaltsbewilli­ gung B. Die Niederlassungsbewilligung C wird nach einem ununterbrochenen Aufenthalt von 5 Jahren in der Schweiz er­ teilt. Staatsangehörige ausserhalb der EU/EFTA erhalten im Prinzip die gleichen Bewilligungen, nur gelten andere Zulas­ sungskriterien. Personen, welche in der Schweiz ein Asylge­ such gestellt haben und noch im Verfahren sind, erhalten den Ausweis N, vorläufig Aufgenommene (siehe weiter unten) den Ausweis F.

Vorläufig Aufgenommene

Vorläufig Aufgenommene sind Personen, die aus der Schweiz weggewiesen wurden, wobei sich aber der Vollzug der Weg­ weisung als unzulässig (Verstoss gegen Völkerrecht), unzu­ mutbar (konkrete Gefährdung des Ausländers) oder unmög­ lich (vollzugstechnische Gründe) erwiesen hat.

Familiennachzug

Non-Refoulement-Prinzip

Auch beim Familiennachzug muss zwischen EU/EFTA­ und Drittstaatsangehörigen unterschieden werden. Bei EU/EFTA­ Angehörigen setzt das Recht auf Familiennachzug immer ein originäres Aufenthaltsrecht voraus. Das heisst, dass ein EU/ EFTA­Angehöriger mit einer Aufenthaltsbewilligung oder ei­ ner Kurzaufenthaltsbewilligung von seinem Ehegatten, seinen Nachkommen (die jünger sind als 21 Jahre oder denen Unter­ halt gewährt wird) oder seinen Eltern oder den Eltern des Ehe­ gatten, denen Unterhalt gewährt wird, begleitet werden kann. Wer seine Familie nachziehen will, muss zudem über eine an­ gemessene Wohnung verfügen.

Das Non­ Refoulement­ Prinzip verbietet die zwangsweise Ausweisung und Zurückweisung einer Person in Staaten, in denen ihr Leben oder ihre Freiheit wegen ihrer Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung bedroht sein würde. Das Non­ Refoulement­ Prinzip ist mittlerweile Teil des zwingenden Völkerrechts und somit sind alle Staaten daran gebunden.

Flüchtlingsbegriff und Asylverfahren

Foto: bc

sind weder Flüchtlinge noch Verfolgte. Aufgrund ihrer Situa­ tion gehören sie klar zur Gruppe der Migrierenden. Sie suchen in der Schweiz einen besseren Platz zum Leben.

Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention definiert einen Flüchtling als Person, die sich ausserhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt oder in dem sie ihren ständigen Wohnsitz hat, und die wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung eine wohl­ begründete Furcht vor Verfolgung hat und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht vor Verfolgung nicht dorthin zurückkehren kann. Aufgabe des Asylverfahrens ist es, unter den neu eintreffenden Asylsuchenden jene zu erkennen, die nach den beschriebenen Kriterien Anspruch auf Schutz haben. Viele Asylsuchende

Integration

Integration ist ein vielschichtiger Prozess, an welchem sowohl die schweizerische als auch die ausländische Bevölkerung be­ teiligt ist. Integration gelingt dann, wenn rechtmässig anwe­ sende Ausländerinnen und Ausländer chancengleichen Zu­ gang zum wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben in der Schweiz erhalten. Von den Ausländerinnen und Ausländern wird erwartet, dass sie die Grundwerte der Bun­ desverfassung respektieren, die öffentliche Sicherheit und Ordnung einhalten, einen Willen zur Teilhabe am Wirt­ schaftsleben und zum Erwerb von Bildung zeigen sowie über Kenntnisse einer Landessprache verfügen. Die Grundsätze und Ziele der schweizerischen Integrations­ politik sind im Ausländergesetz (AuG) geregelt. –Muriel Haunreiter Die Politik 4 April 2010

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