Grundlagen der Baukonstruktion Tragsysteme und deren Wirkungsweise
Grundlagen der Baukonstruktion Tragsysteme und deren Wirkungsweise Johann Eisele
Vorwort ..................................................................................... 6
Einordnung
Inhalt
Kuppel ..................................................................................... 87 Schalen .................................................................................. 97
Einordnung der Tragsysteme ...................................... 9
Seile und Seilnetze ...................................................... 113
Balken und St체tzen ....................................................... 27
Pneus ..................................................................................... 127
Hybride Systeme .............................................................. 39
Hochh채user ........................................................................ 137
Rahmen .................................................................................. 49 Fachwerke ............................................................................ 61 Bogen ....................................................................................... 77
Abbildungsverzeichnis ............................................... 150 Literaturverzeichnis .................................................... 151
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Vorwort Prof. Johann Eisele
»Die Geschichte der modernen Architektur beginnt mit Viollet-le-Duc — oder auch nicht«, schreibt Julius Posener1 (1904 —1996). Eugène Violletle-Duc (1814 —1879) übertrug die konstruktive Interpretation der Gotik auf alle Entwicklungen der Architektur und zeigte die ästhetische Bedeutung der Konstruktion. »Die Konstruktion ist das Mittel, die Architektur das Resultat«, so Viollet-le-Duc2 in seinem Dictionnaire raisonné de l'architecture. Zu seiner Zeit fanden Eisen und später Stahl als Baumaterialien Einzug in die Sprache der Architektur, womit die Rolle des Ingenieurs mit großer Deutlichkeit hervortrat. 1850 scheiterten alle 254 Wettbewerbsbeiträge für den Kristallpalast, ein temporäres Gebäude für die Weltausstellung 1851 in London, an der konservativen Haltung der Architekten. Erst Joseph Paxton (1803 —1865) gelang ein Vorschlag, der umgesetzt werden konnte: leichte, vorgefertigte und sich stetig wiederholende Bauelemente einer bis ins kleinste Detail durchdachten Skelettbauweise. Durch diese Antwort galt der erfahrene Gewächshausbauer schnell als Pionier des modernen Bauens. Mit seiner konstruktiven Denkweise wurde eine neue Form der Ästhetik geboren. Wie schwer sich diese Denkweise allerdings durchsetzen konnte, zeigte sich deutlich bei der Aufgabenstellung des neuen Frankfurter Hauptbahnhofs wenige Jahre später (1888). Für die Eisenkonstruktion der Gleisüberdachungen ist der Ingenieur Johann Wilhelm Schwedler (1823 —1894) verantwortlich. Hermann Eggert (1844 —1920) ist der Architekt des Eingangsgebäudes, das als »Architektur« angesehen wurde — im Gegensatz zur Überdachung der Gleise. Eine konstruktive Zusammenarbeit ließ noch lange auf sich warten, obwohl sie logisch erschien. Ein Sprung in das 20. Jahrhundert zeigt weiterhin die Rolle des Ingenieurs als nicht gleichwertigen Partner des Architekten. Félix Candela, Eduardo Torroja y Miret, Pier Luigi Nervi, Robert Maillart, Heinz Isler und Eladio Dieste, um nur einige wichtige Vertreter zu benennen, entwickelten neue Formen aus der Logik der Konstruktion. Zeitgleich sprachen Walter Gropius (1883 —1969) und Ludwig Mies van der Rohe (1886 —1969) 1 2
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Posener, Julius: Die moderne Architektur — eine lange Geschichte, in: Klotz, Heinrich: Vision der Moderne. Das Prinzip Konstruktion, München 1986. Violett-le-Duc, Eugène: Dictionnaire raisonné de l'architecture française du XIe au XVIe siècle, Paris 1854.
zwar von »Konstruktion«, bestenfalls konnte jedoch die Auflösung einer massiven Wand in Stützen als Ereignis festgestellt werden. Selbst Le Corbusier verwendete häufig den Begriff »Ingenieurbaukunst«, die aber vorwiegend von ihm als Architekten entwickelt wurde.
Abb. 1 L'ingénieur et l'architecte, Skizze von Le Corbusier
Heute ist die Zusammenarbeit zwischen Architekt und Ingenieur Alltag. Nicht selbstverständlich ist jedoch das gemeinsame Suchen nach einer Lösung. Dabei können erst im Zusammenspiel Ergebnisse entstehen, die sich ein Einzelner nicht ausdenken kann. Die vorliegende Publikation soll Kenntnis über die unterschiedlichen Tragsysteme sowie deren statische Wirkungsweisen geben und anhand einiger Projektbeispiele aufzeigen, wie aus der Struktur eine architektonische Lösung gefunden werden kann. Die Kenntnis der Konstruk tionsarten ist für (zukünftige) Architekten unentbehrlich, wenn alltägliche Spannweiten eines traditionellen Einfamilienhauses überschritten werden, denn sie erweitert die komplexe Gestaltfindung neben Kontext, Form, Materialität etc. erheblich um ein weiteres Spektrum.
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Einordnung
Einordnung der Tragsysteme Verschiedenste Architekten und Ingenieure versuchten, mittels Grafiken und Texten, die Vielzahl der Tragsysteme zu ordnen – jeder auf seine Art: Klaus Conrad Haugk zum Beispiel gliedert in seinem Buch Wider den Formalismus in der Architektur grundsätzlich in biologische und mineralische Bauarten. Christian Norberg-Schulz widerum unterscheidet in Logik der Baukunst amorphe und technische Konstruktionen. Hier ist besonders seine Unterteilung der technischen Konstruktionen in Massivund Skelettsysteme interessant. Richard Rogers teilt unter anderem in »Structure Systems« und »Skin Systems«. Stefan Polónyi behauptet, dass statische Konstruktionen nach ihrer geo metrischen Form und Tragwirkung eingeteilt werden können. Er benutzt keine x-y-Matrix, sondern ein Verzweigungsdiagramm, um die gegenseitigen Abhängigkeiten darstellen zu können. Die geometrische Aufteilung erfolgt in stabartige Tragwerke (gerade oder gekrümmt) und Flächen (eben oder gekrümmt). 1995 erweiterte er diese Matrix im Beton-Atlas um den Begriff »Körper«, ohne jedoch ein Beispiel hierfür zu nennen. Büttner ⁄ Hampe (Bauwerk, Tragwerk, Tragstruktur) gliedern in Linien elemente und Flächenelemente. Diese Matrix erscheint auf den ersten Blick schlüssig und anschaulich, um alle Tragsysteme einteilen zu können. Dies gelingt jedoch nur für die Grundsysteme, während Mischsysteme, wie etwa unterspannte Balken, nicht dargestellt werden können. Kurt Ackermann (Tragwerke der konstruktiven Architektur) erweitert zumindest im Textteil seines Buchs die Einteilung um den Begriff der »räumlichen Systeme«, ohne aber die Matrix dahingehend anzupassen. Heino Engel spricht in seiner Veröffentlichung 1967 (Tragsysteme) von »Tragsystemen« und nicht von »Tragwerken«: »Tragwerke sind Beispiele und daher Entwurfsvorlagen, Tragsysteme sind Ordnungen und daher Entwurfsgrundlagen.« Seine Einteilung in fünf Tragsystemgruppen macht er anhand des Hauptmerkmals der Lastübertragung. Und obwohl gerade daran auch Kritik zu äußern ist, bleibt das Buch wegen der vielen skizzenhaften Darstellungen weiterhin von Interesse für Architekten. In der überarbeiteten Ausgabe von 1999 verbessert Engel zwei Begriffe für Tragsystemgruppen und fügt ein sechstes Kapitel mit der Bezeichnung Hybride Systeme hinzu.
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Abb. 1 Ansicht des Renault Distribution Centers in Swindon von Norman Foster
Alle Einteilungsversuche besitzen ihre Berechtigung, Stützen und Balken spielen in den zitierten Werken jedoch keine oder nur eine beiläufige Rolle. In der alltäglichen Praxis von Architekten hingegen nehmen sie eine Hauptrolle ein. So wird in der vorliegenden Publikation versucht, eine Einteilung in die unterschiedlichen Tragsysteme zu finden, die sich stark am beruflichen Alltag orientiert. Zusätzlich zeigen die vier Eulerfälle, benannt nach dem Mathematiker Leonhard Euler, wie aus statischen Grundlagen konstruktive Formen abgeleitet werden können. Ein Paradebeispiel hierfür sind die Stützen und unterspannten Träger, die Norman Foster für das Renault Distribution Center entwickelt hat: Aus statischem Verständnis wird hier konstruktiv gestaltete Architektur. Dieses Beispiel ist auf alle weiteren konstruktiven Bauelemente übertragbar, denn es gilt: Richtig erkannte statische Systeme werden zur Grundlage einer konstruktiven Form und architektonischen Gestalt!
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Einordnung
Frei Otto (Zugbeanspruchte Konstruktionen, Band 2) unterscheidet bei Tragsystemen das Aussehen (ein-, zwei- oder dreidimensional), die Haptik (hart oder weich) und die Wirkung, also die Kraftableitung.
Tragwerke
Flächen Flächentragwerke
stabartig
gerade Stab
biegsam (Seil) starr
Zug
ebene
gekrümmte
Balken
Drillstab
(Seil)
Bogen
gekrümmte Schale
Platte
Scheibe
Druck
Fachwerk
Rahmen
wandartiger Träger
Trägerrost
Vierendeel Träger
eben
räumlich
eben
räumlich
eben
räumlich
biegungsfrei (Membranschale)
Faltwerke
hautartige
Vierendeel Trägerrost
Zug (Seifenhaut)
biegungsbeansprucht
Membranschale
Druck
Zug (Membran)
mit Randstörung
Druck
allgemein
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gerade
gekrümmte
Balken
Stab vorwiegend in Richtung der Stabachsen belastetes Tragglied
Drillstab
Fachwerk
Bogen gekrümmtes, stabartiges Tragwerk, vorwiegend auf Druck beansprucht
vorwiegend quer zur Richtung belastetes Tragglied
ebene (Seil)
Scheibe
ausschließlich auf Zug beansprucht
Trägerrost
Rahmen
gekrümmte
Platte
vorwiegend seiner Mittelebene belastetes ebenes Flächentragwerk.
vorwiegend seiner Mittelebene normal belastetes ebenes Flächentragwerk.
wandartiger Träger
Faltwerke
Schale ein gekrümmtes Flächentragwerk, dessen Dicke im Verhältnis zu seinen übrigen Abmessungen gering ist.
biegungsfrei
biegungsbeansprucht
Vierendeel Träger eben
räumlich
eben
räumlich
eben
hautartige
räumlich Zug
(Seifenhaut)
Membranschale
Druck
Zug
(Membrane)
zusammengesetzte Schale
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Druck
mit Randstörung allgemein
Geometrie
Flächentragwerke
Tragwirkung
Körper
Flächen
Zusammengesetzte Tragwirkung
Linien
Beanspruchung
Tragwerke
Gliederungskriterien
zusammengesetzte Schale
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Nach der Aussage von Stefan Polónyi können statische Konstruktionen nach ihrer geometrischen Form und Tragwirkung eingeteilt werden. Polónyi benutzt keine x-y-Matrix, um die gegenseitigen Abhängigkeiten darstellen zu können, sondern ein Verzweigungsdiagramm.
Einordnung
Tragsysteme nach Stefan Polónyi Abb. 2 Einteilung nach Polónyi (1987) Weiterführende Literatur: Polónyi, Stefan: ... mit zaghafter Konsequenz. Aufsätze und Vorträge zum Tragwerksentwurf 1961 —1987, Braunschweig 1987.
Abb. 3 Einteilung nach Polónyi (2002)
Die geometrische Einteilung erfolgt in stabartige Tragwerke (gerade oder gekrümmt) und Flächen (eben oder gekrümmt). Es lässt sich dem Diagramm (Abb. 2) jedoch nicht entnehmen, wie die Tragwirkung eines Tragwerks funktioniert. Ein gekrümmter Balken funktioniert in statischer Hinsicht eben nicht wie ein Bogen und nicht jede gekrümmte Fläche funktioniert wie eine Schale. Aber wahrscheinlich ist Polónyi an unsinnigen Tragwerken auch nicht interessiert, sondern setzt statische Richtigkeit voraus. Das Diagramm zeigt auf, welche Querbeziehungen unter den einzelnen Tragwerken bestehen und wir stellen fest, dass sogar zwischen den zwei Hauptästen (stabartige und Flächen) Verbindungen bestehen. Zum Beispiel sind der Balken und der wandartige Träger durchaus miteinander verwandt. Der Übergang von dem einen zum anderen System ist fließend, aber dennoch trägt ein wandartiger Träger Kräfte nicht wie ein überdimensionierter Balken ab.
Weiterführende Literatur: Polónyi, Stefan; Brandt, Jörg; Kauhsen, Jörg und Kind-Barkauskas, Friedbert: Beton-Atlas. Entwerfen mit Stahlbeton im Hochbau, Basel 2002.
In überarbeiteter Form wurde diese Einteilung in die verschiedenen Tragwerke im Beton-Atlas 2002 veröffentlicht. Polónyi ist hier Autor des Kapitels 3 Stahlbetonkonstruktionen. Einige sekundäre Beziehungen, die in der ersten Matrix auftauchen, sind in der Neuauflage des Diagramms verschwunden. Ergänzt wurde die Matrix dagegen um die rechte Randspalte »Gliederungskriterien« und den Begriff »Körper«, ohne ein Beispiel (Auch der Pneu wurde nicht genannt!) hierfür zu nennen.
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Oscar Büttner und Erhard Hampe (Bauwerk, Tragwerk, Tragstruktur) gliedern in Linienelemente und Flächenelemente. Die Autoren gebrauchen den Begriff »Tragstrukturelement«, weshalb ihre Gliederung genauer betrachtet keine Einteilung der »Tragsysteme« (wie bei Heino Engel) darstellt. Mit »-element« soll lediglich ein Teil der Struktur — beziehungsweise des (Gesamt-) systems — bezeichnet werden. Die Gliederung der Tragstrukturen selbst erfolgt nach ihrer Dimensionalität (ein-, zwei- oder dreidimensional).
Einordnung
Tragsysteme nach Büttner ⁄ Hampe Abb. 4 Einteilung nach Büttner ⁄ Hampe Weiterführende Literatur: Büttner, Oscar; Hampe, Erhard: Bauwerk, Tragwerk, Tragstruktur, Berlin 1985.
Diese Matrix erscheint auf den ersten Blick schlüssig und auch für Architekten anschaulich genug, um Tragsysteme einteilen zu können. Zu beachten ist aber, dass in einer solchen Matrix nur die Grundsysteme optisch überschaubar dargestellt werden können, nicht aber die Mischsysteme. Es bleiben bei dieser Einteilung auch viele Fragen offen, wie beispielsweise: Wo muss die einfache Stütze und wo der unterspannte Balken eingeordnet werden? Gibt es nicht einen Unterschied in der Lastabtragung zwischen einer zweiseitig gelagerten Platte und einer vierseitig gelagerten? Wird der Balken auf zwei Stützen zweidimensional, indem er als Fachwerk aufgelöst wird? Ist der Rahmen wirklich eine zweidimensionale Tragstruktur oder kann er nicht etwa mit dem Balken auf zwei Stützen mit beidseitigem Kragarm verglichen werden? Ist die Rippenkuppel wirklich eine dreidimensionale Tragstruktur oder doch nur eine radiale Anordnung von Bogen? Auf diese Fragen geben Büttner ⁄ Hampe keine Antwort, da Mischkonstruktionen nicht dargestellt beziehungsweise eingeteilt werden.
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Bi ld ma Ge nn b채 ud e
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Ac ke r-
Dieselbe Grundeinteilung wie bei Polónyi findet man bei Kurt Ackermann (Tragwerke in der konstruktiven Architektur). Die Matrix ist nach der Beanspruchung und nach der Geometrie aufgebaut. Die Einteilung in x-Achse beziehungsweise y-Achse erlaubt die Kombination beider Möglichkeiten der Systemeinteilung in einer Matrix. Die Ordnung nach der Beanspruchung kann ebenso als eine brauchbare Einteilung betrachtet werden — schließlich sind Konstruktionen technische Mittel zur Übertragung von Kräften und Momenten.
Einordnung
Tragsysteme nach Kurt Ackermann Abb. 5 Einteilung nach Kurt Ackermann Weiterführende Literatur: Ackermann, Kurt: Tragwerke in der konstruktiven Architektur, Stuttgart 1988.
Nach geometrischen Gesichtspunkten teilt Ackermann die Tragsysteme in linienförmige (gerade oder gekrümmt) und flächenförmige (eben oder gekrümmt). Im Textteil ergänzt Ackermann diese Einordnung noch um ein drittes Element — »räumliche Systeme«: »Tragsysteme werden geprägt von der Geometrie und dem Tragverhalten. Entsprechend ihrer Geometrie werden die Tragsysteme in linienförmige, flächenförmige und räumliche Systeme unterteilt. […] Die räumlichen Tragsysteme tragen die räumlichen Lasten in Richtung der drei Hauptachsen des Raumes ab.« Hier widerspricht sich Ackermann und es stellt sich die Frage, warum die Matrix anders aufgebaut ist als die Beschreibung, zumal sie eigentlich eine optische Darstellung des Texts sein sollte. Wie man bei Curt Siegel1 nachlesen kann, sind Tragwerke materieller Art und somit dreidimensional. Die Krümmung in die dritte Dimension entscheidet zwangsläufig wenig darüber, ob ein flächenförmiges Tragsystem zu den räumlichen Tragsystemen gezählt werden kann. Entscheidend ist, dass die dritte Dimension das Tragsystem erst ermöglicht. Das kann auch am Beispiel des Balkens und Bogens verdeutlicht werden: Balken und Bogen sind linienförmige Tragsysteme. Bei einer angenommenen Länge l ergeben sich die Querschnitte Breite b und Höhe h1. Bei einem gekrümmten Balken wird die statische Höhe h1 identisch bleiben, denn die Krümmung verändert den »gekrümmten Balken« statisch gesehen noch nicht zum Bogen. Die Auflagerbedingungen müssten verändert werden, um als Bogen wirken zu können. Infolgedessen wäre die Krümmung nicht nur formal, sondern die Krümmung wird statisch wirksam. Dann kann die Höhe der Krümmung — Stichhöhe f — zur Berechnung des Querschnitts herangezogen werden. Die »materielle« Querschnittshöhe h2 wird bei gleicher Länge l und gleichbleibender 1
Siegel, Curt: Strukturformen der modernen Architektur, München 1960.
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Abb. 6 Einteilung nach Kurt Ackermann Weiterführende Literatur: Ackermann, Kurt: Tragwerke in der konstruktiven Architektur, Stuttgart 1988.
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Belastung q geringer sein als beim Balken zuvor, unabhängig davon, ob gerade oder gekrümmt, denn die Form des Trägers ist nicht entscheidend für das Tragverhalten. Gerade oder gekrümmt sind formale Beschreibungen eines Ausschnitts des Tragsystems (Büttner ⁄ Hampe gebrauchen hierfür den Ausdruck »Tragstrukturelemente«). Der Begriff »linienförmig« bezieht sich richtigerweise auf die Form, aber die Stichhöhe f spielt verglichen mit dem »gekrümmten Balken« die entscheidende Rolle. Als Unterscheidungsmerkmal sollte deshalb die Dimension der Fähigkeit zur Lastabtragung benutzt werden.
q h1
q h 2 < h1
Die Einteilung der Tragsysteme nach ihrer Geometrie ist möglich, allerdings wurde hier davon ausgegangen, Tragwerke nach ihrem Aussehen in lineare oder flächige Systeme zu unterscheiden. Soll diese Einteilung um den Begriff »räumlich« erweitert werden, erscheint das zunächst schlüssig. Probleme entstehen jedoch bei der »praktischen« Vorstellung. Die Logik im Sinne des Tragverhaltens läge bei einem »räumlichen Tragsystem« doch folgerichtig darin, dass das gesamte Volumen zum Tragen herangezogen wird. Es sollte also nicht davon ausgegangen werden, »wie ein Tragsystem aussieht«. Vielmehr sollte man sich, will man eine Einteilung in ein-, zwei- und dreidimensionale Tragwerke vornehmen, folgende Frage stellen: »Wieviele Dimensionen werden zur Lastabtragung benötigt?«
f
l
Abb. 7 Auflagerreaktionen bei gekrümmten Balken und Bogen
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Einordnung
Aus dem eben beschriebenen Beispiel kann die Unterscheidung zwischen zweidimensionalen und dreidimensionalen Tragysystemen gefolgert werden. Es mag der Hinweis genügen, dass sich eine »gekrümmte Fläche« (»tonnenähnlich«) eben doch wie eine Fläche verhält. Erst bei Stabilisierung der Form wird die Stichhöhe für die Lastabtragung entscheidend. Eine gekrümmte Fläche bleibt ein zweidimensionales Tragsystem — eine echte Tonnenschale ist ein dreidimensionales Tragsystem.
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Heino Engels Ordnungsprinzip (Tragsystem) ist vergleichbar mit einem Bilderbuch, das übersichtlich, anschaulich und sehr logisch erscheint. Für Engel ist die bildliche Verständigungsweise des Architekten besonders wichtig, weshalb er seine Einteilung in die verschiedenen Konstruktionssysteme mithilfe von Zeichnungen und Modellfotografien vermittelt.
Einordnung
Tragsysteme nach Heino Engel Abb. 8 Einteilung nach Heino Engel Die Grafik bezieht sich auf die frühere Einordnung von Heino Engel in fünf Gruppen (siehe Ende des Kapitels). Weiterführende Literatur: Leder, Gerhard: Hochbaukonstruktionen, Band 1: Tragwerke; Heidelberg 1985.
Einteilung der Tragsysteme 1. Formaktive Tragsysteme ... oder Tragsysteme im einfachen Spannungszustand: Tragwerke, die hauptsächlich durch stoffliche Form wirksam sind 2. Vektoraktive Tragsysteme ... oder Tragsysteme im zusammenwirkenden Zug- und Druckzustand: Tragwerke, die vorrangig durch Komposition von zusammenwirkenden Druck- und Zuggliedern wirksam sind 3. Massenaktive Tragsysteme ... oder Tragsysteme im Biegezustand: Tragwerke, die vorrangig durch stoffliche Masse und Kontinuierlichkeit wirksam sind 4. Flächenaktive Tragsysteme ... oder Tragsysteme im Flächenspannungszustand: Tragwerke, die vorrangig durch Flächenkontinuierlichkeit wirksam sind 5. Senkrechte Tragsysteme Tragwerke, die vorrangig durch vertikale Lastübertragung wirksam sind
Die Einteilung nimmt Engel nach dem Hauptmerkmal, der Wirksamkeit des Tragsystems, vor. Tatsächlich lässt sich in jedem Tragsystem neben seinem Hauptmerkmal immer eine Kombination von Eigenschaften finden, die charakteristisch für andere Tragsysteme sind. Wird jedoch die Haupttragwirkung, also der vorherrschende Kraftumlenkungsmechanismus betrachtet, so kann jedes Tragwerk ohne Schwierigkeiten einem dieser fünf Tragwerksysteme (nach Engel) zugeordnet werden.
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Zur Kritik an der Einordnung von Heino Engel 1. Formaktive Tragsysteme Die Einteilung in die Gruppe der »formaktiven Tragsysteme« ist ohne Zweifel eine richtige Einordnung entsprechend der Beanspruchungsart. Dem Seil als Zugsystem stellt Engel den Bogen als Drucksystem gegenüber. Bemängelt werden könnte, dass Engel den Zeltsystemen nicht auch entsprechende Drucksysteme gegenüberstellt. Dies ist jedoch lediglich eine Frage der Vervollständigung dieser Gruppe. 2. Vektoraktive Tragsysteme Engel spricht von Stäben als Konstruktionsglieder, die mittels Dreiecksverband zu Stabgefügen zusammengesetzt werden. Die Wirkungsweise besteht im Zusammenhang mit Zug- und Druckelementen. Gerade dies ist aber eine Beschreibung der inneren Wirkungsweise, nicht eines Trag systems. Das Tragsystem selbst bleibt der Träger, der Rahmen, der Stützbogen, die Schale usw. Alle Tragsysteme können innerhalb des Systems in einzelne Elemente beziehungsweise Vektoren zerlegt werden. Engels Einteilung in vektoraktive Tragsysteme stellt also lediglich eine Optimierung eines Tragsystems dar und keine eigene Tragsystemgruppe. 3. Massenaktive Tragsysteme Wie auch die formaktiven Tragsysteme werden die massenaktiven nach der Beanspruchungsart (hier: Biegung) unterschieden. Wenn Engel aber auch Tragplattensysteme dieser Gruppe zuordnet, stellt sich die Frage, ob diese nicht eher den flächenaktiven Tragsystemen zuzurechnen sind. 4. Flächenaktive Tragsysteme Das Tragverhalten wird hier nicht ausreichend betrachtet. So könnte eine Kuppel durchaus zu den formaktiven Tragsystemen zählen, wenn man sie als »Spiegelbild« des entsprechenden Zugsystems entwickelt. Es würde dann dem Hängeseil und Druckbogen entsprechen. Es stellt sich aber auch die Frage, warum es keine Einteilung nach räumlichen Tragsystemen gibt, denn für viele Konstruktionen ist die räumliche Abtragung der Last erforderlich, um das Tragsystem im Gleichgewicht zu halten. Auch hier kann Curt Siegel (Strukturformen der modernen Architektur) zitiert werden: »[Das räumliche Tragwerk] ist ein Tragwerk, bei dem die ohnehin immer gegebene materielle, dreidimensionale Räumlichkeit gar nicht vernachlässigt werden kann, ohne seine Grundidee in Frage zu stellen. Es ist ein Tragwerk, dessen inneres strukturelles Gefüge und dessen äußere Form entscheidend aus der räumlichen Wirkung resultieren!«
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Einordnung
5. Senkrechte Tragsysteme Laut Heino Engel besitzen die senkrechten Tragsysteme selbst keinen eigentümlichen Wirkungsmechanismus. Sie bedienen sich für die Kraftabtragung und Kraftumlenkung der Mechanismen formaktiver, vektor aktiver, massenaktiver oder flächenaktiver Systeme. Die senkrechten Tragsysteme sollten deshalb in der Ordnung nach Engel als Sonderfall angesehen werden.
In der überarbeiteten Ausgabe von 1999 gliedert Engel die Tragsysteme in sechs Gruppen, indem er eine Erweiterung um »hybride Tragsysteme« vornimmt. Zudem verändert er zwei Begriffe. Aus »massenaktiven« Tragsystemen werden »schnittaktive« und aus »senkrechten« Tragsystemen werden »höhenaktive«.
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Frei Otto (Zugbeanspruchte Konstruktionen, Band 2) nennt drei wesentliche Kriterien anhand derer Tragwerksysteme unterschieden werden können: erstens danach, wie wir die Dinge sehen (ein-, zwei- oder dreidimensional beziehungsweise als Linie, Fläche oder Körper) zweitens danach, wie wir die Dinge fühlen (hart oder weich) und drittens danach, wie sie belastet oder beansprucht sind (gezogen, gedrückt, gebogen, verdreht oder verschoben).
Einordnung
Tragsysteme nach Frei Otto Abb. 9 Einteilung nach Frei Otto Weiterführende Literatur: Otto, Frei: Zugbeanspruchte Konstruktionen, Band 2, Berlin 1966.
Konstruktionen sind Mittel zur Übertragung von Kräften und Momenten. Sie sind stofflich, wenn Kräfte und Momente von Materialien übertragen werden können. Sie sind unstofflich, wenn die Übertragung von Kräften und Momenten auch ohne Hilfe von Stoffen möglich ist, wie etwa durch Magnetwirkung. Frei Otto nimmt zudem eine Unterteilung in formbeständige und nicht formbeständige (flüssige, gasförmige) Baustoffe vor. Die Beanspruchungsart im stofflichen Bereich kann weiter nach Zug, Druck oder Biegung unterschieden werden. Die Biegung könnte zwar als Kombination von Zug- und Druckbeanspruchung angesehen werden, doch ergäbe dies ein der Wirklichkeit nicht in allen Punkten angenähertes Bild. Die Momentenbeanspruchung liegt in reiner Form vor, wenn keine zusätzliche Zug- oder Druckbeanspruchung erfolgt. Neben der Beanspruchungsart (Zug, Moment, Druck) kann nach der gleichzeitigen Beanspruchung in mehrere Richtungen unterschieden werden: einachsig, wenn die Beanspruchung nur in einer Richtung erfolgt (Seil), zweiachsig, wenn die Beanspruchung gleichzeitig in zwei Richtungen, also flächig, erfolgt (Platte) oder dreiachsig, wenn die Beanspruchung gleichzeitig in drei Richtungen, also allseitig oder räumlich, erfolgt (Flüssigkeiten und Gase). Flüssigkeiten und Gase können weder ein- oder zweiachsig noch dreiachsig ungleichmäßige Beanspruchungen aufnehmen. Bei allen festen Stoffen sind hingegen jegliche Kombinationen denkbar. In der senkrechten Spalte unterscheidet Frei Otto die Konstruktionen nach den gewählten Tragsystemen: lineare, flächige und räumliche Konstruktionen – also eindimensionale, zweidimensionale und dreidimensionale Tragsysteme.
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Balken und St端tzen
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+
+
+
+
Schnittaktive Tragsysteme
-
-
Balken und Stützen sind schnittaktive Tragsysteme, die die+ durch Be- lastung entstehenden Kräfte mithilfe der Aktivierung++von Schnittkräften (Querkraft, Biegung, Normalkraft) abtragen. Dabei spielen die Maße von Bauteilen und die unterschiedlichen Materialeigenschaften eine - ent+ + scheidende Rolle. Bei der biegesteifen Verbindung von Balken und Stützen entsteht der Rahmen, der auch zu den schnittaktiven Tragsystemen gezählt wird. Werden mehrere Balken in x- und y-Richtung miteinander verbunden, so spricht man vom Balkenrost. Auch Platten wirken schnitt aktiv, wenn sie in nur einer - Richtung gelagert werden. Sind bei Balken+ - in x- und+y-Richtung vorhanden, werden rost und Platte Auflager sie den + + + + flächenaktiven Tragsystemen zugeordnet. +
+
-
+
-
+
+
+
-
+
Abb. links Korinthische Säulen des Erechtheions auf der Akropolis + in Athen, Griechenland, zwischen 420 — 4 06 v. Chr.
+
Balken und Stützen
-
+
-
Abb. 1 Schnittaktive Tragsysteme a+ Balken b Rahmen c Rost + d Platte e z weiseitig gelagerte Platte (enspricht dem schnittaktiven Tragsystem)
f vierseitig gelagerte Platte
+ -
+
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(enspricht + dem flächenaktiven Tragsystem)
+
+
+ -
+
+
-
-
+
+
-
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1 a
1 c
1 e
1 b
1 d
1 f
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+
+
+
Grundlagen+Balken
+
+
+ -
+
Abb. 4 Beispiele für den Momenten- und + Querkraftverlauf bei verschiedenen Lastfällen -
+
+
-
σ
+
+
+
-
-
-
l
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+
+
+
D
ε
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Z
3 a
3 b
-
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+
2 a
+
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l Z
-
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-
-
D σ=E×ε
+
+
+
+
+
+
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-
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+
-
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-
+
+
-
+
+
+
Ein Balken unter Belastung biegt sich durch. Dabei entstehen an seiner Oberseite Druck- und an seiner Unterseite Zugkräfte. Druck und Zug werden in diesem Fall als Biegespannung bezeichnet und bewirken eine innere Gegenkraft zur Durchbiegung (Momentenwirkung) des +Balkens. Damit kommt der Balken ins Gleichgewicht. Dem vertikalen Schub (Querkraft), der durch eine Belastung entsteht, + wird der horizon- der ebenfalls ein Gleichtale Schub (Schubspannung) entgegengestellt, + gewicht bewirkt. Damit wird das Verhalten des Balkens und so auch seine Form hauptsächlich von zwei Schnittgrößen beeinflusst: Moment und Querkraft. Die Biegespannung (Druck ⁄ Zug) eines Balkens ist an der Ober- beziehungsweise Unterseite am größten, während der Querschnitt dazwischen die größten Schubspannungen aufweist. Somit übernehmen bei einem optimierten Querschnitt als Doppel-T-Träger die Flansche die Momente und der Steg die Querkraft.
Abb. 2 Kräftewirkung in Längsrichtung a B ei Belastung eines Balkens entsteht durch Biegung an dessen Oberseite Druck, während an der Unterseite Zug entsteht. b Q uerkraftwirkung im Biegebalken c S cherkräfte im Biegebalken Abb. 3 Kräftewirkung in Querrichtung a L aut dem Hookeschen Gesetz (σ = E × ε) verlaufen Spannung und Dehnung eines Materials bei Belastung linear. + So ergibt sich der Elastizitätsmodul E (E = σ ⁄ ε), der angibt wie elastisch (verformbar) ein Material ist. b Biegespannung tritt hauptsächlich an der Ober- und Unterseite eines Recht- +eckquerschnitts auf, während die Schub+ + + spannung in Richtung Mitte ansteigt. Eine Optimierung des Rechteckquer schnitts- ergibt einen Doppel-T-Träger.
-
+
+
-
+
+
+
-
-
2 b + +
-
+
Mmax= Pab ⁄l
30
+
-
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+
Mmax= ql2⁄8
+ -
Q +
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l ⁄ 3
+
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+
+
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+
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l ⁄ 3
Mmax= Pl ⁄4 -
-
P -
l ⁄ 3
+
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+
P
l
+
-
+
P
+
-
Q
+
4
+
+
-
-
+
+
Neben dem Einfeldträger, der- aus einem Balken und zwei Auflagern besteht, gibt es Mehrfeldträger, die auf mehr als zwei Auflagern auflie+ + gen. Bei Mehrfeldträgeren unterscheidet man den Durchlaufträger vom Gelenk- oder Gerberträger. Beim Durchlaufträger entstehen + jeweils über + den Auflagern Stützmomente, die die Feldmomente -entlasten und so den + Querschnitt optimieren. Wird nur ein Feld belastet, so ist im Gegensatz zu mehreren hintereinanderliegenden Einfeldträgern in den Folgefeldern + mit +einer Verformung zu rechnen. Um den Biegebalken noch gleichmäßiger zu gestalten, kann über Auskragungen oder eine Längenänderung der Endfelder Einfluss auf die Form genommen werden. Beim Gelenkträger wird ebenfalls der Momentenverlauf durch das Einfügen von Gelenken beeinflusst. Zusätzlich kann durch die Möglichkeit, den Träger in einzelne Elemente zu zerlegen, die Montage vereinfacht werden. + Die Anordnung +der Gelenke ist so zu wählen, dass beim Versagen eines Bauteils das restliche System erhalten bleibt. Außerdem kann die Form durch die Lage der Gelenke beeinflusst werden (Momentenverlauf). Die maximale Anzahl der Gelenke entspricht der Anzahl der Innenstützen.
-
-
+
+
--
Abb. 6 Beim Mehrfeldträger entsteht in den Endfeldern eine größere Durchbiegung. Wird die Feldlänge verändert, hat dies+ Einfluss auf den Momentenverlauf. So kann ein noch effizienterer Querschnitt gewählt werden. + a D urchlaufträger mit gleich langen Feldern + b D urch das Verkürzen der Endfelder lässt sich eine gleichmäßigere Momentenlinie erreichen. c Die Auskragung ergibt eine Gegendrehung, + die Durchbiegung im Endfeld wird minimiert.
q
l
-
+
q
l
l
++
M
++
+
5 a
-
+
+
--
+
-
++
--
q
l
l
-
M
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l
- --
5 b
-
+
+ -
+
+
Abb. 5 Momentenverlauf eines Mehrfeldträgers a z wei Einfeldträger + b Mehrfeldträger — gleichmäßigere Verteilung des Momentenverlaufs und dadurch bedingte bessere Ausnutzung des Querschnitts c Gerberträger — -bessere Transportmöglich- + + keiten dank seiner beiden Gelenke. Durch das Verschieben der Gelenke kann Einfluss auf die Momentenlinie genommen werden.
+
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+
+
l
- --
+ ++
+ ++
M
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Balken und Stützen
+ Mehrfeldträger
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Vierendeelträger Der Vierendeelträger ist nach seinem Erfinder, dem belgischen Ingenieur Arthur Vierendeel (1852 — 1940), benannt. Er besteht aus Pfosten und Ober- und Untergurt; die Ecken werden biegesteif miteinander verbunden. Wie beim Biegebalken nimmt die Scher- und Querkraft in Richtung Auflager zu. Um darauf konstruktiv zu reagieren, werden entweder die Pfosten zum Auflager hin stärker dimensioniert oder die Abstände dazwischen verringert. Ohne notwendige Diagonalen hat der Vierendeelträger einen großen architektonischen Freiheitsgrad, da etwa zwischen den Pfosten Fenster, Türen oder sonstige Durchgänge geplant werden können.
Abb. 7 Vierendeelträger mit Momenten- und Querkraftverlauf Die Pfosten erfahren beim Durchbiegen des gesamten Systems ebenfalls eine Verformung.
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Abb. 8 Um auf die ansteigende Querkraft zum Auflager hin reagieren zu können, müssen: a ... die Feldlängen verkürzt werden oder + b .+.. die Pfosten verstärkt werden. Abb. 9 Pont Vierendeel d'Anderlecht, Anderlecht, Belgien, 1931 + Ingenieur: Arthur Vierendeel -
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Weiterführende Literatur: Deutsche Bauzeitung, August 2003, S. 84— 8 7.
Abb. 10 Scheepsdalebrug , Brügge, Belgien, 1920—2009 Ingenieur: Arthur Vierendeel
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Weiterführende Literatur: siehe oben
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+Bei vertikalen Stäben ist vor allem auf die Knickgefahr zu achten, unter
der man das seitliche Ausweichen eines Stabs versteht. Da es ohne Vorankündigung, also schlagartig, auftritt, ist dieser Tatsache besondere Beachtung zu schenken. Wie stabil eine Stütze ist, ist zum einen von ihrem Querschnitt, ihrer Länge, dem Material und der Last abhängig. Zum anderen wird die Verformung von der Lagerungsart beeinflusst. Aufschluss über die Stabilität eines Stabs bei bestimmter Lagerung geben die vier Eulerfälle, benannt nach dem Schweizer Mathematiker Leonhard Euler, anhand derer Knicklänge und -last bestimmt werden können.
Abb. 12 Eulerfälle a E ulerfall 1: Die Knicklänge sk bei einseitig eingespannten Stützen beträgt das Doppelte ihrer Länge. b E ulerfall 2: Die Knicklänge sk beidseitig gelenkig gelagerter Stützen entspricht ihrer Länge. c Eulerfall 3: Die Knicklänge sk einseitig eingespannter und gelenkig gelagerter Stützen entspricht dem 0,7-Fachen ihrer Länge. d E ulerfall 4: Die Knicklänge sk beidseitig eingespannter Stützen beträgt die Hälfte ihrer tatsächlichen Länge.
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11 a
11 b
sk= 2l
l
11 c
sk= l
11 d
sk= 0,7l
Abb. 11 Stützenformen sollten dem jeweiligen Eulerfall entsprechen. a D as größte Moment entsteht bei der Einspannung am Boden, wo das Material am stärksten beansprucht wird. b D as Moment ist an der unteren und oberen Lagerung gleich Null. Die größte Knickgefahr befindet sich in der Mitte der Stütze. c Die Einspannung bewirkt das größte Moment. d Die Bereiche der Einspannungen sind am materialintensivs ten.
sk=0,5l
+ + 12 a
12 b
12 c
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Balken und Stützen
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Stützen
13 Abb. 13 Stonehenge, Amesbury in Wiltshire, Großbritannien Stonehenge wurde in der Jungsteinzeit in drei Phasen erbaut. Die erste Phase begann um 3.100 v. Chr. Um 2.500 v. Chr. folgte die zweite Phase — sie endete mit dem Beginn der dritten Phase um 2.000 v. Chr. Noch heute ist nicht vollständig geklärt, welchem Zweck die Stein formation diente. An der Oberseite der Tragsteine sind Zapfen ausgebildet, die sich mit den Kerben der horizontalen Steine verzahnen lassen. Abb. 14 Pantheon, Rom, Italien Der Vorgängerbau des Pantheons wurde von Marcus Agrippa um 27 v. Chr. erbaut, aber bereits 80 n. Chr. durch einen Brand zerstört. Kaiser Domitian ließ das Gebäude restaurieren. 110 n. Chr. kam es erneut zu einer Brandkatastrophe. Das Pantheon, wie wir es heute kennen, wurde unter Kaiser Hadrian zwischen 117 und 125 n. Chr. erbaut. Wichtiges Element ist die Säulenhalle, auf deren Säulen Architrav und Dachgebälk ruhen. Weiterführende Literatur: Strunck, Christina (Hg.): Rom — Meisterwerke der Baukunst von der Antike bis heute, Petersburg 2007.
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Balken und Stützen
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Abb. 15 —16 Unité d'Habitation , Marseille, Frankreich, 1947— 1952 Architekt: Le Corbusier Die Stützen im Erdgeschoss sind in verschie denen Richtungen eingespannt und dienen so als Aussteifung in beide Richtungen. 16
Weiterführende Literatur: Baumeister, November 1993, S. 10 —12.
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