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Common Knowledge als Motto der BIO 26: Leben in der Wissens- gesellschaft
COMMON KNOWLEDGE ALS MOTTO DER BIO 26:
LEBEN IN DER WISSENSGESELLSCHAFT
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Die 1963 gegründete BIO war die erste internationale Designbiennale Europas. Einst als Plattform für modernes Industriedesign ins Leben gerufen, hat sie sich in jüngster Zeit zu einem kreativen und kollaborativen Experimentierfeld gewandelt, das Lösungen für globale Herausforderungen aufzeigen und neue Denkansätze vorstellen möchte. 2019 war designaustria-Mitglied Thomas Geisler als vielbeachteter internationaler Kulturmanager eingeladen worden, die vom Museum für Architektur und Design (MAO) organisierte Biennale als Kurator zu begleiten. Im Rahmen von sogenannten »Designathons« ermittelte multidisziplinäre Designteams widmeten sich sechs mit dem Thema Wissen und Information verbundenen Aufgabenstellungen, die wir im Anschluss an das mit
Thomas Geisler geführte Interview vorstellen. bio.si
Als Kurator der 26. Designbiennale in Ljubljana hast du dich dafür entschieden, die Themen Information und Wissen aufzugreifen. Warum? Genau genommen ging es bei der Biennale um die akute Informationskrise, ihre gesellschaftlichen Implikationen, ihre Auswirkungen auf Alltag und Demokratie. Vor allem aber untersuchte sie die Rolle von Design und Kreativschaffenden bei der Bewältigung – aber auch der Verschlimmerung – dieser Krise. Im Titel »Common Knowledge« klingen einige Dinge an, mit denen wir uns beschäftigt haben: Was wissen wir wirklich? Wem gehört das Wissen? Wie gehen wir mit Wissen als Ressource um? Und was machen wir daraus? In unserer Betrachtung gehen wir von Wissen als Allgemeingut aus. Wir haben sechs interdisziplinäre Designteams eingeladen, renommierte Wissensinstitutionen in Ljubljana aufzusuchen, darunter ein Museum, eine Bibliothek, die Universität, eine Tageszeitung, aber auch den Botanischen Garten und ein Seniorenheim. Wir verstehen diese Orte als Wissensfabriken, deren Rohstoffe entweder Daten, Artefakte oder das Wissen von Mensch oder Natur bis hin zur künstlichen Intelligenz sein können. Die Biennale hat eine über 50-jährige Geschichte, die sich überwiegend mit Industrieproduktion befasst hat, bevor sie sich experimentelleren Zugängen im Design geöffnet hat.
Was sind deiner Meinung nach die kritischsten Problemfelder? Wir leben seit geraumer Zeit in der proklamierten Informations- bzw. Wissensgesellschaft. Neue Technologien ermöglichen es uns, mehr Daten als je zuvor zu sammeln, zu speichern und zu verarbeiten. Scheinbar stößt der Mensch jedoch an die Grenzen seiner Kapazitäten, wenn es darum geht, mit diesen Datenvolumen und -geschwindigkeiten umzugehen. Künstliche Intelligenz und Algorithmen mögen hier einen Ausweg bieten, aber sie kommen auch zu einem hohen Preis wie dauerhafter Datenabsaugung, Überwachung und Kontrollverlust. Daten werden als das neue Gold, als neue Währung, gehandelt – menschheitsgeschichtlich befinden wir uns im Zeitalter der Daten. Meiner Ansicht haben wir einen wertvollen Rohstoff entdeckt, der uns zwar berauscht, den wir aber noch nicht richtig einzusetzen wissen.
Wie sind Internet und Social Media einzuordnen? In Vorbereitung für die Biennale sind wir auf die Essaysammlung »World Brain« des britischen Science-Fiction-Autors H. G. Wells gestoßen. 1938 erschienen, beschreibt sie die utopische Idee einer Universalenzyklopädie, die die Menschheit davon abhalten soll, gegeneinander Kriege zu führen, und die dazu beitragen soll, weisere Entscheidungen für die Welt zu treffen. Das Gegenteil ist passiert. Wells’ Vision hat sich später mit dem World Wide Web und Wikipedia in ähnlicher Weise realisiert. Was sich im Zuge der Digitalisierung und des freien Zugangs zum Internet entwickelt hat, beschreibt der britische Künstler und Autor James Bridle in »New Dark Age«: ein neues Mittelalter mit anderen Waffen. Die Social-Media-Plattformen sind ein Katalysator, um Propaganda, Fake News und andere Grausigkeiten ungefiltert in die Welt hinauszublasen. Die Idee eines demokratischen Mediums wird laufend korrumpiert, faktisches Wissen mit einem Tweet diskreditiert. Das ist per se nichts Neues. Jedes Medium wurde dahingehend missbraucht, von der Zeitung bis hin zu Radio und TV. Neu ist die verstärkte Wirkung, da es sich nicht mehr nur um Einwegbotschaften handelt und die Dynamik der Verbreitung kaum mehr zu steuern ist. Sich heute eine eigenständige Meinung zu bilden, ist die wahre Herausforderung – bei vielen scheitert es schon an der Motivation. Ein kritischer Umgang mit dem Internet sollte daher frühzeitig in der Erziehung und Ausbildung verankert sein. Es lohnt sich auch,
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Marshall McLuhans »The Medium Is the Message« wieder zu lesen.
Welche Rolle kann Design im Hinblick auf Wissen und Wahrheit spielen? Die Organisation und Darstellung von Daten und Informationen, aber auch von Prozessen ist seit jeher eine Designdomäne, ob in Form von Produkten, Visualisierungen oder Interfaces. Die Aufgaben und Inhalte sind komplexer als früher und bedürfen in vielen Fällen disziplinübergreifender Ansätze. Design kann hier eine wichtige moderierende Rolle einnehmen, gerade weil Prozesse informations- und kommunikationsgetrieben sind und anfällig für Fehlinterpretationen oder Manipulationen. Die Gestaltung von Interaktion und die Verschmelzung des Analogen mit dem Virtuellen erweitern die Aufgabengebiete für Designschaffende enorm. Dabei unterliegen DesignerInnen wie andere Berufsgruppen ethischen Fragestellungen. Hier lässt sich ein Umdenken bei einer jüngeren Generation von GestalterInnen feststellen, die sich lieber in den Dienst einer guten Sache stellen und nicht mehr nur dem Kommerz hingeben: ob das die Arbeit für eine unabhängige Medienplattform ist oder die Entwicklung von Erzeugnissen, die für die Kreislaufwirtschaft geeignet sind. Überhaupt führt das Hinterfragen der eigenen Praxis zur Erlangung von Wissen und Wahrheit. Die gute Nachricht: Es gibt Millionen Aufgaben für DesignerInnen! Wie ist die BIO an das Thema herangegangen? Grundsätzlich gilt, dass sich die Biennale als Gesamtangebot versteht. Die sechs Auftragsprojekte, entstanden in Kooperation mit Institutionen in der ganzen Stadt, wurden von einer zentralen Ausstellung im Museum für Architektur und Design begleitet, die das Thema der Informationskrise mit historischen und zeitgenössischen Arbeiten aufbereitet und die Auftragsarbeiten einbettet hat. Zudem haben wir ein Begleitprogramm in Zusammenarbeit mit Beteiligten aus Europa und der ganzen Welt erarbeitet. Es wurden Leerstände im Stadtzentrum, eine Unterführung mit ehemaligen Geschäftslokalen, mit Ausstellungen, Präsentationen und Workshops bespielt. Dort fand sich sich etwa eine temporäre Bibliothek oder der Blumenladen »Green Refuge«, wo man verwaiste Pflanzen hinbringen oder abholen konnte.
Inwieweit spielte der Ort bei der Konzeption der Biennale eine Rolle? Von Anbeginn war es uns ein Anliegen, mit der lokalen Designszene zu arbeiten. Mit dem Grafikkollektiv Ljudje haben wir den idealen Partner gefunden, um die visuelle Identität zu transportieren. Die farbenfrohen Infografiken konterkarieren die teils erschreckenden Statistiken, die darin abzulesen sind, erzeugen aber Aufmerksamkeit. Das Kollektiv hat sich aber auch mit der visuellen Sprache der BIO bis hin zu ihrem Ursprung im Jugoslawien der
1 BIO 26: Kurator Thomas
Geisler und Teilnehmende am Projekt »Common Knowledge« 2 Designathon: Ermittlung der Projektteams und
Projekte
3 Ausstellungsansichten der BIO 26: »Common
Knowledge«
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1960er-Jahre auseinandergesetzt. Das Museum of Architecture and Design (MAO) in Ljubljana verfügt über eine reichhaltige Sammlung aus dieser Zeit: Teile waren in einer Art »Wunderkammer« in der Hauptausstellung der BIO zu sehen. Die BIO war in ihren Ursprüngen als Messe für Industriedesign konzipiert, Exportgeschäfte sollten angekurbelt werden. Man kennt die Sportmarke Alpina, den Haushaltsgerätehersteller Gorenje. Als blockfreier Staat war Jugoslawien quasi neutraler Boden, auf dem sich Ost und West begegnen konnten. Slowenien ist ein kleines Land mit einem kleinen Markt, weshalb mit der Unabhängigkeit und dem Niedergang der staatlichen Unternehmen viele Produktionsstätten wegfielen oder abwanderten. Auch aus diesem Grund musste sich die BIO neu orientieren. Heute versteht sie sich als Sprungbrett im globalen Netzwerk und als experimentelles Labor für aktuelle Fragestellungen im postindustriellen Design. In allen Projektteams, die in einem international ausgeschriebenen Wettbewerb und zwei »Designathons« vor Ort zusammengestellt wurden, haben sich auch Designtalente aus Slowenien qualifiziert. »Neue Funktionen für veraltete Strukturen« lautete unser Auftrag.
Wie kann eine Basis (wieder)geschaffen werden, auf die alle Menschen – egal mit welchem Gedankengerüst oder mit welcher politischen Einstellung – vertrauen können? Mit der BIO waren wir bemüht, eine Diskussion über die universale Informationskrise zu entfachen. Wir sind keine Wissenschaftstheoretiker, uns interessiert die Betrachtung aus der Perspektive des Designs. Wir entschlossen uns, als Hilfestellung mit der »Data Information Knowledge Wisdom Pyramid« (kurz »DIKW Pyramid«) zu arbeiten. Russell L. Ackoffs Essay »From Data to Wisdom« von 1989 zeigt auf anschauliche Weise, wo das System zusammenbricht. Durch die Überlast an Daten und Informationen kommt es zu Fehlern bei Bearbeitung, Analyse, Filterung und Verstehen. In der heutigen Wissensgesellschaft sind wir mit manipulierten Nachrichten und alternativen Fakten konfrontiert. Darauf wird es auch keine einfache Antwort geben. Um ein Problem zu lösen, muss es zuerst verstanden werden. Design- und Kunstschaffende bieten dafür hilfreiche Strategien. Design und Kunst können Menschen dabei unterstützen, die Welt kritisch zu betrachten, sie bringen Menschen zusammen und haben die Instrumente, relevante Erkenntnisse sichtbar zu machen. Mit »Common Knowledge« verstehen wir Wissen als Allgemeingut, es ging uns um das Zugänglichmachen und Teilen quer durch alle Schichten der Gesellschaft: Offenheit schafft im besten Fall Vertrauen. Wells’ Utopie eines »World Brain« hat immer noch Relevanz.
Teile des Interviews wurden bereits auf form-faktor.at publiziert. Wir bedanken uns für die Möglichkeit des vollständigen Abdrucks.
ÜBER DEN INTERVIEWTEN
Der österreichische Designkurator und Kulturmanager Thomas Geisler konzipiert internationale Ausstellungen u. a. für die Vienna Biennale, die London Design Biennale und das Vitra Design Museum. Seit Juli 2019 leitet er das Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Er war Geschäftsführer des Werkraums Bregenzerwald in Vorarlberg und Designkurator des MAK in Wien. Er war maßgeblich an der Gründung der Victor J. Papanek Foundation an der Universität für angewandte Kunst Wien beteiligt und Mitbegründer der Vienna Design Week. www.skd.museum