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HOCHSCHULEINRICHTUNG. VON DER HOCHSCHULE

F R Angewandte Kunst

Zur Schule Oberhuber

Eva Maria Stadler

Seine Hände waren buchstäblich zupackend. Gleichviel ob es sich um hochschulpolitische Entscheidungen oder seine künstlerische Ausdrucksweise handelte. Mit entschlossenem Strich skizziert Oberhuber die Hochschuleinrichtung [ Abb. 1 ]: einen Schrank, dessen Frontseite durch eine ornamentale Struktur mit Rahmen, Sockel und Kopfabschluss gegliedert ist, nur – der Schrank ist weit mehr als ein Schrank. Er ist Architektur, Waschbeckenverbau, Skulptur, Säule, und eben: Hochschule.

Im Jänner 1970 hatte der Österreichische Nationalrat das Kunsthochschul-Organisationsgesetz verabschiedet, das die Kunsthochschulen den wissenschaftlichen Hochschulen gleichstellte. Darin wurde in §1(3) festgehalten: „Ziele der Kunstlehre sind insbesondere die Ausbildung der künstlerischen Fähigkeiten bis zur höchsten Stufe, die Heranbildung des hochqualifizierten künstlerischen, künstlerisch-pädagogischen und künstlerisch-wissenschaftlichen Nachwuchses, die künstlerische, die künstlerisch-pädagogische und die künstlerisch-wissenschaftliche Berufsvorbildung sowie in diesem Zusammenhange auch die Vermittlung einer umfassenden Bildung. Diese Ziele sind zu verfolgen durch Unterweisung und durch Auswertung der Ergebnisse der Erschließung der Künste und der Forschung.“1 In die Zeit, in der die Angewandte unter Hochschule für angewandte Kunst firmierte, fielen die beiden Amtsperioden von Oswald Oberhuber (1979–1987 und 1991–1995), die er als Rektor in ganz besonderer Weise prägte.2

Als Künstler, Professor und Kurator verfolgte Oberhuber die im Kunsthochschul-Organisationsgesetz festgelegten Aufgaben und Ziele der Hochschule auf allen nur denkbaren Ebenen. Zentral war für ihn dabei die Fähigkeit, aus allem etwas zu ersehen.3 Die Gegenwärtigkeit der Geschichte zu erkennen, ermöglicht das Arbeiten mit der Erfahrung des Moments. Oberhuber spricht von „Erfahrungseinsichten“.4 Und auf diesen Erfahrungseinsichten beruhte Oberhubers künstlerische Vorgangsweise, die es ihm erlaubte, in allem und jedem ein künstlerisches Potential zu ersehen bzw. den kritisch gestalterischen Blick auf die ästhetischen und politischen Zusammenhänge zu werfen, in denen er unmittelbar tätig war. Dies umfasste die „Hochschuleinrichtung“ genauso wie die Lehre. So lag es nahe, einen Schrank zu entwerfen, wenn ein Schrank benötigt würde.

Die Auseinandersetzung mit Möbeln durchzieht Oberhubers Werk wie ein roter Faden. Es ist die Ambivalenz von Funktionalität und abstrakter Form, an der sich der Künstler abarbeitete. Peter Weibel spricht in Bezug auf die Möbel-

Abb. 1  Oswald Oberhuber, Möbelentwurf für die Hochschuleinrichtung (Waschbeckenverbau), 1983 skulpturen5 Oberhubers von dessen Interesse für die Syntax der Skulptur. Nachdem sich die Grammatik der Skulptur spätestens mit den Entwicklungen der Minimal Art und der Konzeptkunst radikal verändert hatte, und die semantische Unterscheidung von Skulptur (sculpere = schnitzen, meißeln) und Plastik (plasséin = kneten, formen) hinfällig wurde, weil nicht allein die Machart eines Objekts Aufschluss gab, sondern vielmehr der Kontext in dem es realisiert wurde, rückten die Koordinaten des Raumes ins Zentrum der ästhetischen Befragungen.

Oberhuber begann sich schon bemerkenswert früh von der bildhauerischen Tradition der menschlichen Figur zu distanzieren und schuf mit der informellen Skulptur ein Pendant zur Malerei. Der gestische Ausdruck im Plastischen wurde mehr und mehr von der Assemblage abgelöst, um mit auskragenden Formen in den Raum vorzudringen. Oberhubers Interesse für das Informel speiste sich aus dem Wissen über die Kunst der Avantgarde, das er sich in den ersten Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs über das Angebot des Französischen Kulturinstituts in Innsbruck aneignen konnte. Für Oberhuber hatte das Französische Kulturinstitut unter der Leitung von Maurice Besset künstlerische, aber auch politische Perspektiven eröffnet. Die Kunst bot die Möglichkeit, sich radikal von den dogmatischen Herrschaftsformen zu lösen, die auch nach dem Krieg noch alle Lebensbereiche durchzogen hatten. Das Infragestellen von vermeintlich Unverrückbarem wurde für ihn zur zentralen Aufgabe. So wurde auch das Informel zu einer bestimmenden Ausdrucksweise, mit der die Konventionen von Skulptur und Malerei auf den Prüfstand kamen. Für Oberhuber bedeutete dies zudem einen enormen Befreiungsschlag. Bereits in der zweiten Hälfte der 40er-Jahre des 20. Jahrhunderts fertigte er eine Vielzahl von Skulpturen, die sich in zunächst expressiver und schließlich mehr und mehr dadaistischer Manier von der repräsentativen Form lossagten.

Aus dem Jahr 1949 stammen zwei Versionen der Skulptur Sitzende Frau, einmal ein Drahtgestell, auf dem Oberhuber mit Stoff und Gips die Umrisse einer Sitzenden formte [ Abb. 2 ]. 6

Aus dem selben Jahr datiert der Bronzeguss der Sitzenden. Oberhuber, der sich noch in Ausbildung befand, machte sich sichtlich mit den klassischen Techniken und Fertigkeiten der Bildhauerei vertraut. Ebenfalls aus dem Jahr 1949 stammt aber auch eine Reihe von Skulpturen, die auf den Prozess der Fertigung vertrauen. Aus Holzwolle, einem Kabel, Stoff und Gips entstand ein Objekt, bei dem man an ein Herz denken

5  Oswald Oberhuber, Zerwuzeltes Seidenpapier wieder glatt gestrichen, 1964 es nicht nur einer stetigen Wachsamkeit gegenüber Regelwerken, denen wir im alltäglichen Gebrauch begegnen, den Regeln von Gesetzen und Gewohnheiten, sondern auch des spielerischen und konzeptionellen Umgangs damit. Es genügte Oberhuber nicht, Regeln zu suspendieren, vielmehr interessierte er sich für die Bedingungen, die Regeln hervorbringen. In den siebziger und achtziger Jahren sind es die Nachwirkungen der Gesetze von Konzeptkunst und Minimal Art, die Oberhuber in den Blick nimmt. Ihre Dogmatik einerseits und ihre Loslösung vom Material und Gegenstand andererseits veranlassen Oberhuber, dem künstlerischen Prozess selbst mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Indem er Tendenzen der Kunstgeschichte auf den Prüfstand stellt, werden sie hinterfragt und konterkariert. Eine zentrale Rolle spielt dabei für ihn der Humor, denn in der sozialen Bedeutung des Lachens liegt ein Moment der Unangepasstheit, wie Henri Bergson es beschreibt.12

1964 betitelt Oswald Oberhuber eine minimalistisch anmutende Papierarbeit: Zerwuzeltes Seidenpapier wieder glatt gestrichen [ Abb. 5 ]. Mehrere Strategien, die für die Arbeitsweise des Künstlers charakteristisch sind, werden hier lesbar. Zum einen ist es der Sprachwitz im Umgang mit dem österreichischen Dialekt, mit der Betonung des Buchstäblichen, der Deckungsgleichheit von Wort und Geste. Und zum anderen rückt er die banale Machweise der Papierarbeit in den Fokus und demystifiziert damit den kreativen Akt, den Duchamp 1957 in dem berühmten gleichnamigen Manifest ebenfalls nicht am Werk, sondern an Gründen, die außerhalb des Werks liegen, festmacht.13

In der banalen Geste des Wuzelns oder Knüllens eines Blatts Papier liegt die für Oberhuber so wichtige Kraft der Hände. Von einem „Denken mit Händen“ 14 spricht Cosima Rainer, wenn sie Oberhubers Werk beschreibt. Und „Hände sagen alles“ schreibt Oberhuber in einem kleinen Katalog, in dem er eine Reihe von Zeichnungen abbildet, die ausschließlich Hände zeigen.15 Über die Jahrzehnte sind Hände ein Motiv, das Oberhuber immer wieder zeichnet, malt, das er comicartig paraphrasiert und in teils übergroßen Skulpturen verräumlicht [ Abb. 6 / 7 ].

Im Druck der Hände auf die Form beschreibt Vilém Flusser die Geste des Machens, die die Form des Gegenstandes verändert, und mehr noch, die durch „diese neue Form, die der gegenständlichen Welt aufgeprägte ‚Information‘“16 die menschliche Grundverfassung überschreitet. Denn in der Entgegensetzung der Hände, die sich endlos spiegeln, aber nie

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