Le journal du PDC suisse, juin 2010

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Die

Magazin fĂźr Meinungsbildung. Ausgabe 6 / Juni/Juli 2010 / CHF 7.80 www.die-politik.ch

Eruption Vulkan RessouRcen VolkswiRtschaft


inhalt

TiTel

4 waRten auf Den suPeRVulkan 6 finanZtsunaMi 7 RisikoanalYse 8 Menschen aus Glas 10 ReVolution

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12 entfesselte JuGenD 14 neue Rolle Des staates 24 konkoRDanZ auf DeM PRÜfstanD 26 iM wÜRGeGRiff DeR Zeit 28 schÖnwetteRwÄhRunG 30 sicheRheitswahn 32 suPeRGau

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OrTsTermine

16 eth ZÜRich Beilage

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impressum

Herausgeber Verein DIE POLITIK redaktionsadresse DIE POLITIK, Postfach 5835, 3001 Bern, Tel. 031 357 33 33, Fax 031 352 24 30, E-Mail binder@cvp.ch, www.die-politik.ch redaktion Marianne Binder, Jacques Neirynck, Yvette Ming, Simone Hähni, Lilly Toriola, Rudolf Hofer gestaltungskonzept, illustrationen und layout Brenneisen Communications, Basel druck UD Print, Luzern inserate und abonnements Tel. 031 357 33 33, Fax 031 352 24 30, E-Mail abo@die-politik.ch, Jahresabo CHF 32.–, Gönnerabo CHF 60.– näcHste ausgabe August 2010

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ErkEnntnis vom stammtisch

«Weisch wie spart mer im Parlament co2? mit weniger lavere …»


ediTOrial – Marianne Binder, Chefredaktorin

DeR islÄnDische Vulkan eYJafJallaJÖkull hat uns zum Thema inspiriert. Schon sein Name sieht aus, als sei da einiges durcheinandergeraten. Sein Ausbruch steht sinnbildlich für weitere Eruptionen und Disruptionen der heutigen Zeit. Unter anderen für den Klimawandel: Der Vulkan stiess täglich 9000 Tonnen Co2 in die Luft und legte damit den europäischen Flugverkehr lahm, welcher seinerseits jeden Tag 300 000 Tonnen Co2 emittiert. für die Weltwirtschaftskrise: Der Zusammenbruch der Finanzsysteme hat zu einer Wirtschaftskrise geführt und die Staaten veranlasst, Finanzhilfen in noch nie dagewesenem Ausmass zu leisten. Dies wiederum führte zu einer Staatsverschuldung, deren Folgen weltweit noch nicht absehbar sind. für die Jugendgewalt: In der öffentlichen Wahrnehmung hat sie zugenommen. für Ängste, beispielsweise diejenigen vor der Kernkraft. Wir beschäftigen uns mit dem Restrisiko. für den Verlust der Privatheit durch das Internet. für neue Wirtschaftsmächte: China. für die europäische Währungsunion: Ist das Projekt am Ende? für die Globalisierung: Brauchen wir kleinere Wirtschaftskreise? für das schweizerische Konkordanzsystem: Die zunehmende Polarisierung schwächt das Parlament. Die nächste Ausgabe der POLITIK erscheint nach den Sommerferien im August. Wir schreiben über das Erfolgsmodell Schweiz, für welches die konstruktiven politischen Kräfte der Mitte auf massgebliche Weise die Verantwortung tragen. Ich danke Ihnen als Abonnentinnen und Abonnenten der POLITIK für die grosse Unterstützung und wünsche Ihnen einen schönen Sommer.

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Peter Ulmer

JafJalla «ein schuss R uG Die explosive Erup­ tion des Eyjafjallajökull­ Vulkans auf Island, die den Flugverkehrs über Europa stark beeinträchtigte, hat uns eindrücklich in Erinnerung gerufen, dass es eine wenig beachtete Naturgefahr gibt, die Gesellschaft und Infrastruktur massiv beeinträchtigen und zu extre­ men Schäden an Leib und Gut führen kann. Der Ausbruch des Eyjafjalla ist ein relativ kleiner. Das bis Mitte Mai 2010 ausgeflossene und ausgeschleuderte Magmavolumen von rund 200 Millionen Kubikmetern ist rund zehn Mal geringer als beim Ausbruch des Mount St. Helens in den USA im Jahre 1980 und etwa 100 mal geringer als 1991 beim Ausbruch des Pinatubo auf den Philippinen. Ein Vulkan der «Superklasse» (mehr als 1000 Kubikmeter ausgeworfenes Material) war letztmals vor 26 000 Jahren in Neuseeland aktiv. In historischer Zeit gibt es mehrere Ereignisse der 100km3-Klasse, wie beispielsweise der Ausbruch des Tambora 1815 in Indonesien, dem ein Jahr ohne Sommer folgte. In Europa ereignete sich eine solch grosse Eruption 1620 vor Christus, als der Vulkan auf Santorini explodierte, der für den Zusammenbruch der Minoischen Kultur in der Ägäis und auf Kreta (mit) verantwortlich sein dürfte. Eine noch grössere Eruption erfolgte in den Flegräischen Feldern bei Neapel vor rund 37 000 Jahren.

Ausbruch wahrscheinlich Europa ist von Vulkanausbrüchen in Island und im Mittelmeerraum (Italien, Griechenland) betroffen: Island hat in den letzten 300 bis 500 Jahren regelmässig Vulkaneruptionen erlebt, die stärksten waren die des Katla (1918) und des Laki (1783). Diese Vulkane werden Kontinentaleuropa durch westwärts-driftende Aschewolken «ärgern», die den Flugverkehr beeinträchtigen. Eine Eruption vom Ausmass des Laki (1783) 4

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könnte zu Ernteausfällen führen und teilweise die Energieund Transportinfrastruktur am Boden in Mitleidenschaft ziehen. Ein grösserer Ausbruch in den nächsten 50 Jahren ist nicht unwahrscheinlich.

Eine Gefahr für Europa? Deutlich dramatischer, wenn auch weniger wahrscheinlich, werden die Gefährdung und potentiellen Auswirkungen eines grossen Ausbruchs des Vesuvs in der Region Neapel eingeschätzt: Mehrere Millionen Einwohner befinden sich in der direkten Gefährdungszone. Der Vesuv ist gegenwärtig ruhig und dürfte in absehbarer Zeit, in den kommenden 10 bis 30 Jahren, keine grosse Eruption produzieren. Die Situation bei den Flegräischen Feldern dagegen ist ernster: Der Vulkan ist für die stärkste in Europa registrierte Eruption der letzten 100 000 Jahre verantwortlich. Seismische Untersuchungen zeigen, dass sich in nur wenigen Kilometern Tiefe erheblich Mengen Magma befinden. Zwischen einzelnen grossen Eruptionen liegen jedoch sehr grosse Zeitintervalle (mehrere


DiE GröSStEn VulKAnAuSBrücHE DEr lEtZtEn 150 JAHrE

1000 Jahre), die aktuelle Gefährdung ist daher nicht abschätzbar. Aufgrund des grossen Schadenpotentials wird das Vulkansystem von Neapel mit allen technisch verfügbaren Methoden rund um die Uhr überwacht, Evakuierungspläne sind vorbereitet und die möglichen Auswirkungen werden mittels Computersimulationen abgeschätzt.

Warten auf den Supervulkan Grosse, katastrophale, explosive Vulkaneruptionen sind seltene Ereignisse: Ein Ausbruch des Typs Pinatubo ereignet sich rund alle 50 Jahre, ein Ausbruch des Typs Tambora oder Santorini etwa alle 1000 Jahre und eine Supervulkan-Explosion nur alle 10 000 bis 100 000 Jahre. Die hoch-technisierte Gesellschaft hat noch keinen extremen Vulkanausbruch erlebt. Die Folgen für die Menschheit und ihr Zusammenleben auf dem immer enger werdenden Planeten können daher nur schwer abgeschätzt werden, da ein solches Grossereignis nicht nur die Nahrungsmittelversorgung, sondern auch die Infrastruktur massiv beeinträchtigen würde. Grosse explosive Vulkanausbrüche können weder verhindert noch in ihrem Ausmass beeinflusst werden; wir können nur die Auswirkungen durch kluge Voraussicht und entsprechende Vorbereitung minimieren. Dies ist aber eindeutig nicht nur Aufgabe der Wissenschaft, sondern muss in enger Zusammenarbeit von Wissenschaft, Wirtschaft, lokaler und nationaler Politik und Behörden und unter direktem Einbezug der betroffenen Einwohner erfolgen. Vulkane sind nicht nur gefährlich – sie sind auch faszinierend! ■

Peter ulmer ist Titularprofessor am Institut für Mineralogie und Petrographie der ETH Zürich. Seine Haupttätigkeitsgebiete sind magmatische und experimentelle Petrologie.

2010 – Eyjafjallajökull, island: Am 15. April diesen Jahres stiess der Isländische Gletschervulkan eine Aschewolke von 11 Kilometern Höhe über den Himmel von Europa aus und sorgte für ein nie dagewesenes Chaos im europäischen Luftverkehr. 1997 – Soufrière, Montserrat: Am 25. Juni 1997 zerstörten Glutlawinen des Vulkans Soufrière mehrere Ortschaften, 17 Menschen starben, 20 wurden vermisst. In den folgenden Wochen wurden die Hauptstadt Plymouth und der Flughafen durch Glut- und Schlammlawinen zerstört. Zwei Drittel der Insel wurden unbewohnbar. 1991 – pinatubo, philippinen: 1991 ereignete sich auf den Philippinen der heftigster Ausbruch des 20. Jahrhundert, bei dem 1000 Menschen starben. Wissenschaftler hatten die Anzeichen eines bevorstehenden Ausbruchs richtig gedeutet, über 10 000 Menschen konnten deshalb rechtzeitig evakuiert werden. 1985 – nevado del ruiz, Kolumbien: Im November 1985 tötete eine Schlammlawine des Nevado del Ruiz mehr als 25 000 Einwohner der 70 Kilometer entfernt liegenden Stadt Armero. Ähnliche Ausbrüche ereignen sich 1845 und 1595. 1980 – Mount St. Helens, uSA: Im März 1980 erwachte der Mount Saint Helens aus seinem 123-jährigen Schlaf. Es gab immer wieder Erdbeben und kleinere Dampferuptionen, im Laufe der Zeit wuchs an der Nordflanke durch aufsteigendes Magma ein Lavadom heran. Am 18. Mai kam es um 8.32 Uhr aufgrund eines Erdbebens zu einem Flankenabrutsch an der Nordseite. Gleichzeitig wurde das angestaute Magma freigesetzt. Die Nordflanke und 400 Meter des Gipfels wurden dabei weggesprengt. In einem Umkreis von 400 Quadratkilometern wurde praktisch die gesamte Flora und Fauna zerstört. Man schätzt, dass der Vulkan mit einer Kraft von etwa 24 Megatonnen TNT – dem 1600-fachen der Hiroshima-Atombombe – explodierte. Beim Ausbruch starben 57 Menschen. 1977 – nyiragongo, Zaire: Am 10. Januar 1977 brach der als ungefährlich geltende Nyiragongo nach mehreren Jahrzehnten der Ruhe überraschend aus und tötete 2000 Menschen. 1973 – Eldfell, island: Am 23. Februar 1973 entstand auf der isländischen Insel Heimaey überraschend ein neuer Vulkan. Die rund 4000 Einwohner der gleichnamigen Stadt konnten sich retten, doch die Stadt selbst, die nur rund 400 Meter von der Ausbruchsstelle entfernt war, wurde zu beträchtlichen Teilen zerstört. 1963 – Gunung Agung, Bali: Beim Ausbruch des Gunung Agun am 17. März 1963 starben 1900 Menschen. Zwar erlosch die vulkanische Aktivität an der Oberfläche bald darauf, doch einige Regionen waren noch nach Wochen so erhitzt, dass man sie nicht betreten konnte. 1928 – Ätna, italien: Der Ausbruch des Ätna am 2. November 1928 war der stärkste des Vulkans seit 1669. Die Gefahr wurde aber rechtzeitig erkannt, die Menschen konnten evakuiert werden. 1902, Mt. pelé, Martinique: Am 8. Mai 1902 forderte der Mt. Pelé auf der Insel Martinique 28 000 Menschenleben, die Stadt Saint-Pierre wurde zerstört 1883, Krakatau, indonesien: Beim Ausbruch des Krakatau am 26./27. August 1883 wurden zwei Drittel der Vulkaninsel Krakatau weggesprengt. Offiziell gab es 36 417 Tote, hauptsächlich infolge der bis zu 40 Meter hohen Flutwellen. Es war einer der katastrophalsten Vulkanausbrüche in der Geschichte. Die atmosphärischen Schockwellen der Explosion wurden weltweit registriert. Die Aschewolken lösten einen vulkanischen Winter aus, die Temperatur auf der Erdoberfläche sank in den folgenden zwei Jahren spürbar. Quelle: wikipedia Die Politik 6 Juni/Juli 2010

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Pirmin Bischof, Nationalrat, Mitglied der Wirtschaftskommission

wenn uns DeR laDen uM Die ohRen flieGt

War es Zufall, dass ausgerechnet während der Euro­ und Finanzkrise ein isländischer Vulkan ausbrach und den Flugverkehr in halb Europa lahmlegte? Oder besteht da vielleicht ein innerer Zusammenhang? Tatsächlich nannten ja verschiedene Banken einen «FinanzTsunami», der über die Branche hereingebrochen sei, als Grund für die weltweite Finanzkrise. Ist die Finanzkrise gleichsam eine Naturkatastrophe? War es ein Naturereignis, dass weltweit Banken zusammenbrachen und von den Staaten gerettet werden mussten und dass sich in der Folge die Staaten verschuldeten und teilweise selbst an den Rand des Staatsbankrottes gerieten? Nein, die weltweite Finanzkrise war keine Naturkatastrophe. Im Gegensatz zu Vulkanausbrüchen und Erdbeben ist sie von Menschenhand verursacht worden. Und die Menschen haben es auch in der Hand, solche selbst verursachten Katastrophen künftig zu vermeiden. Oder besser gesagt: Sie hätten es in der Hand. Dazu wäre aber nötig, dass die Entscheidungsträger nach dem Fast-Kollaps mit aller Kraft und ohne Scheuklappen die Ursachen für die «Naturkatastrophe» suchen und beheben: – Der amerikanische Hypothekenmarkt ist durch Instrumente wie Verbriefungen zu einer gigantischen Blase aufgeplustert worden. Millionen von Anlegern und Pensionskassen hatten Milliarden-«Werte» in ihrem Vermögen, die eben keine Werte waren. Blasen gab es in der Geschichte immer, etwa die skurrile europaweite Spekulation mit holländischen Blumenzwiebeln im 17. Jahrhundert. Menschen sind offenbar bereit, in der Hoffnung auf grossen Gewinn praktisch jeden Unsinn zu glauben. Neu war aber, dass die «Profis» der Branche, die Banken, die Blase nach Kräften geschürt und damit Milliardengewinne erzielt haben, unterstützt von «neutralen», aber von den Verursachern bezahlten, sogenannten Rating-Agenturen, die dem Schrott echten Wert bescheinigten. Hier ist Handlungsbedarf! 6

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– Die Löhne und Boni vieler Manager gerade in Grossbanken richteten sich nach den erzielten Umsätzen, nicht aber nach den Risiken. Dahinter stand der Wunsch und die Gier einiger Spitzenmanager, «die grösste Bank der Welt zu werden». Grössenwahn, Hybris genannt, war im alten Griechenland eine Form der Gotteslästerung… So wurden (und werden teilweise!) Banker dafür belohnt, dass sie unkalkulierbare Risiken ihrer eigenen Bank in die Bücher und den eigenen Kunden in die Depots luden. Verantwortungsbewusstsein gegenüber den eigenen Aktionären und sogar den eigenen Kunden wurde geradezu bestraft. Hier besteht Handlungsbedarf! – Und schliesslich haben die Notenbanken das Geld weltweit so billig gemacht, dass es sich immer mehr lohnte, sich zu verschulden. Für Hausbesitzer, für Konsumenten, aber auch für Banken und sogar für Staaten. Sich hemmungslos zu verschulden war (und ist) billig. Warum soll ich es nicht tun? Die Frage, wer das bezahlen wird, ist irgendwie verstaubt und unmodern. Tatsache ist aber: Jeder Schuldenfranken muss jemand einmal bezahlen. Wenn nicht wir, dann unsere Kinder. Wir haben vergessen oder verdrängt, dass unsere Eltern und Grosseltern uns zum Sparen erzogen haben. Erinnern wir uns wieder daran. Auch hier besteht Handlungsbedarf! Nein, die Finanzkrise ist keine Naturkatastrophe. Wir Menschen haben es in der Hand, solche Krisen zu vermeiden. Und weil wir es in Händen haben, dürfen wir die Hände nicht in den Schoss legen. ■


Peter Niggli

VoM VulkanausBRuch leRnen? Dienstleistungen höhere Wertschöpfung erwarteten, könnten sich künftig gezwungen sehen, ihre Versorgungssicherheit wieder kleinräumiger zu konzipieren.

Dass ein Vulkanausbruch den Flugverkehr des europäischen Kontinents lahm legte und die halbe Weltwirtschaft beeinträchtigte, zeigte, wie verletzlich die hochvernetzte Weltwirtschaft ist. Dieselbe Lektion erteilen uns allerdings auch andere Ereignisse, die Wirtschaft und Politik beschäftigen. Beispiel peak oil und Erdölpreise. Als 2008 die Erdölpreise ihr Hoch von über 140 Dollar erreichten, begannen mehrere transnationale Unternehmen ihre langfristigen Investitionspläne zu überprüfen. Hatten sie bislang globale Wertschöpfungsketten ohne Rücksicht auf Transportdistanzen konzipiert, weil die Kosten kaum ins Gewicht fielen, rechneten sie nun für die Zukunft mit derart hohen Ölpreisen, dass eine Re-Regionalisierung der Wertschöpfung attraktiv erschien.

Peter niggli ist Geschäftsleiter von Alliance Sud, der entwicklungspolitischen Arbeitsgemeinschaft der Hilfswerke Swissaid, Fastenopfer, Brot für alle, Helvetas, Caritas und Heks. www.alliancesud.ch

Beispiel Ernährungssicherheit. Seit den achtziger Jahren galt, dass der Agrarwelthandel immer in der Lage sein würde, die Nahrungsbedürfnisse der Agrar-Nettoimporteure zu decken. Unter dieser Fahne wurde der freie Agrarwelthandel vorangetrieben. Seit kurzem haben Staaten und private Investoren den Glauben daran verloren. Sie kaufen Millionen Hektar Land – meistens im unterernährten Afrika – um künftige Nahrungsbedürfnisse zu decken. Besonders gefährdet fühlen sich Länder, welche dank Klimaerwärmung mit Wasserknappheit und Ertragsminderungen rechnen. Volkswirtschaften, die ihren Agrarsektor in der Vergangenheit vernachlässigten, weil sie von Industrie und

Beispiel Finanzmärkte. Dass sich europäische Banken zu Hauf im Handel mit amerikanischen Junk-Hypotheken beziehungsweise ihren Derivaten engagierten, machten erst die deregulierten globalisierten Finanzmärkte möglich. Das führte nicht zu mehr Stabilität, besserer Verteilung der Risiken und effizienterer Allokation des Kapitals, wie die Finanzliberalisierer versprachen, sondern zur grössten Finanzkrise seit achtzig Jahren. Die über 20 000 Milliarden Dollar, die seither dafür aufgewendet wurden, die Banken zu retten und die Weltwirtschaft vor dem Absturz zu bewahren, sind mit ein Grund, wieso wir heute am Anfang der zweiten Finanzkrise, der Staatsschuldenkrise, stehen. Es ist klar, dass stärker regulierte Finanzmärkte mit eingeschränkteren Möglichkeiten transnationalen Kapitalverkehrs die Weltwirtschaft stabiler machen würden. Bei all diesen Beispielen fällt der Unterschied zum Vulkanausbruch auf. Dieser war ein Naturereignis, dessen Wirkung niemand in Frage stellte. Und obwohl die Fluggesellschaften früh auf die Wiederaufnahme des Luftverkehrs drängten, hatten weder Touristen, noch Akteure der Weltwirtschaft Lust auszuprobieren, ob es sich vielleicht sicher durch die Aschenwolken fliegen liesse. Anders beim Erdöl, der Landwirtschaft oder den Finanzmärkten. Hier sind die Risiken menschengemacht und könnten, im Unterschied zum Vulkanausbruch, durch menschliches Handeln verändert werden. Doch gerade hier verteidigen Interessengruppen hartnäckig den Status quo und stellen die Risikoanalyse in Frage. Sicherer wäre es, wir würden uns hier wie beim Vulkanausbruch verhalten. ■ Die Politik 6 Juni/Juli 2010

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GOOD

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MAXINE MUSTER

Hanspeter Thür

Das inneRe nach aussen Ob Kundenkarten, Suchmaschinen, Videoüberwachung oder Google Street View – kaum ein Ort, kaum ein Moment, an dem wir keine Datenspuren hinterlassen. Spuren, die in ihrer Summe Aufschluss über unsere Persönlichkeit, unsere Interessen, unsere Wohnsituation oder familiären Verhältnisse geben. Wollen wir wirklich alles Innere nach Aussen kehren und die Privatsphäre nach und nach aufgeben? Und falls nicht, was können die Bürger, was kann die Politik zum Schutz derselben tun? Freundschaften pflegen, Banktransaktionen tätigen, Reisen buchen oder über ein spannendes Thema diskutieren – für diese und unzählige weitere Tätigkeiten stehen im Web allerlei Dienstleistungen zur Verfügung, und das häufig kostenlos. Dennoch bezahlen die Nutzer, und zwar in Form von Personendaten. Sie hinterlassen Namen, Adressen und Fotos und 8

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geben Auskunft über ihre Interessen, ihre politische Haltung und vieles mehr. Ausserdem erfahren die Anbieter und ihre Partner unseren Standort sowie Zeitpunkt und Dauer unseres Besuchs oder welche Seite wir zuvor angesurft haben. Sie sehen auch für welche Inhalte wir uns interessieren. Internetgiganten wie Google, Facebook oder Yahoo sammeln all diese


MissiNg LiNk Informationen, werten sie aus und stellen sie ihren Werbepartnern gegen teures Geld zur Verfügung. Mit dem ganzen Wissen können sie die Nutzer gezielt mit auf sie zugeschnittenen Produkten und Dienstleistungen bewerben.

Der gläserne user Aufgrund der rasanten technischen Entwicklung können Daten immer effizienter ausgewertet und zu äusserst aussagekräftigen Profilen verdichtet werden. Auch die Verknüpfung von Informationen wird immer einfacher: Bald schon kann im Internet anhand von Fotos nach Personen gesucht werden, wobei eine Software Gesichter abgleicht und bei erfolgreicher Suche mit den entsprechenden Daten verknüpft. Gefallen an dieser Informationsdichte finden nicht nur Marketing- und Werbeabteilungen, sondern auch Geheimdienste oder Personen mit krimineller Energie. So existieren in der Unterwelt des Netzes regelrechte Datenbörsen, auf denen Kreditkarten, Passwörter oder Bot-Netze (mit Schadprogrammen infizierte Computer) an den Mann gebracht werden. Je mehr wir von uns preisgeben, umso grösser sind auch die potentiellen Gefahren, umso transparenter werden wir. Abhilfe gegen diese Entwicklung kann zum einen der Nutzer selber leisten: indem er mit Pseudonymen surft, die Datenschutzbestimmungen der AGB liest und seine Daten vor den Zugriffen Fremder schützt. Gefordert ist nicht zuletzt aber auch die Politik: etwa, indem sie Anbieter von Internet-Dienstleistungen per Gesetz dazu verpflichtet, einen grösstmöglichen Schutz der Privatsphäre zu garantieren. Bei sozialen Netzwerken wie Facebook oder MySpace ist zurzeit genau das Gegenteil der Fall: Um möglichst viele Werbeeinnahmen zu generieren, zielen ihre Grundeinstellungen auf eine möglichst weitgehende Offenlegung von Personendaten ab. Nationalstaatliche Regelungen alleine werden allerdings nicht genügen, um die Daten der Bürger besser zu schützen. Dazu braucht es auch Lösungsansätze auf internationaler Ebene. ■

B

eispiel Alice Schwarzer. Kämpft gegen Genitalverstümmelung, Pädophilie, Steinigung, und für Bundeskanzlerin Merkel. Das kommt schlecht an. Rechte Frauen sind für manche keine richtigen Frauen. So darf man neuerdings über Merkels Aussehen Witze machen. War das nicht mal sexistisch?

Auch in der Schweiz haben die vormals Emanzipatorischen ein Problem: der Gegner wäre nicht mehr das bürgerliche Macho-Establishment, sondern pseudo-religiöse Fundis, die burkaverhangen im «Club» unter dem Siegel der Religionsfreiheit jeden Unsinn verkünden können. Aber da herrscht Beisshemmung: Georg Kreis, Präsident der Rassismuskommission, säuselt Verständnis: Frauen, die sich ihren Männern unterordnen und Zwangsehen seien zulässige kulturelle Varianten. Kein Grund, sich aufzuregen. Misshandlung Minderjähriger ist schrecklich, wenn sie hinter Klostermauern geschieht. Da sind wir uns einig. Vergewaltigung Minderjähriger ist ok, wenn man nachher tolle Filme dreht. Schuld ist das geltungssüchtige Mädchen selbst. So der Schweizer Regisseur Luc Bondy. Die selbsternannten Emanzipationspioniere haben ein Problem: ihre Parolen wenden sich jetzt gegen ihre eigene Kundschaft, die libertären Hedonisten. Wenn man konsequent bleibt, wie Alice Schwarzer, hat man es schwer. Dass sie trotzdem für ihre Ideale kämpft, spricht für sie. –Gerhard Pfister

hanspeter thür ist eidgenössischer Datenschutzbeauftragter. Die Politik 6 Juni/Juli 2010

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Rudolf Hofer, Bümpliz

laVastRÖMe Des initiatiVius

Viele Politiker betrachten die Volks­ initiative ähnlich, wie Anwohner ei­ nen Vulkan sehen. In der Tiefe – der Erde oder der Gesellschaft – spielen sich geheimnisvolle Prozesse ab. Es entsteht ein Überdruck. Hat man Glück, bleibt es beim Grollen und bei Rauch. Hat man Pech, wälzt sich die Lava verheerend über das Kulturland.

muTTer aller iniTiaTiven Die erste Initiative für eine partielle Verfassungsrevision wurde 1880 eingereicht, bevor dieses Instrument in der Verfassung überhaupt vorgesehen war. Der linksfreisinnige «Schweizerische Volksverein» verlangte die Änderung nur eines Artikels der Bundesverfassung, um das Banknotenmonopol des Bundes einzuführen. Der Bundesrat schlug vor, die Initiative als Begehren auf Totalrevision zu behandeln. Die Frustration der Initianten war gross. Mit mehr Begeisterung als Begabung für eine bilderreiche Sprache bezeichnete der Sprecher der Kommissionsminderheit die damalige Regelung des Initiativrechts als «ein Messer ohne Klinge, dem das Heft fehlt.» Die Bundesversammlung stimmte jedoch dem Bundesrat zu. Die so umformulierte Volksinitiative wurde abgelehnt. Das Thema der Initiative auf Partialrevision verschwand aber nicht mehr aus der öffentlichen und parlamentarischen Diskussion, bis 1891 diese Initiativform eingeführt wurde.

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Die Väter der Bundesverfassung von 1848 sahen den «Initiativius» als Ersatz für den Vulkan «Revolution». Bei unüberwindbaren Spannungen zwischen den Machteliten und dem Volk, sollten 50 000 Bürger eine Totalrevision der Verfassung durch ein neugewähltes Parlament verlangen können. An der Urne und nicht im Gefecht sollte die Staatsordnung geändert werden. Noch 1890 bezeichnete der Bundesrat die Totalrevision durch Volksinitiative – statt durch Parlamentsbeschluss – als «ausserordentliches Verfahren». Erst mit der Einführung der Initiative auf Teilrevision im Jahre 1891 wurden Volksinitiativen zum häufig verwendeten politischen Instrument.

Wenn die lava fliesst Man kann mit Initiativen Ideen in die Diskussion bringen, Wahlkampf machen oder Druck ausüben, damit das Parlament einen Gegenvorschlag macht. Gedacht ist die Initiative aber im Kern als Instrument der Verfassungsänderung allein durch das Volk, bei der das Parlament nur empfehlen und vorschlagen, aber nicht mitentscheiden kann. Da rollt die glühende Lava über die Hänge und verändert die Landschaft. Seit 1891 wurde über 172 Initiativen abgestimmt. 17 davon wurden angenommen. Bei einem Instrument des Souveräns gegen das Parlament mag es verblüffend erscheinen, dass das Parlament in fünf Fällen die Annahme der Initiative empfahl. Zweimal ging es um das Umstossen früherer Volksentscheide, wozu man einen Anstoss aus dem Volk wollte. Beim 1. August wollte man der extremen Rechten keinen billigen Triumph schenken.

Wo fliesst die lava hin? Die nebenstehende Tabelle «Angenommene Volksinitiativen» zeigt die Themenbereiche, in denen Volksinitiativen Erfolg hatten. Drei Initiativen bezogen sich auf die Staatsordnung. Mit dem Staatsvertragsreferendum und der Unterstellung dringlicher Bundesbeschlüsse unter das Referendum, wurde das Machtgleichgewicht erheblich vom Parlament zum Volk verschoben. Die Proporzwahl des Nationalrates beendete die freisinnige


Vorherrschaft im Bund. Hier wurden Dinge durchgesetzt, dem die damaligen Parlamente nie zugestimmt hätten. Auffallend sind die vier erfolgreichen Initiativen mit Umweltschutzthemen in den Jahren 1987 bis 2005. Sie dürften die Politik des Parlaments wesentlich beeinflusst haben. Fünf weitere Initiativen befassten sich mit inakzeptablem Verhalten vom extremen Alkoholismus (Absinthinitiative) bis zur Kriminalität. Wo das Parlament mit drastischen Massnahmen zögert, setzt das Volk solche selber durch. Bemerkenswert ist, dass sich unter den angenommenen Initiativen keine mit wichtigen wirtschafts- oder sozialpolitischen Zielen finden. Die Preisüberwachungsinitiative geht in diese Richtung. Initiativen zu zentralen Themen wie Konjunkturpolitik, Arbeitszeit oder Sozialversicherungen scheiterten aber regelmässig.

nachhaltige Wirkung? Nachhaltige Wirkung zeigten die Initiativen zur Staatsordnung. Sie veränderten die politische Kultur der Schweiz. Die Initiativen für ein AKW- und ein Gentechmoratorium waren in sich zeitlich beschränkt. Absinth- und Spielbankenverbot sind inzwischen aufgehoben. Andere Initiativen hatten materiell eine kleine Wirkung. Der 1. August wird ein Feiertag bleiben, aber ist das wirklich weltbewegend? Eine Serie erfolgreicher Initiativen kann, wie dies in der Umweltpolitik geschah, zu einer Änderung der Politik des Parlaments führen. Ähnliches ist heute im Bereich des Strafrechts denkbar. Die Ausbrüche des Initiativius sind selten. Die erkalteten Lavaströme erodieren teilweise. Vom Absinthverbot ist nichts mehr zu sehen. Andere Veränderungen werden zu Teilen der politischen Landschaft. Das mahnt zur Vorsicht, wenn nach einer angenommenen Initiative gleich von einer Katastrophe die Rede ist und Einschränkungen des Initiativrechts gefordert werden. ■

sicherheiTsvenTil Hat die Volksinitiative wirklich jene Ventilfunktion entwickelt, welche ihre Väter vorsahen? Zumindest im Fall des Landesstreiks von 1918 (siehe Bild oben) scheint dies ziemlich klar der Fall zu sein. Im Oktober 1918 wurde durch Volksinitiative die Proporzwahl des Nationalrates eingeführt. Dies dürfte es Sozialdemokraten und Gewerkschaften erleichtert haben, den Landesstreik abzubrechen, auch wenn dies weit herum als Niederlage betrachtet wurde. Die Linke wusste, dass sie in der institutionalisierten Politik bald mit besseren Karten mitspielen konnte.

Angenommene Volksinitiativen Jahr 1893 1908 1918 1920 1921 1928 1949 1982 1987 1990 1993 1994 2002 2004 2005 2008 2010

thema Schächtverbot 1 Absinthverbot 2 Nationalratsproporz 3 Spielbankenverbot 2 Staatsvertragsreferendum 3 Lockerung Spielbankenverbot 4 Referendum dringl. Bundesbeschlüse 3 Preisüberwachung Schutz der Moore 5 AKW-Moratorium 5 1. August als Feiertag Alpenschutz (Transitverkehr) 5 UNO-Beitritt 4 Verwahrung 2 Gentechmoratorium 5 Unverjährbarkeit Sexualdelikte 2 Minarettverbot 1

Parlament N J N N J J N N N N J N J N N N N

Minderheiten Moral 3 Umweltschutz 4 Staatsordnung 5 Rückgängigmachung von Volksentscheiden

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Viola Amherd, Nationalrätin

entfesselte JuGenD

«Die Jugend liebt heute den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt mehr vor älteren Leuten und diskutiert, wo sie arbeiten sollte.» Dieses Sokrates zugeschriebene Zitat zeigt, dass die Sorge der Erwachsenen über die verwahrloste Jugend schon seit mindestens 2500 Jahren existiert. Und wie sieht es heute aus? Laut Bundesamt für Statistik werden immer mehr Jugendliche kriminell, die Anzahl der verurteilten Minderjährigen steigt stetig. In den Medien überschlagen sich Meldungen von gewalttätigen Jugendlichen, sei es in der Schule oder im öffentlichen Raum.

Eine Sache der Wahrnehmung? Die steigende Zahl von verurteilten Jugendlichen kann verschiedene Gründe haben. Es kann sein, dass Jugendliche tatsächlich gewalttätiger sind; es ist aber auch möglich, dass unsere Gesellschaft sensibler auf Gewalt reagiert, dass die Medien sensationsgieriger geworden sind und dass wir schneller zur Strafanzeige schreiten. W. Kassis, Co-Leiter eines interdisziplinären Forschungsprojektes zur Jugendgewalt an der Universität Basel (www.unibas.ch/violence) bestätigt, dass die Verurteilungen Jugendlicher zugenommen haben. Seiner Meinung nach ist dafür aber nicht das vermehrte Auftreten von Übergriffen verantwortlich, sondern eine veränderte Wahrnehmung der Gewalt. Diese Meinung sieht er darin bestätigt, dass ältere Lehrpersonen weniger Gewalttätigkeiten an Schulen feststellen als jüngere, deren Wahrnehmung für das Phänomen geschärft ist. Weder panikmache noch Bagatellisierung Wie auch immer: Panikmache wegen Jugendgewalt ist ebenso abzulehnen, wie deren Bagatellisierung. Was es braucht, ist ein pragmatisches Vorgehen mit gesundem Menschenverstand. 12

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Dabei ist so früh wie möglich anzusetzen. Das heisst: zu einem Zeitpunkt, in dem gewalttätigen Übergriffen noch vorgebeugt werden kann. Sobald es zu einer Straftat kommt, muss rasch und konsequent reagiert werden. Schliesslich müssen Jugendlichen, die Gewalt ausgeübt haben, Wege zurück in die Gesellschaft aufgezeigt werden – und die Opfer von Gewalt dürfen nicht vergessen werden.

Gesamtstrategie Dies führt mich zur Forderung einer 4- Säulenpolitik zur Jugendgewalt mit Prävention, Repression, Ausstiegshilfen und Schutzmassnahmen. Kinder- und Jugendpolitik ist als Querschnittspolitik aufzufassen. Die Massnahmen und gesetzlichen Grundlagen müssen einer Gesamtstrategie folgen. Mit einem neu zu schaffenden Rahmengesetz kann dies erreicht werden. Die Kompetenz dazu muss in der Bundesverfassung zwingend festgelegt werden. nur kleiner teil der Jugend neigt zu Gewalttätigkeit Abschliessend bleibt festzuhalten, dass die Jugendlichen, die Negativschlagzeilen verursachen, einen kleinen Teil unserer Jugend ausmachen. Der weitaus grössere Teil stellt sich den Herausforderungen der heutigen Gesellschaft, übernimmt Verantwortung und beweist damit das Gegenteil des eingangs erwähnten Zitats, was im Hinblick auf die Zukunft unseres Landes beruhigend ist. ■


Reto Knutti

Die kohlenDioxiD-eRuPtion

Unglaubliche dreissig Milliarden Tonnen Koh­ lendioxid bläst er in die Luft. Nein, nicht der islän­ dische Vulkan Eyjafjallajö­ kull, sondern der Mensch, und zwar Jahr für Jahr. Viele betrachten dies inzwischen als Normalzu­ stand. Geologisch gesehen ist es jedoch eine gewaltige Eruption, ein Hammer­ schlag für das Klima. Die Menge Kohlendioxid (CO2) in der Luft ändert sich heute viel schneller, als dies sogar in den geologisch ab­ rupten Klimaübergängen von Eiszeiten zu Warmzei­ ten vor Hunderttausenden von Jahren der Fall war.

Die Folgen unseres Handelns sind nicht ausgeblieben. Die Temperaturen steigen, der Wasserkreislauf ändert sich, Extremereignisse häufen sich, der Meeresspiegel steigt, Meereis und Gletscher schmelzen. Die Folgen für Ökosysteme, Wasser, Ernährung, Gesundheit und Infrastruktur sind vielfältig, aber mehrheitlich negativ. Ohne Intervention zum Klimaschutz würden die Temperaturen bis Ende des Jahrhunderts um bis zu sechs Grad Celsius ansteigen. Wenn sie einmal auf diesem Niveau angelangt sind, dann wird der grösste Teil der Klimaänderung selbst bei massivsten Emissionsreduktionen über Jahrhunderte nicht verschwinden.

80 bis 95 prozent weniger Emissionen bis 2050? Die Forschung kann und darf nicht alleine bestimmen, welchen Weg wir in Zukunft einschlagen. Sie kann jedoch verschiedene Szenarien und ihre Konsequenzen aufzeigen. Eines ist das von der EU und der Schweiz angestrebte Ziel von höchstens 2 Grad globaler Erwärmung, über das man sich vor der Klimakonferenz in Kopenhagen einig war. Dafür müsste der CO2-Ausstoss bis 2050 (gegenüber 1990) weltweit mindestens halbiert werden. Für die industrialisierten Länder bedeutet dies eine Reduktion der Emissionen von 80 bis 95 Prozent. Dies bei geschätzter gleichzeitiger Verdreifachung des weltweiten Energiebedarfs. Die vorgeschlagenen CO2-Emissionsreduktionen aller Länder sind weit von diesen Vorgaben entfernt. Man ist sich also einig über das Ziel, aber nicht wie man dorthin kommt.

Keine einfache lösung Warum ist das Problem so komplex? Mögliche Antworten gibt es viele. Verschiedene Menschen haben unterschiedliche Wertvorstellungen. Es gibt auch keine einfache technische Lösung für das Problem, wie es beim Ozonloch zum Beispiel der Fall war. Eine Vielzahl von Massnahmen wäre nötig. Zudem ist es ein globales Problem, bei dem die Anstrengung jedes Einzelnen allen zu Gute kommt und egoistisches Denken nicht weit führt. Man kann es als Verteilungsproblem verstehen: die erlaubte Menge CO2 ist beschränkt, und wir müssen sie nicht nur unter den Ländern heute, sondern auch noch über das nächste Jahrhundert mit den folgenden Generationen teilen. Generationen, die noch gar nicht geboren sind und in den Verhandlungen keine Stimme haben. Sei es die Finanzkrise, die Ölpest im Golf von Mexiko oder das Klimaproblem; sie alle zeigen, dass eine sorgfältige, nachhaltige und langfristige Perspektive auf Kosten, Nutzen, Risiken und Werte nicht die Stärke unserer Gesellschaft und Wirtschaft ist. Aber es gibt offensichtlich gute Gründe dafür, dies zu überdenken. ■

Reto knutti ist Professor für Klimaphysik an der ETH Zürich. Die Politik 6 Juni/Juli 2010

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Gebhard Kirchgässner

Von DeR finanZ- ZuR wiRtschaftsunD ZuR schulDenkRise Während es seit längerem offensichtlich war, dass sich am amerikanischen Immobi­ lienmarkt eine Blase entwickelt, die irgendwann platzen und damit eine Finanzkrise auslösen würde, wurde weder erwartet, dass diese derartige Ausmasse annehmen würde, noch, dass sie eine Wirtschaftskrise diesen Umfangs nach sich ziehen würde. Selbst nach Beginn der Finanzkrise im Herbst 2007 und als deren Ausmasse im Jahr 2008 allmählich deutlich wurden, ging man allgemein noch davon aus, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen gering sein würden. So prognostizierte zum Beispiel die OECD noch im Juni 2008 für alle ihre Länder positive Wachstumsraten für die Jahre 2008 und 2009; die einzige Ausnahme war Island, für dessen Wirtschaft für das Jahr 2009 ein Rückgang um 0.4 Prozent vorausgesagt wurde. Nach ihrem neuesten, im vergangenen Monat erschienenen Bericht hatten im Jahr 2008 sechs der 30 betrachteten Länder negative Wachstumsraten, und im Jahr 2009 alle Länder bis auf Australien, Südkorea und Polen. Dabei sind die Wirtschaften der OECD-Länder im Jahr 2009 im Durchschnitt um 3.5 Prozent geschrumpft. Stärker konnte man sich kaum verschätzen.

Weshalb sah kaum jemand die Wirtschaftskrise kommen? Die Finanzkrise, wenn auch nicht in diesem Ausmass, wurde sehr wohl erwartet. Ein wesentlicher Grund dürften die Erfahrungen mit den früheren Finanzkrisen seit den neunziger Jahren sein. So hat zum Beispiel deren grösste, die im März 2000 ausgelöste Dot-Com-Krise, zwar zu drastischen Einbrüchen auf den Aktienmärkten geführt, aber die realen Auswirkungen waren doch eher begrenzt. Zudem hatten sie kaum nennenswerte Auswirkungen auf den Bankensektor. Ähnliches wurde auch im Jahr 2008 erwartet. So wurde zum Beispiel in der NZZ am Tag nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers noch positiv hervorgehoben, dass sich Staat und Notenbank selbst dann zurückgehalten haben, als diese Bank keinen Käufer fand, und sie damit in Konkurs gehen liessen, weil sich dies «längerfristig lohnen» würde. Hätte man damals schon die Auswirkungen geahnt, die sich daraus ergaben, hätte man dies vielleicht anders beurteilt. Schliesslich führte der Bankrott von Lehman Brothers über den Zusammenbruch des Interbankenmarktes zur stärksten weltweiten Wirtschaftskrise 14

Die Politik 6 Juni/Juli 2010

seit dem Ende des 2. Weltkriegs. Man hat hier vielleicht nicht die Selbstheilungskräfte der Märkte, auf die man sich zunächst verliess, über-, aber zumindest die negativen Konsequenzen, die damit verbunden sein können, massiv unterschätzt. Dahinter stand freilich auch ein massives Versagen der makroökonomischen Theorie, welches heute weitgehend anerkannt wird. Vor dieser Krise war man unter dem Stichwort der «great moderation» zumindest teilweise davon ausgegangen, dass das Problem der konjunkturellen Schwankungen im Wesentlichen der Vergangenheit angehört und sich – eine solide Geldpolitik vorausgesetzt – diskretionäre fiskalpolitische Massnahmen weitgehend erübrigen. Ein Indikator dafür ist, dass der Bundesrat im Jahr 2006 den Beschluss gefasst hatte, die in der Weltwirtschaftkrise der dreissiger Jahre ins Leben gerufene «Kommission für Konjunkturfragen» nach 75 Jahren aufzuheben, weil sie ihm nicht mehr erforderlich schien, was dann auf Ende 2007 auch geschah. Tatsächlich hatte ja die Varianz der Fluktuationen sowohl bezüglich der realen Wachstumsraten als auch bezüglich der Inflationsraten seit den achtziger Jahren deutlich abgenommen, und Konjunkturpolitik schien vielen nicht mehr erforderlich zu sein.

neue Bedeutung des Staates Dies hat sich in kürzester Zeit dramatisch geändert. Das Handeln des Staates hat in den vergangenen zwei Jahren Krise eine Bedeutung erlangt, die man ihm davor nicht mehr zugestanden hatte. Die theoretische Basis dieses Handelns war jedoch eher die traditionelle Makroökonomik, die bis in die siebziger Jahre dominiert hatte, als die «moderne», seit den achtziger Jahren herrschende Lehre. Eine zumindest teilweise Neuorientierung der makroökonomischen Theorie, indem beispielsweise die Existenz von Konjunkturzyklen und die Frage, wie man darauf sinnvoll reagieren kann, wieder ernster genommen werden, ist deshalb genauso erforderlich wie eine Neubewertung der Bedeutung des Staates für den Wirtschaftsablauf.


V E r B i n D l i c H

Die Schuldenkrise Heute scheint die Finanzkrise weitgehend überwunden und die Wirtschaftskrise im Abklingen. Dies kann jedoch ein Trugbild sein. Inzwischen sind wir in der dritten Dimension der Krise angekommen: der Schuldenkrise. Auch als Folge der Bewältigung der Wirtschaftskrise sind viele Staaten heute massiv überschuldet. Bei einigen ist es inzwischen so weit, dass sie Schwierigkeiten haben, sich über den Kapitalmarkt zu finanzieren. Wenn es nicht gelingt, hier dauerhafte Lösungen zu finden, die sicher nicht schmerzfrei sein werden, kann dies erneut zu einer Banken – und damit zu einem Rückfall in die Wirtschaftskrise führen. Das grosse Problem hierbei ist, dass jene Mittel, welche den Staaten in den beiden vergangenen Jahren zur Verfügung standen, nicht mehr vorhanden sind: Eine durch zu hohe Staatsschulden ausgelöste internationale Wirtschaftskrise kann nicht durch noch höhere Schulden bekämpft werden. Die erforderliche Sparpolitik kann andererseits die bestehende Krise zumindest kurzfristig noch verschärfen. Dazu kommt, dass das Problem des «too big to fail» grosser Banken nach wie vor nicht gelöst ist; weder national noch international sind hier bisher befriedigende Lösungen gefunden. Im Falle einer neuerlichen Bankenkrise wird der Staat (bzw. werden die Notenbanken) daher zwangsläufig wieder eingreifen müssen. Auch wenn die Schweiz heute bezüglich ihrer eigenen (geringen) Verschuldung fast als leuchtendes Vorbild dasteht und nichts zu befürchten hat, könnte es sein, dass sie auch in diese Krise mit hineingezogen wird. So wie die Schweiz im letzten Jahr erheblich von den Bemühungen des Auslands, insbesondere der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten, um Ankurbelung ihrer Wirtschaft profitiert hat, könnte sie in nächster Zeit durch Einbrüche, die dort als Folge der Schuldenkrise geschehen, in Mitleidenschaft gezogen werden. Dann werden wir wieder in der unangenehmen Situation sein, die Ursachen der Entwicklung zwar gut analysieren, aber von staatlicher Seite kaum etwas gegen ihre negativen Auswirkungen in der Schweiz unternehmen zu können. ■

I

ch bin eine Anhängerin des biologischen Gärtnerns und ökologischen Ackerbaus. Wer Boden kultiviert, soll ihn nicht gleichzeitig verseuchen. Diese Haltung bedingt Toleranz gegenüber Schädlingen. Doch manchmal kann ich mich der Auseinandersetzung nicht entziehen und bekämpfe beispielsweise den Dickmaulrüssler.

Der Dickmaulrüssler ist ein Käfer, der den Kirschlorbeer und die Rhododendren befällt. In deren Blattränder fräst er Löcher als verrichtete er Laubsägearbeiten. Seine Larven schlummern im Boden, oft in Blumentöpfen. Sie gleichen Engerlingen und haben einen schwarzen Kopf. Die Bekämpfung des Dickmaulrüsslers basiert auf der Überlegung, seinen Larven einen natürlichen Feind zuzuführen. Die Bioarmee kauft man in der Gärtnerei. Ihre Soldaten werden Nematoden genannt und befinden sich in einem Plastiksack. Man füllt einen Eimer mit zehn Litern Wasser, schüttet den Inhalt hinein und rührt das Ganze um. Das weckt die Kämpfer auf. Es sind kleine Fadenwürmer in der Länge von sieben Millimetern, fertig ausgebildet und einsatzfreudig. Dann teilt man sie auf in Bataillone. Immer zwei Liter Armee werden verdünnt mit acht Litern Wasser in die Spritzkanne geleert und unter den Büschen ausgegossen. Die Ökomilizler verschwinden in der Erde und richten dort während Tagen ein Massaker an. Die Opfer im Dickmaulrüsslerlarvenzustand sind wehrlos. Und kein Ton dringt an die Oberfläche. Man ist in der biologischen Gartenarbeit physisch schon sehr gefordert, aber was die biologisch-militärische betrifft, geht es auch an die Nerven… –Marianne Binder

Gebhard kirchgässner ist Professor für Volkswirtschaftslehre und Ökonometrie an der Universität St. Gallen. Die Politik 6 Juni/Juli 2010

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OrTsTermine Barbara Schmid­Federer, Nationalrätin

die eTh Zürich

bildungsgeschichtlicher höhepunkt der schweiz.

Die Stadt Zürich ist reich an einem der wichtigsten «Rohstoffe» unseres Landes: der Bildung. Paradebeispiel ist die ETH Zürich, deren Wert diesbezüglich wohl mit nichts anderem als einem Diamanten zu vergleichen ist. 1854 entschied der junge Bundesstaat Schweiz ein Rahmengesetz für die eidgenössische polytechnische Hochschule zu erstellen. Als Folge davon nahm die ETH Zürich 1855 ihren Betrieb auf, und die bereits bestehende Universität Zürich erhielt eine Schwesteruniversität. Die ETH ist heute das Flaggschiff der Schweizer Hochschulen und gehört zu den Top Five der europäischen Universitäten. In 16 Departementen studieren 15 000 Studierende aus 80 Ländern. 400 Professorinnen und Professoren unterrichten und forschen zurzeit in allen relevanten Fachgebieten. Die ETH reiht sich damit hervorragend in die Schweizer Bildungslandschaft ein: Diese zeichnet

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Die Politik 6 Juni/Juli 2010

sich bekanntlich nicht nur durch Spitzenuniversitäten wie die ETH aus, sondern auch durch eine hochstehende Berufsausbildung mit praktischer Lehre, sowie durch Berufs- und Fachhochschulen. Ihr Wissen in die Wirtschaft und die Gesellschaft zu transferieren, ist eines der Hauptanliegen der ETH Zürich. Sie tut dies mit Erfolg: Seit 1996 sind über 200 Spin-off-Firmen aus der Hochschule hervorgegangen. Die ETH als Hochschule des Bundes prägt nun seit mehr als 150 Jahren das Leben Zürichs. Die Stadt Zürich profitiert von der Hochschule und die Hochschule von Zürich. Wer hier studiert, hat Zugang zu einem äusserst vielfältigen kulturellen und gesellschaftlichen Angebot in wunderschöner Umgebung. Wo Albert Einstein sein Wissen aufbaute, studieren heute die Einsteins der Zukunft. Oder man könnte angesichts der 155-jährigen Erfolgsgeschichte der ETH auch sagen: Diamonds Are Forever. ■


Naheliegender wäre ja eigentlich Handball. Der homo sapiens unterscheidet sich bekanntlich von Elefanten, Igeln, Eseln und selbst vom Affen durch die einzigartige Fertigkeit seiner Hände. Selbst wer zwei linke hat, ist politisch und handwerklich jedem Nichtmenschen überlegen. Handball als Weltsportart Nr. 1 wäre also durchaus einleuchtend. Trotzdem ist dies nicht der Fall, von sportlichen Irrwegen wie Baseball, Cricket und Schweinewerfen wollen wir schon gar nicht reden. Fussball also – fast immer und überall die zweitschönste Nebensache der Welt. Schon manches kluge Haupt hat sich über die Frage gebeugt, woran das liegen mag. Ungefähres Fazit: Fussball kommt mit wenig aus (eine Büchse reicht), die Regeln sind einfach (einmal abgesehen vom passiven Abseits) und es bietet ein zivilisatorisch vernünftiges Mass an Aggressionsabbau (falls Toni Schumacher nicht gerade seinen Strafraum verteidigt). Doch reichen solche vornehmlich rationalen Erklärungen? Oder sind massgebliche Ursachen eher in tieferliegenden Schichten der

treten? Eben. Genau das ist es. Der Kick der ewigen Jugend. Dagegen sind Schönheitschirurgen nicht ihr eigenes Trostpflaster wert.

menschlichen Existenz zu suchen? In einer Zeit, da Freud seine neurobiologisch basierte Wiederauferstehung feiert, darf ruhig auch einmal möglichen Ansätzen im Souterrain des Unbewussten mit der nötigen Gründlichkeit nachgegangen werden. Wir wagen deren drei. Ansatz 1: Fussball ist ewige Jugend. Jugend ist, wenn man rausgehen und ohne weitere Umschweife loslegen kann. Am intensivsten erlebbar zwischen circa dem sechsten und sechzehnten Altersjahr, beim «Tschuten». Raus und los und draufhauen. Hunderttausendmal einen Freistoss à la Platini üben, links und rechts und Innen- und Voll- und Aussenrist, das himmlische Gefühl eines Torerfolges auskosten, mit Freunden kämpfen, siegen, fallen, wieder aufstehen. In Staub, Dreck und unter Schmerzen. All das und noch viel mehr schenkt sich einem in der emotional wohl aufnahmefähigsten Phase unseres irdischen Daseins. Tief prägt sich ein, was Jahrzehnte später reflexartig reaktiviert wird. Kennen Sie die alten Männer, die partout nicht an einem Ball vorbeigehen können, ohne ihn zu

WAruM

FuSSBAll?

Schönen zu geniessen. Und wenn doch mit, dann sublimiert sich der kümmerliche Rest dessen, was selbst von Reto Wehrli Gleichstellungskommmissionen FC Nationalrat unter dem Gütesiegel «erlaubterweise Ansatz 2: Fussball ist die Versöhnung männlich» durchlassen, darin, dass der mit der eigenen Unfähigkeit. Nur wenige Liebe seiner Lieben mit Gönnerstimme, beherrschen es ja wirklich. Aber alle, die einmal Kennerblick und ohne Luft zu holen irgendwelche einen halbwegs gelungenen Effet zustandegebracht haben, Selbstverständlichkeiten aus dem Regelwerk des Fussballs zum fühlen so ein bisschen Messi, Zidane oder Barnetta in sich. Die Besten geben kann. Eingelullt von so viel Nettigkeit gehen daNamen mögen wechseln, das Erlebnis bleibt aber generationenfür Sätze wie: «Noch ein Bier, Chäfer», so glatt durch, wie man übergreifend gleich. Endlich ein Traum, der nicht nur im es seit Alice Schwarzer nicht mehr für möglich gehalten hätte. Dunkeln geträumt, sondern in aller Öffentlichkeit ausgekostet (Ohne «Bitte», wie sicherlich sofort bemerkt.) werden darf. Vorbehaltlos sein eigener Augenzucker sein. Wer eine Nr. 10 auf seinem Rücken weiss, kann ungestraft Zico Fussball ist einfach schön. Ohne ihn wäre die Menschheit nicht, spielen – und erntet dabei noch gebührende Anerkennung. was sie ist. Das mag zwar kein absoluter Qualitätsbeweis ein. Aber wer wollte sich das Paradies nicht mit dem täglichen Ansatz 3: Fussball ist etwas, das schöner ist, wenn Frauen Cordon Bleu, einem kühlen Kistchen Einsiedler Lager und der nicht mitmachen. Zugegeben: Alles lebte sich schlechter, wenn Zusammenfassung der letzten zwölf Weltmeisterschaften die Frauen nicht dabei wären. Anders einzig beim Fussball. Es (Kommentar: Gerd Rubenbauer) vorstellen. Schade, hat Eva ist nachgerade ein Muss, Fussball unter Ausschluss unserer das nicht richtig verstanden. •

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«Das Wunder von Bern 2010»: Unser Für Wirtschaft, Arbeitsplätze, Familien, Sozialwerke und Umwelt.

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Die Politik 6 Juni/Juli 2010


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Bundespräsidentin und Volkswirtschaftsministerin

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Politik, fussBall unD Fragen von Nationalrat Norbert Hochreutener an Ottmar Hitzfeld

alex fRei Ottmar Hitzfeld, was kann die Politik vom Fussball lernen? Vor allem den Umgang mit der Situation, ständig auf dem Prüfstand zu sein und permanent Ergebnisse abliefern zu müssen. Natürlich wird im Fussball auch der Umgang mit Erfolgen und Rückschlägen geschult, die Integration in ein Team, das Einbringen, aber auch das Zurückhalten eigener Stärken oder Qualitäten zum Wohl der Gruppe, des Teams. Wichtig ist, dass der Blick stets zielorientiert nach vorne gerichtet ist. Und da sind wir schon beim Thema, dass man sich dauernd bewähren und mit Leistung bestätigen muss. Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Fussball, Politik und Wirtschaft – insbesondere in Bezug auf die Führung? In allen Bereichen gelten die gleichen oder sehr ähnlichen Kriterien. Jedoch: Wie im nicht rein beruflichen Leben haben auch in Bezug auf Führungs- oder Instruktionskompetenz Werte wie Ehrlichkeit, Respekt, Gemeinschaftsfähigkeit oder ganz lapidar Teamwork, eine sehr wichtige Bedeutung. Das kann auf Führungsebene zu schweren Personalentscheidungen führen, im Vordergrund sollte aber nicht der Einzelne stehen, sondern das Team. Für die WM-Endrunde in Südafrika sind zum Beispiel nicht die individuell besten Spieler nominiert worden, sondern jene, von denen ich überzeugt bin, dass sie am besten zusammenpassen, möglichst gut harmonieren und das grösste Erfolgspotenzial als Schweizer Team haben. Wie sehen Ihre Ziele für die WM in Südafrika aus? Wir wollen die Gruppenphase überstehen und die Achtelfinals erreichen. Das ist das primäre Ziel, auf das wir uns voll konzentrieren. Wenn wir diese Etappe geschafft haben, können wir weitere Ziele formulieren. Das erste Spiel findet ausgerechnet gegen das starke Spanien statt… In einem Spiel ist immer alles möglich. Wir werden alles dafür tun, damit wir das Unerwartete schaffen. 20

Die Politik 6 Juni/Juli 2010

Wie schätzen Sie die Schweizer Gruppengegner ein? Spanien ist der grosse Favorit auf den WM-Titel. Spanien hat ein Jahrhundertmittelfeld, hat enorm viele enorm gute Einzelspieler, die auch als Team herausragend sind. Genau darum ist die Erwartung hoch, der Druck gross – und Spanien im Startspiel vielleicht auch etwas nervös. Chile ist in der Weltrangliste vor uns klassiert, aber das ist Griechenland auch, und in der WM-Qualifikation haben wir zweimal gewonnen. Chile ist auf Augenhöhe mit uns, in Reichweite der Schweiz. Aber wir müssen sehr gut sein, um gegen diese technisch und physisch starken Fussballer zu bestehen. Honduras ist ebenfalls spielstark, vielleicht ein bisschen weniger gut organisiert als Chile und vielleicht etwas schneller zu beunruhigen. Einfach wird das aber nicht, wir werden sehr hart arbeiten müssen. Die Schweiz ist nie Favoritin an einem Turnier. Die Qualifikation ist für ein relativ kleines Fussball-Land schon ein grosser Erfolg. Damit wollen wir uns aber nicht zufrieden geben, wir reisen nicht nach Südafrika, nur um mitspielen zu können. Wir wollen zumindest zum Favoritenschreck werden. Alex Frei ist der Kapitän der Mannschaft. Welche Rolle spielen solche Führungspersönlichkeiten? Er ist mein verlängerter Arm auf dem Spielfeld. Insofern hat er eine Führungsrolle. Zu ihm als Spieler möchte ich sagen: Natürlich ist er sehr torgefährlich, der beste Schweizer Stürmer aller Zeiten. Doch sein Sturmpartner Blaise Nkufo hat in der Qualifikation zur WM nicht weniger oft getroffen. Ihr Tipp – wer wird Weltmeister? Spanien ist der grosse Favorit, Brasilien ist immer ein heisser Kandidat auf den Titel. Zum Kreis der Anwärter, aber mit Abstand zu Spanien und Brasilien, zähle ich noch Argentinien, England, Holland und Deutschland. •


COLONNE LiBRE

Warum ich Fussball nicht mag

Grincheux Durant mes études, je me déplaçais tou­ jours en vélo ou en train. Mon diplôme d’ingénieur en poche, je me suis mis à la re­ cherche de mon premier emploi. Pas facile! Et sur toutes les offres qui correspondaient à mon profil, il était précisé: permis de con­ duire exigé. Je n’avais pas le choix. Je suis allé chercher une attestation au contrôle des habitants (15 fr.) avant de passer chez l’oculiste (20 fr.). Ensuite, j’ai suivi les cours de premiers secours (160 fr.). La première étape était franchie et je pouvais passer aux choses sérieuses. Après plusieurs soirées passées devant mon ordinateur à étudier le code de la route, j’ai réussi l’examen théo­ rique (40 fr.). Puis, je me suis rendu aux cours de sensibilisation (200 fr.) et j’ai de­ mandé mon permis provisoire (200 fr.). Enfin, je pouvais commencer l’auto­école (85 fr. les 50 minutes). Après une quinzaine d’heures, j’étais prêt pour l’examen pra­ tique (130 fr.). J’avais déjà dépensé plus de 2000 francs et toutes mes petites économies avaient fondu. Et moi qui croyais être enfin arrivé au terme de ce vrai parcours du com­ battant. Et bien non! Je dois encore suivre deux journées de formation (700 fr.) avant de recevoir mon permis définitif. J’allais oublier de vous dire que pour obtenir le précieux sésame je devrai encore débourser 45 francs! Entre temps, le poste qui m’in­ téressait a été repourvu…

Meine ersten Erfahrungen mit Fussball waren desaströs. Wir spielten im Hof des Gymnasiums. Einer, der kürzlich einem Fussballspiel beigewohnt hatte, schlug uns vor, es seinen Vorbildern gleichzutun. Mit Hilfe unserer Schulmappen bildeten wir zwei Tore. Was folgte, war eine Prügelei… Ich schoss das erste Tor und war sehr stolz, bis mich ein Mitspieler darauf aufmerksam machte, dass ich den Ball ins Tor des eigenen Teams gelenkt hatte. Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass ich Teil einer Mannschaft war. Zwei Lager standen sich gegenüber. Die einen behaupteten, das Tor zähle, sei ja nicht ihr Problem, wenn Neirynck nicht merke, worum es hier ginge, die anderen plädierten auf Ungültigkeit, weil Neirynck ein Idiot sei. Schläge wurden ausgetauscht bis der Priester, der Pausenaufsicht hatte, einschritt. Er erkundigte sich nach dem Schuldigen. Alle einigten sich auf mich. Das brachte mir einen Donnerstagnachmittag Arrest ein und ich schrieb zweihundert Mal: «Ich muss lernen sportlich zu sein.» Aus der ganzen Sache zog ich den Schluss, dass Fussball kein Sport, sondern ein Vorwand für Schlägereien ist, bei denen die Opfer die Unschuldigen sind. Am 29. Mai 1985 wurde meine Ansicht bestätigt. Zufälligerweise hielt ich mich gerade in Brüssel auf, als das Finale des Europa-Meisterpokals zwischen dem englischen FC Liverpool und dem italienischen Juventus Turin stattfand. Es gab 39 Tote, fast alles Italiener, und bereits vor Matchanpfiff 600 Verletzte. Nachdem die Leichen abtransportiert waren, wurde das Spiel durchgeführt. Die betrunkenen englischen Fans hatten gedroht, das Stadion auseinanderzunehmen, wenn es abgesagt würde. Danach benötigte man zehntausend Polizisten, um die Hooligans zur Grenze zu eskortieren. Meine Schwester nahm die Verletzten im Spital entgegen. Man spielt auch nach diesem Ereignis Fussball. Heute gibt es nicht nach jedem Match Tote. Das ist der Beweis, dass sich die Menschheit weiterentwickelt. –Jacques Neirynck

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Die Politik 6 Juni/Juli 2010


Lara Lundsgaard­Hansen

china hat afRika entDeckt In Millionenhöhe stellt China Afrika Kredite aus, exportiert dessen Rohstoffe, überflutet die afrikanischen Märkte mit Waren und baut die Infrastruktur aus. Um ihr eigenes Wirtschaftswachstum zu gewährleisten haben die Chinesen ein Interesse an afrikanischen Rohstoffen wie Holz, Kohle, Erdöl, Kupfer oder anderen Metallen. Die afrikanischen Entscheidungsträger gehen auf die Handelsverträge ein. Als Folge wird der afrikanische Markt mit chinesischen Waren überflutet.

Konfliktreiches Geschäft Auch wenn dieses Tauschgeschäft vorteilhaft erscheint, liegt darin Konfliktpotenzial verborgen. Aus afrikanischer Sicht bestehe das Problem vor allem darin, dass die Rohstoffe unverarbeitet und zu sehr niedrigen Preisen exportiert würden, argumentieren Wirtschaftsprofessoren an der Universität in Dar es Salaam, der grössten Handelsstadt Tansanias im Osten von Afrika. Die Wertschöpfung vollziehe sich nicht in den Herkunftsländern, sondern in Kanada, Australien, China, Europa, Südafrika; eben dort, wo die Rohstoffe verarbeitet und verwendet würden. Fazit: Die Herkunftsländer profitieren kaum. Zudem verlieren viele einheimische Kleinunternehmer durch die Flutung afrikanischer Märkte mit billigerer chinesischer Ware ihre Existenzgrundlage. Europäische Länder kritisieren am chinesischen Engagement in Afrika, dass sich dieses nicht scheue auch mit korrupten und

gewaltbereiten Diktaturen Handel zu treiben, wie dies zum Beispiel im Sudan der Fall sei.

Auch eine chance Doch durch das chinesische Engagement tut sich auch eine Chance auf. Mit China als starkem Handelspartner haben viele afrikanische Länder erstmals eine Möglichkeit, Teil des Welthandels und in internationalen Verhandlungen gehört zu werden. Die chinesische Regierung lässt in Afrika Strassen, Brücken, Spitäler, Schulen bauen und stellt den afrikanischen Ländern Kredite mit niedrigen Zinsen und langer Rückzahlungsfrist aus, was die wirtschaftliche Entwicklung fördert. In der UNO und anderen internationalen Gremien vertritt China regelmässig afrikanische Interessen. Afrika wird im Weltgeschehen an Bedeutung gewinnen, China hat es erkannt. Wie sieht es mit Europa aus? ■

lara lundsgaard-hansen studiert am Geographischen Institut in Bern, arbeitet neben dem Studium am Centre for Development and Environment (CDE) der Universität Bern. Ihre Masterarbeit widmete sie dem chinesischen Engagement in Tansania, wofür sie für ihre Forschungen nach Dar es Salaam reiste.

Die Politik 6 Juni/Juli 2010

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Andreas Auer

konkoRDanZ ist ZentRal, aBeR nicht ÜBeRall In der schweizerischen Bundesverfassung sucht man vergeblich nach dem Ausdruck «Konkordanz». Und doch zieht sich diese wie ein roter Faden durch die gesamte Verfassungsstruktur. In der Präambel ist die Rede von «gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung der Vielfalt», der Zweckartikel erwähnt den «inneren Zusammenhalt» (BV 2), es wird festgehalten, dass sich Bund und Kantone «Rücksicht und Beistand schulden» und ihre Streitigkeiten «durch Verhandlung oder Vermittlung beilegen» (BV44), dass die Kantone an der Willensbildung des Bundes mitwirken (BV 45) und Bundesrecht umsetzen (BV 46); es gibt vier Landessprachen (BV 4) und dreieinhalb Amtssprachen (BV 70), ein Strauss von Grundrechten (BV 7–34), weit ausgebaute Volksrechte (BV 138–142), ein institutionalisiertes Vernehmlassungsverfahren (BV147), Proporzwahl des Nationalrates (BV 149), ein vollkommenes Zweikammersystem (BV 156), eine kollegiale Regierung (BV 177), gegenseitige Unabhängigkeit von Legislative und Exekutive und ein unabhängiges Bundesgericht (BV 188), das allerdings an die Bundesgesetze gebunden ist (BV 190).

Mehr als eine Zauberformel Konkordanz beschränkt sich also keineswegs auf die parteipolitische Zusammensetzung des Bundesrates, im Sinne der vielzitierten «Zauberformel», nach welcher seit gut fünfzig Jahren die grossen Parteien die sieben Regierungssitze unter sich aufteilen. Sie steht für ein Verfassungssystem, in welchem Dialog und Rücksichtnahme im Vordergrund, Mehrheitsentscheid und Verantwortung im Hintergrund stehen. Ihren eigentlichen Ursprung findet die Konkordanz in der direkten Demokratie, die es dem Volk als höchstem Staatsorgan ermöglicht, die Regierenden weniger mit Wahlen als mit Sachabstimmungen in Schach zu halten. Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger haben das letzte Wort in allen Verfassungsfragen, können für die Behörden verbindliche Verfassungsrevisionen in Gang bringen und entscheiden selber, welche Gesetze dem Volk vorzulegen sind. Hingegen hat das Volk zur Zusammensetzung der Regierung nichts zu sagen: Der Bundesrat wird von der Bundesversammlung gewählt.

Nur weil der Bundesrat nicht vom Volk, sondern vom Parlament gewählt wird, konnte das Gesetzesreferendum während rund sechzig Jahren (von 1892 bis 1959) seine bekannte integrationsfördernde Funktion wahrnehmen, indem es sich den grösseren Parteien als Waffe anbot, deren Gebrauchsandrohung schon genügte, um die ursprüngliche parteipolitische Homogenität des Bundesrates zu sprengen und in Regierungsverantwortung eingebunden zu werden. Insofern ist die Zauberformel von 1959 tatsächlich ein Nebenprodukt der direkten Demokratie. Heute aber kann die Mehrparteienregierung kaum mehr mit der direkten Demokratie gerechtfertigt werden. Denn alle Regierungsparteien haben sich daran gewöhnt, sich der Referendumswaffe zu bedienen, wenn sie sich davon politische Vorteile erhoffen, und Volksinitiativen zu lancieren, um ein möglichst populäres Thema im Wahlkampf auszuschlachten. Die Zauberformel von 2010 hat nur mehr eine Existenzgrundlage und kommt zunehmend unter Beschuss: die Wahl des Bundesrates durch die Bundesversammlung. ■

nebenprodukt der Demokratie Die Mehrparteienregierung im Bund verdankt ihre Entstehung dem eigenartigen Zusammenspiel von Demokratiedefizit in Personalfragen und Demokratieüberschuss in Sachfragen. 24

Die Politik 6 Juni/Juli 2010

andreas auer ist Professor für öffentliches Recht an der Universität Zürich und Direktor des Zentrums für Demokratie in Aarau (ZDA).


Offizieller sorgenbarometer der credit suisse 2009

1.Arbeitslosigkeit/Jugendarbeitslosigkeit

2.Gesundheitsfragen/Krankenkassen/Prämien 3. AHV/Altersvorsorge

4. Sicherung der Sozialnetzwerke/Soziale Sicherheit 5. Finanz-/Bankenkrise (neu)

6. Wirtschaftskrise/Wirtschaftsentwicklung/Konjunktur 7. Persönliche Sicherheit/Kriminalität/Gewalt in Stadien 8. AusländerInnen/Integration/Personenfreizügigkeit 9. Neue Armut/Armut jüngerer Generationen 10. Flüchtlinge/Asyl 11.

Umweltschutz/Klimaerwärmung

12.

Löhne/Lohnschere

Verantwortung für die Energiezukunft gemeinsam übernehmen. Sie. Wir. Als Partner.

Wir ge Wir gest stal alte ten n die die Ener En ergi giez ezuk ukun unft ft der der Schw Sc hwei eiz. z. Zu Zusa samm mmen en mitt Ihn mi Ihnen en.. Al Alpi piq, q, Ih Ihrr Part Pa rtne nerr fü fürr En Ener ergi gie e und un dE Ene nerg rgie iese serv rvic ice. e. www.alpiq.com

Die Politik 6 Juni/Juli 2010

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Rasti Valach, stapferhaus Lenzburg

iM wÜRGeGRiff DeR Zeit Die Zeit – ständiger Begleiter, Beschleuniger, Bremser. Derweil versuchen wir mit dem heutigen Speed mitzuhalten, beschleunigen unser Leben, oder verweigern uns, halten inne, bleiben auf der Strecke. Wir können uns nicht von der Zeit lösen, sind immer in ihr. Panta rhei – alles fliesst. Alles hängt vom Zeitpunkt der Betrachtung ab. Zeitpunkt, wann bist du? «Zeit ist das, was die Uhr nie darstellen kann», sagte Lukas Bärfuss kürzlich in seiner «Lenzburger Rede zur Zeit». Da die Zeit ein Kontinuum ist, gebe es diesen vermeintlichen Zeitpunkt gar nicht. «Die wenigen Dinge, an die wir uns erinnern, nennen wir die Perlen unserer Biografie.» Dabei machen diese kurzen Höhepunkte unseres Daseins zusammengezählt einen lächerlichen Bruchteil unserer Existenz aus. Wie die Zeit, die wir zeitlebens für das Küssen aufbringen, im Vergleich zur Arbeitszeit. 336 Stunden gegenüber 77 000 – also 228 mal weniger… oder die neun Lebensjahre vor dem Fernseher. Was aber geschieht, wenn das eigene Leben auf einmal einer Entschleunigung ausgesetzt ist? Wie bremsen? Was tun, wenn die Pensionierung anklopft? Wenn «der Terror der chronischen Überforderung» uns mit eiserner Zange festhält? ExBankdirektor Roland Rasi rät, sich selbst bei hoher Geschwindigkeit «jederzeit bewusst zu sein, in welcher Höhe man fliegt und wie schnell man unterwegs ist.» Unabhängig vom Lebenstempo mit sich selber Schritt halten. Es liegt in der Natur der Menschen, dass Stillstand und Entschleunigung meist unvermittelt kommen. Dazu Anja Jardine in der Publikation 26

Die Politik 6 Juni/Juli 2010

«nonstop»: «All die Reize, die nicht in Handlung abgeführt werden können, führen zu Stress, zu ständiger Erregung und Wachsamkeit, die keine Ruhe mehr zulassen. Wir sind zu Aktivität verdammt.» Schmidbauer nennt es das Hai-Syndrom: «Der Hai ist der einzige Fisch, der mangels einer Schwimmblase im Wasser nicht stehen bleiben kann, sondern immer in Bewegung sein muss.» Die Ureinwohner Australiens warten nach einer langen Reise auf die Ankunft ihrer Seele, so sagt man. Innehalten und reflektieren. Wir schreiben unseren Stress meist einer Fremdbestimmheit zu, dabei sei er doch eigentlich hausgemacht, sagt Mark Saxer, Unternehmensberater und Praktizierender der Zen-Meditation. «Wenn Entschleunigung ein Thema wird, muss jeder bei sich selbst beginnen und sich fragen, warum nehme ich die Zeit immer als so stressig wahr?» Das Stapferhaus Lenzburg hat sich in den vergangenen 15 Monaten intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. «nonstop. Eine Ausstellung über die Geschwindigkeit des Lebens» zeigt, woher das hohe Tempo kommt und fragt nach Strategien im Umgang damit. Fragt nach dem eigenen Lebenstempo und lässt Zeitkultur-Experten formulieren, wohin die temporeiche Reise unsere Gesellschaft führt.


Die Ausstellung «nonstop» in Lenzburg läuft nur noch bis zum 27. Juni – die letzten dreissig Stunden rund um die Uhr – «nonstop» eben… ■ Weitere Infos zum Stapferhaus Lenzburg unter Die Politik 6 Juni/Juli 2010

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Ein Interview mit Franz Jaeger

Franz Jaeger, Sie standen der Einführung des Euros von Beginn weg kritisch gegenüber, haben ihn einst als «Schönwetterwährung» bezeichnet. Ihre Prophezeiungen haben sich inzwischen bewahrheitet… Die Währungsunion ist ein äusserst ambitiöses Projekt, das in der «Schönwetterperiode» zwischen 2000 bis 2009 gut funktioniert hat. Die globalen Schocks der Finanzkrise haben das ganze System aber aufbrechen lassen. Die konzeptionellen Konstruktionsfehler, die von Anfang an bestanden, sind nun in ihrer ganzen Brutalität zum Vorschein getreten. Es hat sich gezeigt, dass die südlichen Länder viel weniger wettbewerbsfähig sind und zum Teil – in Griechenland wurde dies in Extremstform praktiziert – weit über ihre Verhältnisse leben. Heute befindet sich der Euro in einem sehr prekären Zustand, die Währungsunion sitzt in der Schuldenfalle. Wo liegt die Grundproblematik der europäischen Währungsunion? Das Aufbau der «Konstruktion Euro» wurde völlig falsch angepackt. Das was alle anderen integrierten Währungsräume gemacht haben, nämlich zuerst eine gemeinsame Politik zu schaffen, wurde versäumt. Aus historischen Gründen wollte man mit der Einführung des Euros nicht warten, bis eine politische Union bestand. Man war ungeduldig und hat das Pferd vom Schwanz her aufgezäumt. Um eine Währungsunion nachhaltig überlebensfähig zu machen, ist eine politische Union als Basis aber unabdingbar. Nur so wäre Europa in der Lage gewesen in Krisensituationen als starke Einheit zu funktionieren. Mit einer politischen Union hätten die Schwierigkeiten, beispielsweise mit einem institutionalisierten Finanzausgleichsssystem, weitaus besser gehandhabt und das Auseinanderbrechen von Ländern und einzelnen Teilwirtschaftsräumen verhindert werden können. Wie wichtig eine gemeinsame Politik ist, zeigt sich am Beispiel der der USA und der Schweiz, die beide in der Lage sind, mit makroökonomischen Spannungen umzugehen. Gerade die USA ist allerdings weitaus weniger vielfältig als Europa. Ist der Euro letztlich an der Vielfalt seiner Mitgliedsstaaten gescheitert? Die 16 Euro-Mitgliedsstaaten unterscheiden sich hinsichtlich ihrem Staatsverständnis, ihrer Wirtschaftsstruktur, dem Wohlstandsniveau, der Kultur und Mentalität – gerade auch was 28

Die Politik 6 Juni/Juli 2010

Euro das Schulden machen betrifft – sehr stark. Und was sich heute immer mehr zeigt; auch hinsichtlich ihrem ökonomischen Potenzial, der Wachstumskraft und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Deshalb bestehen in den verschiedenen nationalen Wirtschaftsräumen völlig unterschiedliche wirtschaftspolitische Prioritäten. Diese Differenzen blieben unberücksichtigt. Stattdessen wurde die monetäre Stabilitätspolitik über einen Leisten geschlagen und die Länder einfach unter ein gemeinsames Währungsregime gestellt. Mit dem Resultat, dass der Traum vom Euro als eine Weltwährung nun für viele Jahre begraben werden muss. Hätte eine Einführung des Euros unter anderen Vorzeichen funktionieren können, oder ist Europa letztlich gar nicht für eine Währungsunion geeignet? Der Euro ist ein visionäres Projekt, das an sich einen grossen historischen Wert und die Integration in Europa weiter voran getrieben hat. Es ist klar, dass der Euro ökonomisch immense Vorteile bringt, gerade, was den Binnenmarkt angeht. Und er ist eine mögliche Konkurrenzwährung zum US-Dollar und Yen, der weiter an Bedeutung gewinnen wird. Die Idee Euro wäre an sich gut, deren Umsetzung aber falsch. Gerade das Beispiel Schweiz zeigt, dass ein Wechsel zu einem gemeinsamen System machbar ist, sofern gewisse Grundbedingungen erfüllt sind. Als die 24 Kantone 1798 von den kantonalen Währungen zum Schweizer Franken gewechselt haben, waren die Unterschiede enorm. Die Umsetzung war dennoch ein Erfolg. Ein integrierter Währungsraum muss Schritt für Schritt realisiert werden. Ist dies nicht der Fall, droht ein Debakel. Ist die europäische Gemeinschaftswährung am Ende? Ich bin überzeugt, dass der Euro gerettet werden kann, wenn unter den 16 Euro-Landmitgliedern der Wille da ist, gemeinsame Prioritäten zu schaffen. Es braucht strukturelle Änderungen in der Wirtschaftspolitik zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. In gewissen Ländern Südeuropas sind die Löhne im Vergleich zur Produktivität nach wie vor zu hoch. Die Löhne müssen dort nach unten angepasst werden. Das ist zwar schmerzhaft, aber unabdingbar. Die Gesundung des Euros ist ein schmerzhafter Prozess. Es braucht zudem eine Finanzpolitik, die Richtlinien unterstellt wird, die gemeinsam abgesprochen sind und strikte ein-


Honni soit...

sP – Ja?

AM gehalten werden. Der Stabilitätspakt muss vom rhetorischen Papiertiger zum knallharten Mechanismus umfunktioniert werden. Eine vernünftige Schuldenpolitik, also die Eliminierung von strukturellen Defiziten, muss absolute Priorität haben. Unter diesen Umständen wäre eine Netto-Verschuldung von Staaten gar nicht mehr möglich. Wie sehen Sie die Zukunft der Euro? Die Zukunft des Euros hängt wesentlich von der politischen Entwicklung ab. Sind die beiden vorhin genannten Voraussetzungen aber erfüllt – werden die Strukturreform in Europa gegen jeglichen politischen Widerstand durchgesetzt und die finanzpolitische Disziplin eingehalten – dann sehe ich für den Euro, nach einer langen Zeit des Darbens, Licht am Ende des Tunnels. Diese Phase wird sicher drei bis vier Jahre dauern. Findet dieser Prozess nicht statt, wird der Euro früher oder später sterben. ■ Interview: Lilly Toriola

EnDE?

Zentralaussage der SP Schweiz zum Zentralthema soziale Sicherheit: «Die SP will eine soziale Schweiz: Menschen, die aufgrund ihres Alters, ihres Gesundheitszustands, eines persönlichen Schicksalsschlags oder wegen wirtschaftlichen Umwälzungen vorübergehend oder dauerhaft nicht für ihr Einkommen aufkommen können, haben Anrecht auf soziale Sicherheit.» Ja, haben wir das denn nicht schon, angesichts von 10 Bundessozialversicherungssäulen, 140 Milliarden Franken Sozialstaat jährlich? Natürlich haben wir. Schliesslich ist das alles längstens in der Bundesverfassung verankert. Schicksal und Aufgabe der schweizerischen Sozialpolitik ist nicht mehr das Erschliessen neuer Betätigungsfelder. Sie muss sich bescheiden mit einem profanen Schrauben an Details, dem Bewältigen von Defiziten und der Sicherstellung der Nachhaltigkeit, sprich: der Finanzierbarkeit des Sozialstaates. Die grossen historischen Ziele der Sozialdemokratie sind also offensichtlich erreicht. Anders als häufig behauptet, hat sie nicht bloss programmatische Defizite. Vielmehr bleibt ihr – im historischen Massstab gesehen – einfach nichts mehr zu tun. Gegenentwurf jener Partei zu sein, die inzwischen die Grosszahl der ehemaligen SP-Wähler bindet, dürfte keinen längerfristigen Daseinsgrund bedeuten. In einem Worte: Die SP hat ihre historische Mission erfüllt. Darin gleicht sie übrigens unserer Partei. Das katholische Milieu – sofern überhaupt noch existent – ist erfolgreich integriert. Die künftige CVP wird stehen für: Subsidiarität, persönliche Solidarität, Leistungsgesellschaft, Erneuerbare Energien, Integration. Deshalb: Auf zur Neuen Mitte. Und Gruss an die FDP. –Reto Wehrli

franz Jaeger ist emeritierter Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität St. Gallen. Von 1989 bis 2007 amtierte er dort als Direktor des Forschungsinstitutes für Empirische Ökonomie und Wirtschaftspolitik, seit 2008 ist er Akademischer Direktor an der Executive School of Management, Technology and Law der Universität St. Gallen. Die Politik 6 Juni/Juli 2010

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Lilly Toriola

VErSicHErunGSWut Weltweit wird kaum irgendwo so viel Geld für Versicherungen ausgegeben, wie in der Schweiz. Jedes Jahr zahlen Schweizerinnen und Schweizer laut dem Schweizerischen Versicherungsverband (SVV) 6380 US­Dollar für Versiche­ rungsprämien. Das sind rund 2000 Euro mehr als der EU­Durchschnittswert. Übertroffen werden wir nur noch von Grossbritannien (6858 USD) und den Niederlanden (6849 USD).

Mittlerweile lässt sich fast alles versichern – sogar die Folgen eines Vulkanausbruchs (doch wer hätte in Europa schon mit einem solchen Ereignis wie dem Ausbruch des Eyjafjallajökull gerechnet). Seit kurzem gibt es beispielsweise eine Unfall- und Krankenversicherung für Hunde und Katzen. Und an der Lenk im Berner Oberland, können sich Touristen seit 2008 gegen Nebel versichern lassen. Verdeckt der Nebel um 11 Uhr vormittags immer noch die Sicht auf die Berge, erstattet die Versicherung die Kosten für das Hotelzimmer oder die Ferienwohnung zurück. Auch wenn die Schweizer, wenn es um Versicherungen geht, zu den Spitzenreitern gehören; in Sachen Kreativität bleibt die Amsterdamer Versicherungsgesellschaft «Sir Huckleberry Insurance Company» ungeschlagen. Das Unternehmen bezeichnet sich selbst als «Lausbube unter den Versicherungsgesellschaften». Tatsächlich gibt es fast nichts, was die «Sir Huckleberry Insurance Company» nicht versichern würde.

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Die Politik 6 Juni/Juli 2010

– Von Ausserirdischen entführt? Für einen Jahresbeitrag von gerade mal 12 Euro erhält man bei einer Entführung durch Aliens eine Wiedergutmachung in der Höhe von 5000 Euro. Allerdings nur, wenn der Versicherte das Kidnapping auch beweisen kann. – Versicherung gegen Pech in der Liebe: Gegen ein gebrochenes Herz hilft zwar auch keine Versicherung. Die Huckleberry Insurance Company bietet aber immerhin eine Police gegen Abblitzen vor dem Traualtar. Sagt der Bräutigam oder die Braut im entscheidenden Moment Nein, zahlt Huckleberry dem enttäuschten Versicherungsnehmer 100 Euro. – Versicherung gegen Pech im Spiel: Wer mit einund derselben Zahlen-Reihe in 52 aufeinander folgenden Wochen nicht einmal einen 2er im Lotto erzielt, erhält eine Entschädigung von 2500 Euro. – Für Kommunikationssüchtige: Wer es ohne Handy nicht aushält, ist mit der Funkstille-Police gut bedient. Sollte der Empfang einmal für mehr als 48 Stunden unterbrochen sein, kassiert der Versicherungsnehmer 280 Euro. – Versicherung für werdende Väter: Im Kreissaal in Ohnmacht zu fallen, kann sich für werdende Väter lohnen. Die Huckleberry Insurance Company honoriert die Leistung, sofern eine entsprechende Versicherung abgeschlossen wurde, mit 125 Euro. – Steckenbleiben im Lift: Für einen Jahresbeitrag von 12 Euro im Jahr garantiert die Huckleberry Insurance Company dem Versicherten, sollte er einmal im Lift steckenbleiben, eine Entschädigung von 75 Euro. – Police gegen Luftlöcher: Verliert das Flugzeug in dem der Versicherte reist innerhalb von sechs Sekunden mindestens 3000 Fuss an Höhe, klingelt die Kasse. ■


vOr 70 Jahren…

Aschenhaufen haben es gern, wenn man sie für erloschene Vulkane hält. Wieslaw Brudzinski (*1920), Polnischer Satiriker und Schriftsteller

korrigendum In der Ausgabe 5 der Politik vom Mai 2010 ist uns im Artikel «Föderalismus und Demokratie» von Martin Graf, Sekretär der Staatspolitischen Kommissionen (SPK), ein redaktioneller Fehler unterlaufen. Im letzten Abschnitt ist bei den stark ausgebauten interkantonalen Organen von der Kantonsdirektorenkonferenz die Rede, gemeint ist allerdings die Konferenz der Kantonsregierungen. Die Redaktion entschuldigt sich für diesen Fehler.

Als sich Feldmarschall Pétain am 18. Juni 1940 nach der Kapitulation Frankreichs anschickte, den Waffen­ stillstandsvertrag mit Hitler zu unterzeichnen, rief der damals noch wenig bekannte General de Gaulle die französische Bevölkerung über den Radiosender BBC zur Fortführung des Krieges auf. Ein Auszug aus seiner Rede: «Dieser Krieg beschränkt sich nicht auf das unglückliche Territorium unseres Landes. Dieser Krieg ist durch die Schlacht um Frankreich nicht entschieden worden. Dieser Krieg ist ein Welt­ krieg. Trotz aller Fehler, aller Verzögerungen, allen Leidens sind in der Welt alle notwendigen Mittel vor­ handen, um eines Tages unsere Feinde zu besiegen. Heute durch mechanische Kraft überwältigt, können wir in Zukunft durch eine überlegene mechanische Kraft siegen. Das Weltschicksal ist hier. Ich, General de Gaulle, zur Zeit in London, rufe auf: die französischen Offiziere und Soldaten, die sich derzeit auf britischem Boden befinden oder dorthin kommen werden, mit ihren oder ohne ihre Waffen; sowie Ingenieure und Facharbeiter der Waffenindus­ trie, die sich derzeit auf britischem Boden befinden oder dorthin kommen werden; sich mit mir in Verbin­ dung zu setzen. Was auch immer geschehen mag, die Flamme des französischen Widerstands (Résistance) darf nicht erlöschen und sie wird nicht erlöschen. Morgen, wie heute, werde ich von Radio London aus sprechen.» (ym)

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Die Politik 6 Juni/Juli 2010

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Horst­Michael Prasser

Risiko: anGst VoR DeM RestRisiko

Das Phänomen Kernenergie. Die einen haben Angst davor, die anderen wollen sie unbedingt nutzen. Ängste, verstrahlt zu werden und davor, dass das eigene Land verwüstet werden könnte, müssten eine veritable Bevölkerungsgruppe plagen, nämlich die Kernenergiebefürworter.

Wie geht das? Einige Atomenergiegegner haben eine schnelle Antwort: Um des Profits Willen, aus Dummheit, Ignoranz. Aber bleiben wir real: Es braucht schon viel Phantasie, um ein paar Millionen Landsleute statistisch unter den Durchschnitt zu stellen in Sachen Ethik, Intelligenz und Verantwortungsbewusstsein. So viele dürften die Kernenergie mindestens für akzeptabel halten, blickt man auf die Ergebnisse einschlägiger Volksabstimmungen. Und dann noch die, deren Beruf es ist, täglich damit umzugehen in den Kernkraftwerken. Inkaufnahme potentieller Selbstzerstörung für eine mehr oder weniger gut bezahlte und sichere Anstellung?

Das restrisiko Offensichtlich interpretieren all diese Leute den Begriff Restrisiko anders, als diejenigen, für die ein Störfall mit Eintrittswahrscheinlichkeit ungleich Null schon morgen eintreten kann. Dieser Gedanke muss zugegebenermassen Ängste wecken. Für mich, vielleicht auch für viele andere Kernenergiebefürworter, ist eine kleine Eintrittswahrscheinlichkeit für den «Supergau» jedoch weniger eine Bedrohung, mehr ein Mass dafür, wie sicher man sich sein kann, dass er nie eintritt.

heisst das, dass theoretisch im Schnitt alle 1000 Jahre mit einer Kernschmelze zu rechnen ist. Nach kumulativen 2000 Jahren Reaktorbetriebs weltweit schmolz im Jahre 1979 der Kern eines der beiden Reaktoren in Harrisburg dann tatsächlich, quasi als scheinbare Bestätigung der Rechenergebnisse, wenngleich sich aus einem einzelnen Ereignis keine Statistik ableiten lässt. Dass aus dieser Kernschmelze kein frühes Chernobyl wurde, liegt daran, dass die Anlage ein dichtes Reaktorgebäude und viele Sicherheitsreserven hatte, ganz im Gegensatz zum Reaktor in Chernobyl. Vorsorge und Überdimensionierung waren und sind die Tricks der Ingenieure, um Unvorhergesehenem vorzubeugen. Und natürlich kontinuierliche Sicherheitsforschung, die seit Harrisburg grosse Fortschritte gemacht hat.

Altanlagen nachgerüstet Nachdem nun klar war, dass eine Kernschmelze kein hypothetisches Ereignis ist, wurde in den heutigen Altanlagen nachgerüstet. Die Behörde hat die Betreiber damals nicht lange überreden müssen, noch einmal etwa das Doppelte der Baukosten in die Sicherheit der damals hochmodernen Anlagen zu stecken, ohne Aussicht auf mehr Umsatz oder gar Profit. Gier, Dummheit, Ignoranz? Wohl kaum.

Der Zahlenwert ist jedoch nicht egal. Als die ersten Schweizer Kernkraftwerke in den frühen Siebzigern den damals in Mode kommenden Wahrscheinlichkeitsanalysen in Sachen Sicherheit unterzogen wurden, da kamen Zahlen um Zehn hoch minus Drei pro Jahr heraus. Übersetzt 32

Die Politik 6 Juni/Juli 2010

Wiederholt man heute die Wahrscheinlichkeitsanalysen, so findet man theoretische Häufigkeiten für eine Kernschmelze von ungefähr einmal in einer Million Jahren. Neubauanlagen bekommen noch bessere Noten. Bei diesen «Zehn hoch minus Sechs» als Ergebnis hat man mehr als 99.99 Prozent Gewiss-


heit, dass eine Kernschmelze nicht eintritt. Sollte sie doch eintreten, gibt es heute im Gegensatz zu damals technische Systeme und ein entsprechendes Training der Operateure, um auch einen solchen Extremfall noch ohne grosse Freisetzung von radioaktiven Stoffen zu überstehen. Neubaureaktoren, wie beispielsweise jener in Finnland, haben für solche Fälle gänzlich selbsttätige Systeme, ohne dass ein Notfallstab nach Stunden der Beobachtung der Entwicklung noch die «Chance» hat, alles falsch zu machen. Damit wird das Risiko zu einem wahrhaftigen Restrisiko, dass man ohne Gewissensbisse eingehen kann, um mit der Kernkraft andere, um Grössenordnungen höhere Risiken bekämpfen zu können, wie etwa die Klimaveränderungen.

risiko Ausstieg Genau das ist es, worum es geht. Kernenergiebefürworter meinen auch, ein Ausstieg aus der Kernkraft stelle ein Risiko für die wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung der Schweiz dar. Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie Unrecht haben? Sicher bei weitem nicht 99.99 Prozent, schaut man auf die Dominanz der fossilen Energieträger in der heutigen Welt, die es einzudämmen gilt und die Kosten sowie die Speicherprobleme bei den Erneuerbaren. Hier stehen die wirtschaftliche Stärke des Landes und damit auch die soziale Sicherheit auf dem Spiel. Ganz abgesehen davon, das die Kernenergie bei der Analyse der schädlichen Umweltbeeinflussungen im Normalbetrieb zusammen mit Wasserkraft und Windenergie mit am besten abschneidet. Wenn die Gesellschaft die Kernkraft aus dem Energiemix verbannt, dann, fürchte ich, wird es entweder zu übermässigen Belastungen der Wirtschaft kommen oder zu einem Rückfall zur verstärkten Nutzung fossiler Brennstoffe, ohne dass damit ein realer Sicherheitsgewinn verbunden sein würde. ■

Wörterbuch der Volksvertreter Konkordanz, die, Stabilitätskitt der Schweizer Politik, durch proportionale Verteilung von sieben Sitzen in der Landesregierung auf alle politischen Kräfte, die finden, sie seien «massgeblich». Je nach Interessenlage redet man der «arithmetischen» oder der «inhaltlichen» K. das Wort. Seit der Abwahl einer Bundesrätin 2003 ist die Auseinandersetzung um die K. heftiger geworden. Es gibt seither «halbe», «keine eigentlichen» oder «einzig und allein fähige» Bundesräte. Träumereien von einer «eingeschränkten» K. bereichern die Diskussion, machen vor allem aber SVP und SP Angst, weil sie den Abzug von den Honigtöpfen der Macht letztendlich fürchten. Ein konservativer Ständerat meinte, die Schweiz sei «zur K. verdammt.» Dieses nüchterne, uneuphorische Urteil trifft heute noch zu, wird aber immer weniger beherzigt, zum Schaden der Schweiz. Aber vielleicht bringt der Herbst 2011 ja auch diesbezüglich die Schweizerische Normalität zurück. Die CVP, die K-Partei schlechthin, hofft es jedenfalls.

horst-Michael Prasser ist Professor für Kernenergiesysteme an der ETH Zürich. Die Politik 6 Juni/Juli 2010

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Ihr Verband für Bildung und Beruf

«Faire Anstellungsbedingungen und zeitgemässe Entlöhnung nur zwei von vielen Gebieten, in denen sich der KV Schweiz für seine Mitglieder stark macht.»

Brigitte Häberli, Nationalrätin Kanton Thurgau Vizepräsidentin CVP/EVP/glp-Fraktion im Bundeshaus

Ob kostenlose Rechtsberatung, Weiterbildungsrabatte oder Laufbahnplanung - Mitglied werden lohnt sich: www.kvschweiz.ch Ich trete dem Kaufmännischen Verband bei (Details siehe auch www.kvschweiz.ch/mitgliedwerden) Ich interessiere mich für die KV-Mitgliedschaft und bestelle ein Probe-Abo der Zeitschrift Context (3 Monatsausgaben kostenlos) Frau

Herr

Name, Vorname: Strasse: PLZ, Ort: Telefon: E-Mail: Datum, Unterschrift: Talon einsenden an Kaufmännischer Verband Schweiz, Marketing, Postfach 1853, 8027 Zürich oder www.kvschweiz.ch/mitgliedwerden


Jacques Neirynck

unD wenn es keine fluGZeuGe MehR aM hiMMel GÄBe?

Ende 2010 ist es Tatsache. Der isländische Vulkan spuckt nach wie vor Asche in die Luft. Neben ihm erwacht sein grosser Bruder. Weitere Millionen Tonnen Staub und Asche werden in die Luft geschleudert, die die feinen Turbinen der Flugzeuge zerstören. In Europa fliegen lediglich Propellerflugzeuge, völlig ungeeignet, den gesamten bisherigen Flugverkehr zu ersetzen. Die Aschewolke breitet sich über Amerika und Asien aus. Schnellzüge werden gestürmt. Passagierdampfer sind wieder in Betrieb. Man erfreut sich neuerdings an Fussmärschen oder an Fahrradtouren. Die Fluggesellschaften gehen Bankrott. In Bern erfahren die Parlamentsmitglieder, dass der Bundesrat die Swissair renationalisiert hat und für einen symbolischen Franken von der ruinösen Lufthansa zurück gekauft. Das Gründungskapital des neuen Unternehmens (10 Milliarden Franken) wird der Pensionskasse der Bundesangestellten, der «Publica», entzogen. Die Eigentümer der Hotelkomplexe an der Costa del Sol oder auf den Balearen verkaufen alles an die Banken. Man geht wieder nach Montreux oder Zermatt. Die Schweiz kommt einmal mehr mit einem blauen Auge davon.

In der nördlichen Hemisphäre gibt es im Sommer 2010 einen Ernteausfall: Der Getreideertrag sinkt um 10 bis 20 Prozent. Auf dem Weltmarkt explodieren die Preise für Weizen, Mais und Reis. Die Schweizer Bauern fahren üppige Gewinne ein. In der Folge entscheidet der Bundesrat, dass Brot, auch wenn es bereits schimmelt, verkauft werden muss. Dies, um den Brotkonsum einzuschränken. Gleichzeitig werden in den Gemeinden Rationalisierungskarten ausgeteilt. Die Wahlen 2011 versprechen nichts Gutes. Die Grünen gewinnen die absolute Mehrheit im Parlament. Eine demokratische Visionärspartei hat sich in den Wahlkampf eingeschaltet: Sie vereint eine Front charismatischer Christen, Scientologen und Raeliter. Ihr Wahlversprechen lautet: obligatorischer Astrologieunterricht an den Universitäten. Die Hellseher verlangen, dass ihre Beratungsleistung von der Krankenkasse vergütet wird. Im Bundesrat wissen sie nicht mehr wo ihnen der Kopf steht. Die Armee steht zur Verteidigung an der Grenze und die Mehrwertsteuer wurde bereits um drei Punkte erhöht. Rechte Stimmen fordern den Schweizer Beitritt zur EU. Andere, dass die Vereinten Nationen Island unter ihre Fittiche nehmen. Die Burka ist mittlerweile in ganz Europa verboten. Wer das Verbot missachtet, wird nach Island abgeschoben. So ist auch dieses Kleidungsstück verschwunden. Ausbrüche haben manchmal auch etwas Gutes. ■ Die Politik 6 Juni/Juli 2010

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