LIEBE GÄSTE UND FREUNDE DER BLAUEN GANS, I M V O R W O R T Z U R L E T Z T E N A U S G A B E habe ich
Kreuzung, „die Eiligen und Unachtsamen we-
über „eine Reise, die zu wunderbaren Orten
nig zu bieten hat und doch die unerkannte
führt“ geschrieben. Gemeint waren die nach
Mitte einer Welt ist“, sowie auf die „Unörtlich-
dem großen Umbau neu entstandenen Orte in
keit“ moderner Großflughäfen.
der Blauen Gans, und das besondere Lebens-
Am wenigsten Ort ist wohl jener, der gar nicht
gefühl, das den Räumen des Hauses einge-
erst gebaut wurde; über die Utopien des „Unge-
schrieben ist.
bauten Salzburg“ berichten der Bauhistoriker Roman Höllbacher und unser Architekt Chri-
I N U N S E R E M N E U E N H E F T verlassen wir die
stian Prasser, dessen ungebaute Diplomarbeit
Blaue Gans – natürlich nur, um wieder zu ihr
gegenüber der Blauen Gans noch auf ihre Re-
zurückzukehren – und gehen suchend der Fra-
alisierung wartet. Ebenfalls Historisches über
ge nach der Besonderheit von Orten nach: wie
den Salzburger Schnürlregen, eine nur an die-
ist ein Ort definiert, was bestimmt seine Qualität? Welche Orte machen eine Stadt attraktiv? Ist das, wo man ankommt, in einem Hotel
sem Ort zu existieren schei-
Places. Örtlichkeiten, Orte, Nicht-Orte.
beispielsweise, ein Ort, oder gar ein „Non-Lieu“, ein Nicht-Ort, wie wir
nende Sonderform des Regens erfahren wir von Hans Spatzenegger. Die Museumsdirektorin Sabine Breitwieser haben wir gefragt, was
ein guter Platz für die Kunst ist. Und wir
beim französischen Anthropologen Marc Augé
besuchen Orte, die deshalb Orte sind, weil
nachgelesen haben?
Menschen ihr Leben an ihnen gestalten. Wie
F R A G E N W I E D I E S E lassen sich gut auf einem
Inga Horny uns ihre Gedanken beigepackt hat.
Fahrrad besprechen. Wir laden Sie ein, blät-
Mit Arno Geigers schriftstellerischer „Hotelbe-
ternd mit uns zu radeln auf der Suche nach
trachtung“ kehren wir in die Blaue Gans, dem
versteckten und offensichtlichen Orten der
Ausgangspunkt unserer Rundfahrt, zurück.
zum Beispiel Märkte, über die Stadt-Expertin
Stadt. Wir, das sind neben dem Autor dieser Zeilen der in Salzburg geborene und in
U N S E R E T O U R ist flankiert von Hinweisen und
Wien lebende Fotograf Ingo Pertramer, der
Empfehlungen, wie immer sind diese streng
sich einer Bildsprache bedient, die das touri-
subjektiv. Mögen sie jene zu Findenden ma-
stische Selfie-Motiv bewusst ausblendet und
chen, die nichts suchen. Viel Vergnügen dabei.
dessen geschultes Auge aufspürt, was nicht augenfällig ist. In ähnlicher Weise lenkt der große Salzburger Schriftsteller Karl-Markus
Andreas Gfrerer
Gauß unseren Blick auf eine unscheinbare
Blaue Gans-Eigentümer
03
IMPRESSUM: G Ä N S E H A U T – Das Magazin der Blauen Gans Medieninhaber & Herausgeber: arthotel Blaue Gans . Andreas Gfrerer . G&G Gfrerer u. Gfrerer Hotel- und Restaurant BetriebsGmbh . Getreidegasse 41–43 A 5020 Salzburg . P +43 662 84 24 91-0 . F +43 662 84 24 91-9 office@blauegans.at . www.blauegans.at
06 Durchgangsstationen des modernen Lebens VOM ANKOMMEN
08 Unorte, Örtlichkeiten KARL-MARKUS GAUß AM UNORT GROSSFLUGHAFEN
10 Im Welterbebezirk DER STEIN DER STADT, DER STEIN DER BERGE
18 Das Ungebaute Salzburg ROMAN HÖLLBACHERS SAMMLUNG VON ORTEN, DIE SICH IN DER ZEIT VERLOREN HABEN
22 Eine Zahnlücke, die es zu füllen gilt DIE UNGEBAUTE DIPLOMARBEIT GEGENÜBER DER BLAUEN GANS
24 Im Nonntal UNI-PARK, KUNSTACKER, DESIGNZONE
28 An der Alm DEN ÄLTESTEN NOCH FUNKTIONSFÄHIGEN INDUSTRIEBAU EUROPAS ENTLANG
04
Redaktionsleitung: Andreas Gfrerer Fotos: arthotel Blaue Gans . Ingo Pertramer (falls nicht anders angegeben) Art Director: Designschmide . Caro Schmid Bundesstraße 22 . A 5071 Wals grafik@designschmide.at . www.designschmide.at
34 Ein guter Platz für die Kunst 13 FRAGEN AN DIE MUSEUMSDIREKTORIN SABINE BREITWIESER
38 Die Bäcker-Bacher-Kreuzung KARL-MARKUS GAUß SCHÄTZT EINEN UNSCHEINBAREN ORT
42 Im Andräviertel GRÜNDERZEIT-GRANDEZZA, MARKTGEBIET, BOBOHAUSEN
45 Orte auf Zeit INGA HORNY UND DER ZAUBER VON MÄRKTEN
46 Von der Verortung des Regens ANEKDOTEN VON HANS SPATZENEGGER RUND UM DEN SALZBURGER SCHNÜRLREGEN
50 In der Steingasse LICHTSPIELE UND SCHATTENSEITEN
52 Was uns zum Leben fehlt HOTELBETRACHTUNG VON ARNO GEIGER
54 Nehmen Sie bitte Platz! VOM ZUSAMMENRÜCKEN
05
Ankommen. D A S Z U H A U S E , das man gerade verlassen hat, tauscht man durch ein Zuhause auf Zeit. Auf Basis dieser Beobachtung hat die InterContinental-Hotelkette in den 60er Jahren den Slogan „Home away
Der Vorgang beim (vorläufigen) Abschluss einer Ortsveränderung wird gemeinhin mit Hotels in Verbindung gebracht, wo man mit „Willkommen“ begrüßt und nach dem Verlauf des nun zu Ende gekommenen Reiseabschnitts befragt wird.
from Home“ kreiert und
der Einsamkeit ihres Lebens verlieren, ist die 52. Etage des Park Hyatt Hotels die Folie für ein Aufeinandertreffen in einer Welt, die für Begegnung weder Platz noch Zeit bereitzuhalten scheint. Der Film zeigt Orte einer eigen-
mit ihm die Uniformität ihrer Hotels als Ver-
tümlichen Geschichts- und Referenzlosigkeit,
kaufsargument beworben. Das Kalkül der
mit denen sich der französische Anthropolo-
Werbetexter: eben dadurch, dass diese über-
ge Marc Augé in seinen „Vorüberlegungen zu
all gleich eingerichtet seien, in Johannesburg
einer Ethnologie der Einsamkeit“ beschäftigt
ebenso wie in Berlin-Charlottenburg, der Gast
hat, und auf dessen Konzept der „Nicht Orte“
also wisse, wo er jene Utensilien und Einrich-
(„Non-lieux“) ich durch ein Kunstprojekt mit
tungsgegenstände finden kann, die ihm Ori-
der jungen Südtiroler Künstlerin Sissa Mi-
entierung in der Orientierungslosigkeit der
cheli aufmerksam geworden bin.
„Terra Incognita“ bieten, eben erst dadurch entstünde das heimelige Gefühl des Aufgeho-
A U G É S B E G R I F F D E R Ü B E R M O D E R N E („Surmo-
ben-Seins, wie wir es sonst von zuhause nur
dernité“), aus der diese Nicht-Orte entstehen,
kennen, und das uns die Fremde zum Daheim
geht davon aus, dass wir tagtäglich sehr be-
werden lässt. „Ankommen“ eben.
wusst das Bedürfnis verspüren, der Welt einen Sinn zu geben; der Welt, wohlgemerkt, nicht
D E R S P R U C H V O M Z U H A U S E in der Fremde
nur unserem engsten Umfeld, einem Dorf oder
stammt aus einer Zeit beginnender globaler
einer Sippe. Dieser Drang, die Welt mit einem
Massenreisetätigkeit, scheint aber an Aktua-
Sinn auszustatten, bewirke eine Überfülle der
lität nichts eingebüßt zu haben: Google listet
Ereignisse, und diese Ereignisdichte drohe
mehr als 446.000 Wohnstätten (vorwiegend
der Zeitgeschichte jede Bedeutung zu nehmen.
Hotels) auf, die solcherart Vertrautheit ver-
„Die Geschichte ist uns auf den Fersen. Heute
sprechen. Es wird durch diese verführerische
gehen die sechziger, siebziger und die achtzi-
Aussage ein Ort in einer bestimmten Qualität
ger Jahre ebenso schnell in die Geschichte ein,
angedeutet, der einem implizit behaupteten
wie sie aus ihr hervortraten.“
Chaos die Sicherheit und die Überschaubarkeit seiner sozialen Codierungen gegenüberstellt.
A L S Z W E I T E S M E R K M A L D E R Ü B E R M O D E R N E führt er das Übermaß an Raum an. „Die Schnellig-
IN SOF I A COP P OL A S F IL M „Lost in Translation“,
keit der Verkehrsmittel sorgt dafür, dass der
in dem sich ein alternder US-Filmstar und
Abstand zwischen zwei beliebigen Hauptstäd-
eine junge Yale-Absolventin in Tokio und in
ten nicht mehr als wenige Stunden beträgt.“
06
BLICK AUS EINEM HOTELZIMMER FENSTER ZUR BÜHNE DER WELT
Die Überfülle an Ereignissen und die Auflö-
Städten. Ein Ort, um es auf den Punkt zu
sung von Raumbezügen führen laut Augé zu
bringen, ist gekennzeichnet durch Identität,
einer Krise der individuellen und kollektiven
Relation und Geschichte. Er ist ein Spiegel
Identität. Unsere Welt ist eine der Massenmo-
menschlicher Aktivität. Die Menschen, die
bilität und Totalinformation, in der Raum und
wir in diesem Heft zeigen, haben sich den Ort,
Zeit sonderbar zusammengestaucht sind und
an dem sie ihren Lebensmittelpunkt begrün-
aus gewohnten Orten neue, befremdlich neu-
det haben, durch ihr Tun im besten Sinne an-
trale Räume werden. Augés Hypothese lautet,
geeignet. Deshalb hat mich die genauere Lek-
dass die Übermoderne „Nicht-Orte“ hervor-
türe von Augés „Ethnologie der Einsamkeit“
bringt, also Räume, die selbst keine anthropo-
beruhigt, in der er vor allem Motels, Großho-
logischen Orte sind.
tels und Hotelketten zu den Nicht-Orten zählt.
„Der Raum der Übermoderne ist von diesem
U N S E R E B L A U E G A N S , folgt man Augés Konzept,
Widerspruch geprägt: Er hat es stets nur
fällt nicht unter diese Kategorie. Mit ihrer
mit Individuen zu tun (mit Kunden, Passagieren,
über 660 Jahre andauernden Geschichte, ih-
Benutzern, Zuhörern), doch er identifiziert,
rer Identität und Eigenständigkeit ist sie ein
sozialisiert und lokalisiert diese Individuen
Ereignispunkt sozialer Interaktion. Wir sehen
lediglich am Eingang oder am Ausgang.“
unser Haus als Herberge im besten Sinn. Unsere Gäste sollen umfangen sein von schönen
J E D E R K E N N T S I E , K A U M E I N E R M A G S I E , die
Dingen, in die Menschen viel Zeit und Hingabe
Durchgangsstationen des modernen Lebens:
gelegt haben, und vom Wirken aufmerksamer,
Bahnhöfe und Flughäfen, Raststätten, Super-
guter Geister. Über 100 originale Kunstwerke
märkte, und, da bin ich aufgeschreckt: Hotels.
bieten die Möglichkeit für Nachdenklichkeit,
Die Schauplätze moderner Unbehaustheit mit
Spannung und Überraschung. Diese Ener-
ihren Wartezonen und Aufenthaltsbereichen,
gie lassen wir auf die alten Mauern unseres
ihrer allgegenwärtigen Warenwelt und Dauer-
Hauses treffen, die Zeugen vergangener Epo-
kommunikation sind Passagen, dafür gemacht,
chen sind und die Zeit in sich aufgenommen
uns weiterzureichen.
haben. Kein Zimmer gleicht dem anderen, dafür hat eine rege Bautätigkeit über die Jahr-
„Der Nicht-Ort ist das Gegenteil
hunderte gesorgt. Eine gewisse Einfachheit,
der Utopie: er existiert, und er beherbergt
Schlichtheit, man könnte sagen: Understate-
keinerlei organische Gesellschaft …“
ment sind dem Haus eigen. Wir verwenden Naturmaterialien und bekennen uns zu hoch-
D I E O R T E , D I E D I E Ü B E R M O D E R N E in zuneh-
wertigem Handwerk in Zimmer, Küche und
mendem Ausmaß schafft (man denke nur
Keller. Wir machen gerne alles selbst, für Sie.
an Fachmarkt-, Einkaufs- und Outletzentren)
Wie zum Beispiel dieses Heft, das Sie gerade
sind geprägt von Austauschbarkeit und Ver-
in Händen halten.
ag
einzelung, und werden einander in ihrer Geschichtslosigkeit immer ähnlicher. Augé ortet eine „Kollektivität ohne Fest und Einsamkeit
DIE BLAUE GANS IST EIN ORT, WO MAN GUT ANKOMMT.
ohne Isolierung.“ Er fürchtet um die Kraft der
JETZT WISSEN WIR AUCH, WARUM. SCHÖN, DASS SIE BEI
poetischen Verführung und Identifikation von
UNS SIND. HERZLICH WILLKOMMEN!
07
Unorte, Örtlichkeiten A U S : „ Z U F R Ü H , Z U S P ÄT “ V O N K A R L- M A R K U S G A U ß .
W E R H Ä U F I G M I T D E M F L U G Z E U G U N T E R W E G S I S T, der
ist schon vergessen, und wer je hier ankommen wird,
weiß, daß wir dazu genötigt werden: uns die Zeit,
den verschluckt der Unort, um ihn irgendwohin aus-
die wir gewinnen, wartend zu verdienen. Alles in
zuspeien. Wie viele sich hier auch aufgehalten haben,
allem waren es drei, vier Tage, die ich in den letzten Wochen dösend auf den paar Großflughäfen ver-
der Großflughafen hat nichts von ihrer Geschichte aufgenommen.
brachte, von denen auch die abgelegenen Städte unseres Kontinents angeflogen werden, Tage einer nervösen Geistesabwe-
JE L Ä NGE R DIE WA R T E Z E I T IS T, die mir beim Umsteigen zur Verfügung steht,
senheit, vergeudet an einem repräsentativen Ort der Epoche. Präziser
desto mehr muß ich durch ein striktes Reglement der Selbstbeobach-
gesagt, der Großflughafen ist gar kein Ort, sondern der wahre Unort
tung darauf achten, den Abflug meiner Maschine am Ende nicht doch zu
auf Erden, die Negation einer Stätte, an der der Mensch seiner selbst
versäumen. Denn keinen anderen Ort kenne ich, an dem man so leicht
inne werden könnte. Keiner, der durch diesen Unort geschleust wird,
in ein seltsam leeres Träumen gerät, in einen Zustand vegetativen Däm-
vermag ihm auch nur die geringste Spur seiner Anwesenheit zu hinter-
merns wie den Großflughafen. Unablässig wallt und rauscht es an uns
lassen. Die billig gepolsterten Sitze der Wartehallen werden alle Tage
vorbei, Tausende sind es schon nach einer Stunde, deren Blick in dem
ein wenig tiefer eingedrückt, vom Gewicht unzähliger Namenloser,
unseren erloschen ist, und die Stimme aus dem Lautsprecher, immer
von denen nichts blieb als dieser Abdruck.
dieselbe, überall, wird nie verstummen, sie sickert über das Ohr in uns
W E R IMME R HIE R W E GGE F L OGE N IS T, von Wien/Schwechat, München/Franz-
läuft, so nehmen wir nach einiger Zeit auch nicht mehr wahr, daß diese
Josef-Strauss, von Paris/Charles de Gaulle oder Frankfurt/Rhein-Main,
Stimme durch unsere schlaflose Erschöpfung klingt.
ein, und wie wir nicht bemerken, daß das Blut durch unser Aderwerk Zsolnay, 2007
K A R L- M A R K U S G A U ß Z Ä H LT Z U D E N B E D E U T E N D S T E N S C H R I F T S T E L L E R N Ö S T E R R E I C H S . E R I S T E S S A Y I S T, K R I T I K E R U N D H E R A U S G E B E R D E R Z E I T S C H R I F T „ L I T E R A T U R U N D K R I T I K “. K A R L- M A R K U S G A U ß L E B T U N D A R B E I T E T I N S A L Z B U R G .
08
AUF DER EISENBAHNBRÜCKE ÜBER DIE SALZACH ( ARCHITEKTUR: HALLE 1) , BEGINN DES BAHNHOF-AREALS
Der Stein der Stadt und der Stein der Berge … ROMAN HÖLLBACHER
So verführerisch der Blick auf die zu Stein gewordene Schönheit ist: auf den ersten Metern unserer Entdeckungsfahrt wollen wir ihn auf die ganz normalen Besonderheiten des Alltäglichen richten. Vergessen Sie, was Ihnen Ihr Reiseführer erzählt und machen Sie sich Ihr eigenes Bild.
SCHLOSSEREI SCHMIDT, HERRENGASSE 12
LEBENDIGES HANDWERK: SCHMIEDEWERKSTATT IN DER HERRENGASSE
SIGMUND-HAFFNER-GASSE MdM RUPERTINUM Talstation des Museums der Moderne
GALERIE WELZ Klassiker der Salzburger Galerienszene
CAFÉ MEDITERRANEO Echter Römer, echt römischer Espresso vor der Franziskanerkirche
MUSIKHAUS KATHOLNIGG Klassik & Jazz zum Reinhören und Mitnehmen
GEHEIME SPEZEREY Ein Achterl auf der Gasse, eigene Schweinezucht
KUNSTWERK DER SALZBURG FOUNDATION „Awilda“ von Jaume Plensa im Hof der Universität
HÖLLRIGL Gut sortierte Buchhandlung im Ritzerbogen
FÜRST IM RITZERBOGEN Mozartkugel – das echte Original!
ERLACH Bio-Metzgerei. Bio-Leberkäse probieren!
FEINES HANDGEMACHTES, AUCH ALS MITBRINGSEL: GENUSSMANUFAKTUR AM MOZARTPLATZ
MAKOLE Damenmode, Marke Edel-Design
12
STIFTSBÄCKEREI ST. PETER, KAPITELPLATZ 8
Die weißen Flecken sind von der Landkarte verschwunden. Wer Exotik sucht, kann sie vor der Haustüre finden. (… ) Vorbei die Zeiten, da das Ferne auch das Fremde garantierte.
LEBENDIGES HANDWERK: IN DER STIFTSBÄCKEREI ST. PETER. HIER SCHIESST DER ALMKANAL AUS DEM BERG!
„D I E Z E IT“
UND: TOMASELLI Bevorzugt draußen, Klassiker, immer noch sehr super, Alter Markt
TOLLE AUSSICHT
OFENWARME BRIOCHES PROBIEREN!
Fahrt auf den Glockenspielturm, Salzburg Museum, Residenzplatz
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WE LOVE COFFEE, MOZARTSTEG
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ER SIEHT AUS WIE EIN ISTRISCHER MUSCHELZÜCHTER, DER AN DEN GESTADEN DER SALZACH GESTRANDET IST: UNSER EHEMALIGER MITARBEITER IVIZA „IVI“ ZLATIC HAT DEN ALTSTADTSEITIGEN BRÜCKENKOPF DES MOZARTSTEGES GEKAPERT UND VERKAUFT DORT HOCHWERTIGEN NICARAGUANISCHEN KAFFEE AN PASSANTEN. „WE LOVE COFFEE“ NENNEN ER UND SEINE FRAU JANA DEN KLEINEN KIOSK, DER AUF EINEM VERKEHRSREICHEN KREUZUNGSPUNKT KAFFEE-AFICIONADOS ZUM VERWEILEN EINLÄDT.
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K O M M T M A N V O M M O Z A R T P L AT Z Ü B E R D I E E N G E P F E I F E R G A S S E I N S K A I V I E R T E L , Ä N D E R N S I C H S O G L E I C H R H Y T H M U S U N D F Ä R B U N G . EINE BESCHAUL ICHE ATMOSPHÄ RE IS T DEM V IER TEL ZU EIGEN, DAS A L S S TA NDOR T MEHRERER UNI V ERSITÄTEN, EINES SPITA L S, EINES
BLUMEN ASTREIN, PFEIFERGASSE 5
PFEIFERGASSE LOTUS RECORDS Feine Auswahl an Klassik, World Music und Jazz
IMPORTED Wohnaccessoires aus Indien und Pakistan
FASTIES Die besten Tramezzini der Stadt und netter Gastgarten am Papagenoplatz
ASTREIN Ausgefallene Blumenkreationen und Deko
MATOMBO Schönes aus Afrika
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WEITEREN IN SICHT WEITE UND DER HOHEN GERICHTSBARKEIT SEINE AUTHENTIZITÄT BE WA HREN W IL L . NOT MUCH TO SEE – AUF DEN E R S T E N B L I C K . M U LT I - K U LT I I S T H I E R Z U F I N D E N , U N D W I R D V O N E I N E R W A C H S E N D E N F A N G E M E I N D E J E D E N J U N I L A U T S T A R K G E F E I E R T.
FASTIES, PFEIFERGASSE 3
MARC’S Neighborhood-Lokal mit Life Cooking und Weinkeller
AOZAI Authentische Vietnamesische Küche, Chiemseegasse
DIE FLINKE MANUELA MOSER VOR IHREM FASTIES
MOZART KINO Mini-Blockbuster-Kino, Kaigasse
220 GRAD Kaffee frisch geröstet, frisch gemahlen, frisch gebrüht, Chiemseegasse
HINTERBRÜHL Bodenständiges & Hausmannskost. Kalbszüngerl! Kajetanerplatz
EIBL Cooler Fashion Store, Kajetanerplatz
KAIVIERTELFEST Musik und Kulinarisches aus aller Welt in der ersten Juniwoche
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Dieter Huber, Salzburg.Natural, 2015, LED-Lightbox, Thermosublimationsdruck, Acryl, Holz
Orte, die sich in der Zeit verloren haben. In Zusammenarbeit mit dem Museum der Moderne kuratierte der Architekturhistoriker Roman Höllbacher eine bemerkenswerte Ausstellung über Salzburger Bauprojekte, die niemals das Licht der Welt erblickten. Doppelt virtuell: ein aus der Ausstellung entstandener virtueller Stadtführer zeigt Orte, die es nie gab, und die trotzdem zur Geschichte der Stadt gehören.
Architekturgeschichte als Ideengeschichte UNGEBAUTES SALZBURG – ZEITREISE IN EINE VIRTUELLE STADT
„Das Beste, was gebaut wurde, mein Sohn, ist nur auf dem Papier gebaut
harrt noch eines Autors. Einer der ersten, der sich an dieses Thema
worden (...). Es gibt auf der ganzen Welt kein wahrhaft großes Bauwerk, das
und an den geistigen Schatz, der darin schlummert herangetastet hat,
nicht Ruine wäre, im einen oder anderen Sinne. Und wenn es scheinbar auch
war der Schriftsteller Josef Ponten. Es kommt wohl nicht von ungefähr,
vollendet wurde, so konnte es nie vollendet werden, wie der Baumeister es sich
dass er in einer Zeit schrieb, in der phantastische Entwürfe eines Bru-
gedacht hatte, tausend Rücksichten verhinderten das.“
no Taut, eines Hans Poelzig oder die Gebrüder Luckhardt entstanden,
JOSEF PONTEN, DER BABYLONISCHE TURM
also in einer Epoche in der mehr gezeichnet als gebaut wurde.
A R C H I T E K T U R G E S C H I C H T E V E R S T E H T S I C H im Allgemeinen als Sammlung
UNGEBAUTES SALZBURG
gebauter Objekte, als eine Wunderkammer von Räumen, Formen und
W O W Ä R E D A S E B E N B E S C H R I E B E N E B E S S E R N A C H V O L L Z I E H B A R und plau-
Materialien. In den Handbüchern zur Genese der Baukunst bestimmen
sibler als in Salzburg, jener Stadt, in der Architektur und Natur, der
die technischen Meisterleistungen der antiken Architekten, der mittel-
Stein der Stadt und der Stein der Berge zu einem einzigartigen Ge-
alterlichen Bauhütten und die technischen Neuerungen der industriel-
samtkunstwerk verschmolzen sind. Hier erscheint jedes Element, vom
len Revolution, die kühne Konstruktionen ermöglichte, wie sie die Welt
stadtbildprägenden Monument bis hin baulichen Detail nur dafür ge-
bis dahin noch nicht gesehen hatte, den Takt der Erzählung. Bis herauf
macht zu sein, diese Einheit aus Natur und Kunst zu bestätigen. Dabei
zum Stahlbeton, der für das 20. Jahrhundert zum Synonym der Mo-
hatte die Stadt in der Vergangenheit viel Glück und sie musste seit
derne avancierte, versteht sich die Geschichte der Architektur als die
vielen Jahrhunderten kaum Zerstörungen erleben. Man hat an ihr wei-
Geschichte bautechnischen Fortschritts. Konsequenterweise kommt
ter gebaut, und weder das 19. Jahrhundert noch der letzte große Krieg
all das, was diesem Fortschrittsgedanken und mit dem Bauen selbst
und nicht einmal die wirtschaftswunderlichen Jahre des Wiederauf-
nichts zu tun hat, nur am Rande vor. Jene Konzepte, die scheiterten,
baues hinterließen Schäden, die man nicht hätte reparieren können.
weil sie technisch zu ihrer Zeit nicht machbar waren oder jene, die gar
So ist es mehr als einleuchtend, dass die Summe des Gebauten die
nie darauf angelegt waren, auch gebaut zu werden, sind im Denken
Identität der Stadt als ihre historisch gewachsene Identität bestimmt.
über die Architektur verspielte Fußnoten oder absurde Marginalien,
Im geschichtlichen Rückblick scheint sich darin auch die heimliche
am Abgrund zur gebauten Realität. Eine Geschichte der Entwürfe und
Bestimmung der Stadt – der Genius loci – zu manifestieren. Ausgeson-
des Ungebauten als eine Ideengeschichte der Architektur verstanden,
dert wird dabei das Gedachte, aber nie Gebaute, das Inkommensurable,
20
Delugan Meissl Associated Architects. Panoramalift Mönchsberg, 2003 Rendering ©Delugan_Meissl Associated Architects
Hans Hollein. Guggenheim Museum im Mönchsberg, 1990. Schnittmodell. ©Archiv Hans Hollein
ROMAN HÖL L BACHER HAT KUNS TGESCHICHTE UND PUBL IZIS TIK AN DER UNIV ERSITÄT SAL ZBURG S TUDIERT UND IS T KÜNS TL ERISCHER L EITER DER INITIATIV E ARCHITEK TUR.
wenn man so will. Dabei sind es in der Erinnerung genau die niemals
einem Armeekommando tatsächlich gebaut. Bis herauf zu Álvaro Siz-
realisierten Entwürfe, die die Emotionen der Bürgerinnen und Bürger
as Entwurf für einen Lift an der Mönchsbergwand oder Hans Holleins
der Stadt, aber auch ihrer Gäste am meisten bewegten. Im Rückblick
epochalen Entwurf für ein Guggenheim-Museum wurden dabei Kon-
sind es nicht die gebauten, sondern die gescheiterten Projekte, die die
zepte und architektonische Ideen für diese Stadt vorgestellt.
Emotionen der Zeitgenossen bestimmten.
B E I A L L D E R O F F E N S I C H T L I C H E N W I D E R S P R Ü C H L I C H K E I T müssen wir auch D I E S E W E LT D E R A R C H I T E K T O N I S C H E N I D E E N spielt in der Geschichte der
begreifen, dass wir ohne diese Entwürfe, selbst wenn es im Nachhi-
Stadt eine unterschätzte Rolle. Sie gehört genauso zur Entwicklung
nein als Glücksfall erscheint, dass das eine oder andere davon in den
Salzburgs wie der von Santino Solari gebaute Dom, dem ein monumen-
Schubladen blieb, kein Bild von der Zukunft der Stadt besäßen. Das
taler Entwurf von Vincenzo Scamozzi voranging oder das Festspiel-
Denken über die Stadt, planen, verwerfen und wieder von Neuem zu
haus von Clemens Holzmeister und dessen Antithese – die niemals
beginnen gehört zum Prozess der Stadt. Genau dazu sollte auch die
realisierte Vision von Hans Poelzig eines Festspielhauses im Schlos-
Auseinandersetzung mit diesen Entwürfen anregen und fragen: Wo-
spark von Hellbrunn. In der Ausstellung „Ungebautes Salzburg“, die
raus speisen sich die Bilder für das Salzburg des 21. Jahrhunderts?
das Museum der Moderne Salzburg im Frühjahr 2015 zeigte, ging es
„Ungebautes Salzburg“ beschreibt eine andere Stadt, eine die man nur
erstmals um diese andere Perspektive auf die Stadt. Sie zeigte die
virtuell erleben kann und widmet sich den Ideen für die Orte, die sich
Bedeutung des Entwurfs in der Architektur als Möglichkeitsform
in der Zeit verloren haben. Deswegen sind sie aber nicht bedeutungs-
und Utopie. Es stellte sich dabei faszinierende, mitunter auch beklem-
los. Sie haben sich ins Bewusstsein der Bevölkerung eingeschrieben
mende Frage, wie sich die Stadt heute darstellen würde, wäre der
und bilden damit einen autonomen Text über diese Stadt. Um einen
Entwurf von Scamozzi und nicht der deutlich kleinere Dom von Sola-
Eindruck von den Ideen, den gescheiterten Projekten, den nicht einge-
ri realisiert worden. Oder welchen Weg hätten die Festspiele genom-
lösten Versprechungen und Irrungen zu dokumentieren, wurde eine
men, stünde Poelzigs mystische Vision eines Festspielhauses heute
Seite im Internet erstellt. Mittels App und Smartphone kann man sogar
im Schlosspark von Hellbrunn? Oder wie entstellt wäre das Stadtbild
einen realen Spaziergang durch ein „Ungebautes Salzburg“ unterneh-
hätten die Nationalsozialisten ihr kranken Phantasien für ein Gaufo-
men. Besuchen Sie dazu folgende Seite und besuchen Sie ein Salzburg,
rum auf dem Kapuzinerberg und eine Bebauung des Mönchsbergs mit
das Sie noch nie betreten haben: www.blauegans.at/ungebautes-salzburg
21
Christian Prassers kühner Entwurf eines Festspielhauses direkt gegenüber der Blauen Gans im ehemaligen Steinbruch über dem Neutor hat mich so beeindruckt, dass ich ihm ab 2005 die Gestaltung unseres Hauses übertragen habe. FÜ R GÄNSE HAUT E RI N N E RT E R SICH.
CHRISTIAN PRASSER HAT SEIN ARCHITEKTURSTUDIUM AN DER WIENER UNIVERSITÄT FÜR ANGEWANDTE KUNST, MEISTERKLASSE UNIV. PROF. HANS HOLLEIN ABSOLVIERT. SEIT 2012 IST ER UNIV.-PROF. IM MASTERLEHRGANG INNENARCHITEKTUR AN DER NDU – NEW DESIGN UNIVERSITY, ST. PÖLTEN. ER LEBT UND ARBEITET IN WIEN.
22
Der Bau, der niemals war. 20 JAHRE DANACH
B E R E I T S I M S T U D I U M hat mich der kubische
Köpfen verhaftete Bild von Salzburg, beste-
A U C H A U F F U N K T I O N A L E R E B E N E haben meine
Einschnitt über der Pferdeschwemme faszi-
hend aus den Bürgerhäusern entlang der
Überlegungen zur Erschließung eines Kon-
niert, der gegenüber dem Hotel „Blaue Gans“
Salzach und den freiplastischen, vornehmlich
zertsaals/Opernhauses oberhalb der Pferde-
in die Felswand geschlagen wurde. Damals
sakralen Bauten, kommt erst durch das büh-
schwemme nichts an ihrer Gültigkeit ver-
hatte er in meiner Wahrnehmung eher die
nenbildhafte Ensemble mit dem Mönchsberg
loren. Die Haupterschließung erfolgt ausge-
Anmutung einer Zahnlücke, die es zu füllen
räumlich zur Geltung. Im Stadtraum ist der
hend vom bestehenden Festspielhaus, ergänzt
gilt. Heute wird die Aussparung in der Fels-
ehemalige Steinbruch in seiner Wirkung den
durch direkte Zugänge von den bestehenden
wand über dem Neutor so künstlerisch aus-
freiplastischen Baukörpern gleichzusetzen.
Parkgaragen im Fels. Eine dritte Erschließung
geleuchtet, dass Blattwerk, Äste und die Fels-
Von seiner Bedeutung her kann dieser Bau-
erfolgt über eine stadträumlich höchst impo-
wand wie eine Theaterkulisse wirken. Die
platz nur einem übergeordneten Bauwerk
sante Stiege, die von der Stadt aus die Pfer-
Lücke erscheint durch diese Inszenierung
gewidmet werden, das diesen Ort mit seinem
deschwemme über das „Haus für Mozart“ mit
wie ein Gebäude in der Felswand, gleichzei-
kulissenhaften Effekt stark verändern wür-
der Felsoberkante des Mönchsberges verbin-
tig wird damit die Leerstelle in der Stadtsil-
de. Der Bauplatz ist also prädestiniert für ein
det und damit auch in spielfreien Zeiten impo-
houette betont.
„Haus für Mozart“, das an diesem Ort direkt
sante Ausblicke über die Stadt freigibt. Auch
eingebunden wäre in den Festspielbezirk,
die Anlieferung erfolgt über die bestehenden
H E U T E W I E D A M A L S bewegt mich die Frage, wo
gleichzeitig Mozart und den Salzburger Fest-
Garagen im Fels von der Neustadtseite aus.
es in der Altstadt von Salzburg noch die Mög-
spielen im Stadtgefüge jenen herausragenden
Das Hauptfoyer mit Blick über die Altstadt
lichkeit gäbe, mit zeitgenössischer Architek-
Platz zuweist, den sie im Salzburger Kultur-
und das Seitenfoyer mit seinen stark nach
tur dem Stadtbild etwas hinzuzufügen.
leben einnehmen.
oben fluchtenden Felswänden sowie, das Lo-
A L S I C H I M A U G U S T 19 9 6 im Rahmen der Salz-
A R C H I T E K T O N I S C H G E S E H E N entwickelt sich mit
an das Gesellschaftsleben des 18. Jh., bieten
burger Festspiele an einer Diskussionsver-
diesem Bauprojekt eine Dialektik zwischen
die Räumlichkeiten für stilvolles Pausenleben.
anstaltung teilnahm, bei der es um die Frage
der Kulturlandschaft Fels mit seinen raumbil-
ging, ob Salzburg ein „Haus für Mozart“ brau-
denden Kanten und der Gebäudestruktur des
che, war für mich klar, was das Thema mei-
Opernhauses. Sowohl additives (tektonischer
FAST 20 JAHRE SIND SEIT MEINEM DIPLOM VERGANGEN, DIE
ner Diplomarbeit auf der Universität für An-
Hochbau) als auch subtraktives Bauen im
ÜBERLEGUNGEN, DIE ZU DIESEM PROJEKT GEFÜHRT HABEN,
gewandte Kunst (Meisterklasse Hans Hollein)
Fels ergeben beim Durchwandeln des Gebäu-
SIND NACH WIE VOR RELEVANT.
sein sollte: „Ein Haus für Mozart“.
des spannende Raumabfolgen. Hierbei eröff-
Der bestehende Negativraum über dem Neu-
nen sich stets neue Ausblicke auf die Stadt.
EIN PROJEKT, DAS NICHT GEBAUT WURDE, STEHT AM ANFANG
tor, der im 17. Jh. durch einen Steinbruch ent-
Das im Stadtraum klar ablesbare Auditorium
MEINER ARBEIT FÜR DIE BLAUE GANS. DIESER ORT LIEGT DEM
standen ist, war für mich die Herausforde-
steht der virtuellen Welt der Bühne im Fels
HOTEL GEGENÜBER UND BIETET WEITERHIN RAUM FÜR TRÄU-
rung für meine Diplomarbeit. Das in unseren
gegenüber.
ME UND VISIONEN.
genfoyer im Stein als bewusste Reminiszenz
23
IM NONNTAL
CAFE UNIKUMSKY, UNIPARK NONNTAL
Mit dem Erentrudis-Kloster auf dem Nonnberg ist hier ein Teil von Salzburgs Gründungsmythos verortet. Eine der begehrtesten Wohngegenden der Stadt, ist das Nonntal auch ein interessantes Beispiel von neu gewonnener städtebaulicher Attraktivität: wichtiger Bildungsstandort und Unicampus, Standort von Sportverein, Kunstverein, Künstlerhaus, Initiative Architektur und Kulturzentrum, Seite an Seite mit Beisln, Galerien, Design-Stores und ideenreichen Kaufleuten, die sich zusammengetan haben, um ein neues Kapitel im Viertel aufzuschlagen.
AM ROOF TOP DER UNIVERSITÄT – 360 GRAD BLICK ARCH.: STORCH EHLERS & PARTNER
MADERO, NONNTALER HAUPTSTRASSE 10
30
DIE WUNDERSAMEN BLUMENLEUCHTEN VON JÜRGEN REICHERT IN DER MASCHINENWERKSTATT MATSCHL
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MARONÉ Vespa! Italienischer Lifestyle, Nonntaler Hauptstraße
FÜRSTENALLEE 5 Thomas Walkensteiner macht die besten Curries der Stadt
Contemporary Art, Erhartplatz
27
Er gilt als der 채lteste noch funktionsf채hige Industriebau Europas.
AN DER ALM V O M N O N N TA L K O M M E N D radeln wir die Almgas-
Salzach entsorgt. An einigen Stellen in der
se hinauf zum Krauthügel, der seit 2014 als
Altstadt ist der Almkanal partiell geöffnet
„Open Air Gallery“ der Salzburg Foundation
worden, wo sich ein seltsam vertrautes Rau-
fungiert und eine jährlich wechselnde Ergän-
schen und Murmeln aus der Tiefe seines un-
zung zum „Walk of Modern Art“ auf der ande-
terirdischen Bettes befreit. (Universitätsplatz
ren Seite der Festung darstellt. Die Schwer-
und Max-Reinhart-Platz).
gewichte Bernar Venet, Anthony Cragg und der Chinese Zhang Huan waren neben dem
E N D E S E P T E M B E R W I R D D E R A L M K A N A L bei der
Krautwächterhäuschen (das von den Salzbur-
sogenannten „Almabkehr“ zur Reinigungs-
gern hartnäckig immer noch „Henkerhäusl“
zwecken ausgelassen und man kann durch
genannt wird) auf der grünen Wiese zu Gast.
den Stiftsarmstollen vom Nonntal durch den Mönchsberg in die Stadt wandern. Eine ju-
W I R F O L G E N D E M A L M K A N A L , welcher das Was-
gendlichere Form der Freizeitgestaltung am
ser der Königsseeache in die Stadt bringt.
Almkanal findet man eine paar Kilometer „ka-
Seine Konstruktion mittels Stollen durch
nalaufwärts“: dort nutzen ihn die jungen Leu-
den Mönchsberg (ab 1137) stellte eine für
te der angrenzenden Siedlungen zum som-
die Stadt lebenswichtige Pionierleistung dar.
merlichen Treffpunkt und Badeplatz um. Und
„Er gilt als der älteste noch funktionsfähige
noch etwas weiter südlich, im Stadtteil Gneis,
Industriebau Europas“ (Hans Spatzenegger),
bietet er den Surfern eine stehende Welle à la
der mit einem Arm an der Blauen Gans vor-
Münchener Eisbach.
bei zum Bürgerspital, mit einem anderen auch durch das Stift St. Peter in die Salzach
E I N E R D E R A R M E D E S K A N A L S führt uns am
geleitet wurde (sein Austritt aus dem Berg
Mönchsberg vorbei nach Leopoldskron. Des-
ist bei der Stiftsbäckerei zu bewundern, sie-
sen gleichnamiges Schloss, von Erzbischof
he Altstadt-Tipps).
Firmian erbaut, diente Max Reinhart als Salz-
DAS WASSER WURDE VIELFÄLTIG GENUTZ T:
Grünlandschaft seinen Rücken zu. Dort, wo
als Antrieb für die Mühlen und für den La-
heimisches Stallgetier und fremdländisch
stenlift auf die Festung, als Rohstoff für die
anmutende Flamingos eine friedvolle Koe-
burg-Residenz und kehrt einer wundersamen
HANS SPATZENEGGER
zahlreichen Brauereien, aber auch als hygie-
sistenz haben, nähern wir uns langsam der
nische Maßnahme: am Montag war Badetag
Riedenburg, einem angenehm durchmischten
im Spitalsbad (im nahen Badergäßchen), und
Stadtviertel, das einen interessanten Möbel-
am Samstag wurden die Gassen und Durch-
und Design-Schwerpunkt vor den Toren der
häuser geflutet und sämtlicher Unrat in die
Altstadt beisteuert.
ag
EINST WAR DER RAINBERG KELTISCHE KULTSTÄTTE, UND BIS HEUTE MUTET ER DURCH SEINE MONOLITHISCHE GESTALT MYSTISCH AN. GEMEINSAM MIT DEM MÖNCHSBERG IM NORDEN UMARMT ER DIE RIEDENBURG IM OSTEN UND IM SÜDEN.
WERKSCHAU, NEUTORSTRASSE 14
ALTE VINOTHEK: KLATSCH UND TRATSCH BEI WEIN UND ANTIPASTI
CHRISTIAN MITTERER IST EIN ERFAHRENER WOHNBERATER
NABUCCO Vorstadt-Italiener, wie man ihn manchmal braucht
SCHEICHER Design von heute – Klassiker von morgen
ARCHIDES Standuhren und „Timeburner“
32
LIGNE ROSET 150 Jahre französischer Lifestyle, locker und leicht
ZIRNGIEBEL Alles um’s Tapezieren und Bespannen
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ROITTNER’S OFENLOCH Hat die passende Tischkultur dazu, Rainbergstraße
DAS LICHT Markus Ludwig plant Lichtprojekte, Hildmannplatz
LE CABINET Beratung und Planung von Ankleiden und Schrankräumen, Hildmannplatz
33
K U N S T
03
Was wird bei Museumsbauten von den Planern oft übersehen?
D A S S S I C H D I E K U N S T L A U F E N D Ä N D E R T und
D I E
wir nicht voraussehen können in welche Richtung. Daher ist das Konzept von Kunstgalerien eigentlich schon jetzt überholt. Dass wir uns in den Räumen wohl fühlen sollen.
F Ü R
Neben schönen Galerien braucht es viel zusätzlichen Raum für die Menschen zum Aufeinandertreffen außerhalb der eigentlichen Kunstbetrachtung, Räume für Künstler, gute
O R T
und ausreichend große Auditorien, für Kunstvermittlung, Lokale etc.
04
Was haben Sie im MOMA,
G U T E R
wo es alles gibt, vermisst?
G A L E R I E N , I N D E N E N M A N mal allein Kunst betrachten kann. Das war ein Privileg das nur
01
den dort Tätigen am Schließtag zukam der
Ihre drei Lieblingsmuseen
vor einiger Zeit auch gestrichen wurde um
international? Warum?
noch mehr Besucher ins Haus zu bekommen.
E I N
D A S M O M A , I N N E W Y O R K , weil es die weltweit
05
beste Sammlung hat und dort am meisten ge-
Mal ehrlich: schon mal bereut, nach
forscht und damit wichtige Arbeit zum Wissen über Kunst geleistet wird. Dabei zieht das MoMA auch ein ungemein breites Publi-
Salzburg gekommen zu sein?
…
kum an. D A S M A S P I N S A O P A U L O , weil die Architektur von Lina Bobardi einfach großartig
06
Was ist für ein Museum wichtiger –
ist. D A S B R I T I S H M U S E U M I N L O N D O N , weil man sich hier in einer Geschichte der Weltkunst förmlich versenken kann.
02
Wenn Sie als Architektin ein Museum planen müssten, wie würden Sie das in Hinblick auf die Kunstpräsentation angehen, worauf würden Sie achten?
E I N M U S E U M M U S S als Gebäude ein Signal für die Öffentlichkeit und möglichst barrierefrei zugänglich sein. Es braucht räumlich klare und flexible Grundrisse, gutes Licht, einen schönen ebenmäßigen Boden; alle Details müssen genau ausgeführt sein und „stimmen“.
DR. SABINE BREITWIESER (*1962 in Wels) ist seit 2013 Direktorin des Museums der Moderne Salzburg. 1988 war sie Gründungsdirektorin der Generali Foundation, die sie bis 2007 auch leitete und deren Sammlung sie 2014 nach Salzburg holte. Vor ihrer Tätigkeit in Salzburg war sie u.a. Chefkuratorin für Medien- und Performance-Kunst im Museum of Modern Art (MoMA) in New York.
Exponiertheit und Sichtbarkeit oder Frequenz vor der Haustüre?
A L L E D I E S E A S P E K T E müssen laufend ausbalanciert werden. Wobei ich mich bei Museen zu den Traditionalisten zähle und das Museum als Bildungseinrichtung verteidige. Denn ohne wesentlichen Inhalt, ohne Innovation und Risikobereitschaft, die mit den Entwicklungen in der Kunst einher gehen, macht das Museum wenig Sinn; auch wenn noch so viele Besucher kommen und nach möglichst einfacher Unterhaltung trachten. Kunst soll eine Herausforderung sein und nicht Altbekanntes bestätigen.
Wo ist Kunst besser aufgehoben
– in einem Museum oder in einer Kunsthalle?
I N E I N E M M U S E U M , wenn es um’s „Aufheben“ geht, also um das langfristige Bewahren. Für das Aufzeigen von Trends, für kurzfristige Stimulierung sind Kunsthallen, Kunstvereine sehr geeignet.
B R E I T W I E S E R
07
08
Wie macht man das: so zu hängen, dass die Kunst optimal zur Geltung kommt?
D A S I S T E I N E L A N G J Ä H R I G E E R F A H R U N G im Umgang mit Raum, Weg- und Sichtachsen, der Bewertung von Kunstobjekten.
S A B I N E
das kann auch gut funktionieren.
Wenn Sie drei Wünsche frei hätten – was würden Sie sich bezüglich Kunstpräsentation für das Museum der Moderne auf dem Mönchsberg wünschen?
D E N G L Ä S E R N E N A U F Z U G von Delugan Meissl. B E W E G L I C H E N S O N N E N S C H U T Z vor allen Glas-
F R A G E N
09
A N
Manchmal will man aber genau das nicht und
Veranstaltungen jeder Art.
ANDREAS SIEKMANN „TRICKLE DOWN“
13
flächen. E I N E N G R O S S E N U N D S C H Ö N E N R A U M für
10
Zuhause: Nageln oder Schrauben?
W E D E R N O C H . Im Glauben, ständig umzuziehen, klebe ich billige Multiples mit Tixo an die Wand.
11
Würden Sie sich privat als Kunstsammlerin bezeichnen? Haben Sie einen privaten Sammlungsschwerpunkt?
A L S S A M M L E R I N V O M B Ü C H E R N , L E I D E R . Das Kunstsammeln steht in Widerspruch zu meiner beruflichen Aufgabe und Verantwortung.
12
Sie haben die Generali-Sammlung aufgebaut und ihr in Salzburg ein neues Zuhause gegeben. Was ist das Reizvolle an dieser Sammlung?
D A S S R E L A T I V F R Ü H wichtige Künstlerpersönlichkeiten erkannt und in die Tiefe gesammelt wurden, bevor die großen Museen darum zu rangeln begonnen haben. Dass diese Sammlung einen „Charakter“ hat, der einzigartig und unverwechselbar ist.
DER STUPA: NEUER RELIGIÖSER ORT DER BUDDHISTISCHEN GEMEINDE IN SALZBURG
MAGAZIN Restaurant, Weinhandlung, Accessoires, alles unter einem Dach
SCHLOSS MÖNCHSTEIN Märchenhafte Welt mit Grand Hotel-Feeling
ZIFFERN IM WALD VON MARIO MERZ Hinter dem Museum der Moderne
AUCH EINE RELIGION: DER WEINGARTEN DER PFADFINDER
MEDITATION ZUR DÄMMERSTUNDE: „SKY SPACE“ VON JAMES TURRELL
13
Fünf Kunstwerke, die perfekt in das MdM passen würden (wenn Sie keine Budgetnöte hätten)?
ANA MENDIE TAS BODENSKULP TUREN AUS SAND, die wir im letzen Jahr vor dem großen Panoramafenster so schön inszeniert haben.
M32 Kein Geheimtipp mehr, aber in jeder Hinsicht überragend
STADTALM Rustikal, im Gastgarten toller Blick auf die Stadt
WASSERMUSEUM Blick in den Hochbehälter, Ausstellung über die Geschichte der Wasserversorgung
KIOSK BEIM WASSERMUSEUM Im Schatten der Kastanien einen kühlen Most genießen
DIE WERKE VON ROBERT RAUSCHENBERG aus der E.A.T. Zeit.
EINE SKULPTUR VON JOHN CAGE, denn obwohl hier eine große Ausstellung stattfand, wurde kein Werk erworben.
EIN PAVILLON VON DAN GRAHAM für die Skulpturenterrasse.
ANDREAS SIEKMANNS SKULPTUR, die derzeit als Leihgabe auf der Südterrasse installiert ist .
A S S E M B L A G E N A U S A N F A N G D E R 19 6 0 E R -J A H R E von Carolee Schneemann (eine große hat uns leider das MoMA weggeschnappt).
07
BLICK IN DIE „GUTBÜRGERLICHE“ RIEDENBURG
K ARL-MARKUS GAUß ÜBER EINEN UNSCHEINBAREN ORT: DIE BÄCKER-BACHER-KREUZUNG
38
„PROLETARISCHES LEHEN“: DAS HEIZKRAFTWERK MITTE ARCH.: BÉTRIX, CONSOLASCIO UND MAIER
V E R L Ä S S T M A N D I E A L T S T A D T von Salz-
der wurde von der erbosten Frau Bacher
burg durch das Neutor, sieht man rechts
mit höhnischen Worten aus dem Geschäft
eine Straße abzweigen, die sich entlang
gescheucht, als habe sie in dem schulpflich-
des Mönchsbergs mit sachte schwingenden
tigen Knirps schon den ausgewachsenen
Kurven achthundert Meter stadtauswärts
Betrüger entdeckt.
zieht. Dort mündet die einspurige Reichenhaller Straße, die längst nicht mehr nach
D I E K R E U Z U N G wird von den in der Gegend
Bad Reichenhall führt, in eine breite, fast
alteingesessenen Leuten auch heute noch
schnurgerade Straße, die nach rund zwei
Bäcker-Bacher-Kreuzung genannt, obwohl
Kilometern die nördlichen Viertel der Stadt
es diese Bäckerei schon seit bald vierzig
erreicht. Fast am Beginn dieser Straße, die
Jahren nicht mehr gibt. Die Besitzerin, üb-
im ersten Streckenabschnitt Aiglhofstraße
rigens, fand in den achtziger Jahren ein
und im zweiten Rudolf Biebl-Straße heißt,
schreckliches Ende; sie hatte im Alter das
ist sie zu finden, jene Kreuzung, die Eiligen
Geschäft an einen jungen Meister verpach-
und Unachtsamen wenig zu bieten hat und
tet und wurde, als er die enorme Summe,
doch die unerkannte Mitte einer Welt ist.
die er monatlich zu entrichten hatte, nicht
D I E K R E U Z U N G H I E S S D A M A L S , als mein Reich
nahe gelegenen Altersheim, in dem sie ih-
mehr bezahlen konnte, von diesem in dem der Kindheit hier endete, nach dem auffäl-
ren Lebensabend verbrachte, aufgesucht,
ligsten Gebäude und dem Betrieb, der sich
inständig um Nachlass oder Aufschub ange-
darin befand, die Bäcker-Bacher-Kreuzung.
fleht und, als sie beides verweigerte, ersto-
Auf der einen Seite stand ein großes, von fer-
chen. In dem Gebäude, das vor einigen Jah-
ne an die Bauhaus-Architektur erinnerndes
ren saniert und von seinem immergrünen,
Haus, das über und über mit Efeu bewach-
dichten Bewuchs befreit wurde, ist inzwi-
sen und eine Art von Märchenschloss war,
schen ein Fachgeschäft mit Utensilien für
dem betörende Wohlgerüche entströmten.
die grillende Bevölkerung untergebracht,
WENN SIE EINEN HANG ZUR EITELKEIT HÄTTE, KÖNNTE DIE BÄCKER-BACHER-KREUZUNG DAMIT RENOMMIEREN, DASS SIE NACH VIER RICHTUNGEN VIER WELTEN TRENNT UND VEREINT. Für die Schulkinder, die alle Tage hier vor-
von dem ich mir nicht vorstellen kann, dass
beizogen, war der Geruch von frischem Ge-
es den Schulkindern von heute als lockendes
bäck, der aus der Bäckerei nach draußen
wie gefährliches Märchenschloss erscheinen
drang, eine immerwährende Versuchung,
mag.
der zu widerstehen schwer war, auch wenn es hier regelmäßig beschämende Niederla-
W E N N S I E E I N E N H A N G Z U R E I T E L K E I T H ÄT T E ,
gen einzustecken galt. Die Salzstangerl,
könnte die Bäcker-Bacher-Kreuzung damit
Mohnweckerl, Semmerl kosteten damals 62
renommieren, dass sie nach vier Rich-
Groschen das Stück, und wer die Unverfro-
tungen vier Welten trennt und vereint.
renheit besaß, mit unschuldiger Miene nur
Westlich der Kreuzung liegt die planmäßig
die sechzig Groschen auf die Verkaufspudel
angelegte Siedlung, in der ich aufwuchs
zu legen, die er zusammenkratzen konnte,
und meine rasch größer werdenden Kreise
39
LITERATURKRAFTWERK: DAS LITERATURHAUS TOMAS FRIEDMANN
IM STADT:WERK LEHEN: DER FOTOHOF
zog, die Aiglhof-Siedlung, die während des
Akademiker, die nicht unbedingt in gesell-
Zweiten Weltkrieges für jene Südtiroler er-
schaftlichem Dünkel promoviert haben
richtet wurde, die ihre Heimat nach dem
müssen.
Pakt zwischen Mussolini und Hitler, die beide dem Wahn ethnisch homogener Ge-
A N D E R G E G E N Ü B E R L I E G E N D E N S E I T E , ost-
biete verfallen waren, verließen und als so
wärts der Kreuzung, beginnt der Stadtteil
genannte „Optanten“ nach Salzburg kamen.
Mülln, der sich über ein paar Gassen zum
Später wurde hier auch das Strandgut aus
Hügel hin zieht, an dessen Kuppe mit ihrem
anderen Regionen des Krieges angespült,
weithin sichtbaren Turm die Müllner Kir-
Schlesier, Sudetendeutsche, Siebenbürger
che thront, von der es weiter hinauf auf den
Sachsen – und mit dem Herrn Kohn, vor
Mönchsberg und hinunter zur Salzach geht.
dem Krieg und nach dem Krieg Mitglied
Das Viertel liegt einer geistlichen Herr-
der Blasmusikkapelle, auch ein Jude, der
schaft zu Füßen, zu der außer der Kirche
1938 ums Leben aus Salzburg hatten
auch die von den Mönchen aus Michelbeu-
flüchten müssen und den es dabei bis nach
ern betriebene Brauerei und das in jedem
DIE KREUZUNG WIRD VON DEN IN DER GEGEND ALTEINGESESSENEN LEUTEN AUCH HEUTE NOCH BÄCKER-BACHER-KREUZUNG GENANNT, OBWOHL ES DIESE BÄCKEREI SCHON SEIT BALD VIERZIG JAHREN NICHT MEHR GIBT.
40
Shanghai verschlug. Die Aiglhofsiedlung
Reiseführer erwähnte Augustinerbräu mit
besteht aus einer Anzahl von Höfen, die
seinem großen, mit alten Kastanien be-
von einstöckigen Häusern umschlossen
stückten Gastgarten gehört. Obwohl die
sind, und wurde und wird von städtischen
Müllner Hauptstraße auf ein Nadelöhr des
Angestellten, von Krankenschwestern und
städtischen Verkehrs zuführt, bringt das
Obusfahrern, Magistratsbediensteten, Leh-
Viertel selbst es zuwege, noch immer ein
rern, Gewerbetreibenden bewohnt. Es ist
wenig verschlafen zu wirken, als befände
eine Welt für sich, die ihre Existenz in
es sich in einem angenehmen wie glaubens-
gewissem Sinne der unaufhörlichen euro-
frommen Dämmer, den Gottseidank manch-
päischen Wanderung verdankt; keine pro-
mal eine Horde heimwärts lärmender Schul-
letarische Großfeldsiedlung, sondern eine
kinder stört. Ganz anders ist es, wenn man
belebte Wohngegend kleiner Leute, die
sich von der Kreuzung der Bäckerei auf der
keine Kleinbürger sein, und zugezogener
schnurgeraden Straße nach Norden bewegt,
ENERGIEPLATZ: SALZACHKRAFTWERK
ARCH.: MAXRIEDER+ERICH WAGNER
in den Stadtteil Lehen, der einer der größ-
nicht die städtischen Angestellten, sondern
ten der Stadt und sicher der am dichtesten
die hohen Beamten, und in den stillen Sei-
verbaute ist. Im proletarischen Lehen mit
tengassen standen nicht bloß neue Reihen-
seinen Betonburgen, den alten und neuen,
häuser, sondern alte Villen herum. Später,
ist das Leben rauer, der Verkehrslärm hört
als ich selbst hierher zog, entdeckte ich,
bis spät in die Nacht nicht auf zu rauschen,
dass das alles stimmte, aber auch wieder
die Migranten geben sich noch als solche zu
nicht, denn die Riedenburg ist in Wahrheit
erkennen und haben einzelne Straßenzüge
ein gemischter Bezirk, mit kleinem Gewer-
in ihren Besitz genommen. Als Jugendlicher
be, mit Geschäften, die nicht zu den inter-
kam mir manchmal vor, mein gut aufge-
nationalen Handelsketten gehören, mit gut-
räumter Aiglhof wäre nahe daran, in wohl-
bürgerlichen Bewohnern, die ihrem Viertel
anständiger Langeweile zu ersterben, und
mit einer gewissen Achtsamkeit zugetan
dann zog es mich hinaus zu den Freunden
sind. Die Gefahr, die der Riedenburg droht,
nach Lehen, wo es auf den Plätzen und Gs-
sind nicht die wirklichen Hofräte, sondern
tätten, den innerstädtischen Brachen, we-
die in einer Sphäre der virtuellen Geld-
niger vorhersehbar gesittet zuging und ich
vermehrung lebenden Yuppies, die manch
den Eindruck hatte, ich befände mich hier,
neues Haus ins alte Viertel setzen lassen,
nur zehn Minuten von zu Hause entfernt, in
um dort vom Laptop aus Leiharbeiter zu
einer anderen Stadt mit ihrer eigenen all-
verschieben und als Berater für weiß was
täglichen Kultur.
ihr aufklärungsresistentes Leben zu führen.
I M S Ü D E N U N D O S T E N D E R K R E U Z U N G , also
I N M A N C H E R F R E M D E N S TA D T, die ich besuchte,
dort, wo die Reichenhallerstraße aus der In-
habe ich weit gehen müssen, um zu finden,
nenstadt heraus zieht, liegt der vierte jener
was ich in der meinen von einer einzigen un-
Bezirke, die sich um die wenig spektaku-
scheinbaren Kreuzung aus erkunden kann:
läre Bäcker-Bacher-Kreuzung gruppieren.
die soziale und kulturelle Vielgestalt des ur-
Früher mutete mich die Riedenburg ein we-
banen Lebens.
nig bürgerlich verschmockt an, hier lebten
Karl-Markus Gauß
IN MANCHER FREMDEN STADT, DIE ICH BESUCHTE, HABE ICH WEIT GEHEN MÜSSEN, UM ZU FINDEN, WAS ICH IN DER MEINEN VON EINER EINZIGEN UNSCHEINBAREN KREUZUNG AUS ERKUNDEN KANN: DIE SOZIALE UND KULTURELLE VIELGESTALT DES URBANEN LEBENS.
41
Gründerzeithäuser, Platanenalleen, Märkte, Cafés, kreative Szene und Galerien:
wenn es in Salzburg ein Bobo-Wohnviertel * gibt, ist es das Andräviertel. *BOBO = BOURGOIS BOHÉMIENS
PESCHERIA BACKI, FRANZ-JOSEF-STRASSE 16B
Wildbild
ANDRÄVIERTEL – KREATIV-LEBENSFROHE SZENE AM RANDE DER ALTSTADT
DER KLEINE GRÜNMARKT IN DER FRANZ JOSEF STRASSE
CAFÉ WERNBACHER 50er Jahre Chic, sehr gemütlich, Franz-Josef-Straße
SPIELZEUGSCHACHTEL Hochwertiges, sinnstiftendes Spielzeug, Schrannengasse
PASTA E VINO Alfonsos hausgemachte Pasta, Wolf-Dietrich-Straße
HAAREMACHER Betreibt auch ein kreatives Frisör-Loft in Maxglan, Paracelsusstraße
AREA Interior Design und Möbel, Bayerhamerstraße
AKI DESIGN Schmuckdesign und Upcycling, Haydnstraße 4
DIE WEISSE Gasthausbrauerei mit Schwerpunkt Weissbier, Rupertgasse
EINRICHTUNGSHAUS FAMLER Das Leben einrichten, Haydnstraße
FISCHSPEZIALITÄTEN UND ISTRISCHE WEINE, IM GRÜNMARKT GALERIE ROPAC Global Player mit Sitz in Salzburg, Mirabellplatz
HOCHSCHULE MOZARTEUM Mit Arbeiten von Franz Graf am Boden, Mirabellplatz
EIN PLATZ, ANSONSTEN LEER, ERWACHT UND ERHÄLT FUNKTIONEN, DIE ER SONST NICHT HAT. M Ä R K T E S I N D A U S D E M A L T S T A D T B I L D und aus dem Lebensgefühl der
etwas bescheideneres Markttreiben herrscht am Universitätsplatz und
Salzburger nicht wegzudenken. Es gibt zwei große Wochenmärkte, die
im Andräviertel, in die eine sympathische Neighbourhood-Gastronomie
Schranne am Donnerstag und den Grünmarkt am Samstag, dazu am Frei-
eingebettet ist. Eines haben alle Märkte gemeinsam: sie schaffen einen
tag den kleinen Bio-Markt am Kajetanerplatz. Dauerhaftes, wenn auch
neuen Ort auf Zeit.
E S I S T 4 U H R F R Ü H und an dem sonst um diese Uhrzeit stillen Platz rund um die Kirche St. Andrä herrscht bereits Hochbetrieb: 190 StandlerInnen aus dem Bundesland Salzburg, Oberösterreich und Bayern füllen ihre Marktstände mit knackigem Obst und Gemü-
DER MARKT ALS ORT DER BEGEGNUNG.
se, Fisch und Fleisch sowie regionalen Pro-
Inga Horny über die ephemere Erscheinung „Markt“.
Markt in seiner Form und Gestalt gewandelt: Kleine Anbieter mit handgemachten Schmankerln und selbst eingekochter Marmelade finden dort genauso Platz wie große Bauern mit vielen Hektar Land, Viehzucht und einer Vielfalt an Waren aus eigenem Anbau. Und genau das macht das Erfolgsrezept eines Marktes
dukten in ausgezeichneter Qualität. Der Duft
aus: Nicht die Märkte nach den Beraterkon-
von gebackenem Brot, herzhaften Würsteln
nicht hat. Der Markt wird zum Ort des Dis-
mit geriebenem Kren sowie frischen Gewür-
kurses, er wird Verweil- und Treffpunkt, Jau-
signte Marktstände geordnet in farblicher
zen und Kräutern liegt in der Luft und die
senstation und Ort von Tausch und Verhand-
Harmonie nebeneinanderstehen. Sondern es
zepten der 90er Jahre funktionieren, wo de-
ersten MarktgeherInnen stehen schon mit
lung. Es entsteht ein Ort der Fülle – eine Fülle
sind die gewachsenen Märkte, die die Stände,
ihren Einkaufskörben bereit.
von Waren, Ständen, Geräuschen und Men-
oftmals umgebaut, von Generation zu Gene-
schen. Am Ende eines langen Markttages ver-
ration weitergeben. Es ist das „Ungeordnete“,
schwindet diese Fülle langsam, bis die Kehr-
die Vielschichtigkeit des Angebotes und das
von der Bäuerin oder die Karotte vom Feld in
maschine kommt und auch noch die letzten
Durcheinander der Stimmen und Menschen,
der Nähe, das die Menschen dazu bringt, auf
Reste vom Platz fegt. Dann kehrt Ruhe ein.
das dem Markt seinen gewissen Charme ver-
E S I S T N I C H T N U R D A S D A S F R I S C H E E I direkt
dem Markt einkaufen zu gehen. Es sind das Ambiente, die Farben und Gerüche, die den
leiht und ihn zumindest für eine gewisse Zeit
D A S M A R K T W E S E N entstand im frühen 13. Jahr-
zum Herz einer Stadt macht.
Ort so besonders anziehend machen. Einkau-
hundert. Ein- bis zweimal im Jahr fanden sich
fen wird zum Ritual. Ein Platz, ansonsten leer,
die fahrenden Händler in den Städten ein, um
INGA HORNY IST GESCHÄFTSFÜHRERIN DES ALTSTADTVER-
erwacht und erhält Funktionen, die er sonst
ihre Waren auszulegen. Seither hat sich der
BANDES UND PRÄSIDENTIN VON STADTMARKETING AUSTRIA.
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Von der Verortung des Regens. D E R „ S C H N Ü R L R E G E N “ W I R D A L S B E S O N D E R H E I T S A L Z B U R G S B E T R A C H T E T. E R G E H Ö R T – V I E L E W Ü R D E N S A G E N BEDAUERLICHERWEISE – ZUR STADT WIE : NA, JA, SIE WISSEN SCHON.
M I C H A M Ü S I E R T D I E T A T S A C H E , dass man aus der klimatischen Not eine namentliche Tugend gemacht hat, und die Behauptung, der Regen sei hierorts irgendwie anders, besser, oder zumindest besonderer als beispielsweise in Wels, zeugt von der Geschäftstüchtigkeit der Salzburger. Wer weiß, vielleicht bringt uns ja der Klimawandel um das nasse Schnürln. Eines ist aber sicher: wir verlören ein lohnendes Thema der Alltagskonversation. Der Historiker Hans Spatzenegger hat Anekdoten rund um den Salzburger Regen zusammengetragen.
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„ D E R E M P F A N G B E S T A N D I N E I N E M U N E R H Ö R T E N R E G E N G U S S , auf den ich
L E I D E R F I N D E N W I R A U C H derartige Wasserstands-Berichte aus unserer
gar nicht eingerichtet war. Meine Ankunft im Hotel „Blaue Gans“ war
Gegend bereits im 18. Jahrhunderts: Als Wolferl Mozart 1770 in Rom
denn auch nicht sehr glänzend. Ich erhielt ein letztes Zimmer, das Fen-
konzertierte, weckte der dortige tagelange Regen geradezu heimatli-
ster sah auf das Treppenhaus. Das Idyll behagte mir ganz gut, zumal
che Gefühle, wie er der Mutter berichtet. Der aufgeklärte Journalist,
da ich ja stets auf der Fahrt war, die herrliche Stadt in vollen Zügen
Theaterdirektor und Topograph Lorenz Hübner empfahl in seinen Beo-
genoss, auch die Umgebung und sämtliche Sehenswürdigkeiten nach
bachtungen über das Erzstift Reisenden, „bis halben Junius unbesorgt
einem kleinen Führer absolvierte.“ So schildert Paul Klee, einer der
hierher zu kommen … Später fallen insgemein viele Regengüsse, und
markantesten und einflussreichsten Maler der klassischen Moderne,
unfreundliche Witterung, mit drückender Hitze, und nassen Frösten
seinen ersten Salzburg-Besuch im Jahre 1899, Schnürlregen inbegrif-
abwechselnd, macht jede Lustwanderung unangenehm.“ Ab Mitte Au-
fen (Leider hat ihn die Stadt damals nicht einmal zu einer Zeichnung
gust ist die Wetterlage dann wieder durchaus „beständig“.
inspiriert … Oder sollte der Schnürlregen schuld gewesen sein?)
Z W A R H AT D E R auch sonst verdienstvolle Mozarteums-Direktor und N I C H T V I E L B E S S E R erging es dem Tondichter Richard Wagner, dessen
Festspielpräsident Bernhard Paumgartner den Schnürlregen als kau-
Ankunft im Jahre 1861 „von Regengüssen überfluthet“ war, und auch
sal für den „üppigen Pflanzenwuchs und die grüne Herrlichkeit“ ent-
der dänische Märchendichter Hans
schuldigt bzw. solche Zahlen als „zum
Christian Andersen notiert bei einem
Teil listige Konkurrenzmanöver“ zu
seiner Salzburg-Aufenthalte (1869) den hiesigen Schnürlregen, ebenso wie einige Jahre später (1896) der Wiener Seelendoktor Sigmund Freud: „Nach herrlicher Fahrt in Salzburg eingezogen unter schauerlichem Hagelsturm, spazieren jetzt in gemäch-
„Er ist vergleichsweise des allgemeinen Regens bessere Ausgabe, zarter, feiner gesponnen, auch leiser, mehr für die Nerven, ihnen zu schmeicheln, als für das Gehör.“
entlarven versucht: Salzburg ist, was den Niederschlag angeht, „hinter Unken und Bad Gastein erst an dritter Stelle und im größeren Österreich gar erst auf dem 16. Platz.“ Aber die schlechte Nachrede besteht weiterhin. Und schuld ist anscheinend der
lichen Salzburger Regen.“ Ein eben
„jähe Übergang vom Hochgebirge zur
solcher prasselte vom Himmel, als
Ebene“, dass „die hier festgehaltenen
der Musiker Franz Schubert 1825 auf der Durchreise zu den warmen
Wolken mitunter mehr Regen verspüren“ lassen, als es sich für einen
Quellen in Gastein eine ausgiebigere Besichtigungstour machen wollte.
hemmungslosen Fremdenverkehr geziemt. Ausgerechnet der Wahl-
E I N Z I G D E R I R I S C H E A U T O R James Joyce, der 1928 einige Wochen in der
ten, geradezu poetischen Worte, um diesbezügliche Unterstellungen zu
salzburger Rudolf Bayr, einstens auch Radio-Intendant, findet die rechMozartstadt zubrachte, beklagte die damalige Hitzewelle: „Ich selbst
relativieren: „Er ist vergleichsweise des allgemeinen Regens bessere
habe nie einen so leidigen Sommer erlebt …“ Allerdings muss man be-
Ausgabe, zarter, feiner gesponnen, auch leiser, mehr für die Nerven,
rücksichtigen, aus welchem Wetterwinkel er kommt. Ungewohnt mil-
ihnen zu schmeicheln, als für das Gehör.“ H.C. Artmann, ab 1974 Poe-
de verfährt hingegen der bärbeißige Schriftsteller Thomas Bernhard
ta residens an der Salzach, wusste sich seinerzeit in solchen Phasen
mit dem feuchten Element:
selbst zu trösten:
„Du schöne Stadt am Salzachfluß, / Ich schloss dich in mein Herz,
„Ein verregneter Samstag / mit Kuchen und Sekt / und drei Orchideen, / o ja,
Trotz täglich starkem Regenguss / Und kindlichem hartem Schmerz.“
das schmeckt“
D E R B AY E R I S C H E K R O N P R I N Z L U D W I G , der die Stadt und seine Residenz
F A L L S E S A L S O W I R K L I C H einmal tröpfeln sollte, weiß sich der gelernte
im Schloss Mirabell wahrlich liebte, ihr – später als König – bei der Er-
Eingeborene dann schon zu helfen: sei es mit dem berühmten trach-
richtung des Mozart-Denkmales viel spendete – nicht nur den Marmor-
tigen Wetterfleck, gewöhnlicher jedoch mit Hilfe eines Schirms. Zwar
block aus dem Untersberg, schimpfte sie „Pot du Chambre“ (Nachttopf),
soll ein derartiges Gerät schon im 11. Jahrhundert v. Chr. in Ägypten
als es bei seinem Einritt 1810 wieder einmal wie aus Kübeln schüttete.
Verwendung gefunden haben, aber vornehmlich als Herrschaftssymbol
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(was den Salzburgern bekanntlich völlig fern liegen würde). Bei den Römern machten dann eher die Damen davon Gebrauch – bei Sonne und Regen, während die Männer Kapuzen bevorzugten: cuculae. Ein Wort, das im Gugelhupf sowie im Ortsnamen Kuchl (der kapuzenähnliche Georgenberg?) weiterlebt! Dass die vermutlich älteste Erwähnung eines schirmähnlichen Instrumentes ausgerechnet mit Salzburg zu tun hat, muss uns (siehe oben) allerdings schon zu denken geben!
A M 2 6 . J U N I D E S J A H R E S 8 0 0 N . C H R . schickte Alkuin, Abt im französischen Tours, seinem Freund Arno, dem Erzbischof, einen Mantel und ein „Aufspanndach“, „das Dein verehrtes Haupt vor Regengüssen schützen soll“. Darauf fußt sicherlich die bekannte Sage, dass Karl der Große bei seinem Salzburg-Besuch zu Ostern 803 die erste Bekanntschaft mit einem Regenschirm machte, den er als Gastgeschenk erhielt. Die Praktikabilität verbreitete sich im Laufe der Jahrhunderte. Das „Frauenzimmer-
Etliche Tausende Einwohner und doppelt so viele Schirme!
lexikon“ aus 1715 leitet etwa an, wie „ein bedecktes Dach aus geöltem Stoff“ („Parasol“/“Paraplui“) vor Hitze und Nässe schützt. Die Engländer machten den Schirm auch für Gentlemen gesellschaftsfähig; Adolf Hitler hingegen
hielt ihn weiterhin für unmännlich. Etliche Tausende Einwohner und doppelt so viele Schirme! So der erste, ziemlich eindeutige Eindruck General Jean Victor Moreau’s von der Stadt (und ihrer Wetterlage), sobald er diese am 15. Dezember anno 1800 im Auftrag seines obersten Feldherrn Napoleon besetzt hatte. (Der Nämliche hatte bekanntlich die „Gans“ – nahe Kollegienkirche als Pferdstall missverstanden).
O S K A R K O K O S C H K A , dem Salzburg die „Schule des Sehens“ zu verdanken hat, pflegte dem „Sauwetter“ mit einem „farbkräftigen Bauernschirm“ zu begegnen. Aber auch den Ostösterreichern scheinen derartige Naturereignisse und dementsprechende Hilfsmittel nicht gänzlich fremd zu sein: „Der Mensch soll nie ohne Paraplui sein, es ist die großartigste Waffe, aufgespannt ist es Schild, zugemacht und geschwungen Schwert, und horizontal gebracht ist es Lanze“, lehrt der praktische Philosoph Johann Nestroy. (Weiterführendes in: „Die Welt zu Gast in Salzburg“, hgg. P. Mittermayr/ H. Spatzenegger, Pustet 2009)
DER SAL ZBURGER HIS TORIKER HANS SPATZENEGGER (*1939 ) GILT AL S EINER DER W ENN SIE A L SO D A S GL ÜCK H A BEN, WÄ HREND IHRE S AUF EN T H A LT E S REGEN Z U
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I N P A D E R B O R N sagte eine gleichzeitig mit mir eintreffende alte Frau zur Frau an der Rezeption, sie bleibe nur für eine Nacht, sie mache einen Friedhofsbesuch. Das erinnerte mich daran, dass die Menschen, bevor sie sich selbst behausten, ihren Toten Häuser bauten, während sie selbst Reisende blieben, passing through, auf der vorhistorischen Suche nach Nahrung und auf der Flucht vor dem Winter
Was uns zum Leben fehlt.
Der STILLSEGLER, ein stiller Verehrer großer Handwerkskunst und sorgfältiger Verarbeitung. Ein Hotelzimmer hohen Grades. ARNO GEIGER
Sinnbildlichkeit Anteil haben bzw: Steht das Hotel dem Ankommen oder dem Abreisen näher? Ist ein Hotel Station oder Teil der Bewegung? Soll das Hotel Heimat imitieren oder Heimatlosigkeit illustrieren?
I C H B I N M I R N I E G A N Z S I C H E R , ob ich es bedauern soll, wenn ich eine Frage nicht beantworten kann, oder ob ich froh sein muss, froh
oder der Dürre. Die alte Frau erinnerte mich
deshalb, weil die Reise – genau genommen
auch daran, dass Hotels zu den Orten gehö-
– beendet wäre, sowie Frage und Antwort ei-
ren, an denen man nicht seine Toten hat, weil
nander finden. Im aktuellen Fall finden die
man dort nicht zu Hause ist. Hotels sind Orte
beiden einander deshalb nicht, weil der Sinn
des Übergangs, Orte für Menschen, die sich
eines Raumes sein Gebrauch im Alltag ist
mit Plänen tragen, Orte der Lebensbejahung.
– weil eine Aussage über die Brauchbarkeit
Das eigene Haus erinnert an die eigene
von Hotelräumen abhängig ist von der indivi-
Sterblichkeit.
duellen Herausforderung, die von außen an diese Räume herangetragen wird.
E I N H O T E L Z I M M E R I S T E T W A S , das an tiefe Sachen rührt, an etwas, das mit dem Wesen des
D I E M E I S T E N H O T E L S , D I E I C H K E N N E , sind Orte
Menschen als Reisender zu tun hat und mit
für Ankommende bzw. für immer schon Da-
dem Wesen des Zimmers als Raum, in dem
gewesene. Sie imitieren Heimat. Man findet
man nicht bleiben wird. Ein Mensch auf
sich in den Zimmern blind zurecht, sie sind
Reisen ist ein Mensch hohen Grades, Sinn-
gleichförmig, auf eine biedere Weise wohn-
bild für das menschliche Dasein. Inwiefern,
lich. Die meisten Hotelzimmer sind Räume,
fragt sich, soll und kann das Hotel an dieser
die nicht den Möglichkeitssinn ansprechen,
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also das, was sein könnte (was uns zum Leben fehlt), sondern Räume, die uns vor Augen führen, was wir sind. Wir treten ein und sehen, dass auch hier (mein Gott, schon wieder) unsere Sterblichkeit auf uns lauert. Nikolaj Gogol bedient sich in seiner grandiosen road-novel „Die Toten Seelen“ der radi-
Ein Mensch auf Reisen ist ein Mensch hohen Grades, Sinnbild für das menschliche Dasein.
Kunden zum Prinzip erhoben; eine Vorstellung von Behaglichkeit, die ich persönlich nicht teile. Aber es soll sogar Menschen geben, die sich die Wohnung der Geliebten genau so einrichten wie das eheliche Zuhause, vielleicht damit sie beim Aufwachen von vertrauten Wänden und Dingen angesehen wer-
kalsten Art der Ortsbeschreibung, die mir in
den. Das – wiederum – erinnert mich an die
der Weltliteratur vor Augen gekommen ist.
Häuser der Toten, jener Toten, die sich auf
An einer Stelle schreibt er: Wie es in diesen
ihrer letzten Reise wie zu Hause fühlen sol-
Sälen aussieht, weiß jeder Reisende nur all-
len, damit sie nicht als Geister auf die Erde
zu genau: überall dieselben mit Ölfarbe ge-
zurückkehren.
strichenen Wände, die oben rauchgeschwärzt sind und unten wie poliert von den Rücken
E S I S T D I E V I E L F A L T , die den Menschen in
der Reisenden und der einheimischen Kauf-
Bewegung hält, nicht die Einförmigkeit. Der
leute. Und die Hotels? Wie werden die wohl
Reisende, der gerne Reisender ist, soll wissen,
sein? Von der üblichen Art, nämlich so, wie
dass er seinem Heim und seinen Freunden
die Hotels in den Gouvernementsstädten nun
entkommen ist und dass die Reise weiter-
einmal sind.
geht. Hotels sollen sein wie das Reisen selbst: Leicht und licht. Schwebend. Vorübergehend.
G O G O L B R A U C H T N I C H T näher auf die Hotels der russischen Provinz einzugehen. Jeder scheint sie gekannt zu haben. Aber selbst
ARNO GEIGER ( *1968 ) STUDIERTE DEUTSCHE PHILOLOGIE,
einer solchen Einförmigkeit kann man offen-
ALTE GESCHICHTE UND VERGLEICHENDE LITERATURWIS-
bar Gutes abgewinnen. Diverse Hotelketten
SENSCHAFT IN INNSBRUCK UND WIEN. SEIT 1993 LEBT
haben die Monotonie aus Rücksicht auf ihre
ER ALS FREIER SCHRIFTSTELLER IN WIEN.
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La Tavolata. Ein Essen, wie es fr체her war. Famili채r, gem체tlich, intim. AB 8 BIS 30 PERSONEN IN UNSEREM WEINARCHIV.
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La Tavolata N E HME N S IE B I T T E P L AT Z ! W A S B E D E U T E T E S , W E N N W I R „ N E H M E N S I E P L A T Z “ S A G E N ? Es ist, denke ich, das Angebot, sich eine Stelle an einer Tafel anzueignen, zumindest für die Dauer eines Essens. Siebzig Zentimeter ist ungefähr die Strecke einer Armlänge, die auch dem gefühlten Persönlichkeitsbereich entspricht – ein angenehmer Abstand zum Gesprächspartner und zum Sitznachbarn, auch beim Essen. Die Siebzig Zentimeter, längs und quer vor uns aufgespannt, empfinden wir bei Tisch als unser Hoheitsgebiet, über das wir uneingeschränkt herrschen wollen. „Nehmen Sie mal Ihrem Sitznachbarn die Gabel weg und schauen Sie, was passiert!“ empfiehlt der Pantomime Walter Samuel Bartussek ein riskantes Alltagsexperiment.
D I E K O M F O R T Z O N E , D I E W I R B E I T I S C H V E R T E I D I G E N , bewirkt allerdings eine gewisse Erstarrung. Gesetzte Essen in größeren Gruppen werden als „steif“ empfunden. Bei unserer „Tavolata“, einem gemeinschaftlichen Essen an großen Tischen, lösen wir diese Grenzen bewusst auf. Alle Speisen werden auf Platten, kleinen Tellern oder in Schüsseln angerichtet. Man ist darauf angewiesen, dass einem die benachbarte Person die Sauce reicht, oder sogar die Beilage auf den Teller legt.
Z US A MME NRÜCK E N : W IR P RO V O Z IE R E N E INE N GR E N Z ÜBE R T R I T T MI T E R L A UBNIS , D A S HE R ZOG T UM DE S E IGE NE N P L AT Z E S V E R L IE R T SE INE BE DE U T UNG . MI T E IN A NDE R – F ÜR E IN A NDE R : E INE T ISCHGE ME INSCH A F T IS T E N T S TA NDE N !
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ar tHOTEL Blaue Gans Getreidegasse 41–43 Herber t-von-Karajan Platz 3 5020 Salzburg Austria P +43 662 84 24 91-0 office@blauegans.at www.blauegans.at