Architektur und Nachhaltigkeit – eine schwierige Beziehung Robert Kaltenbrunner
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Photovoltaikmodule in der Dachfläche, Ateliergebäude, Dresden (D) 2003, Haller Morgenstern Quincke Umweltbundesamt, Dessau (D) 2005, Sauerbruch Hutton
Vermutlich denkt man nicht zuerst an Einstein, wenn von nachhaltiger Architektur die Rede ist. Und doch bieten seine Erkenntnisse einen so ungewöhnlichen wie notwendigen Zugang zu diesem Thema. Die klassische Physik kennt die drei Kerngebiete Mechanik, Elektrodynamik und Thermodynamik, die heute noch so bestehen. Allerdings hatten diese sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts in ihrer gegenseitigen Beziehung langsam wie Kontinentalplatten verschoben. Die eigentliche Leistung Albert Einsteins liegt darin, dass er erkannte, was alle anderen übersahen: An den Faltungszonen zwischen den begrifflichen Kontinenten häuften sich Grenzprobleme, die den Bewohnern der einzelnen Kontinente jeweils nur als randständig erschienen. Erst aus einer nichtspezialisierten Perspektive offenbarten sie sich in ihrer ganzen Brisanz und wurden schließlich zu den Ausgangspunkten von Einsteins wissenschaftlicher Revolution. Solche »Grenzüberschreitungen« braucht es auch heute. Zwar hat das Umweltbewusstsein mittlerweile einen festen Platz im gesellschaftlichen Wertekanon erobert und der offensichtliche Klimawandel setzt die Politik unter erheblichen Aktionsdruck. Dass deswegen aber schon alle möglichen sektoralen Handlungsfelder in durchschlagender Weise auf Nachhaltigkeit getrimmt sind, lässt sich nicht behaupten. Noch immer klafft eine Rationalitätslücke zwischen dem (betriebs-)wirtschaftlich Zweckmäßigen und dem Notwendigen. Die Philosophie des Aristoteles, ein Lebewesen sei nicht an seiner Erscheinung, sondern an seinem Tun und den Reaktionen auf seine Umwelt zu erkennen, sollte endlich auf den Bausektor übertragen werden. So betrachtet, erschließt sich schnell ein anderer, über das einzelne Gebäude hinausgehender Horizont: Ökologische Einzelmaßnahmen machen noch keine Öko-Architektur; Solarzellen und passive Sonnennutzung, ins Haus integrierte Gewächshäuser, Fassadenbegrünung und Wärmedämmung sind längst nicht hinreichend für ein wirklich nachhaltiges Bauen. Bisher lässt sich eher die Optimierung von – wenn auch wichtigen – Einzelaspekten beobachten, weniger ein Gesamtkonzept nachhaltigkeitsorientierter Planungsprinzipien. Ebenso wird
derzeit stärker Bezug auf das einzelne Gebäude als auf den Siedlungszusammenhang genommen. Nachhaltigkeit funktioniert eben nicht wie die Automobilindustrie, die permanent den »neuesten Stand« der Fortentwicklung aller Systeme verkündet. Die Gewichtung der Betrachtungsebenen
Mögen klare Kriterien und halbwegs messbare Indikatoren von Nachhaltigkeit auf der konkreten Gebäudeebene noch benennbar sein, so wird man kaum behaupten können, dass es aus Sicht von Städtebau und Stadtökologie bereits einen tragfähigen Ansatz zur Bestimmung und Realisierung einer optimalen Relation aus Dichte, Stadtgröße, Umwelt- und Lebensqualität gibt. Schon die Frage nach Art und Lage des Grundstücks kann die Parameter für ein nachhaltiges Bauprojekt entscheidend verändern. Beispielsweise führen die einzelwirtschaftlichen Standortentscheidungen von Haushalten und Betrieben in Richtung Stadtumland in der Summe zu erheblichen ungedeckten Folgekosten oder Externalitäten – vor allem in den Bereichen Infrastruktur, Verkehr, Umwelt und Städtebau. Damit sind gesellschaftliche Nachteile verbunden, die in die Bilanzierung von (individuellen wie gesamtwirtschaftlichen) Kosten und Nutzen der Suburbanisierung bisher nicht hinreichend eingehen. Insofern hängt die auf den Bauprozess bezogene Bilanz stark vom Standpunkt des Beobachters ab; sie ist also nicht zuletzt weltanschaulicher Natur. Einerseits steht einer entscheidenden Breitenwirkung des nachhaltigen Bauens augenscheinlich jener Druck der Sachzwänge gegenüber, der mitunter dazu führt, dass bereits erreichte Qualitätsstandards – gerade bei privater Finanzierung – eher zurückgeschraubt als zu einer allgemeingültigen Mindestgrundlage gemacht werden. Andererseits wird bei speziellen Bauvorhaben namentlich der öffentlichen Hand – sei es nun beim Umweltbundesamt in Dessau oder Norman Fosters Commerzbankhochhaus in Frankfurt – viel Wert auf »Ecological Correctness« gelegt, schon aus Gründen eines zukunftsgewandten Marketings (Abb A 3.2). So bleibt eine interpretatorische Kluft. Manche singen das Hohelied des Erfolges: Nachhaltigkeit stellt mittlerweile