Neue Holztragwerke

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Inhaltsverzeichnis

1

Einleitung

6

Faltwerke

13

2

Moderne Geometrien in der Architektur

49

3

Aktives Biegen

91

4

Formfindung und mechanische Untersuchung von biegeaktiven Tragwerken

125

5

Digitale Fertigung

189

Das Forschungslabor IBOIS an der EPF Lausanne

236

Bildverzeichnis

237

5

2. 2

T1

Iterative Flächengestaltung in der Architektur

T2

Ivo Stotz, Gilles Gouaty und Yves Weinand

T3 T4

Bild 1

Bild 2

Beispiel eines Freiformobjekts, erstellt mit besagter Methode der Flächengestaltung

Bild 1

Dieses interdisziplinäre Forschungsprojekt wird von einer Gruppe aus Architekten, Mathematikern und Informatikern vorgestellt, die nach neuen Methoden für die effiziente Realisierung komplexer architektonischer Formen suchen. Im vorliegenden Beitrag werden Methoden der iterativen Flächengestaltung präsentiert, die auf der Arbeit von Michael Fielding Barnsley basieren. Es werden mehrere iterativ konstruierte geometrische Formen erläutert, um damit das Konzept der auf Transformationen basierten Flächengestaltung vorzustellen. Die untersuchte Bemessungsmethode ermöglicht die interaktive Veränderung der Form durch affine Transformationen, wodurch diskrete Geometrien entstehen. Außerdem wird der Umgang mit bestimmten Randbedingungen erläutert. Bestimmte geometrische und topologische Randbedingungen sollen die Herstellung architektonischer Freiformobjekte erleichtern. Es wird eine auf Vektorsummen basierende Methode untersucht, mit der sich Freiformflächen gestalten lassen, die ausschließlich aus ebenen Vierecken bestehen. Die Kombination aus gewählter Methode und iterativer Flächengestaltung mittels Transformationen eröffnet ganz neue Möglichkeiten für die Formfindung und erfüllt zudem zahlreiche Randbedingungen, die Werkstoff und Konstruktion stellen. Schließlich werden die Ergebnisse an diversen Anwendungen getestet. In den Tests sollen die Vorteile der diskreten Flächengestaltung in Bezug auf eine integrierte Herstellung architektonischer Freiformen untersucht werden.

Schlüsselbegriffe

58

Architektur, angewandte diskrete Geometrie, IFS, Holzbau

1

Einleitung

Um die untersuchte Methode der Flächengestaltung vorstellen zu können, müssen zunächst die mathematischen Hintergründe erklärt werden. Die Grundlagen der transformationsbasierten Flächengestaltung sollen anhand einiger historischer Beispiele erläutert werden. Dies gibt einen Einblick in die Methoden der iterativen Flächengestaltung. Der Zusammenhang zwischen der mathematischen Methode der Flächengestaltung und dem realen Gebäude wird im zweiten Teil dieses Beitrags dargestellt.

2

Mathematische Grundlagen

2.1

Monsterkurven Die Cantor-Menge (Bild 2), auch Cantor-Staub genannt, wurde nach ihrem Entdecker, dem deutschen Mathematiker Georg Cantor, benannt. Sie beschreibt eine auf einer Geraden liegende Punktmenge. Am Ende des 19. Jahrhunderts waren viele Mathematiker von dieser Cantor-Menge fasziniert, weil sie scheinbar widersprüchliche Eigenschaften aufweist. Cantor selbst beschrieb sie als eine perfekte Menge, die nirgends dicht ist.1 Weitere Eigenschaften wie Selbstähnlichkeit, Kompaktheit und Sprungstetigkeit wurden erst viele Jahre später untersucht. Die geometrische Konstruktion der Cantor-Menge lässt sich wie folgt beschreiben: Man nehme den Abschnitt einer Geraden, unterteile diesen in drei gleiche Teile und entferne den mittleren Teil, unterteile wiederum jeden der resultierenden Abschnitte und entferne jeweils deren mittleres Drittel. Wird dies für jeden neuen Abschnitt wiederholt, ergibt sich die Cantor-Menge. Die Koch-Kurve zählt zu den ersten entdeckten und bekanntesten fraktalen Objekten. 1904 beschrieb sie der schwedische Mathematiker Helge von Koch erstmals.2 Die Kurve wird schrittweise konstruiert. Ausgehend von einer Gerade entsteht so eine mäandrierende Kurve mit ungewöhnlichen Eigenschaften: – Sie besitzt keine Steigung und ist daher nicht differenzierbar. – Die Länge jedes Abschnitts ist unendlich.

Moderne Geometrien in der Architektur

Die geometrische Konstruktion der Koch-Kurve erfolgt iterativ, wobei jeder Konstruktionsschritt aus vier affinen geometrischen Transformationen besteht. Die Grundform ist eine Gerade, die durch jede Transformation {T1…T4} skaliert, rotiert und verschoben wird. Mit jedem Konstruktionsschritt entstehen vier Duplikate, die im nachfolgenden Schritt jeweils wiederum vier Duplikate ergeben (vgl. Bild 3).

2.2

Iterative geometrische Objekte Die eigentümlichen Eigenschaften der erwähnten Beispiele führten dazu, dass Mathematiker diese Kurven als „Monster“ bezeichneten. Erst 1981 gelang es Barnsley, basierend auf dem Fixpunkttheorem von Hutchinson 3 einen Formalismus zu definieren, der die Monsterkurven deterministisch beschreibt. 4 Seine IFS-

Bild 2

Cantor-Menge

Bild 3

Koch-Kurve

Methode (vgl. Abschnitt 2.3) besteht aus einer Menge an kontraktiven Funktionen, die iterativ angewendet werden. In unserem Fall entspricht eine Funktion einer affinen geometrischen Transformation. Iterativ bedeutet, dass es sich um eine schrittweise Konstruktion handelt. Als Eingabewert für jeden Konstruktionsschritt wird das Ergebnis des vorherigen Schrittes verwendet. Das Neue an Barnsleys Feststellung ist, dass das resultierende Objekt nicht durch das Grundelement definiert ist, sondern lediglich durch seine Transformationen. Für die Konstruktion eines Sierpinski-Dreiecks kann

Bild 3

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7.4

Konfigurationsgrundsätze für vertikal übereinanderliegende Module Die Beschaffenheit der Lagen und deren gegen­ seitige Ausrichtung werden durch die einzelnen Module definiert. Es wurden fünf Grundsätze aufgestellt, die die Basis aller nachfolgend entwickelten Holzgewebekonfi­ gurationen bilden. Sie dienen dazu, die Verbindungen zwischen den Zonen höherer und geringerer Festigkeit an den Modulen herzustellen.

Bild 9 Großmaßstäbliche Umsetzung eines dreidirektionalen Holzgewebetragwerks, Konfigurationsstudie 3, Draufsicht Bild 10 In Längsrichtung sind die Module durch scheibenförmige Elemente verbunden. Bild 11 In Querrichtung sind die Module durch zwei spezielle Varianten der Verbindungselemente verbunden. Ihre Form wird durch den Zwischenraum zwischen der inneren und der äußeren Lagen bestimmt. Bild 12 Aufgrund der spezifischen Geometrie können diese Elemente auch die Verbindung zwischen den beiden Lagen herstellen.

Bild 7

Bild 8

7.1

7.3

Abstand zwischen den Lagen Bei allen Varianten – mit Ausnahme von einer – umschreiben die beiden Lagen einen Zylinderabschnitt und besitzen eine gemeinsame Mittelachse (die in x­ Richtung verläuft), während die äußere Lage senkrecht zur inneren ausgerichtet ist. Der Abstand zwischen den beiden Lagen wird durch die Vergrößerung der Module erzielt, die die äußere Lage bilden (wobei die Breite der Elemente vernachlässigt wird).

Maximaler Abstand Für den Abstand zwischen zwei Lagen gibt es ei­ gentlich keinen oberen Grenzwert. Man könnte sogar sa­ gen, dass ein größerer Abstand wünschenswert ist, weil dadurch das Tragwerk insgesamt höher wird. Anderer­ seits ist die kombinierte Höhe beider Lagen nur dann von Bedeutung, wenn sie als Einheit wirkt, und dies ist davon abhängig, wie sie miteinander verbunden sind. Unter an­ derem müssen die Verbindungen biegesteif ausgebildet sein, damit bei Einwirkung horizontaler Lasten die relati­ ve Verschiebung der Lagen in Spannrichtung verhindert wird, weil eine solche Verschiebung die Tragwerkssteifig­ keit insgesamt herabsetzen würde. Ein größerer Abstand hat einen größeren Hebelarm zur Folge und erhöht damit auch die Anforderungen an die Beständigkeit der Verbin­ dungen. Des Weiteren bringt ein größerer Abstand auch optische Auswirkungen mit sich: Er verringert die visuel­ le Zusammengehörigkeit der beiden Lagen, die in einem gewissen Maße die strukturelle Logik verdeutlicht.

7.2

Mindestabstand Im Grunde ist der Abstand frei wählbar. Jedoch müssen verschiedene Aspekte berücksichtigt werden. Ist der Abstand zu klein, können die Bögen nicht gegenein­ ander verdreht werden, da sonst die tief liegenden Enden der oberen Module mit dem hoch liegenden Mittelbereich der unteren Module kollidieren würden. Der Abstand muss folglich groß genug sein, damit zwei Module überei­ nander platziert und zugleich um ein halbes Modul ge­ geneinander verdreht werden können.

Modelle aus Holzgewebeelementen

8.1 Modellstudie 1: Nicht fluchtende Überlagerung Bei dieser Konfiguration werden die Lagen ge­ geneinander um O gedreht und in x­Richtung verschoben (Bilder 5–8). Die innere Lage ist aus einer Reihe identi­ scher Bögen höherer Ordnung aufgebaut, die nebenein­ ander platziert sind. Der Mittenabstand dieser Bauteile in x­Richtung entspricht der doppelten Breite der Modulele­ mente. Jeder dieser Bögen besteht aus drei kompletten Modulen. Die äußere Lage setzt sich aus ähnlichen Modu­ len wie die innere zusammen, und jeder Bogen ist eben­ falls aus drei Modulen aufgebaut. Allerdings sind es hier im Gegensatz zur inneren Lage zwei ganze und zwei hal­ be Module, wobei die ganzen im mittleren Bereich und die halben Module jeweils an den Auflagerpunkten ange­

Bild 10

Bild 9

113

8

Im Rahmen der Forschungsarbeit wurden verschiedene Konfigurationen aus dreidirektionalen Holzgewebetrag­ werken untersucht, von denen zwei hier erläutert werden sollen.

114

Aktives Biegen

4. 6

Braided structures: applying textile principles at an architectural scale Marielle Savoyat

Design

IBOIS—Laboratory for Timber Constructions/ EPFL, Swiss Federal Institute of Technology, Lausanne, Switzerland Prof. Yves Weinand and Dr. Markus Hudert (researcher)

Research and completion

2007–2013

Fig. 1

184

The research undertaken between 2007 and 2013 by Markus Hudert within IBOIS, the Laboratory for Timber Constructions at the Swiss Federal Institute of Techno­ logy, analyzes the use of textile techniques at an archi­ tectural scale. It soon became apparent that principles of knitting, braiding, and weaving offer great potential for varying structural possibilities when applied to the scale of architecture. The common denominator between all of these textile techniques is one basic element: that of a thread interlaced with another thread. This starting principle can be transferred onto two interlaced planks of wood. To put this concept into practice, a first prototype called a textile module was created, which demonstrated how the application of a textile technique, when combined with the properties of wooden material, could lead to a particularly efficient freestanding structure.

Axonometry of a braided arch

Form-finding and mechanical investigations of active bended systems

Bild 2

Untersicht des Modells

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