IM LABYRINTH DES SCHWEIGENS

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IM LABYRINTH DES SCHWEIGENS Elisabeth Bartel und Giulio Ricciarelli

DEUTSCHE DREHBÜCHER Herausgegeben von Dorothee Schön für die Deutsche Filmakademie


IM LABYRINTH Drehbuch zu einem Kinospiefilm Idee: Elisabeth Bartel Autoren: Elisabeth Bartel / Giulio Ricciarelli

Gefördert durch: FFA FFF Bayern Hessen Invest Film DFFF

Fassung vom September 2013

Claussen+Wöbke+Putz Filmproduktion GmbH Herzog-Wilhelm-Straße 27 80331 München naked eye filmproduction GmbH Arcisstr. 68 80801 München


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EXT. GYMNASIUM / SCHULHOF / STRASSE - TAG

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Ein strahlender Sommertag. Ein großer Schulhof mit hohen Kastanien, fröhliches Kindergeschrei. Es ist Pause. Eine Gruppe Kinder singt. KINDER Kein schöner Land in dieser Zeit als hier das unsre weit und breit, wo wir uns finden wohl unter Linden zur Abendzeit. Drei Lehrer stehen am Zaun des Schulhofs, unterhalten sich und rauchen. SIMON KIRSCH, Mitte 40, ein markantes Gesicht unter dichtem grauen Haar, kommt die Straße entlang. Unter dem Arm hält er einen Blechkasten und einen Skizzenblock. Er steckt sich eine Zigarette in den Mund, sucht nach einem Feuerzeug, findet aber nichts. LEHRER SCHULZ (O.S.) He, Sportsfreund, brauchen Sie Feuer? Einer der Lehrer, OBERSTUDIENRAT SCHULZ, ein sympathischer Endvierziger, streckt Kirsch durch den Zaun ein Feuerzeug hin. Danke.

KIRSCH

Er beugt sich über die Hand und zündet seine Zigarette an. Erst jetzt bemerkt er eine eigentümliche Narbe im Gesicht von Schulz. Kirsch sieht ihn voller Entsetzen an. Skizzenblock und Blechkasten fallen scheppernd zu Boden. KINDER (singend) ...uns zu behüten, ist er bedacht. 2

INT. STAATSANWALTSCHAFT - TAG Die Frankfurter Staatsanwaltschaft. Ein Wagen voller Akten wird von einem GERICHTSDIENER durch die Gänge geschoben, vorbei an RICHTERN und STAATSANWÄLTEN, in langen Roben, die durch die Gänge eilen, zusammenstehen und sich unterhalten. Vorbei an einem Zimmer, wo kichernde SEKRETÄRINNEN gerade Stullen essen. JOHANN (V.O.) Hohes Gericht! Unser Grundgesetz hat in Artikel 2, Absatz 2 das menschliche Leben zum höchsten Rechtsgut erklärt. (MORE)

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2. JOHANN (V.O.) (CONT'D) Für die Staatsanwaltschaft steht ohne Zweifel fest, dass der Angeklagte aus niedrigen Beweggründen und mit Heimtücke gehandelt hat, Voraussetzung für §211, Mord. Der Wagen rattert weiter. Zwei POLIZISTEN bringen einen VERDÄCHTIGEN in Handschellen in ein Zimmer, aus anderen Räumen tönt das laute Klappern von Schreibmaschinen. JOHANN (V.O.) Den von der Verteidigung vorgebrachten entschuldigenden Notstand kann ich beim besten Willen nicht erkennen... 3

INT. STAATSANWALTSCHAFT / TOILETTE

- TAG

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Wir erkennen, wer spricht. Es ist Staatsanwalt JOHANN RADMANN (26). Er hat ein waches, offenes Gesicht, seine Haare sind akkurat gescheitelt. JOHANN ... daher beantragt die Staatsanwaltschaft die im Gesetz vorgesehene Höchststrafe, lebenslangen Freiheits... Erst jetzt sehen wir, dass Johann sein flammendes Plädoyer vor einem Toilettenspiegel hält. In diesem Moment wird die Tür geöffnet. Staatsanwalt OTTO HALLER, Anfang 30, schlaksig, blass und etwas überheblich tritt ein. Johann beginnt, sich ertappt die Hände zu waschen. HALLER Morgen, Radmann. Wie waren die ersten Wochen? JOHANN Aufregend. Ich mache nur Verkehrsdelikte. Haller verschwindet in einer Toilette. HALLER (O.S.) Da mussten wir alle durch. Ein, zwei Jahre, dann bekommen Sie was Anständiges zu fassen. JOHANN (zu sich) Na großartig.


3. 4

INT. BÜRO JOHANN - TAG

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Ein kahles, schäbiges Büro. Das Fenster geht auf eine graue Ziegelmauer. Johann ist in die Arbeit vertieft, als der Gerichtsdiener seinen Wagen herein schiebt. Er legt ein paar Akten auf Johanns Tisch und geht. SCHMITTCHEN, eine ältere, mütterliche Sekretärin kommt ins Zimmer und bringt Johann ein Wurstbrot. SCHMITTCHEN Bitte sehr. JOHANN Frau Schmitt, das ist wirklich nicht nötig. SCHMITTCHEN Papperlapapp, Herr Staatsanwalt, irgendeiner muss doch auf Sie aufpassen, so ein Junggeselle wie Sie. Und außerdem nennen mich hier alle Schmittchen. Johann greift nach dem Wurstbrot und lächelt. JOHANN Na gut... Schmittchen, danke. SCHMITTCHEN Ich brauche den Akt Fuchs. Johann deutet auf die Akte, die vor ihm liegt. JOHANN Da sitz ich gerade dran. SCHMITTCHEN Oberstaatsanwalt Friedberg will sich persönlich darum kümmern. Johann sieht sie verständnislos an. Schmittchen nimmt sich die Akte. SCHMITTCHEN (CONT’D) (leise, vertraulich) Ist doch der Sohn von Stadtrat Fuchs. JOHANN Warten Sie bitte. Er steht auf und nimmt sich die Akte zurück. 5

EXT. JOHANNS ZIMMER - TAG Ein karges Untermietszimmer. Im Radio laufen Nachrichten.

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4. RADIO ... und so hat der Bundestag heute beschlossen, dass ab sofort Frauen in der Bundesrepublik ihren Beruf ohne Zustimmung des Ehemanns ausüben dürfen. Und nun Caterina Valente. Es läuft “Tipitipitipso”. Johann packt ein paar Kisten aus, wippt unbewußt lässig im Takt der Musik. Er stellt ein paar Bücher (Odyssee, Illias) auf den Nachttisch. Dann langt er in die Kiste, und holt ein gerahmtes Foto heraus. Es zeigt einen Mann und den etwa 10-jährigen Johann. Auf der Rückseite steht in schöner Schrift: “Iustitia, Veritas, Humanitas! Tue stets das Richtige! Dein Vater”. Johann lächelt und legt es in eine abgewetzte Aktentasche. Von der Wand sieht ihn ein röhrender Hirsch in einem barocken Rahmen finster an. Johann blickt kurz finster zurück, nimmt das Bild ab und stellt es hinter einen Schrank. 6

INT. BÜRO JOHANN - TAG

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Johann schreibt. In diesem Moment hört er... 7

INT. STAATSANWALTSCHAFT / FOYER - TAG

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... THOMAS GNIELKA, 30, schwarzer Haarschopf, dunkle Hornbrille à la James Dean, steht im Foyer. Kirsch steht widerwillig neben ihm. Um sie herum haben sich bereits die STAATSANWÄLTE versammelt, unter ihnen auch Haller. Einige SEKRETÄRINNEN gucken neugierig, was da los ist. Johann stellt sich dazu. GNIELKA ...ein Mörder läuft frei herum, ein Mörder! Herr Kirsch hier hat den Mann erkannt. Die Staatsanwälte sind irritiert. Die Sekretärinnen sehen auf den Boden. Gnielka genießt es offensichtlich, Rabatz zu machen. GNIELKA (CONT’D) Wir waren auf drei Polizeiwachen und wollten Anzeige erstatten! Aber die machen nichts. Nichts! Kein Interesse! Haller lächelt böse. HALLER Ach, Herr Gnielka, heute wieder Märchenstunde.


5. Johann betrachtet Gnielka und Kirsch mit Interesse. OBERSTAATSANWALT WALTER FRIEDBERG, ein charismatischer Endvierziger, Jurist vom Scheitel bis zur Sohle tritt aus seinem Büro. Alle sind erleichtert, dass der Chef da ist. FRIEDBERG Guten Tag Herr Gnielka, mal wieder auf der verzweifelten Suche nach einer Story für die Rundschau? Kirsch schüttelt leicht den Kopf und will gehen, aber Gnielka lässt sich nicht unterkriegen. GNIELKA Die Story hab ich schon Herr Oberstaatsanwalt, da draußen läuft ein Mörder herum, Mitglied der Waffen-SS, war im Krieg in Auschwitz. Der arbeitet als Lehrer und unterrichtet Kinder! Interessiert Sie das? FRIEDBERG Herr Gnielka, Sie sind wirklich ein herrlicher Brausekopf. GNIELKA Natürlich, es interessiert Sie nicht! Dieses ganze Land interessiert es nicht, was die da gemacht haben! FRIEDBERG Herr Gnielka, ich beneide Sie um Ihre blühende Fantasie, aber wir haben zu tun. GNIELKA Was Sie tun sollten, ist... KIRSCH Gnielka, ich will jetzt endlich gehen, das hat doch keinen Sinn. FRIEDBERG So Herr Gnielka, wir haben keine Zeit mehr für diesen Unsinn. Ich bitte Sie, diese Behörde zu verlassen. Ein Blickwechsel entsteht zwischen Johann und Kirsch. Gnielka zieht ein Blatt aus seinem Jackett und reicht es einem der Staatsanwälte.


6. GNIELKA Alois Schulz, Unterscharführer der Waffen-SS, unterrichtet am Goethe Gymnasium Deutsch und Geschichte, interessiert es Sie? Der Staatsanwalt ist wie versteinert. Gnielka geht zu Haller. Sie?

GNIELKA (CONT’D)

Haller schüttelt abschätzig den Kopf. Gnielka geht zu Johann. Johann will das Blatt nehmen. Raus!

FRIEDBERG

GNIELKA (zu Kirsch) Komm, Simon, wir gehen, sonst muss ich speien. Gnielka lässt das Blatt theatralisch zu Boden schweben. Gnielka und Kirsch gehen. Alle schauen auf das Papier, als wäre es eine Kröte. FRIEDBERG (zu den Sekretärinnen) Werfen Sie das bitte weg. (zu allen) Meine Herrschaften, Zirkus ist beendet, an die Arbeit bitte. Alle gehen, Schmittchen wirft das Blatt in einen Papierkorb. Johann beobachtet das. FRIEDBERG (CONT’D) Herr Radmann, kommen Sie mal her. Friedberg lehnt entspannt am Fensterbrett, während Johann betreten schweigend vor ihm steht. FRIEDBERG (CONT’D) Wer entscheidet, welchen Fällen diese Behörde nachgeht? Ich verrate es Ihnen. Ich. Johann nickt. FRIEDBERG (CONT’D) Ich hatte gerade eine halbe Stunde den Stadtrat Fuchs am Telefon, weil Sie seinen Sohn zu 30 Tagessätzen verdonnert haben. So läuft der Laden hier nicht. Verstanden? Johann nickt noch einmal.


7. JOHANN Ja, Herr Oberstaatsanwalt. Friedberg will gehen. JOHANN (CONT’D) Eines noch. Sollten wir der Sache eben nicht nachgehen? Ich kann gerne... FRIEDBERG Haben Sie mich nicht verstanden? Dieser Gnielka ist ein Wirrkopf, was! Hat haufenweise Anzeigen wegen Verleumdung am Hals. Er seufzt und betrachtet Johann mit Wohlwollen. FRIEDBERG (CONT’D) Sie haben ein erstklassiges Examen, aber Schwimmen lernt man nicht im Hörsaal. Wenn Sie mal nicht weiter wissen, meine Tür steht immer offen. Friedberg klopft Johann auf die Schulter und geht. Johann will in sein Büro zurückgehen, als sein Blick auf den Papierkorb fällt. Er zögert. Dann vergewissert er sich, dass alle weg sind, nimmt Gnielkas Zettel heraus und streicht ihn sorgsam glatt. 9

INT. BÜRO JOHANN - TAG

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Johann sitzt in seinem Büro, vor sich das Papier von Gnielka. Auf seinem Schreibtisch steht jetzt das gerahmte Foto seines Vaters. INT. BÜRO SCHMITTCHEN Schmittchen arbeitet, Johann kommt betont beiläufig vorbei. JOHANN Schmittchen, wo ist eigentlich die Schulbehörde in Frankfurt. SCHMITTCHEN (automatisch) Im Römer... Sie hält inne und mustert ihn mit Adleraugen. SCHMITTCHEN (CONT’D) Ich ahne was! Und es gefällt mir nicht!


8. Johann lächelt nur und zuckt mit den Schultern. 10

EXT. FRANKFURTER RÖMER - TAG

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Johann geht die Stufen zum Rathaus hinauf. Kommt mit einer Akte wieder heraus. 11

INT. BÜRO JOHANN - TAG Johann liest die Akte, flucht. INT. TEEKÜCHE - TAG Haller und zwei Staatsanwälte trinken Kaffee, Johann kommt herein. Er hat Unterlagen dabei. HALLER... Deshalb wird die Eintracht Meister, Wer soll die stoppen? STAATSANWALT 1 Wenn der Egon gesund bleibt. JOHANN Kollegen, ich habe mir die Personalakte von diesem Schulz geholt, die Jahre 39-45 fehlen komplett. Von wem?

HALLER

JOHANN Von dem Lehrer, über den der Journalist gesprochen hat. Kurzes Schweigen. Dann werden alle wieder gutgelaunt. HALLER (lachend) Na, da ist aber einer ehrgeizig. Radmann! Das ist doch nur ein Zufall. STAATSANWALT 2 Die Amis..., die haben 45 lastwagenweise Akten gebunkert. Staatsanwalt eins geht.

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9. STAATSANWALT 2 (CONT’D) Die Entnazifizierung durch die Alliierten hat stattgefunden, aber dieser Gnielka gibt nie Ruhe, das ist ein vaterlandsloser Geselle. Es ist 1958, der Krieg ist doch 13 Jahre vorbei. HALLER (zu Johann) Lassen Sie sich nicht ins Bockshorn jagen. 13

I/E. IG FARBEN HAUS (U.S. ARMY DOCUMENT CENTER) - TAG

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Johann geht auf das riesige IG Farben Haus zu. Davor weht eine große amerikanische Flagge. GIs gehen ein und aus. Johann fährt im Paternoster. Neben ihm zwei junge GIs. 14

INT. IG FARBEN HAUS / BÜRO PARKER - TAG MAJOR PARKER der U.S. Armee sieht Johann prüfend an. PARKER I am sorry, aber das Document Center ist nicht zugänglich für jeden. JOHANN Ich... überprüfe die Vergangenheit dieses Mannes. Er ist Lehrer, er unterrichtet Kinder. Ich muss wissen, was er im Krieg gemacht hat. PARKER (zu sich) That’s a first. (zu Johann) Er war ein Nazi, Ihr ward alle Nazis. So wie in the Eastern Sector Ihr seid plötzlich alle Commies. Shit. You Germans! (lachend) Wenn morgen von Mars die kleine grune Männchen landen, seid Ihr alle kleine grune Männchen. Er wird ernst und schaut Johann kritisch an. PARKER (CONT’D) Du bist zu jung, kiddo. Aber deine Vater, der war eine Nazi.

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10. JOHANN Was? Nein, er hat die Nazis gehasst. MAJOR PARKER Sure. 45 plötzlich jeder hat geleistet große Widerstand gegen Hitler. JOHANN Ich muss wissen, was dieser Alois Schulz im Krieg gemacht hat. MAJOR PARKER Und du bist hier bei which authority? Johann zögert nur kurz JOHANN Staatsanwaltschaft Frankfurt. Johann sieht den Major entschlossen an. 15

EXT. IG FARBENHAUS / TREPPE - TAG

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Johann sitzt auf der Treppe und liest in einer Akte. Er wirkt vor dem imposanten Gebäude verloren. 16

INT. STAATSANWALTSCHAFT / SITZUNGSRAUM - TAG

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Die STAATSANWÄLTE sind für den wöchentlichen Jour Fixe um den großen Tisch versammelt. Unter ihnen ist Johann. Er ist angespannt. Friedberg setzt sich gerade. Plötzlich springen alle wieder auf. GENERALSTAATSANWALT FRITZ BAUER tritt ein. Er ist eine eindrucksvolle, kräftige Gestalt, zerfurchtes Gesicht, brillante Augen unter einer schlohweißen Mähne. Er nickt streng und setzt sich. Zeitsprung. Haller trägt gerade seinen Fall vor. HALLER ... Deshalb werde ich eine Freiheitsstrafe von drei Jahren beantragen. FRIEDBERG Gute Arbeit, Haller. Herr Generalstaatsanwalt, wenn Sie nichts mehr haben, würde ich die Sitzung beenden. BAUER Ich habe nichts mehr.


11. Alle stehen auf und wollen gehen, da meldet sich Johann. JOHANN Herr Oberstaatsanwalt? Alle Köpfe drehen sich zu ihm um. FRIEDBERG Bitte, Herr Radmann? Johann räuspert sich und fasst Mut. JOHANN Dieser Oberstudienrat Schulz... FRIEDBERG Was für ein Schulz? JOHANN Die Angelegenheit von Herrn Gnielka... Wie bitte?

FRIEDBERG

JOHANN Ich habe in der Sache recherchiert. Schulz war tatsächlich bei der Waffen-SS und in einem Lager... (Johann blättert) Auschwitz stationiert. Das hat er bei seiner Einstellung alles verschwiegen. Er dürfte gar nicht als Lehrer arbeiten. Hier, ich habe einen Bericht geschrieben. Eisiges Schweigen. Die Staatsanwälte blicken zu Friedberg, der kocht. Bauer beugt sich vor, das interessiert ihn. Friedberg sieht zu Bauer, beherrscht sich, lächelt großmütig. FRIEDBERG Lassen Sie mal sehen. Johann reicht ihm den Bericht. Friedberg blättert kurz und lächelt säuerlich. FRIEDBERG (CONT’D) Interessant, ja. Wissen Sie was, ich leite das ans Kultusministerium weiter. Meine Herren, nächsten Mittwoch, selbe Zeit. Johann nickt zufrieden. Bauer mustert ihn.


12. 17

INT. STAATSANWALTSCHAFT / TOILETTE - TAG

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Johann hat sich gerade die Hände gewaschen, als jemand die Spülung betätigt. Haller kommt ans Waschbecken. HALLER Die Seife bitte. Er wäscht sich die Hände. HALLER (CONT’D) Radmann, Radmann, Ihre Vorstellung gerade eben, so geht das nicht. Ich geb Ihnen mal einen guten Rat. Diese Behörde hat eine klare Hierarchie. Bauer ist der General, dann kommt Friedberg, der Oberst. Dann kommen die erfahrenen Staatsanwälte, das sind wir, die Hauptmänner und dann kommen Sie, der Unteroffizier. Und der Unteroffizier hält den Mund, führt Befehle aus und vor allem lehnt er sich nicht aus dem Fenster. Er geht. Johann bleibt etwas perplex zurück. 18

INT. BÜRO JOHANN - TAG

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Johann hängt seine Jacke auf, da kommt Schmittchen herein. Sie bringt eine e, neue Aktentasche mit einer roten Schleife. SCHMITTCHEN Ihre Mutter war da. Das hat sie für Sie dagelassen. Was? Wann?

JOHANN

SCHMITTCHEN Gerade eben. Sie wollte warten, aber Ihr Vater hat draußen so ungeduldig gehupt. (lachend) Wie Männer halt so sind. Johann geht ans Fenster. Mit finsterem Blick sieht er, wie seine MUTTER, eine elegante Mittfünfzigerin zu einem Opel Kapitän geht. Sie hält inne, dreht sich um, scheint ihn am Fenster zu sehen und hebt die Hand zu einem unsicheren Winken. Aber Johann reagiert nicht. Ein gutsituierter MANN steigt aus und redet auf sie ein. JOHANN Das ist nicht mein Vater.


13. Sie steigen ein und fahren los. Johann schiebt die Aktentasche achtlos in eine Schublade. 19

INT. AMTSGERICHT - TAG

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Johann läuft in Robe den Gang entlang, betritt einen Gerichtssaal und eilt an seinen Platz. AMTSRICHTER (gelangweilt) Herr Staatsanwalt Radmann, schön, dass Sie auch vorbeikommen. JOHANN Entschuldigen Sie bitte. Johann sucht in seinen Unterlagen. AMTSRICHTER Wir haben schon mal ohne Sie angefangen. Die Beschuldigte, Frau Marlene Wondrak, zeigt sich geständig, versichert aber glaubhaft, die angemessene Strafe von 50DM nicht aufbringen zu können. MARLENE Das war das Auto meiner Chefin. Die darf davon nichts erfahren und ich hab nur 30 Mark. Erst jetzt sieht Johann auf. Auf der Anklagebank sitzt kerzengerade MARLENE WONDRAK, eine ungewöhnliche Schönheit. Sie lächelt Johann bezaubernd an. Johann ist wie vom Blitz getroffen. AMTSRICHTER Herr Radmann?! Johann schreckt hoch. Bitte?

JOHANN

AMTSRICHTER Wenn die Staatsanwaltschaft nichts dagegen hat, reduzieren wir die Strafe auf 25DM. (zu Marlene, wohlwollend) Und Sie versprechen mir, sich mit Ihrem hübschen Köpfchen von nun an auf den Verkehr zu konzentrieren, wenn Sie schon unbedingt Auto fahren müssen. Johann räuspert sich.


14.

Nein. Wie bitte?

JOHANN AMTSRICHTER

Marlene steht der Mund offen. JOHANN Die Höhe des Ordnungsgeldes ist im Gesetz vorgegeben. Ich sehe keinen Grund für eine Ausnahme. Marlene blitzt Johann an. MARLENE Warum denn, ich hab doch gesagt, dass ich es nicht habe! JOHANN (entschuldigend) Das wäre nicht richtig. MARLENE Sie... Sie Paragraphenhengst, Sie Ungeheuer! Wollen Sie etwa, dass ich drei Tage ins Kittchen muss? JOHANN Nein, aber... AMTSRICHTER Tja, Herr Staatsanwalt, was machen wir nun? Johann überlegt und sieht Marlene an. Zeitsprung. Johann steht neben Marlene und gibt ihr 20 Mark. Diese kramt 30 Mark aus ihrer Geldbörse und knallt sie dem Richter auf den Tisch. AMTSRICHTER (CONT’D) Aber Kindchen, dass geht doch nicht, sie müssen... MARLENE So, Strafe bezahlt, darf ich gehen, oder muss ich trotzdem ins Gefängnis?! Sie rauscht an Johann vorbei. MARLENE (CONT’D) Und Sie, glauben Sie nicht, dass ich Ihnen dankbar bin. Das Geld bekommen Sie zurück... (MORE)


15. MARLENE (CONT’D) wenn ich es habe! (zu sich) So ein unmöglicher Mensch. Johann sieht ihr verblüfft nach. AMTRICHTER Teufel nochmal! Die hat Pfeffer. 21

I/E. AMTSGERICHT - TAG Johann läuft die Treppe hinunter. Er sieht Gnielka, der gerade einer attraktiven, jungen STENOTYPISTIN Feuer gibt. GNIELKA ... Donnerlüttchen, das hat er wirklich gesagt? STENOTYPISTIN (kichernd) Großes Pfadfinderehrenwort. JOHANN Herr Gnielka. Gnielka sieht ihn abschätzig an. JOHANN (CONT’D) Erinnern Sie sich an mich, Sie waren... GNIELKA Ich weiß, wer Sie sind. JOHANN Ich habe mich um die Sache mit diesem Schulz gekümmert. Das Kultusministerium hat ihn schon suspendiert. Gnielka lacht sarkastisch auf. GNIELKA Suspendiert? Suspendiert?! Johann bleibt ruhig. JOHANN Was werfen Sie ihm denn vor? Wen soll er denn umgebracht haben? GNIELKA Der war in Auschwitz stationiert! Wissen Sie denn nicht, was das heißt?!

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16. JOHANN Was meinen Sie? Das... war doch ein Schutzhaftlager? GNIELKA Da wurde niemand beschützt, glauben Sie mir. (zu sich murmelnd) Ich fass es nicht. (laut) Ich fass es nicht. Passen Sie auf! (zur Stenotypisten) Du Schätzchen, Auschwitz, schon mal gehört? Nein.

STENOTYPISTIN

GNIELKA (zu Johann) Das ist der Skandal. Ein JUNGER RICHTER in Robe läuft vorbei. Gnielka schnappt ihn sich. GNIELKA (CONT’D) Sagt Ihnen das Wort Auschwitz etwas? JUNGER RICHTER Nein, und ich muss weiter. Eine JUNGE FRAU kommt die Treppe hoch. Gnielka stellt sich ihr in den Weg. GNIELKA Wie alt sind Sie? 20.

JUNGE FRAU

GNIELKA Dann haben Sie noch nie von Auschwitz gehört, stimmt’s? Die junge Frau schüttelt befremdet den Kopf und geht weg. GNIELKA (CONT’D) (zu Johann) Die größte Menschheitskatastrophe gerät hier einfach in Vergessenheit! Wird einfach totgeschwiegen. JOHANN Wovon reden Sie denn?


17. GNIELKA Dass ein deutscher Staatsanwalt nicht weiß, was in Auschwitz passiert ist, das ist eine Schande! Er geht und dreht sich noch einmal um. GNIELKA (CONT’D) Und wenn dieser Schulz suspendiert wurde, fress ich meinen Hut. Er lässt Johann stehen. 22

EXT. STRASSE FRANKFURT - TAG

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Johann knattert auf seinem Roller eine Strasse entlang. Hält an, entfaltet einen Stadtplan, orientiert sich, fährt dann weiter. 23

INT. GYMNASIUM - TAG

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Johann geht einen leeren Gang entlang. Er kommt an eine Tür, auf einem kleinen Schild: Klasse 6b, Oberstudienrat A. Schulz. Johann öffnet die Tür einen Spalt. Alois Schulz unterrichtet freundlich und souverän eine Klasse Elfjähriger. Er entdeckt Johann. Ja, bitte?

SCHULZ

Johann schließt die Tür, er ist perplex. 24

EXT. VOR DER STAATSANWALTSCHAFT - TAG

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Friedberg und Haller kommen die Treppe herunter, als Johann von seinem Roller steigt. JOHANN Herr Oberstaatsanwalt, könnte ich Sie kurz sprechen? FRIEDBERG Herrlich. So’n Ding bin ich früher auch gefahren. Was gibt es denn? JOHANN Herr Schulz unterrichtet immer noch. Ich war am Goethe-Gymnasium. FRIEDBERG (amüsiert) Sie waren am Gymnasium? Donnerwetter. (zu Haller) (MORE)


18. FRIEDBERG (CONT'D) Das ist Einsatz. (zu Johann) Naja, es herrschte einfach akuter Lehrermangel. Das ist eine Entscheidung des Kultusministeriums. Das fällt nicht in meinen Kompetenzbereich. Und schon gar nicht in Ihren. JOHANN Aber Schulz war im Lager Auschwitz stationiert. Dort müssen... FRIEDBERG Alle hatten solche Lager, die Amis, die Russen... war selbst ein Jahr bei den Franzosen. Verraten Sie mich nicht, aber die kochen besser als meine Frau. Friedberg geht. HALLER (leise) Mich hat man nach dem Krieg mal gezwungen, so einen Film anzusehen, alles übelste Propaganda. Die Sieger dürfen herumlaufen und Geschichten erfinden... Aber so ist das nun mal wenn man den Krieg verloren hat. Warum wollen Sie da jetzt herumwühlen? Er geht. Johann sieht ihm nachdenklich hinterher und steigt wieder auf seinen Roller und fährt los. 25

INT. BIBLIOTHEK - TAG

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Eine junge BIBLIOTHEKARIN blättert rasend schnell durch einen Karteikasten. Johann sieht sie erwartungsvoll an. BIBLIOTHEKARIN (fröhlich) Reiseführer für Polen haben wir nicht, aber da fährt ja auch kein Mensch hin. Sonst haben wir zu diesem... Auschwitz.

JOHANN

BIBLIOTHEKARIN Ja genau, diesem Auschwitz, da haben wir zwei Bücher. Das eine... ist vergriffen. Das andere... müsste in Kassel sein. Soll ich es bestellen?


19.

Ja bitte.

JOHANN

BIBLIOTHEKARIN Dauert ungefähr acht bis zehn Wochen. JOHANN Irgendetwas müssen Sie doch haben! BIBLIOTHEKARIN Gut. Ich schau nochmal nach. Zeitsprung Die Bibliothekarin kehrt mit einem kleinen, schmalen Buch zurück. BIBLIOTHEKARIN (CONT’D) Hier, ich habe etwas gefunden. Ist letztes Jahr aus dem Polnischen übersetzt worden. Danke.

JOHANN

Er sieht auf den Titel: “Kommandant in Auschwitz” 26

I/E. GANG STAATSANWALTSCHAFT - TAG

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Johann geht den Gang entlang, als ihm ein gut gelaunter Gnielka entgegenkommt. Tachchen.

GNIELKA

JOHANN Sie hatten recht. GNIELKA Was meinen Sie? JOHANN Der Lehrer. Er unterrichtet immer noch. GNIELKA Tja, da kann man wohl nichts machen. Er zwinkert Johann zu und läuft pfeifend weiter. Johann sieht ihm verwundert nach. Schmittchen kommt ihm entgegen.


20. SCHMITTCHEN Der Reporter war da, er hat ihn Ihrem Zimmer auf Sie gewartet, aber jetzt ist er weg. Das ist ja ein lustiger Vogel. Ja. 27

JOHANN

INT. JOHANNS ZIMMER - NACHT

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Johanns sitzt auf seinem Bett und liest das Buch im funzeligen Licht seiner Nachttischlampe. Zeitsprung Der Morgen graut, Johann liest die letzte Seite und klappt das Buch zu, er ist hellwach. Er macht die Nachttischlampe aus und starrt an die Decke. Über seinem Gesicht liegt ein dunkler Schatten. 28

INT. VOR DER STAATSANWALTSCHAFT - TAG

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Johann geht die Treppen hoch. Zwei STAATSANWÄLTE in Robe kommen an ihm vorbei, sehen ihn an und tuscheln. 29

INT. TEEKÜCHE - TAG

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Haller liest gerade zwei Staatsanwälten aus der Frankfurter Rundschau vor. Johann bleibt unbemerkt im Türrahmen stehen. HALLER (süffisant) Der junge engagierte Staatsanwalt Johann Radmann untersucht die Vergangenheit von Oberstudienrat Schulz etc. Kultusministerium wurde bereits am 25.3. informiert... ignoriert seit sechs Wochen die Mitgliedschaft in der Waffen-SS etc. Unerhörter Skandal etc. Johann ist bleich geworden. Da entdecken sie ihn und applaudieren spöttisch. HALLER (CONT’D) Junge, Junge, ich habe Sie ja gewarnt. In Ihrer Haut möchte ich jetzt nicht stecken. Schmittchen kommt herein. SCHMITTCHEN (ernst) Der General will sie sprechen.


21. Johann will gehen, wendet sich nochmal an Haller und die Staatsanwälte. JOHANN Dieses Lager Auschwitz... Herr Gnielka hatte völlig recht. 30

INT. BÜRO BAUER - TAG

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An den Wänden einige abstrakte Gemälde. Überall stapeln sich Bücher, Akten und Unterlagen. Bauer sitzt hinter seinem großen Schreibtisch, vor ihm liegt die Frankfurter Rundschau. Johann steht wie ein Schulbub vor ihm. BAUER (scharf) In dem Artikel stehen Interna! Haben Sie die weitergegeben? Nein.

JOHANN

Bauer sieht ihn lange streng an, schließlich nickt er. BAUER Gut, ich glaube Ihnen. JOHANN Ich verstehe nicht, warum das Kultusministerium nichts unternommen hat. BAUER (heftig) Sie sind wirklich von einer grenzenlosen Naivität. Glauben Sie nach dem Tod von Hitler haben sich alle Nazis in Luft aufgelöst? Ich kann Ihnen versichern, das haben sie nicht getan. Bauer steht auf und geht ans Fenster. BAUER (CONT’D) (leise) Das haben sie nicht getan. Johann steht ratlos vor ihm. JOHANN Dass so ein Mann Kinder unterrichtet, das darf einfach nicht sein.


22. BAUER Herr Kollege! Was wir tun müssten, wäre diesen Mann vor Gericht zu stellen. Aber in diesem Lager Dienst getan zu haben ist vor unserem Gesetz kein Verbrechen. Beschämenderweise! Und alle Straftaten wären seit drei Jahren verjährt, außer Mord. Und haben wir einen ? Haben wir eine konkrete Tat, ein konkretes Opfer? Johann steht ratlos vor ihm. BAUER (CONT’D) Machen Sie die Augen auf, der Staatsdienst ist voll von Nazis, von großen und von kleinen. Die haben alle nichts mehr zu befürchten. Bauer stellt sich zu Johann und bietet ihm eine Zigarette an. BAUER (CONT’D) Sie haben natürlich Recht mir Ihrer Empörung. Bauer gibt sich und Johann Feuer. Er lächelt grimmig. BAUER (CONT’D) Bewahren Sie sich diese Kampfeslust. Auch wenn man sich damit in dieser Behörde einsam macht. 31

INT. BÜRO JOHANN - TAG

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Johann geht zu seinem Schreibtisch und nimmt die Aktenmappe Schulz. Er öffnet sie. Statt der Unterlagen liegt darin eine Ausgabe der Frankfurter Rundschau. Johann flucht leise und läuft aus dem Zimmer. 32

EXT. VOR DER REDAKTION FRANKFURTER RUNDSCHAU - ABEND

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Ein Zeitungsjunge hält die Rundschau hoch. ZEITUNGSJUNGE Abendausgabe! Chruschtschow erneuert Ultimatum. Mahnwachen zum dreizehnten Jahrestag von Hiroshima. Chruschtschow erneuert Ultimatum. Johann läuft aus dem Gebäude und springt auf seinen Roller.


23. INT. AMTSGERICHT - TAG Johann läuft suchend durch das Gebäude. Da entdeckt er Gnielka der gerade mit einem anderen Reporter einen Mann interviewt. GNIELKA ...danke für das Gespräch Johann stürzt auf ihn zu. JOHANN Sind Sie verrückt geworden? GNIELKA Der Artikel war’n Volltreffer, was? JOHANN Die Entwendung der Akte ist Diebstahl. Das gibt eine Anzeige! GNIELKA Oh, jetzt fürcht ich mich aber. JOHANN Sie hätten mich fast meine Stellung gekostet! Sie sollten sich was schämen. Gnielka wird ernst. GNIELKA Schämen würde ich mich, wenn ich so eine Geschichte nicht an die Öffentlichkeit bringen würde. Das nimmt Johann den Wind aus den Segeln. Plötzlich bricht es aus ihm heraus. JOHANN Ich versteh das nicht... Ich habe über dieses Lager Sachen gelesen. Wie kann man so etwas geheim halten? GNIELKA Wie? Das ist ganz einfach. Weil alle das getan haben, was Schulz getan hat. Sie sind nach Hause gekommen, haben die Uniform aufgehängt, weiter gemacht, als wäre nie was gewesen und den Mund gehalten. Und zu Hause fragt keiner, weil es keiner wissen will. So einfach ist das. Johann ist still.


24. GNIELKA (CONT’D) Haben Sie heute Abend Zeit? Ja.

JOHANN

Er kritzelt etwas auf einen Zettel und gibt ihn Johann. GNIELKA Hören Sie, es tut mir leid. Aber als Reporter geht man manchmal krumme Wege. Schwamm drüber. Kommen Sie vorbei. Es gibt hübsche Mädchen, Würstchen und Bier. Nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. 33

I/E. GNIELKAS HAUS - ABEND

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Johann kommt zu einem kleinen Haus mit einem verwilderten Garten. Alle Türen und Fenster sind offen, eine Party ist in vollem Gange. Johann geht durchs Gartentor. Er hat Blumen dabei und betritt das Haus. Es ist voller Gäste - Intellektuelle, Künstler, Beatniks die Luft hängt voller Rauchschwaden. Aus dem Wohnzimmer dringt laute Jazzmusik. Johann bahnt sich einen Weg durch die Menge, mit seinen Blumen wirkt er deplaziert. Er steckt sie schnell in eine Vase auf einer Anrichte. Eine Frau, INGE schnappt sich die Vase. INGE Typisch Mann, die brauchen doch Wasser. Hallo, ich bin Inge. Da hinten ist das Bier. Jeder sorgt hier für sich selbst. Danke.

JOHANN

Er will zum Bier, als er plötzlich wie angewurzelt stehen bleibt. Er hat Marlene Wondrak, die Frau aus dem Gericht, unter den Gästen entdeckt. Sie tanzt zusammen mit CONNY, einer üppigen Blondine, ausgelassen auf einem Tisch. Ein kleines Trio spielt auf: Kirsch haut schweißgebadet in die Tasten eines alten Klaviers, zwei FREUNDE an Saxophon und Kontrabass. Unter den anfeuernden Rufen der Gäste wird der Tanz immer wilder. Kirsch springt auf und gibt alles. Er hat eine manische Intensität. Johann starrt gebannt auf das Geschehen. Er kann seinen Blick nicht von Marlene lassen. Sie tanzt selbstvergessen. Plötzlich steht Gnielka neben ihm und reicht ihm ein Bier.


25. GNIELKA Prost! Die hat Format, was. Komm, ich stell dich vor. JOHANN Äh... das kann ich selber machen. Das Stück geht gerade unter Applaus zu Ende. Johann will gehen, da zieht Gnielka ihn in die Mitte des Raums und legt den Arm um ihn. GNIELKA Meine Damen und Herren, Freunde und Mitstreiter. Ich habe hier ein seltenes Exemplar aufgetan. Ein Jurist, in dessen gepanzerter Brust das zarte Flämmchen der Menschlichkeit noch nicht völlig erloschen ist... Marlene erkennt Johann. Ihre Augen funkeln. Johann würde am liebsten im Boden versinken. KIRSCH Gnielka, du bist doch ein Dichter! Gelächter. Johann ist rot angelaufen. GNIELKA Ich bitte Euch daher, tut alles, damit er sich in unserem anarchischen Kreise wohlfühlt und nährt dieses Flämmchen, auf dass es irgendwann ein loderndes Feuer wird. KIRSCH Zwo, drei, vier... Das Trio spielt weiter. Conny läuft auf Gnielka zu und zerrt ihn auf die Tanzfläche. Inge tanzt mit einem Beatnik. Johann will sich vor Marlene verstecken und verdrückt sich in eine Ecke des Buffets. Er gießt sich den letzten Rest Bowle ein, als ihm jemand das Glas aus der Hand nimmt. Johann dreht sich um. Marlenes Augen blitzen ihn frech an. Sie leert das Glas in einem Zug. MARLENE Das war jetzt Diebstahl, oder? Wollen Sie mich gleich verhaften? Johann ist einen Moment baff. Dann betrachtet er sie streng. JOHANN Mundraub. Ich stecke Sie für sechs Wochen ins Gefängnis.


26. MARLENE Sie Schuft! Sind Sie immer so? JOHANN Finden Sie’s heraus. MARLENE Hm, ich glaube nicht. Sie lockert seine Krawatte. MARLENE (CONT’D) Sie kriegen ja gar keine Luft. Marlene tänzelt davon. Johann sieht ihr versonnen nach. SPÄTER: Kirsch und Gnielka stehen in einer Ecke. Gnielka kramt in seiner Hosentasche und steckt Kirsch einen Schein zu. GNIELKA Simon, was ist mit dem Antrag? Kirsch zuckt mit den Achseln. GNIELKA (CONT’D) Mensch Simon, gib denen doch einfach, was sie wollen. KIRSCH Ich lass mich nicht von denen erniedrigen. Ich bin doch kein Bettler. GNIELKA (seufzend) Dann mach ich es. KIRSCH Nein, das will ich nicht. Conny kommt vorbei und zieht Kirsch mit sich. Inge zerrt Gnielka auf die Tanzfläche. CONNY Simon, wir brauchen Musik. Das Trio spielt einen Blues. Mehrere Pärchen tanzen eng umschlungen. Johann sieht zu Marlene, ihre Blicke treffen sich. Sie lächelt leicht und geht langsam auf ihn zu. Sie nimmt Johann an der Hand, zieht ihn auf die Tanzfläche und legt seine Arme um ihren Hals. Johann weiß nicht wie ihm geschieht. Marlene schmiegt sich an ihn. Johann schließt die Augen. Zeitsprung.


27. Die meisten Gäste sind gegangen. Kirsch schläft betrunken in einer Ecke, Gnielka und Johann sitzen auf dem Sofa. Gnielka trinkt Bier, seine Frau Inge kommt aus der Küche. INGE Thomas, irgendjemand muss Simon nach Hause bringen. GNIELKA (mit schwerer Zunge) Ich fahr ihn. INGE Du hast getrunken. JOHANN Ich kann fahren. 34

I/E. STRASSE FRANKFURT / GNIELKAS BORGWARD - NACHT Johann fährt. Die Fenster sind offen. Der Fahrtwind macht Gnielka langsam wieder nüchtern. GNIELKA Nette Leute, was? JOHANN Ja, ganz nett. GNIELKA Ha, habe ich gleich gesehen! Johann wird etwas rot. JOHANN Was meinen Sie? GNIELKA Sie ist ein Feger, ein dufte Biene, eine Schnecke, eine Zuckerpuppe!!! Und Marlene mag dich, Herr Radmann. Gnielka klopft Johann begeistert auf die Schenkel. Johann muss lachen. Sie fahren. Auf dem Rücksitz schnarcht Kirsch polternd auf. Johann dreht sich um und betrachtet ihn. JOHANN Er war wirklich dort... inhaftiert? GNIELKA Ja, das war er, aber er spricht nie darüber... Simon ist so ein sturer Hund. Er hat ein Anrecht auf Wiedergutmachungsgeld, aber er schafft es nicht diesen vermaledeiten Antrag zu stellen.

34


28. Johann dreht sich um und betrachtet Kirsch. 35

INT. ATELIER KIRSCH / SCHLAFZIMMER - NACHT

35

Ein kleines Atelier unterm Dach. Überall expressionistische Bilder. Johann und Gnielka legen Kirsch im Schlafzimmer vorsichtig auf sein Bett. Gnielka zieht ihm die Schuhe aus, Johann die Jacke, dabei kommt die eintätowierte Nummer auf Kirschs linkem Arm zum Vorschein. 36

INT. ATELIER KIRSCH / WOHNZIMMER - NACHT Während Gnielka in der Küche kramt, betrachtet Johann ein großes, eindrucksvolles Triptychon, welches den Raum dominiert. Wir sehen das Bild nicht, nur Johanns Reaktion. Gnielka hat eine Flasche Korn gefunden und gießt ein. GNIELKA “Der Todesengel”. Das ist das erste Bild, das er nach Auschwitz gemalt hat. Sie trinken. Gnielka steht auf. GNIELKA (CONT’D) So. Dieser verflixte Antrag. Diese Idioten wollen einen Nachweis, dass er in Auschwitz war. JOHANN Kann ich etwas tun? Gnielka fängt an in einem Schrank zu wühlen. GNIELKA Hier ist nichts. Na los, helfen Sie mit. Johann steht etwas verloren im Raum. Gnielka sieht sich genervt um, sein Blick fällt auf ein großes Regal mit Leinwänden. Ganz oben liegt ein abgewetzter Lederkoffer. GNIELKA (CONT’D) Da oben der Koffer, holen Sie den mal runter. JOHANN Ja aber ich kann doch nicht... Gnielka ist schon auf einen Stuhl geklettert und gibt Johann den Koffer. Er legt ihn auf den Tisch. Gnielka will ihn mit einem großen Malerspachtel aufstemmen, Johann schüttelt den Kopf.

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29. JOHANN (CONT’D) Lassen Sie mich mal. Johann gelingt es, das Schloss zu öffnen. Der Koffer ist voller Briefe und Fotografien. GNIELKA Volltreffer. Er beginnt die Unterlagen durchzusehen. Plötzlich kommt Kirsch herein. Er reibt sich die Augen. Als er Johann und Gnielka mit dem Koffer sieht, erstarrt er, sein Gesicht ist weiß vor Wut. KIRSCH Was macht Ihr da? GNIELKA Wir helfen dir. Kirsch stürzt sich auf den Koffer, will ihn zuklappen, dabei fällt die Hälfte heraus. KIRSCH Was erlaubst du dir? Johann hebt die Sachen vom Boden auf. Simon...

GNIELKA

KIRSCH Ich will deine Hilfe nicht. Du hast kein Recht, in meinen Sachen herumzuwühlen. Johann hat ein Packen Blätter in der Hand, die er aufmerksam liest. Kirsch hat Gnielka am Kragen gepackt, dann schiebt er die beiden zur Tür. KIRSCH (CONT’D) Raus! Raus! Er knallt die Tür zu. GNIELKA Ich sag ja, das ist ein sturer Hund. JOHANN Vielleicht ist hier was dabei. Er holt die Blätter aus seinem Jackett. Gnielka mustert ihn amüsiert. GNIELKA Haben Sie ja doch was gelernt.


30. JOHANN Die bring ich natürlich zurück. 37

EXT. VOR HAUS KIRSCH - NACHT

37

Sie sitzen auf einem Mäuerchen und gehen die Blätter durch. GNIELKA Nichts... auch nichts... nein. Johann hat etwas entdeckt. JOHANN Hier, da ist ein Briefkopf: Konzentrationslager Auschwitz. Gnielka liest. Lacht bitter. Gibt das Blatt Johann. GNIELKA Schauen Sie sich das mal an. Was?

JOHANN

(liest) “Auf der Flucht erschossen”? Und? GNIELKA “Auf der Flucht erschossen”. Das... das war eine Umschreibung für Mord. Und hier haben sie die Namen der Mörder aufgeschrieben. Ordnung muss sein. Hilft Simon aber nicht weiter. Ich gehe da morgen selber aufs Amt und regle das. Kommen Sie, ich fahr Sie heim. Johann überlegt kurz, was er mit der Liste machen soll, dann steckt er sie ein. 38

INT. STRASSE FRANKFURT / GNIELKAS BORGWARD - NACHT Johann ist tief in Gedanken versunken. Gnielka fährt zu schnell. GNIELKA Dieses Land... Er haut auf das Armaturenbrett. GNIELKA (CONT’D) Eine verdammte Schande ist das! Er hält an. GNIELKA (CONT’D) So, hier ist es, oder.

38


31. Johann nickt immer noch in Gedanken. JOHANN Drehen Sie um. GNIELKA (hoffnungsfroh) Was machen wir, einen Absacker trinken? Nein. 39

JOHANN

INT. WOHNUNG BAUER - MORGENGRAUEN

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Johann und Gnielka stehen vor einer Tür. Bauer, in Pyjama und Morgenmantel, verschlafen, sieht sie grimmig an. JOHANN Entschuldigen Sie bitte die Störung, aber ich glaube es ist wichtig. Kommandatur Konzentrationslager Auschwitz steht auf einem Blatt, darunter eine Liste mit Namen. JOHANN (O.S.) (CONT’D) Das sind offizielle Listen von der Lagerleitung Auschwitz. Hier, die Namen von fünfzehn SSMännern, die in Auschwitz Häftlinge erschossen haben! Sehen Sie: Schmidt, Knaus, Milde usw. Das wollten Sie doch, das sind doch Beweise, oder? BAUER Kommen Sie rein. Er mustert sie kritisch. BAUER (CONT’D) Kaffee oder Whiskey? 40

INT. WOHNUNG BAUER - MORGEN

40

Bücher, Dokumente bis an die Decke, klassische 50er Jahre Einrichtung. Bauer blättert die Papiere nachdenklich durch. Drei Gläser mit Whiskey stehen auf dem Couchtisch. Johann und Gnielka sehen ihn erwartungsvoll an. BAUER Woher haben Sie das? Johann zögert.


32. GNIELKA Von einem Auschwitzüberlebenden. Bauer denkt nach, dann sieht er Johann und Gnielka an. BAUER Gut. Das ist ein Anfang. Wie? Was?

GNIELKA JOHANN

BAUER Das sind konkrete Straftatbestände. Täter, Tat, Opfer und Tatzeit. Damit kann die Staatsanwaltschaft tätig werden... JOHANN (aufgeregt) Heißt das, es wird gegen diese Männer ermittelt? GNIELKA Was gibt’s da zu ermitteln, das ist doch alles Korinthenkackerei. Hier stehen doch die Namen, schwarz auf weiß. Das sind Mörder! Die gehören sofort alle hinter Gitter. BAUER Herr Gnielka, Seien Sie nicht töricht. Johann nimmt seinen ganzen Mut zusammen. JOHANN Herr Generalstaatsanwalt, wenn es möglich wäre, wäre ich gerne dabei. Ich meine bei den Ermittlungen. Bauer sieht Johann lange an. BAUER Herr Radmann, Sie werden nicht mithelfen... (mit leisem Lächeln) Sie werden diese Ermittlungen leiten. Johann ist für einen Moment sprachlos.


33. BAUER (CONT’D) (zu Gnielka) Und keine Artikel mehr. Gnielka will protestieren. BAUER (CONT’D) Erstmal, oder wollen Sie die Täter warnen? GNIELKA Dann will ich dabei sein, bei allem. JOHANN Herr Gnielka hat die Sache ins Rollen gebracht, da... Bauer sieht Gnielka prüfend an. BAUER Gut, abgemacht. Abgemacht.

GNIELKA

Bauer hebt das Glas, er ist erregt. Sie stoßen an. BAUER Meine Herren, wenn uns das gelingt... Sollten wir es am Ende schaffen... diese Männer in Deutschland anzuklagen, das wäre... außerordentlich. Er hält kurz inne. BAUER (CONT’D) Und wissen Sie was, wir werden alles, was mit Auschwitz zu tun hat, bündeln: Ein großer Prozess! Dann kann dieses Land nicht mehr wegsehen. Die drei sehen sich an. 41

I/E. STAATSANWALTSCHAFT - TAG Johann läuft mit Elan die Stufen zur Staatsanwaltschaft hoch. JOHANN (ruft laut) Schmittchen! Schmittchen kommt aufgeregt herbeigelaufen.

41


34. 42

INT. BÜRO JOHANN - TAG

42

SCHMITTCHEN Was ist denn? Johann drückt Schmittchen all seine Akten in die Hand. JOHANN Schmittchen, ab heute keine Verkehrsdelikte mehr, ein neues Leben beginnt! Zeitsprung. Johann sitzt vor der Liste, daneben ein leeres Blatt und ein Stift. Er weiß nicht, wie er anfangen soll. Er wirft einen kurzen Blick auf das Foto seines Vaters. Zeitsprung. Stunden später. Auf Johanns Block steht mittlerweile: Wohnorte?? Noch am Leben?? INT. TREPPENHAUS ATELIER KIRSCH - TAG Johann geht ein altes Treppenhaus hoch. INT. ATELIER KIRSCH - TAG Johann klopft und Kirsch macht auf. Ja?

KIRSCH

JOHANN Ich muss Sie sprechen. Zeitsprung. Kirsch hämmert einen Bilderrahmen zusammen und bespannt ihn mit Leinwand. KIRSCH Ich verstehe nicht, was sie wollen. JOHANN Als wir bei Ihnen waren, haben wir ein paar Unterlagen mitgenommen, für den Antrag. KIRSCH Verdammt noch mal, ich hab Gnielka doch gesagt, dass er sich nicht einmischen soll.


35. JOHANN Herr Kirsch, bitte, Sie verstehen nicht, es geht nicht um den Antrag... Da war eine Liste dabei. Ich muss wissen, woher Sie die haben. KIRSCH War die aus meinem Koffer? Keine Ahnung. Nach der Befreiung war Chaos, jeder hat mitgenommen, was er kriegen konnte. Warum müssen Sie das wissen? JOHANN Herr Kirsch, ich untersuche die Verbrechen in Auschwitz. Sie waren dort. Haben Sie Straftaten beobachtet? Während Ihrem Aufenthalt im Lager? KIRSCH (schüttelt leicht den Kopf) Aufenthalt... JOHANN Dieser Schulz, was hat er getan? Kirsch bastelt an seinem Rahmen. Er zuckt die Schultern. KIRSCH Er war Aufseher. Aber...

JOHANN

KIRSCH Nichts aber. Ein Schwein war er, ein ganz gewöhnliches SS-Schwein. JOHANN Aber... haben Sie gesehen wie er... jemanden umgebracht hat? Kirsch klemmt sich ein paar Nägel in den Mund und schüttelt den Kopf. JOHANN (CONT’D) Sie müssen trotzdem eine Aussage machen. Kirsch hämmert weiter. Bitte.

JOHANN (CONT’D)


36. KIRSCH Und wozu? Schauen Sie sich doch um. Diese Petticoats, pack die Badehose ein, schweinchenrosa, babyblau, dieses Land will Zuckerguss, es will die Wahrheit nicht wissen! Bitte... Ich muss arbeiten. Johann sieht ihn an, aber Kirsch ist ganz in seine Arbeit vertieft. Schließlich geht er. 43

INT. BÜRO JOHANN - TAG

43

Johann telefoniert. JOHANN ...nein, ich brauche die Adressen der Überlebenden... das sind wichtige Zeugen. Sie zahlen ihnen doch Wiedergutmachungsgeld, da werden Sie ja die Adressen haben... Nein, dann holen wir sie selber ab. Johann legt auf. JOHANN (CONT’D) Schmittchen, zum Diktat! Schmittchen kommt herein, sie hat einen Stenoblock dabei. JOHANN (CONT’D) Die Überlebenden von Auschwitz haben eine Vereinigung gebildet. Sie wird geleitet von einem Hermann Langbein. Bitte schreiben Sie: Sehr geehrter Herr Langbein... 44

INT. JOHANNS ZIMMER - MORGEN

44

Die Sonne scheint ins Zimmer. Johann sitzt gut gelaunt beim Frühstück. Er klopft pfeifend sein Frühstücksei auf. 45

EXT. VOR DER STAATSANWALTSCHAFT - MORGEN Friedberg, Haller und zwei Staatsanwälte stehen zusammen und lachen. Johann kommt die Treppe hoch. HALLER Kollege Radmann, ich bin entsetzt! Wer soll sich den jetzt um die Falschparker kümmern?

45


37. Gelächter. Johann ist irritiert stehen geblieben. Friedberg dreht sich zu ihm um und entdeckt ihn. Er sieht ihn ernst an und schüttelt mitleidig den Kopf. Johann geht. 46

INT. BÜRO JOHANN - TAG

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Johann geht wartend auf und ab. HERMANN LANGBEIN, ein schlanker Mittvierziger mit Glatze, klopft an die offene Tür und tritt ein. JOHANN Herr Langbein, danke fürs Kommen.

Ja.

LANGBEIN (etwas mürrisch)

JOHANN Wo ist der Zeuge? Jetzt erst merkt Langbein, dass er alleine ist. LANGBEIN (ruft in den Gang) Herr Bichinsky! So kommen Sie doch. JOSEPH BICHINSKY tritt ein, ein dunkler, intensiver Mann, der ein tiefes Misstrauen ausstrahlt, sein Gesicht ist voller Narben, er trägt eine Augenklappe. Johann betrachtet ihn. 47

INT. BÜRO SCHMITTCHEN - TAG

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Johann steckt aufgeregt den Kopf zu Tür herein. JOHANN Schmittchen, unser erster Zeuge! 48

INT. VERHÖRZIMMER - TAG

48

Josef Bichinsky sitzt kerzengerade an einem Tisch und sieht Johann mit durchdringendem Blick an. Neben ihm Langbein. Sein Seitlich sitzt Schmittchen, einen Stenoblock auf den Knien. Parallel läuft ein Tonbandgerät. Johann sieht Bichinsky an, nickt. Er sucht die richtigen Worte. JOHANN Herr Bichinsky, Sie waren 2 Jahre im Lager Auschwitz interniert. BICHINSKY (gebrochen) Ja, war dort von August 43 bis uns befreit die Russen, Januar 45.


38. Johann legt ihm Kirschs Liste vor. In diesem Moment klopft es und Bauer tritt herein. Johann springt auf. BAUER (zum Zeugen) Herr Bichinsky, Bauer. (zu Langbein) Guten Tag Herr Langbein. Machen sie einfach weiter. Johann nickt, setzt sich und zeigt auf die Liste. JOHANN Sagen Ihnen die Namen auf dieser Liste etwas? Herr Bichinsky liest die Namen aufmerksam. Nein, nix.

BICHINSKY

JOHANN Kein einziger, sind Sie sicher? Sicher.

BICHINSKY

Johann lehnt sich ernüchtert zurück. JOHANN Wir haben Grund anzunehmen, dass im Lager Verbrechen begangen wurden. Können Sie das bezeugen? Bichinsky lächelt ungläubig. BICHINSKY Ja, kann ich. Da wurden umgebracht Hundertausende. Johann ist konsterniert, blickt kurz zu Bauer, der unbeweglich zusieht, fängt sich wieder. JOHANN Ja... Wir brauchen, wenn möglich, die Namen der Opfer. Bichinsky sucht nach Worten, sieht zu Langbein. BICHINSKY (schnell und scharf) Polnisch... LANGBEIN Haben Sie nicht gehört, Hunderttausende! Das war eine Fabrik. Wie soll ich da die Namen wissen?


39. Johann überlegt. JOHANN Gut, dann schreiben wir erstmal Opfer unbekannt. BICHINSKY (ruhig, sehr gebrochen) Meine Frau und mein Sohn dort ermordet. Johann ist erschrocken. Langbein ist genervt. JOHANN Das tut mir leid... Können Sie mir sagen, an welchem Tag das passiert ist? BICHINSKY SS hat uns nix gegeben Kalender... (schnell zu Langbein) Polnisch LANGBEIN Was glauben Sie eigentlich, was Auschwitz war? Ein kleines Ferienlager am See? Herr Bauer, was für ein Grünschnabel ist das denn? Bauer schüttelt leicht den Kopf, Johann steht auf. JOHANN (zu Bauer) Könnte ich Sie kurz draußen sprechen. (zu Bichinsky und Langbein) Wollen Sie einen Kaffee? Schmittchen, bringen Sie den Herren bitte einen Kaffee, wir sind gleich wieder da. 49

INT. VOR DEM VERHÖRZIMMER - TAG

49

Bauer und Johann lehnen am Fenster, Schmittchen geht, um Kaffee zu holen. Die Tür zum Verhörzimmer ist halb geöffnet, Johann und Bauer sprechen leise. JOHANN Wir können uns nicht auf diese Liste beschränken... BAUER Das habe ich gesehen. Johann stutzt für einen Moment.


40. JOHANN Aber ich will ihn nicht wieder nach Hause schicken. BAUER Was schlagen Sie vor? Johann holt tief Luft. JOHANN Ich sattle das Pferd von hinten auf. Ich frage Bichinsky, was er gesehen hat, konkrete Taten..., Taten die er bezeugen kann. Bauer nickt. BAUER Damit sind alle SS-Männer, die in Auschwitz gedient haben, Tatverdächtige. Alle. JOHANN Ja, das ist mir klar. Ich will wissen, was dort passiert ist. Schmittchen kommt mit Kaffee, Johann nickt ihr zu, wir machen weiter. Er will Bauer den Vortritt lassen, aber der schüttelt den Kopf. BAUER Nur zu. Das schaffen Sie. Johann ist überrascht, nickt, geht ins Zimmer... BAUER (CONT’D) Herr Radmann... Johann dreht sich um. BAUER (CONT’D) Das ist ein Labyrinth. Verlieren Sie sich nicht. Johann geht ins Zimmer. 50

INT. VERHÖRZIMMER - TAG

50

Bichinsky und Langbein sitzen vor einer Tasse Kaffee Johann setzt sich. JOHANN Herr Bichinsky, erzählen Sie mir alles, was Sie erlebt haben. LANGBEIN Wo soll er anfangen?


41.

Am Anfang.

JOHANN

Herr Bichinsky sammelt sich. Dann nimmt er vorsichtig die Augenklappe ab (für den Zuschauer nicht sichtbar). Johann ist für einen Moment erschrocken. Herr Bichinsky beginnt zu sprechen. Die Tür zum Verhörzimmer schließt sich vor uns. 51

INT. VOR DEM VERHÖRZIMMER - ABEND

51

Schmittchen kommt aus dem Verhörzimmer. Sie kämpft vergeblich mit den Tränen und lehnt sich ans Fenster. Johann kommt zu ihr, auch er ist bewegt. Ihr Rücken zittert vom Weinen. Nach einem Moment reicht Johann ihr sein Taschentuch und legt ihr sanft die Hand auf die Schulter. Herr Bichinsky ist aus dem Verhörzimmer getreten und raucht eine Zigarette. SCHMITTCHEN Dass ein Mensch einem anderen so etwas antun kann.. JOHANN Schmittchen, wir müssen weitermachen. Schmittchen nickt, putzt sich die Nase und geht ins Verhörzimmer. Die Tür schließt sich. 52

INT. BÜRO JOHANN - ABEND Johann sitzt im Halbdunkel an seinem Schreibtisch, als Langbein in die Tür tritt. Johann sieht auf und knipst seine Schreibtischlampe an. LANGBEIN Wo ist Frau Schmitt, sie muss mir noch die Adresse von dem Hotel geben. JOHANN Zwei Türen weiter. Danke, dass Sie bleiben und uns mit den Zeugen helfen. Und morgen nehmen wir dann Ihre Aussage auf. Langbein sieht Johann an. LANGBEIN Ich verstehe nicht, dass man jemand so unerfahrenen mit so einer Aufgabe betraut. Er geht. Johann sieht ihm nach.

52


42. 53

I/E. LANDSTRASSE / GNIELKAS BORGWARD - TAG

53

Ein roter Borgward braust über die Landstraße, vorbei an blühenden Rapsfeldern und vereinzelten Bauernhäusern. Gnielka raucht und fährt viel zu schnell. 54

EXT. VOR BÄCKEREI - TAG

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Johann und Gnielka beobachten die Bäckerei Kubitschek. Durch die Scheibe sehen sie, wie HEINZ Kubitschek gerade eine Kundin und ihre kleine Tochter bedient. GNIELKA Was hat er getan? JOHANN Beim Appellstehen hat mein Zeuge es gewagt, Heinz Kubitschek kurz anzusehen. Kubitschek hat ihn daraufhin solange mit der Peitsche verprügelt, bis er ohnmächtig war. Er hat dabei sein rechtes Auge verloren. Aber er hatte Glück. GNIELKA Wie, Glück? JOHANN Dass er ihn nicht gleich umgebracht hat.. Kubitschek kommt hinter der Theke hervor, reicht dem Mädchen einen Lolli und streichelt ihr über den Kopf. GNIELKA Und jetzt verhaften wir ihn. Was? Nein. Wie nein?

JOHANN GNIELKA

JOHANN Weil gegen ihn noch nichts vorliegt... Aber...

GNIELKA

JOHANN Kein aber, dieser Zeuge lebt, es ist kein Mord, alles andere ist verjährt. GNIELKA Das ist doch unglaublich.


43. JOHANN Mord ist die einzig mögliche Anklage. So ist das Gesetz. Ich muss beweisen, das er jemand umgebracht hat. Und dafür brauche ich Zeugen. Nur dass die meisten Zeugen hinterm Eisernen Vorhang leben, oder in Tel Aviv, oder in Chicago. Das dauert. GNIELKA Und was machen wir dann hier? JOHANN Ich... Ich muss ihn mir ansehen. Ich muss sehen, was das für einer ist, verstehen Sie. Gnielka nickt. GNIELKA Ich hab Hunger! Gnielka springt aus dem Auto, Johann hinterher. JOHANN Warten Sie. 55

INT. BÄCKEREI - TAG

55

Johann kommt herein und Gnielka steht an der Theke. KUBITSCHEK Bitteschön, der Herr? GNIELKA Zwei Hörnchen, bitte. Gerne.

KUBITSCHEK

Er holt zwei Hörnchen. GNIELKA (versteckt in einem lauten Husten) Heinz! Kubitschek dreht sich erstaunt um. Gnielka studiert die Auslage und zwinkert Johann verschwörerisch zu. Johann schüttelt entnervt den Kopf. Bitte?

KUBITSCHEK

GNIELKA Kennen wir uns?


44.

Nein.

KUBITSCHEK

GNIELKA Doch, doch, ich vergesse nie ein Gesicht. Waren Sie mal... Eine seltsame Stille entsteht. Johann und Gnielka mustern ihn. KUBITSCHEK Was? Ich war immer hier. GNIELKA Sicher? Ich könnte schwören... Kubitschek schweigt. GNIELKA (CONT’D) Naja, dann irre ich mich vielleicht. Gnielka mustert Kubitschek weiter, bis Johann ihn wegzieht. KUBITSCHEK Auf Wiedersehen. JOHANN Auf Wiedersehen. 56

I/E. STRASSE / GNIELKAS BORGWARD - TAG

56

Gnielka und Johann sitzen schweigend nebeneinander. INT. BÜRO JOHANN - TAG Johann sortiert gerade Unterlagen. FRIEDBERG (O.S.) Aber dalli! Friedberg schlendert hemdsärmelig in Johanns Büro. Er schließt gerade seine Manschetten und setzt sich lässig auf die Kante von Johanns Schreibtisch. FRIEDBERG (CONT’D) (beiläufig) Sagen Sie, dieses Lager in Polen... Auschwitz.

JOHANN

FRIEDBERG ...sag ich doch. Wie stellen Sie sich das eigentlich vor? (MORE)


45. FRIEDBERG (CONT'D) Sie wollen hier Leute aus Polen, Israel und Gott weiß woher einfliegen lassen? Zu diesen Ländern gibt es noch nicht einmal diplomatische Beziehungen! Von den Kosten ganz zu schweigen? Und wofür der ganze Zirkus? Um zu beweisen, dass jemand im Krieg irgendwo in Polen irgendetwas gemacht hat? JOHANN Diese Menschen sind Zeugen in hunderten, tausenden von Mordfällen. Friedberg schüttelt lachend den Kopf. FRIEDBERG Mord, Herr Kollege, ich bitte Sie, wo ist denn da der Vorsatz? Wir hatten doch alle keine Wahl. Wer sich geweigert hat, wurde umgebracht. JOHANN Ich werde das Gegenteil beweisen. FRIEDBERG Da bin ich ja gespannt. Außerdem wurde das alles in Nürnberg erledigt. JOHANN In Nürnberg wurden 150 Männer verurteilt, von den Allierten, nicht von der deutschen Justiz. Ich glaube nicht, dass es sich damit erledigt hat. Schmittchen kommt atemlos mit Friedbergs Robe herein. Sie hält sie für ihn, während er hineinschlüpft. SCHMITTCHEN Herr Oberstaatsanwalt, da sind Sie! Es tut mir leid. Ich dachte, Sie wären erst am Nachmittag bei Gericht. FRIEDBERG (gutgelaunt) Errare humanum est. Friedberg sieht Johann mit einem ironischen Lächeln an. Schmittchen geht. Friedberg sieht aus dem Fenster.


46. FRIEDBERG (CONT’D) Das wäre das erste Mal, dass ein Land seine eigenen Soldaten für etwas anklagt, was im Krieg passiert ist. Das ist ein Rohrkrepierer. Wissen Sie was? Er sieht zu Johann. FRIEDBERG (CONT’D) Ich liebe dieses Land, immer noch und trotz allem. Es hat so viel mitgemacht. Alles, was Sie erreichen werden, ist, alte Wunden aufzureißen. Wunden, die gerade angefangen haben zu verheilen. JOHANN Ich werde alles tun, um die Aufgabe zu erfüllen, die mir Generalstaatsanwalt Bauer anvertraut hat. Friedberg beugt sich vor. FRIEDBERG Bauer ist Jude, wussten Sie das? Friedberg nickt bedeutsam. FRIEDBERG (CONT’D) Er war 1933 selbst in einem Lager, das hat er wahrscheinlich nie verwunden. Er geht. Johann sieht ihm ruhig und entschlossen hinterher. 58

INT. GNIELKAS HAUS - TAG

58

Ein kunterbuntes Wohnzimmer. Kinderspielzeug, Bücher, Zeitungen. Sympathisches Chaos. Ein schöner Sonntagnachmittag. Um den großen Esstisch herum sitzen Johann, Marlene, Gnielka und Inge. Sie spielen Monopoly. Zwischen Johann und Marlene knistert es. Kirsch liegt auf dem Sofa und liest die Zeitung. MARLENE (liest vor) Strafe für zu schnelles Fahren 100 Mark. Alle johlen. GNIELKA Inge, leih deinem Mann mal 100 Mark.


47. INGE Nix da, geschieht dir ganz recht. GNIELKA Mensch, ich hab nix. Radmann! JOHANN (trocken) Dann haben Sie verloren. MARLENE Der Herr Staatsanwalt kennt keine Gnade, Gnielka. JOHANN Manche Menschen müssen einfach bestraft werden. MARLENE Natürlich! Und alle von Ihnen. JOHANN Nein, nur die, die ich erwische. GNIELKA Wer leiht mir das Geld! Wer steht mir bei in der Not?!? KIRSCH (vom Sofa) Ich leih es dir, aber mit Zinsen! GNIELKA Du Wucherer! KIRSCH No, ich bin a Jud, was willst? Johann nimmt einen Hunderter und schiebt ihn Gnielka hin. Marlene lächelt leise. Sie würfelt. MARLENE So, meine Herrschaften, ich baue jetzt ein Haus auf der Goethestraße. Und da eröffne ich mein eigenes Atelier und hör endlich auf, bei der Brettschneider Vorhänge zu nähen. Herrlich. Johann würfelt und landet im Gefängnis. Wieder großes Gejohle. GNIELKA Das ist die gerechte Strafe! Plötzlich kracht ein großer Stein durchs Fenster. Er knallt auf den Fußboden, ein krudes Hakenkreuz ist darauf gemalt.


48. Alle sind stumm vor Schreck, Gnielka springt auf und läuft aus dem Zimmer. 59

EXT. GNIELKAS HAUS / STRASSE - TAG

59

Gnielka steht auf der Straße, fuchtelt mit einer Pistole herum und sieht in hilfloser Wut um sich. Es ist niemand zu sehen. GNIELKA Zeigt Euch, Ihr feigen Schweine! Johann, Marlene, Kirsch und Inge sind hinterhergelaufen. Kirsch ist in der Tür stehen geblieben. GNIELKA (CONT’D) Mich macht Ihr nicht mundtot. Ich schreibe was ich will und über wen ich will! Eine Nachbarin macht erschrocken das Fenster zu. INGE Thomas, bist du meschugge! JOHANN Herr Gnielka, bitte. Gnielka steckt die Pistole in die Hosentasche, schlendert lässig an Johann vorbei und zwinkert ihm zu. GNIELKA (raunend) Das sind die Freunde von Schulz. Hab’s ja gesagt, der Artikel war ein Volltreffer. Kirsch ist von dem Vorfall erschüttert. Er geht wortlos weg, als er an Johann vorbeikommt bleibt er kurz stehen. Deutet auf die Fensterscheibe. KIRSCH Verstehen Sie mich jetzt? Die sind immer noch überall. Johann sieht ihm nach. Marlene beobachtet ihn von der Haustür aus. Sie hüpft die Treppe herunter und kommt zu ihm. MARLENE Sie schulden mir noch was... Sie merkt, dass Johann in Gedanken ist.


49. MARLENE (CONT’D) Was ist los, bereuen Sie Ihre Garstigkeit mir gegenüber? Johann sieht sie an. JOHANN Ich versteh das alles nicht. Marlene wird nun ernst. Dann... MARLENE Ich hab’s! Ich hab die Lösung! Ist das Ihr Roller? Ja.

JOHANN

MARLENE Kommen Sie. 61

EXT. MAINUFER - SONNENUNTERGANG

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Marlene und Johann haben sich bei einem fahrenden EISVERKÄUFER zwei Schokoladeneis gekauft. Sie gehen den Main entlang. JOHANN Die Lösung ist Schokoladeneis? Genau.

MARLENE

JOHANN Das ist die Lösung für alle Probleme? MARLENE Für jeden Fall, sei er noch so vertrackt. Johann muss lächeln. JOHANN Und Sie wollen Ihr eigenes Atelier? MARLENE Ja... Also das ist mein Traum, ein eigenes Atelier, mit allem drum und dran. Und Sie? Sie verhaften anständige Mädchen? Ja.

JOHANN

MARLENE Schrecklich.


50.

Johann sieht sie an. JOHANN Nicht immer. Die Sonne geht über dem Wasser unter. 62

EXT. VOR DER STAATSANWALTSCHAFT - FRÜHMORGENS

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Ein STRASSENKEHRER fegt einsam den Bürgersteig. Johann läuft mit Elan die Stufen hinauf. 63

INT. VERHÖRZIMMER - TAG

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Montage: Johann vernimmt einen Zeugen. Er legt ihm die Liste vor. Der Zeuge schüttelt den Kopf. Herr Langbein führt einen Zeugen ins Zimmer. Eine neue Liste wird getippt. Es werden immer mehr Namen. Die Zeugen wechseln ab, erzählen, Frauen, Männer, ruhig, aufgeregt, manchmal auch weinend. Schmittchen, die tapfer schreibt und schreibt. Johanns konzentrierter Blick. 64

INT. VERHÖRZIMMER - TAG

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Johann sitzt HANS LICHTER gegenüber, ein mit allen Wassern gewaschener Anwalt, in feinem Tuch gekleidet. Neben Lichter sitzt Schulz. LICHTER Ich verstehe nicht, was Sie hier treiben. Mein Mandant war nur Aufseher in diesem Lager. Er hat nichts getan. Johann ist für einen Moment ratlos. JOHANN Aber er muss Verbrechen beobachtet haben. Er hat die Verpflichtung als Zeuge auszusagen. SCHULZ (milde) Ich habe nichts gesehen.


51. LICHTER So, wir haben schon mehr getan als nötig, Herr Schulz, wir gehen. Sie gehen, Lichter dreht sich noch einmal um, tritt an Johann heran, gefährlich freundschaftlich. LICHTER (CONT’D) Ich kannte Ihren Vater, Kurt Radmann, oder? Wie geht es ihm? JOHANN Ostfront, er wird noch vermisst. LICHTER Ach. Tut mir leid. Wir haben in Marburg zusammen studiert. Ein feiner Jurist, aber ein, wie soll ich sagen... ein Don Quixote, ein Idealist. Lichter geht. Johann sieht ihm nach. 65

INT. JOHANNS ZIMMER - NACHT

65

Johann hat einen Alptraum. Er schreckt schweißgebadet hoch, setzt sich auf und reibt sich erschöpft die Augen. Es ist noch dunkel. Der Wecker zeigt 4:30. Mit einem Seufzer macht er das Licht an, schnappt sich eine Akte vom Boden und beginnt zu lesen. 66

INT. VOR DEM VERHÖRZIMMER - TAG

66

Drei Zeugen sitzen mit Langbein auf einer Bank und warten. Langbein redet mit dem Zeugen neben ihm, der ungeheuer aufgeregt ist. LANGBEIN Ruhig und sachlich. Nur erzählen, woran Sie sich klar erinnern. Der Zeuge nickt und murmelt etwas Unverständliches. Johann öffnet die Tür zum Verhörzimmer, eine Zeugin tritt heraus, sie wirkt benommen. Auf dem Gang sackt sie plötzlich in sich zusammen, Langbein fängt sie auf. Sie vergräbt ihr Gesicht in seiner Brust. Johann sieht sie betroffen an, dann bittet er den nächsten Zeugen ins Zimmer. Die Liste mit den Namen wird immer länger. Neben den Namen immer wieder - Anschrift unbekannt.


52. 68

INT. POLIZEIWACHE FRANKFURT - TAG

68

Johann sitzt einem älteren KOMMISSAR gegenüber. Johann schiebt ihm die neue Liste hin. Der Tisch wackelt leicht, was den Kommissar nervt. JOHANN Das sind die Namen von dringend Tatverdächtigen. Diese Männer suchen wir. Sie müssen ihre Aufenthaltsorte herausfinden. KOMMISSAR Aha. Ich fasse zusammen. Die waren damals in diesem Lager, in Polen, im Krieg. Und die Polizei soll sie jetzt finden, weil sie dort jemanden umgebracht haben? Verzeihung, aber das war doch ihre Aufgabe? Das waren doch Soldaten? Der Kommissar faltet die Liste mehrmals zusammen und schiebt sie unter das Tischbein. Jetzt wackelt nichts mehr. Dann sieht er Johann mit einem amüsierten Lächeln an. KOMMISSAR (CONT’D) Sie hören von mir. INT. IG FARBEN PATERNOSTER - TAG Johann fährt den Paternoster hoch, er ist eingeklemmt zwischen zwei massigen, schwarzen GIs, die sich über Baseball unterhalten. 69

INT. IG FARBEN HAUS / BÜRO PARKER - TAG

69

Parker macht gerade konzentriert Übungen mit einem Expander. Johann sitzt ihm schweigend gegenüber. PARKER (zu sich) 23, 24... wanna hear a story? Dies Gebäude war HQ von IG Farben, die waren beteiligt an DEGESCH, Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung. They haben produziert Zyklon B für Euer Auschwitz. Now we are here... Life is funny and strange! Aaannnnd 30. Er legt den Expander ab. Schnauft durch. PARKER (CONT’D) So come again, was brauchst du?


53. JOHANN Ich ermittle über das Lager Auschwitz. Parker lacht aus vollem Hals. PARKER Du bist total aus deine Kopf. Niemand will das. Ihr nicht und wir auch nicht. Lass die Dinge liegen. Hitler is gone, die Commies, man, das ist doch der neue Feind. JOHANN Ich brauche die Akten der SS Männer, die in Auschwitz gedient haben. Alle. Parker mustert ihn mit widerwilligem Respekt. PARKER Du willst es wirklich wissen? Johann nickt. 70

INT. IG FARBEN HAUS / ARCHIV - TAG Ein riesiges Archiv. Karteikästen bis an die Decke. Johann steht neben Parker. Johann ist fassungslos. Parker breitet die Arme aus. PARKER 10 Millionen Nazis. Unglaublich, was? Diese Idioten haben alles aufgeschrieben. Johann und Parker gehen einen Gang entlang. PARKER (CONT’D) Kiddo, wenn du glaubst du kriegst auch nur eine vor Gericht, dann kannst du auch glauben in die Weihnachtsmann. JOHANN Mich interessiert nur, wer in Auschwitz gedient hat. PARKER Wo ist deine Lastwagen? Johann versteht nicht. Parker zeigt um sich. PARKER (CONT’D) Hier, 600.000 SS Files. In Auschwitz waren, what... 8000. (MORE)

70


54. PARKER (CONT’D) Aber die musst du dir fischen selber raus. Er zeigt auf eine lange Reihe Regale, klopft Johann aufmunternd auf die Schulter und lässt ihn alleine. Johann zieht sein Jackett aus und krempelt die Ärmel hoch. Zeitsprung. Die Morgensonne scheint. Johann ist über einem Tisch eingeschlafen, um ihn herum zahllose Blätter mit Notizen. Parker kommt herein, stellt ihm einen Kaffee und ein Sandwich hin und geht. Johann wacht auf, reibt sich die Augen, ist für einen Moment orientierungslos, dann arbeitet er weiter. 71

EXT. IG FARBEN HAUS - ABEND

71

Es regnet. Johann wartet mit mehreren großen Kartons vor dem Eingang. Gnielka brettert in seinem Borgward heran, hält und stößt die Beifahrertür auf. 72

I/E. STRASSE FRANKFURT / GNIELKAS BORGWARD - ABEND

72

Der quietschende Scheibenwischer hat Mühe mit dem prasselnden Regen. Gnielka wischt innen mit seinem Ärmel die beschlagene Scheibe frei. Er sieht zu Johann, der erschöpft und in sich gekehrt schweigt. 85

INT. STAATSANWALTSCHAFT / SITZUNGSRAUM - TAG

85

Friedberg leitet die Sitzung. Bauer sitzt neben ihm. Die Staatsanwälte machen sich Notizen. Johann ist frisch rasiert und hört aufmerksam zu. FRIEDBERG Also, wir gehen in Revision. Haller, Sie übernehmen das. Haller nickt routiniert. FRIEDBERG (CONT’D) Sonst noch was? JOHANN Herr Oberstaatsanwalt, ich bitte dringlichst um Unterstützung für meine Ermittlungen. Friedberg sieht ihn eisig an. BAUER Herr Oberstaatsanwalt, stellen Sie ihm den Kollegen Haller zur Seite.


55. FRIEDBERG Herr Generalstaatsanwalt, bitte, ich kann nicht auch noch auf Herrn Haller verzichten, wir sind ohnehin schon völlig unterbesetzt. BAUER Diese Angelegenheit hat allerhöchste Priorität. FRIEDBERG Herr Generalstaatsanwalt, ich bitte Sie, sogar unser Bundeskanzler hat klar zum Ausdruck gebracht, dass wir unter dieses unselige Kapitel einen Schlussstrich ziehen müssen. So ein Prozess wäre Gift! BAUER (heftig) Im Gegenteil. Dieses Totschweigen ist Gift! Gift für diese junge Demokratie! Und außerdem entscheide ich, wann diese Behörde einen Schlussstrich zieht. Friedberg kocht vor Wut. FRIEDBERG (zu Johann) Sie werden sich lächerlich machen! Es ist mucksmäuschenstill geworden. Die Staatsanwälte halten die Luft an. Johann sieht unsicher zu Bauer. BAUER Sprechen Sie frei und offen. Nur zu. Johann räuspert sich. JOHANN In Auschwitz wurde eine Vielzahl von Tötungsdelikten begangen. Nach §152 StPO sind wir verpflichtet, sie zu verfolgen. Bauer nickt zufrieden. Haller rollt leicht mit den Augen. FRIEDBERG Na dann, meine Herren. Viel Glück. 86

INT. BÜRO JOHANN / HALLER - TAG

86

Ein fast leerer Raum. Johanns Kisten mit Akten sind schon da. Ein Schreibtisch steht in der Mitte.


56. Der Gerichtsdiener macht sich gerade an einer Schreibtischlampe zu schaffen. Johann und Haller tragen einen zweiten Schreibtisch herein. HALLER (fluchend) Das ist mein guter Anzug. So, Sie informieren mich erst einmal und dann entwerfe ich eine Strategie, Sie können mir dann zuarbeiten. Wir kommen schon miteinander klar. Ich beiße nicht. Johann fixiert Haller. JOHANN Die Ermittlungen leite ich, Befehl vom General. Sie stellen den Schreibtisch ab. Haller setzt sich auf den Tisch. HALLER Ach guck mal an. Aus Kindern werden Leute. Johann ignoriert ihn. HALLER (CONT’D) Wie viele Verdächtige haben wir eigentlich? JOHANN (beiläufig) An die 8000. Alle, die dort gedient haben. HALLER 8000?! Das ist doch wohl lächerlich. Johann sieht auf, nimmt wahllos eine Akte und beginnt vorzulesen. Johann sieht Haller ruhig an. JOHANN Hier: “Ein kleiner Junge im Alter von etwa fünf Jahren sprang vom Lkw herunter. Er hat einen Apfel in der Hand gehabt. In der Tür stand Boger... Der Junge stand neben dem Wagen und hat sich so über den Apfel gefreut. Da ist Boger zu dem Jungen gegangen, hat ihn an den Füßen gepackt und mit dem Kopf gegen die Baracke geschmettert. (MORE)


57. JOHANN (CONT'D) Dann hat Boger den Apfel aufgehoben und zu mir gesagt ich soll “das” abwischen an der Wand... und dann hat er diesen Apfel gegessen.” JOHANN (CONT’D) Das war Alltag in Auschwitz. Finden Sie das lächerlich? Haller ist betroffen. Dem Gerichtsdiener steht der Mund offen. JOHANN (CONT’D) Wir werden diese Männer finden Die, die in völliger Willkür grausam gemordet haben, und die die an den Vergasungen und Erschießungen beteiligt waren. Und dann machen wir ihnen den Prozess. Und sie werden mir dabei helfen. Schmittchen kommt herein. JOHANN (CONT’D) (zu Schmittchen) Wie weit sind Sie denn mit den Adressen? Wie viele haben Sie? SCHMITTCHEN Herr Radmann... die Behörden mauern. Johann überlegt kurz. JOHANN Besorgen Sie sich alle Telefonbücher. Wie bitte?

SCHMITTCHEN

JOHANN Schmittchen! Ich hab es satt. Dann besorgen Sie sich eben alle Telefonbücher von ganz Deutschland. Finden wir die Adressen halt selbst heraus. 84

EXT. RIEDERWALD SIEDLUNG FRANKFURT - ABEND

84

Ein ärmliches Viertel, graue Häuser, Wäsche auf der Leine. Zwei kleine JUNGS in kurzen Lederhosen kicken mit einem Lederflickenball gegen die Wand, sie versuchen einen Kaugummiautomaten “aufzuschießen”. Johann knattert heran, Marlene hat die Arme um ihn gelegt. Als sie absteigen, fliegt der Ball auf sie zu, sie fängt ihn geschickt auf und wirft ihn zurück.


58. MARLENE Toni, nicht so wild. MARLENES VATER (O.S.) (laut) Lenchen! Lenchen! MARLENES VATER, ein unscheinbarer Mann, radelt herbei. Marlene ist das unangenehm. Ihr Vater fährt leichte Schlangenlinien, in diesem Moment schafft es Toni, ein wuchtiger Schuß trifft den Kaugummiautomaten, die Kaugummikugeln kullern über die Strasse. Marlenes Vater weicht unbeholfen aus und fällt in einen Busch. MARLENE Vati! Toni, ich hab doch gesagt nicht so wild. Marlenes Vater rappelt sich auf. Die Jungs kichern. MARLENES VATER Nix passiert. Er ist angetrunken und betrachtet Johann neugierig. MARLENE Vati, das ist Johann Radmann, wir waren im Kino, er hat mich nach Hause gebracht. Komm ich mach dir Abendbrot. MARLENES VATER Danke Lenchen. Marlenes Vater bemüht sich vergeblich um einen würdevollen Abgang. Johann und Marlene sehen sich noch einmal an. Dann geht Marlene lächelnd aufs Haus zu. Johann sieht ihr versonnen nach. Plötzlich bleibt sie stehen, läuft zurück, holt 20 Mark aus der Tasche und steckt sie ihm in die Brusttasche seines Jacketts. MARLENE Schulden sind Ehrensache. Johann will protestieren, da packt Marlene ihn und drückt ihm einen leidenschaftlichen Kuss auf den Mund. Die Jungs johlen. JUNGEN Verliebt, verlobt, verheiratet! Marlene lacht. Johann ist verzaubert.


59. 67

EXT. STRASSE HAMBURG - TAG

67

ROBERT MULKA, ein eleganter Herr, geht die Strasse entlang, hinter ihm zwei ASSISTENTEN. Johann läuft herbei und beginnt, neben ihm herzugehen. JOHANN Johann Radmann, Staatsanwaltschaft, unseren Vorladungen sind Sie leider aus gesundheitlichen Gründen nicht gefolgt. Schön, dass Sie wieder wohlauf sind. Mulka schenkt ihm nur einen Seitenblick. MULKA Was wollen Sie? JOHANN Sie waren der Adjutant des Lagerkommandanten in Auschwitz. Mulka bleibt abrupt stehen und deutet seinen Lakaien an, Abstand zu halten.

Und?

MULKA (leise )

JOHANN Ich ermittle gegen Sie. MULKA Hören Sie zu. Ich war Soldat, ich habe dieses... dieses Lager nie betreten, was dort vorgegangen ist, entzieht sich meiner Kenntnis. JOHANN Wollen Sie das ernsthaft behaupten? Sie waren die rechte Hand der Lagerleitung. Ich werde Sie zur Verantwortung ziehen. MULKA Wenn Sie mich noch einmal ansprechen, mache ich Ihnen soviel Ärger, dass Sie nicht mehr wissen, wo oben und unten ist. Er lässt Johann mit der Vorladung stehen.


60. 73

INT. KNEIPE BUNTER VOGEL - NACHT

73

Johann und Gnielka sitzen angetrunken am Tresen. Vor ihnen zahlreiche leere Schnapsgläser und ein übervoller Aschenbecher. Der Wirt stellt ihnen zwei volle Gläser hin. Sie trinken. Johann rauft sich betrunken die Haare. JOHANN Das war eine Maschinerie. Was?

GNIELKA

JOHANN Auschwitz. Das war eine Mordmaschinerie aus 8000 Teilen, große, kleine, bürokratische,, sadistische... Vor acht Wochen hatte ich eine Liste mit fünfzehn Namen. Jetzt habe ich 8000 SSMänner, die in Auschwitz gedient haben! Das sind 8000 Tatverdächtige! Herr Gnielka, verstehst du, und die leben alle hier unter uns. 8000 Schulze und Kubitscheks! Und für jeden brauch ich Zeugen. GNIELKA Verdammt. Kannst Gnielka zu mir sagen. JOHANN Ich heiße Johann. Die beiden schütteln sich die Hand. JOHANN (CONT’D) Mein letzter Fall war Fahren ohne Fahrerlaubnis. GNIELKA Sieh’s sportlich. Viel Feind, viel Ehr. (rülpst vornehm) Du Johann, worauf trinken wir? JOHANN Veritas. War das Motto meines Vaters. GNIELKA Auf die Wahrheit. Veritas. Gnielka trinkt und schielt in sein leeres Glas. Dann dreht er sich wieder zu Johann.


61. GNIELKA (CONT’D) Johann, ich werde dir helfen. Verdammt nochmal, und Simon muss jetzt reden. 74

INT. ATELIER KIRSCH - NACHT Johann und Gnielka klingeln an Kirschs Tür. Kirsch öffnet. KIRSCH Was wollt Ihr? GNIELKA Lass uns rein. Kirsch tritt zur Seite. Johann und Gnielka sind immer noch halb betrunken. GNIELKA (CONT’D) Simon, du musst aussagen. Was?

KIRSCH

JOHANN Herr Kirsch, Sie sind Zeuge, ich brauche Ihre Aussage! KIRSCH Ich werde darüber nicht sprechen. GNIELKA Simon, ich bitte dich. Johann zeigt auf das Bild. JOHANN Wer ist das? Sie müssen aussagen, Herr Kirsch, das sind Sie den Opfern schuldig. Kirsch stürzt sich auf Johann. KIRSCH Was bin ich schuldig?! Was willst du, was wollt Ihr? JOHANN Herr Kirsch, bitte... Kirsch ringt mit Johann. Gnielka versucht dazwischen zu gehen. Dabei fällt ein gerahmtes Foto von einer Kommode. Simon...

GNIELKA

74


62. KIRSCH (rasend) Habt ihr nie genug? Was willst Du jetzt noch? Was!? Du willst Auschwitz untersuchen, du willst jemanden bestrafen. Was glaubst du eigentlich wer du bist? Glaubst du, das ändert was, das macht es wieder gut? Glaubst du das wirklich? Du hast keine Ahnung, du hast keine Ahnung!!! Johann, Kirsch und Gnielka sind ineinander verkeilt. Plötzlich findet sich Kirsch ganz nah vor dem Foto. Es zeigt zwei kleine Mädchen. Da fällt jeder Widerstand von ihm ab. Er nimmt das Foto in die Hand. KIRSCH (CONT’D) Ich bin schuld, ich bin schuld. GNIELKA Du bist doch an nichts schuld. KIRSCH Ich hab sie Mengele gegeben, verstehst du? Ich habe sie Mengele gegeben. Kirsch zittert am ganzen Körper. Er ist schweißgebadet. KIRSCH (CONT’D) Warum, warum habe ich das getan? Er streicht zärtlich über das Bild. KIRSCH (CONT’D) (sehr leise) Sie waren noch so klein. Meine Mädchen. Klara und Ruth. So klein, sie waren vier. Kirsch sieht die beiden hilflos an. KIRSCH (CONT’D) Wir sind mitten in der Nacht angekommen. Wir waren Hunderte, Tausende. Wir hatten Hunger, es war kalt. Eiskalt. Überall stand die SS mit ihren Hunden. Schnell, schnell, raus, raus, alle aufstellen. Meine Hannah kam sofort auf einen Lastwagen. Und auf einmal... war da dieser Arzt. Er hatte weiße Handschuhe. Er sah aus wie ein Engel. Er war ganz ruhig. Dann hat er sich zu Klara und Ruth hingekniet und hat sie angeschaut. (MORE)


63. KIRSCH (CONT’D) Er hat Ruth über den Kopf gestreichelt und gelächelt. Dann hat er zu mir gesagt: “Hübsch, Ihre Zwillinge. Ich bringe sie auf meine Station.” Und ich dachte, das ist ein Arzt. Bei dem sind sie sicher. Kirsch holt Luft. KIRSCH (CONT’D) Und dann haben die anderen mir erzählt, was Mengele mit den Zwillingen macht. Kirsch sieht Johann in die Augen. KIRSCH (CONT’D) Dass er sie quält, mit seinen Experimenten. Dass er ihnen Viren spritzt, Typhus, Diphtherie, Tbc... Er hat an ihnen herumgeschnitten, bei vollem Bewusstsein. Er hat ihnen Organe aus dem Körper geschnitten. Er hat ihnen Nadeln in ihre Köpfe gesteckt. Kirsch kann nicht aufhören. Er spricht immer leiser und klarer. Johann ist zutiefst betroffen. KIRSCH (CONT’D) Er hat Zwillinge, kleine Kinder, am Rücken zusammengenäht, wie siamesische Zwillinge, und ich, ich, ich habe ihm... Gnielka legt den Arm um ihn. Kirsch klammert sich an ihn und fängt an zu schluchzen. KIRSCH (CONT’D) Warum habe ich nichts getan? Warum sind sie tot und ich lebe? Gnielka hält den weinenden Kirsch im Arm. Johann ist tief erschüttert. Er kniet sich zu Kirsch hin, legt ihm die Hand auf den Arm. JOHANN Wir machen diesem Arzt den Prozess, das verspreche ich Ihnen. 75

EXT. VOR HAUS KIRSCH - NACHT Johann tritt hinaus in die laue Sommernacht. Aus einem geöffneten Fenster dudelt ein Schlager. Ein verliebtes Pärchen geht kichernd vorbei.

75


64. Johann steht still da, er kann das eben Erfahrene nicht fassen, er kann es mit der heilen Welt hier draußen nicht in Einklang bringen. 76

INT. JOHANNS ZIMMER - NACHT

76

Das fahle Mondlicht scheint ins Zimmer. Johann liegt hellwach in seinem Bett. Er steht auf. 77

EXT. STAATSANWALTSCHAFT - NACHT

77

Johann geht den Gang entlang. 78

INT. BÜRO JOHANN - NACHT

78

Johann durchsucht die Akten, blättert, nimmt eine neue aus der Kiste. Zeitsprung. Morgens. Endlich findet Johann Mengeles Akte. Er holt ein Foto von Mengele heraus und betrachtet es lange. Dann legt er es wieder in die Akte und platziert die Akte in die Mitte des Schreibtischs. Sein Blick ist entschlossen. 79

INT. STAATSANWALTSCHAFT / GANG - FRÜHMORGENS

79

Johann ist erschöpft, macht die Tür zu seinem Büro zu und geht den Gang entlang. Er klopft an Bauers Tür und tritt ein. 80

INT. BÜRO BAUER - FRÜHMORGENS Bauer sitzt in Hemdsärmeln an seinem Schreibtisch, ihm gegenüber Langbein. BAUER Guten Morgen Herr Radmann. Zeitsprung Die drei trinken Kaffee. BAUER (CONT’D) Wie kommen Sie voran? JOHANN Es gab da einen Lagerarzt... BAUER Dr. Josef Mengele. JOHANN Sie kennen die Geschichten.

80


65. Bauer nickt grimmig. JOHANN (CONT’D) Den müssen wir kriegen. Dr. Josef Mengele... Der ist es. Der ist Auschwitz. LANGBEIN Mengele ist ein Dämon. Bauers Blick ist unergründlich. 81

INT. BÜRO JOHANN - TAG

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Im Büro stapeln sich Akten. An der Wand hängen Fotos von Verdächtigen. In der Mitte befindet sich das Foto von: Dr. Josef Mengele. Johann stellt sich davor und sieht ihm direkt in die Augen. JOHANN Verdammt, wo bist du? 82

INT. BIBLIOTHEK - TAG

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Die Bibliothekarin kommt mit dicken, medizinischen Wälzern zu Johann. BIBLIOTHEKARIN Sie haben wirklich ausgefallene Wünsche. Das sind alle Bücher mit Quellenverweisen auf Dr. Josef Mengele. Ich bin ja gespannt, womit Sie als nächstes ankommen. Zeitsprung. Johann sitzt über einem Wälzer und liest. Wir erkennen Textstellen: Injektion von Methylenblau... Augen arisieren... erbbiologische Abstammungs- und Rassengutachten... Humanmaterial von Dr. Josef Mengele... Augenpräparate... Das Wort Humanmaterial ist dick umrandet. 87

INT. BÜRO JOHANN / HALLER - TAG

87

Johann arbeitet wie besessen. Irgendwann taucht in der offenen Tür Bauer auf und betrachtet ihn einen Moment. 88

INT. KNEIPE BUNTER VOGEL - NACHTS

88

In der Ecke spielt eine Jukebox “Das ist die Zuckerpuppe aus der Bauchtanztruppe”. Conny, Inge und Marlene tanzen ausgelassen, Kirsch wankt sehr betrunken von einem Bein auf das andere. An der Theke sitzten Johann und Gnielka und saufen.


66. JOHANN Dieser Mengele, das war der Schlimmste von allen. Und weißt du warum, Gnielka? Der ist einer wie du und ich. Der hatte alle Möglichkeiten. Der hat studiert, ein Arzt, hat den hippokratischen Eid geschworen, liebt die Oper, ist gebildet, verstehst du. Der ist einer wie wir. Als er nach Auschwitz gekommen ist, war er so alt wie du jetzt. Ich steh vor seinem Foto - hast du sein Foto gesehen? Er wirkt sympathisch. Er packt Gnielka an der Schulter. JOHANN (CONT’D) Wir können so ein Monster nicht ungestraft herumlaufen lassen, sonst... Sonst sind wir verloren. Verstehst du? Marlene und Inge kommen dazu und versuchen die beiden zum Tanzen zu bewegen. INGE Gnielka, wenn wir einmal ausgehen, dann will ich nicht alleine tanzen. MARLENE Johann, komm jetzt endlich. GNIELKA Gleich, wir kommen gleich. Unser großer Held ist müde. Kirsch wankt heran. KIRSCH Schau dir diesen Ponim an. Immer traurig. Komm... Ein neues Lied beginnt, die Mädels machen eine Polonaise zurück auf die Tanzfläche, Kirsch hängt sich an. Gnielka legt Johann den Arm um die Schultern. GNIELKA (flüsternd zu Johann) Du wirst ihn drankriegen, mach dir nicht so viel Sorgen. (laut) Mädels, ich kooommmeee! Er stürzt sich ins Gewühl. Marlene umarmt Johann von hinten und legt ihren Kopf an seinen.


67. MARLENE Johann, komm. Sie zieht ihn auf die Tanzfläche. 89

EXT. RIEDERWALD SIEDLUNG FRANKFURT - NACHT

89

Johann stellt den Roller ab. In der stillen Nacht hört man aus Marlenes Wohnung lautes Männergegröhle. JOHANN Was ist denn da los? MARLENE Das sind die Kriegskameraden von meinem Vater. Die kommen einmal im Monat zum Saufen, furchtbar. Panzerbataillon 221, jeder Schuss ein Russ! Heute ertrage ich das nicht! JOHANN Komm wir fahren an den Main. MARLENE Nein, nimm mich mit zu Dir. Marlene sieht ihn ernst an. 90

EXT. STRASSE FRANKFURT - NACHT

90

Johann und Marlene knattern die Straße entlang. Sie schmiegt sich an ihn. 91

INT. JOHANNS ZIMMER / GANG - NACHT

91

Johann trägt Marlene wie eine Braut in seinen Armen. Der Boden knarzt, Marlene lacht in seine Brust. 92

INT. JOHANNS ZIMMER - NACHT

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Johann setzt Marlene ab, knipst die kleine Nachttischlampe an. Johanns Zimmer ist ein Meer von Akten, auf dem Boden, auf dem Tisch, sogar auf dem Bett. Marlene sieht sich um, Johann bemerkt erst jetzt das Chaos. JOHANN Komm, ich bring dich nach Hause. Auf dem Boden liegt das Foto eines Auschwitzüberlebenden. Marlene hebt es auf, schaut es an. Dann sieht sie zu Johann. Ihr Blick ist weich.


68. Sie geht ans Bett und befreit es vorsichtig von den Akten, richtet die Lampe so, dass eine kleine Insel entsteht. Sie kommt zu Johann, nimmt seinen Kopf in ihre Hände und küsst ihn innig. Marlene sieht ihm lange in die Augen. Sie öffnet ihren Reißverschluss, steigt aus ihrem Kleid. Johann schluckt. Sie zieht ihm langsam die Krawatte aus. JOHANN (CONT’D) Bist du sicher? Marlene zieht den BH aus und schmiegt sich an ihn. MARLENE (ganz leise) Du Liebster. Sie küsst seine Augen. Zeitsprung. Sie schlafen miteinander, nackt und engumschlungen. MARLENE (CONT’D) (flüsternd) Das Leben ist schön. Johann trinkt ihre Liebe wie ein Verdurstender. Ja.

JOHANN

Marlene nimmt seinen Kopf und sieht ihn mit leuchtenden Augen an. MARLENE Du machst mich glücklich. 93

INT. JOHANNS ZIMMER - MORGENGRAUEN

93

Johann wacht auf. Marlene schläft Mit dem Tageslicht tauchen die Fotos und Akten wieder auf. Johann sitzt auf dem Fensterbrett und liest in einem Bericht. Jetzt hat Marlene die Augen geöffnet und beobachtet Johann, der unendlich weit weg zu sein scheint. 94

INT. BÜRO JOHANN / HALLER - TAG Johann und Haller arbeiten inmitten von Aktenbergen. Schmittchen kommt herein.

94


69. SCHMITTCHEN Herr Haller, da ist ein Ferngespräch für Sie. Johann klatscht in die Hände. JOHANN Das ist es! Zeitsprung. Johann hat eine Liste mit Telefonnummern vor sich. Er unterstreicht Nummern, während Haller gelangweilt Ordner beschriftet. JOHANN (CONT’D) Das sind die Ferngespräche der Familie Mengele aus Günzburg. Johann zählt. JOHANN (CONT’D) Ich weiß, wo er ist. Wo denn?

HALLER

JOHANN Er ist in... Er hebt den Hörer ab und wählt. JOHANN (CONT’D) Könnten Sie mir bitte sagen, welches Land und welche Stadt die Vorwahl 005411 haben... Danke! Er legt auf. Haller sieht ihn an. JOHANN (CONT’D) Buenos Aires, Argentinien! Ich fahr sofort zum BKA. HALLER Wir haben jetzt genug beisammen gegen diesen Bäcker Kubitschek, beantragen Sie sofort den Haftbefehl... Johann läuft aus dem Zimmer. JOHANN Ja, Ja, mache ich!


70. 95

INT. BKA - TAG

95

Johann sitzt in einem Besprechungsraum. Ihm gegenüber ein ALTER BKA-MANN und sein junger Kollege, Herr Fischer. JOHANN ... Mengele ist in Buenos Aires. Hier ist seine Telefonnummer dort. Das wird wohl reichen. So, so.

ALTER BKA MANN

Johann legt ihm einen Haftbefehl hin. JOHANN Hier ist der internationale Haftbefehl. Schaffen Sie den Mann nach Deutschland. ALTER BKA MANN Eine interessante Theorie... Sie überschätzen die Möglichkeiten des BKA. Und dann auch noch Südamerika, das ist so weit weg. Aber ich leite es gerne weiter. So, ich denke, mehr können wir nicht tun. FISCHER Ich bringe Sie zum Zug. JOHANN (frustriert) Nicht nötig. FISCHER Doch, ich fahre Sie! 96

I/E. BKA / VW KÄFER - TAG Johann und Fischer steigen in einen Käfer ein. FISCHER So, jetzt können wir sprechen. Johann sieht ihn erstaunt an. FISCHER (CONT’D) Wir wissen natürlich, dass dieser Mengele in Buenos Aire ist, wir haben eine dicke Akte zu ihm, aber... Aber was?

JOHANN

96


71. FISCHER Die, die nach 45 geflohen sind, die sind tabu, Befehl von oben. Die werden protegiert. Johann schüttelt frustriert den Kopf. JOHANN Können Sie mir nicht irgendwie helfen? Irgendwas!? FISCHER Wir wissen, dass er immer wieder nach Günzburg fährt und seine Familie besucht. JOHANN Wie bitte, er kommt zurück nach Deutschland? FISCHER Immer wieder, hat ja nicht wirklich was zu befürchten. Danke.

JOHANN

Es entsteht eine peinliche Pause. FISCHER Ich habe keine Zeit, Sie zum Bahnhof zu fahren. Ich wollte nur noch mit Ihnen sprechen. JOHANN Ach so, ja. Trotzdem Danke. Johann steigt aus. 97

INT. BÜRO JOHANN / HALLER ABEND

97

Johann kommt mit Schwung in sein Büro und findet Bauer vor, der am Fenster steht. JOHANN Herr Generalstaatsanwalt. Bauer schließt die Tür und bedeutet Johann sich zu setzten. BAUER (leise) Sie waren beim BKA. Woher...

JOHANN


72. BAUER Sie begreifen immer noch nicht das Ausmaß dieser Sache. Sie können niemandem vertrauen. Niemandem. JOHANN Ich weiß wo Mengele... BAUER Ich weiß. Aber Sie müssen das erstmal ruhen lassen. JOHANN Das versteh ich nicht. BAUER Sie haben einen Haftbefehl gegen Mengele erwirkt, lassen Sie es damit gut sein. JOHANN Herr Generalstaatsanwalt... BAUER (scharf) Sie beschränken sich auf die Ermittlungen gegen ihre Verdächtigen. Überlassen Sie Mengele mir, verstanden? Ich hab da einen Plan. Johann bleibt unbeweglich. BAUER (CONT’D) (sehr leise) Mengele, Eichmann, und die ganzen anderen, die haben mächtige Freunde, die alles tun werden um sie zu schützen. Bauer steht auf und geht. 98

EXT. VOR DER STAATSANWALTSCHAFT - TAG

98

Johann, Haller und Schmittchen stehen vor einem offenen Postlaster, der bis obenhin voll mit Telefonbüchern beladen ist. FAHRER Ich trag die nicht hoch. Johann und Haller schauen sich an. SCHMITTCHEN (entschuldigend) Sie hatten gesagt, alle.


73. HALLER Ihre Ideen bedeuten immer Arbeit für mich. 99

INT. BÜRO JOHANN / HALLER - TAG

99

Johann und Haller sind dabei die Telefonbücher hochzuschleppen. Sie sind beide schweißgebadet. Auf einmal steht Fischer, der junge BKA-Mannn, in der Tür. Er deutet Johann an, in den Flur zu kommen. FISCHER Mengeles Vater ist gestorben. JOHANN (aufgeregt) Sind Ihre Leute in Günzburg? FISCHER Ich hab Ihnen doch gesagt, wie unser Laden läuft. Aber...

JOHANN

FISCHER Mehr kann ich nicht tun. Er entfernt sich. Johann geht für einen Moment unschlüssig auf und ab, dann: Verdammt.

JOHANN

Er läuft los. Haller, den Arm voller Telefonbücher, kommt ihm entgegen. HALLER Herr Radmann, das meinen Sie jetzt nicht... Aber Johann ist schon weg. 100

EXT. WIRTSHAUS GÜNZBURG - TAG

100

Ein Wirtshaus mit beleuchteten Fenstern, Zum Hasen. Johann und Gnielka parken im Nieselregen davor. GNIELKA Du glaubst, er ist da drin? JOHANN Wenn Mengele nach Deutschland kommt, dann jetzt.


74. Gnielka öffnet das Handschuhfach, dort liegt seine Pistole. JOHANN (CONT’D) Die bleibt da. Gnielka schüttelt schmollend den Kopf. Sie gehen zur Eingangstür. 101

INT. WIRTSHAUS GÜNZBURG - TAG

101

Johann und Gnielka betreten das Wirtshaus. In dem kleinen Vorraum hört man Reden und Lachen. An der Zwischentür hängt ein Schild - Heute geschlossene Gesellschaft. Die Trauergesellschaft sieht vom Leichenschmaus auf. Johann und Gnielka suchen die Gesichter ab. Mengele ist nicht unter ihnen. Ein beleibter MANN ruft über den Lärm der Gesellschaft. MANN (schwäbisch) Kennet Sie net lesa, mir hend a gschlossene Gsellschaft. Johann zieht seinen Ausweis aus der Tasche. JOHANN (laut) Johann Radmann, Staatsanwaltschaft Frankfurt. Wir sind auf der Suche nach Josef Mengele. Plötzlich verstummen alle. Die Trauergesellschaft verwandelt sich in eine eisige Mauer des Schweigens. Johann mustert jeden einzelnen Trauergast, doch alle sehen weg. Hinter dem Tresen wechselt KATHI, die junge Bedienung, einen Blick mit Gnielka. Sie verlässt den Saal mit einer Kiste leerer Flaschen. Gnielka folgt ihr und zieht Johann mit sich. 102

INT. WIRTSHAUS GÜNZBURG / LAGER - TAG Kathi will gerade einen Kasten Bier holen, als Johann und Gnielka hinter ihr auftauchen. KATHI Huch, haben sie mich erschreckt. Gnielka holt ihr galant einen Kasten Bier vom Stapel. Oh, danke.

KATHI (CONT’D)

102


75. GNIELKA Tust du auch was für mich? KATHI (unsicher kichernd) Ja, was denn? GNIELKA Weißt du wo Mengele ist? Ihr Ausdruck wird verschlossen. KATHI Ich weiß gar nix. Johann will sprechen, Gnielka winkt ab. GNIELKA (flüstert) Mädchen, der Mann ist ein Ungeheuer, der muss hinter Gitter. Sie ringt mit sich. KATHI Hier in Günzburg schaffen alle beim alten Mengele in der Fabrik, die saget nix. Mei Mutti hat mir erzählt, dass der Sohn im Krieg schlimme Sachen gemacht hat, aber ich weiß net, wo er ist. Der Vati hat ihn heut’ auf’m Friedhof g’sehen. Er hat ihn erkannt. Aber dann ist er weggefahren. Gnielka nickt. KATHI (CONT’D) Ich muss wieder rein. Johann gibt ihr seine Karte. JOHANN Halt. Hier. Sie bekommen doch viel mit. Ich beschwöre Sie, wenn der Sohn wieder auftaucht rufen Sie mich an. Er überlegt kurz, zieht ein Foto aus dem Jackett, hält es ihr vor die Nase. JOHANN (CONT’D) Das hat er mit Kindern gemacht. Kathi erstarrt.


76. KATHI Das... Das will ich nicht sehen. Johann hält sie etwas grob fest. JOHANN Sehen Sie genau hin. Das hat Josef Mengele mit Kindern gemacht, verstehen Sie? Kathi reißt sich los und rennt weg. 103

EXT. WIRTSHAUS GÜNZBURG - TAG

103

Johann und Gnielka kommen aus der Tür. Sie gehen zum Auto. Ein paar Mopeds brausen davon. Als sie zum Auto kommen, sehen sie, dass die Reifen zerstochen sind. Johann ist weiß vor Wut, er will wieder ins Wirtshaus stürmen, aber Gnielka hält ihn fest. GNIELKA Johann, komm lass. Johann hat Mühe, sich zu beherrschen. 104

INT. BÜRO JOHANN / HALLER - ABEND Johann telefoniert. JOHANN (laut) Ich habe zuverlässige Informationen, dass er heute in Günzburg war. Der Bundesgrenzschutz muss alle Passagiere auf Flügen und Schiffsverbindungen in Richtung Südamerika überprüfen... Nein, nicht Nägele, Mengele, M-EN-G-E-L-E... Was? Schauen Sie noch einmal nach. Der muss auf der Liste stehen. Der Mann ist zur Fahndung ausgeschrieben... (laut) Für einen schriftlichen Antrag ist doch keine Zeit. Bis dahin ist der Mann über alle Berge! Die andere Seite hat aufgelegt. Unvermittelt wirft Johann das Telefon an die Wand. JOHANN (CONT’D) Das darf doch nicht wahr sein.

104


77. Er holt einen Korn aus der Schublade, schenkt sich ein großes Glas ein und trinkt es in einem Zug leer. Haller kommt herein. HALLER Wo waren Sie? Warum?

JOHANN

HALLER Kubitschek, er ist weg! Wie bitte?

JOHANN

HALLER Er ist weg. Abgehauen. Weil Sie diesen verflixten Haftbefehl nicht ausgestellt haben, wie versprochen! Nein, Sie müssen ja in der Weltgeschichte rumfahren und Zorro spielen. Ich...

JOHANN

HALLER Das interessiert mich nicht.. Wir sind Staatsanwälte. Fangen Sie endlich an sich wie einer zu benehmen. Und trinken Sie keinen Schnaps in meinem Büro!! Haller geht und knallt die Tür zu. Schmittchen kommt herein. SCHMITTCHEN Sie sollen sofort zum General kommen. 105

INT. STAATSANWALTSCHAFT / GANG - NACHT

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Johann geht den dunklen Gang entlang, Bauers Tür steht offen, Bauer hat gerade zwei südländisch aussehende Männer verabschiedet. Bauers sieht Johann finster an. BAUER In mein Büro. 106

INT. BÜRO BAUER - NACHT Johann sitzt vor Bauers Schreibtisch.

106


78. BAUER Sie haben sich einer klaren Anweisung widersetzt. Es...

JOHANN

BAUER Halten Sie den Mund. Wie können Sie diesen Kubitschek laufen lassen? Nur weil Sie damit beschäftigt sind, sich in Günzburg lächerlich zu machen. Was haben Sie sich dabei gedacht? Aber...

JOHANN

BAUER Sie arbeiten seit vier Monaten an diesem Fall und was haben Sie vorzuweisen? Nichts! Herr Radmann, wir haben keine Zeit, verstehen Sie? Im Moment hält mir der Justizminister noch den Rücken frei, aber nach der Landtagswahl kann sich das sofort ändern. Und dann bin ich weg. Und einen Prozess wird es dann nicht mehr geben. JOHANN Aber Mengele... BAUER Soll auf Ihrer Anklagebank nur ein Phantom sitzen? Begreifen Sie das nicht? Mit Ihrer Besessenheit mit Mengele gefährden Sie die gesamte Ermittlung! Was ist denn mit all den anderen? Dieser Mulka, oder der Lagerkommandant Baer, diese Männer haben den Tod von hundertausenden Menschen auf dem Gewissen. Sind die ihnen nicht dramatisch genug? JOHANN Ich muss... BAUER (sehr scharf) Herr Radmann. Das ist eine Anweisung! Johann zögert lange, schließlich nickt er. Bauer sieht Johann an, dann gießt er zwei Whiskey ein und reicht Johann ein Glas. Er sieht Johann lange an.


79. Bauer öffnet eine Schublade voll mit Briefen, nimmt wahllos einige heraus, zitiert. BAUER (CONT’D) Wenn Sie so weitermachen, kommen Sie auch ins Gas! Der größte Lump im ganzen Land, das ist der Denunziant! Oder hier: Tod oder Leben. Jude! Und so weiter, und so weiter. Bauer macht die Schublade wieder zu. Er sieht Johann an. BAUER (CONT’D) Das muss endlich aufhören. Deshalb machen wir das. Die Deutschen müssen sehen, was da für Verbrechen begangen wurden, und zwar nicht nur von Hitler und Himmler, sondern von ganz normalen Menschen. Ganz normale Menschen, die das freiwillig getan haben, weil sie überzeugt waren. Und die stellen wir jetzt vor Gericht... vom Kommandanten bis zum Aufseher. Ein großer Prozess. Das ist der Weg, glauben Sie mir. Das ist Ihre Aufgabe. Johann nickt zögerlich. 107

EXT. IG FARBEN HAUS - MORGEN

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Parker kommt und sieht Johann auf der Treppe warten. Johann lächelt Parker etwas schief an. PARKER You look like hell, you work too much. Johann zuckt mit den Schultern 108

INT. IG FARBEN HAUS / ARCHIV - NACHT

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Johann wühlt sich durch Akten. Parker hilft ihm. Irgendwann hält er eine Akte hoch. PARKER Hier sind mehr Fotos von the Ramp. Johann schnappt sie sich, holt eine Lupe und fängt an, sie zu betrachten. Legt eines weg, holt ein Neues. PARKER (CONT’D) Let’s call it a night.


80. Parker ist aufgestanden. Johann sieht auf. JOHANN Ich mache noch weiter. Resigniert setzt sich Parker hin und macht auch weiter. PARKER You know what, Radmann. You definitely are crazy. But you’re definitely not a grune Männchen. Johann hat mit der Lupe etwas auf dem Foto entdeckt, er lächelt wölfisch. 111

EXT. GYMNASIUM / SCHULHOF - TAG

111

Schulz teilt seine Klasse gerade in zwei Mannschaften fürs Völkerballspielen auf. SCHULZ Du links, du rechts, du links, du rechts. Nein Anton, stopp!! Schulz haut ihm auf den Hinterkopf. SCHULZ (CONT’D) Du gehst nach links! Johann und zwei Polizisten kommen auf sie zu. Gnielka hält sich im Hintergrund. Schulz sieht sie erstaunt an. SCHULZ (CONT’D) (streng, zu den Kindern) Wer von euch Lausern hat was ausgefressen? JOHANN Alois Schulz, Sie haben in Auschwitz an der Rampe Selektionen durchgeführt und überwacht, ich verhafte Sie daher wegen Beihilfe zum Mord in mehreren hundert Fällen. Den Kindern steht der Mund offen. SCHULZ Das... Aber... Johann ignoriert ihn, die Polizisten packen Schulz. Gnielka macht sich Notizen.


81. INT. VERHÖRZIMMER - ABEND Draußen ist es bereits stockdunkel. Das Verhörzimmer wird nur von einer einzigen grellen Lampe erleuchtet. Johann und Haller verhören Schulz. Schmittchen stenografiert. Schulz Ausdruck ist beleidigt. Neben ihm sitzt Hans Lichter. SCHULZ Ich war doch nur in der Schreibstube dort... Johann legt ihm ein Foto hin. Reicht ihm eine Lupe. JOHANN Da, das sind sie. Schulz sieht das Foto an, sieht dann zu Lichter, der zuckt mit den Achseln. Ja.

SCHULZ

JOHANN Sie haben an der Rampe selektiert. Dafür gibt es mehrere Zeugenaussagen. Sie haben die Opfer für die Gaskammern ausgewählt. SCHULZ Naja, ich... Lichter legt Schulz die Hand auf den Arm. LICHTER Herr Schulz, bitte. Es war doch so. Ob Herr Schulz selektiert hat, müssen Sie erst beweisen. Das Foto ist sehr unscharf. Dieses Lager war ja anscheinend ein furchtbarer Ort. Ich bin sicher, wer dort ankam, nach strapaziöser Anreise, stand unter Schock. Ob also die Aussagen dieser bedauernswerten Menschen nach fast zwanzig Jahren noch irgendeine Beweiskraft haben, bezweifle ich stark. Und nehmen wir mal an, Herr Schulz, hätte selektiert, dann diente die Selektion doch dem Zweck, Arbeitsfähige vor der Gaskammer zu bewahren. Es war also ein Akt der Menschenrettung. Johann ist kurz davor, die Beherrschung zu verlieren, da haut Haller auf den Tisch.


82. HALLER Jetzt halten Sie aber den Mund, Sie sollten sich schämen! Lichter lächelt ungerührt. LICHTER Kollege Radmann, ich teile Ihre Rechtsauffassung nicht. Herr Schulz hat dargelegt, dass er nur Befehlen gefolgt ist, was seine Pflicht war. JOHANN Ihr Mandant steht unter Mordverdacht. Er bleibt in Untersuchungshaft. Lichter geht. Ein Polizist führt Schulz ab, im Vorbeigehen ohne Johann anzusehen, SCHULZ (zischend) Dich müsste man vergasen, du Lump! Johann nickt nur, als Schulz weg ist reibt er sich müde die Augen, plötzlich beginnt Haller zu sprechen. HALLER Ich war Soldat... wir haben alle nicht nachgedacht. Wir hätten nur mal die Augen aufmachen müssen, dann... Johann schaut ihn an. Scheiße.

HALLER (CONT’D)

Haller sieht Johann hilflos an, aber der schweigt. EXT. STRAßEN FRANKFURT NACHT Johann braust mit seinem Roller durch die Nacht. 109

INT. TEEKÜCHE - TAG

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Langbein hat sich Kaffee geholt, als Johann hereinkommt. Morgen. Morgen.

LANGBEIN JOHANN


83. LANGBEIN Der Zeuge, der heute dran ist, hat den Flug verpasst. Johann gießt sich frustriert Kaffee ein. LANGBEIN (CONT’D) Sie wollen den großen Fang, die Kleinen interessieren Sie nicht, das merk ich. Johann blickt überrascht auf. LANGBEIN (CONT’D) Da gab‘s einen SS Mann, der hat den Zug zu seinem Regiment an der Front verpasst. Der Stadtkommandant hat ihn dann halt zum Dienst nach Auschwitz beordert. Is a Zufall, so ist das Leben. Aber wie verhält man sich dann. Das ist die Frage. Das ist immer die Frage. Der Kubitschek, der Schulz und die ganzen anderen. Die hatten eine Wahl. Das müssen sie aufzeigen. Johann nickt nachdenklich. INT. BÜRO JOHANN / HALLER - TAG Johann, Haller, Schmittchen und Langbein lesen Telefonbücher. SCHMITTCHEN Ha! Ich hab einen. 112

Wieder werden Listen getippt. Diesmal kommt neben viele Namen 112 eine Adresse. Zeitsprung Es ist Abend geworden. Johann und Haller klappen zwei Telefonbücher zu und legen sie auf einen großen Stapel. JOHANN So, unser Richard Baer steht in keinem Telefonbuch. Viel Arbeit für wenig Erkenntnis. Haller gibt Johann ein Foto von Baer, Johann betrachtet es. HALLER Wurde Kommandant in Auschwitz, weil sein Vorgänger zu nett zu den Häftlingen war. Was da für Gestalten Karriere gemacht haben...


84. JOHANN Ich wette, er lebt noch. Und ist irgendwo untergetaucht... Plötzlich klopft es. Johann sieht auf. Marlene steht in der Tür, sie trägt ein wunderschönes, rotes Kleid und schüttelt streng den Kopf. HALLER Donnerwetter! JOHANN Ach Gott, ich hab’s verschwitzt. Und? Was?

MARLENE JOHANN

MARLENE Und?! Du Stoffel! Sie macht eine Pirouette und zeigt ihr Kleid. MARLENE (CONT’D) Hab ich selbstgenäht! Ja, schön. Respekt!

JOHANN HALLER

JOHANN Nein, Marlene wir sind gerade... MARLENE Was denn? Komm, komm, komm, wir können doch die feinen Leute nicht warten lassen. HALLER Jetzt gehen Sie schon, los, los! Marlene zieht Johann aus dem Zimmer und rückt gleichzeitig seine Krawatte zurecht. Haller blickt mit Büroneid hinterher. 113

INT. KANZLEI MERTENS - ABEND Johann und Marlene gehen eine feudale 50er Jahre Treppe hinauf. Sie betreten eine Kanzlei. Ein großes, eindrucksvolles, hochmodernes Büro. Die Frankfurter High Society gibt sich ein Stelldichein.

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85. MARLENE Warum laden die uns ein? JOHANN Ich weiß es nicht. Er entdeckt Friedberg unter den Gästen. JOHANN (CONT’D) Aber ich habe eine Ahnung. PETER MERTENS, ein großer, massiger Mann mit kurzen, grauen Haaren und Brille hält eine Rede. Allgemeines Gelächter. PETER MERTENS Also, ich sitze da ganz alleine in diesem winzigen Büro. Die Amis hatten mich gerade laufen gelassen, ich war 35 Jahre alt, hatte noch nie als Anwalt gearbeitet. Und hatte ordentlich Muffensausen. Und da spaziert mein erster Mandant herein... Er deutet auf OSKAR SCHRÖDER, einen beleibten Industriellen, der mit Zigarre im Mund in der ersten Reihe steht. PETER MERTENS (CONT’D) ... Oskar Schröder, damals ein halbverhungerter Ingenieur mit einer guten Idee auf der Suche nach einem Anwalt, der ihm ein Patent anmeldet. Umsonst natürlich. Alle johlen und applaudieren. Marlene bewundert die eleganten Gäste. JOHANN (flüsternd) Gefällt’s dir? Marlene drückt strahlend seinen Arm. PETER MERTENS Seit damals sind wir rasant gewachsen, leider auch um die Mitte herum... Gelächter. PETER MERTENS (CONT’D) ... Mertens und Kollegen beschäftigt heute 39 Anwälte. Bis Ende des Jahres werden wir diese Zahl auf 50 erhöhen. (MORE)


86. PETER MERTENS (CONT’D) Ich freue mich sehr, dass Sie heute mit mir die Eröffnung dieser bescheidenen Hallen feiern. Großer Applaus. Zeitsprung. Johann, Marlene, Friedberg und seine Frau GERTRUD bewundern eine Reihe nagelneuer, elektrischer Schreibmaschinen. FRIEDBERG Junge, Junge, die haben Möglichkeiten. GERTRUD Walter, ich sterbe vor Hunger. Ich auch.

MARLENE

Die Damen gehen zum Buffet. Friedberg nimmt Johann zur Seite. FRIEDBERG Ich sehe nicht gerne, wenn ein guter Jurist verheizt wird. Kommen Sie, ich stelle Sie Dr. Mertens vor. Mertens steht mit einigen Herren zusammen und hält Hof. Da entdeckt er Friedberg und geht erfreut auf ihn zu. PETER MERTENS Walter, du alter Halunke. FRIEDBERG Peter, du alter Gauner. Das ist Kollege Radmann. Mertens mustert ihn und schüttelt ihm die Hand. PETER MERTENS Freut mich. Zeitsprung Ein ausladendes Buffet mit Käseigel, russischen Eiern etc. Marlene und Gertrud stehen mit vollen Tellern in einer kleinen Runde. DAGMAR, eine etwas füllige Dame kommt auf sie zu. DAGMAR Trudi! Wie schön! Sie bewundert Marlenes Kleid. Johann tritt heran.


87. DAGMAR (CONT’D) Verraten Sie mir, wo bekommt man in Frankfurt so ein Kleid? Marlene ist baff und wird plötzlich ganz aufgeregt. MARLENE Ach, das... JOHANN Bei ihr natürlich. DAGMAR Wie, Sie haben ein eigenes Modeatelier? Marlene sieht kurz zu Johann und fasst einen Entschluss. MARLENE Ich fange gerade an. Die Damen fangen an, sie zu umringen, Johann verdrückt sich mit einem leisen Lächeln, Marlene wirft ihm noch einen strahlenden Blick zu. 114

EXT. KANZLEI MERTENS / BALKON - ABEND

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Johann steht alleine auf dem Balkon und raucht. Durch die Scheibe beobachtet er mit ernstem Blick Marlene, die lacht und vor Lebensfreude sprüht. Plötzlich tritt Mertens an ihn heran. PETER MERTENS Ihre Verlobte? Kompliment. Johann nickt. PETER MERTENS (CONT’D) Und Sie, Prädikatsexamen und wissenschaftlicher Mitarbeiter von Professor Rimmelsbacher, korrekt, oder? JOHANN (verwundert) Ja... PETER MERTENS Wissen Sie was, ich suche genau solche Leute wie Sie, jung, begeisterungsfähig. Diese Energie muss man nur kanalisieren, was?! JOHANN Danke, aber...


88. PETER MERTENS Ich weiß, ich weiß... Sie müssen sich nicht äußern. Behalten Sie es einfach im Hinterkopf. Er deutet um sich. PETER MERTENS (CONT’D) Sie wissen ja jetzt, wo man mich findet. 115

EXT. STRASSE FRANKFURT - NACHT Johann und Marlene gehen zu Johanns Roller. MARLENE Ach Johann, das war ein herrlicher Abend. Johann reagiert nicht. MARLENE (CONT’D) Mensch, Johann. Stell dir vor, heute Abend haben vier Damen Kleider bei mir bestellt. Rot oder orange? JOHANN Was? Die Kleider? MARLENE Das Schild über meinem Laden. Atelier Marlene Wondrak. Ich bin für Rot! JOHANN (gedankenverloren) Rot, ja. Marlene betrachtet ihn. MARLENE Ich sehe schon. Du brauchst wieder ein Schokoladeneis. JOHANN Marlene, ich hab morgen wieder fünf Zeugen... Da komm ich mit Schokoladeneis nicht weiter. Er lächelt müde. JOHANN (CONT’D) Komm, ich bringe die große Modeschöpferin nach Hause.

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89. 116

I/E. DIVERSE - TAG

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Montage Johann, Haller und wechselnde POLIZISTEN verhaften eine Reihe von Verdächtigen: Der Polizeiwagen hält vor einem Supermarkt. Im Hinterzimmer verhaften sie einen BUCHHALTER. Gnielka macht sich Notizen. Johann kommt mit zwei POLIZISTEN auf eine Großbaustelle. Sie sprechen einen MANN in Anzug mit Bauhelm an, der plötzlich losläuft und erst nach kurzer Verfolgungsjagd festgenommen wird. Gnielka schreibt und schreibt. Johann und Haller lesen den Verdächtigen Zeugenaussagen vor. JOHANN / HALLER (V.O.) (nüchtern) JOHANN / HALLER ...Sie haben den Kopf des Häftlings so lange unter Wasser gedrückt, bis er tot war... so lange mit den Stiefeln getreten, bis er tot liegen blieb... Sie haben auf das Kind geschossen, welches in den Armen der Mutter lag. Beide starben... Die Gesichter dieser ganz normalen Männer bleiben unbeweglich, verschlossen, teilnahmslos. Ihre Augen sind ohne Seele. Am Ende sehen wir Johann und Haller. In ihnen spiegelt sich grenzenloses Grauen. 117

INT. BÜRO JOHANN / HALLER - ABEND

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Johann kommt herein, setzt sich, knipst seine Schreibtischlampe an. Das Büro ist bis unter die Decke voll mit Akten und Kartons. Auf einmal legt er den Kopf in seine Hände. Wir ahnen, dass er weint. Er wischt sich die Augen. Schmittchen kommt herein und reicht ihm ein Fahndungsplakat für Baer: Belohnung 10.000 Mark. Johann betrachtet es müde. JOHANN Das ist gut. Wenn er noch hier lebt, werden wir ihn kriegen. Er legt es weg. Schmittchen bemerkt seinen Zustand. Sie setzt sich neben ihn und deutet auf Johanns Schreibtischschublade.


90. SCHMITTCHEN Krieg ich ein Glas von Ihrem Korn? Johann schenkt zwei Gläser ein. Sie trinken. Schweigen. Sie klopft ihm sachte aufs Bein und geht. Johann geht zu den Kartons. 118

INT. WOHNUNG BAUER - TAG

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Johann klingelt, er hat eine Aktenmappe unterm Arm. Bauer öffnet. BAUER Danke, dass Sie gekommen sind. Haben Sie sie dabei? Johann nickt. Bauer führt ihn ins Wohnzimmer. Dort sitzen drei südländisch aussehende Männer (zwei von ihnen haben wir vor Bauers Büro schon gesehen). Ein Kaffeetisch ist gedeckt. BAUER (CONT’D) Das ist Staatsanwalt Radmann. Herr Radmann, das ist Herr Kleiner, deutscher Korrespondent der Jerusalem Post und die beiden Herren sind aus Israel. HERR KLEINER schüttelt Johann freundlich die Hand KLEINER Freut mich. Die anderen beiden nicken Johann wortlos zu. BAUER Meine Herren, ich habe Herrn Radmann dazu gebeten, weil er am meisten über Josef Mengele weiß, auch wo er sich momentan aufhält (zu Johann) Wir arbeiten zusammen an der Ergreifung von Adolf Eichmann und Josef Mengele in Argentinien. Ich werde versuchen, sie hierher zu bringen. Herr Radmann, bitte geben Sie den Herren, was Sie haben. Johann ist baff. Er zögert. BAUER (CONT’D) Bitte Herr Radmann.


91. Er nickt Johann aufmunternd zu. Johann sieht die Männer skeptisch an. JOHANN Und Sie bringen uns Mengele? Einer der Agenten lacht. AGENT 2 Wenn es einer macht, dann wir. Johann gibt ihnen die Akte. 119

I/E. WOHNUNG BAUER - ABENDS

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Durch das Fenster sehen wir die kleine Gruppe ins Gespräch vertieft. 120

INT. WOHNUNG BAUER - NACHT

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Bauer verabschiedet Kleiner und die beiden Agenten mit einem Nicken. Er schließt die Tür und geht zurück ins Wohnzimmer, dort wartet Johann in einem Sessel. Bauer schenkt zwei Gläser Whiskey ein. BAUER (beiläufig) Israel hat keine diplomatischen Beziehungen zu uns, wir riskieren gerade Kopf und Kragen. JOHANN Kleiner ist nicht nur Journalist, oder? Bauer schüttelt den Kopf. BAUER Sie sind wehrhaft geworden. Er trinkt. JOHANN Kann man denen trauen? Bauer schweigt lange. BAUER Wem kann man schon trauen? Ich bin immer noch im Exil, nur nicht mehr in Schweden. Ich bin im Exil in meiner eigenen Behörde. Johann trinkt. Beide schweigen Plötzlich sieht Bauer Johann an.


92. BAUER (CONT’D) (leise) Ihnen traue ich. Für einen Moment entsteht eine große Nähe. Dann steht Bauer abrupt auf und geht. BAUER (CONT’D) Sie finden selbst zur Tür. Er lässt einen nachdenklichen Johann zurück. 122

INT. BÜRO BAUER - ABEND

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Bauer arbeitet, Johann steckt den Kopf herein. JOHANN Und, gibt es was Neues? Wann haben sie ihn? Bauer sieht ihn unergründlich an. BAUER Nein, noch nichts. 123

EXT. STRASSE FRANKFURT - ABEND

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Johann geht suchend eine Straße entlang. Er bleibt kurz an einer Litfaßsäule stehen, an der das Fahndungsplakat von Baer klebt, dann geht er weiter. Er entdeckt ein SouterrainSchaufenster, in dem eine nackte Schneiderpuppe steht. Die Tür steht offen. Johann geht die kleine Treppe herunter. 124

INT. ATELIER MARLENE - ABEND

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Ein kleines Souterrain. Ein altes Sofa in einer Ecke, in der Mitte ein riesiger Karton. Drum herum versammelt Johann, Gnielka, Inge und Kirsch. Marlene schenkt allen Sekt ein. MARLENE So, der große Moment ist da. Trara! Sie hebt den Karton hoch, darunter erscheint eine nagelneue Pfaff-Nähmaschine. Marlene tanzt aufgeregt um sie herum. MARLENE (CONT’D) Kolossal, was? Kolossal! ALLE Großartig! Toll!


93. INGE So eine hab ich mir auch immer gewünscht. Johann hat sich erschöpft auf das Sofa gesetzt, Kirsch setzt sich neben ihn. Toll was.

KIRSCH

JOHANN Wir sind kurz davor. Wir machen Mengele in Frankfurt den Prozess. Kirsch sieht ihn undurchdringlich an. KIRSCH Kümmer dich um deine Frau. Zeitsprung, die Gäste sind gegangen. Johann ist eingeschlafen. Marlene stellt die Sektgläser mit einem extra lauten Klirren weg. Johann wacht auf. MARLENE (zu sich) Das ist doch unglaublich. Schläft der einfach ein. Der Herr Staatsanwalt kann sich halt nicht für eine Nähmaschine begeistern, auch wenn es die schönste der Welt ist. Johann steht auf und umarmt sie. JOHANN Ich hab nur kurz die Augen zugemacht, weil... Weil ich von der Schönheit der Nähmaschine geblendet war. Marlene will nicht lachen. MARLENE Vorsicht, deine Nase wird lang. Marlene legt den Bestellzettel für die Nähmaschine in einem leeren Leitzordner ab. MARLENE (CONT’D) Ein guter Kaufmann führt immer Buch! Johann hat eine Idee. Natürlich!

JOHANN


94. Er springt auf, drückt Marlene einen flüchtigen Kuss auf den Mund und läuft hinaus. Johann...

MARLENE

Aber Johann ist schon weg. Marlene sieht ihm enttäuscht nach. 125

I/E. LIMOUSINE STRASSE HAMBURG - TAG

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Mulka hat es sich gerade auf der Rückbank seines Mercedes bequem gemacht, als Johann sich plötzlich neben ihn setzt. , Er hat einen Packen Blätter dabei. MULKA Das verbitte ich mir. Ich hole jetzt die Polizei. JOHANN (zynisch-fröhlich) Die ist schon da. Zwei Polizisten versperren Mulka die Tür. MULKA Und? Was soll das? JOHANN “Beihilfe ist die Förderung der Haupttat”. Und was haben wir hier: Eine Bestellung für Zyklon B. Unterzeichnet von Ihnen, Robert Mulka, Hauptsturmführer und Adjutant. MULKA Das ist lange her, ich habe keine Erinnerung daran. JOHANN Sie müssen sich gar nicht erinnern. Das reicht uns. Ich verhafte Sie wegen Beihilfe zum Mord in mehreren tausend Fällen. Johann geht weg, im Hintergrund ziehen die Polizisten Mulka aus dem Auto. 126

INT. BÜRO JOHANN / HALLER - TAG

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Johann und Haller brüten über Akten, als der Gerichtsdiener einen Sack Briefe auf den Tisch hievt. GERICHTSDIENER Ham’se ‘ne Annonce aufgegeben, 100.000 Mark zu verschenken?


95. Haller sieht Johann vorwurfsvoll an, was ist das denn nun schon wieder. Johann zuckt mit den Schultern. JOHANN Die Belohnung war doch eine gute Idee? Zeitsprung. Haller, Johann und Schmittchen öffnen Briefe. 127

INT. TEEKÜCHE - TAG

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Schmittchen feiert Geburtstag. Es gibt Eierlikör und Frankfurter Kranz. Die Staatsanwälte und die Sekretärinnen stoßen auf Schmittchen an. Schmittchen genießt die Aufmerksamkeit. Friedberg kommt herein. SCHMITTCHEN Herr Oberstaatsanwalt, stoßen Sie mit an! Friedberg hebt sein Glas. FRIEDBERG Schmittchen, Sie werden immer jünger. Wie machen Sie das. Prost! Er trinkt und isst. FRIEDBERG (CONT’D) Ist ja köstlich. SCHMITTCHEN Selbst gebacken. FRIEDBERG (mit vollem Mund zu Johann) Na klar, die Behörde hat kein Geld mehr, das setzt der Herr Radmann alles als Kopfgeld aus. (zu Johann) Wo ist ihr Sheriffstern? Was?

JOHANN

FRIEDBERG Na bei Ihren Wildwestmethoden, da sollten Sie Cowboyhut und Sheriffstern tragen... JOHANN Das ist eine Unverschämtheit. Stille.


96.

Wie bitte?

FRIEDBERG

JOHANN Baer ist ein Mörder und Ihre Bemerkung ist eine Unverschämtheit. Warum machen Sie unsere Arbeit ständig lächerlich? FRIEDBERG Weil ich so einen Schauprozess abscheulich und schädlich finde. Das hat mit Recht und Gesetz nichts mehr zu tun. Es wird mucksmäuschenstill im Raum. Johann sieht Friedberg herausfordernd an. JOHANN (herablassend) Natürlich denken Sie das. FRIEDBERG Sagen Sie es doch. Sie glauben doch, dass ich auch ein Nazi war. Davon sind Sie doch überzeugt? Er breitet die Arme aus. FRIEDBERG (CONT’D) (in die Runde) Für Kollege Radmann waren ja alle Nazis. (zu Johann) Fragen Sie mich doch, was ich während des Krieges gemacht habe. Johann schweigt. Alle blicken zu Boden. FRIEDBERG (CONT’D) Interessiert es Sie? Ich sage es Ihnen: Jurastudium in Heidelberg, dann zur Marine, Korvettenkapitän, 7. U-Boot Flottille, nach dem Krieg ein Jahr in französischer Gefangenschaft, entlassen im August 1946. Ehrenhaft gedient. Im übrigen war ich nie Mitglied der Partei. Wollen Sie mich trotzdem verhaften? JOHANN Diese Männer müssen für ihre Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit.


97. FRIEDBERG Ach ja, die Gerechtigkeit, die haben Sie ja für sich gepachtet. Eine Handvoll kleiner Fische wird jetzt angeklagt und vorgeführt und Millionen anderer dürfen unbehelligt weiterleben. Wo ist da die Gerechtigkeit, Kollege, wo? JOHANN Irgendwo muss man ja anfangen. FRIEDBERG (laut) Ist Ihnen klar, was Sie da anrichten? Wollen Sie, dass sich jeder junge Mensch in diesem Land fragt, ob sein Vater ein Mörder ist? JOHANN (laut) Ja, genau das will ich. Ich will, dass diese Lügen und dieses Schweigen endlich aufhören! FRIEDBERG (bitter) Tun Sie, was Sie nicht lassen können. Friedberg geht und lässt Johann stehen. Die Stimmung ist zum Teufel. 128

INT. BÜRO JOHANN / HALLER - TAG Johann sitzt unrasiert an seinem Schreibtisch. Da platzt Gnielka herein und knallt ihm die Jerusalem Post hin. GNIELKA Hier, lies! Die haben Eichmann nach Israel entführt. Johann starrt auf die Schlagzeile: MOSSAD STRIKES. ADOLF EICHMANN KIDNAPPED IN BUENOS AIRES! TRIAL IN ISRAEL? JOHANN Was? Das ist ja ein Ding! Das ist ja ein Ding!! Er läuft freudig erregt aus dem Zimmer.

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98. 129

INT. BÜRO BAUER - TAG Johann stürmt herein ohne zu klopfen. Er hält die Zeitung hoch. JOHANN Herr Generalstaatsanwalt, das ist ja großartig. Bauer sieht ihn ernst an. BAUER Ja, ich hätte ihn lieber hier gehabt, aber Bonn hat sich geweigert, einen Auslieferungsantrag an Israel zu stellen. Nun, lieber machen die ihm den Prozess, als dass er sich in Südamerika in der Hängematte ein schönes Leben macht. JOHANN Und wann bringen sie uns Mengele? Bauer schweigt. JOHANN (CONT’D) Wann bringen sie uns Mengele? Haben sie ihn schon in Gewahrsam? Sie sollen ihn gleich nach Frankfurt bringen. Bauer räuspert sich. BAUER Mengele ist nicht mehr in Argentinien. JOHANN Was, wo ist er? Bauer zuckt mit den Achseln. BAUER Es gibt Vermutungen, Paraguay. JOHANN Dann muss ihn der Mossad eben dort schnappen, das geht doch. BAUER Herr Radmann, bitte! Das ist nicht der Quellekatalog, in dem man sich das bestellt, was man will. Die Situation ist kompliziert. Johann ist aufgesprungen.

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99. JOHANN Ich habe denen vertraut, ich habe Ihnen vertraut. Sie haben mir Mengele versprochen. BAUER Herr Radmann, ich... Aber Johann ist schon aus dem Zimmer 130

INT. STAATSANWALTSCHAFT FOYER - TAG

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Johann geht den Gang entlang, plötzlich bleibt er stehen und hämmert frustriert an die Wand. Für einen Moment lässt er erschöpft den Kopf sinken. Gnielka hat auf dem Treppenabsatz auf ihn gewartet. Und?

GNIELKA

JOHANN Später. Kennst du Kleiner, den Korrespondenten der Jerusalem Post? GNIELKA (grinsend) Ist der Papst katholisch? 132

EXT. PALMENGARTEN - TAG

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Gnielkas Borgward fährt vor. Johann und Gnielka steigen aus. GNIELKA Da hinten. Da spielt er immer Schach. Tatsächlich sitzt Kleiner in einer hinteren Ecke des Parks und spielt Schach. Johann tritt an ihn heran. JOHANN Herr Kleiner? Kleiner blickt erstaunt auf. KLEINER Herr Radmann. Zeitsprung. Gnielka lehnt rauchend am Borgward, Johann sitzt mit Kleiner vor dem Schachbrett. KLEINER (CONT’D) Ihr wolltet Eichmann nicht. Jetzt machen wir es eben.


100. JOHANN Und Mengele? Sie müssen ihn finden, Sie müssen ihn nach Deutschland bringen und wir machen ihm hier den Prozess. Kleiner sieht ihn an. KLEINER Schauen Sie, auf einer Lichtung stehen zwei Rehe. Wenn Sie auf eines schießen, ist das andere weg. Er reibt sich den Mund. KLEINER (CONT’D) Die Metapher stinkt, trifft aber zu. JOHANN Was meinen Sie? KLEINER Mengele ist weg, er ist, wenigstens zur Zeit, kein Thema für uns. JOHANN Aber Sie haben mir versprochen... KLEINER Es war immer klar, dass Eichmann Priorität hat. Auch für Bauer. Johann ist schockiert. JOHANN Was? Wie meinen Sie... KLEINER Herr Radmann. Eichmann hat die Endlösung organisiert. Mengele war einfach nur ein Arzt. Für einen Moment ist Johann sprachlos. JOHANN Bitte, Sie müssen Mengele nach Deutschland bringen. KLEINER Herr Radmann, der UNSicherheitsrat ist uns schon wegen Eichmann aufs Dach gestiegen... wir sind ein kleines Land, ein junges Land, wir können uns nicht noch mehr Feinde machen, wir sind ja schon von Feinden umringt. Sie überschätzen unsere Möglichkeiten.


101. Kleiner lässt einen zerstörten Johann zurück. 133

I/E. BKA / VW KÄFER - ABEND

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Johann und der BKA Mann Fischer rauchen. JOHANN Ohne präzisen Aufenthaltsort können wir ihn nicht einmal in Abwesenheit anklagen. Bringen Sie mir wenigstens das. FISCHER Mengele ist ein Fuchs. Er kann überall sein. JOHANN Ich muss ihn in Europa kriegen. Ich bin überzeugt, dass er unter einem anderen Namen reist. Sonst hätte ich ihn nach Günzburg schon irgendwo gefunden. Herr Fischer, diesen Namen brauche ich. Fischer nickt. JOHANN (CONT’D) Ich war so nah dran. Johann haut frustriert aufs Armaturenbrett. FISCHER Mein Auto kann nichts dafür... Johann steigt aus. FISCHER (CONT’D) Der Prozess, den Sie da vorbereiten... da haben einige große Tiere bei uns gehörig Muffensausen. Respekt. Ich melde mich bei Ihnen. 134

INT. BÜRO JOHANN / HALLER - TAG

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Johann hat die Nacht durchgearbeitet und schläft über seinen Akten. Einer der vielen Briefe ist mit einem roten Ausrufezeichen markiert. Das Foto eines Mannes liegt daneben. Schmittchen kommt mit Kaffee und einem Marmeladenbrot herein. Johann schreckt auf. SCHMITTCHEN Guten Morgen. Johann sieht verschlafen auf die Uhr.


102. JOHANN Ach herrje. Schmittchen, suchen Sie mir bitte den nächsten D-Zug nach Kiel. SCHMITTCHEN Und Ihre Mutter bittet um Rückruf. Sie gibt ihm einen Zettel. Johann wirft ihn achtlos weg. 135

EXT. WALD NORDDEUTSCHLAND - TAG

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Ein großer, dichter Wald. Das rhythmische Schlagen einer Axt. Der schwere Atem eines Mannes. Das geräuschvolle Umkrachen eines Baums. 136

EXT. WALD NORDDEUTSCHLAND - TAG

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Schritte knirschen im Gehölz. Johann, ein Förster und ein Polizist kommen bei dem Waldarbeiter an. Es ist RICHARD BAER. Er steht schnaufend vor dem gefällten Baum, Axt in der Hand. Er sieht Johann erstaunt an. JOHANN Sie sind Richard Baer, der letzte Kommandant von Auschwitz, nicht wahr? Sie sind verhaftet. Baer sieht sich um, will fliehen, aber die Polizisten stehen schon neben ihm. Baer sieht sie entsetzt an. BAER Sie müssen sich irren, ich... Baer sackt ein wenig zusammen. Die Beamten stützen ihn. Auf seiner Hose erscheint ein dunkler Fleck. 137

INT. POLIZEIWACHE NORDDEUTSCHLAND - ABEND

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Baer steht nackt in einer Waschschüssel. Der letzte Kommandant von Auschwitz ist eine erbärmliche Erscheinung. Johann gibt ihm ein Handtuch. 138

EXT. VOR DEM BAHNHOF - TAG

138

Johann kommt aus dem Bahnhof, neben ihm Richard Baer von zwei POLIZISTEN begleitet. Zu seiner Überraschung stehen dort zahlreiche Journalisten, unter ihnen auch Gnielka. In ihrer Mitte gibt Friedberg mit großer Geste Interviews.


103. FRIEDBERG ...die Verhaftung des letzten Kommandanten von Auschwitz belegt unseren unermüdlichen Einsatz bei... JOURNALIST Herr Oberstaatsanwalt, eine Frage! Johann bahnt sich wortlos einen Weg durch die Meute. Gnielka nimmt Johann zur Seite. GNIELKA Kirsch hatte einen Herzinfarkt, er liegt im Krankenhaus. Es war sehr knapp. 139

INT. KRANKENZIMMER - ABEND

139

Es ist schon dunkel. Kirsch liegt in einem Krankenbett. Er sieht elend aus. Johann und Gnielka sitzen bei ihm. Die drei spielen Skat. Gnielka spielt eine Karte aus. JOHANN Gnielka, du Hornochse, warum spielst du nicht Pik? KIRSCH Lass ihn doch, hab ich halt auch mal Masel. Kirsch spielt seine Trümpfe aus, Johann wirft seine Karten auf den Tisch. JOHANN Du 70, wir 50. Er schreibt die Punkte auf. JOHANN (CONT’D) (unvermittelt) Mengele entwischt mir immer wieder. Es ist zum verrückt werden. Kirsch sieht seinen Freund lange an. Gnielka steht auf, um eine Karaffe Wasser zu füllen. KIRSCH Ich habe nie das Kaddisch gesprochen. JOHANN Was meinst du?


104. KIRSCH Im Lager war Gott... er war nicht da. Und so hab ich es nie für sie gesprochen. Als ich am Boden lag und auf den Krankenwagen gewartet habe, da habe ich nur daran gedacht. Dass ich für meine Mädchen Ruth und Klara nie das Kaddisch gesprochen habe. Ich schaffe das nicht. Ich kann dort nicht mehr hinfahren. Es ist für einen Moment still. KIRSCH (CONT’D) Ich bitte euch, macht Ihr das, fahrt nach Auschwitz und tut es für mich. Betet für ihre Seelen. Gnielka steht am Waschbecken. Für einen Moment wirkt er erschrocken. GNIELKA Das machst du, wenn du wieder gesund bist. Kirsch sieht beide an. KIRSCH Ich bin dem Tod gerade das zweite mal von der Schippe gesprungen. Ich bitte Euch, macht Ihr das. JOHANN Simon, ich muss erst diesen Prozess führen. Kirsch lächelt. KIRSCH No, ich bitte dich. Johann steht auf. JOHANN (laut) Nein, Simon, ich muss diesen Prozess führen. Für so etwas habe ich keine Zeit. Es geht um etwas Größeres. Du verstehst nicht, worum es hier geht! Er geht aus dem Zimmer, die Tür schlägt laut zu. Simon sieht Gnielka traurig an.


105. 140

INT. BÜRO JOHANN / HALLER - FRÜHMORGENS

140

Johann sitzt an seinem Schreibtisch als es klopft. Kathi, die Bedienung aus Günzburg tritt ein. Sie hat ein blaues Auge. In der Hand trägt sie einen Lederkoffer. Johann springt auf. JOHANN Kathi, stimmt’s? Sie nickt unsicher. JOHANN (CONT’D) Setzen Sie sich doch. Johann deutet auf ihr Auge. JOHANN (CONT’D) Wer war das? Kathi schüttelt den Kopf. KATHI Ich hab nicht viel Zeit, mein Zug geht gleich. Der junge Mengele war da, ich habe gehört, wie seine Mutter es der Chefin erzählt hat, und dass er heut von Frankfurt zurückfliegt... Ich wollte die Polizei rufen, aber die Wirtin... Ich geh fort von da. Ich halt es da nicht mehr aus. Johann ist elektrisiert. Er packt sie an den Schultern. Danke!

JOHANN

Johann läuft zur Tür. 141

INT. BÜRO SCHMITTCHEN - TAG Johann kommt herein. Langbein ist auch da. JOHANN Verbinden Sie mich mit dem BKA. Schmittchen probiert es. SCHMITTCHEN Da geht keiner ran. Die machen bestimmt Mittag. Johann will gehen.

141


106. LANGBEIN Wo gehen Sie hin, um zwei kommt Wisniewska, das ist ein wichtiger Zeuge. JOHANN Heute nicht. LANGBEIN Aber... der fährt am Abend zurück nach Tel-Aviv. Johann ist schon aus dem Zimmer. Langbein läuft zur Tür. LANGBEIN (CONT’D) (laut) Herr Radmann! 142

EXT. BKA - TAG

142

Ein grüner Polizeikäfer hält mit quietschenden Reifen. Johann springt aus dem Wagen und läuft auf das Gebäude zu. 143

INT. BKA - TAG

143

Johann platzt in das Büro. Der alte BKA Mann sitzt hinter seinem Schreibtisch und trinkt Kaffee. JOHANN Ich muss Herrn Fischer sprechen, dringendst! Tja...

ALTER BKA MANN

JOHANN Wo ist er? Es ist sehr wichtig. ALTER BKA MANN Kollege Fischer wurde vom Dienst suspendiert. Ihre Generation hat eben keinen Begriff von Loyalität. Johann ist fassungslos. JOHANN Ich... Ich brauche den Namen, unter dem Josef Mengele reist. Ich bitte Sie. Der alte BKA Mann sieht ihn regungslos an, dann fängt er an zu lachen. ALTER BKA MANN Sie hören von uns.


107. 144

I/E. ALLEE / POLIZEIKÄFER - TAG

144

Der Polizeikäfer rast mit Höchstgeschwindigkeit eine Allee entlang. Ein junger POLIZIST fährt, Johann sitzt auf dem Beifahrersitz. JOHANN Fahren Sie schneller. POLIZIST Der verliert eh schon Öl. Und wir wissen nicht unter welchem Namen der Mann reist, da brauchen wir auch nicht zum Flughafen zu fahren. JOHANN Mengele erkenne ich, das können Sie mir glauben. Fahren Sie! Der Motor beginnt zu stottern und der Wagen bleibt stehen. Johann springt aus dem Wagen und läuft zu Fuß weiter. Der Polizist öffnet die rauchende Motorhaube. Johann versucht einen vorbeifahrenden Opel Kadett anzuhalten, doch der hupt nur. Johann läuft fluchend weiter. Ein Mensch auf einer Straße, die ins Nichts führt. 145

INT. STAATSANWALTSCHAFT / GANG - ABEND

145

Johann geht erschöpft den Gang entlang, verschwitzt, die Haare durcheinander, die Augen tief. Schmittchen kommt ihm entgegen, sieht ihn fragend an. Johann schüttelt grimmig den Kopf. Der Zeuge? Weg.

JOHANN SCHMITTCHEN

Langbein kommt herbei. LANGBEIN Was bilden Sie sich eigentlich ein. Herr Wisnievska war außer sich. Ich bin außer mir. Der hat Auschwitz durchgemacht, ich überrede ihn mit Engelszungen auszusagen und Sie lassen uns hier einfach sitzen. Es gab...

JOHANN

LANGBEIN Ihre Hybris ist zum Speib’n.


108. Langbein geht. 146

INT. BÜRO JOHANN / HALLER - ABEND

146

Johann kommt ins Büro. Seine Mutter sitzt auf einem Stuhl. JOHANN Was machst du in Frankfurt? MUTTER Wenn du nicht anrufst. Was ist denn hier los, zieht Ihr um? Sie nimmt sich einen Stuhl und setzt sich. MUTTER (WEITER) (CONT’D) Junge, ich muss mit dir sprechen. JOHANN Ich habe keine Zeit. MUTTER Johann, es ist wichtig, sei doch nicht so verstockt. JOHANN Bitte geh jetzt. MUTTER Johann, ich möchte dich um etwas bitten. Gustav hat mich gefragt, ob ich ihn heiraten will, und ich habe ja gesagt. JOHANN Was? Du bist schon verheiratet. MUTTER Ach Junge. Nach 15 Jahre kommt keiner mehr heim. Dein Vater... Ich habe beantragt ihn für tot erklären zu lassen. Johann schüttelt bitter den Kopf. MUTTER (CONT’D) Du bist mein Sohn, Du willst doch bei meiner Hochzeit dabei sein! JOHANN Nein. Gustav war doch ein Nazi, wie kannst du... MUTTER (wütend) Johann, das verbitte ich mir, du kennst ihn doch überhaupt nicht. (MORE)


109. Gustav alle.

MUTTER (CONT'D) war in der Partei, so wie

JOHANN Mein Vater nicht! MUTTER (scharf) Ach, natürlich war er das. Was?

JOHANN

MUTTER Vati war in der Partei. Er hatte keine Wahl, genau wie Gustav... Johann ist aufgesprungen. JOHANN Raus. Es reicht. Wie kannst Du nur so lügen. Vati war ein Ehrenmann! Du beschmutzt ihn, nur um Deinen Gustav zu rechtfertigen. MUTTER Johann, komm doch zur Vernunft, das bringt... Er schiebt sie zur Tür. JOHANN Geh, ich will nichts mehr hören. 147

INT. KELLER - NACHT

147

Johann geht eine Kellertreppe hinunter, vor ihm ein Mann im weißen Kittel. Die Treppe ist sehr lang. Eine Eisentür schwingt auf. Der Mann im Kittel geht voran, an Präparaten entlang, schemenhaft in großen Gläsern. Johanns Gesicht ist fassungslos. Schließlich dreht sich der Mann im Kittel um. Es ist Mengele. Johann erschrickt, will auf ihn losgehen, da erkennt er, dass seine Hände zusammengenäht sind. Er sieht zu Mengele, doch plötzlich steht da sein Vater in dem weißen Kittel. Entsetzt blickt er sich um und sieht sich in einem Spiegel. Nun sind auch sein Mund und seine Augen vernäht.


110. 148

INT. JOHANNS ZIMMER - MORGENS

148

JOHANN (im Schlaf) Vater! Er wacht schweißgebadet auf. 149

EXT. IG FARBEN HAUS - TAG

149

Johann steht vor dem riesigen Gebäude und blickt hoch. Er zögert, dann holt er Luft und geht hinein. 150

INT. BÜRO PARKER - TAG

150

PARKER Don’t do it. Johann sitzt ihm gegenüber. JOHANN Ich muss es wissen. PARKER Don‘t do it, kiddo! JOHANN Kurt Radmann, geb 1898 in Marburg. Können Sie herausfinden, ob er in der Partei war? Parker sieht ihn an. 151

INT. ROTUNDA IG FARBEN HAUS - TAG

151

Johann wartet in dem weiten Rund. Major Parker kommt auf ihn zu, sieht ihn kurz an, dann gibt er ihm einen Umschlag und geht. Johann öffnet den Umschlag und wankt. 152

EXT. MAIN - ABEND

152

Johann streift verloren am Main. Er trinkt aus einer Flasche Whiskey. 153

INT. ATELIER MARLENE - ABEND Ein knallbuntes Cocktailkleid auf einer Schneiderpuppe. Marlene arbeitet die letzten Details aus. Johann kommt die Treppe herunter. Er ist angetrunken. Er bleibt mitten im Raum stehen, schwankt, sieht sich verzweifelt um. Dann scheint er sich zu fassen.

153


111. MARLENE Johann! Wie schön, warte, ich mach nur noch schnell die Naht fertig. Marlene.

JOHANN

Sie springt auf ihn zu. MARLENE Ha, heute vor sechs Monaten wolltest Du mich noch einsperren. Sie will ihm einen Kuss geben. MARLENE (CONT’D) (trocken) Du bist betrunken. JOHANN Nein, nur... Er reibt sich den Kopf, lacht verzweifelt. JOHANN (CONT’D) Wie soll man das sonst aushalten. MARLENE Ich habe schon einen Säufer zu Hause, einen Zweiten kann ich nicht gebrauchen. Johanns ist getroffen. JOHANN (beiläufig) Nein, das Fräulein Wondrak verkehrt ja jetzt in besseren Kreisen. Sein Blick bleibt an dem Kleid hängen. JOHANN (CONT'D) Oh! Da, da hast du was vergessen. Wo ist denn das Hakenkreuz? Was?

MARLENE

JOHANN Das ist doch wieder ein Kleid für die Frau von irgendeinem Naziverbrecher. MARLENE Sag mal spinnst du? Was redest du da?


112. JOHANN Mertens, Lichter, diese ganzen feinen Leute, das sind doch alles Verbrecher. Und woher weiß ich das? Weil dieses ganze Volk ein Volk von Verbrechern ist. Und alle tun so, als wäre nichts gewesen. Er sieht sich um. JOHANN (CONT’D) Diese ganzen Farben. Wir Deutschen sollten bis in alle Ewigkeit schwarz tragen, bis in alle Ewigkeit. Er packt das Kleid. JOHANN (CONT’D) Und du machst so was. Die Puppe fällt um. Dabei zerreißt das Kleid. Marlene geht auf ihn los und schlägt auf ihn ein. MARLENE Bist du verrückt? Das muss ich morgen abgeben! Johann packt ihre Arme und hält sie fest. Marlene versucht sich freizumachen, aber Johann lässt nicht locker. MARLENE (CONT’D) Ich hasse dich. Du bist unausstehlich geworden. Du siehst nur noch das Schlechte. Du bist blind! Es sind nicht alle Menschen schlecht. JOHANN Ich bin blind? Ich? Du bist doch blind! Pionier-Bataillon 221. Dein Vater war in Polen stationiert. Ich habe ihn überprüft. Weißt du, was die gemacht haben? Frag ihn doch mal, warum er säuft! Marlene ist wie vom Donner gerührt. MARLENE Was? Das glaube ich nicht. Sag mal, was bildest du dir eigentlich ein? Sie schiebt ihn resolut zur Tür.


113. MARLENE (CONT’D) Raus! Raus! Ich will dich nie wieder sehen! Johann geht. 154

INT. KNEIPE BUNTER VOGEL - NACHT

154

Johann und Gnielka besaufen sich. Sie stoßen an. Veritas.

GNIELKA

JOHANN Du bist der einzige ehrliche Mensch, den ich kenne. Veritas. GNIELKA Und du bist ein Held. 155

EXT. STRASSE FRANKFURT - NACHT

155

Johann und Gnielka ziehen betrunken die Straße entlang. Sie kommen an einer Litfaßsäule mit den Baer-Plakaten vorbei. Gnielka springt auf ein Mäuerchen und führt eine wilde Revolverheldpantomime vor. GNIELKA Sheriff Radmann und sein treuer Freund, der Apachenhäuptling Wilde Locke kämpfen gegen eine Übermacht, na na na na na na (Melodie von High Noon), peng peng peng! Am Ende siegt das Gute! Johann lässt sich anstecken, springt an seine Seite und imitiert einen Lassowurf. JOHANN Und am Ende hängen die Bösen am Galgen! JOHANN/GNIELKA ...Sheriff Radmann und Wilde Locke. Mit überdrehtem Gelächter fallen sie nach hinten in eine Hecke, dabei reißt Johanns Ärmel auf. Sie liegen einen Moment still im Gras und blicken in den dunklen Himmel. Johann sieht Gnielka an. JOHANN Woher wusstest du es eigentlich?


114.

Was?

GNIELKA

JOHANN Auf der Flucht erschossen. Was das bedeutet. Gnielka schweigt. JOHANN (CONT’D) Komm schon. Woher wusstest du es? Gnielka seufzt. GNIELKA Ich war dort. Wie bitte?

JOHANN

GNIELKA In Auschwitz. Ich war dort. Johann rappelt sich auf. JOHANN Du warst in Auschwitz? Im Krieg?!? Gnielka nickt, Johann ist fassungslos. JOHANN (CONT’D) Du bist ein Lügner, wie alle anderen. GNIELKA Hör doch auf... JOHANN Du bist ein Lügner und ein Heuchler, wie alle anderen. Nein, Du bist schlimmer als alle anderen. Gnielka packt ihn und hält ihn fest. GNIELKA (laut) Weißt du nicht mehr, wer ich bin, Johann! Du hörst mir jetzt zu verdammt noch mal! Du willst wissen, was ich gemacht habe? Ich war 17. Die haben meine ganze Klasse zu Flakhelfern gemacht. Und dann haben sie uns nach Auschwitz geschickt.


115. JOHANN Genau. Du hast nur Befehle befolgt, die große Entschuldigung, die jeder hat. Und am Ende war Hitler alleine schuld. GNIELKA Du wolltest es doch wissen. Du hörst mir jetzt zu, verdammt. Er lässt Johann los. GNIELKA (CONT’D) Wir mussten Häftlinge beaufsichtigen. Da war ein polnischer Professor, Tadeusz Rosenthal. Ich habe ihm heimlich Zigaretten und Brot gegeben. Und dann, dann haben sie ihn damit erwischt. Zur Strafe haben Sie ihn an den Zaun gestellt und seine Mütze drüber geworfen. Dann haben sie ihm befohlen, sie zu holen. Und dann haben sie ihn rücklings erschossen. Auf der Flucht erschossen, wie bei unseren Listen. Hab ich was Böses getan? Nein. Gibt es einen Tag, in meinem Leben, an dem ich mich deswegen nicht schuldig fühle? Nein. Johann steht auf. JOHANN Ich will es nicht hören, ich kann es nicht mehr hören. Du ekelst mich an. Ihr alle ekelt mich an. Er geht. 156

EXT. STRASSE FRANKFURT - NACHT Johann streift betrunken durch die Straßen, er geht PASSANTEN an. JOHANN (bedrohlich) Und Sie, was haben Sie gemacht? Hm? Waren sie ein Nazi? Er spricht den nächsten MANN an. JOHANN (CONT’D) Du? Warum hast du nichts getan? Warum hast du mitgemacht?

156


116. Ein bulliger Mann kommt ihm entgegen. JOHANN (CONT’D) Und du, bist du auch ein Nazi? Der Mann boxt ihn in den Magen. Johann sackt zusammen. 157

INT. JOHANNS ZIMMER - TAG

157

Johann rasiert sich sorgfältig. Seine Bewegung sind mechanisch, sein Blick ist stumpf. 158

INT. BÜRO BAUER - TAG

158

Bauer ist in die Arbeit vertieft, als Johann unvermittelt vor ihm steht. Johann setzt sich. Warum ich?

JOHANN

BAUER Was meinen Sie? JOHANN Den Prozess. Die Ermittlungen. Warum ich? Bauer lehnt sich zurück und mustert Johann. BAUER Sie sind Jahrgang 1932. Sie sind unbelastet. JOHANN Nein. Weil ich naiv genug war, mich von Ihnen verheizen zu lassen. Bauer ist getroffen. JOHANN (CONT’D) (beiläufig) Übrigens war mein Vater auch ein Nazi. Bauer seufzt. BAUER Was haben Sie erwartet? Die Juristen waren fast alle in der Partei. JOHANN Er war genauso schuldig wie alle anderen.


117. BAUER Wenn Sie glauben, dass es darum geht zu beurteilen, wer hier schuldig, halbschuldig oder unschuldig ist, haben Sie nichts begriffen, Herr Radmann. Gar nichts. JOHANN Doch, hab ich. Dieses Land will es nicht wissen, dieses Land von Lügnern und Heuchlern. Dieser Prozess ist sinnlos! 20 Männer vor Gericht zu stellen, was soll das bewirken? Und Ihre Aktion mit Eichmann hat uns Mengele gekostet, diesen Dämon. BAUER Das ist Ihr Irrtum, der Dämon ist das auf dem Reißbrett geplante, perfekt durchorganisierte Morden. Die Endlösung. Johann zieht ein Kuvert aus seinem Jackett und legt es vor Bauer hin. JOHANN Ich kündige. Er steht auf und geht. BAUER Herr Radmann! Jetzt ist für eine kurze Zeit ein historisches Fenster offen, wenn sie uns im Stich lassen... Haller schafft das doch nicht alleine. Sie können nicht gehen, dann war alles umsonst. Alles, was Ihnen wichtig war. JOHANN Hören Sie auf. Gerechtigkeit, Wahrheit... das sind doch nur noch leere Worte. Er geht. 159

INT. KANZLEI MERTENS - TAG Johann und Mertens sitzen in Mertens Besprechungsecke. Mertens schenkt Johann einen Whiskey ein. PETER MERTENS Ich freue mich sehr. Ich glaube, das ist der richtige Schritt.

159


118. Johann nickt. Er ist wie betäubt. Sie stoßen an. PETER MERTENS (CONT’D) Sie fangen am Montag an. Mertens lächelt aufmunternd. 160

INT. STAATSANWALTSCHAFT / GANG - TAG

160

Johann packt seine persönlichen Sachen zusammen, als Friedberg vorbeikommt und ihm auf die Schulter klopft. FRIEDBERG Hab schon gehört. Gratuliere! Friedberg geht. Johann schüttelt grimmig den Kopf. Er kommt an Schmittchens Büro vorbei. JOHANN Schmittchen, ich will mich für Ihre Hilfe bedanken. Schmittchen steht auf und sieht ihn ernst an. SCHMITTCHEN Sparen Sie sich das. Sie macht die Tür vor ihm zu. 161

EXT. MARLENES ATELIER - TAG

161

Johann geht die Straße entlang. Er kommt an Marlenes Atelier vorbei. Im Schaufenster hängt Marlenes rotes Kleid. Marlene ist gerade bei einer Anprobe mit einer schicken DAME. Johann zögert kurz, soll er reingehen, dann schüttelt er resolut den Kopf und geht weiter. 162

INT. JOHANNS ZIMMER - ABEND

162

Johanns Zimmer ist wieder leer, es herrscht perfekte Ordnung. Johann liegt im Halbdunkeln angezogen, mit verschränkten Armen auf dem Bett und starrt an die Decke. 163

INT. KANZLEI MERTENS BESPRECHUNGSRAUM - TAG Mertens und Johann sitzen zusammen. JOHANN Ihr... Unser Mandant ist im Unrecht, er hat das Patent verletzt, wir könnten nur...

163


119. MERTENS Junge, unsere Mandanten zahlen uns nicht eine großen Batzen Geld, damit sie im Unrecht sind. Es klopft und Hans Lichter tritt herein. Johann starrt ihn an. JOHANN Ich verstehe nicht... MERTENS Hans, sehr gut! (zu Johann) Kollege Lichter ist unsere Geheimwaffe, wenn es schmutzig wird. LICHTER (lachend) Na,na,na. Ich bin einfach nur brillant, und für meine Mandanten tue ich alles. Mertens steht auf. MERTENS Meinen Herren, arbeiten Sie eine Strategie für den Prozess aus, Geld spielt keine Rolle. Er geht. LICHTER Freue mich, dass wir nun zusammen arbeiten. Johann ist still geworden. LICHTER (CONT’D) (süffisant) Naja... Der Mensch ist nicht zum Helden geboren, was? Johann hat den Kopf leicht gesenkt. Dann sieht er auf, sein Blick ist klar. Er steht auf und geht. An der Tür geht er an Mertens vorbei. MERTENS Herr Radmann? 164

INT. ATELIER KIRSCH - NACHT

164

Kirsch liegt im Schlafrock auf dem Sofa. Johann kommt herein. Bubeleh!

KIRSCH


120. Zeitsprung. Johann sitzt neben dem Sofa. Kirsch mustert ihn. KIRSCH (CONT’D) Was willst du jetzt tun? JOHANN Ich weiß es nicht. Ich war so blind, genau wie alle anderen. KIRSCH Ach Bubeleh. Johann legt für einen Moment die Hände in den Kopf. JOHANN Simon, etwas verstehe ich nicht. Wie kannst du hier leben, wie kannst du noch hier in Deutschland leben? Kirsch sieht ihn lange an. KIRSCH Schau, ich hab meine Hannah in der Hutabteilung vom Kaufhaus Schneider kennen gelernt. In der Uniklinik sind meine Kinder geboren. In der Fressgass hab ich ihnen das erste Eis gekauft. Im Grüneburgpark waren wir Enten füttern, da hat eine der Klara in die Hand gezwickt. Die Tränen fließen Kirsch übers Gesicht. KIRSCH (CONT’D) No sag mir, wo gehöre ich sonst hin? Johann nickt leise. JOHANN Ich glaube... ich kann in diesem Land nicht mehr leben, Simon. Vielleicht gehe ich weg. Aber ich werde nach Auschwitz fahren und das Kaddisch sprechen. Das mach ich noch. Bitte gibt mir das Buch. Kirsch holt das Gebetsbuch aus dem Nachttisch. Er hält es fest. KIRSCH Gnielka muss auch mit. Johann schüttelt den Kopf.


121. JOHANN Nein, ich fahre alleine. KIRSCH (streng) Bubeleh... Johann sieht ihn an. Er nickt. Kirsch gibt ihm das Buch. 165

EXT. VOR HAUS JOHANN - TAG

165

Gnielka wartet in seinem Borgward, Johann steigt ein, die beiden schauen gerade aus, ohne zu reden. Der Borgward fährt los. Die Reifen des Borgward rollen über den Asphalt. 166

EXT. STRASSE POLEN - ABEND

166

Die Reifen eines Lada rollen über den Asphalt. Johann und Gnielka sitzen auf der Rückbank des Lada. Der FAHRER blickt hochkonzentriert in die Nacht. Es regnet, der quietschende Scheibenwischer macht jedes Gespräch unmöglich. Der Fahrer flucht auf polnisch. 167

INT. ZIMMER AUSCHWITZ - NACHT

167

In der Morgendämmerung hoppeln drei Kaninchen über eine Wiese im Lager. Johann steht alleine am Fenster. Er kann einen Teil des Tores sehen, darüber “... macht frei”. Johann geht an Gnielkas Bett. Gnielka schläft fest. Johann weckt ihn. Gnielka öffnet die Augen. 168

EXT. LAGERGELÄNDE - TAG

168

Es ist ein sonniger Frühlingstag. Johann und Gnielka laufen über eine Wiese. Im Hintergrund ein Birkenwäldchen und ein See. Grillen zirpen, Vögel zwitschern. Dass wir in Auschwitz sind, erkennt man nur an einem Stacheldrahtzaun. Gnielka bleibt stehen. GNIELKA Hier, hier war es. JOHANN Warum hast du darüber nie gesprochen?


122. GNIELKA Weil ich mich schäme. Weil ich einfach nur dagestanden und zugesehen habe, einfach nur zugesehen. Den Mund gehalten und zugesehen. Johann nickt. GNIELKA (CONT’D) Und der Prozess? Ohne dich... das wird nichts. JOHANN Ich wollte immer für das Gute kämpfen. Aber ich weiß nicht mehr, was das ist. Wie will ich da einen anderen Menschen anklagen? Wäre ich damals... ich weiß nicht, was ich getan hätte. GNIELKA Johann, du verstehst nicht, worum es geht. Schau dich um. Was siehst du? Auschwitz.

JOHANN

GNIELKA Nein. Du siehst eine Wiese mit Bäumen und einem Zaun. Auschwitz, das sind die Geschichten, die hier passiert sind und die liegen hier begraben. Und wenn du diesen Prozess nicht führst, bleiben sie begraben und werden irgendwann vergessen. JOHANN Das was hier passiert ist... es gibt keine Strafe, die dafür angemessen ist. GNIELKA Johann, das ist dein Irrtum. Es geht nicht um Bestrafung, es geht um die Opfer. Um ihre Geschichten. Dass man ihre Geschichten in Deutschland hört. Und dass Deutschland begreift, was hier geschehen ist. Was deutsche Männer hier getan haben. Wir müssen endlich zu unserer Verantwortung stehen. So etwas darf nie wieder passieren. Nie wieder.


123. Johann sieht seinen Freund lange an. 169

EXT. BIRKENWÄLDCHEN - SONNENUNTERGANG

169

Johann und Gnielka knien auf dem Boden und legen einige Steine aufeinander. Dann erheben sie sich und schlagen Kirschs Buch auf. GNIELKA Wie machen wir das jetzt? JOHANN Simon hat es aufgeschrieben. Wir sehen von weitem, wie die beiden beten. Zwei einsame Männer in einer weiten Landschaft. Zeitsprung Sie gehen nebeneinander über das Feld. 170

INT. VOR BAUERS HAUS-

FRÜHMORGENS

170

Bauer kommt aus der Tür, schließt sie und will zur Garage gehen, als er Johann entdeckt, der am Zaun auf ihn wartet. Die beiden tauschen einen langen Blick aus. 171

INT. BÜRO BAUER - FRÜHMORGENS

171

Johann und Bauer kommen herein. Bauer öffnet die Schublade und nimmt Johanns Kuvert heraus. Es ist ungeöffnet. BAUER Warum sind Sie wieder da? Johann sieht ihn an. JOHANN (schlicht) Weil Auschwitz... weil die einzige Antwort auf Auschwitz ist, selber das Richtige zu tun. Bauer sieht Johann an, dann zerreißt er es mit einem leisen Lächeln. Johann will noch etwas sagen, doch dann verlässt er entschlossen das Zimmer. 172

INT. STAATSANWALTSCHAFT / GANG - MORGENS Johann geht den Gang entlang. Er öffnet die Tür zum Büro.

172


124. 173

INT. BÜRO JOHANN / HALLER - TAG

173

Haller und Schmittchen sehen auf, als Johann hereinkommt. Johann hängt stumm den Mantel auf und setzt sich an seinen Schreibtisch. Er will etwas sagen, findet aber keine Worte. Wieder da? Wieder da.

HALLER JOHANN

Schmittchen lächelt leise. Nach einer Pause. JOHANN (CONT’D) Tut mir leid. HALLER Schwamm drüber. Keiner ist perfekt. Außer mir. 174

I/E. ATELIER MARLENE - TAG

174

Johann geht die Straße entlang. Er hat ein Jackett unterm Arm. Er kommt zu Marlenes Atelier. Im Schaufenster hängt ihr rotes Kleid. Marlene ist gerade bei einer Anprobe mit einer schicken DAME. Hinter ihr springen eine ASSISTENTIN herum. Sie sieht ihn nicht, die Kundin sagt etwas, Marlene lacht auf. Johann atmet durch und geht hinein. Die Assistentin kommt auf ihn zu. ASSISTENTIN Der Herr wünschen? JOHANN Ich hätte was zu reparieren. Marlene sieht überrascht auf. MARLENE Den Kunden übernehme ich. Sie sieht Johann prüfend an und registriert seine Wandlung. MARLENE (CONT’D) Sie wünschen? Johann sieht sie lange an, dann zeigt er ihr das bei dem Streit mit Gnielka zerrissene Jackett. JOHANN Kann man das reparieren? Sie prüft den Schaden fachmännisch.


125. MARLENE Also, das ist ja völlig kaputt. JOHANN Ich weiß, aber mir liegt ungeheuer viel daran. Marlene streicht traurig über den Riss. MARLENE Nein, der Riss ist zu groß, da ist nichts mehr zu retten. JOHANN Ich scheue keine Mühe, egal was es kostet. Marlene schüttelt sacht den Kopf. MARLENE Kaufen Sie sich ein Neues, und dann passen Sie besser darauf auf. Johann nickt sacht und nimmt das Jackett. JOHANN Dann muss ich mich damit abfinden. Marlene hat feuchte Augen. MARLENE Ja, das müssen sie. Johann geht. In der Tür... JOHANN Marlene, es tut mir leid... Er geht. 175

EXT. ATELIER MARLENE - TAG

175

Johann steht etwas unschlüssig mit dem Jackett vor dem Atelier, er atmet durch. Dann legt er das Jackett sacht auf eine Mülltonne und geht. 176

INT. VOR DEM VERHÖRZIMMER - TAG

176

Eine ZEUGIN wartet mit Langbein auf der Bank. Johann kommt heraus und verabschiedet einen MANN. Er nickt Langbein zu und bittet die ZEUGIN ins Zimmer. Die Tür schließt sich.


126. INT. BÜRO JOHANN / HALLER - TAG Johann sitzt im Büro als es klopft. Kirsch steht in der Tür. Sie sehen sich an. INT. VERHÖRZIMMER - TAG Kirsch sitzt am Tisch, Johann macht die Tür zum Verhörzimmer zu. 177

INT. BÜRO JOHANN / HALLER - TAG

177

Johann und Haller arbeiten still nebeneinander. 178

EXT. MAIN / RUDERBOOT - TAG

178

Ein schöner Abend auf dem Main. In einem Ruderboot sitzen Johann, Gnielka, und Kirsch. Kirsch sieht etwas besser aus. Sie haben das Boot angeleint, essen Hochzeitstorte und trinken Sekt. GNIELKA Herrlich! Gute Freunde, Kuchen und Sekt... Herz, was willst du mehr. JOHANN Gnielka, meine Mutter hatte mir den Kuchen eigentlich für uns alle mitgegeben. KIRSCH Lass den Jungen essen, er wächst ja noch. Gnielka hebt das Glas. GNIELKA Der Prozesstermin steht. Auf die Staatsanwaltschaft Frankfurt. Und auf Dich, Johann! Sie heben das Glas. Kirsch sieht in die Runde, sein Blick ist warm. KIRSCH L’chaim! Auf das Leben! Alle stimmen ein. ALLE L’chaim, auf das Leben!


127. 179

INT. BÜRO JOHANN / HALLER - ABEND

179

Das Büro ist vollkommen aufgeräumt. Die Wände und die Regale sind leer. Auf den beiden Schreibtischen stehen sorgfältig geschnürte Aktenbündel. Haller stellt den letzten hin. Das war’s.

HALLER

Friedberg kommt herein. FRIEDBERG Donnerwetter, war ein schönes Stück Arbeit, was? Johann und Haller sehen ihn nur wortlos an. FRIEDBERG (CONT’D) Naja, also... Meine Herren, blamieren Sie uns nicht! Wenn schon, denn schon. Er geht. Haller rollt leicht mit den Augen. 180

EXT. VOR DER STAATSANWALTSCHAFT - ABEND

180

Die untergehende Sonne taucht alles in rotes Licht. Johann kommt abgekämpft die Treppe hinunter. Er steigt auf seinen Roller, will ihn gerade ankicken, als er einen leisen Pfiff hört. Marlene lehnt an einer Mauer in einem Trenchcoat, in der Hand hat sie ein rotes Paket. Sie sieht umwerfend aus. Johann geht auf sie zu. Sie sehen sich lange an. Marlene lächelt leise. Sie gibt ihm das Paket. MARLENE Hier ist dein Jackett. JOHANN (belegt) Ich dachte, der Riss ist nicht mehr zu reparieren? MARLENE Ich bin nun mal sehr, sehr gut. JOHANN Morgen beginnt der Prozess. Ich weiß.

MARLENE


128. Sie nimmt seinen Kopf und gibt ihm einen kurzen, zärtlichen Kuss. MARLENE (CONT’D) Viel Glück. Sie läuft beschwingt davon. Johann sieht ihr beseelt hinterher. 181

EXT. FRANKFURTER RÖMER - TAG

181

Vor dem Frankfurter Rathaus. JOURNALIST (O.S.) Heute beginnt in Frankfurt am Main der bislang größte Strafprozess der jungen Bundesrepublik. 182

INT. FRANKFURTER RÖMER - TAG

182

JOURNALIST (O.S.) Es ist die Strafsache gegen Mulka und andere... Der Gerichtsdiener schiebt einen Wagen mit den Ordnern vor sich her. Kurz sieht man die Menschentraube vor dem Eingang zum Gerichssaal. Johann und Haller stehen abseits an einer Treppe. Haller nestelt an seiner Robe. Johann tigert in Hemd und weißer Krawatte auf und ab. HALLER Ich hab noch eine alte im Schrank. Soll ich sie holen? Langbein kommt vorbei. JOHANN Sie sagen am Freitag aus, sind Sie bereit? LANGBEIN Grünschnabel! Ich bin seit zwanzig Jahren bereit. In diesem Moment platzt Schmittchen atemlos herein und hält Johanns frisch gereinigte Robe in der Hand. SCHMITTCHEN Es tut mir so leid. Sie hilft Johann in die Robe und zupft seine Krawatte zurecht. Dann sieht sie Johann und Haller an und verdrückt vor Rührung heimlich eine Träne.


129. Bauer kommt dazu und sieht seine beiden Staatsanwälte an. BAUER Meine Herren. Heute wird Geschichte geschrieben. Ich bin stolz auf Sie. Er schüttelt jedem von ihnen förmlich die Hand. 183

INT. FRANKFURTER RÖMER - TAG

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Johann und Haller betreten mit entschlossenem Schritt den Plenarsaal. Die großen Türen schließen sich mit einem lauten Knall. RICHTER HOFMEYER (O.S.) Hiermit eröffne ich das Verfahren in der Strafsache 4 Ks 2/63... Epilog Für Fritz Bauer und seine “junge Garde” - die drei Staatsanwälte Joachim Kügler, Georg Friedrich Vogel, Gerhard Wiese und für Thomas Gnielka. Tatsächlich zogen sich die Ermittlungen und die gerichtliche Voruntersuchung für den Prozess über viereinhalb Jahre, vom Juni 1959 bis Dezember 1963. Von den mehr als 8.000 ehemaligen SS-Angehörigen, die in der Zeit von 1940 bis 1945 die Lager in Auschwitz bewacht hatten, standen nur 21 in Frankfurt vor Gericht. 17 von ihnen wurden verurteilt. In den zwanzig Monaten, die der Prozess dauerte, zeigten die Angeklagten keinerlei Einsicht oder Reue. 211 Überlebende des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz wurde gehört. Zum ersten Mal konfrontierten sich die Deutschen direkt mit Fragen der Verantwortung und Schuld am Holocaust. Der Holocaust, für den der Name Auschwitz durch diesen Prozess in Deutschland und auf der ganzen Welt zum Symbol geworden ist. Fritz Bauer starb 1968 an einem Herzversagen. Thomas Gnielka erlag 1965 mit nur 36 Jahren einem Krebsleiden. Das Prozessende hat er nicht mehr miterlebt. Josef Mengele lebte bis zu seinem Tod 1979 unbehelligt in Brasilien.

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