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Den Schöpfungsauftrag leben – eine aktuelle Herausforderung
by de’ignis
Von Helge Keil
• Der Schöpfungsauftrag
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In den ersten zwei Kapiteln der Bibel wird die Schöpfung vor dem Sündenfall geschildert. Schon damals hatte der Mensch einen Auftrag und eine Verheißung. Beides gilt weiter und kann und sollte uns auch heute als Leitlinie dienen.
In Gen. 1,26 heißt es: „Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich! Sie sollen herrschen [Hebr.: rabah] über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über das Vieh und über die ganze Erde und über alle kriechenden Tiere, die auf der Erde kriechen!“ 1 Und in Vers 28: „Und Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: „Seid fruchtbar und vermehrt euch, und füllt die Erde, und macht sie euch untertan [Hebr.: kabasch]; und herrscht [Hebr.: rabah] über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf der Erde regen!“ Neben dem Vermehren wird dem Menschen hier ein klarer Auftrag gegeben: „herrschen“ bzw. „untertan machen“. Die beiden hier verwendeten hebräischen Wörter haben ein breites Bedeutungsspektrum2: Aufsicht haben, führen, dienstbar machen, aber auch unterdrücken oder niedertreten. In Vers 29 folgt die Verheißung, dass die Erde dem Menschen Nahrung geben wird.
In Genesis 2,15 heißt es: „Und der Herr, Gott, nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, ihn zu bebauen [Hebr.: abad] und ihn zu bewahren [Hebr.: schamar].“ Das erste Wort bedeutet neben „bebauen“ auch „dienen“, „arbeiten“ und „Sklave sein“. Das Bebauen findet im Auftrag eines anderen statt. „Schamar“ bedeutet neben „bewahren“ auch „behüten“ und „bewachen“ und findet sich z. B. im aaronitischen Segen: „Der Herr segne und behüte dich!“ (Num. 6,24). Das Substantiv dazu wird unter anderem mit „Hirte“ übersetzt. An dieser Stelle wird deutlich, dass es um einen positiven und heilvollen Auftrag geht. Die erste Konkretion ist die Namensgebung für die Tiere, eine Ordnungsaufgabe. Es geht darum, die Linien in der Schöpfung zu erkennen und die Tiere entsprechend sinnvoll zu benennen. Auch im zweiten Kapitel des Buchs Genesis dient die Erde dazu, dem Menschen Nahrung zu geben.
Hans-Jürgen Zobel fasst den Auftrag des Menschen treffend zusammen: „Aus dem Sachverhalt, dass das Herrschen der Menschen auf Erde und Tierwelt begrenzt, aus seiner Ebenbildlichkeit hergeleitet und als Segensinhalt verstanden wird, ergibt sich mit notwendiger Stringenz die Folgerung: Die Herrschaft des Menschen ist eine ihm von Gott verliehene Machtstellung und hat seinem [Gottes] Ordnungsgefüge zu dienen […]. Seine Herrschaft hat für das Beherrschte positiv zu sein; in ihr hat er sich als Mensch zu bewähren und menschlich zu bleiben […]. Somit kann die Herrschaft des Menschen nur als ein Gott gegenüber zu verantwortendes Handeln des Menschen verstanden werden. [… Die Herrschaft] des Menschen soll also zur Erhaltung und Förderung der Schöpfung Gottes beitragen.“ 3
Das wird noch einmal deutlich, wenn wir den beiden Aufträgen schamar und rabah weiter folgen.
In Jeremias 31,10 heißt es: „Hört das Wort des Herrn, ihr Nationen, und meldet es auf den fernen Inseln und sagt: Der Israel zerstreut hat, wird es wieder sammeln und wird es hüten wie ein Hirte seine Herde!“. Gott selber ist der Hirte, der sich um sein Volk kümmert. Diese Linie zieht sich durch die ganze Bibel über so bekannte Texte wie Psalm 23 und den kurzen Psalm 121, in dem das Wort „schamar“ trotzdem sechsmal vorkommt, bis hin zu Jesus als gutem Hirten in Joh. 10. Die Qualität des Hirten wird dabei deutlich in seiner Zuwendung, Fürsorge und Hingabe (Joh. 10,9–11; 14–16;27–29). Der Mensch ist als Ebenbild Gottes beauftragt, dem Ursprungsbild zu entsprechen, das heißt so zu handeln, wie es Gott entspricht. Im Blick auf die Welt bedeutet es, sie als guter Hirte zu bewahren und zu behüten. Wie das konkret aussehen soll, wird z. B. in der Hirtenrede beim Propheten Ezechiel in Kapitel 34,1–16 deutlich. In Vers 4 geht es wieder um das Herrschen aus Genesis 1: „Die Schwachen habt ihr nicht gestärkt und das Kranke nicht geheilt und das Gebrochene nicht verbunden und das Versprengte nicht zurückgebracht und das Verlorene nicht gesucht, sondern mit Härte habt ihr über sie geherrscht [Hebr.: rabah] und mit Gewalt.“ Es gibt also ein gutes und ein schlechtes Herrschen. Ein Herrschen im Sinne Gottes und einen Missbrauch der Möglichkeit zu herrschen. Das erklärt auch die oben erwähnte Bedeutungsbandbreite dieses Worts. In der Umkehrung der Kritik an den schlechten Hirten kann man positiv festhalten, dass es die Aufgabe des Menschen, dass es unsere Aufgabe ist, Schwache zu stärken, Kranke zu heilen, Gebrochenes zu verbinden, Versprengtes zurückzubringen und Verlorenes zu suchen. Damit sind wir von einer anderen Seite aus wieder bei der Sendung Jesu selbst, der in Lukas 4,18f. einen ganz ähnlich formulierten Auftrag aus Jes. 61,1–2 auf sich bezieht: „Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, Armen gute Botschaft zu verkündigen; er hat mich gesandt, Gefangenen Freiheit auszurufen und Blinden, dass sie wieder sehen, Zerschlagene in Freiheit hinzusenden, auszurufen ein angenehmes Jahr des Herrn.“
Diese Art, in guter Weise Hirte zu sein, ist der Grundauftrag an den Menschen im Blick auf die Tiere und die Erde (Gen. 1,26–28; Gen. 2,15). Wir haben darin Teil an Jesu eigener Sendung (Joh. 20,21).
Die Folgen des Sündenfalls
Für das Miteinander von Mensch und Tier bzw. Erde hat der Sündenfall etliche Folgen, die in Genesis 3,15–19 geschildert werden: Feindschaft zwischen Mensch und Schlange, auch generell Feindschaft zwischen Mensch und einem Teil der Tierwelt. Ursprünglich stellte kein Tier eine Bedrohung für den Menschen dar. Mühsal bei der Schwangerschaft und Schmerzen bei der Geburt. Mühsal bei der Bearbeitung der Erde und auf dem Weg zur Ernte. Und: der Mann wird herrschen („maschal“) über die Frau. Im Paradies gab es keine Herrschaft eines Menschen über einen anderen Menschen. Alle Menschen sind als Bild Gottes gerufen zu herrschen und in guter Weise mit der Welt und den Tieren umzugehen. Aber kein Mensch sollte über einen anderen herrschen. Die Herrschaft des Mannes über die Frau ist eine der negativen Folgen des Sündenfalls. Das wird auch dadurch deutlich, dass hier mit „maschal“ ein anderes Wort verwendet wird als in Genesis 1 und 2. Obwohl das Wort eine ähnliche Bedeutungsbandbreite hat und gute und schlechte Arten zu herrschen beschreiben kann, hat das Herrschen des Mannes über die Frau nichts zu tun mit dem positiven Schöpfungsauftrag an den Menschen. Wir sollten uns von daher davor hüten, die Herrschaft des Mannes in irgendeiner Weise zu rechtfertigen oder schönzureden. Es ist offensichtlich, dass Gott sich das so nicht gedacht hatte! In der Auseinandersetzung um Ehescheidung macht Jesus deutlich, dass der ursprüngliche Wille Gottes das Kriterium ist (Mk. 10,2–9).
Von daher gilt auch hier: Die Herrschaft des Mannes über die Frau ist eine negative und zu überwindende Folge des Sündenfalls. Diese Linie wird im Blick auf die Zukunft in Galater 3,28 in der Verbindung mit Christus selbst begründet.
Die aktuelle Herausforderung
Der Schöpfungsauftrag, die Erde zu bebauen und zu bewahren, ist nie zurückgenommen worden. Auch die Verheißung, dass die Erde uns Nahrung geben soll, gilt weiter. Es ist lediglich anstrengender geworden. Der Auftrag zu herrschen wird in der Bibel positiv gefüllt mit der Art und Weise, wie Gott selber herrscht und es in Jesus vorgelebt hat. Dabei weitet sich der Blick über Erde, Natur und Tiere aus auf den Umgang mit anderen Menschen.
Damit sind wir bei den ganz konkreten Fragen und Aufgabenfeldern von heute angekommen:
[a] Das Wort „maschal“ umfasst das Herrschen im eigenen Leben. So wird Kain in Genesis 4,7 mit diesem Wort aufgefordert, sich nicht von der Sünde bestimmen zu lassen. Umgekehrt gilt es in unserem ganzen Leben, dem guten Hirten zu entsprechen und das 24 Stunden pro Tag an 365 bis 366 Tagen pro Jahr. Wir sind als Diener in diese Welt gestellt und ein erster Dienst ist der Umgang mit uns selbst. Entspricht unser Umgang mit uns der Art und Weise, wie Gott mit uns umgeht? Ich gehe davon aus, dass wir alle hierbei noch Luft nach oben haben. Das ist ganz normal. Wir bleiben Lernende, Jünger, Schüler unser Leben lang.
Dabei ist dieser erste Aspekt wichtig, denn die Art und Weise, wie wir mit uns selbst umgehen, besitzt eine große Außenwirkung.
[b] Dann geht es um unseren Umgang mit der Natur und den Tieren. Ja, sie sollen uns zur Nahrung dienen (Natur wird bereits in Genesis 1 und 2 behandelt, Tiere ab Genesis 9), aber wir sollen so mit ihnen umgehen, dass es ihnen dabei gut geht, dass die Schöpfung und die Tierwelt erhalten bleiben und aufblühen. Das beschreibt das direkte Gegenteil jeder Ausbeutung und auch jedem Schwerpunkt auf der Maximierung von eigenem Gewinn. Im Sinne Jesu sollen wir so „herrschen“, dass es der Natur und den Tieren gut geht – und dürfen dann auch die Früchte der Arbeit genießen. Für die meisten von uns stellt sich die Frage vermutlich beim Einkauf am konkretesten. Welche Nahrungsmittel kaufe ich? Achte ich darauf, dass die, die sie für mich erarbeiten, in guter Weise mit der Natur und den Tieren umgehen? Ja, das hat Konsequenzen. Dann muss ich in der Regel mehr Geld ausgeben. Im Blick auf die Erde insgesamt stellt sich die Frage nach einem guten Umgang mit den Ressourcen. Was kann ich in guter Weise nutzen? Was brauche ich gar nicht? Und wieder: Wie werden die Sachen hergestellt, die ich kaufe? Hineingestellt in unsere aktuelle Welt werden wir nicht überall eine optimale Möglichkeit finden. Aber es wäre gut, wenn wir uns Schritt für Schritt oder Bereich für Bereich die Frage stellen, was es bedeutet, dass wir auch in diesem Bereich als Diener Gottes leben. Bereiche können dabei z. B. Kleidung, Elektronik, Fortbewegung etc. sein.
[c] Dieser Bereich geht dann nahtlos über in den dritten großen Bereich, unseren Umgang mit anderen Menschen. Natürlich mit jenen Menschen in unserem direkten Umfeld, aber auch mit den Menschen auf dieser Welt insgesamt. Sind wir gute Hirten oder schlechte Hirten? Tragen wir dazu bei, dass Armut und Ausbeutung bekämpft werden? Dass Menschen gesund werden? Dass Schwache gestärkt werden? Dass die Botschaft von Jesus lebensstiftend und freimachend verkündet wird?
Wir sind zuerst dazu gerufen, für andere
Christen zu sorgen. (Gal. 6,10; auch in Matt. 25,31–46 geht es um den Umgang mit Christen. „Brüder“ in Vers 40 ist eindeutig. Der Text nimmt damit die Linie von Matt. 10,40–42 auf.) Darüber hinaus sind wir jedoch aufgerufen, für alle Menschen Sorge zu tragen. Gerade dieser von Gott bestimmte Umgang mit anderen Menschen hat dem Christentum zum Durchbruch verholfen. So schreibt Kaiser Julian: „Die gottlosen Galiläer [die Christen] ernähren außer ihren eigenen Armen auch die unsrigen: die unsrigen ermangeln unserer Fürsorge“ und „Am meisten ist die Gottlosigkeit (das Christentum) gefördert worden durch die Philanthropie in Bezug auf die Fremden und durch die Fürsorge für die Bestattung der Toten.“ 4
Der Schöpfungsauftrag gilt nach wie vor: diese Welt, die Natur, die Tiere und die Menschen im Sinne Gottes behüten und bewahren!
Fußnoten
1 Alle Bibelzitate aus: Elberfelder Bibel, Pocket Edition (2016). Witten; Dillenburg: SCM R. Brockhaus; Christliche Verlagsgesellschaft.
2 Diesen und den anderen hebräischen Begriffen sind die Ausführungen im THWAT zugrunde gelegt: Ringgren, H. (Hrsg.) (1986): Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament. Stuttgart; Berlin; Köln; Mainz: Verlag W. Kohlhammer.
3 Ebd., S. 357
4 Zitiert bei Adolf von Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, Berlin 1924, S. 187 und S. 190.
Autor
Helge Keil ist evangelischer Pfarrer und Pilger auf dem Weg zur himmlischen Heimat. Er arbeitet als theologischer Referent im Philadelphia Verein mit den Schwerpunkten, Christen zu helfen, ihren Gott zu verstehen, ihren Glauben im Alltag zu leben und Brücken zu bauen zwischen Christen unterschiedlicher Prägung und Konfessionen. Er ist mitverantwortlich für den Fachbereich Theologie am de’ignis-Institut.
Der Schöpfungsauftrag gilt nach wie vor: diese Welt, die Natur, die Tiere und die Menschen im Sinne Gottes behüten und bewahren!