KØBENHAVN. Urbane Architektur und öffentliche Räume

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København Urbane Architektur und öffentliche Räume

Edition


Inhalt Prolog

Arne Jacobsens Erben: Neue Horizonte der Architektur Sandra Hofmeister

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Öffentliche Räume 1 Superkilen Topotek 1, BIG, Superflex ○ 2 Israels Plads Cobe, Sweco Architects ○

Interview Dan Stubbergaard/Cobe Architektur und soziale Interaktion 3 Freiwilligenhaus Rotes Kreuz Cobe 4 Bahnhof Nørreport Cobe, Gottlieb Paludan Architects 5 Cityringen Arup 6 Musiktorvet Effekt Arkitekter Essay Fahrradkultur und Lebensqualität Sandra Hofmeister

○ ○ ○ ○

024 036 046 054 060 068 076 082

Sport und Freizeit Essay

7 Amager Bakke BIG ○ 8 Kalvebod Bølge Urban Agency, JDS Architects ○ Vom Tivoli zum Hafenbad Sandra Hofmeister 9 Parkhaus mit Spielplatz JAJA Architects 10 Aktivitetshus Rambøll 11 Noma 2.0 BIG

○ ○ ○ 004

098 106 114 120 128 134


Kultur und Bildung 12 BLOX OMA ○ 13 Copenhagen International School C.F. Møller Architects ○

Zurück ans Wasser: Die Metamorphose des Hafens Jakob Schoof 14 Den Blå Planet – National Aquarium Denmark 3XN 15 Ørestad Gymnasium 3XN Interview Kim Herforth Nielsen/3XN Architektur als Experiment 16 Erweiterung des Experimentariums Cebra 17 Kinderkulturzentrum Dorte Mandrup, Nøhr & Sigsgaard 18 Schule am Südhafen JJW Architects 19 Ku.Be MVRDV, Adept 20 Erweiterung der Gammel Hellerup High School BIG Essay

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○

148 158 168 180 188 194 202 210 216 222 228

Wohnen 21 The Silo Cobe ○ 22 Krøyers Plads Vilhelm Lauritzen Architects, Cobe ○ 23 Sundbyøster Hall II Dorte Mandrup ○ 24 Lange Eng Cohousing Dorte Mandrup ○

Interview Dorte Mandrup Wohnkonzepte: Tradition und Zukunft 25 8 Tallet BIG 26 Wohnanlage Dortheavej BIG 27 Nordbro Arkitema 28 Tietgenkollegiet Lundgaard & Tranberg Arkitekter

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Anhang Architektinnen und Architekten Impressum, Bildnachweis

KØBENHAVN. Urbane Architektur und öffentliche Räume

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Projekte

1 Superkilen Topotek 1, BIG, Superflex ○ 16 Erweiterung des Experimentariums ○ Cebra 2 Israels Plads Cobe, Sweco Architects ○ 3 Freiwilligenhaus Rotes Kreuz Cobe 17 Kinderkulturzentrum Dorte Mandrup, ○ ○ Nøhr & Sigsgaard Bahnhof Nørreport Cobe, 4 ○ Gottlieb Paludan Architects 18 Schule am Südhafen JJW Architects ○ 5 Ringmetro Arup 19 Ku.Be MVRDV, Adept ○ ○ 6 Musiktorvet Effekt Arkitekter 20 Erweiterung der Gammel Hellerup High ○ ○ Amager Bakke BIG School BIG 7 ○ 8 Kalvebod Bølge Urban Agency, 21 The Silo Cobe ○ ○ JDS Architects 22 Krøyers Plads Vilhelm Lauritzen ○ Architects, Cobe 9 Parkhaus mit Spielplatz JAJA Architects ○ Aktivitetshus Rambøll 10 23 Sundbyøster Hall II Dorte Mandrup ○ ○ 11 Noma 2.0 BIG 24 Lange Eng Cohousing Dorte Mandrup ○ ○ 12 BLOX OMA 25 8 Tallet BIG ○ ○ 13 Copenhagen International School 26 Wohnanlage Dortheavej BIG ○ ○ C.F. Møller Architects 27 Nordbro Arkitema ○ 14 Den Blå Planet – National Aquarium 28 Tietgenkollegiet Lundgaard & ○ ○ Denmark 3XN 15 Ørestad Gymnasium 3XN

Tranberg Arkitekter



Dan Stubbergaard von Cobe im Gespräch mit Sandra Hofmeister

Architektur und soziale Interaktion KØBENHAVN. Urbane Architektur und öffentliche Räume

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2006 gründete Dan Stubbergaard das Kopenhagener Architekturbüro Cobe. Heute operiert sein Studio von einem umgebauten Lagergebäude im Nordhavn-Areal aus als Thinktank mit 150 internationalen Mitarbeitern. Die Expertise von Cobe reicht von sorgfältigen Masterplänen bis zu sensiblen Interventionen im öffentlichen Raum und spektakulären Um- oder Neubauten. Viele der Projekte liegen nur einen Steinwurf vom Büro der Architekten entfernt im Nordhavn-Gebiet, dem größten innerstädtischen Entwicklungsprojekt in Nordeuropa. Der Bezug zur Öffentlichkeit und die gemeinschaftlichen Qualitäten des öffentlichen Raums sind für Dan Stubbergaard ein zentrales Anliegen, das bei privaten und öffentlichen Projekten gleichermaßen entscheidend ist.

Sie sind in Kopenhagen aufgewachsen und haben dort auch studiert. Haben Sie ein Lieblingsgebäude in der dänischen Hauptstadt? Ja, die Grundtvigskirche von P. V. Jensen Klint. Sie entstand in den 1920er-Jahren und ist ein Beispiel früher dänischer Moderne. Als Kind war ich dort oft mit meinem Großvater und habe Blumen auf das Grab meiner Urgroßeltern gelegt. Ich erinnere mich, wie beeindruckend ich die Kirche fand – sie wurde zu einem Ort, an dem ich die Kraft der Architektur zu verstehen begann. Auch heute besuche ich die Grundtvigskirche noch von Zeit zu Zeit. Man spürt die Erhabenheit ihrer gelben Ziegelwände. Ein wunder048 ÖFFENTLICHE RÄUME

barer Ort der Ruhe und ein wichtiges architektonisches Monument. Die kürzlich veröffentlichte Monografie mit Projekten von Cobe trägt den Titel „Our Urban Living Room“. Was bedeutet das für Kopenhagen? Das kann man auf zwei Arten verstehen. Erstens entwickeln sich Städte immer mehr zu einer Art Wohnraum für alle. Hier in Kopenhagen sind wir überwältigt von unserem eigenen Erfolg zu diesem Phänomen, das auf großartige Vordenker zurückzuführen ist. Das Buch und auch die Ausstellung, die wir dazu organisiert hatten, zeigen auf, dass wir viel mehr Zeit an öffentlichen Orten als in unseren eigenen Wohnräumen


verbringen. Viele Aktivitäten sind in die Stadt verlagert, und Kopenhagen hat dazu eine Vielzahl an Settings zu bieten. Zweitens steht Our Urban Living Room auch für eine ganzheitlichere Betrachtungsweise der Stadt. Der „Wohnraum“ (living room) ist ein sehr privater Ort, aber durch den Zusatz „unser städtischer“ (our urban) verschiebt sich dieses Konzept. Die Bezeichnung bezieht sich dann auf soziale Räume, auf Räume für alle, und sie meint die Stadt als Ganzes. Privaträume im Allgemeinen und Wohnzimmer im Speziellen sind gemütliche, intime Orte. In unserem Zuhause stecken wir viel Liebe und Aufmerksamkeit in diese Räume. Wir kaufen schöne Sachen und

„In unser Zuhause stecken wir viel Liebe und Aufmerksamkeit. Warum können wir das Gleiche nicht auch für unsere Stadt tun? “

Interview Dan Stubbergaard / Cobe

schaffen bequeme Sitzecken. Warum können wir das Gleiche nicht auch für unsere Stadt tun? Dem öffentlichen Raum Liebe und Fürsorge schenken? Sehen Sie heute eine signifikante Verschiebung in der Balance zwischen privaten und öffentlichen Räumen? Ja, ich denke, die gibt es. Vor allem hier im Norden Europas, wo das Wetter nicht so gut ist wie im Süden. Als ich ein Kind war, fand das gesellschaftliche Leben vor allem zu Hause statt. Heute ist das komplett anders. Man sieht seine Freunde in der Gemeindebibliothek, auf einem der Plätze in der Nachbarschaft, oder man trifft sie an anderen öffentlichen Orten wie zum Beispiel in unserem Büro. Hier bei Cobe haben wir ein kleines Café eröffnet, weil wir eine offene Umgebung und einen Treffpunkt für die Nachbarschaft im Nordhavn-Areal schaffen wollten. Sie und Ihr Team haben in den letzten Jahren viele öffentliche Räume in Kopenhagen entworfen. Was ist Ihr Ansatz mit Blick auf den Verkehr? Die Infrastruktur nahm von den 1950er- bis in die 1980er-Jahre eine sehr wichtige Rolle in der Definition unserer Städte ein. Öffentliche Räume und die Bereiche zwischen den Gebäuden wurden zu Autolandschaften, was den Alltag beeinflusste. Heute aber wissen wir, dass wir die Infrastruktur mit der Qualität des öffentlichen Raums kombinieren 049


müssen. Sei es ein Fahrradparkplatz, eine U-Bahn-Station oder eine Straßenlandschaft: Wir müssen darauf bestehen, dass jede Art von Infrastruktur auch ein sozialer und öffentlicher Ort für die Gesellschaft ist. Wir haben diesen Ansatz bei Cobe von Beginn an verfolgt. Wir arbeiten mit dem Raum zwischen den Gebäuden und verbinden die knallharten, pragmatischen Funktionen der Infrastruktur mit der Qualität des öffentlichen Raums, mit dem Menschen als Maßstab und mit Lebensqualität. Ich denke, das ist heutzutage die übliche Herangehens-

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weise, um neue Infrastrukturen in unserer Stadt zu entwickeln. Nach Ihrer Intervention wurde der Israels Plads zu einem Aufenthaltsort für die Stadtgemeinschaft. Viele junge und alte Menschen nehmen hier an unterschiedlichen Aktivitäten teil. Wie bringen Sie als Architekt Leben auf diese öffentlichen Plätze? Wie können Sie sicherstellen, dass sich die Menschen den Raum auch aneignen? Um ehrlich zu sein, kann man das nie vorher wissen. Einerseits planen

Zu Besuch bei Cobe: Das Büro der Architekten liegt in einem ehemaligen Lagergebäude im Norhafenareal.


wir Dinge voraus und beziehen dazu auch die Öffentlichkeit in den Entwurfsprozess mit ein. Andererseits – und dies ist eine Aufgabe, in der die gesamte Energie eines Architekten liegt – verbringen wir vier bis fünf Jahre damit zu entwerfen, für Ideen zu kämpfen und bei Konflikten zwischen dem Bauherrn und den Bauunternehmern zu vermitteln. Von der ersten Idee bis zur Fertigstellung ist es ein langer Weg. Und dann passiert die Magie, nämlich wenn die Menschen sich mit dem neuen Raum identifizieren. Der Israel Plads ist der größte öffentliche Platz in Kopenhagen, aber auch der Pausenhof für zwei Schulen. Wir vertraten die Ansicht, dass es trotzdem noch ein öffentlicher Platz sein soll. Der eigentliche Schulhof ist nur leicht erhöht und doch wissen die Schüler, dass sie diesen Bereich nicht verlassen sollten. Wir haben eine kaum sichtbare Grenze gezogen, und so konnten wir den Schulen eine sichere Zone inmitten der Stadt garantieren, die gleichzeitig auch offen ist. Es ist wichtig, Stadtgestaltung als eine Plattform zu begreifen, auf der man Dinge testen und unser gesellschaftliches sowie soziales Verhalten jenseits erlernter Konventionen neu definieren kann. Die Herausforderung für uns Architekten besteht darin, neue Wege des Zusammenlebens anzubieten und das lebendige Alltagsleben zu fördern. Viele der öffentlichen Bereiche, die Cobe entworfen hat, haben geneigte Zonen und Rampen. Interview Dan Stubbergaard / Cobe

Sie schaffen eine Topografie mit kleinen Anhöhen in der flachen Stadt. Das hat oft praktische Gründe. Man kann Topografien funktional aufladen, wie etwa die Fahrradhügel am Karen Blixen Plads, der doppelt genutzt ist: einerseits als Landschaft mit Erholungswert und andererseits als Fahrradparkplatz. Wir nutzen die Topografie oft, um eine Umgebung zu schaffen, in der Menschen spontan miteinander kommunizieren – Orte, an denen sie sitzen, skaten und sich gerne treffen. Kopenhagen hat keine natürliche Topografie, deshalb müssen wir sie künstlich schaffen. Einen kleinen Hügel mit gerade mal 5 Metern zu erklimmen, ist schon eine riesige Erfahrung hier in Kopenhagen! Es würde wohl wenig Sinn machen, eine künstliche Topografie in Norwegen zu schaffen, wo es Berge gibt. Die Uferbereiche der revitalisierten Hafenareale sind allesamt nicht privat, sondern für die Öffentlichkeit zugänglich. Sie haben viele Projekte in diesen Bereichen gebaut. Welche Erfahrungen haben Sie mit der Mischung aus privaten Investoren und Öffentlichkeit gemacht? Wenn Sie sich den Kopenhagener Hafen ansehen, bekommen Sie den besten Eindruck davon, wie sich die Stadt von einer verschlafenen, armen Industriestadt in den 1980er-Jahren zur wachsenden, dynamischen Stadt von heute verwandelt hat. Um den Hafen war sehr viel Industrie 051



Ingenieurplanung: Sweco Verkehrsplanung: Rambøll Lichtplanung: Bartenbach LichtLabor Bauherr: Banedanmark; DSB; Stadt Kopenhagen Fertigstellung: 2015 Fläche: 10 000 m² Anzahl Nutzer: ca. 250 000 Menschen pro Tag Nutzung: Eingang Bahnhof, 2500 Fahrradstellplätze

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Nørre Voldgade, Indre By #nørreportstation

Cobe, Gottlieb Paludan Architects

Schwebende Dächer und Fahrradinseln Bahnhof Nørreport

Bei seiner Eröffnung 1918 war der Bahnhof Nørreport bereits ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt Kopenhagens. Fußgänger und Fahrradfahrer prägten damals das oberirdische Bild. Doch knapp 100 Jahre später war dem Bahnhof der Wandel der Zeit deutlich anzusehen. Fern- und Regionalbahnen sowie S- und U-Bahnverkehr treffen hier unterirdisch auf verschiedenen Ebenen aufeinander, ebenso oberirdisch Fußgänger, Fahrradfahrer, Buslinien sowie der Individualverkehr. Eine notwendig gewordene Sanierung der Infrastruktur bot Anlass, auch die Platzsituation zu überdenken und den chaotischen Ort in einen einladenden Identifikationspunkt umzuwandeln.

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Eine ausgiebige Strukturanalyse, in der die Laufwege der verschiedenen Verkehrsteilnehmer analysiert und übereinandergelegt wurden, bildete die Basis für die Neuordnung. Als erster Schritt wurde der Individualverkehr, der den Bahnhof wie eine Insel zwischen zwei Fahrspuren abschnitt, auf eine Spur reduziert. So war es möglich, den Bahnhofsplatz als erweiterten öffentlichen Raum weiterzudenken und zugleich die Anbindung an die Innenstadt zu gewährleisten. Dimensionen, Positionen und Ausgestaltung der verschiedenen Elemente – notwendige Zugänge, Infrastruktur, Aufenthaltsbereiche sowie Fahrradstellplätze – wurden auf den Prüfstand gestellt und neu verhandelt. Zwischen den Strömungslinien sind nun sechs Pavillons aus Sichtbeton auf dem weitläufigen Platz angeordnet, die sowohl die Zugänge (Treppen, Rolltreppen und Fahrstühle) zu den unterirdischen Gleisen als auch notwendige Serviceeinheiten markieren. Unter den organisch geformten Flachdachstrukturen befinden sich verglaste Elemente, die Ticketschalter, Kioske und Sanitäranlagen beherbergen. Die Richtungslosigkeit der Form verhindert unattraktive Rückseiten und die große Transparenz steigert Orientierung und Sicherheitsempfinden. Solarzellen auf den begrünten Dächern tragen zur Stromversorgung des Bahnhofs bei, die Bepflanzung absorbiert das CO2 aus der Luft. Um den vielen Fahrrädern Herr zu werden, wandten die Architekten einen Trick an. Durch das Absenken des Bodenbelags um etwa 40 Zentimeter entstanden unterschiedlich große Inseln, die durch die schräge Aufstellung von Fahrradständern Platz für bis zu 2500 geparkte Räder bieten. Rampen markieren den Zugang zu den Senken, die zudem durch einen Belagswechsel von Pflastersteinen zu einer rutschfesten Betonoberfläche gekennzeichnet sind. Diese visuell erfassbare Ordnung schafft eine intuitive Orientierung im urbanen Raum, ergänzt durch das Lichtkonzept. Notwendige Lüftungskanäle aus den Gleisebenen werden zu individuell ansteuerbaren Lichtsäulen, die die Besucher über den Platz leiten oder dank der integrierten Bänke zum Aufenthalt einladen. Trotz vielfältiger struktureller Verbindlichkeiten entstand ein hochwertiger urbaner Stadtraum, der weit mehr ist als ein Durchgangsort für die Passanten.

062 ÖFFENTLICHE RÄUME


4 Bahnhof Nørreport Cobe, Gottlieb Paludan Architects ○

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Ingenieurplanung: Niras; Sloth Møller Bauherr: Stadt Kopenhagen Fertigstellung: 2014 Nutzfläche: 4200 m2 Nutzung: Freibad, Park, Uferpromenade

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Kalvebod Brygge, Vesterbro #kalvebodbølge

Urban Agency, JDS Architects

Spaziergang im Hafenbecken Kalvebod Bølge

Bestehende Wasserflächen in der Stadt für Freizeitaktivitäten zu nutzen wird immer beliebter. Dass dies in einem Hafenbecken möglich ist, das über fünf Jahrzehnte durch seine industrielle Nutzung verschmutzt war, erstaunt jedoch. Bereits in den 1980er-Jahren erkannte Kopenhagen das Potenzial der Areale. Die Hafengebiete wurden als Erholungsflächen ausgewiesen, und die Stadt setzte zahlreiche Maßnahmen zur Verbesserung der Wasserqualität um. Im Zuge der Revitalisierung der Hafenbecken siedelten sich zahlreiche Kultureinrichtungen an – die Uferkanten entwickelten sich zu belebten öffentlichen Räumen. Im Zuge dieser Entwicklung entstand 2002 das erste städtische Hafenbad Islands Brygge (Foto S. 094). Auf der anderen Uferseite, der

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Innenstadt zugewandt und nicht weit vom Tivoli entfernt, gab es eine weitere ungenutzte Fläche am Wasser. Wie ein Parcours wogen dort nun die Kalvebod Waves als wellenförmige, weithin sichtbare Skulptur in die Höhe. Die Anlage weitet sich wie eine Parklandschaft auf dem Wasser auf und führt auf teils zweigeschossigen Verbindungsstegen wieder an Land zurück. Sitzgelegenheiten, Spielplätze und Aussichtspunkte laden zum Verweilen ein. Was zufällig aussieht, folgt einem genauen Plan. Raue Winde in der exponierten Lage wurden bei der Positionsfindung ebenso einberechnet wie der Verlauf der Sonneneinstrahlung und der Verschattung durch die umgebende Bebauung. Auf diese Weise entstanden zwei dreiecksförmige Wasserbecken, die verschiedene, voneinander getrennte Nutzungen ermöglichen. Während die nördliche Promenade auch zum Schwimmen genutzt werden kann, paddeln im südlichen Becken die Ruderer. Ein Kajak- und Kanuclub sowie ein auf dem Wasser liegendes Minihotel für Kanufahrer nutzen gemeinsam die entstandenen Serviceeinrichtungen. Eine Plattform ermöglicht als Ergänzung zum Stadtraum an Land verschiedene Veranstaltungen. Die Anmutung der künstlichen Parklandschaft ist in der Material- und Farbwahl von den historischen Industriehäfen inspiriert. Plattformen aus Beton bilden die Stege, die mit robustem unbehandeltem Kiefernholz beplankt sind. Im Kontrast dazu stehen die filigranen Geländer mit integrierter Beleuchtung, die ebenfalls an den Bootsbau erinnern. Einzig die Signalfarbe Neonorange der Spielgeräte bricht aus dem reduzierten Materialkonzept aus. Gemäß der Cradle-toCradle-Philosophie sind alle Materialien nach Ablauf der Lebenszeit wieder sortenrein trennbar und können recycelt bzw. wiederverwendet werden.

108 SPORT UND FREIZEIT


3

2 4

1

Lageplan, Maßstab 1:3000

1 2

Kajakanleger Sitzstufen

3 4

Treppenanlage Hafenbad Islands Brygge

8 Kalvebod Bølge Urban Agency, JDS Architects ○

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Tragwerksplanung: Leif Hansen Landschaftsarchitektur: Marianne Levinsen Bauherr: Bofælleskabet Lange Eng/ Lange Eng Cohousing Community Fertigstellung: 2008 Geschossfläche: 6400 m2 Innenhof: 4100 m2 Nutzung: gemeinschaftliches Wohnen mit 54 Wohneinheiten (72–135 m2) Bewohner: ca. 200

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Lange Eng 1, Albertslund 🌐langeeng.dk #langeeng

Dorte Mandrup

Gemeinschaftlich wohnen Lange Eng Cohousing

Gemeinschaftliches Wohnen hat in Dänemark eine lange Tradition. Bereits seit den späten 1960er-Jahren finden die verschiedenen Formen des Zusammenlebens internationale Beachtung. Eines der größten und vielleicht auch radikalsten gemeinschaftlichen Wohnprojekte ist Lange Eng in Albertslund, das 2004 von einer kleinen Gruppe initiiert wurde, um den Wunsch nach einer sozial orientierten Lebensweise umzusetzen. Kern des Projekts ist die Etablierung einer Gemeinschaft, in der unterschiedliche Alters- und Berufsgruppen, kulturelle Hintergründe und Lebensentwürfe eine Heimat finden. Welche verschiedenen räumlichen Qualitäten notwendig sind – Flächen für die Gemeinschaft, für Begegnung und Kommunikation, aber auch private

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Rückzugsräume – wurde in einem umfangreichen Partizipationsprozess mit verschiedenen Workshops zwischen den Planern und den zukünftigen Bewohnern erarbeitet. Angrenzend an dichte Bebauungsstrukturen auf der einen und einen Wald auf der anderen Seite, entwickelt sich die dreigeschossige Wohnanlage mit insgesamt 54 Wohneinheiten als geschlossener Block. Von außen wirkt der Baukörper in seiner Materialität und Farbigkeit schroff und abweisend. Lediglich die Erschließung sowie Stellflächen für Mobilitätsangebote zonieren den Außenraum. Das Gegenteil zeigt sich auf den geschützten Innenseiten, die zum gemeinschaftlich genutzten Gartenhof orientiert sind. Großflächige Verglasungen und helle Polycarbonatplatten ermöglichen vielfältige Ausblicke und helle, lichtdurchflutete Innenräume. Vier verschiedene Grundtypen reihen sich in einer ausgewogenen Mischung aneinander – auf einer Ebene oder über zwei Geschosse. Herzstück jeder Wohneinheit ist ein großer Wohn- und Kochbereich, an den sich die individuellen Zimmer anschließen, in den Maisonetten über eine Galerie. Von jeder Wohnung führt ein direkter Ausgang in den Garten, entweder als holzbedeckte Terrasse oder als schräg gestellte Treppe, um die Privatsphäre der darunterliegenden Wohnungen zu schützen. Eine Besonderheit ist das Gemeinschaftshaus von Lange Eng, das die Idee der Sozialgemeinschaft am eindrucksvollsten transportiert. Das Erdgeschoss fasst die Küche, einen Essbereich für 100 Personen sowie eine Spielecke für die Kinder. An sechs Tagen in der Woche können die Bewohner hier gemeinsam essen. Im Obergeschoss stehen ein Kinoraum, eine Bibliothek und ein Multifunktionsraum für weitere Aktivitäten bereit. Auch das ist Teil des Konzepts: Alle Erwachsenen leisten ihren Beitrag für die Gemeinschaft, indem sie ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen, zum Kochen, Putzen oder dadurch, dass sie als Mitglied einer Arbeitsgruppe Verantwortung für die gemeinschaftlichen Belange übernehmen.

268 WOHNEN


Lageplan, Maßstab 1:5000

24 Lange Eng Cohousing Dorte Mandrup ○

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270 WOHNEN


Grundrisstypen, Maßstab 1:500

A

B

Erdgeschoss

Erdgeschoss

C

Obergeschoss

Erdgeschoss

Obergeschoss

Schnitt, Grundriss, Maßstab 1:1000

a a

Erdgeschoss

24 Lange Eng Cohousing Dorte Mandrup ○

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Impressum, Bildnachweis

Herausgeberin: Sandra ­Hofmeister

Projektleitung: Sandra Leitte

Gestaltung: strobo B M

Autorinnen und Autoren: Eva Herrmann (Projekttexte), ­Sandra Hofmeister, Jakob Schoof

Mitarbeit: Charlotte ­Petereit

Zeichnungen: Barbara Kissinger, Emese Köszegi

Interviews: Dorte Mandrup, Kim Herforth Nielsen, Dan Stubbergaard

Papier: Munken Print White 90 g, 1.8f Vol.

bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der ­gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich ver­ gütungspflichtig. Zuwiderhandlungen

unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.

Bildnachweis_ Als, Christian, S. 144–145 Baan, Iwan, S. 24, 27, 32 unten, 34–35, 286–287 Bach, Ursula, S. 110 Bolther, Bo, S. 214 By & Havn/Foto: Ole Malling, S. 172 Céline Au détour d’un chemin, S. 13 Mitte Cobe, Sleth, Polyform, Rambøll, S. 6, 16, 90, 140, 234

Cycle Superhighway Bicycle Account 2019, S. 88 Danica Pension, S. 298 Enoch, Pernille, S. 106, 112–113 Eriksen, Line, S. 133 Eskerod, Torben, S. 30– 31, 32 oben, 142–143, 213, 216, 220–221 Heiberg, Martin, S. 82, 283 Hjortshøj, Rasmus – ­Coast, S. 22–23, 36, 39–46, 50, 52, 54, 57–58,

60, 63–64, 66–68, 72–74, 87, 121, 124–127, 134, 137–139, 148, 151–153, 156–157, 175, 179, 194, 228, 231–233, 236–237, 240–242, 244–246, 248– 250, 253–254, 256–257, 288, 291–293 Hofmeister, Sandra, S. 85 unten Holsegaard, Enok, S. 76, 79, 80 Hufton+Crow, S. 98, 101–102, 104–105 Københavns Stadsarkiv,

S. 168 (Foto: Johannes J. Danielsen), 171 Lindhe, Jens Markus, S. 33, 176 unten, 210, 297, 300, 303, 305–306 Lundberg, Viggo, S. 180 Magasanik, Jan, S. 284 MøllerLøkkegaard, ­anlaeg-ml.dk, S. 294 Mørk, Adam, S. 146–147, 158, 160–161, 165–166, 184–188, 191, 193, 199, 201–202, 205–206, 208, 222, 226, 258, 261–262, 265

Ossip, S. 225 Ransome, Nicholas, S. 131 Rasmussen, Astrid Maria, S. 94–97, 118 Rasmussen, Daniel, S. 13 oben, 176 oben Room 606 at Radisson Collection Royal Hotel Copenhagen, S. 10–11 Stamer, Laura, S. 266, 269, 270, 272–273, 278 Stange, Ty, S. 280 Sune Berg, Anders, S. 18–19

Supercykelstier, S. 85 oben The City of Copenhagen/ Troels Heien, S. 84 The Copenhagen Metro, S. 71 Tivoli Gardens, S. 92–93 (Foto: Lasse Salling), 114 (Tivoli Marketing), 117 (Foto: Christian Ley) Trood, David, S. 209 Urban Agency, S. 109, 111 Wyon, Kim, S. 13 unten, 20–21, 238–239 ZeBU, S. 81

Zwinge Stehen, Karen, S. 128

ISBN (Print) 978-3-95553-531-5 ISBN (E-Book) 978-3-95553-532-2

ANHANG

Druck und Bindung: Eberl & Kœsel GmbH & Co. KG, DE-Altusried-Krugzell

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Zeichnungen, der Mikrover­filmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch

© 2021, erste Auflage DETAIL Business Information GmbH, München detail.de

312

Lektorat: Sandra Leitte, Reproduktion: Katrin Pollems-Braunfels Ludwig Media, AT-Zell am See

Bibliografische Infor­ mation der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.d-nb.de abrufbar.

und durch Auskünfte am Zustandekommen des Buches mitgeholfen Cover: haben, sagt der VerRasmus Hjortshøj – lag aufrichtigen Dank. Coast Sämtliche Zeichnungen in diesem Werk sind Alle Fotos und Zeichnun- eigens angefertigt. Trotz gen OMA und MVRDV: intensiver Bemühun© VG Bild-Kunst, Bonn gen konnten wir einige 2021 Urheber der Abbildungen nicht ermitteln, die Allen, die durch Überlas- Urheberrechte sind aber sung ihrer Bildvorlagen, gewahrt. Wir bitten um durch Erteilung von dementsprechende Reproduktionserlaubnis Nachricht.


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