Atlas Recycling. Gebäude als Materialressource

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Architekturkreisläufe – Urban-Mining-Design

A 1.2 Nachnutzung von Brachflächen und Bestandsbauten

Bei Baubeständen ist zuerst die Möglichkeit der Revitalisierung im Sinne eines Re-Use zu prüfen. Der Kernsanierung – also der Weiter­ nutzung des Tragwerks nach Rückbau der Ausbaumaterialien – kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Denn in den tragenden Bauteilen steckt in der Regel die größte Masse des Bauwerks. Ein Hemmnis hinsichtlich einer Bestandsweiternutzung ist häufig die nur noch unzureichende technische und energetische Leistungsfähigkeit des Altgebäudes. Die sogenannten Hausim-Haus-Konzepte bieten hier eine Lösung – vor allem für große Bestandshallen (Abb. A 1.2). Kontaminierungen von Gebäuden dienen oft als Argument zum Abbruch des Altbestands. Fakt ist jedoch, dass Schadstoffe grundsätzlich immer zuerst aus dem Bestand entfernt und separat entsorgt werden müssen, bevor der Abbruch beginnen kann – Gleiches gilt im Fall des Re-Use. Bei der Entsorgung von Schadstoffen handelt es sich also um Sowieso-Kosten, die keineswegs eine alleinige Entscheidungsgrundlage für oder gegen den Abriss liefern. Wird eine Revitalisierung nicht oder nur in Teilen umgesetzt, bedeutet dies, dass für den verbleibenden Bestand eine stoffliche Nachnutzung vorauszusetzen ist. Die Potenziale liegen hier im On-site-Recycling von Gebäuderestmassen und von Bodenmassen und in einer intelligenten Geländemodellierung. So wird Abfall vermieden, natürliche Rohstoffvorkommen werden geschont und Mobilitäts­ immissionen verhindert (siehe »Ökoeffizientes Bauen mit Ressourcen vor Ort«, S. 36ff. und Abb. A 1.3) Im Fall von Bodenkontaminierung, vor allem bei ehemals industriell genutzten Brachflächen, lohnt es sich, bei großen Geländeflächen zu prüfen, ob das Baurecht eine Bodensanierung im Untergrund in situ ermöglichen kann oder eine Bodensanierung ex situ/on-site infrage kommt: Im besten Fall wird dadurch die Wiederverwendung als kulturfähige Erde oder aber eine schadlose Deponierung erreicht. Im Freien bietet sich sogenanntes Landfarming auf zerkleinertem Abbruch- und Bodenmaterial in großflächigen Flachbeeten an.

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Gebäudekubatur Die Größe und Form unserer Häuser – auch das unterirdisches Bauvolumen – beeinflussen in erheblichem Maße unseren RessourcenFootprint. Bauform

Eine kompakte Bauform sorgt für ein gutes Oberfläche-zu-Volumen-Verhältnis (A / VVerhältnis). Über die minimierte Außenhülle und durch Vermeidung von Wärmebrücken, die z. B. an auskragenden Bauteilen entstehen können, wird Energie gespart. Der Material­ aufwand wird verringert bei gleichzeitiger Vereinfachung von Anschlussdetails, sodass sich Reparatur- und Wartungsaufwand reduzieren. Im Entwurf für Neubauten, aber auch zur Steigerung der Attraktivität von Bestandsbauten ermöglichen Pufferräume die Er­weiterung von Wohnraum in den Übergangsjahreszeiten. Wintergärten, einfach verglaste Loggien und Atrien bieten Aufenthalts­qualität, auch unbeheizt. Sie schützen den Nutzer vor Lärmimmissionen und Teile der Fassade vor der Witterung. Dabei werden die Gebäudeanordnungen mittels Sonnenstudien auf den Eintrag passiver solarer Energiegewinne optimiert. Terrain

Im Sinne der Untouched-World-Idee ist auf neu erschlossenen Flächen auf eine Unterkellerung zu verzichten. Das schützt Bodenorganismen, die wichtige Bestandteile des Ökosystems sind – im Durchschnitt dauert die Bildung von 1 cm Boden mindestens 100 Jahre (Abb. A 1.4) [1]. Bodenschonende Gründungskonstruktionen werden im Kapitel »Lösbare Verbindungen und Konstruktionen« (S. 42ff.) und im »Detailkatalog« (S. 135ff.) vorgestellt. Im Wohnungsbau stellt neues Konsumverhalten (Stichwort Sharing Economy) Kellergeschosse mit mindergenutzten Stauräumen grundsätzlich infrage. Ebenso verhält es sich mit der Sinn­ fälligkeit von Tiefgaragen, sobald die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel gesichert ist und am Standort Shared Mobility-Angebote platziert werden. Nur hochwertige Hauptnutzflächen, etwa in Hangsituationen, rechtfertigen den Aufwand.

A 1.1  Vorteile von Urban Mining in allen drei Säulen der Nachhaltigkeit – Vergleich von Primärbergbau mit Urban Mining (nach Urban Mining – Ressourcenschonung im Anthropozän. Hrsg. Umweltbundesamt. 07/2017) A 1.2  Haus-im-Haus-Konzept zum Bestandserhalt von großen, ungedämmten Hallen, Hörsaal- und Laborgebäude (»Halle 14a«), Technische Fachhochschule Wildau (DE) 2007, Anderhalten Architekten A 1.3  Industriebrachen – Weiternutzung oder Recycling on-site! A 1.4  Untouched ground – Gründungsdetail. Experimentalhaus Muuratsalo (FI) 1953, Alvar Aalto Suffizienz und Rebound-Effekte

Mit dem Ausreichenden auskommen, Suffizienz zu üben, ist die direkteste Art der Ressourcenschonung und Abfallvermeidung. Allein unser Wohnflächenverbrauch weist in eine andere Richtung: Im Jahr 2000 betrug die durchschnitt­ liche Wohnfläche pro Einwohner knapp 40 m2, 2016 waren es schon über 46 m2, ein Zuwachs von rund 16 % [2]. Die Prognose für 2050 liegt bei 51 m2. [3] Die flexibelste und effizienteste Bauweise bleibt wirkungslos, wenn die Tendenz zu erhöhtem Flächenverbrauch pro Person anhält. Dieser Rebound-Effekt vernichtet jeden Effizienz­erfolg im Bereich Ressourcenschutz. Auf der programmatischen, planerischen Ebene bedeutet Suffizienz also das Minimieren von Flächen für Einzelpersonen bei gleichzei­ tigem Vorhalten von Gemeinschaftsflächen (Shared Space). Dazu sind intelligente Lösungen zur Mehrfachnutzung von Flächen und zur Vermeidung temporärer Leerstände im Tagesverlauf anzustreben. Politisch betrachtet, wünscht man sich Maßnahmen gegen Gewerbeflächenleerstand, gegen mangelnde Wohnflächennachfrage (in strukturschwachen Gebieten) und gegen ungenutzte Luxuswohnflächen, die lediglich der Geldanlage dienen (in den Metropolen). Für Neubauten könnte die Festschreibung eines Mindestmaßes an ­Nutzer/m2-Grundstück als Planungsinstrument für die erforderliche städtische Verdichtung hilfreich sein.

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