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MITTEILUNGEN
01.2020
Rückschau
COMMON KNOWLEDGE ALS MOTTO DER BIO 26:
LEBEN IN DER WISSENSGESELLSCHAFT Die 1963 gegründete BIO war die erste internationale Designbiennale Europas. Einst als Plattform für modernes Industriedesign ins Leben gerufen, hat sie sich in jüngster Zeit zu einem kreativen und kollaborativen Experimentierfeld gewandelt, das Lösungen für globale Herausforderungen aufzeigen und neue Denkansätze vorstellen möchte. 2019 war designaustria-Mitglied Thomas Geisler als vielbeachteter internationaler Kulturmanager eingeladen worden, die vom Museum für Architektur und Design (MAO) organisierte Biennale als Kurator zu begleiten. Im Rahmen von sogenannten »Designathons« ermittelte multidisziplinäre Designteams widmeten sich sechs mit dem Thema Wissen und Information verbundenen Aufgabenstellungen, die wir im Anschluss an das mit Thomas Geisler geführte Interview vorstellen. bio.si
Als Kurator der 26. Designbiennale in Ljubljana hast du dich dafür entschieden, die Themen Information und Wissen aufzugreifen. Warum? Genau genommen ging es bei der Biennale um die akute Informationskrise, ihre gesellschaftlichen Implikationen, ihre Auswirkungen auf Alltag und Demokratie. Vor allem aber untersuchte sie die Rolle von Design und Kreativschaffenden bei der Bewältigung – aber auch der Verschlimmerung – dieser Krise. Im Titel »Common Knowledge« klingen einige Dinge an, mit denen wir uns beschäftigt haben: Was wissen wir wirklich? Wem gehört das Wissen? Wie gehen wir mit Wissen als Ressource um? Und was machen wir daraus? In unserer Betrachtung gehen wir von Wissen als Allgemeingut aus. Wir haben sechs interdisziplinäre Designteams eingeladen, renommierte Wissensinstitutionen in Ljubljana aufzusuchen, darunter ein Museum, eine Bibliothek, die Universität, eine Tageszeitung, aber auch den Botanischen Garten und ein Seniorenheim. Wir verstehen diese Orte als Wissensfabriken, deren Rohstoffe entweder Daten, Artefakte oder das Wissen von Mensch oder Natur bis hin zur künstlichen Intelligenz sein können. Die Biennale hat eine über 50-jährige Geschichte, die sich überwiegend mit Industrieproduktion befasst hat, bevor sie sich experimentelleren Zugängen im Design geöffnet hat. Was sind deiner Meinung nach die kritischsten Problemfelder? Wir leben seit geraumer Zeit in der proklamierten Informations- bzw. Wissensgesellschaft. Neue Technologien ermöglichen es uns, mehr Daten als je zuvor zu sammeln, zu speichern und zu verarbeiten. Scheinbar stößt der Mensch jedoch an die Grenzen seiner Kapazitäten, wenn es darum geht, mit diesen Datenvolumen und -geschwindigkeiten umzugehen. Künstliche Intelligenz und Algorithmen mögen hier
einen Ausweg bieten, aber sie kommen auch zu einem hohen Preis wie dauerhafter Datenabsaugung, Überwachung und Kontrollverlust. Daten werden als das neue Gold, als neue Währung, gehandelt – menschheitsgeschichtlich befinden wir uns im Zeitalter der Daten. Meiner Ansicht haben wir einen wertvollen Rohstoff entdeckt, der uns zwar berauscht, den wir aber noch nicht richtig einzusetzen wissen. Wie sind Internet und Social Media einzuordnen? In Vorbereitung für die Biennale sind wir auf die Essaysammlung »World Brain« des britischen Science-Fiction-Autors H. G. Wells gestoßen. 1938 erschienen, beschreibt sie die utopische Idee einer Universalenzyklopädie, die die Menschheit davon abhalten soll, gegeneinander Kriege zu führen, und die dazu beitragen soll, weisere Entscheidungen für die Welt zu treffen. Das Gegenteil ist passiert. Wells’ Vision hat sich später mit dem World Wide Web und Wikipedia in ähnlicher Weise realisiert. Was sich im Zuge der Digitalisierung und des freien Zugangs zum Internet entwickelt hat, beschreibt der britische Künstler und Autor James Bridle in »New Dark Age«: ein neues Mittelalter mit anderen Waffen. Die Social-Media-Plattformen sind ein Katalysator, um Propaganda, Fake News und andere Grausigkeiten ungefiltert in die Welt hinauszublasen. Die Idee eines demokratischen Mediums wird laufend korrumpiert, faktisches Wissen mit einem Tweet diskreditiert. Das ist per se nichts Neues. Jedes Medium wurde dahingehend missbraucht, von der Zeitung bis hin zu Radio und TV. Neu ist die verstärkte Wirkung, da es sich nicht mehr nur um Einwegbotschaften handelt und die Dynamik der Verbreitung kaum mehr zu steuern ist. Sich heute eine eigenständige Meinung zu bilden, ist die wahre Herausforderung – bei vielen scheitert es schon an der Motivation. Ein kritischer Umgang mit dem Internet sollte daher frühzeitig in der Erziehung und Ausbildung verankert sein. Es lohnt sich auch,