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Gesunde Ernährung
by de’ignis
„Gesunde Ernährung“ ist heutzutage ein häufig verwendeter Begriff und es existieren unzählige verschiedene Meinungen. Viele Diäten und Lebensstile werden als gesund betitelt oder maßen sich an, die besten zu sein. Immer häufiger hört man nun, Ernährung solle nicht nur gesund, sondern auch nachhaltig sein. Doch wie kann man all das umsetzen in einer sich so schnell verändernden Welt? Wie oft hört man sich selber sagen: „Heute habe ich keine Zeit zum Kochen“, „Nach meinem stressigen Arbeitstag möchte ich jetzt nicht in der Küche stehen“ oder „Heute hatte ich keine Zeit für eine Pause, deshalb hab ich mir während dem Arbeiten etwas zwischen die Zähne geschoben“. Dieser Artikel soll Ihnen einen Einblick geben, wie schön es ist, dass wir uns über gesunde und nachhaltige Ernährung Gedanken machen können, was gesunde und nachhaltige Ernährung beinhaltet und welch großes Potenzial für Körper und Umwelt in der richtigen Ernährung steckt.
Ernährung in einer sich verändernden Welt Zunächst möchte ich Sie auf eine kleine Reise durch die Zeit mitnehmen und verschiedene Ernährungsformen und Gedanken zur nachhaltigen und gesunden Ernährung betrachten.
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Zu Beginn unserer Zeitreise, in der frühen Menschheitsgeschichte, lautete die Frage nicht „Was wollen wir heute essen?“, sondern „Was finden wir, um zu überleben?“
Auf dem doch sehr einseitigen Speiseplan der Jäger und Sammler standen vor allem rohe Pflanzenteile, Wildgemüse, Obst und, nach erfolgreicher Jagd, auch Fleisch. Mit der Landwirtschaft kamen Getreide und Milchprodukte auf den Speiseplan, jedoch war auch hier die Ernährung einseitig und das vorrangige Ziel bestand darin, genug auf dem Teller zu haben. Hunger und einseitiges Essen ziehen sich lange durch die Geschichte. Hungerperioden prägten sowohl die sozial schwachen Schichten im Mittelalter, als auch die Menschen während der Industrialisierung (durch stark steigende Bevölkerungszahlen) bis hin zu den Menschen, die während den Kriegsjahren lebten und Zwangsrationierungen bis weit in das 20. Jahrhundert miterleben mussten.
Die Frage nach gesunder Ernährung gewann erst in der zweiten Häfte des 20. Jahrhunderts an Bedeutung. Durch die Möglichkeit, Lebensmittel zu kühlen, konservieren und zu transportieren, können sie das gesamte Jahr über angeboten und von der ganzen Welt importiert werden. So entstand ein Nahrungsmittelangebot, das viel Freude und Genuss bietet, aber auch seine Gefahren birgt. Vor allem das Angebot an stark verarbeiteten Speisen sowie der Zucker- und Fettkonsum stiegen enorm an. Fertiggerichte wie die 1970 eingeführte Tiefkühlpizza und Speisen der neuen Fast Food Restaurants – der erste McDonalds in Deutschland wurde im Jahr 1971 eröffnet – lockten mit Einfachheit und einer Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln rund um die Uhr. Damit nahmen auch die sogenannten Wohlstandskrankheiten wie Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Depressionen zu und die Relevanz einer gesunden Ernährung wurde immer deutlicher. Auch Diäten schossen überall aus dem Boden. In den 50ern wurde die Kohlsuppendiät populär, 1963 wurden die Weight Watchers und 1977 Slim Fast gegründet, um nur einige der unzähligen Beispiele zu nennen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) entwarf in den 1950er-Jahren einen Vollwertkost propagierenden „Ernährungskreisel“. Die weltweit erste Ernährungspyramide unter dem Motto „Eine gute, gesunde Ernährung zu einem erschwinglichen Preis“ erschien 1974 in Schweden. Seit 2005 nutzt die DGE zur Darstellung ihrer Ernährungsempfehlungen ein einzigartiges Modell mit einer Kombination aus Pyramide und Kreisel, so werden quantitative Aussagen mit qualitativen verknüpft. Mit ihren „10 Regeln der DGE“ hat die DGE die Grundlagen einer gesunden Ernährung wissenschaftlich basiert ausgearbeitet und leicht verständlich zusammengefasst. Um der breiten Bevölkerung direkt auf den Produkten im Handel Informationen über gesunde und ungesunde Lebensmittel zu liefern, wurde im Herbst 2020 der Nutri-Score eingeführt. Die fünfstufige Farben-Buchstaben-Kombination reicht von einem grünen A bis zu einem roten E und zeigt damit grafisch den Nährwert eines Lebensmittels an. Auch die Industrie hat auf die steigende Nachfrage nach gesunden Fertigprodukten ihr Repertoire erweitert. Sogenannte „chilled products“, also gekühlte Produkte, wie z. B. Wraps, Salate, und Smoothies bieten wertvolle Alternativen. Diese sind vor allem beim steigenden Trend der Mahlzeiten außer Haus, den sogenannten „To-go-Mahlzeiten“, von Relevanz.
Gesunde und nachhaltige Ernährung –mehr als nur ein Trend
Eine gesunde Ernährung fängt damit an, sich Zeit zum Essen zu nehmen und achtsam zu essen. Das heißt, nicht während der Arbeit oder mit laufendem Fernseher etwas „zwischen die Zähne zu schieben“, sondern auf den Geschmack zu achten und jeden Bissen zu genießen und gründlich zu kauen. Die DGE empfiehlt fünf bis sechs Mahlzeiten, um Ihre Leistungskurve konstant zu halten. Eine frische und abwechslungsreiche Ernährung mit viel Obst und Gemüse, gerne Vollkornprodukten, gesunden Ölen wie Raps-, Lein- oder Olivenöl, gemäßigtem Fleisch-, Zucker- und Salzkonsum, viel Wasser trinken und schonenden Garmethoden bilden die Basis einer gesunden Ernährung (siehe „10 Regeln der DGE“).
Doch inzwischen wird immer deutlicher, dass mehr Potenzial in gesunder Ernährung steckt. Gesund und fit bleiben ist durch eine nachhaltige und gesunde Ernährungsweise möglich. 20 Meta-Analysen prospektiver Kohortenstudien zeigten einen statistisch signifikanten inversen Zusammenhang zwischen Obst- und Gemüseverzehr und dem Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen (Schlaganfall und koronare Herzerkrankung [KHE]). Auf Grundlage von 18 Meta-Analysen konnte zwischen dem Verzehr von rotem Fleisch bzw. verarbeitetem Fleisch und kardiovaskulären Erkrankungen ein risikosteigernder Zusammenhang festgestellt werden. 1 Präventiv Krankheiten zu vermeiden ist ein großer Aspekt, doch auch gesund werden durch die richtige Ernährung hat ein gewaltiges Potenzial. Das weitreichende Wissen über die Makro-Nährstoffe (Kohlenhydrate, Fett und Eiweiß) und die Mikro-Nährstoffe wie Mineralstoffe (z. B. Magnesium, Calcium), Spurenelemente (z. B. Eisen, Zink), Pflanzenstoffe (z. B. Carotinoide, Flavonoide) und essenzielle Fettsäuren (besonders Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren), deren Relevanz im Körper und ihr Vorkommen in den einzelnen Lebensmitteln ermöglicht es, Ernährung gezielt als Therapie einzusetzen.2 Weitere Forschungsarbeit ist hier im Prozess, aber bereits mit dem jetzigen Wissen wird deutlich, dass die richtige Ernährung das Wohlbefinden steigern, verschiedene Erkrankungen von Körper und Psyche gezielt behandeln und den Bedarf an Medikamenten teilweise deutlich senken kann.3
„Herrscht über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf der Erde regen! Und Gott sprach: Siehe, hiermit gebe ich euch alles Samen tragende Kraut, das auf der Fläche der ganzen Erde ist, und jeden Baum, an dem Samen tragende Baumfrucht ist: es soll euch zur Nahrung dienen“ (1. Mose 1,28–29).
Anstelle von Überfischung ist bereits in der Schöpfungsgeschichte zu lesen, dass Gott uns den Auftrag gibt, nachhaltig zu leben und verantwortungsvoll über die Tiere zu herrschen. Viele Jahre war immer die gesunde
Ernährung gefragt, heute wird immer mehr der Ruf nach gesunder und nachhaltiger Ernährung laut. Eine nachhaltige Ernährung steht im Einklang mit unserer Umwelt, sie trägt zur Ernährungs- und Lebensmittelsicherung bei und ermöglicht auch den zukünftigen Generationen ein gesundes Leben. Die Basis für eine nachhaltigere Ernährung im Alltag fängt mit dem Wissen an, wo mein Essen herkommt. Regionalität und Saisonalität sind zwei wichtige Säulen nachhaltiger Ernährung. Auch hier heißt es wieder, achtsam einzukaufen und den Lebensmitteln Wertschätzung entgegenzubringen. Regional einkaufen spart nicht nur Transportwege, es schont auch das Klima, da die Produkte im Rhythmus der Jahreszeiten angeboten werden, und befreit die Erzeuger von dem teils enormen Preisdruck großer Handelsketten.
Eine Expert:innengruppe aus 37 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus 16 Ländern haben Nachhaltigkeit und gesunde Ernährung kombiniert zur sogenannten „planetary health diet“. Im Jahr 2019 veröffentlichten sie ihre Ergebnisse, die zum Wandel auffordern. 4 Weniger Ei, Fleisch und Zucker sollte auf unserem Speiseplan stehen, dagegen viel Gemüse und Nüsse. Der Verzehr von Zucker müsste dabei weltweit um die Hälfte reduziert werden und wöchentlich dürften pro Kopf zwei Eier verzehrt werden. In Deutschland sollte der durchschnittliche Fleischkonsum auf ein Viertel reduziert werden. Nimmt man die Zahlen des Bundesverbands Deutscher Wurst- und Schinkenproduzenten, lag der Pro-Kopf-Fleischverzehr in Deutschland im Jahr 2020 bei 1,1 Kilogramm pro Woche.5 Die DGE empfiehlt 300–600 Gramm Fleisch pro Woche für einen Erwachsenen („10 Regeln der DGE“). Diese Empfehlung ist das Ergebnis aus verschiedenen Studien und entspricht damit dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand für eine gesunde Ernährung. Die Studie von Willett et al. fordert sogar auf, für eine gesunde und nachhaltige Ernährung den Fleischkonsum auf 300 Gramm wöchentlich zu reduzieren, aufgeteilt in ca. 100 Gramm rotes Fleisch und 200 Gramm Hühnchen.
Wollen wir nicht nur auf uns achten, sondern auch auf die Welt, in der wir leben, ist ein Handeln und Umdenken gefragt. Nachdem viele Jahrzehnte dafür gekämpft wurde, genug auf dem Teller zu haben, leben wir heute in der dankbaren Situation, uns Gedanken machen zu dürfen, was gesunde Ernährung ist und wie wir uns auch für unsere Umwelt nachhaltig ernähren können.
Fußnoten
1 DGE, 14. Ernährungsbericht. (2020); Lippi G et al. (2015); Wang X et al. (2014)
2 Biesalski, H.K. (2018)
3 Kellman, R. 2018
4 The Lancet: Willett et al., 2019
5 Statistisches Bundesamt, Thünen-Institut
Literatur
• 10-Regeln-der-DGE.pdf, Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V., Bonn. https://www.dge.de/fileadmin/public/doc/fm/10-Regeln-der-DGE.pdf
• Biesalski, H.K. (2018): Gesunde Ernährung. In: Ernährung und Bewegung - Wissenswertes aus Ernährungs- und Sportmedizin. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-54027-5_1
• DGE, 14. (2020): Ernährungsbericht. S. 355–389.
• Kellman, R. (2018): Glück beginnt im Darm, riva Verlag.
• Lippi G et al. (2015): Red meat consumption and ischemic heart disease. A systematic literature review. Meat science. 2015; 108:32–36.
• Statistisches Bundesamt, Thünen-Institut, BLE (414), BVWS - Fleischverbrauch und Fleischverzehr je Kopf der Bevölkerung (wurstproduzenten.de).
• Wang X et al. (2014): Fruit and vegetable consumption and mortality from all causes, cardiovascular disease, and cancer: systematic review and dose-response meta-analysis of prospective cohort studies. BMJ. 349: S. 5472–5488.
• Willett, W., et al. (2019): Food in the Anthropocene: the EAT–Lancet Commission on healthy diets from sustainable food systems. The Lancet 393.10170 (2019): S. 447–492.
Autorin
Dr. rer. nat. Melanie Ziegler hat ein Diplom in Ernährungswissenschaft. Sie sammelte langjährige Erfahrung in der Forschung am Baker Herz und Diabetes Institut in Melbourne, Australien sowie am Universitätsklinikum Tübingen. Momentan arbeitet sie als Assistenz der Leitung in der Studienzentrale Neurosensorik am Universitätsklinikum Tübingen. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder.