Religion und Stadt

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Religion und Stadt

Positionen zum zeitgenรถssischen Sakralbau in Deutschland



Sakrale Orte Ansgar und Benedikt Schulz

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Zeichen unserer Zeit Mario Botta

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House of One in Berlin

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Gespräch mit Wilfried Kühn

Kirche Seliger Pater Rupert Mayer in Poing Gespräch mit Andreas Meck

Neue Synagoge in Potsdam Gespräch mit Jost Haberland

Zentralmoschee in Köln Gespräch mit Paul Böhm

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S.39 S.51

S.59 S.68

S.75 S.88



Sakrale Orte

Ansgar und Benedikt Schulz

Katholisch zu sein war für uns von Kindheit an eine Selbstverständlichkeit. Es war vollkommen normal, mit der Familie sonntags in die Kirche zu gehen. Unsere Eltern waren engagierte Mitglieder der Kirchengemeinde, und so erhielten wir Einblicke in die unterschiedlichen Bereiche der Kirche, von der Gestaltung des Gottesdienstes bis zur Gemeindearbeit. Auch die liturgischen Besonderheiten der christlichen Jahresfeste waren uns früh vertraut. Kirchliches und Alltägliches gingen ungezwungen ineinander über. Deswegen — und vielleicht auch wegen vieler angenehm oder interessant gestalteter Gottesdienste  — emp­­­­fanden wir das Katholische nie als etwas Bleiernes oder Verstaubtes, sondern es hatte vor allem viele fröhliche und gesellige Komponenten. Als Messdiener machten wir zudem die wichtige Erfahrung, den Gottesdienst nicht nur als Ausdruck von Spiritualität, sondern auch als choreografische Inszenierung zu verstehen. Eine prägende Erfahrung kam mit dem Um­zug in einen anderen Stadtteil. Die Kirche St. Josef in unserem ehemaligen Gemeindebezirk Witten-Annen war im historistischen Stil gebaut, mit vielen neogotischen Elementen, und wirkte auf uns kalt und dunkel. Unsere „neue“ Kirche St. Pius in Witten-Rüdinghausen war tatsächlich neu. 1972 geweiht, folgte ihre Architektur bereits den Prämissen des Zweiten Vatikanischen Konzils. Dort gab es eine fast halbkreisförmige Sitzplatz­ anordnung, eine ungerichtete Geometrie des Raums, eine interessante Lichtführung durch farbig gestaltete Oberlichter — wenn man so will, ein konträres Konzept von Kirche. Unsere damalige Erkenntnis: Ein- und dieselbe Religion lässt sich in völlig unterschiedlichen Räumen praktizieren. Eine andere wesentliche Erfahrung stammte noch aus unserer alten Kirche. Dort gestaltete der Künstler Bruno Stane-Grill — ein Beuys-Schüler —  in einer mehrtägigen, von der Gemeinde organisierten Kunstaktion die Altarrückwand. Die tem-

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poräre Arbeit wurde eingeflochten in den liturgischen Jahreszyklus. Hier erlebten wir zum ersten Mal die Verbindung von Religion und Kunst. Der Sakralbau fasziniert die Architekten seit jeher, zum einen, weil die Aufgabe an sich so an­ spruchsvoll ist, zum anderen, weil hier die archi­ tek­tonischen Elemente Raum und Licht im Mit­ telpunkt des Entwerfens stehen dürfen. Aus der Beschäftigung mit dieser Bauaufgabe ergeben sich im Idealfall Erkenntnisse, die sich auf profane Bauaufgaben übertragen lassen. Welche Emotionen kann ein Bauwerk wecken und wie lassen sich diese Emotionen planen? Während unseres Studiums an der RWTH Aachen wurden wir früh auf den Zusammen­hang von Architektur und Religion gestoßen, denn Aachener Architekturstudenten werden schon im ersten Semester in die Fronleichnamskirche von Rudolf Schwarz (1930) geschickt, und auch seine Annakirche in Düren (1956) steht nicht weit entfernt. Dort ist uns die Bedeutung der architektonischen Gestaltung eines Sakralraums anschaulich gemacht geworden. Beide Bauten zeigen aber auch, wie Kirchenbau programmatisch verstanden werden kann. Als wir 1992 nach Leipzig übersiedelten, um dort unser eigenes Architekturbüro zu gründen, fanden wir ein gesellschaftliches Umfeld vor, das sich stark von dem unterschied, was wir kannten — auch und vor allem, was die Bedeutung von Religion anging. In einer Stadt, in der die Min­der­ heit der Bevölkerung überhaupt konfessionell gebunden ist, kann der Zusammenhalt und die Dynamik einer Kirchengemeinde jedoch besonders stark sein — ein Vorteil der Diaspora. Die ka­ tholische Propsteikirche St. Trinitatis in Leipzig gehört inzwischen zu den am stärksten wachsenden Kirchengemeinden in Ostdeutschland. Ihre Vertreter entschieden sich 2008 für einen Kirchenneubau, weil die damalige Trinitatiskirche,


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Abb. 5


Zeichen unserer Zeit Mario Botta

Die Propsteikirche der katholischen Gemeinde in Leipzig — 2009 Gegenstand eines Wettbewerbs — wurde 2015 geweiht. Ansgar und Benedikt Schulz haben das Raumprogramm, das außer der Kirche verschiedene Nebenfunktionen vorsah, als Gelegenheit genutzt, eine klare städtebauliche Neuordnung eines wichtigen Ortes in der Stadt vorzunehmen, der trotz des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg noch immer unvollständig war. Der Eingriff der Architekten zeugt von einer klugen und wirksamen Haltung, die man im zeitgenössischen Kirchenbau nicht immer antrifft. Oft wird die Kirche als isoliertes und zuweilen nur auf sich selbst bezogenes Objekt interpretiert, das nicht den Dialog mit seinem städtischen Kontext sucht. In diesem Fall haben die Architekten viel Gefühl für die städtebauliche Situation bewiesen und auf beispielhafte, strategisch geschickte Weise das urbane Gefüge neu gedeutet. Die Gestaltung und Stärkung des öffent­ lichen Raums waren entwurfsbestimmende Absichten, die in einer kraftvoll klaren, präzise gesetzten dreieckigen Figur zwischen der  wichtigen Verkehrsader des Martin-Luther-Rings und dem Wilhelm-Leuschner-Platz resultieren. Dieser Ansatz, der die Analyse des Ortes über typologische Überlegungen zum Gebäude selbst stellt, zeigt sich als absolut schlüssig und erfolgreich, weil er die Räume und Bestimmungen der Stadt festigt und die Kirche zum zentralen Bezugspunkt der Nebenfunktionen des Programms macht. Wie bei Rudolf  Schwarz, der 1956 seine Dürener Annakirche wieder als selbstbewussten neuen Mittelpunkt urbaner Zusammenhänge setzte, wurden in Leipzig das Gemeindezentrum und das Gotteshaus zum lebendigen


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Abb. 7 und 8


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House of One in Berlin

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Das Projekt am Petriplatz in Berlin-Mitte wird 2011 von Vertretern ­dreier Religionsgemeinschaften initiiert: der evangelischen Gemeinde St. Petri/St. Marien, des muslimischen Vereins Forum für Interkulturellen Dialog und der Jüdischen Gemeinde Berlin. 2012 lobt der Verein Bet- und Lehrhaus Petriplatz einen inter­ nationalen Wettbewerb für das House of One genannte Gebäude aus, in dem Moschee, Kirche und Synagoge unter einem Dach zusammenfinden sollen. Das Berliner Architek­turbüro Kuehn Malvezzi setzt sich mit seinem Entwurf unter 38 Teilnehmern durch. Das Gebäude soll auf den Funda­menten der 1964 abgetragenen Petrikirchenruine errichtet und ausschließlich aus Spendenmitteln finanziert werden. Die Vertreter der drei Religionen wollen hier für ein friedliches Miteinander werben, die Unterschiede ihrer Konfessionen sollen jedoch klar artikuliert werden. In den drei separaten Sakralräumen kann unabhängig voneinander Gottesdienst gefeiert werden. Sie gruppieren sich um den gemeinschaftlich genutzten Kuppelsaal mit einem Fassungsvermögen von etwa 300 Sitzplätzen, in dem Lesungen, Konzerte und Ausstellungen stattfinden können. Ein archäo­ logisches Fenster im Untergeschoss gibt Einblicke in die Baugeschichte des Ortes, der als Wiege der Stadt gilt. Die oberste Ebene des Hauses, die sogenannte Stadtloggia, ermöglicht den Besuchern einen Blick aus 32 Meter Höhe auf die im Wandel befindliche historische Mitte. Das House of One kann in Abschnit­ ten realisiert werden, sofern das Spendenaufkommen zum geplanten Termin der Grundsteinlegung 2019 noch nicht die gesamten Baukosten decken sollte.

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„Nicht die Atheisten sind die größten Feinde des Projekts, sondern die Dogmatiker.“ Wilfried Kühn (WK) im Gespräch mit Ansgar Schulz (AS) in der Werkbund Galerie Berlin

AS: Herr Kühn, das House of One ist ein klares Be­kenntnis zur Monumentalität. Unsere Kirche in Leipzig wurde — vor allem während der Rohbauphase — oft als monumental kri­tisiert. Kennen Sie diesen Vorwurf? WK: Der Begriff Monumentalität ist für viele Men­schen ein Reizwort. Monumentalität wird häufig mit Größe oder mit Verdrängung assoziiert, aber auch mit Macht. Für uns hat ein Monument immer auch eine zeitliche Dimension. 2005 gestalteten wir eine Ausstellung in der Berliner Galerie AEDES, die wir „Momentane Monu­ mente“ nannten. Darin zeigten wir Arbeiten aus den ersten drei Jahren unseres Büros: temporäre Strukturen und Objekte, Ausstellungen, Fassa­ denwettbewerbe und Platzgestaltungen. Dabei deuteten wir das Monument als einen Ort, an dem die Zeit erlebbar wird — sowohl historische Zeit im Sinne von Erinnerung als auch gelebte Zeit. Ein Monument ist ein Ort, der Bedeutung schafft und durchaus einen ephemeren Charakter haben kann. Daher ist für mich ein Monument nicht gleichbedeutend mit Größe oder Schwere. Das House of One verkörpert die Monumentalität in mehrerer Hinsicht und damit auch so, wie sie gemeinhin aufgefasst wird: Es überragt die Nachbargebäude und besteht aus massiven Wänden, in diesem Fall sind es 85 Zentimeter starke Ziegelwände.

Objekte bestehen, sondern aus dem Zusammenhang der Räume, in denen wir uns bewegen. Bestimmte Bereiche erfordern aber einen Bruch die­ser Kontinuität: Religion gehört dazu wie auch Manifestationen des Öffentlichen, seien es politische oder kulturelle. Insofern sehe ich eher den positiven Aspekt in der Monumentalität, den wir hier auf eine relativ klassische Art ausdrücken. AS: Wobei man das Gebäude ansonsten wohl kaum als klassisch bezeichnen würde. WK: Völlig richtig. Weder ist es klassisch, auf einem ehemaligen Kirchengrundriss eine Synagoge, eine Kirche und eine Moschee unter einem Dach zu bauen, noch auf Fundamenten aufzubauen, die denkmalgeschützt sind. Hier sind jede Menge Neuerungen im Spiel, die in eine andere Zeit weisen und wenig mit der Architektur der letzten Jahrhunderte zu tun haben.

Abb. 16, 18, 19

AS: Als in Leipzig die fensterlose Altarrückwand am Wilhelm-Leuschner-Platz im Roh­bau stand, hieß es: Ihr verstellt uns die Sicht auf unser Rathaus! Abb. 12 WK: Aber das Verstellen ist ja in diesem Fall genau richtig. Das Gebäude muss auffallen, weil es wichtig ist. Wenn man versucht, Religion zu ver Abb. 13, 20 stecken, so wie es beispielsweise im 19. Jahrhundert mit den Synagogen gemacht wurde, die sich AS: War diese Monumentalität notwendig, um irgendwo im Obergeschoss befanden, dann hat die Bedeutung des House of One zu ver­ man den ersten Schritt zur Privatisierung von Remitteln? ligion gemacht. Und wenn Religion privatisiert WK: Als Monument beschreibt es den besonde- wird, dann passiert etwas, das wir an verschiederen Ort. In einer Stadt sollte sich die Architektur nen anderen Debatten beobachten können: Polinicht alle paar Meter radikal ändern. Wenn wir tik und Religion entfremden sich voneinander. ein Wohnhaus oder ein Bürohaus in einer Stadt Dann hat die Politik irgendwann keinen Zugriff bauen, dann versuchen wir eine gewisse Unsicht- mehr, und es etablieren sich unter dem Deckmanbarkeit der Architektur zu erreichen. Das Erlebnis tel der Religion Ersatzorte, an denen eine ganz ei32 einer Stadt sollte nicht aus der Reihung einzelner gene Politik entsteht. Und wir sind gut beraten,


das Beispiel dieser beiden Sakralbauten sehr ernst zu nehmen, weil sie gegen die Privatisierung von Religion eintreten. Ich meine, dass das eine sehr wichtige Diskussion der nächsten Jahre sein wird. Wenn man etwas nicht privatisiert und mit den Konventionen und der Kontinuität bricht, dann sind Größe und Monumentalität völlig in Ordnung. Wichtig ist allerdings, dass dieser Ort belebt ist. Wenn er leer stünde, dann hätte ich ein großes Problem damit, dass er monumental sein will.

nen einfacheren Weg, jemanden zu verprellen, als ein Gespräch über Religion anzufangen. Religion ist ein Thema, das polarisiert, vor allem politisch interessierte Menschen. Das wird alles noch komplizierter, wenn drei Religionen zusammenkommen. Aber das House of One will eben nicht nur Christen, Juden und Muslime ansprechen, son­dern auch die Säkularen. Also jene, die mit Religion nichts zu tun haben und schwer zu erreichen sind, weil aus der säkularen Sicht die Religion weitgehend Privatsache ist. So lautet die all­gemeine Vorstellung von einem säkularen Staat. Und dieser Sichtweise folgend werden zum Beispiel Moscheen nur dort gebaut, wo sie möglichst wenig auffallen. Synagogen hatte man, wie gesagt, im vorletzten Jahrhundert nicht unbedingt im Stadtbild sehen wollen, aber das ist heute anders. Neue Kirchen werden hierzulande eher selten gebaut, es stellt sich da öfter die Frage der Umnutzung. Die drei Religionen gewinnen durch den Neubau an einem zentralen Ort der Stadt eine völlig neue Präsenz. Und da ihn alle drei Gemeinden gleichberechtigt nutzen werden, wird auch die Schwelle gesenkt, einander bei den rituellen Veranstaltungen zu besuchen.

AS: Der Kirchhof in Leipzig ist deswegen so belebt, weil die Öffnung des gesamten Grundstücks auf einer wichtigen Wegeverbindung der Stadt Leipzig beruhte. Über den Hof der Kirche verläuft eine Hauptwegeverbindung, etwa vom „Musikviertel“, wo die Geisteswis­ senschaftliche Fakultät der Universität liegt, zum Augustusplatz, wo sich Audimax und Alma Mater befinden. Viele der gewohnten Wege sind erhalten geblieben, nur führen sie heute über den zweiseitig offenen Innen­ hof der Kirche. Hier kommt noch ein anderer Aspekt ins Spiel, der sehr deutlich in der Wettbewerbsauslobung formuliert war, näm­lich missionarisch tätig zu werden. AS: Und diejenigen, die mit Religion nichts zu tun haben? Das sind in Berlin doch eine Nicht im Sinne von „bekehrend“, sondern ganze Menge. im Sinne von „neugierig machen“. Wenn die Menschen die Kirche beiläufig passie- WK: Ja, das ist sogar der Großteil. Jeder ist willren können, dann müssen die Blickbezie- kommen, aber es wird sicher auch Vorbehalte gehungen im Gebäude so organisiert sein, ben. Vielleicht werden manche erst ein paar Mal dass jeder sich so weit annähern kann, wie am Haus vorbeilaufen, bevor sie hineingehen. er möchte. Der eine geht vielleicht nur ein- Viele werden hier die Religionen überhaupt erst mal näher an die Scheibe, schaut hinein kennenlernen. Für sie ist es also nicht das Ende, oder diagonal bis zum ewigen Licht, kann sondern der Anfang einer enorm wichtigen Auseieinen Blick auf den Altar erhaschen. Der nandersetzung. andere traut sich, eine Tür zu öffnen und geht in den Vorraum. Und der nächste setzt AS: Obwohl der Baubeginn noch nicht einmal sich vielleicht in eine Kirchenbank. War feststeht? das beim House of One auch ein Thema? WK: Wir erleben das schon, bevor das Haus geSich nicht darauf zu verlassen, dass die drei baut ist. Wie diese drei Gemeinden zusammen Gemeinden das Gebäude mit ihren Mit- eine Politik finden, um miteinander umzugehen, gliedern füllen werden, sondern auch Leu- ist die entscheidende Frage. Zum Beispiel war te anzusprechen, die sich nicht für Religion von Anfang an klar, dass jeder Entwurfsschritt, etwa wo und wie die Fußwaschung in der Moschee interessieren? WK: Das war sogar eines der treibenden Mo- stattfinden soll, von allen gemeinsam besprochen mente der Initiatoren des Projekts. Es gab dort wird. Dazu sagt der Rabbiner etwas und ebenso die Erkenntnis, dass Religion in der heutigen Zeit der Pfarrer. In gewisser Weise sind wir als Archizwar hochgradig problematisiert wird, es gleich- tekten die säkulare Gruppe, die ebenfalls in die zeitig aber an Wissen über die drei Religionen Diskussion einbezogen ist. Das ist äußerst interes­ 33 mangelt. Nach meiner Erfahrung gibt es kaum ei- sant, weil man dadurch diesen Aspekt der Privat-



Kirche Seliger Pater Rupert Mayer in Poing

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Abb. 23


Die Gemeinde Poing hat rund 16.000 Einwohner und liegt etwa dreißig Kilometer nordöstlich von München. Der Ort ist in den vergangenen Jahrzehnten zur zweitgrößten Gemeinde im Landkreis Ebersberg gewachsen, was auch an der guten Ver­kehrs­anbindung an die Landeshauptstadt liegt. Das südliche, „alte“ Poing wird durch die Bahntrasse von dem nördlichen Ortsteil Bergfeld getrennt, der seit den 1980er Jahren zum neuen Zentrum entwickelt wird. Weil die bisherige Pfarrkirche St. Michael zu klein für die Gemeinde geworden war, fand 2011 ein Realisierungs­ wettbewerb für einen Neubau statt, den das Büro Meck Architekten aus München gewann. Die neue Kirche trägt das Patrozinium des 1987 seliggesprochenen Jesuitenpaters Rupert Mayer (1876–1945) und vervollständigt das Kirchenzentrum, das bisher aus Kindergarten und Pfarrheim besteht und in unmittelbarer Nähe zum Bürgerhaus und zur evangelischen Kirche ein wichtiger Teil des neuen Ortszentrums von Poing ist. Seit ihrer Weihe im Juni 2018 dient sie als Pfarrkirche für die rund 6.000 Katholiken, die alte Kirche St. Michael wird weiterhin als Werktagskirche genutzt. Die neue Kirche bietet Platz für 350 Gläubige und wirkt mit ihrer bis zu dreißig Meter hohen gefalteten Dachlandschaft wie eine Stadt­ krone. Drei große Lichtöffnungen prägen den Kirchenraum und unterstützen durch ihre Lichtführung die liturgischen Orte und Handlungen. Getragen wird die Kirche im Inneren — im konstruktiven wie im übertragenen Sinne — von einem stählernen Raumkreuz. Die Fassade besteht aus 15.000 dreidimensional geformten weißen Kacheln, der Sockel aus gemauertem Nagelfluh.

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Kirchenzentrum Seliger Pater Ru Poing

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Schnitt MaĂ&#x;stab 1:500 Abb. 29


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Kirchenzentrum Seliger Pater Rup Poing


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„Die skulpturale Form steht nie für sich, sondern hat immer etwas mit der Stadt zu tun.“ Andreas Meck (AM) im Gespräch mit Frank Kaltenbach (FK), Ansgar Schulz (AS) und Benedikt Schulz (BS) in der Architekturgalerie München

FK: Herr Meck, seit wann beschäftigen Sie sich mit Sakralbauten? AM: Schon seit meinem Studium. Aber als praktizierender Architekt würde ich das Jahr 1997 als Ausgangspunkt benennen. Damals gewann unser Büro den Wettbewerb um die Aussegnungshalle in München-Riem. Sie hat viel von einem Sakralbau, auch wenn sie nicht geweiht ist. FK: Einige Zeit später, im Jahr 2000, haben Sie ein Kirchenzentrum geplant, ebenfalls für München-Riem. AM: Unser Entwurf hatte im Wettbewerb einen von zwei ersten Preisen erhalten, gebaut wurde aber schließlich der Entwurf von Florian Nagler. Für unsere weitere Beschäftigung mit dem Thema Kirchenbau war dieser Entwurf aber von großer Bedeutung. FK: Seither konnten Sie zahlreiche Kirchenbau­ ten realisieren. Gibt es dabei wiederkehrende Motive? AM: Bei der Bearbeitung eines neuen Projekts ist es hilfreich, wenn man auf vergleichbare Bauaufgaben zurückblicken und erkennen kann, wie sich die eigenen Ideen weiterentwickelt haben. Manches von dem, was erst noch kommt, ist bereits in früheren Arbeiten angelegt. Acht Jahre nach unserem Projekt in Riem entstand das Dominikuszentrum im neuen Münchener Stadtteil Nordheide. Das Quartier wird von einer Fußwegdiagonalen er­schlossen, die vom Geschäftszentrum um die Dülferstraße bis zur Neuherbergstraße führt. Das Dominikuszentrum bildet, ganz ähnlich wie unser damaliger Entwurf für Riem, einen städtebaulichen Schlussstein. Dasselbe Motiv spielt auch bei unserem jüngsten Projekt in Poing eine wichtige Rolle. In Neuried hingegen, wo wir 2009 das Pfarrzentrum St. Nikolaus fertiggestellt haben, ging es eher darum, für ein suburbanes Randgebiet ohne Struktur einen Ort zu schaffen — ein wenig so, wie

Abb. 32: Aussegnungshalle München-Riem (2000)

Abb. 33: Wettbewerb Kirchenzentrum Riem, 1. Preis (2000), Modell

man es von frühen Kirchenbauten kennt, die als Kristallisationspunkt einer Entwicklung dienten.

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FK: Gibt es weitere Gemeinsamkeiten dieser Bauten? AM: Neben den genannten städtebaulichen As­ pek­ten lassen sich Analogien bei der inneren Or­ ga­nisation erkennen. Die Bestandteile Kirche, Glockenturm, Gemeindesaal und Pfarrheim grup­ ­­pieren sich sowohl beim Dominikuszen­trum als auch beim Kirchenzentrum in Riem um einen



Neue Synagoge in Potsdam

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Abb. 38


Das jüdische Leben in Potsdam wurde im Holocaust vernichtet. ­In der DDR gab es nur wenige, oft sehr kleine Gemeinden, in denen sich Überlebende und ihre Nachkommen organisierten, von staatlicher Seite gleichgültig bis argwöhnisch beobachtet. Seit 1990 kommt es mit den Zuzüglern aus den ehemaligen GUSStaaten, sogenannten Kontingentflüchtlingen, zu einem star­ken Wachstum der jüdischen Gemeinden in Deutschland. Die brandenburgische Landesregierung beschließt 2005, in Potsdam eine Synagoge und ein Gemeindezentrum als Landesbaumaßnahme vorzufinanzieren. Das Land stellt 5,4 Millionen Euro und ein Grundstück im Stadtzentrum zur Verfügung. Im Jahr 2009 findet ein begrenzt offener Realisierungswettbewerb mit 26 Teilnehmern statt, aus dem der Entwurf von Haberland Architekten aus Berlin als Sieger hervorgeht. Doch schon bald entzündet sich Streit innerhalb der Jüdischen Gemeinde Potsdams. Eine Minderheit unter den knapp 500 Gemeinde­­mit­gliedern meint, dass der Bau nicht repräsentativ genug würde und funktionale Mängel aufweise. Die Kritiker spalten sich ab und gründen die Synagogengemeinde. Eine dritte jüdische Gemeinde, die Gesetzestreue Jüdische Landesgemeinde, lehnt das Projekt grundsätzlich ab, weil der Bau nicht den Juden, sondern der Landesregierung gehöre und der Begriff Synagoge nur ein Etikettenschwindel sei. Die Landesregierung legt Wert darauf, dass der Neubau von allen jüdischen Gemeinden genutzt werden kann. Als keine Einigung zustandekommt, beschließt das Land 2011 einen Baustopp. Seit 2017 versuchen Regierung, Gemeindevertreter und Architekt erneut, in Workshops zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen.

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„Ein sakrales Gebäude sollte einen Autonomieanspruch in der Stadt formulieren.“ Jost Haberland (JH) im Gespräch mit Ansgar Schulz (AS) und Nils Ballhausen (NB)

NB: Herr Haberland, hatten Sie sich vor Ihrer Teil­nahme an dem Wettbewerb um die Syna­goge in Potsdam andere Beispiele dieses Bautypus’ angesehen? JH: Wir schätzen sehr die Synagogen in Dresden und in München, die unsere Saarbrücker Kollegen Wandel Hoefer Lorch und Hirsch 2001 und 2006 errichtet haben. Diese Bauten basieren auf den Theorien des Frankfurter Architekten Salomon Korn, der 1988 in einem Traktat1 unter anderem der Frage nachging, ob die Synagoge ein Langhaus oder ein Zentralbau sei. Die„synagogale Raum-Antinomie“, der Widerspruch zwischen eben diesen beiden Raumordnungen, gehört für ihn zum Wesen aschkenasisch-orthodoxer Sakralbauten. Korn zufolge gibt es für Synagogen keine bestim­ mte Typologie, sondern nur eine bestimm­te Anordnung der sakralen Elemente im Raum. Während der Toraschrein nach Jerusalem weist, steht die Bima, das Vorleserpodest, zentral im Raum. Daraus lassen sich diverse Möglichkeiten ableiten, Zentralbau und Langhaus zu überlagern oder zu kontrastieren. Auch das Verhältnis von „dauerhaften“ und „vorläufigen“ Materialien, Symbole für Tempel und Stiftszelt, spielt dabei eine Rolle. An diesen Theorien haben wir uns orientiert, uns aber auch ausführlich mit jüdischer Sakralbaugeschichte auseinandergesetzt. Ich hatte vor­her keinerlei Beziehung zum Judentum, die intensive Beschäftigung war für mich eine sehr große Bereicherung. NB: Ihr Büro gewann 2009 den Realisierungswettbewerb. Was passierte seitdem? JH: Der Baubeginn war ursprünglich für 2011 vor­gesehen. Im Jahr davor, als die Ausführungsplanung schon fast abgeschlossen war, gab es plötz­lich massive Proteste. An dem Synagogenprojekt hatte sich die Gemeinde gespalten. Während die Mehrheit der Jüdischen Gemeinde Pots68 dam unseren Entwurf begrüßte, konnte eine

Abb. 46: Wilhelmplatz Potsdam (1928/44), am linken Bildrand die Alte Synagoge

Minderheit ihn nicht akzeptieren und gründete daraufhin eine neue jüdische Gemeinde, die Syn­a­go­gengemeinde Potsdam. Es entzündete sich dann ein Machtkampf zwischen diesen beiden Ge­meinden, was schließlich zu einem vor­über­ gehen­dem Baustopp führte, der de facto bis in die Gegenwart andauert. NB: Wer hatte dieses Moratorium verordnet? JH: Die Landesregierung des Landes Brandenburg. Dass das Land als Auftraggeber auftritt, hat mit der speziellen Geschichte der Synagoge und des jüdischen Lebens in Potsdam zu tun. Die erste Synagoge in der Stadt wurde 1767 gebaut und war ein normales Bürgerhaus innerhalb eines Straßenblocks. Es war von außen kaum als sakrales Gebäude zu erkennen, was zu jener Zeit für Synagogen in Preußen typisch war. Eine repräsentativere Synagoge wurde erst 1903 gebaut, mit Unter­stützung durch Kaiser Wilhelm II., der bekanntlich den Neobarock bevorzugte. Diese „Alte Synagoge“ am Wilhelmplatz, dem heutigen Platz 1 Korn, Salomon: Synagoge ’88 in: Schwarz, Hans-Peter (Hg.): Die Architektur der Synagoge. Frankfurt a. M. Deutsches Architekturmuseum: 1988. S. 344–346


NB: War das Gebäude ein Solitär? JH: Nein, auch diese Synagoge war in den Block eingefügt. Nebenan befand sich das Hauptpostamt, und vermutlich aus diesem Grund wurde die Synagoge in der Pogromnacht 1938 nicht vollkommen zerstört, sondern „nur“ mit Brandsätzen geschändet — um sie danach als Erweiterungsfläche des Telegrafenamts nutzen zu können. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das zerbombte Gebäude abgerissen und an seiner Stelle 1957 ein Wohnhaus errichtet.

Abb. 47: Neue Synagoge Dresden (2001)

NB: Die Adresse am Wilhelmplatz, der ur­sprüng­ liche Standort der Synagoge, war damit besetzt. JH: Das damalige Einfügen dieses Wohnungsbaus in die Synagogen-Baulücke ist bemerkenswert, weil man sich zu DDR-Zeiten ansonsten wenig um den Erhalt des historischen Stadt­­grund­ risses kümmerte. Als nach 1990 — vor allem durch den Zuzug aus der damaligen Sowjetunion — die Anzahl jüdischer Bürger in der Stadt anwuchs, initiierte die Landesregierung den Neubau einer Synagoge und eines jüdischen Gemeindezen­ trums. Das Neubauprojekt sollte jüdisches Leben wieder in der Stadt sichtbar machen. Matthias Platzeck, der damalige Ministerpräsident, sprach sich deutlich für einen Neubeginn aus. Die Synagoge an alter Stelle zu rekonstruieren, war deswegen auch keine Option. NB: Als Bauplatz für den Neubau wurde wiederum eine Parzelle im Block ausgewählt. JH: Das hat, wie gesagt, für diese Bauaufgabe Tradition in Potsdam. Das Grundstück Schloßstraße 1 befindet sich ebenfalls in zentraler Lage und gilt als ein — wenn auch kleiner — Baustein der Potsdamer Stadtreparatur. Die größeren Bau­ ­steine, etwa die Schlossrekonstruktion für den Brandenburgischen Landtag oder das neu er­richt­ ­ete Palais Barberini, sind inzwischen Realität geworden.

Abb. 48: Neue Synagoge Dresden, Innenraum

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NB: Wie organisiert man diesen Sakralbau in einer relativ kleinen Baulücke? der Einheit, stand bis 1954. Das Bild dieser Syna- JH: Der Typus der Stadtsynagoge war meist goge hat die Vorstellungen vieler Menschen ge- ver­tikal organisiert, und das trifft auch auf unser prägt, wie eine neue Synagoge in Potsdam auszu- Pro­jekt zu. Das umfangreiche und komplexe Raum­ programm muss gestapelt werden. Die Wett­­be­ sehen hat. werbsauslobung enthielt neben baurechtlichen 69 Beschränkungen auch viele detaillierte Vorgaben,



Zentralmoschee in Kรถln

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Abb. 51


Im Jahr 1995 beschließt der Kölner Stadtrat, für alle muslimischen Gläubigen der Stadt ein repräsentatives Gotteshaus zu er­rich­ten. Das Projekt scheitert 2001, weil es der Stadt nicht gelingt, ein ge­eignetes Grundstück zu finden; auch sind die Bedürfnisse der Moschee-Gemeinden zu unterschiedlich. Daraufhin übernimmt die DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.) die Initiative, die Moschee aus eigenen Mitteln zu errichten. Ihr gehört ein Grundstück an der Venloer Straße im Stadtteil Ehrenfeld, auf dem sich seit 1984 ein muslimisches Gemeinde­ leben etabliert hat. 2005 wird ein begrenzt offener Architektur­ wettbewerb mit 111 Teilnehmern ausgelobt, den Gottfried und Paul Böhm mit einem expressiven Kuppelbau gewinnen. Im Jahr 2007 platzt ein Bürgerbegehren der rechtsextremen „Bürgerbewegung pro Köln“ gegen die Moschee, ein Jahr später erteilt die Stadt die Baugenehmigung. Nachdem das Raum­programm und die Form der Minarette überarbeitet worden sind, findet 2009 die Grundsteinlegung statt. 2011 trennen sich die DITIB und Paul Böhm, der auch die Bauleitung innehat. Vorwürfen, er habe zahlreiche Baumängel zu verantworten, widerspricht Böhm. Die Beweissicherung verursacht 2012 einen dreijährigen Bau­ stopp am Gebetssaal. Die Fertigstellung der übrigen Gebäudeteile wird vorgezogen, sie werden ab 2014 genutzt. Selim Mercan, Bau­ingenieur und DITIB-Vorstandsmitglied, übernimmt die Bau­leitung, die Innenraumgestaltung wird durch den Archi­tekten Semih Irtes und den Kalligraphiemeister Hüseyin Kutlu realisiert. 2017 wird der Gebäudekomplex aus Moschee, Kulturund Gewerbeeinrichtungen der muslimischen Gemein­de übergeben.

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Abb. 54


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„Der Raum muss so hoch sein, dass die Seele sich öffnen kann.“ Paul Böhm (PB) im Gespräch mit Nils Ballhausen (NB), Ansgar Schulz (AS) und Benedikt Schulz (BS)

NB: Herr Böhm, als Sie begonnen haben, sich mit dem Entwurf der Zentralmoschee in Köln zu beschäftigen, hatten Sie da irgendwelche Vorbilder im Kopf? Oder hatten Sie sich vorab schon andere Moscheen angesehen? PB: Ich habe keine systematische Recherche be­ trieben. Ich wusste, dass im türkischen Raum ein anderer Typ von Moschee steht als im arabischen und afrikanischen. Ich kannte die alten maurischen Moscheen in Spanien und auch ein, zwei neu­ere Bauten in Deutschland. Ich weiß gar nicht, ob es zielführend ist, möglichst viel Vergleich­bares gesehen zu haben, bevor man zu entwerfen beginnt. Wir hatten ja ein paar Jahre zuvor in KölnVingst die Kirche St. Theodor gebaut und daraus einige Elemente für die Moschee weiterentwickelt. NB: Welche zum Beispiel? PB: St. Theodor betritt man, wie auch die Zen­tral­ moschee, über einen erhöht liegenden Vorplatz, der von der Kirche und den Gemeinderäumen ge­ bil­det wird. Der Kirchenraum ist als Rund­bau ausgeführt und wird von den umlaufenden Licht­ öffnungen zwischen Wand und Decke geprägt. Dieses Prinzip der offenen Fuge haben wir beim Entwurf der Zentralmoschee weitergeführt und zudem noch die Möglichkeit der Wölbung der Decke einbezogen.

Erhabenheit und Offenheit. Man möchte Luft zum Atmen haben. Der sakrale Raum muss eine gewisse Größe und Höhe haben, im doppelten Sinne. Die Offenheit ist wichtig, weil man bei aller Geborgenheit trotzdem den Kontakt zur Außenwelt behalten möchte.

Abb. 58

Abb. 63: Kirche St. Theodor, Köln (2001)

NB: Die Kirche ist ein Rundbau, die Moschee ein Kuppelbau. Halten Sie denn bei sakralen Räumen runde Formen für besonders Abb. 64: St. Theodor, Innenraum geeignet? PB: Runde Formen vermitteln eher ein Gefühl der Geborgenheit. Schon wenn ich das Wort „Geborgenheit“ in einer Geste ausdrücken möchte, wölbe ich dazu die Hände. Beim Beten oder Medi- NB: Daher auch die expressive Öffnung der Kuptieren möchte der Mensch sich geborgen fühlen, pel in mehrere Segmente? weil das eine intime Angelegenheit ist. Nun könn- PB: Ich war immer der Meinung, dass eine Mote man zwar meinen, dass auch ein Bunkerraum schee in Westeuropa anders aussehen muss als 88 Geborgenheit bietet, aber dafür fehlt es ihm an Moscheen in der Türkei oder in Afrika. Die Archi-


tektur der Kölner Zentralmoschee hat insofern eher etwas mit der Tradition europäischer Sakralbauten zu tun. In den Gesprächen während der Plan­ungsphase konnte ich feststellen, dass es viele ähnliche Bedürfnisse zwischen christlichen und muslimischen Gläubigen gibt, was den Zusammenhang von Raumqualität und Transzendenz betrifft. NB: Die Zentralmoschee steht in einem profanen Stadtraum an einer stark befahrenen Hauptverkehrsstraße. Wie sind Sie damit umgegangen? PB: Wir haben zunächst die städtebauliche Situation analysiert. An dem Ort hatte die Gemeinde vorher schon eine Moschee, allerdings war sie in einer ehemaligen Speditionshalle untergebracht. Dort konnten wir uns die Zusammenhänge zwischen Gebets- und Funktionsräumen ansehen. Der Standort an der Venloer Straße ist vielleicht nicht ganz so zentral wie der der Trinitatiskirche in Leipzig, aber für einen muslimischen Gebetsraum in Deutschland doch relativ innerstädtisch. Für uns stand früh fest, dass die neue Moschee in der Stadt wahrzunehmen sein soll. Wenn ein wesentlicher Teil unserer Gesellschaft sich ein Ge­ mein­schaftsgebäude baut, sollte es nicht versteckt werden. Die Moschee ist in ein Gewebe von profanen Bauten eingebettet, die sich um den Gebetsraum mit seiner skulpturalen Sonderform grup­ pier­en. Alle Bauteile stehen auf einem ge­mein­samen Sockel. Auf diesem Sockel befindet sich der Vorplatz, der uns wichtig erschien, um den Über­gang von der Stadt in eine kontemplative Stimmung zu erleichtern. Man kennt das von Moscheebauten, aber auch von christlichen Sa­ kral­bauten, die früher oft einen sogenannten Paradiesgarten hatten, der auf das einstimmen sollte, was im Gebetsraum passiert. In Köln wird diese Platzfläche über eine großzügige Freitreppe erreicht, die sich zur Stadt hin öffnet mit der Geste: Dieser Ort ist offen und wir laden euch ein, diesen Ort zu besuchen.

sellschaft ging. Dieser Bau sollte auch demons­ trieren, dass der muslimische Teil unserer Gesellschaft sich nicht absondern und abkapseln möch­te, sondern sich als ein Teil von ihr versteht und mit ihr ins Gespräch kommen möchte. BS: War diese Offenheit, die man sofort spürt, wenn man dort ist, schon in der Auslobung gefordert? Oder ist sie erst durch Ihr Projekt entstanden? PB: Der Begriff Offenheit stand nicht explizit im Auslobungstext. Unser Wettbewerbsentwurf ging zunächst auch gar nicht in diese Richtung, wir hatten sogar anfangs den Gebetsraum in der Höhe der Mantelbebauung relativ geschlossen vorgesehen. Die Öffnung des Kuppelgewölbes durch die frei stehenden Schalen ist tatsächlich erst im Laufe der Entwurfsplanung entstanden, vor allem auch in der Diskussion mit dem Bauherrn. BS: Aber kann denn der Bauherr diesen Anspruch der Offenheit auch erfüllen? In unserem Kirchenbauprojekt war das eine zentrale Frage: Ist die Gemeinde überhaupt in der Lage, das umzusetzen, was wir ihr als bauliches Angebot liefern? PB: Ich denke, der Bauherr kann sich diese Offenheit leisten. Natürlich könnte er das Gebäude auch wieder verschließen. Es liegt aber nicht nur an der Gemeinde, diese Offenheit zu erfüllen, son­ dern auch an der Mehrheitsbevölkerung, sie einzufordern. BS: Ist der Hof den ganzen Tag geöffnet? PB: Der Hof ist als urbaner Platz konzipiert und steht ganztägig offen, der Gebetsraum selbstverständlich nicht. Aber der Platz hat keine Tore, die man verschließen könnte.

BS: Theoretisch könnte dieser Platz von Leuten mit ganz unterschiedlichen Nutzungsvorstellungen in Besitz genommen werden, vielleicht auch mit solchen, die der Gemein Abb. 51, 53, 59 de nicht passen? PB: Theoretisch ja, allerdings ist es nach wie NB: Die Aufgabe war es also auch, die Offenheit vor ein privates Grundstück. Der Eigentümer wird sicher ein Auge darauf haben, was sich dort abder Gemeinde darzustellen? PB: Wieder eine Parallele zur Trinitatiskirche spielt. Unter dem Bibliotheksgebäude hatten wir in Leipzig. In unserem Kontext hatte das vielleicht ursprünglich ein Café geplant, weil wir es reizvoll eine andere, gesellschaftspolitische Dimension. fanden, wenn am Ende des Platzes Tische und Es gab zahllose Diskussionen, bei denen es um Stühle stehen, so dass man von der Treppe kom89 die Frage der Akzeptanz durch die Mehrheitsge- mend gleich sieht, dass hier ein Austausch statt-


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