Landschaftsarchitektur gestern und heute

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In Gedenken an Michel Corajoud, den Meister der Lichtung in der Lichtung.

Autor: Christophe Girot Übersetzung der englischen Ausgabe: Johanna Christiansen, München Projektleitung: Cornelia Hellstern Lektorat: Eva Schönbrunner, Melanie Zumbansen Satz: Roswitha Siegler Druck und Bindung: Toppan Leefung Printing Ltd, China Gestaltung: Praline (Al Rodger, David Tanguy) Cover: Atelier Girot, Ilmar Hurkxkens

Titel der englischen Originalausgabe: The Course of Landscape Architecture Veröffentlicht im Rahmen einer Kooperation mit Thames & Hudson Ltd, London, The Course of Landscape Architecture © 2016 Christophe Girot Deutsche Erstausgabe: Landschaftsarchitektur gestern und heute. Eine Kulturgeschichte. © 2016, erste Auflage DETAIL – Institut für internationale Architektur-Dokumentation GmbH & Co. KG, München www.detail.de ISBN 978-3-95553-331-1

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Zeichnungen, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.


Inhalt Vorwort 6 Zwischen Gegebenem und Geschaffenem

Einleitung 8 Natur als Landschaft

1. Wurzeln  14 Entstehungsgeschichten von Landschaften Avebury, England Bagh-i Fin, Iran

8. Gravitation  200 Die Konstante der Natur Rousham, England

9. Aufbruch  232 Flucht ins Exotische Parc des Buttes-Chaumont, Frankreich

10. Beschleunigung  256 Landschaften des 20. Jahrhunderts Parc de la Villette, Frankreich

2. Hydraulische Zivilisationen  44 Die Geometrie von Wasserlandschaften Die Fayum-Oase, Ägypten

11. Terrain Vague  282 Prospect Cottage, England

3. Von Temenos nach Physis  68 Heilige Landschaften in Griechenland Delphi, Griechenland

12. Topologie  304 Die Wiederentdeckung der Bedeutung in der Landschaft Sigirino Hügel, Tessin, Schweiz

4. Von Villen und Wäldern  92 Römische und Barbarische Landschaften Hadriansvilla, Italien

Nachwort 334 Hin zu einer kulturellen Revolution in der Natur

5. Die Herrschaft des Glaubens  114 Santa María de Poblet, Spanien

6. Gärten der Perspektive  144 Architektonische Landschaften in der Renaissance Villa Lante, Italien

7. Das Maß der Aufklärung  172 Vaux-le-Vicomte, Frankreich

Anmerkungen 340 Bibliographie 345 Bildnachweis 346 Danksagung 347 Sachwortregister 348


Die Rückkehr zu einem unbefleckten, natürlichen Zustand ist heutzutage kaum mehr vorstellbar, obwohl die Rena­ turalisierung von verwüsteten Gebieten zum Wohle der Gesellschaft vorangetrieben wird [0.6]. Aber welche Gesellschaft ist hier eigentlich gemeint und auf welchen Symbolen und Werten basiert deren Wertschätzung der Natur?

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0.6  Natur-Park Schöneberger Südgelände, ­Berlin, Deutschland. Auf dem stillgelegten Eisenbahngelände konnte jahrzehntelang alles ungestört wachsen. Dies diente paradoxerweise als neues Modell der Landschaftsästhetik, das auch renommierte Projekte wie den High Line Park in New York beinflusste. Ironischerweise findet die zeitgenössische Landschaftsarchitektur oft mehr Inspiration in den Ruinen vergangener Zivilisationen als in deren willentlich erbauten Werken. 0.7  Alpinum (Hochalpengarten), Schweiz. Das Wort »Garten« entstammt dem altdeutschen »garto«, was wörtlich »eingezäunt« bedeutet. Dieses Alpinum zeigt deutlich wie eine Landschaft für die Nutzbarmachung eingezäunt werden muss. Solch eine Reaktion auf Umgebungsfaktoren hat zu der Entstehung bestimmter Landschaftstypen geführt, die schon seit Anbeginn der Geschichte überall auf der Welt zu finden sind.

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0.8  Oerliker Park, Zürich, Schweiz, 2001. Dieser neue Park aus dem 21. Jahrhundert wurde auf einem stark verseuchten Werksgelände errichtet, mit neuen Wohnungen außen herum. Er wurde von dem Architekturbüro Zulauf, Seippel und Schweingruber in Zusammenarbeit mit dem Künstler Christoph Haerle gestaltet. Die Bäume im Park sind in einem engmaschigen Muster angepflanzt und sollen den Boden über Jahrzehnte hinweg auf natürliche Weise reinigen. Es ist ein Ort, der in einem Übergangszustand festsitzt, durchdrungen von der Hoffnung auf eine bessere Landschaft, irgendwann in der Zukunft. 0.9  Mauerpark, Berlin, Deutschland, 1994. Der Park wurde im ehemaligen Niemandsland zwischen Ost- und West-Berlin errichtet und ähnelt den zahlreichen Flächen, die man vor dem Fall der Mauer über die ganze Stadt verstreut vorfand. Die Beliebtheit des Parks erklärt sich aus seiner relativen Abgeschiedenheit und der dezenten Formsprache Gustav Langes. Er besteht aus einem großen, nur von Gras bewachsenen Gebiet, was die Leere betont. Es ist eine Leere, die an die Vergangenheit erinnert, die aber die Menschenmengen in warmen Sommernächten auch dazu einlädt, neue Erinnerungen für die Zukunft zu schaffen.

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wir diese gestalten, zu ebnen. Es ist nicht als ein nostalgisches Werk gedacht, das rührselig auf Artefakte der Vergangenheit zurückschaut, vielmehr sollen die Beispiele vergangener Zeiten ein stärkeres Gefühl der Kontinuität und der Zielsetzung schaffen, indem sie den Blick mehr auf die Wichtigkeit und Bedeutung von kulturellen Eigenheiten und Identitäten lenken als auf systemati­ sches Denken. Außerdem bietet es wertvolle Einblicke in das Zusammenspiel zwischen der Poetik des Raumes und dem kreati­ ven Schaffen. Die Auswirkungen des gegenwärtigen Klimawandels und der demografischen Entwicklung haben uns unzweifelhaft an die Schwelle eines neuen Zeitalters gebracht, das manche Wissen­ schaftler »Anthropozän« nennen. Man erwartet von Landschafts­ architekten nun verantwortungsvolle Gestaltungen und dass sie ihrer Rolle als »Präparatoren«, die die Umweltzerstörung abpuf­ fern, gerecht werden. Dennoch sollten wir die dominant morali­ sche Haltung hinter Ökologie und Nachhaltigkeit infrage stellen und diese Sicht auf die Natur kritisch entmystifizieren bzw. stets an neue Bedürfnisse anpassen. Der Oerliker Park in Zürich (2001), konzipiert von den Landschaftsarchitekten Zulauf, Seippel und Schweingruber, wurde auf einem stark belasteten Gelände gebaut und hat gute Aussich­ ten, die Umwelt durch die sanierende Wirkung der Bäume in drei Jahrzehnten zu heilen [0.8].6 Somit wird die Natur auf ernsthaft verschmutztem Land wiederhergestellt. Dasselbe könnte man über die stillgelegten Eisenbahnanlagen des Schöneberger Südge­ ländes in Berlin sagen [0.6].7 Jedoch liegt in dieser konzeptionel­

len Umkehrung, die die Gestaltung in den Hintergrund rückt, ein gewisser Widerspruch, da Landschaften schon immer das Ergebnis starker formaler Eingriffe in die Natur waren und nicht lediglich ökologische Modalitäten. Landschaftsarchitektur muss weiterhin ein kulturelles Leuchtfeuer bleiben, trotz der gegen­ wärtigen moralischen Gebote der »Biopolitik«, die der Natur der Landschaftsgestaltung widersprechen.8 Aber selbst als ­designierte »Präparatoren« entspricht es doch genau unserer Fähigkeit, eine starke poetische Antwort auf menschliche Bedürf­ nisse und ­Glaubensgrundsätze kultivieren zu können, die uns dabei helfen wird, bessere Ausdrucksformen der Natur zu finden. Der Mauerpark in Berlin (1994) ist der direkte Ausdruck einer ­solchen ­gesellschaftlichen Verbindung. Sein Erfolg basiert nicht so sehr auf komplexen ästhetischen Konstrukten, sondern auf den Möglichkeiten der Versammlungsfreiheit durch informelle soziale Organisation. [0.9].9 Nur durch ein kritisches Verständnis der typologischen Geschichte einer Landschaft, kann die Land­ schaftsarchitektur als eine bedeutende Kraft unsere zukünftige Umwelt definieren. Ziel ist es, die »Intelligenz« der Natur zu ent­ schlüsseln, die seit Jahrtausenden besteht und unsere kollektive Wertschätzung von Landschaften tief beeinflusst. Menschen möchten immer auch einen klar symbolischen Ausdruck der Natur sehen. Möge dieses Buch ein Appell für eine Rückkehr zu den Grundsätzen und Werten einer sinnerfüllten, ausgewogenen Landschaftskultur sein, die unzählige Generationen genährt und bereichert hat.

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Avebury, England Das besterhaltene Beispiel für eine frühe Form von Kahlhieb ist der Steinkreis von Avebury in England, ungefähr 30 km nördlich von Stonehenge. Inmitten der sanften Kalkhügel von Wiltshire entstand vor fast 5000 Jahren mithilfe primitiver Werkzeuge eine Lichtung in einem dichten Wald aus Englischer Eiche, Birke und Linde. Verglichen mit Stonehenge bietet die Landschaft in Avebury einen vollständigeren Einblick in das sie umgebende Netzwerk aus Alleen, Ringen und künstlichen Hügeln, die in die­ ser Zeit geschaffen wurden. Während dem Mesolithikum waren die englischen Inseln noch Teil der europäischen Landmasse. Diese Verbindung brach im 8. Jahrtausend v. Chr. ab, ungefähr zur selben Zeit, als das Schwarze Meer anschwoll.9 Erst zu Beginn des 4. Jahrtausends v. Chr., im frühen Neolithikum, wurden ältere Nomadenstämme, bestehend aus Jägern und Sammlern, von Neu­ einwanderern verdrängt, die auf Booten vom Kontinent kamen und domestizierte Tiere und Saatgut mitführten. Nach einer gewissen Zeit, als diese fortgeschrittene Stammeszivilisation sich zu ansehnlichen Gemeinschaften geformt hatte, begann sie, Alli­ anzen entlang der etablierten Verkehrswege zu schließen. In die­ sem Zusammenhang tauchte das Avebury Henge zum ersten Mal in den Überlieferungen auf [1.10].10 Es ist vermutlich eine der ers­ ten kulturellen Äußerungen dieser Größe in dieser Region. Solche Orte fungierten beinahe automatisch als Knotenpunkt zwischen­

menschlicher Interaktion und förderten Innovationen, die wiede­ rum als Nährboden für weiteren kulturellen Wandel dienten. Steinzirkel entstanden im Neolithikum überall in Europa, von Spa­ nien bis nach Skandinavien, so z. B. Imantorp in Schweden [1.9]. Avebury ist der eindeutig größte und eindrucksvollste megalithi­ sche Komplex, der je in England gebaut und über 600 Jahre hin­ weg bearbeitet worden ist. Der Graben, der 10 m tief und 20 m breit ist, wurde auf einen Zeitraum zwischen 3300 v. Chr. und 2630 v. Chr. datiert. Der Zirkel aus Sarsensteinen wurde einige Zeit später, zwischen 2900 v. Chr. und 2600 v. Chr., errichtet. Die benachbarte Struktur am Silbury Hill wurde kürzlich auf ca. 2600 v. Chr. datiert, was das West Kennet Long Barrow, ebenfalls in Avebury, welches ungefähr 3650 v. Chr. erbaut wurde, mit einem Abstand von einigen Jahrhunderten zur weit ältesten Struktur macht.11 Es ist denkbar, dass mithilfe langer Seile aus der Rinde des Lindenbaums wie mit einem Zirkel der Kreis (mit einem Umfang von mehr als 420 m) gezogen wurde, ausgehend von einem zentra­ len Punkt wie einem einzelnen Baum oder Totem [1.11a, 1.11b]. Das Besondere an Avebury ist, dass veränderte Landschaftsgestal­ tung und die Einführung der Weidewirtschaft den Ansässigen offenbar genug Freiheit, Zeit und Nahrung gaben, um solch ein Monument zu errichten. Derart strategisch bedeutsame Orte

1.9  Ismantorp, Öland, Schweden. Dieser Ringwall wurde auf der Insel Öland vor beinahe zwei Jahrtausenden gebaut. Interessanterweise hat sich dieser Archetyp einer Lichtung im Neolithikum über ganz Europa verbreitet, von Spanien bis nach Skandinavien. 1.10  Zeichnung von Avebury, England. Avebury ist das größte Henge-Monument in England – eine Lichtung aus neolithischer Zeit innerhalb eines Eichenwalds, begrenzt von einem äußeren Wall und einem inneren Graben. Vier Eingänge, die zeremoniellen Zwecken dienten, führen zu einem zentralen, eingeebneten Bereich mit einem äußeren Kreis aus Sarsen-Steinen und zwei kleineren im Inneren.

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anderes heran. Die Bewässerung der landwirtschaftlichen Flächen erreichte unter islamischer Herrschaft einen beeindruckenden Grad an Präzision und Effizienz. Von den östlichen Ausläufern der Großen Salzwüste im Iran bis zu den westlichen Grenzen der Sahara in Marokko speisten Qanat genannte, unterirdische Kanäle ganze Städte und die umliegenden Felder. Die ummauer­ ten Gärten von Palästen und Moscheen erreichten einen Grad der Finesse, dem in der Geschichte kaum je etwas gleich kam. In den ummauerten Paradiesgärten von Shiraz im Süden des Iran, der Medina Azahara in der Nähe von Cordoba und der Alhambra von Granada (beide in Spanien) wurde die Poesie der Natur für einige wenige Privilegierte [5.52, 5.53] in außergewöhnliche, schöne For­ men gemeißelt. Mit Einrichtungen wie dem Haus der Weisheit in Bagdad, einer Art Akademie, förderten die abbasidischen Kalifen und ihre Nachfolger die Verbreitung von philosophischen und wissenschaft­ lichen Texten in der gesamten gelehrten, islamischen Gesell­ schaft.28 Aber es war die weit verbreitete Verwendung von Ara­ bisch in der Dichtung, die es einigen außergewöhnlichen Autoren erlaubte, ihre Gedanken und Träume auszutauschen. Figuren wie Hafez von Shiraz, Saadi und Omar Khayyam waren schon wäh­ rend ihres Lebens berühmt und wurden von Lesern in der gesam­ ten muslimischen Welt geschätzt. Die romantische Dichtung, die oft vor dem Hintergrund von luxuriösen Gärten spielte, illustrierte die perfekte Balance zwischen Mensch und Natur. Diese Werke, von denen einige fast 1000 Jahre alt sind, besitzen auch heute noch dieselbe Kraft und Frische wie zur Zeit ihrer Entstehung.

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Wenn man durch die Gärten von Granada geht [5.48, 5.49], kommt man nicht umhin, an die Errungenschaften der islamischen Kultur zu denken, die – weit von der Strenge des mittelalterlichen christli­ chen Mönchtums entfernt – den Traum vom irdischen Paradies in die Realität umzusetzen wusste. Spaniens goldenes Zeitalter in Toledo und den Städte des al-Andalus war das Ergebnis einer reli­ giösen Kultur, die im Vergleich zum übrigen Europa so sehr entwi­ ckelt und anders war, dass sich alle drei monotheistischen Religio­ nen die Toleranz in ihrem gemeinsamen Durst nach Wahrheit und Erkenntnis zueigen machten [5.51]. Das so erreichte Ausmaß des Handels, des kulturellen Austauschs und der Gelehrsamkeit war außergewöhnlich. Philosophen wie Maimonides besaßen ein erweitertes Bewusstsein für die gesellschaftlichen und ethischen Fragen aller Glaubensrichtungen.29 Die Medina Azahara in Cordoba, im 10. Jahrhundert von den Umayyaden gebaut, und der von der Dynastie der Nasriden Mitte des 14. Jahrhunderts fertiggestellte Alhambra-Komplex demonstrieren deutlich, dass die islamischen Gärten von Spanien die Fortsetzung einer Kunstform waren, die auf die frühen Sume­ rer zurückging und die sich im Laufe der Jahrtausende vervoll­ kommnet hatte [5.58]. Die Tradition, hohe Gartenbaukunst mit Architektur zu kombinieren, wurde auch in anderen mittelalterli­ chen Beispielen wie dem von Wilhelm II. von Sizilien im Jahr 1174 begonnenen arabisch-normannischen Kloster des Doms von ­Monreale verewigt [5.50]. Ein paar Jahrzehnte früher hatte al-Idrisi hier seinen Weltatlas für König Roger II. produziert [5.56]. Dieser schöne Garten voller Zitrusbäume, Myrte und Rosen, der die


5.48  Myrtenhof im Comares Palast auf der Alhambra in Granada, Spanien. Erbaut unter Nasrid, weicht dieser Hof der Alhambra deutlich vom römischen Peristyl ab: hier liegen sich zwei Portale an einem großen, offenen Raum gegenüber. 5.49  Einer von zwei Brunnen in den Arkaden des Hofs der Myrten in der Alhambra. Wasser floss sehr sanft in den Pool, um die spiegelnde Oberfläche nicht zu stören. Es gab in den frühen islamischen Gärten keine Wasserfontänen, da sie die reflektierenden Eigenschaften des Wassers gestört hätten.

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5.50  Lavatorium im Kreuzgang von Monreale, Sizilien. Muslimische Bildhauer schufen den Brunnen der christlichen Kathedrale im späten 12. Jahrhundert. Im Hintergrund rahmt die verzierte Architektur des Peristyls, mit ihren schlanken Doppel­säulen aus Gold und farbigen Mosaiksteinen, einen Garten mit beschnittenen Hecken. Es ist ein hervor­ ragendes Beispiel für die islamisch-normannische Architektur.

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5.51  Hufeisenförmige Bögen der ehemaligen Ibn Shushan Synagoge von Santa María la Blanca in Toledo, Spanien. Licht fällt aus einem typischen runden Fenster auf die Arkaden. Die Synagoge hatte einen Innenhof, in dem Menschen verschiedenen Glaubens zusammenkommen und viel von ihrem Wissen teilen konnten. 5.52  Aufwendiger Stuckbogen im Löwenhof der Alhambra. Schlanke Marmorsäulen stützen quadratische Kapitelle und Abakusse in stilisierten Pflanzenformen mit heiligen arabischen Inschriften. Die Metapher der Oase als gebautes Paradies wird hier deutlich. 5.53  Umgekehrter Baum aus einem türkischen Gebetsbuch aus dem 18. Jahrhundert, heute in der Chester Beatty Library in Dublin, Irland. Das Symbol eines umgedrehten Baums als kosmische Säule, die vom Himmel auf die Erde reicht, sodass die Seelen herabsteigen können, reicht weit zurück: es ist in islamischen, jüdischen und vedischen Traditionen üblich.

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6.12  Villa Medici in Fiesole, mit Blick auf den Fluss Arno und Florenz, Italien. In der Mitte des 15. Jahrhunderts errichtet, wurde die Villa später der Sitz von Lorenzo de’ Medici dem Prächtigen und war ein prestigeträchtiger Ort. In einen steinigen Hang geschnitten, beherbergen kleine Terrassengärten exotische Granatapfel-, Zitronen- und Orangenbäume im Schatten der ­Zypressen. 6.13  Lunette der Villa Poggio a Caiano von Giusto Utens, 1599. Von Lorenzo de’ Medici in Auftrag gegeben und von Giuliano da Sangallo entworfen, begann die Arbeit an der Villa im Jahr 1485. Ihr Blick nach außen, über eine produktive Landschaft von Feldern und Obstgärten, ist ungewöhnlich und wurde zum Vorbild für andere Villen in der Region.

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­Francesco Colonna zugeschrieben wird und in Venedig veröffent­ licht wurde, träumt der Held, Poliphilo, gepeinigt von seiner Liebe zu Polia, dass er in einem Wald auf dem Weg nach Kythera, der Insel der Liebe, ist. In diesem Wald, übersät mit Ruinen und geheimnisvollen Überresten einer längst vergessenen Zeit, trifft Poliphilo Götter, Göttinnen, Nymphen und Faune.10 Er stolpert dann über den Paradiesgarten, der zu einer vergessenen Burg im Wald gehört, wo Venus und Amor letztendlich seine Liebe retten. In diesem Buch ist nicht die Geschichte entscheidend, sondern vielmehr die Inszenierung der historischen Mythen. Dies läutet den Beginn einer langjährigen Tradition der Einbeziehung von mythologischen Personifizierungen und Interpretationen in der Landschaftsplanung ein – ein Ansatz, der die italienische Renais­ sance überdauerte und sogar bis in das englische »Picturesque« 400 Jahre später reichte. Über die in ihren großzügigen Gärten platzierten neu erworbenen Stilelemente hinaus, sorgten die Vil­ len der Renaissance auch für Veränderungen in der umliegenden Landschaft. Das Konzept der Villa bezog sich nicht nur auf das Haus selbst: vielmehr verkörperte es einen gesamten Landsitz aus zusammengesetzten Teilen, die durch eine gemeinsame Topologie im optischen Gleichgewicht gehalten wurden [6.12]. Die Land­ schaftsgestaltung eines Grundstücks wurde zum Werkzeug für bildliches Experimentieren, ein Werkzeug, das ein bestimmtes Stück Land mit unendlicher Präzision optisch zugleich öffnet und umschließt. Die Geometrie des Gartens reicht weit über die Ter­

rassen der Villa selbst hinaus, und bietet eine den Blick lenkende Sichtlinie in die Ferne.11 Die Perspektive – ein für die Malerei und Architektur entwi­ ckeltes Mittel – wurde daraufhin zu einem mächtigen Instrument für die Ordnung und Beherrschung der Landschaft, wie im Gemälde der Villa Poggio (1485) von Giusto Utens (1599) [6.13]. Das Konzept der Renaissance-Vedute (wirklichkeitsgenaue Darstel­ lung), festgelegt im Rahmen eines Grundstücks, hat seine Wurzeln in Francesco Petrarcas Text über seine Besteigung des Mont Ven­ toux in der Provence und der Beschreibung der weiten Aussicht, die er auf dem Gipfel genossen hat. Das Konzept gewann später an Bedeutung, als die Villen mächtiger Familien mit diesem starken Sinn für proprietären Raum und Aussicht über ihr Herrschaftsge­ biet erbaut ­wurden, wie z. B. die Villa Castello in Florenz [6.15]. Blickte der Betrachter über die Landschaft, blieb nichts dem Zufall überlassen. Die frühesten Gärten der Renaissance waren umfas­ sende Testgelände, nicht nur für die Wissenschaft der Perspektive, sondern auch für die Inszenierung der Menschheitsgeschichte und ihrer Geschichten. Es war zu dieser Zeit mehr denn je üblich, dass Gärten ein Konstrukt wurden, das ein hohes Maß an technischen Fähigkeiten und Bildung benötigten und bei dem präzise Modellie­ rung, Triangulation und Kartierung des Terrains mit den Künsten der proportionalen Zusammensetzung, des Illusionismus und der Gartenbaukunst verschmolzen, wie an den aufwendigen Form­ schnitten der Villa La Petraia zu beobachten ist [6.14]. Erstmals in

6.14  Garten der Medici-Villa La Petraia, Florenz. Die geometrische, labyrinthische Gestaltung des Gartens stammt aus dem späten 16. Jahrhundert. Gestutzte Buchsbaumhecken und niedrig wachsende Stauden gewährleisten die freie Sicht nach Florenz. 6.15  Medici-Villa Castello, Florenz. Von Niccolò Tribolo im Jahre 1538 entworfen, war dies der erste Medici-Garten, der in Florenz fertiggestellt wurde. Der formale Garten besteht aus einem Labyrinth aus akkurat gestutzten Hecken und Obstbäumen.

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verschiedenen Formen der Natur in Bezug auf Ökologie. Eines der bemerkenswerteren und mutigeren Beispiele ist die GeneralMills-Entry-Landschaft in Minneapolis (1991), die das Büro von Michael Van Valkenburgh realisierte [11.11]. Dieses Projekt befindet sich in der Konzernzentrale von General Mills, bei dem saisonale Brände Teil der jährlichen Wartung wurden, um den Wuchs von seltenen, einheimischen Präriegräsern und -blumen zu fördern. Das einheimische, mit Heritage-River-Birken bepflanzte Grasland war als eine proaktive Aussage über die verschwindende ursprüngliche Prärie gedacht. Nach nur zehn Jahren riss der Kunde es ab. Kulturelle Unterschiede in Sachen Landschaftssymbolik ­reichen bis in die ferne Vergangenheit zurück, aber ob das Abbrennen von Prärie dem Image des Unternehmens im Zeitalter des Klimawandels dienlich ist, bleibt fraglich. Jenseits der Diskussion rund um diesen neuen Glauben in der Ökologie, sollte man von Terrain Vague optimistisch als Chance und nicht als ein Ende denken – als ein Ausgangspunkt für eine Landschaft der anderen Art. Die Lüneberger Heide in Norddeutschland ist ein interessantes Beispiel dafür. Sie ist wahrscheinlich eines der ältesten Terrains Vagues in Europa [11.12].13 Systematisch abgeholzt, seit dem Neolithikum überweidet und nach tausenden Jahren von ökologischen Missbrauch, ist die erodierte Heide, bestreut mit schönen Flecken aus Heidekraut, heute einer der berühmtesten »natürlichen« Schätze Deutschlands. Zu begreifen, dass das Terrain Vague ein potenzielles Werkzeug für die Änderung unserer Herangehensweise an die Natur sein kann, bedeutet im Gegenzug, dass wir das, was wir über Ökologie und Design zu wissen glauben, in Frage ­stellen müssen.

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Die Aufgabe, die vor uns liegt, hat weniger mit historischen Bezügen oder dem »einheimisch Sein« von Pflanzen zu tun, als mit Erfindungsgeist, der durch eine Form der schöpferischen Zerstörung angeregt wird, und dem Anzapfen von zukünftigem Landschaftspotential in unerwarteten Konstellationen und Situationen.14

Neue Hoffnung Der Tommy Thompson Park (2005) in Toronto ist ein Beispiel für die Regeneration eines aufgegebenen Orts – in diesem Fall eine Baggerhalde – durch biologische Vielfalt einer neuen Ordnung. Der »Urban Wilderness Park«, auf einer langen Landzunge aus kontaminiertem Baggergut am Ufer des Lake Ontario, wandelte sich zu einem der wertvollsten Lebensräume für Wildtiere in der Region [11.13].15 Über seine ökologischen Vorzüge hinaus erreichte er einen fast mythischen Status bei Stadtbewohnern, indem er die hartnäckigen, üblichen Erzählungen von Umweltzerstörung und ökologischen Gräueln transzendierte, wie auch Rachel Carson in ihrem Buch »Silent Spring« darstellte.16 Es ist, als ob die Tiere, die auf das Gelände zurückgekehrt sind, ein paar der vergangenen Sünden der Stadt weggespült hätten. Dank der Arbeit des Landschaftsarchitekten James Corner und seinem Büro Field Operations ist der Tommy Thompson Park nun Teil des größeren Lake Ontario Park-Projekts, und der öffentliche Zugang wird aus Gründen des Tierschutzes und zur Erhaltung der Vielfalt überwacht. Dieser Entwurf bietet ein gutes Beispiel für eine Wiedergutmachung an der Umwelt, da eine neue Form der Natur in ein ehemals verarmtes, niedergeschlagenes Gebiet zurückgekehrt ist.


11.11  General-Mills-Entry-Landschaft, Michael Van Valkenburgh, 1991, Minnea­polis, USA. Das saisonale Verbrennen einer Fläche von wieder­ hergestelltem, einheimischem Grünland fand jähr­ lich vor der Konzernzentrale von General Mills statt. Dieses radikale Projekt – eine Anspielung auf den Verlust des einheimischen Grünlands zugunsten der Getreideproduktion – setzte ein starkes ökolo­ gisches Prinzip direkt vor Ort um. Obwohl es relativ kurzlebig war, zeigte es die Kraft von angewandter Ökologie in der Landschaftsplanung. 11.12  Hügel mit purpurnem Heidekraut in der Lünebürger Heide, Niedersachsen, Deutschland. Die Heide ist das Ergebnis ökologischen Miss­ brauchs, nämlich Abholzung, Rodung und Über­ weidung, und das seit dem Neolithikum. Trotz ihrer tragischen Geschichte und dem kompletten Ver­ schwinden des ursprünglichen Waldes ist sie eines der bekanntesten Symbole für Naturschönheit in Deutschland. Könnte es sein, dass Ökologie, Natur und Schönheit lediglich Konstrukte sind, die noch im Entstehen sind?

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11.13  Tommy Thompson Park, 2005, Toronto, Kanada. Ursprünglich der Standort einer 5 km langen Land­ zunge zur Lagerung von ausgebaggertem, kontami­ niertem Sand und Schlick aus dem Inneren Hafen, wurde man hier Zeuge einer Geschichte, in der Ter­ rain Vague sich in eine »unbeabsichtigte Wildnis« verwandelte. Von Field Operations als öffentlicher Park entworfen, ist er heute das größte Vogel­ schutzgebiet des Ontariosees.

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12.47  Plissierte Erdwälle am Flughafen Schiphol von H+N+S Landschapsarchitecten, 2014, Amsterdam, Niederlande. Durch die gemeinsame Arbeit eines Künstlers und eines Büros von Landschaftsarchitekten, wurde eine neue Typologie erfunden, die Bodenlärm rund um Flughäfen erheblich reduzieren kann. Plissierte Erdwälle, 3 m hoch, definieren spielerisch ein Feld, das Schall dämpft und zur selben Zeit eine starke topologische Aussage macht. 12.48  National September 11 Memorial & Museum, Peter Walker ­Partners, 2011, New York, USA. Das Projekt stützt sich auf eben jene Substanz der Leere, die durch das Fehlen der beiden eingestürz­ ten Türme des World Trade Center entstanden ist, um an ein sehr bedeutendes topologisches Erlebnis zu erinnern. Wie zwei große quadratische Lichtun­ gen in einem Wald aus Eichen bringt uns das Denk­ mal zurück zu den Archetypen, die am Anfang unser Landschaftskultur stehen. 12.49  Central Garden, Getty Center, Robert Irwin, 1997, Los Angeles, USA. Hellrosa Bougainvillea klettert über künstliche Bäume aus Baustahl, um Schatten zum Sitzen zu spenden. Die Künstlichkeit dieser »Bäume« wider­ spricht nicht ihrem Sinn oder Zweck. Es ist die Vor­ stellung von Komfort und Zugehörigkeit, die zählt. Die meisten Landschaftstopologien, denen wir in unserer Zeit begegnen, sind und bleiben künstlich.

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eines physikalischen Modells und dem Traum von einem idealisierten Plan. Dies bedeutet eine Rückkehr zu grundlegenden, archetypischen Traditionen, wo neue Formen des Terrains zusammen mit dem Bewusstsein für die Vorrangstellung des Standorts entstehen können. Der niederländische Landschaftskünstler Paul de Kort arbeitete mit dem Büro H+N+S Landschapsarchitecten (2014) an der Erstellung eines außergewöhnlichen, 36 ha großen Feldes aus plissierten Erdwällen, die äußert wirksam den Niederfrequenzlärm von Flugzeuge des Flughafens Schiphol halbieren, bevor er angrenzende Stadtteile erreicht [12.47].28 Die Wälle sind in spielerischen, rhythmischen Mustern angeordnet, die den Schall schlucken, während dieser über den Boden wandert. Das Feld ist aber auch eine künstlerische Einladung für Wanderungen, Picknicks und Spiele. Durch ein stärkeres Bewusstsein und Sensibilität für Topologie kann Landschaftsarchitektur auch Expressionen besser darstellen, die menschliche Belange und Emotionen als Mittelpunkt haben. Das National September 11 Memorial von Peter Walker Partners in New York (2011) ist ein archetypisches Projekt, das die Erinnerung an die Zwillingstürme des World Trade Centers auf einer Lichtung in einem äußerst symbolträchtigen Wald von Eichen festhält [12.48]. Das Wasser, das die von den zwei Türmen hinterlassenen, tiefen Abgründe hinabfließt, verursacht beim Besucher ein Schwindelgefühl. Das Projekt erfüllt das menschliche Grundbedürfnis, Schönheit aus etwas Abscheulichem zu schaffen, und Hoffnung, anstatt Verlassen- und Vergessenheit, in den uns heimischen Landschaften zu kreieren.

Das Wirken des Künstlers erhöht oft unsere Wertschätzung von Landschaften. Der Central Garden beim Getty Center in Los Angeles, entworfen vom amerikanischen Künstler Robert Irwin (1997), ist eine präzise, topologische Meisterleistung, durch die Erfindung eines neuen Reichs der Poesie, des Handwerks und der Sensibilität in der heutigen Sprache der Landschaften [12.49].29 Die Freiheit, mit der der Garten mit seinen bis zu 500 Pflanzen­ arten spielt, bietet dem Besucher einen bunten Kontrast. Pflanz­ gerüste aus Baustahl bewachsen mit leuchtend roten Bougainvillea wirken wie Bäume auf dem künstlichen Boden. Eine Landschaft gewinnt nur dann an Bedeutung, wenn sie von Menschen vollständig anerkannt und akzeptiert wird. Technologische und wissenschaftliche Errungenschaften mögen helfen, wenn es um Fragen der Topologie und der Ökologie geht, aber solche Konzepte sind oft weit entfernt von unmittelbareren menschlichen Sorgen. Die mögliche Bedeutung, die Parks und Gärten zur Zeit zukommt, mag sich geändert haben, aber ihre letztendliche Bestimmung nicht. Man möchte Städte erschaffen, die den Luxus ruhiger ­Gärten und einer Ökologie statt weitläufigem Ödland bieten – ein Ort zum Wohlfühlen und des sich Austauschens, statt einer der Verzweiflung und des Ekels. Vorstellungen von Begriffen wie »Erdung« und »Verwurzelung« können durch räumliche Strukturen gefestigt werden und damit das Gefühl vermitteln, dass unsere Welt ständig noch am Werden ist. Es ist dieser Glaube an die menschliche Gestaltung der Natur – in all ihrer Komplexität und ihren Versprechen – der die Landschaft der Zukunft formen wird.

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