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• Wald fasziniert nicht nur mich. Gerade in unserer überladenen Zeit voller Veränderungen sehnen wir uns nach Beständigkeit, Schönheit, Geborgenheit, Gelassenheit, Weite und Freiheit – der Wald liefert das alles. Und viel mehr. Neulich wurde ich eingeladen zu einem Radiosender. Fast eine Stunde stellte die nette Moderatorin Fragen zum Wald, ich erzählte. Am Ende der Sendung war etwas Unplanbares geplant: die Fragen der Zuhörenden. Ich hatte Respekt davor und, wie es sich zeigte, völlig zurecht. Denn fast alle Zuschauer:innen hatten Fragen zum Thema Gesundheit im Sinn. Eine Frau wollte von mir wissen, welchen gesundheitlichen Nutzen sie von ihrem neu erworbenen massiven Kiefertisch zu erwarten hatte. Dass dieser Nutzen in großem Umfang vorhanden war, stand für sie fest, aber sie wollte nun die Details in Erfahrung bringen. Da war ein guter Rat teuer. Und grundsätzlich war die Erwartung der Zuhörenden richtig. Der Wald liefert Gesundheit. Am meisten, wenn man ihn aufmerksam durchwandert, aber es ist erstaunlich, dass allein der Blick ins Grüne unsere Genesungsprozesse beschleunigt. Roger Ulrich beobachtete für eine Studie Patienten nach einer Gallenblasenoperation: wenn sie nach der Operation aus ihrem Krankenhausfenster einen Baum oder ins Grüne sehen konnten, benötigten sie weniger Schmerzmittel und ihre Wunden heilten schneller und sie konnten früher nach Hause entlassen werden als jene Patienten, durch deren Fenster keine Natur zu sehen war. Bei Waldaufenthalten erfolgt die Reduktion des Stresshormons Cortisol (besonders in Nadelwäldern). Auch eine Beduftung in geschlossenen Räumen mit Terpenen zeigte Erfolge. Mischwälder wirken hingegen besser hinsichtlich einer Verbesserung der kardiovaskulären Aktivität (z. B. Senkung des Blutdrucks, Entspannung des Herzschlags). Eine interdisziplinäre Studie aus dem Jahr 2019 im Auftrag vom Heilbäderverband BadenWürttemberg resümiert: „[Patient:innen]

Von Darius Götsch

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profitieren maßgeblich davon, wenn zusätzlich zu den stationären und ambulanten Interventionsmaßnahmen Achtsamkeitsübungen im Wald durchgeführt werden“. In Japan werden Waldbesuche per Rezept verschrieben und auch hierzulande erfreut sich das „Waldbaden“ zunehmender Beliebtheit. Es wird langsam Zeit für uns Christen, den Wald aus den Händen der Esoteriker zu nehmen und ihn als Gottes Beweis und sein Geschenk an uns und unsere Gesundheit zu propagieren. Für mich ist der tägliche Waldbesuch eine oft beglückende Erfahrung. Ich gehe mit Gebet hinein und schleppe treu und begeistert meinen Fotoapparat mit dem riesigen Teleobjektiv. Obwohl ich meistens die gleiche Strecke gehe, erlebe ich täglich Neues, Faszination ergreift mich immer noch und ich lerne dazu. Schönheit, Vielfalt und Weisheit der Schöpfung, die mich täglich umarmen und beschenken.

Einen meiner wichtigsten Grundsätze erfahre ich im Wald auf Schritt und Tritt: Gib nicht auf. Niemals. Unter keinen Umständen. Mach weiter. Es sind vor allem Bäume, die mir diese Botschaft vermitteln. Gerade in den dunklen Buchenwäldern entdecke ich am Boden scheinbar verhungernde junge Pflanzen. Die Großen lassen nur ca. drei Prozent des Lichtes durch. Man könnte sich da schon beklagen: Umzug nicht möglich, Auswandern keine Option – aber es wird ausgeharrt, bis der Tod kommt.

Aufgeben ist nicht vorgesehen. Aber auch die Tierwelt begeistert mich mit Bildern, die meine Resilienz fördern.

Den Kobel, eine Art Nest des Eichhörnchens, konnte ich auch die Tage zuvor nicht ohne Mühe in einer der alten Eichen zehn Meter über dem Boden lokalisieren. Aber heute richte ich die Kamera aus und suche und suche und zweifle an meiner Zurechnungsfähigkeit. Kein Kobel zu sehen. Ich entdecke das Eichhörnchen in den Strahlen der aufgehenden Sonne. Es sitzt etwas apathisch, scheinbar ohne die sonstige übersprudelnde Energie. Ich schöpfe einen Verdacht: ein Pärchen Eichelhäher, das ich hier neu entdecke, hat wohl den Kobel in die Tiefe stürzen lassen. Das Eichhörnchen läuft den Baum hoch und runter, irgendwie nicht fassend, dass sein Zuhause nicht mehr existiert. Ich gehe zu dem Baum und finde den Kobel aufgerissen auf dem Boden. Wie traurig. Ich schaue etwas nachdenklich auf die Trümmer und muss an die Enttäuschungen in meinem Leben denken. An die Sachen, in die ich viel investierte und durch Andere zerstört wurden. Der Verlustschmerz war groß. Was tut man dann? Was wird nun das Eichhörnchen tun? Zwei Tage später entdecke ich den Kobel aufgebaut. Nach der Phase des Schocks und der Trauer nutzte das Eichhörnchen das alte Material, um einige Bäume weiter ein neues Zuhause zu errichten.

Auch uns bleibt nichts anderes übrig, als das Geschehene zu akzeptieren, es zu verarbeiten und dann weiterzumachen. Jammern und Bedauern kommt im Wald nicht vor. Man stellt sich entschlossen den Schwierigkeiten und glaubt unerschüttert an einen guten Ausgang. Und arbeitet hart. Mit etwas Glück wird man auch erfolgreich. Auch ich werde irgendwann meinen Enkeln von meinen Niederlagen erzählen oder Bücher darüber schreiben. „Wisst ihr, als der Großpapa noch jung war…“ Das Schlimme von heute wird übermorgen Geschichte sein. Wenn wir mutig neu anfangen, wird uns der heutige Verlust stärker machen. Die Welt steht dir und mir genauso wie dem Eichhörnchen offen. Es gibt genug Baustoff und es gibt genug Bäume. Es wird Mühe kosten, ja, aber es ist alternativlos. Und wir schaffen es auch. Lasst uns weiter machen und Neues entstehen lassen. Und wie es Winston Churchill mal sagte: „Gib niemals, niemals, niemals auf“. Das gleiche Thema sehe ich einige Bäume weiter. Ich kann mein Glück nicht fassen: ich habe eine Höhle der seltenen und wunderschönen Schwarzspechte entdeckt. Als ich meine Kamera drauf halte, kann ich kaum glauben, was ich sehe. Aus der Dunkelheit der Höhle erscheint ein Ei. Mit Würde durch den Mann ausgeflogen, verlässt die Hoffnung auf Nachwuchs die Höhle. Bebrütet und viel Kraft investiert, aber es hat nicht funktioniert: das Ei wird jetzt entfernt. Auch das ist traurig. Für die Spechte ist es kein Grund aufzugeben. Einen Monat später sehe ich das bestätigt. Aus der Höhle schauen mich die frechen Gesichter des Nachwuchses an. Nach dem Verlust haben die Spechte es sofort noch einmal versucht – Ersatzgelege nennen es die Ornithologen. Ich nenne es „nicht aufgeben“. Weitermachen. Auch wenn es schmerzt und mühevoll ist. Auf geht’s!

Autor

Darius

Jammern und Bedauern kommt im Wald nicht vor. Man stellt sich entschlossen den Schwierigkeiten und glaubt unerschüttert an einen guten Ausgang.

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