Atlas

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David Nawrath & Paul Salisbury

DEUTSCHE DREHBĂœCHER Herausgegeben von der Deutschen Filmakademie


ATLAS (Arbeitstitel)

Drehbuch von David Nawrath und Paul Salisbury Fassung vom 01. Januar 2017 - Emder Drehbuchpreis 2015 - Nominierung Deutscher Drehbuchpreis 2016 -

© 23/5 FILMPRODUKTION GmbH METHFESSELSTRASSE 23 10965 BERLIN, GERMANY


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INT. WALTERS WOHNUNG - MORGENGRAUEN

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Durch ein Fenster fällt trübes Licht, das den Beginn eines kalten Wintertages ankündigt. WALTER SCHOLLs (60) kräftige Hände fassen eine große Hantelscheibe und schieben sie auf das Gewinde der Hantelstange. Die Hände fassen nach einer weiteren Scheibe, die ebenfalls auf die Stange geschoben wird. Die Scheiben stoßen singend aneinander. Die Silhouette des massigen Körpers legt sich auf das quietschende Gestell der Hantelbank. Walter stemmt die schwere Hantel aus der Halterung. Seine breiten Unterarme spannen sich. Auf Walters linkem Unterarm: Eine grob gestochene Figur: Ein Mann, der die Weltkugel stemmt. Mit jedem Stoß entfährt ihm ein langes Zischen. Seine Zähne knirschen. CUT TO: 2

EXT. HAUSEINFAHRT ERDGESCHOSSWOHNUNG - MORGENSTIMMUNG

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Ein kalter Morgen. Im Windschutz eines großen Lasters wartet eine Gruppe von SECHS MÄNNERN vor der Hauseinfahrt eines 60erJahre-Baus. Die Männer ziehen den Rauch der Zigaretten ein als könnte er sie von innen wärmen. Unter den hartgesichtigen, jungen Männern fällt der ältere Walter mit seinen grauen Haaren und breiten Schultern deutlich auf. Während die anderen den Kopf schützend zwischen die Schultern ziehen und ihre Hände tief in ihren Taschen vergraben haben, steht Walter regungslos da, so als würde ihm die Kälte nichts anhaben. Die Gruppe blickt immer wieder zum Hauseingang hinüber, vor dem ein hagerer Mann im abgetragenen Anzug zitternd in der Kälte steht: ALFRED HOPPE (50). Hinter Alfred wartet ein Mann im Blaumann und Werkzeugkoffer - der MANN VOM SCHLÜSSELDIENST. Alfreds Finger verharrt auf der Türklingel der Erdgeschosswohnung. Die Klingel surrt penetrant, aber die Tür bleibt geschlossen. Ein etwas kränklich aussehender NEULING (19) versucht, mit von der Kälte steifen Fingern eine Zigarette zu drehen, was ihm nicht so recht gelingen mag. Ein Packer mit Kinnnarbe (HENNING, 30) beobachtet das und nimmt einen langen Zug von seiner Zigarette.


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2. Schließlich gibt Alfred auf und winkt den Schlüsseldienst zu sich, der einen Satz Schließwerkzeuge aus seinem Koffer holt und sich vor die Tür kniet. In dem Moment wird die Tür von einem MANN IN UNTERHOSE (52) aufgerissen. Der Schlosser müht sich wieder hoch. MANN IN UNTERHOSE Was soll’n das werden? Haben Sie mal auf die Uhr geguckt? ALFRED Schönen guten Morgen erstmal. Alfred reicht dem halbnackten Mann den Räumungsbescheid. Der Mann in Unterhose versucht gar nicht erst, das Schreiben zu entziffern. Sein Blick fällt auf die versammelte Mannschaft in der Einfahrt. Dann sieht er zum großen Umzugstransporter mit der Aufschrift “Grone Umzüge”, der hinter den Männern geparkt steht. Alfred nickt den Männern zu und sie legen ihre Montur an: Arbeitshandschuhe, Hub- und Tragegurte. Einzig Walter nicht. MANN IN UNTERHOSE Ich bin grad erst aufgestanden! ALFRED Dann machen Sie mal flinke Füße. Den Termin kennen Sie schon lange! MANN IN UNTERHOSE Was für ein Termin? Ich hab nichts bekommen! ALFRED Gehen Sie bitte zur Seite. Alfred winkt den Männern, woraufhin die sich gleich in Gang setzen. MANN IN UNTERHOSE Sie dürfen hier nicht einfach rein! Ich verklag Sie! Dürfen sie hier einfach rein? ALFRED Ja, darf ich. Machen Sie mal. Die Möbelpacker drücken sich grußlos am Mieter vorbei, der widerwillig zur Seite geht. Walter geht als letzter hinein.

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3. INT. ERDGESCHOSSWOHNUNG - TAG

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Walter betritt die gemütlich eingerichtete, aufgeräumte Wohnung. Alfred geht herum und trägt die Gegenstände in eine Liste ein. Walters Blick fällt auf einen riesigen Flachbildfernseher an der Wand, der noch läuft. Walter zieht mit einem groben Ruck den Stecker aus der Leiste und beginnt, den Fernseher samt Wandhalterung abzuschrauben. Der Mann in Unterhose bäumt sich sofort neben ihm auf. MANN IN UNTERHOSE Finger weg von meinem Fernseher! Walter ignoriert ihn, schraubt mit ruhigen Bewegungen weiter. Schließlich hebt er das Gerät von der Wand und will es hinaustragen. Der Mieter stellt sich ihm in den Weg. MANN IN UNTERHOSE (CONT’D) Der bleibt hier! Der Mieter schaut Walter eindringlich an. Gegenüber Walter wirkt er nahezu zerbrechlich. Walter scheint durch ihn hindurchzublicken. Dann macht er einen Schritt auf ihn zu, drängt den Mann damit beiseite und trägt den Fernseher zur Tür. MANN IN UNTERHOSE (CONT’D) Aasgeier! Schämen solltet Ihr Euch! Der Neuling hat sich die Stereoanlage geschnappt und will Walter folgen, doch der Mieter stellt sich auch ihm in den Weg. Als der Neuling an ihm vorbei will, hält der Mieter ihn fest. Alfred meldet sich aus dem Hintergrund zu Wort. ALFRED Müssen wir wirklich die Polizei rufen, Herr Köhler? Der Mieter lässt den Neuling los. 4

EXT. HAUSEINFAHRT ERDGESCHOSSWOHNUNG - TAG

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Walter trägt den Fernseher zum Transporter. Der Neuling folgt ihm aufgewühlt. Walter reicht Henning, der auf der Ladefläche des Transporters steht, den Fernseher. NEULING (zu Walter) Der fängt sich noch eine! Walter ignoriert ihn. Henning antwortet an Walters Stelle.

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4. HENNING Der beruhigt sich gleich. Walter geht zurück zur Wohnung.

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INT. ERDGESCHOSSWOHNUNG - TAG

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Der Mieter, inzwischen im Bademantel, sitzt rauchend in der Küche und schaut den Packern zu, wie sie sein Zuhause weiter leerräumen. Walter hievt sich gerade ein Regal auf den Rücken, als Alfred sich dem Neuling in den Weg stellt und auf die verzierte Messsinglampe in dessen Hand deutet. Der Lampenschirm ist eingerissen. Was’n das?

ALFRED

Der Neuling zuckt mit den Schultern. NEULING Das war schon. Alfred taxiert den Neuling kalt. Dann wendet er sich wieder seiner Arbeit zu. 6

EXT. SANIERTER ALTBAU - TAG

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In einer besseren Gegend parkt der Umzugstransporter vor einem sanierten Altbau. Die Packer tragen Möbel vom Hauseingang zur Hebebühne des Transporters. 7

INT. ALTBAUWOHNUNG - TAG

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Walter steht in einem Altbauzimmer mit Mustertapete. Aus dem Treppenhaus hallen die Stimmen der Packer. Walter betrachtet alte, gerahmte Fotos auf einer Kommode. DETAIL: Auf den Schwarzweißbildern sieht man eine schöne, junge Frau in einem 50er-Jahre-Kleid. Auf weiteren Fotos sind Kinder, deren Älterwerden auf den Bildern dokumentiert ist. Eine ALTE FRAU (80) kommt in den Raum und geht zur Kommode. Sie hält einen Karton in der Hand. Ihre Augen sind verweint. Sie will die Bilder in den Karton räumen. Walter beobachtet, wie sie mit zittrigen Händen die Rahmen nacheinander in den Karton legt. Dann nimmt Walter einen der umherstehenden Umzugskartons, reißt den Deckel ab und beginnt, ihn in gleichgroße Stücke zu reißen.

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5. Als sie das laute Reißen hört, wendet sich die alte Frau zu ihm um. Walter geht zu ihr. Er nimmt ihr den Karton aus der Hand und legt zwischen jedes der Bilder eines der Pappstücke. Die alte Frau schaut zunächst irritiert, dann nickt sie dankbar.

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EXT. FIRMA GRONE / PARKPLATZ - DÄMMERUNG

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Der Umzugstransporter steht vor einer offenen Lagerhalle. Der LKW ist fast leer. Zwei Packer fahren die Hebebühne mit dem letzten Schrank darauf runter. Walter lädt sich den knarrenden Schrank auf den Rücken und trägt ihn hinein. ROLAND GRONE (55), der Chef der Umzugsfirma, fährt mit seinem Audi A8 vor. Er steigt aus. Sein Lächeln passt nicht recht in sein strenges Gesicht. Die Männer grüßen ihn verhalten. Roland geht zum Kofferraum, holt einen Kasten Wasser heraus. Er stellt ihn vor den Männern ab. Greift zu!

ROLAND

Die Packer wirken erleichtert und tun, wie ihnen geheißen. Roland wendet sich an Alfred. ROLAND (CONT’D) Und, ist was Schönes bei? ALFRED Eher dünn heute. Ein Satz BugholzStühle. Ganz gut in Schuss. Und ne schöne alte Messinglampe mit Seidenschirm. Den hat der Neue allerdings zerdeppert. Aber er war’s natürlich nicht. Roland betrachtet den Neuling, der sich völlig ermattet und verschwitzt an die Wasserflasche klammert. NEULING Ich schwöre ich hab aufgepasst, Herr Grone. Roland sieht ihn an. ROLAND Warst du’s? Sowas kann passieren. Der Neue zögert, nickt dann zaghaft.

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6. ROLAND (CONT’D) Dir ist schon klar, dass wir hier nicht bei der Müllabfuhr sind? Der Neuling nickt schuldbewusst. Roland winkt die Männer heran und zieht aus seiner Hosentasche ein Bündel Geldscheine. ROLAND (CONT’D) Na kommt meine Täubchen. Er zahlt die Packer gönnerhaft aus. Ein kleiner Betrag für einen langen Arbeitstag. Die Männer nehmen die Scheine ohne zu murren. Als die Reihe am Neuling ist, zählt Roland demonstrativ die vier Zehn-Euro-Scheine ab und steckt sie selbst ein. ROLAND (CONT’D) Das ist für die Lampe. Der Neuling steht da und sieht Beistand suchend in die Gesichter der anderen. Die Packer weichen seinem Blick aus. Nur Walter sieht ihn ausdruckslos an. Der Neue kann es nicht fassen. Plötzlich holt er aus und knallt seine Wasserflasche auf den Boden. NEULING Fickt euch doch! Der Neue trollt sich. Roland ruft ihm nach. ROLAND Brauchst morgen nicht wiederzukommen! Mit der Einstellung kommst du hier draußen nicht weit! Die Männer sehen dem Neuling nach. Roland nimmt Walter zur Seite. ROLAND (CONT’D) Wie geht’s dem Rücken? Warst Du schon bei Jochen? Walter schüttelt den Kopf. Morgen.

WALTER

ROLAND Gut. Die Woche kann ich auf dich nicht verzichten. Zum Jahresende geht immer nochmal ein Ruck durch die Stadt.

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7. Roland zückt zwei Scheine vom einbehaltenen Lohn des Neulings. Er schaut prüfend zu den anderen Packern, steckt dann Walter das Geld zu, klopft ihm auf die schweißnasse Schulter. ROLAND (CONT’D) Schönen Feierabend. Walter bedankt sich mit einem Kopfnicken.

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EXT. WALTERS WOHNVIERTEL - NACHT

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Walter läuft die Strasse entlang. Vor ihm liegt ein Wohnkomplex. 9

INT. WALTERS WOHNUNG - NACHT

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Walter verriegelt die Tür von innen und hängt eine Türkette ein. Im schmalen Flur seiner kleinen, aufgeräumten Wohnung zieht er seine Schuhe aus und hängt seine Jacke mit dem Firmenschriftzug über einen Bügel. Man erhascht einen Blick in das kleine, schlicht eingerichtete Wohnzimmer: Eine Couch, ein Fernseher, die Hantelbank. 10

INT. WALTERS WOHNUNG - WENIG SPÄTER

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Walter öffnet den Kühlschrank, in dem dutzende Schachteln Aspirin liegen. Er zieht eine Schachtel heraus. In der winzigen Küche steht Walter vor der Arbeitsfläche. Er legt drei Tabletten auf die Tischplatte, zerdrückt sie mit einem Tassenboden. Das Pulver schiebt er in ein Wasserglas. Zischend löst es sich auf. Walter zieht seinen Pullover aus. Zum Vorschein kommt ein Gurtsystem, welches über den gesamten Oberkörper geht. Es erinnert an das Zuggeschirr eines Packpferdes. Mit routinierten Griffen löst er die Schnallen und legt seine Rüstung ab. Er nimmt das Glas Wasser und trinkt es in einem Zug leer. Dann legt er sich auf die kalten Küchenfliesen. Seine Knochen knacken wie Eisschollen. So liegt er da, erschöpft, regungslos und starrt an die Decke. Durch diese tönt dumpf lebhaftes Getrampel und entfernte Kinderstimmen. Sein Atem beruhigt sich. Walter schließt die Augen.

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8. INT. KLINIK / UNTERSUCHUNGSRAUM - TAG

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Mit geschlossenen Augen gleitet Walter langsam aus dem dröhnenden MRT. Eine Hand tippt ihn vorsichtig an. Walter öffnet die Augen. Er weiß für einen Moment lang nicht, wo er ist. 12

INT. KLINIK / BÜRO ARZT - WENIG SPÄTER

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Walter sitzt dem ARZT, einem gepflegten Mann um die 50, gegenüber, der über die Resultate gebeugt hinter seinem Schreibtisch sitzt. ARZT Sie sind ein kräftiger Mann, Herr Scholl. Sie haben geradezu einen Panzer aus Muskeln. Aber was darunter liegt, ist sehr kaputt. Der Arzt blickt ihn ernst an. ARZT (CONT’D) Ist mir ein Rätsel, wie Sie mit den Rückenschmerzen diese Arbeit machen können. WALTER Roland hat gesagt, Sie können mir was verschreiben. Was Stärkeres. ARZT Schmerzmittel lösen ihr Problem nicht. Nicht auf Dauer. Ihr Körper schreit praktisch jeden Tag um Hilfe. Und mit den Schmerzmittel halten Sie ihm nur den Mund zu. Verstehen Sie? Der Arzt betrachtet den müden Mann, der ihm unbeeindruckt gegenübersitzt. Dann steht er auf und zieht aus einem Arzneischrank eine Packung Tabletten. ARZT (CONT’D) Hiervon nehmen Sie zwei am Tag. Zwei - nicht mehr. Er schiebt ihm die Verpackung rüber. Walter nimmt sie entgegen und steht auf. WALTER Danke sehr. 13

INT. BETRIEBSRÄUME FIRMA GRONE / UMKLEIDE - TAG

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Walter bindet seine Schuhe zu. Die anderen Packer sind noch dabei, sich umzuziehen. ATLAS


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9. MARK (25), ein Packer mit Boxernase, kommt mit Handtuch um die Hüfte in die Umkleide und klatscht in die Hände. MARK So Männer, mal ein bisschen Beeilung! Die Putzengel kommen! Eine Gruppe dick eingemummelter Frauen drängelt sich mit verschränkten Armen in die Umkleide. MARK (CONT’D) Gucken dürft ihr. Aber nicht anfassen! Die Frauen verdrehen die Augen. Die Männer lachen. Walter holt unbemerkt eine Packung Tabletten aus seiner Tasche, drückt sich zwei der gelben Pillen auf die Hand und schluckt sie runter.

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INT. BETRIEBSRÄUME FIRMA GRONE / KÜCHE - NACHT

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Weihnachtsfeier in der Firma. Die Männer sind glühweinselig. Lautbrummende Stimmen und Gelächter füllen die kahle Firmenküche. Walter sitzt inmitten der Kollegen, trinkt stumm seinen Glühwein. Alfred steht am Herd und schenkt sich mit einer Kelle Glühwein aus einem großen Topf nach. Roland steht im Türrahmen und beobachtet das Treiben einen Moment, ehe er sich an die Männer wendet. ROLAND (laut) Bevor ihr euch jetzt alle das letzte bisschen Verstand wegsauft: Denkt an die Räumung am 27.! Friedrich-Ablass-Straße 49. Und keine Krankmeldungen! Wer nicht kommt, kann sich einen neuen Job suchen - ist klar. Die Männer nicken ihm zu. ROLAND (CONT’D) Na dann, schöne Weihnachten! Roland hebt seine Tasse mit Glühwein. Die Männer prosten sich zu und trinken. Mark macht den Clown. MARK Wo sind eigentlich unsere Geschenke, Chef? ROLAND Sind vom Schlitten gefallen. ATLAS


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10. Lautes Lachen. Walter sitzt mit gerötetem Gesicht inmitten der Männer und folgt mit gelöstem Lächeln dem Wortwechsel. ROLAND (CONT’D) In einer Stunde schmeiß ich euch raus. Roland geht ab in sein Büro. Henning zeigt allen auf seinem Handy das Foto eines kleinen Mädchens. Auch Walter wird das Handybild gezeigt, er nickt und lächelt zaghaft. HENNING Morgen wird sie vier. Kriegt ihr erstes Fahrrad. Alfred meldet sich zu Wort. Das Reden fällt ihm schon sichtlich schwer. ALFRED Genieß es, solange sie noch so klein ist. Und ihre Mutter ihr nicht irgendwelche Scheiße über dich erzählt. Henning sieht ihn irritiert an. Das Lächeln ist aus seinem Gesicht verschwunden. ALFRED (CONT’D) Jetzt bist du noch ihr Held. Weißt du wann mich meine Tochter anruft? Wenn die Kohle nicht rechtzeitig auf ihrem Konto ist. Henning ignoriert ihn und schaut auf sein Handydisplay. Mark spricht Alfred vorsichtig an. MARK Lass mal gut sein, Alfred. Alfred beugt sich vor und kommt dicht an Hennings Gesicht heran. ALFRED Meinst du, sie erinnert sich, was ich ihr zu ihrem vierten Geburtstag geschenkt hab? Unangenehmes Schweigen. Alfred kämpft plötzlich mit den Tränen. Dann legt Mark ihm die Hand auf die Schulter. MARK Ist gut, Alfred. Alfred schiebt die Hand beiseite und wendet sich ab.

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11. EXT. FIRMA GRONE / PARKPLATZ - NACHT

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Der Bewegungsmelder lässt das grelle Licht im Hof angehen. Walter stützt Alfred zu Rolands Audi. Roland folgt ihnen und öffnet die Hintertür. Sie laden Alfred auf der Rückbank ab. ALFRED (lallend) Ich weiß es doch selber nicht. Was?

WALTER

ALFRED (lallend) Was ich ihr geschenkt hab. Walter legt ihm die Jacke über. Roland schlägt die Tür zu und wendet sich an Walter. ROLAND Ich bring ihn nach Hause. Behalt die Schwachköpfe da drin im Auge. Von drinnen ist lautes Gelächter zu hören. ROLAND (CONT’D) Und lüfte durch , bevor du dicht machst. Walter nickt. Roland steigt ein und fährt ab. Walter steht allein auf dem stillen Hof. Die Beleuchtung geht aus. 16

EXT. BUSHALTESTELLE - NACHT

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Ein fast leerer Linienbus hält an einer entlegenen, verschneiten Haltestelle. Walter steigt aus. Als der Linienbus weggefahren ist, überquert Walter die Straße. 17

EXT. BÜRGERLICHES WOHNVIERTEL - NACHT

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Walter läuft durch eine beschauliche Wohngegend mit Einfamilienhäusern, deren Fenster weihnachtlich geschmückt sind. 18

EXT. ROLANDS HAUS - NACHT

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Bei einem Haus mit aufgeräumtem Vorgarten geht Walter die breite Garageneinfahrt hoch. Er wartet vor dem geschlossenen Garagentor. Plötzlich ertönt das Surren der Mechanik. Das Garagentor fährt langsam hoch. ATLAS


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12. INT. ROLANDS GARAGE - NACHT

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Walter betritt die geräumige, moderne Garage. Zunächst sieht er nur den riesigen Audi, dann erst bemerkt er Roland, der mit einer Taschenlampe, Typ Suchscheinwerfer, vor der Fahrertür hockt und die Tür entlangleuchtet. Roland nickt Walter zu, tritt einige Schritte von der Tür zurück und betrachtet sie weiter mit gerunzelter Stirn. Er winkt Walter zu sich. ROLAND Fällt dir was auf? Walter stellt sich neben Roland und sieht ebenfalls auf die Fahrertür des Wagens. Die Farbe.

ROLAND (CONT’D)

Walter mustert die grün-beige Lackierung. WALTER Sieht gut aus. ROLAND So eine Mistratte aus einem der Mietshäuser hat mir eine Schramme reingezogen. So ein Kratzer! Er zeigt die Größe der Schramme. ROLAND (CONT’D) Ich musste die ganze Tür neu lackieren lassen. In der Werkstatt ist mir nichts aufgefallen. Aber hier bei dem Licht wirkt sie irgendwie anders. Ich frag mich, ob’s die falsche Farbe ist. WALTER Ich seh nichts. Roland mustert Walter ähnlich kritisch wie die Autotür. ROLAND Hat Jochen dir was verschrieben? Walter nickt. Und?

ROLAND (CONT’D)

WALTER Geht besser. Danke noch mal. Roland nimmt einen vollgepackten Stoffsack von einem der Regale und drückt ihn Walter in die Hand. ATLAS


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13. Walter zieht ein Weihnachtsmannkostüm aus dem Sack und betrachtet den weißen Bart. ROLAND Die beiden anderen heißen Elisabeth und Nathan. Die Namen sind auf den Geschenken. Walter schaut angestrengt. Roland wendet sich eindringlich an ihn. ROLAND. Und Walter: Rede mit ihnen! Wenn du nur dastehst und nicht redest, kriegen sie Angst. Walter nickt und zieht seine Jacke aus. Roland geht ins Haus.

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INT. ROLANDS HAUS / FLUR / WOHNZIMMER - NACHT

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Walter steht vor der geschlossenen Tür zum Wohnzimmer. Sein Gesicht ist rot, ihm stehen Schweißperlen auf der Stirn. Durch die Wohnzimmertür hört man Kinder- und Erwachsenenstimmen, feierliche Musik. Walter zögert, dann klopft er an. Komm rein!

ROLAND

Walter öffnet die Tür. Im aufdringlich geschmückten, gefliesten Wohnzimmer sitzen Roland und seine Frau DOROTHEA(37) neben einem BEFREUNDETEN PAAR auf der Ledercouch und schauen mit erwartungsvollem Lächeln auf den zaghaft eintretenden Walter. Rolands Sohn JULIUS (8) und die Kinder der Freunde NATHAN (7) und ELISABETH (9) sitzen vor dem Weihnachtsbaum auf den Fliesen und blicken zu Walter hoch. Julius schaut besonders ängstlich. Walter wirkt gehemmt. Roland nickt ihm aufmunternd zu. Walter wendet sich an die Kinder. WALTER Wart Ihr auch schön brav? Julius erstarrt und fängt dann plötzlich bitterlich an zu weinen. Walter ist perplex und steht hilflos da. Julius läuft zu Dorothea. DOROTHEA Julius, du warst doch brav! Du musst nicht weinen!

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14. Walter zieht eins der Geschenke aus dem Sack und hält es Julius hin, der aber sein Gesicht von ihm abwendet. Roland versucht, auf Julius einzureden. ROLAND Der Weihnachtsmann ist extra den weiten Weg vom Nordpol hergekommen. Julius weint nun noch heftiger. Dorothea blickt Roland vorwurfsvoll an. DOROTHEA Ich wusste es, Roland! Ich hab’s dir gesagt! Es ist der Bart. Roland spürt die Blicke der Freunde. Er steht wütend auf und geht zu Walter, zieht ihm den Bart runter. ROLAND Dann machen wir’s eben ohne Bart! Sie blicken in Walters demaskiertes Gesicht. DOROTHEA Das ist doch Schwachsinn! (zu Julius) Schau Julius, es ist nur Walter! Walter kennst du doch! Sie wendet sich erklärend an die Freunde. DOROTHEA (CONT’D) Walter ist Rolands ältester Mitarbeiter. Dorothea streckt Walter umständlich die Hand entgegen, Walter nimmt sie. DOROTHEA (CONT’D) Grüß dich, Walter. Dann reicht Walter den beiden Gästen die Hand, nuschelt ein “Hallo.” Die Kinder fangen an, unterm Weihnachtsbaum die Geschenke aus dem Sack auszupacken. Julius macht einen großen Bogen um Walter und gesellt sich zögerlich dazu. Walter steht unsicher vor Roland, Dorothea und den Gästen. Der Schweiß rinnt ihm die Schläfen hinab. Dorothea sieht Roland vielsagend an. DOROTHEA (CONT’D) Ich schau mal nach dem Braten.

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15. INT. WALTERS WOHNUNG / KÜCHE - NACHT

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Walters Hände mühen sich mit dem Deckel einer rosa Tupperdose ab, auf dem ein Post-it-Zettel in weiblicher Handschrift “Frohe Weihnachten” wünscht. Schließlich kann er den Deckel lösen. In der Dose, etwas durcheinander geraten: Klöße, Rotkohl und Gänsebraten. 22

INT. WALTERS WOHNUNG / WOHNZIMMER - NACHT

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Durch den dunklen Flur flimmert das Licht des Fernsehers. Ein Weihnachtsmärchen läuft. Walter sitzt auf seinem Sofa. Das Essen hat er sich einem Teller akkurat angerichtet. Er nippt an seinem Glas Bier und beginnt zu essen. 23

EXT. WALTERS WOHNVIERTEL - NACHT

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Walters verschachteltes Neubauviertel. Aus den Fenstern schimmern die blassbunten Lichter von Weihnachtsbeleuchtungen und Fernsehbildschirmen in die stille Nacht. 24

EXT. FIRMA GRONE / PARKPLATZ - MORGENGRAUEN

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Die Packer stehen auf dem Parkplatz, rauchen und warten. Roland fährt mit seinem Audi vor. Auf seinem Beifahrersitz eine breite Gestalt. Roland und der Beifahrer sprechen noch eine Weile im Auto, während die Männer draußen in der Kälte warten. Schließlich steigen die beiden aus. Rolands Begleitung ist MOUSSA (27), ein massiger Kurde mit ansteckendem Lächeln. Er geht auf die Packer zu, gibt jedem die Hand. MOUSSA Ich bin Moussa. ROLAND Euer neuer Kollege. Das sind: Mark, Thorsten, Henning... Walter mustert Moussa stumm, als der ihm die Hand gibt und freundlich zunickt. ROLAND (CONT’D) Das ist Walter. Lass dich von seinem Alter nicht täuschen. Der schleppt mehr als die ganzen Pappnasen hier zusammen. Die Männer protestieren lachend. Nur Alfred lacht nicht. Roland stellt ihn Moussa vor.

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16. ROLAND (CONT’D) Das ist Alfred. Unser treuer Justizbeamter. Alfred reicht Moussa die Hand, Moussa streckt ihm scherzhaft seine beiden Handgelenke zur Festnahme hin. Alfred bleibt ernst. ALFRED Gerichtsvollzieher. Moussa grinst und schüttelt seine Hand. MOUSSA Schon klar. Roland klatscht in die Hände. ROLAND Auf geht’s!

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EXT. WOHNHAUS JAN / STRASSE - TAG

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Frisch sanierte Altbauwohnhäuser säumen die stille Straße. Dazwischen ein unsaniertes Haus mit Baugerüst. Ein großer und ein kleinerer Umzugstransporter biegen in die Straße ein und halten vor dem Haus mit Baugerüst. 26

INT. HAUSFLUR / VOR JANS WOHNUNG - TAG

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Die Männer betreten das Haus - eine schlafende Baustelle. Alfred bleibt vor einer der Wohnungstüren im Hochparterre stehen. DETAIL: Auf dem Klingelschild der Name Haller. Alfred klingelt. Der Schlosser positioniert sich hinter Alfred. Walter steht ganz hinten im Flur, die anderen Packer vor ihm verbergen seine breite Gestalt. Eine zierliche junge Frau, JULIA (29), öffnet die Tür. Sie sieht die Männer erschrocken an. ALFRED Guten Morgen! Ich hoffe, Sie haben gepackt. JULIA Ich hol meinen Mann. Sie geht ab. Alfred nuschelt. ALFRED Ja, holen Sie mal Ihren Mann.

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17. JAN HALLER (32), ein drahtiger Mann mit entschlossenem Blick, kommt an die Tür. Er hat die Kamera seines Handys auf Alfred gerichtet. Als Walter Jan sieht, gefriert sein Blick. Ungläubig starrt er Jan an. ALFRED (CONT’D) Hören Sie sofort auf, mich zu filmen! JAN Ich steh hier in meiner Wohnung. Ich kann hier machen, was ich will. Alfred kramt in seiner Aktentasche nach dem Räumungsbescheid. ALFRED Das ist nicht mehr Ihre Wohnung. JAN Doch. Ist sie. Jan richtet die Kamera auf die Männer. Walter weicht der Kamera aus und tritt hinter einen der Packer zurück, verbirgt sein Gesicht. Alfred hat den Räumungsbescheid gefunden und hält ihn Jan hin. ALFRED Das ist das Räumungsurteil und hier der Vollstreckungstitel vom Amtsgericht. Wir sind befugt und beauftragt, die Wohnung sofort zu räumen. Jan schaut auf das Datum des Bescheids. Dann hält er Alfred seinerseits ein Schreiben hin, das ihm Julia gebracht hat. JAN Sie hätten sich den Weg sparen können, Herr Hoppe. Die Vollstreckung ist aufgehoben! Schon vor vier Tagen! Alfred nimmt das Schreiben und schaut es sich an. Sein Gesichtsausdruck entgleitet ihm. ALFRED Das versteh ich jetzt nicht. JAN Vielleicht sollten Sie öfter mal in Ihren Briefkasten schauen, Herr Hoppe. Alfred wirkt überfordert. Er zückt sein Handy und wählt die Nummer auf dem Schreiben.

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18. JAN (CONT’D) Genau. Rufen Sie mal an. Jan richtet weiter die Kamera auf ihn. ALFRED Jetzt lassen Sie das! Ich sag’s Ihnen nicht nochmal. Jan schwenkt die Kamera auf die Packer. JAN Sie können wieder nach Hause fahren. Moussa tritt nach vorne. MOUSSA Hast du nicht gehört? Mach die Kamera weg! Jan hält Moussa die Kamera ins Gesicht. JAN Und wer sind Sie? Können Sie mir bitte mal Ihren Namen sagen? Moussa schlägt Jan ansatzlos das Handy aus der Hand, das gegen die Wand kracht und im Wohnungsflur landet. JAN (CONT’D) (laut, außer sich ) Hey! Was ist das hier?! Was soll das?! Alfred schiebt Moussa zurück. Stop!

ALFRED

Jan hebt sein kaputtes Handy auf, ruft in die Wohnung. JAN Julia, ruf die Polizei! (zu Moussa) Das gibt eine saftige Anzeige, mein Freund! Moussa gibt Jan eine kräftige Schelle. MOUSSA Wen willst du anzeigen? ALFRED Jetzt reicht’s! Jan schubst Moussa mit aller Kraft zurück, der hält sich am Türrahmen fest. Jan schlägt die Tür gegen Moussas Hand. Moussa zieht sie fluchend zurück. Jan knallt die Tür ganz zu. ATLAS


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19. Moussa hämmert gegen die Tür. Alfred drängelt sich zwischen Moussa und Türrahmen, drängt Moussa zurück. ALFRED (CONT’D) (fassungslos) Sag mal, bist du irre?! Raus hier! Alle! MOUSSA Sollen die Bullen kommen! ALFRED Raus jetzt! Los! Einer der Packer nimmt Moussa am Arm und zieht ihn mit. Die Packer verlassen den Flur, allein Walter nicht. Walter bleibt noch einen Moment stehen und starrt auf die verschlossene Wohnungstür der Hallers.

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I/E. BÄCKEREI - TAG

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Die Männer sitzen in ihren dicken Jacken an wackligen Tischen bei Kaffee und Brötchen und unterhalten sich. Walter nimmt nicht teil. Seine Gedanken sind woanders. Moussa betrachtet seine geklemmte Hand, kühlt sie mit einem Schneeball. Das Schmelzwasser tropft auf den Aluminiumtisch. MARK Wird schon nix gebrochen sein. MOUSSA Bist du Arzt oder was? Alfred steht mit seinem Kaffee am Tresen. ALFRED Bist selber schuld. MOUSSA Selber schuld? Der Typ hat doch danach gebettelt! ALFRED Eben! Darauf hat der nur gewartet! Einen, der sich nicht im Griff hat. Der wird dich anzeigen! Moussa lächelt gelassen. MOUSSA Gar nichts wird der machen. ALFRED Genau das ist das Problem mit Leuten wie dir! (MORE) ATLAS


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20. ALFRED (CONT'D) Ihr kommt hierher und denkt ihr könnt machen was ihr wollt! Aber hier muss man sich an Regeln halten! Er zeigt auf die Runde. ALFRED (CONT’D) Alle hier haben gelernt sich an Regeln zu halten. Wenn dir das nicht passt, da ist die Tür! Moussa bemerkt, dass Alfreds Hände zittern. Moussa greift hinter sich zur Theke und zieht einen Kräuterlikör aus der Auslage. Er hält Alfred das Fläschchen hin. MOUSSA Hier, komm erstmal wieder auf Pegel. Alfred schiebt Moussas Hand grob zur Seite. ALFRED Leg dich nicht mit mir an, das sag ich dir! Moussa steht auf, stellt den Likör vor Alfred ab und grinst ihn breit an. Oder was?

MOUSSA

Die Blicke der Männer richten sich auf Alfred. Durch das große Ladenfenster sieht man, wie Rolands Audi vorfährt und halb auf dem Gehweg parkt. Alfred stellt seinen Kaffee ab und verlässt wortlos den Laden. Moussa setzt sich. Die Blicke folgen Alfred nach draußen, der sich ans heruntergelassene Fahrerfenster stellt und anfängt, hitzig auf Roland einzureden. Moussa beobachtet das argwöhnisch. Durch die Scheibe dringt gedämpft Alfreds aufgebrachte Stimme. Die Männer schweigen. Alfred zeigt auf Walter und winkt ihn zu sich. Walter erhebt sich und geht unter den Blicken der Männer hinaus. 28

EXT. BÄCKEREI - TAG

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Walter geht auf die beiden zu. Roland und Alfred sind noch ins Gespräch vertieft.

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21. ALFRED Der hat mal ein paar Semester Jura studiert und fürs Staatsexamen hat’s nicht gereicht. Ich kenn solche Typen. Das wird garantiert ne Anzeige geben! Walter tritt an die beiden heran. ALFRED (CONT’D) (zu Walter) Erzähl Roland, was der Wüstenprinz vorhin abgezogen hat. Walter zögert. ROLAND Was war da los, Walter? WALTER Der Neue hatte sich nicht im Griff. ALFRED Versteh mich, Roland! Sowas fällt auf mich zurück! Ich bürge für die Spedition, die ich beauftrage! Roland unterbricht Alfred in aller Ruhe. ROLAND Und ich verlass mich darauf, dass du deinen Job machst! Was ist los mit dir, Alfred? Alfred sieht Roland empört an. ALFRED Was? Bin ich jetzt hier das Arschloch? Roland, sowas passiert! Da kann ich nichts für. Es sind Feiertage, da kommt schon mal ein Brief zu spät. ROLAND Willst du mich verarschen? Das Amtsgericht schickt dem Mieter das Schreiben aber dir nicht? ALFRED Das kommt vor. Roland wird laut, schlägt gegen das Lenkrad. ROLAND Darf es aber nicht! Nicht bei diesem Haus, Alfred! Er atmet durch. ATLAS


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22. ROLAND (CONT’D) Wie schnell kriegst du einen neuen Termin? Alfred zögert, windet sich. ALFRED Der Räumungsschutz gilt zwei Monate. Roland holt tief Luft und reibt sich angestrengt die Stirn. ROLAND Bis Ende des Jahres ist das Haus leer, hab ich denen gesagt! Du bringst mich in eine beschissene Lage, Alfred! ALFRED Was soll ich denn deiner Meinung nach machen? ROLAND Du hast es verbockt. Steh wenigstens dafür grade! Roland lässt die Scheibe hoch und fährt ab. Walter steht unschlüssig neben Alfred, der dasteht wie ein getretener Hund. Durch das Ladenfenster beobachtet sie immer noch Moussa.

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EXT. WOHNHAUS JAN / STRASSE - TAG

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Das Haus der gescheiterten Räumung. Walter wartet im Dunkel eines Nebeneingangs und behält die dämmerige Straße im Blick. Ein Taxi kommt die Straße entlanggefahren und parkt vor der Nummer 49 ein. Walter beobachtet, wie Jan aus der Fahrertür des Taxis steigt. Jan zieht eilig eine Mütze auf, verriegelt die Türen des Taxis und läuft den Gehweg hinab. Walter folgt ihm mit großem Abstand. 30

E/I. KITA KARL - TAG

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Zwei Straßenblöcke weiter beobachtet Walter, wie Jan in den Hauseingang eines Neubaus einbiegt und hineingeht. Walter bleibt stehen und sieht in die Fenster der kleinen Kindertagesstätte im Erdgeschoss:

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23. KARL (4) ist das letzte Kind bei der jungen ERZIEHERIN. Der Junge stürmt auf Jan zu und umklammert seine Beine. Die Erzieherin redet mit Jan.

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EXT. SPIELPLATZ - DÄMMERUNG

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Karl rutscht eine lange Rutsche auf dem Bauch runter. Stolz sieht er zu Jan, der unweit auf einer Bank sitzt. Jan hat nicht zugesehen. Karl ruft nach ihm. Jan schaut kurz zu Karl auf, winkt ihm abgelenkt zu. Dann versinkt er wieder in seinen Gedanken. Walter sitzt auf einer Parkbank abseits des Spielplatzes und beobachtet die beiden. Karl klettert die Leiter zur Rutsche hoch. Jan dreht sich plötzlich um, schaut in Richtung der Bank, auf der Walter eben noch saß. 31A

I/E. BÄCKEREI / SPIELPLATZ / DÄMMERUNG

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Walter sitzt auf einem Hocker hinter dem beklebten Fenster der Bäckerei. Vor ihm ein Becher Kaffee. Er beobachtet, wie Jan mit Karl auf den Schultern den Spielplatz verlässt. Sie wechseln die Straßenseite und kommen an der Bäckerei vorbei. Walter senkt den Kopf, um hinter der Schrift des Schaufensters verborgen zu bleiben. Das Türglöckchen geht, die Tür öffnet sich. Walter sieht auf. Der kleine Karl kommt in die Bäckerei getapst, gefolgt von Jan. Walter wendet sein Gesicht ab. Jan geht mit Karl zum Tresen. JAN (zu Karl) Sag, was du möchtest. Karl zeigt auf eine Rosinenschnecke. Die junge türkische BÄCKERIN (21) versteht sofort und packt das Teilchen ein. Jan schaut sich im Laden um, registriert beiläufig den massigen Mann, der mit dem Rücken zu ihnen am Fenster sitzt. Jan bezahlt. Die beiden wenden sich zum Gehen. Während Jan Karl durch die Tür manövriert, treffen sich Jans und Walters Blicke für einen Moment. Jan nickt Walter freundlich zu, bevor die Tür hinter ihm zufällt. Das Türglöckchen läutet. Walter sieht vor sich im Fenster sein blasses Spiegelbild.

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24. INT. WALTERS WOHNUNG - NACHT

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Walter liegt wieder auf den Küchenfliesen und starrt gedankenverloren an die Decke. Das penetrante Surren des Kühlschranks schaltet abrupt ab. Stille. Er richtet sich auf und müht sich auf die Beine. 34

INT. WALTERS WOHNUNG - NACHT

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Aus einer Abstellnische zieht Walter umständlich einen Umzugskarton hervor. Er öffnet ihn, nimmt alte Medaillen und einen Pokal mit einer stilisierten Gewichtheberfigur heraus, um an eine Blechdose am Boden des Kartons zu kommen. 35

INT. WALTERS WOHNUNG / SCHLAFZIMMER - NACHT

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Walter knipst seine Nachttischlampe an und öffnet die Blechdose. Darin im DETAIL: Zwei abgestempelte, gelbe Fähr-Tickets für jeweils 1,50 DM, alte Zeitungsausschnitte aus dem Sportteil, ein alter Reisepass etc. Walter zieht unter den anderen Sachen einen verschlossenen Briefumschlag hervor. Auf dem Brief ein Aufkleber der Post: “Zurück - Empfänger verzogen”. Er reißt den Umschlag vorsichtig auf. Die gefalteten Briefseiten lässt er im Umschlag und entnimmt nur ein Foto: DETAIL: Ein kleiner Junge steht auf dem sonnigen Deck einer Fähre, hält sich mit beiden Händen an einem mächtigen Unterarm fest. Auf dem Unterarm: ein grob tätowierter Atlas. Der Junge, von der Sonne geblendet, blickt mit zusammengekniffenen Augen in die Kamera. Walter sitzt auf dem Bett seines dunklen Schlafzimmers und betrachtet das Bild. 36

INT. VERLASSENE WOHNUNG / HAUSFLUR - TAG

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Das Surren eines Bohrers dringt dumpf durch eine Wohnungstür. Das Klirren von Metallwerkzeug, dann wird die Tür nach innen aufgestoßen. Walter, Alfred und die Packer stehen hinter dem vor der Tür knieenden Schlosser in Wartestellung. Den Männern schlägt der Gestank einer völlig verwahrlosten Wohnung entgegen. Die Männer halten sich die Hand vor Mund und Nase. ALFRED Macht mal einer Fenster auf.

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25. Walter schiebt sich an den anderen vorbei, geht in die dunkle Wohnung. Er tastet im Flur nach dem Lichtschalter und knipst das Licht an. Henning macht ein Fenster auf, hält dann inne. Zwischen Bergen von Müll und Gerümpel steht ein magerer Schäferhund und blickt die Männer hechelnd und schwanzwedelnd an. Sie betrachten stumm den verdreckten, zitternden Hund.

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INT. BETRIEBSRÄUME FIRMA GRONE / GARAGE - TAG

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Alfred und die Packer stehen zusammen, trinken Bier und füttern den alten Schäferhund mit Brötchenresten. Roland kommt hinzu und hält vor dem Hund inne, der gerade etwas hinunterschlingt. Roland blickt fragend in die Runde. HENNING Der ist aus der Wohnung in der Opitzstraße. Hat der Penner einfach dagelassen. ROLAND Und was macht der jetzt hier in meiner Firma? ALFRED Ich nehme ihn mit zu mir. ROLAND Na herzlichen Glückwunsch! Als ob du nicht schon genug Probleme am Arsch hättest. Alfred tätschelt dem Hund das Fell. ALFRED Rex ist ein guter. MOUSSA Was? Wie heißt der Köter? ALFRED Rex. Steht auf seinem Halsband. Rex?

MOUSSA

ALFRED Das bedeutet König. Moussa muss lachen. MOUSSA König! Wie kann man einen Hund König nennen? Was ist nur los mit euch? ATLAS


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26. Henning und Mark pflichten Moussa bei. Roland macht sich auf zum Gehen. ROLAND Also dann Mädels, kommt gut ins Neue Jahr! Und passt auf, dass mir der König nicht in den Laden scheißt! Die Männer prosten Roland zu. Roland verschwindet durch das Garagentor. Alfred wendet sich an Moussa. ALFRED Was bedeutet denn dein Name eigentlich - Moussa? Hat doch bestimmt eine Bedeutung, oder? Ist doch so bei euch. Moussa blickt in die fragenden Gesichter der Runde. MOUSSA (ernst) Moussa bedeutet “der Sohn”. Alfred nimmt einen Schluck Bier. ALFRED Der Sohn. Da hat sich dein Vater ja richtig was einfallen lassen. Alfred ist über seine eigene Bemerkung amüsiert. Verhaltenes Lachen der Männer. Selbst bei Walter deutet sich ein Schmunzeln an. Die Blicke der Männer richten sich erwartungsvoll auf Moussa. Doch Moussa setzt bloß eine milde lächelnde Miene auf.

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INT. BETRIEBSRÄUME FIRMA GRONE / TOILETTE - TAG

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Walter stützt sich auf einem der Waschbecken ab. Sein Gesicht ist schmerzverzerrt. Aus seiner Tasche zieht er eine Palette Tabletten und drückt drei auf die Handfläche. Alfred kommt herein. Walter ballt die Hand mit den zur Faust. Alfred erhascht einen Blick auf Walters verschwindet in einer der Toilettenkabinen. Walter Hand wieder, wirft die Tabletten ein und würgt sie

Tabletten Hand und öffnet die hinter.

Müdes Lachen aus der Toilettenkabine. Moussa kommt herein. Er geht an Walter vorbei, auf die Kabinen zu. Er bleibt vor Alfreds Kabine stehen und hört zu, wie Alfred sich erleichtert. Dann rammt er ohne Vorwarnung die Tür auf, drängelt sich in die Kabine und steigt regelrecht auf den sitzenden Alfred drauf. ATLAS


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27. Mit mehreren Tritten quetscht Moussa ihn in die Schüssel hinein. Moussa thront über dem schockgelähmten Alfred. MOUSSA Was jetzt, du Missgeburt?! Was jetzt!? Alfred steckt fest und bekommt kein Wort heraus. Moussa gibt Alfred ein paar kräftige Schellen ins Gesicht. MOUSSA (CONT’D) Warum lachst du nicht mehr?! Keine Antwort von Alfred. Moussa gibt ihm eine weitere Schelle. MOUSSA (CONT’D) Von jetzt an hältst du deine Schnauze! Ist das klar? Alfred ächzt leise. Moussa gibt ihm eine letzte Schelle. Dann geht er aus der Kabine, rüber zu den Waschbecken. Er stellt sich neben Walter und wäscht sich in aller Ruhe die Hände. Er sieht Walter an, der seinem Blick ausweicht. Moussa trocknet sich ab und verlässt die Toilette. Stille. Dann hört Walter Alfred schnaufen. Walter nähert sich vorsichtig der Kabine. Alfred sitzt in seinen eigenen Exkrementen. ALFRED Ich klemme fest. Walter reicht Alfred die Hand und zieht ihn hoch. Alfred ächzt auf vor Schmerzen, quält sich aus der Verengung der Klobrille, bleibt sitzen. Walter hält ihm die Klopapierrolle hin. Alfred schlägt Walters Hand weg.

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I/E. BETRIEBSRÄUME FIRMA GRONE / GANG / PARKPLATZ - TAG

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Walter tritt aus der Toilette und geht den Gang entlang. Durch eines der Fenster im Gang kann er Moussa sehen, der über den Parkplatz zu seinem Auto geht. Moussa steigt in aller Ruhe in seinen mattschwarzen Benz und fährt vom Hof. 40

- GESTRICHEN -

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28.

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- GESTRICHEN -

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INT. ECKKNEIPE - NACHT

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Eine stickige Eckkneipe. Walter sitzt an der Bar, starrt in das halbleere Glas Bier vor sich. Im Hintergrund dudelt Popmusik. ALFRED (O.S.) Warum hast du mir eigentlich nicht geholfen? Die Frage weckt Walter aus seiner Lethargie. Er wendet sich zu seinem Tresenachbarn: Alfred schaut ihn aus dunkel umrandeten Augen an. ALFRED (CONT’D) Als Moussa auf mich losgegangen ist. Du hast nur zugesehen. Schweigen. Alfred winkt ab. ALFRED (CONT’D) Vergiss es. Scheiß auf den Kanacken! Alfred zieht nervös an seiner Zigarette und nimmt einen großen Schluck vom Bier. WALTER Warum kann er sich das erlauben? ALFRED Weil er ein Afsari ist. Walter schaut ahnungslos. ALFRED (CONT’D) Das sind Kurden oder Araber, keiner weiß so richtig, was die sind. Eine richtige Schweinebande. Machen die harten Geschäfte. Die geben Roland ihr dreckiges Geld, Roland kauft billig ein Haus, entmietet es und verkauft es für das Dreifache. Und die Araber bekommen einen großen Haufen sauberes Geld wieder. Alfred untermauert seine Worte mit einem wissenden Blick. ALFRED (CONT’D) Das Problem: Unser Roland kriegt das Haus nicht leer! (MORE)

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29. ALFRED (CONT’D) Weil so eine kleine Ratte nicht aus ihrem Loch will. Und jetzt kriegt Roland kalte Füße. Er ext seinen Schnaps und stellt das leere Glas ab. ALFRED (CONT’D) Ich hab ihn gewarnt: Die Sache ist eine Nummer zu groß für ihn. Die Typen werfen keine Steine in Fenster. Und die zerstechen auch keine Reifen. Er kommt dichter an Walter heran. ALFRED (CONT’D) Die Typen sind anders drauf, Walter. Nicht unsere Liga. Verstehst du? Das sind kranke Typen. Walter nickt. ALFRED (CONT’D) Roland arbeitet jetzt quasi für die. Und somit ihr alle auch. Alfred blickt Walter mit glasigen Augen an. ALFRED (CONT’D) Und der eine hier saß gerade drei Jahre wegen Totschlag. Welcher Mensch, der klar denken kann, stellt so einen ein? Alfred erwartet keine Antwort auf seine Frage. ALFRED (CONT’D) Solange dieser Irre in der Firma ist, kriegt Roland von mir keine Aufträge mehr! Soll er sich einen anderen Dummen suchen. Die beiden sitzen allein an der Bar, nur eine kleine MÄNNERGRUPPE sitzt etwas abseits an einem der Tische. Das Geräusch eines Spielautomaten ist zu hören. Alfred tippt mit der Fingerspitze verkündigend auf den Holztresen. ALFRED (CONT’D) Die Nummer wird noch alle in die Scheiße reiten. Dich auch, Walter. Ohne den Job sitzt du nämlich bald auch auf der Straße. Kurze Stille.

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30. WALTER Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Alfred schaut Walter irritiert an. Was?

ALFRED

WALTER Jeder lädt sich seine Last selber auf, jeder muss sie alleine tragen. ALFRED Hast du dir das ganz alleine ausgedacht? Dann bricht ein hustenartiger Lacher tief aus Alfreds Brust. ALFRED (CONT’D) Beim Schleppen? Walter antwortet nicht, guckt benommen auf sein Bier. Alfred fängt sich mit Mühe. Er klopft Walter auf die Schulter und trinkt sein Bier fast in einem Zug leer. Die Wirtin dreht die Musik runter und wendet sich an die wenigen Gäste. WIRTIN Drei Minuten! Das Geräusch der Knaller dringt nun dumpf in die Bar. 43

EXT. STRASSE VOR KNEIPE - NACHT

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Walter und Alfred treten mit den anderen Gästen in die Kälte. Das Echo der Knaller hallt laut von den Häuserwänden. Dichte Rauchwolken treiben vorüber. Die Gruppe der anderen Gäste stimmt den Countdown an. MÄNNERGRUPPE Zehn, neun, acht... Walters und Alfreds Augen folgen den Raketen zum Himmel. Ohrenbetäubendes Feuerwerk. Alfred umarmt Walter lange und fest. Seine Tränen hinterlassen Spuren auf Walters Jacke. Alfred wischt sie weg. Dann klopft er Walter auf die Schulter. ALFRED Irgendwelche Vorsätze? Nicht in unserem Alter, was? Alfred sieht nach oben. Er lächelt. ATLAS


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31. Walter versucht gegen den Lärm anzusprechen. WALTER Was wird Roland machen, wenn der Junge nicht aus der Wohnung geht? Alfred überlegt kurz, zuckt dann mit den Schultern. ALFRED Dann übernehmen die Araber. Die Böller dröhnen. Walter blickt stumm zum bunt funkelnden Himmel.

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INT. WALTERS WOHNUNG / KÜCHE - NACHT (ehem. 45)

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Walter sitzt am Küchentisch. Durch das Küchenfenster dröhnt die ausklingende Sylvesternacht. Aus dem aufgerissenen Umschlag des retournierten Briefes nimmt Walter die handgeschriebenen Seiten heraus, schiebt sie in einen neuen Umschlag und klebt ihn zu. Das Foto von dem Jungen auf der Fähre steht neben Walter auf dem Tisch gegen das Kofferradio gelehnt. 44

I/E. EINFAMILIENHAUS / STRASSE - TAG

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Durch die Windschutzscheibe: Auf der anderen Straßenseite tragen PACKER einer fremden Spedition Möbel aus einem Einfamilienhaus zu einem großen Laster mit der Aufschrift “Spedition Sönken & Söhne”. Ein aufgeräumt wirkender Alfred steht mit Klemmbrett vor dem Laster und spricht mit dem SPEDITIONSCHEF(52). Er blickt rüber. HENNING (O.S.) Guck dir das Arschloch an. Hinter der Windschutzscheibe im Führerhaus sitzen fröstelnd Henning und Mark. Hinterm Steuer sitzt Walter. Die Heizung läuft auf Hochtour. Rolands Audi kommt angefahren und hält neben Walters Laster. Roland steigt aus und tritt ans Beifahrerfenster. Henning kurbelt das Fenster eine Handbreit runter. HENNING (CONT’D) Die waren schon am räumen. Durch die Windschutzscheibe: Roland zieht die Jacke zu und stapft los, über die Straße, zielstrebig auf Alfred zu. Alfred unterbricht abrupt sein Gespräch, als er Roland auf sich zukommen sieht.

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32. Roland bleibt dicht vor Alfred stehen, um heftig auf ihn einzureden. Alfred hört sich Rolands Schimpftirade stumm an. Plötzlich reißt Roland Alfred das Klemmbrett aus der Hand und schleudert es auf die Straße. Alfred erstarrt. Der Speditionschef meldet sich. SPEDITIONSCHEF Hey hey hey! ROLAND (laut) Halt du dein Maul! Der Speditionschef hebt schlichtend die Hände. Dann kehrt Roland um, geht zu seinem Wagen und gibt Walter das Signal, abzufahren. Walter sieht zu, wie Alfred an der Straße steht und seine zerstreuten Unterlagen vom Asphalt aufsammelt.

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- VERSCHOBEN NACH 43A -

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I/E. FIRMENWAGEN / WOHNHAUS JAN - DÄMMERUNG

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In Walters Hand liegt der Brief. Mit der Aufschrift: Für Jan Walter sitzt hinter dem Steuer eines kleinen Firmenwagens von Rolands “Putzengeln”. Durch die Frontscheibe sieht er ein paar Häuser weiter das Haus mit dem Baugerüst - Ablass-Straße 49. 46A

EXT. WOHNHAUS JAN / STRASSE - DÄMMERUNG

46A

Walter geht langsam auf die 49 zu. In der Hand hält er den Brief. 46B

EXT. WOHNHAUS JAN / HAUSEINGANG - DÄMMERUNG

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Walter tritt vorsichtig an den Hauseingang. Er geht auf die provisorischen Briefkästen zu, die am Gerüst angebracht sind. Durch die angelehnte Eingangstür dringen aufgebrachte Stimmen. Walter hält inne, horcht. Er erkennt Rolands und Jans Stimmen. Walter dreht sich augenblicklich um und läuft eilig zur Tür zurück und hinaus.

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46C 46C

33.

E/I. WOHNHAUS / FIRMENWAGEN - ÜBERGANG NACHT

46C

Walter geht zügig zum Auto. Er steigt ein und zieht die Tür ran. Walter beobachtet vom Auto aus, wie einige Momente später Roland vor die Haustür tritt. Walter duckt sich ab. Roland läuft ein Stück den Gehweg runter, weg von Walters Parkplatz. Vor Jans unweit des Hauseingangs geparktem Taxi bleibt er kurz stehen und betrachtet es. Dann läuft er weiter zu seinem Audi. Am Wagen angekommen zündet er sich eine Zigarette an, sieht noch einmal in Walters Richtung. Die fortgeschrittene Dämmerung tarnt den kleinen Firmenwagen am Straßenrand. Roland steigt ein. Plötzlich blitzt dreimal das Fernlicht des Audi auf, blendet Walter. Walter erstarrt. Roland lässt den Motor an und fährt los, auf Walter zu. Walter verharrt still in seiner Deckung. Bevor er auf der Höhe von Walters Wagen ist, biegt der Audi in die nächste Seitenstraße ab. Stille. Kurz darauf tauchen zwei Gestalten aus dem Dunkel auf. Sie gehen direkt an Walters Wagen vorbei, laufen die Straße hinab, bis sie vor Jans Taxi stehen bleiben. Die beiden SCHLAKSIGEN JUGENDLICHEN blicken sich um. Der eine trägt einen Kapuzenpulli, der andere ein tief ins Gesicht gezogenes Basecap. Dann bücken sich die beiden und stechen hektisch auf die Reifen des Taxis ein. Walter setzt sich auf. Er blickt zu Jans Haus. Es ist niemand zu sehen. Ein Knall hallt durch die Straße. Backsteine prallen von der Karosserie des Taxis ab. Die Jugendlichen heben die Steine auf und werfen sie immer wieder gegen das Auto. Glasscherben prasseln auf den Asphalt. Die Tür der Nummer 49 wird aufgerissen. Jan kommt herausgerannt und sprintet auf die Randalierer zu. Die beiden Jungs wollen sofort fliehen. Einer der beiden stolpert, sodass Jan ihn am Arm zu fassen kriegt. Der andere Steineschmeißer sieht das und kommt zurückgerannt, will seinen Komplizen befreien. Walters Hand geht zum Türöffner. Aber er zögert noch. Der Junge mit Basecap fängt an, nach Jan zu treten. Jetzt steigt Walter aus und läuft zügig auf das Gerangel zu. Jan hält den schmächtigen Jungen in der Kapuzenjacke im Schwitzkasten. ATLAS


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34.

Der kleine Karl kommt aus dem Haus und auf die Straße gestolpert. In diesem Moment erreicht Walter Jan und stellt sich zwischen ihn und den Jungen mit Basecap. Der Junge wirft den Backstein nach Walter, der an dessen Arm abprallt. Walter erblickt Karl, der bitterlich zu weinen begonnen hat. Walter hält kurz inne. Dann wendet er sich wieder dem Steinewerfer zu und drängt ihn Schritt für Schritt zurück. Der Junge zieht panisch sein Klappmesser und holt nach Walter aus, der auch diesen Angriff ohne mit der Wimper zu zucken abwehrt. Der Junge droht wieder mit dem Messer, doch Walter weicht nicht zurück, drängt ihn immer weiter von seinem Komplizen ab, den Jan noch immer im Schwitzkasten hält. Jan bemerkt erst jetzt, dass Karl ihm nachgelaufen ist und weinend alles mit ansieht. Sofort lässt er den Jungen im Kapuzenpulli los. Die beiden Täter sprinten davon, verschwinden im Dunkel. Jan eilt zu Karl, nimmt ihn auf den Arm, drückt ihn fest an sich. JAN (beruhigend) Ist ja nichts passiert. Jan streicht Karl Rotz und Tränen aus dem Gesicht. Karl beruhigt sich allmählich. Walter steht da, unschlüssig, ob er verschwinden soll. Da spricht Jan ihn an. JAN (CONT’D) Bei Ihnen alles in Ordnung? Walter nickt. WALTER Hauptsache dem Jungen ist nichts passiert. Jan blickt auf sein demoliertes Taxi. JAN Diese Schweine. Sein Gesicht ist kreidebleich. Er atmet schwer, hält den Ärmel seiner zerrissenden Jacke hoch, betrachtet ihn. Dann streckt er Walter die Hand entgegen. Walter nimmt sie. JAN (CONT’D) Danke für Ihre Hilfe! Jan zieht seine Hand zurück, schaut auf seinen blutbeschmierten Ballen. ATLAS


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35. JAN (CONT’D) Ist das Ihrs oder meins?

Walter sieht auf seinen blutigen Ärmel. WALTER Scheint meins zu sein. JAN Ich ruf einen Krankenwagen. WALTER Nicht nötig. Jan zückt dennoch das Handy und wählt den Notruf. JAN Hallo! Mein Name ist Jan Haller. Wir wurden gerade überfallen. Vor meiner Haustür. Ablass-Straße 49. Ein Mann wurde verletzt. Wir brauchen einen Krankenwagen. WALTER (vehementer) Ich brauch keinen Krankenwagen. Während Jan redet, bemerkt Walter, dass Karl ihn mit weit aufgerissenen Augen anblickt. Walter lächelt ihm zaghaft zu. WALTER (CONT’D) Brauchst keine Angst haben. Die sind weg. Jan legt auf und wendet sich an Walter. JAN Die Polizei kommt gleich. Jan deutet auf die Haustür. JAN (CONT’D) Wenn Sie möchten, können wir so lange drinnen warten. Walter zögert. WALTER Tut mir leid. Ich muss los. JAN Die sind jeden Moment hier. Die Wache ist nicht weit. Bitte warten Sie noch kurz! Walter hadert mit sich. Dann reißt er sich los.

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36. WALTER Tut mir leid, aber ich muss jetzt wirklich gehen.

Er wendet sich zum Gehen. JAN Bitte, ich würde mich gerne revanchieren! Walter bleibt stehen. Der kleine Karl blickt Walter mit verweinten Augen an. JAN (CONT’D) Wie kann ich Ihnen danken? Darf ich Sie zu uns einladen? Jan streckt Walter nochmal seine Hand hin. JAN (CONT’D) Ich bin Jan. Walter schüttelt ihm die Hand. Walter.

WALTER

JAN Morgen Abend? Kommen Sie? Ich bitte Sie! Walter zögert, ehe er nickt und losgeht. 50

I/E. FIRMENWAGEN / STRASSE WOHNHAUS JAN - NACHT

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Walter schließt die Fahrertür. Er sitzt einen Moment schnaufend da. Sein Blick geht gen Fußraum: Dort, auf der verdreckten Fußmatte, liegt der Brief mit der Aufschrift: Für Jan. 51

- GESTRICHEN -

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INT. BETRIEBSRÄUME FIRMA GRONE / DUSCHE - TAG

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Walter steht mit hängendem Kopf unter der Dusche, das dampfende Wasser trommelt auf seinen Nacken.

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37. INT. BETRIEBSRÄUME FIRMA GRONE / UMKLEIDE - TAG

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Walter steht vor seinem Spind. Er zieht sich ein sauberes Hemd an, vorsichtig lässt er seinen von der Steinabwehr verwundeten Arm in den Hemdsärmel gleiten. Roland kommt in die Umkleide. Sein Gesicht ist unrasiert. Er ist sichtlich übermüdet. Als er Walter in dem gebügelten Hemd sieht, pfeift er anerkennend. ROLAND Na wenigstens kommt einer hier auf seine Kosten. Roland tritt näher an ihn heran. Er sieht Walter durchdringend an. ROLAND (CONT’D) Manchmal beneide ich dich. Keine Familie. Keine Verantwortung. Keine Sorgen. Walter packt seine Sachen zusammen. WALTER Ich hab den Sprinter aufgetankt. Garage ist zu. Roland macht sich eine Zigarette an. WALTER (CONT’D) Ich muss dann. Walter ist schon an der Tür. Walter?

ROLAND

Walter dreht sich noch einmal um. ROLAND (CONT’D) Du bist der Einzige hier, auf den ich mich verlassen kann. Wollt ich dir nur sagen. Walter nickt zaghaft. Dann dreht er sich um und geht. 54

INT. SPIELZEUGLADEN - TAG

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Kaufhausmusik. Walter läuft die wandhohen, nicht enden wollenden Regale mit knallbunten Plastik-Spielzeugen ab. Er wirkt überfordert. Am Nachbarregal sieht er, wie ein kleiner JUNGE (6) auf einen ferngesteuerten Spielzeugtruck zuläuft und ihn mit vollem Körpereinsatz aus dem Regal zieht.

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38. Der VATER (35) kommt dazu. VATER Stell’s zurück! Der Junge hört nicht. Der Vater versucht, ihm den Karton wegzunehmen. Der Junge krallt sich schreiend daran fest. Der Vater schultert den Jungen. Der Truck fällt zu Boden. Der Vater geht mit dem Jungen ab. Walters Blick hängt an dem Truck fest.

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INT. HAUSFLUR / WOHNUNG JAN - ABEND

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Walter geht durch den dunklen Flur, der mit Bauplane ausgelegt und mit Bauschutt übersät ist. In einer Hand hält er einen großen Blumenstrauß, in der anderen eine große Geschenktüte. Vor Jans Wohnungstür wischt er sich den Stirnschweiß mit seinem Jacketärmel ab, dann klingelt er. Julia öffnet die Tür einen Spalt breit. Eine Kette spannt sich. Julia betrachtet die große Gestalt im Flur. Ja?

JULIA

WALTER Hallo. Ich bin Walter. Ihr Mann hat mich… Ah, Walter!

JULIA

Julia nimmt die Türkette ab und gibt ihm die Hand. JULIA (CONT’D) Ich bin Julia. Kommen Sie rein! Walter tritt zögerlich in den geräumigen Flur der Wohnung. JULIA (CONT’D) Jan wird auch gleich da sein. Er ist noch unterwegs. Walter überreicht ihr steif das bunte Bouquet. JULIA (CONT’D) Danke! Wie lieb von Ihnen. Walter stellt die Geschenktüte an der Garderobe ab, zieht das etwas zu enge Jacket aus. Durch die Tür sieht er Karl, der auf dem Wohnzimmerboden sein Spiel unterbricht und interessiert zu ihm hochschaut.

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39. JULIA (CONT’D) Karl, das ist Walter. Ein Freund von Papa. Ich geh mal eben die Blumen ins Wasser stellen. Julia verschwindet in der Küche. Karl betrachtet Walter aufs genaueste, dann setzt er sein Spiel eifrig fort. Julia kommt zurück in den Flur. Sie stehen nebeneinander und schauen für einen Moment lang Karl beim Spielen zu. Zwei Plastiktiere kämpfen erbittert miteinander. JULIA (CONT’D) Jan hat mir erzählt, was Sie getan haben. Das war wirklich sehr mutig. Danke. Walter winkt ab: Nicht der Rede wert. Sie lächelt ihn an. Walter versucht ein freundliches Gesicht zu machen.

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INT. WOHNUNG JAN / BAD - ABEND

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Julia schaltet das Licht an. Sie blicken in ein aufgeräumtes Badezimmer. Julia geht zur Wanne, schiebt den Duschvorhang beiseite, macht den Blick auf eine große Spanplatte frei. Die Platte wurde provisorisch auf der Kachelwand verschraubt. Julia klopft gegen die hohle Wand. JULIA Die haben die Wand einfach durchgehauen. Ein Versehen, sagen sie. Daraufhin haben wir die Miete gekürzt. Das war unser Fehler. So haben sie nämlich die fristlose Kündigung durchgekriegt. Sie stehen vor der Spanplatte, wie zwei Museumsbesucher vor einem Gemälde. JULIA (CONT’D) Wir leben seit einem Jahr inmitten dieser Baustelle. Aber glauben Sie mir: Die wollen gar nicht bauen. Die wollen uns nur hier rauskriegen, damit sie das Haus zum fünffachen Preis verkaufen können. Die wollen uns zermürben. Unsere Nachbarn haben alle aufgegeben. Die haben das Geld genommen und sind weggezogen. Aber was nützt das bisschen Geld, wenn einem in der nächsten Wohnung das Gleiche wieder passiert? Ihr kühnes Gesicht ist von Sorgen gezeichnet. ATLAS


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40. JULIA (CONT’D) Das hier ist unser Zuhause. Das gibt man doch nicht einfach so her! Sie blickt Walter Zuspruch suchend an. Doch Walter schweigt. JULIA (CONT’D) Tut mir leid, dass ich Sie so volljammere. Das alles macht mich nur so unglaublich wütend. Ihre Stimme zittert. WALTER Schon gut. Ich kann das verstehen. Kurze Stille. JULIA Ich meine: Was sind das für Leute? Wie können die damit leben? Walter betrachtet starr die Spanplatte an der Wand. WALTER Die haben auch ihre Probleme. Sie mustert Walters halb im Schatten liegendes Gesicht. Schweigen. Schlüsselgeklimper ist im Flur zu hören. Dann wird die Tür aufgeschlossen.

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INT. WOHNUNG JAN / FLUR / WOHNZIMMER - ABEND

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Walter betritt den Wohnungsflur. JAN (O.S.) Schön, dass Sie gekommen sind! Walter nickt. Jan steht an der Garderobe. Unterm Arm hat er einen Stapel Hefter, den er ablegt. Dann geht Jan beschwingt auf Walter zu und gibt ihm die Hand. JAN (CONT’D) Tut mir leid, dass ich so spät dran bin. Ich musste unserem Anwalt mal wieder Mietrecht erklären. WALTER Kein Problem. Jan zieht seine Jacke aus und hängt sie auf. Sein Blick fällt auf die große Geschenktüte unter der Garderobe. Jan zupft an der Tüte.

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41. JAN Was ist das hier? WALTER Das ist für Karl. JAN Für Karl? Das ist ja nett. WALTER Können Sie auch später aufmachen. JAN Ach was, das wollen wir doch sehen! Jan öffnet die Tüte und nimmt den sperrigen Truck heraus. Sie starren erstaunt auf das riesige Fahrzeug. Blickwechsel zwischen Jan und Julia. JAN (CONT’D) Das ist ja ein Monster. Ich weiß gar nicht was ich sagen soll. JULIA Musst du auch nicht. Ist ja für Karl. Jan geht ins Wohnzimmer und stellt den Karton direkt vor Karl auf den Boden. Der unterbricht sein Spiel augenblicklich. JULIA (CONT’D) Schau mal Karl. Für dich, von Walter. Karl sitzt wie paralysiert vor dem riesigen Spielzeug. Dann blickt er mit offenem Mund zu Walter hoch. JAN Was sagt man da, Karl? Schon gut.

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WALTER

INT. WOHNUNG JAN / KÜCHE - NACHT

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Julia steht über die dampfende Auflaufform in der Mitte des gedeckten, runden Esstisches gebeugt und zerteilt den Nudelauflauf in mehrere Stücke. Das größte davon tut sie auf einen Teller und reicht diesen Walter. Karl schaut auf Walters große, grobe Hände. Walter bemerkt das und zieht seine Hände etwas zurück. Julia setzt sich. So.

JULIA

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42. Karl greift schüchtern nach Walters Hand. Seine andere Hand wird von Julia gegriffen. Auf der anderen Tischseite schließt Jan den Kreis. JULIA, KARL, JAN Piep, piep, piep! Wir haben uns alle lieb!… Karl strahlt und schwingt Walters Hand im Takt. JULIA, KARL, JAN (CONT’D) …Guten Appetit! Walter schaut etwas überwältigt in die Runde. Verlegenes Lachen der Eltern. JAN So läuft das hier bei uns. Karl strahlt Walter an. Walter lächelt. Sie beginnen zu essen. JULIA Wohnen Sie in der Nähe, Walter? WALTER Sossenheim. JAN Sossenheim? Das ist ja ein gutes Stück. Sind Sie mit dem Auto da? WALTER Mit den Öffentlichen. JULIA Wir sind hier leider nicht so gut angebunden. Ich arbeite im Krankenhaus und wenn ich Nachtschicht habe ist das ein Elend. JAN Was hat Sie an dem Abend in unsere Gegend gebracht, Walter? Walter zögert, schaut dann von seinem Teller auf. Er blickt Jan für einen Moment fest in die Augen. WALTER Ich wollte meinen Sohn besuchen. Jan nickt interessiert, da bemerkt er, dass Karl mit dem Essen spielt. JAN Mensch, Karl, was soll denn das? ATLAS


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43. Jan streckt den Arm nach einer Küchenrolle aus, die ihm Julia reflexartig reicht. Jan wischt Karls Hände ab. JULIA Wohnt ihr Sohn hier in der Straße? Walter zögert, nickt dann. JAN Wenn du keinen Hunger hast, dann kannst du aufstehen, Karl. Aber spiel nicht mit dem Essen. Okay? JULIA Schmeckt es Ihnen, Walter? Sie können ruhig ehrlich sein. WALTER Es ist sehr gut. Danke. Jan trinkt von seinem Wasser und beobachtet Karl, wie dieser sich jetzt vor Walter besonders viel Mühe mit dem Essen gibt. JAN (zu Walter) Ich glaube Sie haben da bei jemandem einen dicken Stein im Brett. Walter sieht zu Karl, der schnell wieder auf seinen Teller blickt. Walter kaut verlegen einen Bissen. JAN (CONT’D) Bei mir haben Sie auch was gut. Was Sie gemacht haben, hätte sich hier in der Straße keiner getraut. Walter nickt. Julia sucht Jans Aufmerksamkeit. Jan ist aber ganz bei Walter. JAN (CONT’D) Ihnen ist sicher schon aufgefallen, dass hier keiner mehr im Haus wohnt? JULIA Jan, ich habe ihm schon davon erzählt. Kurzer Blickwechsel zwischen Jan und Julia. JULIA (CONT’D) Wenigstens solange wir essen, okay?

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44. JAN Was ich nur sagen will ist, dass sich erst in den schwierigen Situationen zeigt, aus welchem Holz man geschnitzt ist. Er wendet sich Walter zu. JAN (CONT’D) Sie haben geholfen. Ohne zu zögern. Dafür möchte ich Ihnen danken. Walter nickt verlegen. JULIA Was machen Sie denn beruflich, Walter? Walter hat den Mund voll und blickt kauend in die wartenden Gesichter. Er zögert. JULIA (CONT’D) Sie bluten ja! Sie zeigt auf Walters Ärmel. Walter schaut auf seinen Unterarm, wo die Wunde seiner Steinabwehr durch das Hemd geblutet hat. Er nimmt den Arm vom Tisch. WALTER Entschuldigung. JULIA Ich hole etwas zum Verbinden. Julia will aufstehen. WALTER Nicht nötig. Ist nur ein Kratzer. KARL Das waren die Männer mit den Steinen. Julia schaut Karl mit großen Augen an. Ihr Blick wandert rüber zu Jan. Ihre Blicke treffen sich kurz. Dann wendet sie sich wieder Karl zu. JULIA Karl, schau mich mal an. Hast du das gesehen? Er nickt. KARL Aber die sind weg. Julias Gesicht versteinert. Langsam legt sie ihr Besteck ab.

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45. JULIA Karl, wenn du satt bist, kannst du spielen gehen. Karl blickt in die angespannte Runde und steht zögerlich auf. Er tapst aus der Küche. Julia wirft Jan einen kurzen, brennenden Blick zu, ehe sie aufsteht, um Karls Geschirr in die Spüle zu stellen. Sie lässt Wasser über das Geschirr laufen. JAN Er hat es nicht richtig gesehen… Sie kommt zurück und setzt sich, ohne Jan eines Blickes zu würdigen. JAN (CONT’D) Konnte er gar nicht. JULIA (zu Jan) Später. Julia lächelt Walter etwas angestrengt an. JAN Dem Jungen ist nichts passiert. Julia atmet durch. JULIA Du hast mich angelogen, Jan. JAN Mir war einfach klar, dass du so reagieren würdest. JULIA Jetzt musst du schon lügen, damit ich mir keine Sorgen mache, ja? Jan gestikuliert plötzlich wild. JAN Dem Junge ist nichts passiert, verdammt! Ihm wäre auch nichts passiert. Das hätte ich nicht zugelassen! Und du solltest am besten wissen, dass ich der letzte bin, der sein Kind in eine solche Situation bringen will! Sie blickt ihn lange schweigend an. Keiner am Tisch isst mehr. Aus dem Nebenzimmer dringen Karls Spielgeräusche.

ATLAS


58

46. JULIA Vielleicht hätten wir das Geld einfach nehmen sollen. Jan starrt sie an. JAN Ist das dein Ernst? JULIA Dann könnten wir wenigstens wieder ein normales Leben führen. JAN Normales Leben, ja? Ich könnte nie wieder in den Spiegel schauen! Sowas lässt man einfach nicht mit sich machen! Julia blickt Jan verbittert an, muss für einen Moment lang gegen die Tränen ankämpfen. Jans Gesicht ist angespannt, seine Augen müde. Julia lässt von ihm ab. JULIA Ich geh kurz nach Karl schauen. Julia steht auf, geht ins Nebenzimmer und schließt die Tür hinter sich. Schweigen. JAN Entschuldigen Sie, Walter. Aber die Sache nimmt uns alle ganz schön mit. Walter nickt verständnisvoll. JAN (CONT’D) Ich habe jetzt sogar einen Sachbearbeiter bei der Polizei. Er heißt Yilmaz. Das ist ein Guter. Wenn Sie ihm sagen würden, was Sie gesehen haben, wäre das eine große Hilfe. Walter weicht Jans Blick aus. JAN (CONT’D) Sie müssten nur kurz bei ihm vorbeigehen. Das dauert keine zehn Minuten. WALTER Ich denke nicht, dass ich die Männer wiedererkennen würde.

ATLAS


58

47. JAN Das müssen Sie auch nicht. Sie sollen nur das sagen, was Sie gesehen haben. WALTER Ich glaube, ich kann Ihnen da nicht helfen. Jan mustert den großen Mann an seinem Tisch. JAN Es geht mich ja nichts an, aber darf ich fragen, warum Sie nicht aussagen wollen? Walter schaut auf seinen Teller, schweigt. Jans Blick wandert auf Walters Unterarm. Der Blutfleck auf dem Hemdsärmel ist mittlerweile faustgroß. JAN (CONT’D) Ich hol jetzt mal Verbandszeug, sonst verbluten Sie mir hier noch. WALTER Danke, das hört gleich auf.

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INT. WOHNUNG JAN / BAD - WENIG SPÄTER

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Walter schließt die Badezimmertür hinter sich. Walters breiter Unterarm schiebt sich unter den Wasserstrahl. Das verwässerte Blut rinnt über den tätowierten Atlas. Walter blickt hoch. Im Spiegel das verzweifelte Gesicht eines Feiglings. 60

- GESTRICHEN -

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- GESTRICHEN -

60A

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- GESTRICHEN -

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INT. WALTERS WOHNUNG / WOHNZIMMER - TAG

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Walters Gesicht verzieht sich zu einer Fratze. Seine Augen verengen sich zu Schlitzen, aus seinem Mund dringt Zischen und Zähneknirschen. Stöhnendes Ausatmen.

ATLAS


62

48. Er schließt die Augen, holt tief Luft ehe sich sein Gesicht wieder zu einer Fratze verzieht. Walter liegt auf der Hantelbank. Sein ganzer Körper spannt sich unter der Last der Gewichte an.

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INT. WALTERS WOHNUNG / KÜCHE - WENIG SPÄTER

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Walter steht an der Spüle, immer noch schwer atmend. Er drückt sich die letzten zwei gelben Tabletten auf die Handfläche. Er beugt sich runter zum Wasserhahn und trinkt lange, schluckt schwer. 64

INT. BETRIEBSRÄUME FIRMA GRONE / UMKLEIDE - MORGEN

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Walter sitzt in Arbeitsmontur auf der Bank vor seinem Spind, schläft mit offenen Augen. Spindtüren öffnen und schließen sich, die Packer begrüßen sich müde. Morgen!

ROLAND (O.S.)

Walter sieht hoch zu Roland, der mit finsterem Blick in die Runde der Männer sieht. Die meisten sind noch nicht fertig angezogen, halten aber bei Rolands Morgengruß inne. Hinter Roland tritt Alfred in die Umkleide. Er ist blass und wirkt unsicher. Moussa grinst ihn breit an. Alfred ignoriert Moussa. Walters und Alfreds Blicke treffen sich kurz. Alfred weicht Walters Blick aus. ROLAND (CONT’D) Ich mach’s kurz: Es gibt eine Anzeige gegen die Firma. Es geht um die verbockte Räumung. ALFRED Der Mieter hat einen Mitarbeiter dieser Firma wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung angezeigt. Roland sieht zu Moussa, dessen Grinsen allmählich verschwindet. ROLAND Die Polizei wird euch alle zur Vernehmung einladen. Jeder wird brav zur Vernehmung gehen und für unseren Kollegen hier aussagen. MOUSSA (vor sich hin) Diese kleine Missgeburt.

ATLAS


64

49. Roland wendet sich gereizt an Moussa. ROLAND Diese kleine Missgeburt kann uns alle ganz schön in die Scheiße reiten. Was mir einfach nicht in den Kopf geht, ist, wie man so blöde sein kann, sich vor laufender Kamera so aufzuführen! Moussa schweigt. Roland wendet sich wieder an die Runde. ROLAND (CONT’D) Alfred wird euch noch erklären, was jeder sagen soll... Moussa unterbricht Roland. MOUSSA Ich schwör dir, ich regel das, Roland. Das ist eine Sache zwischen mir und ihm. Der wird bald seine Schnauze halten. ROLAND Du machst gar nichts! So läuft das hier nicht! Verstanden?! Moussa steht wütend auf und geht nach draußen in den Flur. Aus dem Flur kracht es augenblicklich. Der Knall lässt alle zusammenzucken, im Besonderen Alfred. Alle Blicke sind auf Roland gerichtet. Roland zögert kurz, dann geht er Moussa hinterher. MOUSSA (O.S.) Dieser Hurensohn! Ich schwöre, er wird seine Schnauze halten, wenn ich mit ihm fertig bin! ROLAND (O.S.) Erstens: Die Tür bezahlst du mir. Zweitens: Es läuft so, wie ich gesagt habe. Soll ich wirklich deinen Onkel anrufen? Willst du das? Die Männer tauschen stumm Blicke aus, während Rolands und Moussas Stimmen laut durch den Flur hallen. Walter starrt angespannt zu Boden. ROLAND (O.S.) (CONT’D) Du hältst dich von Haller fern! Kapiert? Ich sag es nicht nochmal. Stille. Moussa kommt zurück in die Umkleide, die Männer machen ihm Platz und fahren fort mit dem Ankleiden. Nur Walter bleibt regungslos sitzen. ATLAS


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50. Während Moussa seine Tasche auspackt, spürt er Walters Blicke auf sich. Er hält inne und schaut Walter direkt in die Augen. Walter senkt seinen Blick.

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INT. BETRIEBSRÄUME FIRMA GRONE / ROLANDS BÜRO - TAG

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Walter klopft an die offene Tür zu Rolands Büro. Roland ist gerade dabei, seinen Heizlüfter einzustellen. Er deutet Walter zu sprechen. WALTER Roland, ich kann da nicht hin. Roland seufzt. ROLAND Ganz ruhig, Walter. Es geht hier nicht um dich. Es geht um den Araber. Walter blickt Roland besorgt an. ROLAND (CONT’D) Dreißig Jahre, Walter. Kein Schwanz sucht mehr nach dir. Roland wendet sich wieder seinem Heizlüfter zu. Walter bleibt noch einen Moment stehen, ehe er das Büro verlässt. 66

EXT. POLIZEIWACHE - TAG

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Walter geht auf das Gebäude der Polizeiwache zu. Vor dem Eingang steht Alfred in der Sonne und raucht. Er hat die Augen geschlossen, sein papierweißes Gesicht hält er den Sonnenstrahlen entgegen. Zu seinen Füßen liegt Rex. Walter tritt an Alfred heran. Alfred blinzelt gegen die Sonne und grüßt mit Kopfnicken. Der Hund steht auf, schnuppert an Walters Hand und setzt sich wieder. Sie schweigen einen Moment lang. ALFRED Ich war schon drin. Kurz und schmerzlos. Er zieht an seiner Zigarette. Er wirkt entkräftet und matt. ALFRED (CONT’D) Ich weiß schon, was du sagen willst. Walter sieht ihn fragend an.

ATLAS


66

51. ALFRED (CONT'D) Ich muss jetzt an mich denken und nach vorne schauen. Er nimmt einen weiteren nervösen Zug. ALFRED (CONT’D) Die wollen mir meine Zulassung wegnehmen. Er exhaliert den Rauch, winkt ab. ALFRED (CONT’D) Sollen sie machen. Dann bin ich wenigstens nicht mehr der Arsch vom Dienst. Roland wird schon was für mich finden. Er versucht ein Lächeln. ALFRED (CONT’D) Ich arbeite mit Roland seit fast 15 Jahren zusammen. Das ist länger als meine Ehe gehalten hat, verstehst du? Walter nickt. Sie blicken beide auf Rex, der weiter zu Alfreds Füßen döst. Alfred tritt die Kippe aus. ALFRED (CONT’D) Wir sehen uns. Ja.

WALTER

Dann wendet Alfred sich ab und geht. Walter sieht ihm nach, wie er zusammen mit Rex die Straße überquert.

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INT. POLIZEIWACHE - TAG

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Walter sitzt auf der Wartebank im Präsidium. Neben dem Empfangstresen hängen Fahndungsplakate mit etlichen Gesichtern, die Walter stumm anblicken. 68

INT. POLIZEIWACHE / BÜRO - TAG

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YILMAZ, ein Deutschtürke mit wachen Augen und freundlichem Gesicht, sieht Walter erwartungsvoll an. Auf dem Schreibtisch stehen gerahmte Fotos von Frau und Tochter des Beamten. ATLAS


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52. WALTER Ich war die ganze Zeit unten am LKW. Yilmaz seufzt. Er beugt sich über seine Tastatur, murmelt eine Formulierung fürs Protokoll. Doch dann zieht er die Hände wieder zurück. Er beugt sich zu Walter vor, sieht ihn eindringlich. YILMAZ Ich kann verstehen, dass man gegen Angehörige dieser Familie nicht aussagen möchte, Herr Scholl. Sie sind da nicht der erste. Aber Ihnen ist hoffentlich bewusst, dass Sie sich bei einer Falschaussage strafbar machen. Walter nickt. YILMAZ (CONT’D) Also nur mal angenommen, man zeigt Herrn Haller ein Foto von Ihnen. Dann dürfte der Sie ja nicht wiedererkennen. Weil sie ja nicht vor seiner Wohnung waren. Richtig? Walter zögert. WALTER Ich war beim LKW. Yilmaz schaut Walter abschätzig an und wendet sich dann seiner Tastatur zu. Walters Blick geht ins Leere, während im Off die Tastatur von Yilmaz klickert.

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INT. BETRIEBSRÄUME FIRMA GRONE / UMKLEIDE - TAG

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Walter läuft den unbeleuchteten Gang entlang. Rolands Bürotür steht offen.

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INT. BETRIEBSRÄUME FIRMA GRONE / ROLANDS BÜRO - TAG

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Walter tritt in Rolands Bürotür. Roland blickt von seinem Computerbildschirm auf. ROLAND Wie lief’s bei den Bullen? WALTER Problemlos.

ATLAS


70

53. ROLAND Siehst du. Hab ich doch gesagt. WALTER Hast du mit Moussa gesprochen? Worüber?

ROLAND

WALTER Alle haben jetzt für ihn ausgesagt. Der lässt doch jetzt die Leute in Ruhe? ROLAND Moussa? Was weiß ich. Dem ist doch eh nicht zu helfen. Roland wendet sich wieder seinem Bildschirm zu. Walter rührt sich nicht. ROLAND (CONT’D) Du musst noch den Sprinter auftanken. Walter setzt sich in Bewegung. Roland schaut ihm hinterher. 70 A

INT. BETRIEBSRÄUME FIRMA GRONE / GARAGE - TAG

70 A

Walter setzt sich in den Transporter und zieht die Tür zu. Er hält einen Moment lang inne, ehe er den Motor startet. 71

I/E. TRANSPORTER / FAHRT / VOR WOHNHAUS JAN

-

TAG

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Der Transporter biegt in die Friedrich-Ablass-Straße ein. Walter fährt langsam an Jans Haus vorbei und parkt den Sprinter an der nächsten Kreuzung. Er atmet tief durch. 72

INT. WOHNHAUS JAN / HAUSFLUR / WOHNUNG JAN -

TAG

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Walter steht vor Jans Wohnung und klingelt. Nach einer Weile hört er Schritte im Flur. Jan öffnet die Tür. Er trägt eine Winterjacke. JAN Walter! Kommen Sie rein. Lassen Sie die Schuhe an, der Boden ist kalt. Walter betritt den dunklen Flur. 73

INT. WOHNUNG JAN / KÜCHE / FLUR - TAG

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Sie setzen sich an den Küchentisch, auf dem Unterlagen und Ordner chaotisch ausgebreitet sind. ATLAS


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54.

Tee?

JAN

Walter schüttelt den Kopf. Er blickt sich um, während Jan die Ordner sortiert und beiseite legt. Durch das verhangene Baugerüst vor dem Fenster dringt kaum Tageslicht in den Raum. Der Wasserhahn tropft auf dreckiges Geschirr, das sich in der Spüle stapelt. Die Wohnung ist auffällig ruhig. Jan entgehen Walters Blicke nicht. JAN (CONT’D) Die beiden sind bei Julias Eltern. Fürs erste. Jan setzt sich. Alles ok?

WALTER

JAN Ehrlich gesagt: Es könnte besser sein. Aber das wird schon wieder. Er ringt sich mühevoll ein Lächeln ab. WALTER Was haben Sie jetzt vor? Jans Blick schweift über seine Unterlagen. JAN Jedenfalls nicht aufgeben. Die Berufung gegen das Räumungsurteil gewinnen wir. Da bin ich ganz sicher. Jan spürt Walters Augen auf sich. JAN (CONT’D) Sie halten mich auch für verrückt, oder? WALTER Nein. Aber ist es das wert? Jan sieht Walter fest in die Augen. Sein Blick lässt keinen Zweifel zu. JAN Sie verstehen das nicht. Ich tue das alles für meine Familie. Jetzt ist der Junge noch klein. (MORE) ATLAS


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55. JAN (CONT'D) Aber solche Dinge vergessen Kinder nicht. Jans Worte treffen Walter. JAN (CONT’D) Sie würden doch auch nicht gehen! Sie gehören nicht zu den Feiglingen. Es kostet Walter deutlich Überwindung, zu sprechen. WALTER Ich bin nicht der, für den Sie mich halten. Jan horcht auf und wartet ab. Walter zögert. Dann: WALTER (CONT’D) Ich arbeite für Grone. Ich wollte es Ihnen schon früher sagen. Jan zeigt auf einen Stapel Briefe auf dem Tisch. JAN Grone? Sie arbeiten für Roland Grone? WALTER Ich bin nur einer seiner Möbelpacker. Aber ich kenne auch seine anderen Geschäfte. Jans Gesicht versteinert sich. WALTER (CONT’D) Ich kenne seine Methoden. Und seine Partner - das sind gefährliche Leute. Jan steht auf, verschränkt die Arme. WALTER (CONT’D) Sie müssen ausziehen, Jan. Die werden Ihnen keine andere Wahl lassen. Nervös betrachten Jans Augen den fremden Mann auf der anderen Tischseite. JAN Hat er sie geschickt? Jans Stimme zittert vor Anspannung. Walter schüttelt den Kopf.

ATLAS


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56. WALTER Keiner weiß, dass ich hier bin. Diese Leute sind skrupellos. Sie sind gefährlich. Glauben Sie mir, Jan. JAN Für wie naiv halten Sie mich eigentlich? Sie dringen in mein Leben ein, machen Geschenke, machen auf Freund? Und jetzt haben Sie die Dreistigkeit, hier herzukommen und mir und meiner Familie zu drohen! WALTER Ich will nur helfen. JAN Ach ja? Warum? Warum wollen Sie mir helfen? Walter ringt um eine Antwort. Jan blickt ihn abschätzend an. Dann verlässt Jan plötzlich die Küche und verschwindet im Flur. Er schließt die Küchentür hinter sich. Walter sitzt nun alleine in der Küche. Es ist für einen Moment still, dann leises Schlüsselgeklimper aus dem Flur. Anschließend kaum hörbar Jans Stimme. Er ist am telefonieren. Walter blickt zur Tür. Die Stimme ist zu leise, als dass er sie verstehen könnte. Walter wartet mit zunehmender Nervosität. Dann steht er auf. In dem Moment öffnet sich die Tür und Jan kommt zurück in die Küche. Walter blickt scheu an Jan vorbei zur Tür. Jan versucht, ruhig und gefasst zu wirken. Er geht zum Wasserhahn und füllt sich ein Glas mit Leitungswasser. JAN (CONT’D) Setzen Sie sich. Wollen Sie wirklich nichts trinken? Walter schüttelt den Kopf. Jan geht zurück an seinen Platz und deutet Walter, es ihm gleich zu tun. JAN (CONT’D) Setzen Sie sich bitte. Walter zögert, dann setzt er sich wieder hin. JAN (CONT’D) Fangen wir nochmal von vorne an. Wie lange arbeiten Sie schon für Grone?

ATLAS


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57. Jan blickt verstohlen auf die Küchenuhr. WALTER Ich geh jetzt besser. Es tut mir leid. Walter erhebt sich und geht in Richtung Wohnungstür. JAN Sie wollten doch helfen! Jan läuft ihm nach. Walter drückt die Klinke. Die Tür ist abgeschlossen. JAN (CONT’D) Sie bleiben hier, bis die Polizei da ist! WALTER Machen Sie bitte die Tür auf. Jan sieht ihn an. Schüttelt den Kopf. JAN Sie gehen nirgendwo hin! Walter sieht Jan an. Dann die Tür. Er geht in die Hocke, fasst mit beiden Händen die untere Ecke der alten Flügeltür, greift hinter die Mittelleiste. Er zieht die Tür nach innen, als würde er ein Gewicht hochreißen. Die Tür knarrt bedrohlich und biegt sich. JAN (CONT’D) Was wird das jetzt? Walter reißt ein zweites Mal. Holz splittert. Die Tür springt auf. Walter richtet sich auf und geht hindurch. Jan traut seinen Augen nicht.

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INT. WOHNUNG JAN / HAUSFLUR - DÄMMERUNG

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Walter tritt aus der Wohnung in den schummrigen Hausflur. Jan folgt ihm ein paar Schritte. JAN Kommst du meiner Familie noch einmal zu nah, bring ich dich um! Die große, dunkle Gestalt hält kurz inne, ehe sie dann durch die Haustür nach draußen geht. Jan steht bebend mit geballten Fäusten im dunklen Hausflur. 75

EXT. WOHNHAUS JAN / STRASSE - DÄMMERUNG

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Walter tritt in die Kälte. Er bleibt stehen und atmet die kalte Luft ein. Seine Hände zittern. ATLAS


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58. Walter geht benommen in Richtung Transporter. Er bleibt mit schmerzverzerrtem Gesicht stehen, stützt eine Hand in seinen Rücken. Er nimmt etwas in seinem Augenwinkel wahr und blickt auf. An der nächsten Straßenecke parkt Moussas mattschwarzer Benz. Im schummrigen Licht der Dämmerung ist nicht zu erkennen, ob jemand am Steuer sitzt. Walter wendet seinen Blick ab und geht zügig zum Transporter, steigt ein.

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I/E. TRANSPORTER / STRASSE - DÄMMERUNG

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Im Schutz der Fahrerkabine beobachtet er den Benz. Die Straße ist totenstill. Hinter den dunklen Scheiben des Wagens ist weiter keine Regung zu erkennen. Walters weißer Umzugstransporter steht in seiner Größe exponiert an der Straßenkreuzung. Walter blickt sich um, ob er nicht von woanders beobachtet wird. Walters Blick wandert zurück zu Moussas Wagen. Das schwarze Auto steht wie ein lauerndes Tier am Straßenrand. Plötzlich das Geräusch des Motors, ein dumpfes Grollen in der Stille. Der Wagen schert aus der Parklücke und gleitet die Straße hinunter. Walter zögert kurz. Dann dreht er den Zündschlüssel des Transporters um und fährt los. 77

I/E. TRANSPORTER / FAHRT - DÄMMERUNG / NACHT

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Walters Transporter folgt Moussas Auto durch die dämmernde Stadt. Aus farblosen Wohngegenden werden grelle, belebte Straßen. Es wird allmählich dunkel. Walter hat zunehmend Mühe, im regen Berufsverkehr mit genügend Abstand an dem Benz dranzubleiben. 78

I/E. TRANSPORTER / FAHRT / STRASSE - NACHT

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Moussas Wagen fährt in eine belebte Straße, in der sich die Spielparadiese aneinanderreihen. Der Wagen schert in eine Parklücke am Straßenrand ein. Walter hält mit Abstand in zweiter Reihe. Er beobachtet, wie Moussa aussteigt und die Straße hinabläuft. Er läuft immer weiter, bis er aus Walters Blickfeld verschwindet.

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59. In zwei ruppigen Zügen parkt Walter den Transporter ein und springt aus der Fahrertür. Er landet hart. Walter muss gegen den plötzlichen Schmerz in seinem Rücken ankämpfen.

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EXT. BELEBTE STRASSE / VOR SPIELOTHEK - NACHT

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Walter läuft eilig in die Richtung, in die Moussa verschwunden ist. Er mustert die Gestalten, die auf der Straße unterwegs sind. Noch immer keine Spur von Moussa, als er um die nächste Ecke biegt. Vor den grell erleuchteten Handyläden stehen Gruppen von MÄNNERN, deren skeptische Gesichter Walter taxieren. Walter bleibt stehen, lässt seinen Blick schweifen. Dann erfasst er Moussas Gestalt auf der anderen Straßenseite. Walter bleibt auf seiner Straßenseite und folgt ihm. Moussa geht zielstrebig auf eine der Spielhallen zu und verschwindet darin. In großen Lettern blinkt der Name der Halle über dem Eingang: “Hattrick”. Die Türen sowie alle Fenster sind blickdicht beklebt. Walter stellt sich in einen Hauseingang gegenüber der Wetthalle. Er wartet eine Weile. Es gehen MEHRERE MÄNNER ein und aus, aber von Moussa keine Spur. Walter stützt sich gegen die Hauswand, presst seine Faust in den Rücken und atmet mit schmerzverzerrtem Gesicht durch. 80

EXT. BELEBTE STRASSE / VOR SPIELOTHEK - NACHT

80

Mittlerweile ist es Nacht. Walter steht an der gleichen Stelle, seine Hände gegen die Kälte in den Jackentaschen vergraben. Eine dunkle Gestalt - BORAN (26), ein drahtiger Kurde mit kantigem Gesicht - tritt aus der Wetthalle, schaut nach links und rechts. Dann läuft er frontal auf Walter zu und bleibt mitten auf der Straße stehen. Er schaut geradewegs zu Walter und signalisiert ihm mit einer Handbewegung, ihm zu folgen. Walter rührt sich nicht. Der Fremde wiederholt seine Geste in aller Ruhe. Dann verschwindet er wieder in der Wetthalle. Walter zögert noch einen Moment, dann tritt er aus dem Schatten des Hauseingangs. Er geht langsam über die Straße auf den Eingang der Wetthalle zu.

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60. INT. WETTHALLE - NACHT

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Die Wetthalle ist größer als man es von außen vermuten würde. Walter schiebt sich durch dichten Zigarettenqualm. Vor den Flatscreens und Automaten sitzen MÄNNER aller Ethnien, die nach Feierabend ihr Geld zählen und auf etwas Glück hoffen. Ein Pfiff durchschneidet die dicke Luft im Raum. Walter sieht sich um und entdeckt Moussa am zentral gelegenen Tresen. Moussa winkt Walter zu sich. Walter zögert, dann geht er rüber und stellt sich zu Moussa an den Tresen. Moussas Aufmerksamkeit ist noch von den Monitoren eingenommen. Ein stummes Motorradrennen. Die Bikes schießen über die Ziellinie. MOUSSA Flucht auf Torî Boran, der Mann, der Walter hereingewunken hat, sitzt vor einem anderen Flatscreen nicht weit von Moussa, der seinen Blick nicht von den Fernsehern nimmt. MOUSSA (CONT’D) (zu Walter) Was willst du trinken? Walter zuckt mit den Schultern. Moussa wendet sich an den BARMANN. MOUSSA (CONT’D) Ein Bier. Wie heißt du nochmal? Walter.

WALTER

Der Barmann stellt ihm ein Bier hin. Moussa schiebt Walter die Flasche rüber. MOUSSA Trink, Walter. Walter nimmt die Flasche, trinkt aber nicht, während Moussa einen kräftigen Schluck aus seiner nimmt. Zockst du?

MOUSSA (CONT’D)

Walter schüttelt den Kopf. MOUSSA (CONT’D) Gut für dich. Er mustert Walter.

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61. MOUSSA (CONT’D) Sollst du jetzt auf mich aufpassen? Nein.

WALTER

MOUSSA Warum bist du dann hier? WALTER Ich hab dich gesehen. Vor Hallers Haus. Wo?

MOUSSA

WALTER Ablassstraße. MOUSSA Was geht dich das an? WALTER Ich hab heute bei der Polizei für dich ausgesagt. Alle Männer haben das gemacht. MOUSSA Und? Schuld ich euch jetzt was? Moussa nimmt einen weiteren Schluck von seinem Bier, ohne Walter aus den Augen zu lassen. WALTER Die Anzeige vom Mieter ist jetzt nichts mehr wert. Er wird bald ausziehen. Dafür wird Roland sorgen. Es ist nicht nötig, dass du deine Bewährung riskierst. Moussa grinst. MOUSSA Also sollst du doch auf mich aufpassen. Mach dir mal keine Sorgen um mich. Er wendet sich wieder dem Rennen auf dem Flatscreen zu, trinkt von seinem Bier. Die Motorräder starten. Moussa beugt sich rüber zu Walter, ohne die Augen vom Flatscreen zu lassen. MOUSSA (CONT’D) Ich war bisher nett zu dir. Weil ich Respekt vor alten Leuten habe. Trink in Ruhe dein Bier aus und alles ist gut. ATLAS


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62. Moussa will mit ihm anstoßen, aber Walter reagiert nicht. Moussa stößt seine Flasche an Walters, trinkt einen Schluck und wendet sich wieder dem Flatscreen zu. Die Motorräder drehen ihre Runden. WALTER Es ist besser, wenn du Jan Haller in Ruhe lässt. Moussa stellt sein Bier auf den Tresen. MOUSSA Was hast du gesagt? WALTER Du lässt ihn besser in Ruhe. Moussa schlägt Walter mit der flachen Hand gegen die Stirn. MOUSSA Was ist los mit dir, alter Mann? Walter zeigt keine Regung. Moussa steht auf und tritt ganz dicht an Walter ran. Er schiebt seine Jacke beiseite und gibt den Blick auf eine Pistole frei. Er drängt Walter zurück. MOUSSA (CONT’D) Was willst du machen? Er haut Walter wieder mit der flachen Hand gegen die Stirn, so hart, dass Walter einen weiteren Schritt zurückgehen muss. Die Männer in ihrer Nähe schauen zu ihnen herüber. Die beiden großen Männer stehen Kopf an Kopf inmitten der Spielhalle. MOUSSA (CONT’D) Was willst du machen? Walter zögert noch einen Moment. Dann dreht er sich um und geht durch die Blicke der Männer zum Ausgang.

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EXT. VOR DER WETTHALLE / BELEBTE STRASSE

-

NACHT

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Walter bleibt unschlüssig vor der Spielhalle stehen. Er ist aufgewühlt, sein Rücken schmerzt. Er entfernt sich langsam von der Halle. Sein nervös umherschweifender Blick bleibt an einem VW-Bus der Polizei hängen, der unweit der Halle am Straßenrand parkt. Walter zögert, dann geht er auf die in der Fahrerkabine sitzenden zwei BEAMTEN zu. Er klopft ans Fahrerfenster.

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63. Der STREIFENPOLIZIST am Steuer lässt die Scheibe runter und sieht ihn ungeduldig an. Walter deutet auf die Spielhalle. WALTER Da drin sitzt ein Mann am Tresen. Der hat eine Waffe. Und er ist auf Bewährung. Die Polizisten mustern Walter, dann schauen sie rüber zur Spielothek. CUT TO: Totale: Zwei Polizisten gehen auf die Halle zu, während Walter mit einer Polizistin am Wagen stehen bleibt. Die Polizistin geht zur Fahrerkabine und lehnt sich zum Funkgerät. Während sie spricht, entfernt sich Walter unauffällig und überquert im Rücken des Polizeibusses die Straße.

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I/E. SPIELOTHEK / BELEBTE STRASSE - NACHT

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Walter stellt sich an einen Stehtisch der kleinen Spielothek, taucht hinter die Spiegelfolie des Schaufensters ab und beobachtet von da aus den Polizeibus. Er sieht die Polizistin auf die Straße treten und nach ihm Ausschau halten. Bald darauf treten ihre beiden Kollegen aus der Spielhalle. Sie geleiten einen gelassen wirkenden Moussa zum Polizeibus. Moussas Augen suchen die Gegend ab. Walter geht trotz des von außen undurchsichtigen Fensters einen weiteren Schritt vom Fenster zurück. Die Polizisten setzen Moussa hinten in den Bus, steigen dazu und schieben die Tür zu. Walter schaut sich um. In der sonst so leeren Spielothek ist nur ein Automat besetzt. Ein ÄLTERER MANN sitzt auf einem Hocker und blickt vertieft in den blinkenden Kasten. Walter beachtet er nicht. 84

- GESTRICHEN -

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INT. WALTERS WOHNUNG / KÜCHE - NACHT

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Die Straßenbeleuchtung wirft Licht auf den Küchenboden. Dort liegt Walter mit geschlossenen Augen, flach atmend. Neben ihm das abgelegte Hüftgeschirr. Auf dem Tisch die leere Tablettenpackung.

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64. Die Türklingel holt Walter aus dem Schlaf. Walter bleibt regungslos liegen. Erst als es ein zweites Mal lange klingelt, richtet er sich auf.

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INT. WALTERS WOHNUNG / FLUR / WOHNZIMMER - NACHT

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Walter geht langsam an die Tür und blickt vorsichtig durch den Spion. Es klingelt wieder. Walter atmet tief ein und aus. Dann nimmt er die Türkette ab und schließt die Tür auf. Vor der Tür steht Moussa. Er sieht müde aus. MOUSSA Kann ich reinkommen? Walter zögert, ehe er die Tür ganz öffnet und beiseite tritt. Moussa kommt herein. Walter sieht zu, wie Moussa mit seinen Schuhen ins Wohnzimmer geht und sich in aller Ruhe neugierig umschaut. Vor dem offenen Karton mit den Medaillen und Pokal, der auf dem Tisch steht, bleibt er stehen. Moussa nimmt den Pokal heraus, betrachtet die Gewichtheber-Figur. Er liest die Plakette an dem Pokalsockel. MOUSSA (CONT’D) Ar...thur “Atlas” Las...lo. Moussa runzelt die Stirn. MOUSSA (CONT’D) Wer ist das? Walter sieht ihn müde an. WALTER Ein alter Freund. Moussa geht hinüber zur Hantelbank. Auf der Bank liegt eine 2,5 Kilo-Scheibe, die Moussa nimmt und in der Hand wiegt. Er schaut zu Walter. MOUSSA Was drückst du? WALTER Die Zeiten sind vorbei. Moussa zeigt auf die Hantelbank. MOUSSA Alles nur Deko oder was? Moussa grinst. Er geht rüber zur Couch, setzt sich und deutet Walter, sich neben ihn auf den Fußhocker zu setzen. Walter setzt sich. Moussa blickt Walter eine Weile stumm an. ATLAS


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65. MOUSSA (CONT’D) Willst du was Lustiges hören? Kurz nachdem du weg bist, kommen die Bullen in den Laden. Haben mich mitgenommen in ihren kleinen Bus. Ich musste mich vor den Hunden fast nackt machen. Er lacht. MOUSSA (CONT’D) Weißt du, was die gesucht haben? Walter schweigt. Moussa zieht die Waffe und legt sie auf den Wohnzimmertisch. Walter blickt regungslos auf die Pistole. MOUSSA (CONT’D) Die Hurensöhne kommen doch glatt mit ihrer Reflektoruniform in den Laden. Er schüttelt verächtlich den Kopf. MOUSSA (CONT’D) Die sind so dumm. Er sieht Walter ernst an. MOUSSA (CONT’D) Was ich mich frage: Woher wussten die, wo sie mich finden? Kannst du mir das erklären? Walter schweigt. MOUSSA (CONT’D) Du redest nicht viel, oder? Hab ich mir schon gedacht. Er zieht eine Schnapsflasche unter seiner Jacke hervor und stellt sie auf den Tisch. MOUSSA (CONT’D) Wo ist die Küche? Walter zeigt auf die Tür. Moussa steht auf, geht in die Küche. Walter starrt auf die Waffe vor ihm. Moussa kommt mit zwei Gläsern zurück. Walter sieht still zu, wie Moussa ihnen beiden Schnaps eingießt. Moussa hält Walter sein Glas hin. MOUSSA (CONT’D) Diesmal stoßen wir an, mein Freund. Aber Walter nimmt das Glas nicht. ATLAS


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66. Plötzlich schlägt Moussa Walter das Glas gegen den Kopf, es zerbricht. Walter zuckt zusammen, richtet sich aber gleich wieder auf. MOUSSA (CONT’D) Für wen hältst du dich? Denkst du du bist was Besseres? Walter antwortet nicht, fängt stattdessen an, die Glasscherben vom Boden aufzusammeln. Moussa gibt Walter eine kräftige Ohrfeige. Die Glasscherben aus Walters Hand verstreuen sich über den Wohnzimmerteppich. MOUSSA (CONT’D) Was ist los mit dir? Bist du lebensmüde? Walter hält weiter still, harrt aus. Die Stelle an Walters Auge, an der ihn das Glas getroffen hat, blutet. Dunkle Tropfen landen auf dem Teppich. Walters Augen streifen die Waffe, die noch immer auf dem Tisch liegt. Moussa setzt sich wieder. MOUSSA (CONT’D) Hast du die Bullen gerufen? Walter zögert, nickt dann. Moussa nimmt die Waffe und klopft die Mündung gegen Walters Stirn, während er redet. MOUSSA (CONT’D) Mach so’n Scheiß nie wieder! Hast du verstanden? Nie wieder! Walter nickt. Moussa lässt nicht locker. Sag’s!

MOUSSA (CONT’D)

WALTER Ich hab verstanden. Moussa beruhigt sich allmählich. MOUSSA Hol ein neues Glas. Er steckt die Waffe weg. Zögernd steht Walter auf und geht in die Küche.

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67. INT. WALTERS WOHNUNG / KÜCHE - NACHT

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Walter steht vor dem Küchenschrank und nimmt ein Glas heraus. Sein Blick geht rüber zum Küchentisch, wo weiterhin das Foto mit dem kleinen Jungen auf der Fähre gegen das Kofferradio gelehnt steht. 88

INT. WALTERS WOHNUNG / WOHNZIMMER - NACHT

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Walter kommt zurück ins Wohnzimmer und stellt das Glas hin. Moussa schenkt ihm ein. Walter setzt sich. Moussa schiebt Walter den Schnaps rüber, hebt sein Glas. MOUSSA Roland braucht von all dem hier nichts zu wissen. Das bleibt unter uns. Walter nickt. Sie stoßen an und trinken. Der Schnaps brennt. WALTER Aber den Jungen lässt du in Ruhe. Moussa steht auf, schlägt ihm mit der Faust gegen den Kopf. MOUSSA Du dummes Arschloch, warum machst du es mir so schwer?! Er starrt Walter fassungslos an. Walter atmet schwer. WALTER Er ist mein Sohn. MOUSSA Wer ist dein Sohn? WALTER Jan Haller. Der Mieter. Er ist mein Sohn. Moussa hält inne. WALTER (CONT’D) Tu ihm nichts. Ich weiß, dass er aus der Wohnung raus muss. Ich werde dafür sorgen. Ich rede mit ihm. Moussa starrt Walter an. Dann setzt er sich wieder hin und schiebt Walter das Glas hin. Trink.

MOUSSA

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68. Walter nimmt das Glas und trinkt es in einem Zug aus. Moussa schenkt ihm nach. MOUSSA (CONT’D) Warum hast du das nicht früher gesagt? Walter zuckt mit den Schultern, schweigt. MOUSSA (CONT’D) Warum hört der Junge nicht auf dich? WALTER Er weiß nicht, dass ich sein Vater bin. Ich hab ihn nicht aufwachsen sehen. Moussa schweigt. Er betrachtet den alten Mann auf dem Sofa. Das Blut an seinem Auge gerinnt langsam. Walters Hand zittert. Er trinkt auch das zweite Glas aus. MOUSSA Warum hast du dich nicht um deinen Sohn gekümmert? WALTER Seine Mutter wollte ein anderes Leben. Eins ohne mich. Für einen Moment vergisst er, dass er Moussa gegenüber sitzt. WALTER (CONT’D) Ich wollte ihn gar nicht entführen. Nur einen Tag mit meinem Kind haben. Aber als ich ihn wieder nach Hause gebracht habe, war da schon die Polizei. Walter atmet schwer. Seine Hand hält das Glas fest umschlossen. WALTER (CONT’D) Sie haben mich festgehalten, vor seinen Augen zu Boden gedrückt. Das hab ich nicht ausgehalten. Der Junge sollte mich nicht so sehen. Ich hab die Kontrolle verloren. Walters Augen sind geschlossen. WALTER (CONT’D) Dann bin ich abgehauen. Ich habe die Bullen schlimm zugerichtet. So schlimm, dass ich wusste: ich kann nicht mehr zurück. Er öffnet die Augen, blickt auf seine zerfurchten Hände. ATLAS


88

69. WALTER (CONT’D) So einen wie mich brauchte der Junge nicht. Sie sitzen da und schweigen. Moussa denkt angestrengt nach. Dann gießt er Walter erneut ein. Moussa beugt sich zu Walter vor. MOUSSA Du hast den Jungen nicht erzogen. Du kannst nichts dafür, dass der Junge so eine Missgeburt ist. Er kennt dich nicht mal. Du hast im Grunde nichts mit ihm zu tun. Was willst du von dem? Der ist doch eine Schande für jeden Vater! Ist doch so. Und ich schwöre dir: Er hasst dich. Er hasst dich. Ist doch immer so. Ich hasse meinen Vater auch. Ist ganz normal. Keine Ahnung, was der Wichser heute macht. Ist mir auch scheißegal. Und ich sag dir, deinem Sohn ist auch scheißegal, was du machst. Er wird nicht auf dich hören. Warum sollte er auf einen fremden Mann hören? WALTER Er wird auf mich hören. MOUSSA Schwachsinn! Er legt seinen Arm um Walter. MOUSSA (CONT’D) Söhne hören nicht auf ihre Väter. So ist das Leben. Moussa rückt noch dichter an Walter ran. MOUSSA (CONT’D) Ich werd’ ihn zur Besinnung bringen. Für dich. Du musst dich nicht darum kümmern. Vergiss ihn einfach. Er bekommt seine Lektion. Vielleicht ändert das was bei ihm. Bestimmt. Okay? Walter starrt Moussa an. Moussas Gesicht bekundet Mitgefühl. Walter nickt stumm. Moussa hebt das Glas. MOUSSA (CONT’D) Auf unsere Freundschaft. Walters Hand hebt zitternd sein Glas und stößt mechanisch mit Moussa an. Sie trinken. ATLAS


88

70. MOUSSA (CONT’D) Das ist eine Sache zwischen uns. Ich regel das. Braucht niemand was von zu wissen. Okay? Walter nickt. Moussa steht auf, reicht Walter die Hand. Walter nimmt sie. Moussa geht zur Tür. Walter folgt ihm in den dunklen Flur. MOUSSA (CONT’D) Das bleibt zwischen uns beiden. Ich verlass mich drauf. Ja.

WALTER

Moussa zieht die Wohnungstür auf. In dem Moment holt Walter aus und schlägt mit voller Wucht gegen Moussas Kopf. Ein dumpfes Knacken. Dann sackt Moussa leblos auf der Schwelle zum Treppenhaus zusammen. Walters Hand umklammert die kleine 2,5-kg-Hantelscheibe. Er blickt auf Moussa herab. Walter greift Moussas schlaffe Arme und zieht ihn zurück in die Wohnung. Dann schließt er die Wohnungstür. 89

EXT. WALTERS WOHNVIERTEL - NACHT

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Die Fensterfront von Walters Wohnhaus. Nur ein einziges Fenster ist erleuchtet. 90

- GESTRICHEN -

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I/E. WALTERS WOHNUNG / HIMMEL - NACHT

91

Blick durchs Fenster. Der bewölkte Nachthimmel, erhellt vom bräunlichen Licht der Stadt. Aus dem Off hört man das Knistern von Folie und schweres Atmen. Walter legt Moussas nackten Körper vorsichtig auf dem mit Mülltüten ausgelegten Wohnzimmerboden ab. Er stützt sich kurz ab, atmet durch. 92

INT. WALTERS WOHNUNG - NACHT - WENIG SPÄTER

92

Walter legt sein Hüftgeschirr an.

ATLAS


93 93

71. INT. WOHNHAUS WALTER / TREPPENHAUS - NACHT

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Blick hinab ins unbeleuchtete Treppenhaus: Walter schleppt sich schnaufend die Treppen hinab, die eine Hand stützt sich am Treppengeländer entlang, die andere umfasst den schweren, in Plastik gehüllten Körper, den Walter geschultert hat. 94

EXT. WOHNHAUS WALTER / STRASSE - NACHT

94

Schweißgebadet lässt Walter Moussa von seinen Schultern in den Kofferraum des schwarzen Benz sacken, winkelt die Beine der Leiche an und drückt die Lade leise zu. 95

- Gestrichen -

95

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EXT. BENZ / STRASSE / FAHRT - NACHT

96

Der schwarze Benz fährt aus der schlafenden Stadt heraus, überquert leere Straßenkreuzungen, an denen die noch abgestellten Ampeln gelb in die Nacht blinken. 97.A

I/E. BENZ / LANDSTRASSE / FAHRT -

NACHT

97.A

Walter sitzt am Steuer. Müde Augen suchen die bewaldete Landschaft entlang der Straße ab. 97.B

EXT. BENZ / WALDSTÜCK / FAHRT - NACHT

97.B

Der schwarze Benz verschwindet in einem Waldstück. 98

EXT. FORSTWEG / WALD - NACHT

98

Die Scheinwerfer des parkenden Benz leuchten in den Wald hinein. Der Motor ist aus. Durch die Stille dringt Walters keuchende Atmung. Walter kniet auf dem Waldboden, hackt mit einer Gartenschaufel in die gefrorene Erde. Sein schwitzender Körper dampft im Licht der Scheinwerfer. CUT TO: Die schwarzen Verästelungen der Bäume zeichnen sich vor dem Himmel ab, dessen Farbe langsam von schwarz zu blau wechselt. Er zieht die nackte Leiche in die ellentiefe Aushebung und legt sie darin ab. Er hält inne, betrachtet Moussas bleiches Gesicht im kalten Licht der Scheinwerfer. Dann schaufelt er Erde darüber, bis es ganz bedeckt ist. ATLAS


99

72.

99

- GESTRICHEN -

100

E/I. BENZ / SUPERMARKT-PARKPLATZ - MORGEN

99 100

Ein großflächiger, fast leerer Parkplatz vor einem geschlossenen Supermarkt. Walter parkt Moussas Wagen. Mit einem Lappen wischt er Lenkrad, Schaltknüppel und Türgriffe ab. 101

EXT. KANALUFER - MORGEN

101

Walter steht unter einer Straßenüberführung am steil abfallenden Ufer des Kanals. Über ihm das dumpfe Tosen des Verkehrs. Er tritt an die Uferkante und schüttet den Inhalt des Müllsacks ins schwarze Wasser: Klamotten, Handy, Autoschlüssel, und schließlich die Waffe. 102

INT. S-BAHN-WAGON - MORGEN

102

Berufsverkehr: Die S-Bahn ist voller Gesichter, die verschlafen ins Leere blicken. Walter sitzt völlig erschöpft auf seinem Platz, driftet immer wieder in Sekundenschlaf ab. Sein Blick fällt auf seine dreckverkrusteten Hände. Er steckt sie in die Jackentaschen und schließt die Augen. 103

E/I. FIRMA GRONE / HOF / GARAGE - MORGEN

103

Walter fährt mit dem Transporter auf das Firmengelände, auf die Garage zu. Vor der Eingangstür, unweit des Garagentores, stehen die anderen Packer im Kreis und rauchen. Als Walter sie im Wagen passiert, richten sich alle Augen auf ihn. Die stummen Gesichter folgen ihm, während er den Transporter in die Garage lenkt. 104

INT. BETRIEBSRÄUME GRONE / UMKLEIDE / BÜRO ROLAND - MORGEN104 Walter betritt die leere Umkleide und schaltet die Beleuchtung an. Das grelle Licht der Neonröhren schmerzt in seinen müden Augen. Er setzt sich auf die Bank vor seinem Spind und zieht seine erdverkrusteten Schuhe aus. Dann bemerkt er, dass Roland ihn durch die offene Tür aus seinem Büro gegenüber der Umkleide beobachtet. ATLAS


104

73.

Roland sitzt hinter seinem Schreibtisch, zwischen den Fingern eine abgebrannte Zigarette. Er blickt Walter lange und intensiv an. Walter erstarrt unweigerlich. ROLAND Arbeit fällt heute aus. Roland drückt seine Kippe aus. ROLAND (CONT’D) Alfred liegt im Krankenhaus. Ist besoffen gegen einen Baum gefahren. Roland steht auf und schließt die Tür zu seinem Büro. 105

INT. KRANKENHAUS / EINGANGSHALLE - TAG

105

Die große, belebte Eingangshalle eines Krankenhauses. Patienten, Besucher und das Pflegepersonal gehen ein und aus. Am Empfangsschalter steht Walter und wartet auf Auskunft. 106

INT. KRANKENHAUS / GANG - TAG

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Walter sitzt auf einer Wartebank im Gang des Krankenhauses. Er hat die Augen geschlossen. Eine Person in Klinikbekleidung geht an ihm vorbei und bleibt nach wenigen Metern stehen. Walter blickt auf. Vor ihm steht: Julia. Walter?

JULIA (O.S.)

Walter ist überfordert. Schaut sie an wie einen Geist. Julia setzt sich zu ihm. JULIA (CONT’D) Ist alles in Ordnung? Walter ist noch immer perplex. WALTER Ein Freund liegt auf der Intensivstation. Man darf noch nicht zu ihm. JULIA Warten Sie schon lange? Walter zuckt mit den Schultern. Er sieht mitgenommen aus. JULIA (CONT’D) Ein guter Freund? WALTER Ein Arbeitskollege. ATLAS


106

74. JULIA Das tut mir leid.

Walter reibt sich die Augen und setzt sich aufrecht hin. JULIA (CONT’D) Vielleicht sollten Sie erstmal nach Hause gehen und später wiederkommen. Sie sehen müde aus. WALTER Ich bleibe noch ein bisschen. Julia nickt verständnisvoll. Sie betrachtet die Gestalt in der abgewetzen Jacke, sein müdes Gesicht. JULIA Sie sind ein guter Mensch, Walter. Walter sieht sie lange an. Dann wendet er sich ab und schüttelt den Kopf. WALTER Das bin ich nicht. Julia legt ihre Hand auf seine und drückt sie. JULIA Doch. Das sind Sie. Walter schaut in ihre freundlichen Augen. Eine Kollegin von Julia schiebt ratternd ein leeres Bett vorbei. Julia steht auf. JULIA (CONT’D) Ich muss dann mal wieder. Walter sieht zu ihr auf. WALTER Er hat Glück, dass er dich hat. Sie stockt kurz, versucht, seine Worte einzuordnen. Sie muss schlucken. Dann nickt sie Walter lächelnd zu und geht. 107

INT. WALTERS WOHNUNG / WOHNZIMMER - NACHT

107

Walter sitzt auf seiner Hantelbank. Er ist verschwitzt, außer Atem. Er blickt aus dem Fenster, hinaus in die Nacht. Durch die beschlagene Scheibe erkennt man schemenhaft den fallenden Schnee.

ATLAS


108 108

75.

EXT. FRIEDHOF - TAG

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Es schneit. Eine kleine Schaufel wird in einen Erdhaufen gestoßen. Eine FRAU (52) mit verweinten Augen schaut zu Boden. Zu ihren Füßen ein flaches Urnengrab. Auf der Grabplatte ist “Alfred Hoppe” eingraviert. Sie wirft die Erde in das Grab. Hinter ihr reihen sich zwei JUNGE FRAUEN(20 & 23) ein, Alfreds Töchter, die es ihrer Mutter gleichtun. Die ältere Tochter hält Rex an der Leine. Hinter den Töchtern etwa ein Dutzend TRAUERGÄSTE, darunter Roland, Henning und als Letzter Walter. Die Männer haben sich nicht sonderlich fein gemacht. Nach Roland und Henning stößt Walter die Schaufel in die Erde und wirft die Erde ins Grab. Die Leute stellen sich nach dem Erdwurf um das Grab auf. Anstatt sich wieder neben Roland und Henning zu stellen, geht Walter weiter und bleibt gegenüber von Grone und seinem Kollegen nahe der Familie stehen. Roland registriert das. Walter meidet den Blickkontakt. 109

I/E. ROLANDS AUTO / PARKPLATZ VOR FRIEDHOF - TAG

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Roland sieht durchs Seitenfenster seines Audi Walter durch das Friedhofstor kommen. Roland hupt. Walter schaut sich um und sieht Rolands Wagen. Er läuft zu ihm, tritt an die Beifahrertür. Die Seitenscheibe fährt runter. Steig ein. 110

ROLAND

I/E. ROLANDS AUTO / FAHRT - TAG

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Walter schaut aus dem Fenster. Die nass-graue Stadt zieht an ihm vorbei. An einer großen Kreuzung biegt Roland ab. Walter bemerkt, dass sie eine andere Strecke als erwartet fahren. WALTER Wo fahren wir hin? ROLAND Wir besuchen Moussas Familie. Walter schaut fragend.

ATLAS


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76. ROLAND (CONT’D) Moussa ist seit ein paar Tagen verschwunden. Erst hat mich sein Bewährungshelfer angerufen. Und dann sein Onkel. Keiner weiß, wo er ist. Sein Onkel hat mich gebeten vorbeizukommen.

Walter sieht schweigend aus dem Fenster. ROLAND (CONT’D) Er hat nach dir gefragt. Walter dreht sich zu Roland. ROLAND (CONT’D) Said Afsari. Moussas Onkel. Er will dich sprechen. Er blickt in Walters verschlossene Miene. ROLAND (CONT’D) Warum will er dich sprechen? Walter zögert, bleibt ruhig. WALTER Ich hab keine Ahnung. Walter betrachtet wieder die vorbeiziehenden Straßen. Roland schaut prüfend zu Walter, dieses Mal länger. 111

- GESTRICHEN -

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INT. HAUSFLUR / WOHNUNG SAID - TAG

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Roland klingelt an einer Wohnungstür. Sie stehen am Ende eines langen, dunklen Hausflures. Ein NEUNJÄHRIGER JUNGE öffnet und blickt beide mit großen Augen an. Eine Frauenstimme ermahnt ihn leise aus dem Hintergrund. Eine Frau mit Kopftuch tritt an die Tür (RUFIA, 36) und deutet den beiden Männern, einzutreten. Roland zieht seine Schuhe aus, Walter tut es ihm gleich. Rufia führt die beiden den Flur entlang. Der Junge läuft in eines der Zimmer, wo EINIGE MÄNNER um einen nur halb sichtbaren Tisch sitzen und stumm essen. Sie blicken kurz prüfend in Richtung Roland und Walter. 113

INT. WOHNUNG SAID / WOHNZIMMER - TAG

113

Walter und Roland nehmen auf der großen Couch Platz. Rufia stellt Teegläser auf den Glastisch vor Roland und Walter ab.

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113

77.

Zwei ältere, schlicht gekleidete Männer betreten das Zimmer (SAID, 64 & HADI, 69). Roland steht auf und gibt Said die Hand. SAID Roland, mein Freund. Danke, dass du gekommen bist. Er gibt auch Walter die Hand. Hinter Said betritt ein weiterer Mann den Raum. Walters Blick streift dessen Gesicht und er erkennt Boran, den Mann aus der Spielothek. ROLAND Das ist Walter. Er arbeitet für mich. Said nickt. Er deutet auf Hadi. SAID Das ist Moussas Vater. Hadi. Hadi nickt den beiden ernst zu. Walter blickt in das Gesicht des hageren Mannes. Er wirkt deutlich älter als Said. Said zeigt auf Boran. SAID (CONT’D) Mein Sohn: Boran. Boran nickt Roland knapp zu. An Walter blickt er vorbei. Der neunjährige Junge kommt mit einer großen Obstschale und Tellern herein, verteilt die Teller auf dem Wohnzimmertisch, legt Obstmesser daneben. Die Männer setzen sich. Dann nimmt auch Rufia am Rand Platz. Hadi fordert die Gäste stumm auf, sich beim Obst zu bedienen. SAID (CONT’D) Mein Bruder Hadi ist heute morgen mit seiner Familie aus Duisburg gekommen. Wir sind alle in großer Sorge. Roland nickt anteilnehmend. SAID (CONT’D) Ich habe meinem Bruder erklärt, dass du, Roland, ein Freund der Familie bist und uns helfen wirst, Moussa zu finden. Roland nickt Hadi ernst zu, der Roland aufmerksam beäugt. ROLAND Ich tue, was ich kann. Saids Blick wechselt zwischen Roland und Walter. Hadi wendet sich murmelnd an Rufia.

ATLAS


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78. HADI Frage auf Torî RUFIA Antwort auf Torî SAID Die Polizei hat Moussas Auto gefunden. Keine Spur von ihm.

Betretenes Schweigen. Walter spürt Borans aufmerksamen Blick auf sich. SAID (CONT’D) Moussa ist kein einfacher Junge. Vieles erzählt er uns nicht. Er hat seinen eigenen Kopf. ROLAND Ja, hat er. SAID Das Gefängnis war nicht gut für ihn. Viele Ausländer, viele schmutzige Leute. Alle zusammen. Kein guter Einfluss. Deshalb war ich sehr froh, dass du ihn bei dir in deiner Firma aufgenommen hast. ROLAND Das war selbstverständlich. Said nickt dankbar. Saids Bruder spricht nun erstmals. HADI Wo ist mein Sohn? Seine Stimme ist belegt. Er blickt erst Roland und dann Walter lange an. Das verzweifelte Gesicht eines alten Mannes. HADI (CONT’D) Bitte. Wo ist mein Sohn? Hadi bricht abrupt ab. Rufia drückt die Hand ihres Vaters und flüstert etwas Tröstendes. Walter wendet seinen Blick zu Boden. ROLAND Wo haben sie das Auto gefunden? SAID Auf einem Parkplatz in Raunheim. Warum dort? Was macht er dort? Er untermalt seine Ratlosigkeit mit seinen Händen.

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79. SAID (CONT’D) Er hat viele Freunde. Aber auch viele schlechte Freunde. Es gab immer Streit. Ausländer, Deutsche. Egal.

Said blickt die beiden erwartungsvoll an. SAID (CONT’D) Ich weiß, dass er eigene Geschäfte macht. Er wollte immer eigenes Geld machen. Aber mit wem? Ich spreche mit der ganzen Stadt, aber keiner weiß etwas. Selbst Boran hat er nichts gesagt. Die beiden sind wie Brüder. Borans Gesicht blickt hart und verschlossen ins Leere. Said seufzt schwer. Walter sieht in das traurige Gesicht Hadis, dessen Arm Said drückt. SAID (CONT’D) Wir werden ihn finden. Wir finden unseren Sohn. Boran wendet sich aus dem Hintergrund an seinen Vater. BORAN Frage auf Torî SAID Ansage auf Torî Boran lehnt sich wieder zurück. Blickt Walter an. Said wendet sich Walter zu. SAID (CONT’D) Worüber haben Sie mit meinem Neffen in der Spielothek gesprochen? Warum war er so wütend? Alle Blicke richten sich nun auf Walter. Auch Rolands. Walter zögert. Dann spricht er ruhig. WALTER Ich habe ihm gesagt, dass er sich an die Regeln halten soll. Auch wegen seiner Bewährung. Ich glaube, das hat ihn wütend gemacht. Said schaut ihn prüfend an. SAID Haben Sie Moussa danach nochmal gesprochen? ATLAS


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80.

Nein.

WALTER

Said nickt und wendet sich an Roland. SAID Vielen Dank. Said erhebt sich. Roland und Walter stehen ebenfalls auf. Hadi reicht beiden Männern seine Hand. Er blickt Walter lange in die Augen. Ein fester Händedruck. 114

INT. WOHNUNG SAID / WOHNUNGSFLUR / HAUSFLUR - TAG

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Said geleitet seine Gäste zur Tür. Boran bleibt an der Wohnzimmertür stehen und beobachtet die Verabschiedung. ROLAND Wenn ich noch irgendetwas tun kann, Said... Said blickt ihn freundlich an. SAID Was ist der Mieter für ein Mensch? ROLAND Der ist so gut wie draußen. Gib mir noch ein paar Tage. SAID Was ist er für ein Mensch? ROLAND Der ist harmlos. Der hat Familie. Frau und Kind. Said runzelt die Stirn. SAID Was hat deine Familie aus dir gemacht, Roland? Einen harmlosen Mann? Er sieht Roland eindringlich an. Roland seufzt. ROLAND Said, ich verspreche dir: Ich kümmere mich darum. Said öffnet die Wohnungstür. SAID Du hattest genug Zeit.

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81.

Roland zögert noch einen Moment, ehe er und Walter in den Flur treten. Walter dreht sich noch einmal zur Wohnung um. Er sieht wie Boran hinter Said im Flur steht. Boran blickt Walter kalt an und tippt sich fast unmerklich an die rechte Augenbraue. Dann schließt die Tür. 115

I/E. ROLANDS AUTO / FAHRT - TAG

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Roland fährt eine ganze Weile schweigend. Seine Hand knetet das lederumfasste Lenkrad. ROLAND Du erzählst mir jetzt sofort, was zwischen dir und Moussa gelaufen ist! Walter schweigt. ROLAND (CONT’D) (brüllt aus vollem Hals) Mach endlich dein Maul auf! Walter zuckt kurz zusammen. Roland blickt ihn drohend an. WALTER Wir haben geredet. Er ist wütend geworden. Da bin ich gegangen. ROLAND Und warum sagst du mir das verdammt nochmal nicht gleich? WALTER Das wollte ich. Aber dann war die Sache mit Alfred. Roland wartet auf die Fortsetzung, doch es kommt nichts. Er sieht ihn verächtlich an. ROLAND Verarsch mich nicht, Walter! Walter sieht zu Boden. ROLAND (CONT’D) Ich schwör dir Walter, ich frag dich das nicht zweimal: Gibt es noch etwas, was ich wissen sollte? Walter schüttelt den Kopf. Roland sieht immer wieder zu Walter rüber, der den Blick starr geradeaus richtet. Roland zieht rechts rüber auf den Schotterstreifen, bremst.

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82.

I/E. ROLANDS AUTO/ STRASSENRAND - TAG

116

Roland schaltet den Motor ab. ROLAND Was wolltest du von Moussa? Walter zögert. Das Knacken des abkühlenden Motors ist zu hören. WALTER Ich wollte mit ihm reden. Die Jungs haben alle für ihn ausgesagt. Er sollte sich zurückhalten. Ich hab nur gemacht, was du uns gesagt hast. Roland verliert die Fassung. ROLAND Wann hab ich das gesagt?! Was redest du für einen Schwachsinn?! WALTER Er hätte den Mieter umgebracht. ROLAND (brüllt) Na und?! Was geht dich das an?! Der Typ ist sowieso dran! Du hast die doch gehört! Die Sache ist durch! Walter weicht Rolands Blick aus. Roland betrachtet diesen zu breit geratenen, leise schnaufenden Mann neben sich. Er registriert die Wunde an Walters Augenbraue. ROLAND (CONT’D) Was hast du da gemacht? Walter fasst sich überrascht an die Stelle über seinem Auge, wo ihn das Glas getroffen hat. Er zuckt mit den Schultern. WALTER Hab mich gestoßen. Roland mustert ihn. ROLAND Du bist ein verdammt schlechter Lügner, Walter. Walter sieht auf. ROLAND (CONT’D) Was hast du gemacht, Walter? Walter reagiert nicht.

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83. ROLAND (CONT’D) Hast du ihn umgebracht?

Walter blickt stumm geradeaus. Roland stützt sein Gesicht in die Hände, schüttelt verzweifelt den Kopf. ROLAND (CONT’D) (leise) Die machen uns fertig. Er versucht, sich zusammenzureißen, denkt lange angestrengt nach. Autos rauschen an ihnen vorbei. Dann setzt Roland sich aufrecht hin, und spricht langsam, Wort für Wort. ROLAND (CONT’D) Ich kann nichts mehr für dich tun, Laszlo. Ich hab dich lang genug mitgeschleppt. Es wird Zeit, dass du abhaust. Hau ab, solange du noch kannst. Walter rührt sich nicht. ROLAND (CONT’D) Hast du mich nicht verstanden? Roland greift rüber und öffnet die Beifahrertür. Hau ab!

ROLAND (CONT’D)

Walter steigt aus. Der Wagen fährt mit Vollgas davon. Walter steht am Straßenrand. Um ihn herum weite, eingezäunte Bauflächen. 117

EXT. VOR WOHNHAUS WALTER / PARKPLATZ - TAG

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Walter biegt auf den Parkplatz vor seinem Wohnhaus ein und geht auf den Hauseingang zu. Er wirkt erschöpft und durchgefroren. 117A

EXT. WOHNHAUS WALTER / HAUSEINGANG - TAG

117A

Aus dem Augenwinkel nimmt er wahr, wie zwei MÄNNER ihm zur Haustür folgen. Als Walter nach seinem Schlüssel fasst, stehen sie plötzlich neben ihm: Ein JÜNGERER (28) und ein ÄLTERER (51) Mann in auffällig unauffälliger Kleidung. ATLAS


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84.

INT. WALTERS WOHNUNG / WOHNZIMMER - TAG

118

Walter sitzt dem älteren Beamten am Wohnzimmertisch gegenüber, während sich der jüngere Beamte im Raum umsieht. ÄLTERER ZIVILPOLIZIST Die Wetthalle “Hattrick” in der Niddastraße? Ja.

WALTER

ÄLTERER ZIVILPOLIZIST Und die Begegnung war reiner Zufall? Walter nickt. ÄLTERER ZIVILPOLIZIST (CONT’D) Niddastraße. Liegt das auf ihrem Nachhauseweg? Walter zuckt müde mit den Schultern. Sie schweigen. ÄLTERER ZIVILPOLIZIST (CONT’D) Geht es Ihnen gut, Herr Scholl? WALTER Es war ein langer Tag. Der jüngere Ermittler bleibt vor dem Karton mit dem Pokal stehen und mustert die Trophäe, überfliegt die Plakette. Sein Blick bleibt für einen Moment hängen. Walter bemerkt das. Der Beamte löst seinen Blick und schaut sich weiter um. ÄLTERER ZIVILPOLIZIST Er hat Sie hier nie besucht? Der jüngere Ermittler kommt nun hinzu. Die beiden Männer blicken Walter aufmerksam an. WALTER Nein. Wir kannten uns kaum. JÜNGERER ZIVILPOLIZIST Er war am Abend vor seinem Verschwinden nicht hier? Nein.

WALTER

ÄLTERER ZIVILPOLIZIST Wir haben Herrn Afsaris Auto gefunden. Ihre Adresse war in seinem Navigationssystem.

ATLAS


118

85. JÜNGERER ZIVILPOLIZIST Sein letztes Ziel quasi.

Walters Miene bleibt steinern. WALTER Er war nicht hier. ÄLTERER ZIVILPOLIZIST Anders gefragt: Können Sie sich vorstellen, warum er zu Ihnen wollte? Walter schaut sie müde an. WALTER Ich hab keine Ahnung. 119

I/E. WALTERS WOHNUNG / PARKPLATZ - TAG

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Walter sieht aus dem Fenster. Sein Blick folgt den Beamten, die über den Parkplatz zu ihrem Dienstwagen gehen. 120

EXT. WALTERS WOHNVIERTEL - MORGEN

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Morgendliche Stille. Die Sonne ist ein blasser Ball am Horizont der Stadt. 121

INT. WALTERS WOHNUNG / KÜCHE - MORGEN

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Walter sitzt am Küchentisch. Er schmiert Brote. Walter nimmt zwei Mortadellascheiben mit Teddygesichtern aus einer Verpackung und legt sie säuberlich auf das Weißbrot. Er packt die belegten Brote in Folie ein und legt ein Trinkpäcken dazu. 122

INT. WALTERS WOHNUNG / SCHLAFZIMMER - MORGEN

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Walter sitzt auf seinem Bett. Er zählt Geldscheine durch, rollt sie zusammen und stopft das daumendicke Bündel in eine Socke. Er steckt die Socke in eine offene, gepackte Sporttasche auf seinem Bett, in der obenauf der alte Reisepass liegt. Er zieht den Reißverschluss zu. 123

INT. WALTERS WOHNUNG / WOHNZIMMER - WENIG SPÄTER

123

In das kleine, aufgeräumte Wohnzimmer fällt morgendliches Licht. Das laute Schließgeräusch der Wohnungstür. Dann Stille.

ATLAS


124 124

I/E. LINIENBUS / STRASSE /

86. HALTESTELLE - FAHRT

- TAG

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Walter sitzt am Fenster eines Linienbusses. Die Sporttasche liegt auf seinem Schoß. Im Bus ist dichtes Gedränge. Ein mattschwarzer Benz mit getönten Scheiben schiebt sich in Walters Blickfeld. Im Wagen sitzen zwei Gestalten. Walters Blick gefriert. Der Benz fährt auf der Spur neben dem Bus, Walters Höhe haltend. Walter steht auf, schiebt sich mühsam durch das Gedränge auf die andere Seite und stellt sich an die Tür. Der Bus hält an einer Haltestelle. Die Tür öffnet sich. Walter blickt in den Außenspiegel des Busses. Der Benz blinkt und hält ebenfalls. Leute steigen ein und aus. Walter bleibt im Bus. Die Türen schließen sich und der Bus fährt wieder los. Auch der Benz setzt sich wieder in Gang. 125

I/E. LINIENBUS / BAHNHOFSHALTESTELLE - WENIG SPÄTER

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Der Bus erreicht die Bahnhofshaltestelle. Walter kann den Benz nicht sehen. Er steigt zusammen mit einer GRÖSSEREN GRUPPE FAHRGÄSTE aus. 126

E/I. BAHHOFSHALLE / ROLLTREPPE - TAG

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Inmitten des Menschengewirrs schleppt sich Walter in die Bahnhofshalle. Dort geht er zielstrebig auf die Rolltreppe zu und fährt hinauf. Er schaut immer wieder zum Eingang der Halle hinab. Unter den hereinströmenden Leuten erkennt er schließlich: Boran. Boran trägt ein dunkles Basecap. Sein Blick schwenkt die Bahnhofshalle ab, während er sich auf die Rolltreppe zubewegt. Walter dreht sich um und läuft die Rolltreppe hinauf. Boran entdeckt ihn, stürmt zur Rolltreppe und drängelt sich an den Reisenden vorbei nach oben. 127

INT. BAHNHOFSHALLE / BAHNSTEIG / S-BAHN - TAG

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Walter kommt oben an. Er hetzt humpelnd auf den Bahnsteig, schleppt sich in die wartende S-Bahn. ATLAS


127

87.

Die Türen schlagen hinter Walter zu, gerade als Boran das Gleis erreicht. Walter sieht, wie Boran auf der Stelle kehrt macht und nach unten läuft. Die S-Bahn verlässt den Bahnhof. 128

EXT. VOR S-BAHN-STATION - TAG

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Walter steht am Ausgang des S-Bahnhofs. Er schaut sich vorsichtig um. Dann tritt er aus dem Schatten des Gebäudes. 129

E/I. KITA KARL - TAG

129

Walter späht kurz durch die Glastür ins Innere der KiTa, ehe er auf den Türöffner drückt. Er betritt den Vorraum. Durch den leeren Korridor hallt Kindergeschrei. Vor ihm, auf Hüfthöhe, die bunte Garderobe der Kinder. Er steht einen Moment lang da, dann greift er wahllos eine Jacke, Mütze und Schal, stopft die Sachen schnaufend in seine Tasche. Dann geht er weiter den Korridor hinab. Durch zwei große Sichtfenster kann er in die Spielzimmer blicken. Karl sitzt in einem der Zimmer auf dem Boden und spielt mit einem anderen JUNGEN. Eine ERZIEHERIN kommt mit einem KLEINKIND auf dem Arm den Flur entlang gelaufen und wird auf Walter aufmerksam. Sie nickt Walter freundlich zu. Hallo!

ERZIEHERIN

Walter ist kurz perplex, versucht ein Lächeln. Hallo.

WALTER

ERZIEHERIN Kann ich Ihnen helfen? WALTER Ich soll Karl abholen. Die Erzieherin nickt und mustert die nicht gerade vertrauenserweckende Gestalt. ERZIEHERIN Warten Sie bitte hier, ja? Ich hole mal Karls Erzieherin.

ATLAS


129

88.

Walter wartet, bis sie um die Ecke gebogen ist. Er sieht zu Karl, der ihn bereits durch das Sichtfenster entdeckt hat. Walter öffnet die Tür und bleibt auf der Schwelle stehen. Die Kinder stoppen für einen Moment ihr Spiel und machen große Augen. Karl geht unerschrocken auf Walter zu und zeigt ihm die Spielfigur, mit der er gerade gespielt hat: Ein daumengroßer Astronaut. Walter geht langsam in die Knie und hebt Karl behutsam auf den Arm. Er trägt ihn aus dem Zimmer, den Korridor entlang, durch die Garderobe und aus der Tür. 130

I/E. LINIENBUS / FAHRT - TAG

130

Karl drückt den Astronauten ans Seitenfenster und ahmt das Geräusch einer Rakete nach. Karl und Walter sitzen ganz vorne oben im Doppelstockbus, mit freiem Blick auf die breite Straße. Hinter dem Astronauten der flackernde Lichtwechsel der vorbeiziehenden Bäume. Ein Polizeiauto kommt mit Sirenengeheul dem Bus entgegen, rauscht an ihnen vorbei. Walter bemerkt, wie Karls neugieriger Blick dem Auto folgt. KARL Wo fahren wir hin? WALTER Magst du Boot fahren? Karl muss überlegen. 131

EXT. TICKETSCHALTER / ANLEGESTELLE - NACHMITTAG

131

Eine Kanalfähre mit bestuhltem, halboffenem Deck stößt dumpf gegen die Anlegestelle. Es ist ein kalter Wochentag im Winter. Die Promenade ist kaum besucht. Karl kann geradeso über die Kante des Ticketschalters blicken. Er ist nun richtig dick eingepackt, trägt die bunten Sachen, die Walter für ihn eingesammelt hat. Walter legt ein paar Geldmünzen auf den Zahlteller. WALTER (O.S.) Ein Kind, ein Erwachsener. Eine Hand mit fingerlosen Handschuhen greift nach den Münzen. VERKÄUFERIN (O.S.) Das reicht nicht. 7,50 für Sie, 4 für das Kind. ATLAS


131

89.

Walter stutzt, kramt dann in seiner Tasche und legt einen Schein dazu. Die fingerlosen Handschuhe schieben zwei gelbe Tickets auf den Teller, die sich Karl sogleich schnappt. 132

EXT. DECK KANALFÄHRE / SEE / UFER - NACHMITTAG

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Mit Karl an der Hand geht Walter über den schmalen Ausleger auf die Fähre. Walter blickt sich um. Sie sind die einzigen Fahrgäste. Der Dieselmotor setzt sich ratternd in Gang. Walter überblickt das Ufer. Ein altes Paar geht einsam die Promenade entlang. 132A

EXT. DECK KANALFÄHRE / NACHMITTAG

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Ein kalter Wind fegt über die dunkle Wasseroberfläche. Vom Deck der Fähre aus blicken Karl und Walter auf die Gebäude, die am Uferrand vorüberziehen. Walters Gesicht ist bereits von der Kälte gerötet. Der Wind bläst ihm in die Jacke. Er blickt runter zu Karl. Zwischen Mütze und Schal ist ein schmaler Spalt frei, durch den das kleine Gesicht auf das schäumende Wasser blickt. WALTER Ich geh kurz rein, okay? Karl nickt, wobei er den gesamten, eingepackten Oberkörper mitbewegen muss. Walter betrachtet prüfend das hohe Geländer, ehe er hineingeht. 133

I/E. INNENRAUM KANALFÄHRE / DECK - NACHMITTAG

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Walter betritt den Inneraum mit gepolsterten Bänken und breiten Fenstern. Walter setzt sich an einen Fenstertisch, von wo aus er Karl gut im Blick hat. Er nimmt sein Handy und ruft eine Nummer auf. Er hält das Handy an sein Ohr. Jans Stimme klingt leise aus dem Hörer. Hallo?

JAN (O.S.)

Walter schweigt. Hallo?!

JAN (O.S.) (CONT’D)

Walter senkt seine Stimme, spricht fast flüsternd.

ATLAS


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90. WALTER Wenn die Wohnung bis morgen nicht leer ist, seht ihr den Jungen nicht wieder.

Kurze Stille am anderen Ende. JAN (O.S.) Bitte, wir tun alles, was Sie... Walter legt auf. Seine Hände zittern. Sein Blick geht starr durch das Fenster zum Deck. Dort steht Karl, die Arme ausgebreitet, sich gegen den brausenden Wind stemmend. 134

EXT. DECK KANALFÄHRE / SEE - DÄMMERUNG

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Walter hat die Ellenbogen auf das Geländer gestützt und blickt hinunter. Der Bug verdrängt das tiefgrüne, fast schwarze Wasser. Das Handy fällt lautlos in die Bugwelle. Die tiefstehende Sonne schimmert unter der Wolkendecke hervor. Karl steht neben Walter am Geländer, kaut zufrieden eins der mitgebrachten Weißbrote. KARL Wann fahren wir nach Hause? WALTER Wann du möchtest. Karl überlegt. Die Fähre fährt über den weiten See. KARL Wenn wir immer weiter fahren, kommt dann das Meer? Walter lächelt. Ein leichter Wind geht über sie hinweg. WALTER Ich war mit meinem Sohn auch mal auf einer Fähre. Karl schaut zu ihm auf. KARL Ist er größer als ich? WALTER Er ist erwachsen. Aber damals war er noch ein kleiner Junge. Er war damals vier.

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134

91. KARL Ich bin auch vier.

Walter blickt in die zugekniffenen Augen des Jungen. WALTER Ja, er war so alt wie du. Karl und Walter stehen dicht beisammen am Geländer und blicken auf das glitzernd schäumende Wasser. WALTER (V.O.) (CONT’D) Damals war es nicht so kalt wie jetzt. Es war sonnig und der Wind war ganz warm. Als wäre es gestern gewesen. Walter blickt stumm auf das Wasser. Der kalte Wind macht ihn tränenblind. Die Fähre treibt still über den rötlich dämmernden Horizont. An Deck die winzigen Silhouetten der beiden Fahrgäste. 135

EXT. WOHNHAUS JAN / STRASSE - NACHT

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Es ist bereits dunkel, als Walter mit Karl auf dem Arm in der Friedrich-Ablass-Straße ankommt. Karl hat den Kopf gegen Walters Schulter gelehnt und die Augen geschlossen. Walter sieht einen Polizeiwagen vor der Nummer 49. Zwei MÄNNER IN UNIFORM stehen rauchend vor dem Hauseingang. Neben dem Polizeiwagen steht ein vollbeladener Hänger in zweiter Reihe. Ein MANN MIT MÜTZE kommt mit einer Matratze aus dem Hauseingang und wirft sie auf den Hänger. Walter biegt in die nächste Querstraße. 136

EXT. NACHBARHOF / INNENHOF WOHNHAUS JAN - NACHT

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Walter rüttelt Karl leicht, flüstert ihm ins Ohr. WALTER Karl, wir sind da. Karl wacht auf und blickt Walter verschlafen an. WALTER (CONT’D) Ich kann dich nicht hochbringen. Walter hebt ihn über den Zaun, der den Innenhof der 49 vom Nachbarhof trennt. Das Heben kostet ihn Mühe, plötzlich ein stechender Schmerz im Rücken. Walter beißt auf die Zähne. Er setzt Karl ab.

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92. WALTER (CONT’D) Weißt du, wie du reinkommst?

Karl nickt. WALTER (CONT’D) War ein schöner Tag mit dir. Karl tapst verschlafen zum Hauseingang. Dann dreht er sich nochmal um. KARL Holst du mich morgen wieder ab? Walter schluckt. WALTER Morgen nicht. Karl nickt, geht auf den Hauseingang zu. Walter sieht dem Jungen mit glänzenden Augen nach. Karl geht in den dunklen Hauseingang, die Treppen hinauf. A137

INT. JANS WOHNUNG - NACHT

A137

Im Wohnzimmer sitzt Julia in sich versunken am Tisch. Neben ihr sitzt ein MANN IN ZIVIL, leise ins Telefon sprechend. Jan kommt mit vollgestopften Müllbeuteln in den Flur gelaufen und bleibt plötzlich stehen. In der offenen Wohnungstür steht der kleine Karl. Jan lässt die Beutel augenblicklich fallen und zieht Karl fest an sich. Ihm kommen sofort Tränen der Erleichterung. Julia kommt ebenfalls in den Flur und fällt Karl um den Hals. Jans Blick fällt auf den dunklen Hausflur. Er löst sich von seinem Sohn und greift hinter die Wohnungstür. 137

INT. JANS WOHNUNG / HAUSFLUR / TREPPENHAUS -

NACHT

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Mit einer Klimmzugstange in der Hand tritt er hinaus in den Hausflur. Er schaut nach links auf die offene Vordertür, durch die die Silhouetten der beiden Polizisten zu sehen sind. Dann nach rechts zur Hoftür. 137A

EXT. JANS WOHNUNG / INNENHOF -

NACHT

137A

Jan sprintet in den Innenhof. Dort bleibt er kurz stehen, lauscht in die Dunkelheit. Dann springt er über den Zaun.

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138 138

93.

EXT. STRASSE - NACHT

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Mit dem Eisenrohr in der Hand läuft Jan die menschenleere Straße hinab. Als er um die Ecke biegt, entdeckt er in der Ferne eine große, dunkle Gestalt, die sich den Gehweg entlang schleppt. Jan folgt ihr vorsichtig im Schatten der Bäume, hält Abstand. 139

EXT. BUSHALTESTELLE / STRASSE - NACHT

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Jan sieht, wie Walter an einer Bushaltestelle stehen bleibt. Jan bleibt ebenfalls stehen, wartet. Walter stellt seine Tasche ab. Dann stützt er sich auf der Sitzbank ab, setzt sich langsam, vor Schmerz ächzend. Es ist vollkommen still. Jan atmet aufgeregt. Er nimmt sein Handy, drückt Wahlwiederholung. JAN (flüsternd) Ich hab den Entführer. Er sitzt an der Bushalte, Beuthstraße. POLIZEIBEAMTER(O.S.) Wir sind sofort bei Ihnen. Bitte warten Sie, bis wir da sind. Tun Sie nichts! Im Licht der Haltestelle kann Jan das Gesicht nun deutlich erkennen. POLIZEIBEAMTER (O.S.) (CONT’D) Herr Haller, tun sie nichts! Jan schiebt das Handy weg. Walter spürt Jans Gegenwart im Dunkeln. Walter blickt eine Weile in Jans Richtung, als könnte er ihn sehen. Dann müht er sich auf die Beine, greift die Tasche und schleppt sich weiter. JAN (zu sich selbst, leise) Verdammtes Arschloch! Jetzt bist du dran! Jan nimmt die Verfolgung wieder auf. Das Eisenrohr umklammert er mit beiden Händen. Walter erhöht sein Tempo, auch Jan wird schneller, verringert allmählich den Abstand. Jan kommt Walter immer näher. Nur noch 20 Meter. Sein Blick ist starr auf Walters Rücken gerichtet. Jan hört einen Motor hinter sich, Scheinwerfer streifen ihn. Der mattschwarze Benz fährt an Jan vorbei. ATLAS


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94.

Auf Walters Höhe bremst er abrupt, hält an. Walter bleibt stehen. Die Hintertüren des Benz öffnen sich. Jan ist hin- und hergerissen, ob er losrennen oder stehenbleiben soll. In dem Moment springen zwei vermummte Männer aus dem Wagen und eröffnen das Feuer auf Walter. Die SCHÜSSE zerreißen die Stille. Die Querschläger surren durch die Nacht. Jan wirft sich reflexartig zu Boden. Die maskierten Gestalten feuern mehrere Schüsse ab. Walters Tasche rutscht ihm von der Schulter, seine Beine geben nach, sodass er zu Boden sackt. Walter sitzt auf dem Bürgersteig, die Arme reflexartig vor seinen Kopf haltend. Der eine Mann geht zurück zum Auto, der andere geht dichter an Walter heran, feuert zwei weitere Schüsse auf ihn ab. Walter bleibt sitzen, sein Kopf sackt auf seine Brust. Der Mann steht da, überblickt die dunkle Straße, dann erst steigt auch er ohne Hektik wieder ins Auto. Der Wagen verschwindet so schnell wie er aufgetaucht ist. Stille kehrt ein. Walter sitzt regungslos da. Sein Kreuz hebt und senkt sich. Dann versucht er, sich abzustützen, legt sich rücklings auf den Bürgersteig, blutüberströmt. Jan ist starr vor Schock. Man hört RUFE aus Fenstern: Aufforderungen, die Polizei zu rufen (ad lib). Schließlich steht Jan mit zittrigen Beinen auf, lässt das Eisenrohr liegen und geht langsam auf Walter zu. Eine PASSANTIN (43) nähert sich Walter vorsichtig auf einige Meter. Dann nimmt sie all ihren Mut zusammen und kniet sich zu Walter, nimmt ihr Halstuch ab und drückt es gegen die blutende Brust. Sie wirkt sehr beherrscht. Aus dem Augenwinkel nimmt sie Jan wahr. PASSANTIN Können Sie das halten? Jan antwortet nicht. PASSANTIN (CONT’D) Hören Sie?! Ich brauch Ihre Hilfe! Jan wird aus seiner Starre gerissen, geht schließlich zu ihr, kniet sich neben sie. Die Frau nimmt Jans Hand und drückt sie aufs Tuch.

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95. PASSANTIN (CONT’D) Drücken Sie das bitte auf die Wunde! Ich rufe einen Krankenwagen.

Die Frau steht auf, nimmt ihr Handy. Jan blickt apathisch in Walters blutüberströmtes Gesicht. Walters Augen sind geschlossen. Sein Atem geht stoßartig. Im Hintergrund hört man die Frau die Situation beschreiben, nach Straßennamen suchend (ad lib). Jan starrt in Walters Gesicht, seine Hände liegen noch immer auf Walters Brust. Das Blut quillt durch Jans Finger. Walter öffnet die Augen, blickt Jan an. Er hebt langsam seinen tauben Arm, greift quer über seinen Bauch, schiebt zitternd Jans Arm zur Seite. Jan ist irritiert, lässt Walter aber gewähren. Walter fasst an den Ärmel seiner Jacke. Mit letzter Kraft schiebt er ihn Stück um Stück nach oben. Sein Tattoo kommt zum Vorschein: Die verblichene Atlas-Figur, ein Mann, der die Welt stemmt. Jans Augen brennen sich in das Bild. Jan sieht, wie Walter seinen Blick sucht. Er starrt Walter an, ringt um Fassung. SIRENEN sind zu hören. Gleißendes Blaulicht streift Jans Gesicht. Gedämpfte Stimmen dringen zu ihm durch. Ein SANITÄTER schiebt Jan beiseite und kniet sich zu Walter. Jan nimmt seine blutigen Hände von Walters Brust und steht langsam auf. ZWEI weitere SANITÄTER eilen herbei, beugen sich über den Mann am Boden. Jan tritt zitternd zurück, hinter den Ring an Männern, unfähig seinen Blick von Walter zu lösen. CUT TO BLACK FADE IN: 140

E/I. ALLEE / JANS WAGEN / FAHRT -

TAG

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Die Sonne blinzelt durch vorbeiziehende Bäume. Ein warmer Frühlingstag. Ein kleiner, blauer PKW fährt durch eine Allee, vorbei an blühenden Feldern. Am Steuer sitzt Jan. Seine Hände umklammern das Lenkrad. Sein Blick sucht Karl im Rückspiegel. Karl hat das Fenster geöffnet, blinzelt gegen den Wind.

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140

96.

Julias Hand fährt zärtlich über Jans Nacken. Jan entspannt sich augenblicklich etwas. JULIA Geht’s dir gut? Jan lächelt ihr zu. Er atmet durch. JAN Ich weiß nichts über ihn. Rein gar nichts. Sie legt ihre Hand auf seine. Im Wechsel von Licht und Schatten spiegelt sich ein leicht verschmutztes Briefkuvert in der Windschutzscheibe. 141

EXT. PARKPLATZ JVA - TAG

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Sie parken das Auto vor einem großen, modernen Gebäude. Jan steigt aus und betrachtet einen Moment lang den festungsähnlichen Bau. Der graue Betonklotz steht inmitten einer grünen, stillen Landschaft. Karl tritt zu Jan und nimmt seine Hand. 142

INT. EMPFANGSHALLE JVA - TAG

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Die drei betreten eine anonyme Empfangshalle. Sie gehen zu dem Schalter am Eingang. Hinter einer dicken Glasscheibe sitzt ein VOLLZUGSBEAMTER. Guten Tag.

JAN

VOLLZUGSBEAMTER Guten Tag. Sind Sie angemeldet? Nein.

JAN

VOLLZUGSBEAMTER Schon mal hier gewesen? JAN Das erste Mal. Der Beamte holt ein Anmeldeformular hervor, macht zwei schnelle Kreuze. Dann sieht er zu Jan auf. VOLLZUGSBEAMTER Sind Sie Familie?

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142

97.

Der Mann setzt seinen Stift zum Schreiben an. Jan zรถgert einen Moment. Dann: JAN Ja, Familie.

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