DER JUNGE MUSS AN DIE FRISCHE LUFT Ruth Toma
DEUTSCHE DREHBÃœCHER Herausgegeben von der Deutschen Filmakademie
DER JUNGE MUSS AN DIE FRISCHE LUFT
von Ruth Toma nach dem Roman von Hape Kerkeling
Überarbeitung von Caroline Link
März 2017
1
RUHRGEBIET / WIESENLANDSCHAFT, 1973
A/T
1
Blauer Himmel. Die Kamera schwenkt langsam hinunter in eine weite Totale. Wir erkennen ein Weizenfeld, eine ungemähte Wiese, einen Feldweg. Am Horizont Ruhrpottkulisse. Schornsteine, die Silhouette einer mittelgroßen Stadt. Über dem Schwenk, die Stimme eines 9jährigen Jungen mit leichter Pott-Einfärbung. HANS-PETER (9) V.O. ... manchmal denke ich, ich hätte mich mehr anstrengen sollen. Wenn man sich anstrengt, kann man so einiges hinkriegen, sagt mein Oppa Willi. Und der muss es wissen. Als der Krieg aus war, ist er mit seinen Kumpels 300 km durch den Schlamm gelaufen. Bis nach Hause. Direkt rein in den Laden von Oma Änne. Nach Scherlebeck... Langsam erkennen wir am anderen Ende der Wiese einen Reiter auf einem Pferd. Mit beeindruckender Geschwindigkeit kommt es auf die Kamera zu galoppiert. HANS-PETER (9) V.O. (CONT’D) ...Der Gedanke an seine Änne hat ihn am Leben erhalten, sagt Oppa. Das Pferd kommt immer näher. Wir erkennen darauf einen pummeligen, blonden 9jährigen Jungen. Atemlos, ernsthaft. Ca. 10 m vor der Kamera kommt das Pferd zum Stehen und der Junge springt mit einem Satz aus dem Sattel. Er kommt auf die Kamera zu, schaut direkt hinein. Sein Gesicht ist verschwitzt, zufrieden. Er ist der Held unserer Geschichte: Hans-Peter. HANS-PETER (9) V.O. (CONT’D) ... Man kann alles schaffen, wenn man nicht aufgibt. Er wischt sich eine Fliege aus dem verschwitzten Gesicht. HANS-PETER (9) V.O. (CONT’D) Vielleicht hätt’ ich mich einfach noch mehr anstrengen müssen. 2
WEG SCHERLEBECK, 1965 - AUSSEN/TAG
2
Margret (35) schiebt gut gelaunt einen Kinderwagen durch die blühende Landschaft.
2. Der Fußgängerweg führt parallel zu einer Landstraße an einem Feld entlang, auf dem Weizen und Mohnblumen stehen. Ab und zu rauscht ein Auto vorbei. Im Kinderwagen thront Hans Peter, 14 Monate alt, dick und gut gelaunt. Wir sehen die Welt aus Hans-Peters Perspektive: Klatschmohnblüten, Gräser, ab und zu mal eine schwarz-.weiß gescheckte Kuh am Wegesrand. Begleitet wird das idyllische Bild von freundlichem aber vollkommen unverständlichen Geplapper. Es scheint sich um eine Sprache zu handeln und es scheinen interessante Dinge mitgeteilt zu werden. Was genau, verstehen wir nicht. Margrets Gesicht schiebt sich verkehrt herum in Hans-Peters Blickfeld und wir sehen, dass es ihr Mund ist, der das Geplapper von sich gibt. Glucksend und lachend eifert der kleine Junge seiner Mutter nach. HANS-PETER (9) V.O. Eigentlich hätte meine Mutter lieber ein Mädchen gehabt... Hans-Peter gibt ein paar Laute von sich, die in etwa wie das Geplapper der Mutter klingen. Entzückt hebt Margret HansPeter aus dem Wagen und knutscht seine dicken Backen ausgiebig ab. Und noch mal .... und noch mal. Das Baby gluckst vor Vergnügen und wedelt mit den Ärmchen. HANS-PETER (9) V.O. (CONT’D) ...aber damit konnte ich ihr leider nicht dienen. Margret scheint darüber nicht allzu enttäuscht zu sein. Fröhlich packt sie das abgeküsste Kind wieder in den Kinderwagen und schiebt weiter. 3
SCHERLEBECK / LADEN
I/T
Oma Änne (hier 62), immer in Schwarz gekleidet, sieht verwundert ihren Enkel an, während Margret eine Kundin bedient. Hans-Peter (14 Monate) sitzt wie ein kleiner Buddha auf dem Tresen und gibt Margrets Wortschwall in Originalintonation wieder. ÄNNE Wo hat er das bloß her? Margret lacht ihr ansteckendes wunderbares Seeräuber-Lachen und steckt Hans-Peter damit an. Er lacht und strahlt seine Mutter an.
3
3. 4
HAUS KERKELING / WOHNZIMMER, 1970
I/T
4
Margret (hier 39) und Oma Bertha (hier 69) rollen zusammen den Wohnzimmerteppich auf und schmettern den Schlager “Arrivederci Hans“. Sie ahmen Rita Pavones italienischen Akzent nach. Sie ziehen den Teppich unter Hans-Peters im Takt des Gesangs baumelnden Füßen heraus. Hans-Peter (hier 6) thront auf einem Wohnzimmersessel und blättert interessiert durch Margrets Versandkatalog. Auf einer Seite bleibt er hängen. HANS-PETER (9) V.O. Ich hab immer gewusst, was ich wollte. Er betrachtet mit Wohlgefallen die männlichen Models, die Unterwäsche präsentieren. 5
HAUS KERKELING / WOHNZIMMER
I/N
5
Im Wohnzimmer steht ein geschmückter Weihnachtsbaum. Aufmerksam und mit großem Ernst schaut Hans-Peter (hier 5) auf den Fernsehapparat. Margret kommt herein. HANS-PETER Mama, ich will ins Fernsehen. Wie der Mann da. Margret schaut zum Fernsehapparat. Bundespräsident Gustav Heinemann hält seine Weihnachtsansprache. 6
SCHERLEBECK / LADEN
I/T
6
Hans-Peter (hier 6) sitzt mit baumelnden Beinen auf dem Tresen. Eine Kundin, Frau Strecker, Mitte 40, betritt den Laden. Hans-Peter ahmt Heinemanns trockenen, ernsten Tonfall nach. HANS-PETER Guten Abend, meine Damen und Herren, liebe Mitbürger .... Frau Strecker sieht ihn verblüfft an. FRAU STRECKER Is doch noch nich ma Mittach. Margret lacht. Hans-Peter sieht sie entzückt an, freut sich über ihr Lachen. Eine andere Kundin, Frau Rädeker (50), erzählt. FRAU RÄDEKER ... Der Frau Schwallik ihre Pudeldame is ganz schwer herzkrank. Die macht et nich mehr lang.
4. Dabei klopft sie sich mit einer dramatischen Geste auf ihr Herz. CUT TO: Hans-Peter imitiert Frau Rädeker erstaunlich treffend ... HANS-PETER Der Frau Schwallik ihre Pudeldame is ganz schwer herzkrank. Wenn Se mich fragen ... Er klopft sich ebenso dramatisch aufs Herz und setzt die Pointe mit Bedacht. HANS-PETER (CONT’D) .... die macht et nich mehr lang. Margret schmeißt sich weg vor Lachen. Hans-Peter freut sich. Oma Änne (hier 65) sieht ihm in die Augen, als wollte sie sagen: Na, hast du’s wieder geschafft? 7
STRAßE
A/T
7
HANS-PETER (9) V.O. Omma Änne war für den Krawall zuständig ... Begleitet von lauter, mitreißender Musik aus dem Autoradio fährt Oma Änne (hier 65) mit Bleifuß einen langen, eckigen, weißen Ford Taunus. Hans-Peter (hier 6) und sein Bruder Jupp (hier 14) sitzen auf dem Rücksitz, Opa Willi (hier 67) Zigarre qualmend vorne. Die Jungs haben hinten die Fenster runtergedreht, was nicht viel gegen den Qualm ausrichtet. Der Fahrwind wirbelt ihnen die Haare durcheinander. 8
BOCKHOLT / HAUS KERKELING / KÜCHENFENSTER BERTHA A/T
8
HANS-PETER (9) V.O. Und Oma Bertha für alles andere ... Aus dem Küchenradio kommt sanfte, ruhige Musik. Hans-Peter (hier 6) steht mit einer Schürze auf einem Schemel an der Küchenzeile und verziert frisch gebackene Kekse sehr ernsthaft und fachgerecht mit einer kunstvollen kleinen Schnecke aus Schokocreme, die er aus einer Spritztüte drückt. Oma Bertha (hier 69) legt ihm einen Keks nach dem anderen vor, damit er tätig werden kann, und stellt die fertigen beiseite. BERTHA So schön machst’e das.
5. 9
SCHERLEBECK / ECKKNEIPE “BEI ERNA”
I/N
9
HANS-PETER (9) V.O. Neben den beiden Ommas und Oppas gab es jede Menge feierwütige Verwandtschaft, die es bei jeder Gelegenheit hat krachen lassen. In der kleinen verrauchten Eckkneipe “Bei Erna” in Scherlebeck prostet die Verwandtschaft Hans-Peters Vater Heinz (hier 37) zu ... ALLE Hoch soll er leben, hoch soll er leben ... Neben Tante Gertrud (hier 36) sind die etwas schrille, blond gefärbte Veronika (hier 26) da, die dunkle Annemarie (hier 39) mit ihrem Mann Kurt (hier 42) und noch anderes lustiges Volk. 10
SCHERLEBECK / STRAßE “BEI ERNA” A/N
10
HANS-PETER (9) V.O. Am Tag meiner Geburt haben sie meinen Vater so gründlich abgefüllt, dass ich beinahe zur Halbwaise geworden wäre.. Heinz taumelt die Straße vor der Kneipe entlang, an der nicht weit von der Kneipe Oma Ännes Laden liegt. Heinz schafft es nicht die Richtung zu halten, driftet ab, kollidiert mit einer Mülltonne und geht damit zu Boden. 11
BOCKHOLT / HAUS KERKELING A/T
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HANS-PETER (9) V.O. Sonst hat mein Vater aber nie getrunken. Er hat gearbeitet! Hans-Peter (9), Jupp (16) und Margret (jetzt 42) winken einem giftgrünen R4 nach. HANS-PETER (9) V.O. (CONT’D) So haben meine Mutter, mein Bruder und ich ihn am öftesten gesehen. Der R4 entfernt sich auf der Landstraße. HANS-PETER (9) V.O. (CONT’D) Er war oft wochenlang weg und hat irgendwo Möbel für Bars und Nachtclubs geschreinert.
6. Margret und die beiden Jungs stehen immer noch da. Der R4 verschwindet um eine Kurve. 12
1972 BOCKHOLT / GARTEN KERKELING / GARTEN BÖDEKER A/T
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Hans-Peter hält sein Meerschweinchen fest in beiden Händen und schleicht durch den üppig blühenden Garten. Das Grinsen in seinem runden Gesicht verrät, dass er etwas im Schilde führt. Margret und Oma Bertha klopfen gemeinsam an der Teppichstange einen Teppich aus. Margret singt “Du bist nicht allein“ von Roy Black. Bertha macht Pause mit Klopfen und hört entzückt Margrets schöner, kräftiger Stimme zu. BERTHA Ach Margret, du singst so schön. Sängerin hättest du werden sollen. Plötzlich kreischt Margret schrill auf. MARGRET Ne Ratte ...! Hans-Peters Meerschwein wuselt zwischen ihren Füßen durch. Sie macht einen Satz und fuchtelt mit dem Klopfer. Bertha entdeckt Hans-Peter, der sich mühsam das Lachen verbeißt. BERTHA Das is doch der Fipsi! Margret schaut vom Meerschwein zu Peter und lässt den Teppichklopfer fallen. MARGRET Na warte ... Hans-Peter nimmt Reißaus. Margret rennt ihm nach. Hans-Peter flieht in den Der Garten ist bevölkert Hans-Peter schlägt Haken seiner Mutter lachend zu nach ihm aus. Hans-Peter kriegt ihn zu fassen.
Garten ihres Nachbarn, Opa Bödeker. von großen bunt bemalten Skulpturen. zwischen den Skulpturen und versucht entkommen. Sie streckt die Hände kreischt auf vor Vergnügen. Sie
HANS-PETER Nicht kitzeln ... nicht kitzeln ... nicht kitzeln ... nicht .... ah!!!! Margret kitzelt ihn gründlich aus, bis ihr Opfer kichernd und japsend im Gras liegt. HANS-PETER (CONT’D) Aufhören ... bitte .... bitte .... Mama ... aufhören ... Gnade ...
7. Margret hört auf. Hans-Peter schnappt nach Luft. Er glaubt schon, gerettet zu sein, da startet sie ohne Vorwarnung eine neue Kitzelattacke. Hans-Peter kreischt entzückt. 13
HAUS KERKELING / STRAßE
A/T
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Der Umzugswagen fährt vor dem Haus ab. Der grüne R4 steht noch da, ebenfalls vollgepackt. Es ist gerade noch Platz für die Familie. Oma Bertha umarmt Hans-Peter und küsst ihn auf beide Backen. Hans-Peter sieht, dass ihr Tränen über die Wangen laufen. HANS-PETER Weinst du, Omma? Bertha drückt ihn noch mal fest und hinkt dann zu Margret. BERTHA Ach Margret ... Die beiden fallen sich in die Arme. Margret fängt auch an zu weinen. Hans-Peters Vater Heinz (jetzt 43) verabschiedet sich von Opa Hermann (73) mit einem Schulterklopfen. Ähnlich unspektakulär tätschelt Hermann die Schultern seiner Enkelsöhne Hans-Peter (8) und Jupp (16). Heinz, Jupp und HansPeter steigen ins Auto, während bei Margret und Bertha immer noch die Tränen fließen. HERMANN Bertha ... die ziehn nach Recklinghausen ... das is grad mal ‘ne Viertelstunde mit’m Auto. Bertha nickt tapfer und löst sich von Margret. BERTHA Sag Bescheid, wenn du was brauchs ... Margret nickt, drückt Bertha noch mal an sich und steigt in den Wagen. Heinz macht den Motor an und fährt los. Hans-Peter winkt seinen Großeltern und sieht, dass Hermann plötzlich auch Tränen über die Wangen rollen. HANS-PETER Jetz weint der Oppa auch. 14
HAUS BÖNKE / HAUSFLUR / WOHNUNG I/T
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Hans-Peter wartet ungeduldig, dass Opa Willi (hier 70) eine Wohnungstür aufschließt. Willi hat wie immer eine Zigarre im Mund. Oma Änne schaut aus der offenen Wohnungstür im Flur gegenüber.
8. ÄNNE Ich setz ma Kaffee auf. Umzugshelfer schleppen eine Wohnzimmerkommode von draußen herein. Hans-Peter, Jupp, Heinz und Margret folgen Willi in eine verwohnte leere Wohnung. Hans-Peter läuft durch alle Räume. Margret schaut ins Wohnzimmer. Ein Handwerker ist dabei einen Durchbruch zur Küche nebenan zu verputzen. MARGRET Das soll doch schon fertig sein. Der Handwerker sieht sie ungerührt an und verputzt weiter. Die Umzugshelfer tragen die Kommode in die Wohnung. UMZUGSHELFER Wo soll dat hin? HEINZ Erst ma da rein. Er weist auf ein Zimmer. Hans-Peter taucht wieder auf. HANS-PETER Wo issn das Klo? HEINZ Auf der Treppe. WILLI Oder geh bei uns. HANS-PETER Wieso is bei Oppa n Klo und hier nich? HEINZ Weil se da schon eins eingebaut haben. HANS-PETER Und wieso hier nicht? MARGRET Das is ma ne gute Frage. HEINZ Weil hier ewig nich renoviert worden ist. Hans-Peter entdeckt eine Gruppe von Kindern in seinem Alter vor dem Fenster. HANS-PETER Da sind Kinder ... Mama, da sind Kinder ...! Er läuft aufgeregt zum Fenster.
9. HANS-PETER (CONT’D) Was sind das für Kinder? MARGRET Musst du nich auf’s Klo? Jupp taucht in der Tür auf. JUPP Das große is mein Zimmer. Hans-Peter wird klar, dass das dringender ist. HANS-PETER Was? ... Zeig erst ma ... Er läuft aufgeregt mit Jupp hinaus. 15
HAUS BÖNKE / GARTEN
A/T
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Margret steht in dem schmucklosen kleinen Garten auf der Rückseite des Hauses. Heinz kommt aus dem Haus. HEINZ Kommst du Kaffeetrinken? MARGRET Der Garten ist mir früher größer vorgekommen. Heinz umarmt sie liebevoll von hinten. HEINZ Weil de da noch so’n kleines Mädchen warst. Margret lacht. MARGRET Und schöner war er auch. HEINZ Jetzt wird er wieder schön. Weil du wieder da bist. Meinste?
MARGRET
HEINZ Klar. Ich seh schon, wie alles blüht ... genauso schön wie in Bockholt. Er imaginiert mit einer Handbewegung einen blühenden Garten. Margret sieht es jetzt auch. Sie lächelt.
10. Er dreht sich mit ihr zum Haus um. Ein grün-graues, etwas heruntergekommenes Sechsparteienhaus. HEINZ (CONT’D) Schau mal, son großes Haus haben wir beide jetzt ... alles uns ... Heinz dreht sie zu sich um und küsst sie zärtlich. Sie erwidert den Kuss. 16
RECKLINGHAUSEN / HAUS BöNKE / STRAßE
A/T
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Arbeiter sind dabei ein Gerüst vor der Hausfassade aufzubauen. Hans-Peter steht vor der Kindergruppe, die er vom Fenster aus gesehen hat. Wortführerin ist eine freche Achtjährige namens Silvia. Sie hat einen Ball in der Hand. Drei Mädchen in HansPeters Alter und ein etwas kleinerer türkischer Junge, MURAT, 7, beäugen Hans-Peter kritisch. MURAT Der sieht komisch aus. GABI Aber irgendwie lustig. HANS-PETER Ich bin übrigens anwesend. Silvia lässt die oberschlaue Bemerkung durchgehen. SILVIA Kannst mitspielen .... wenne schon ma da bis. Silvia wirft Hans-Peter den Ball zu. 17
HAUS BÖNKE / NEBEN DEM HAUS
I/T
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Margret und Änne hängen neben dem Haus Wäsche auf. Aus dem Haus hört man lauten Baulärm. Es staubt aus dem offenen Fenster. MARGRET Wir hätten erst einziehen sollen, wenn alles fertig is. ÄNNE Nä. Handwerker muss man rauswohnen. Is so. Eine Sirene fängt an zu heulen. Margret hält sich gequält die Ohren zu. Änne muss sehr laut sprechen.
11. ÄNNE (CONT’D) Und dann kannste denen auch gleich sagen, wie’de alles haben willst... Sie bemerkt, wie Margret leidet, legt ihre Hand auf die Schulter ihrer Tochter. ÄNNE (CONT’D) Is doch nur n Probealarm. Margret reagiert nicht. ÄNNE (CONT’D) Mann, Margret, is doch jetz schon so lange her. Aber Margret ist außerstande die Hände von den Ohren zu nehmen, solange die Sirene heult. 18
HAUS BöNKE / STRAßE
A/T
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Die heulende Sirene lässt die Kinder auf der Straße völlig unbeeindruckt. Silvia lässt den Ball auf dem Boden auftitschen, zählt laut mit und versucht es so oft wie möglich zu schaffen. Die Sirene verstummt. Silvia verliert den Ball und Martina ist dran. Margret will mit dem leeren Wäschekorb ins Haus. Sie sieht die Kinder spielen und kommt zu ihnen. MARGRET Wir haben das als Kinder anders gespielt. Soll ich ma zeigen? Martina fängt den Ball und gibt ihn höflich weiter an Margret. Änne beobachtet die Szene vom Wäscheständer aus. Margret hält den Ball hoch und fängt an zu singen ... MARGRET (CONT’D) Lieber Balla, sag mir doch, wie viel Jahre leb ich noch? Die Kinder wissen nicht, was sie davon halten sollen, und Hans-Peter sieht ziemlich beunruhigt aus. Margret fängt an den Ball aufzutitschen. MARGRET (CONT’D) Eins ... zwei ... Der Ball springt schräg zurück und sie kriegt ihn nicht. Margret sieht Hans-Peters erschrockenes Gesicht und wiegelt ab ... MARGRET (CONT’D) Is nur n Spiel ...
12. Sie hebt den Ball auf und wirft ihn Martina zu. Der ist das unheimlich. Sie läuft mit dem Ball davon. Die anderen folgen ihr. Hans-Peter will seinen neu gewonnenen Freunden nach. HANS-PETER Hey ... wartet doch mal ... Weg sind sie. 19
RECKLINGHAUSEN / SCHULE
I/T
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Der Lehrerin, Frau Klöker (30), legt Hans-Peter die Hand auf die Schulter. Hans-Peter schaut ängstlich in die Klasse. Silvia, Martina und Gaby sind auch unter den Schülern. FRAU KLÖKER Das ist Hans-Peter. Er ist gerade aus Bockholt hergezogen. Die Kinder mustern den kleinen dicken Jungen kritisch. FRAU KLÖKER Ich möchte, dass ihr ihn gut bei uns aufnehmt. Sie hebt ihre Stimme und skandiert ... FRAU KLÖKER (CONT’D) Kann ich mich darauf verlassen? KLASSE (MONOTON) Ja, Frau Klöker. Sie zeigt auf einen freien Platz weiter hinten. Hans-Peter geht hin und schickt auf dem Weg versuchsweise eine kleine schalkhafte Grimasse zu Silvia. Die schaut unbeteiligt zurück. Ernüchtert lässt Hans-Peter das Grimassieren sein und setzt sich hin. 20
STRAßE VOR HAUS BöNKE A/T
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Silvia, Gaby und Martina hüpfen mit ihren Schultaschen lachend vor Freude über den Schulschluss ihre Straße entlang. In einigem Abstand kommt Hans-Peter hinter ihnen her und schiebt sich dabei den Reste seines Pausenbrotes in den Mund. Die Mädchen bemerken ihn nicht. Er beeilt sich, um sie einzuholen, aber ehe er es geschafft hat ... SILVIA Wer zuerst am Büdchen ist. Die Mädels rennen los. Hans-Peter rennt ebenfalls los, aber die Mädchen können sehr viel schneller laufen als er. HANS-PETER Silvia ...!
13. Silvia schaut sich um. Hans-Peter winkt ihr. Silvia und die Mädchen kümmern sich nicht um ihn und rennen weiter, das Ziel fest im Blick. Hans-Peter gibt alles um sie einzuholen. Es hat keinen Sinn. Der Abstand wird immer größer, Hans-Peter japst und keucht und gibt schließlich auf. Vor seinem Haus bleibt er schnaufend stehen. Die Mädchen sind längst davon. Oma Änne steht in der Tür. Sie hat das ungleiche Rennen verfolgt. ÄNNE Hans-Peter ... willste n Pferd? Hans-Peter sieht sie an, überzeugt, dass sie sich über sein Elend lustig macht. Was?
HANS-PETER
ÄNNE Ob du n Pferd willst. Sie scheint es tatsächlich ernst zu meinen. Ja!!
HANS-PETER
ÄNNE Frag den Jupp, ob er auch eins will. Sie deutet mit dem Kopf nach hinten, wo Jupp neben dem Haus an seinem Mofa herumfummelt. Hans-Peter trabt los. Jupp ...! 21
HANS-PETER
PFERDEMARKT A/T
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Änne und Willi spazieren gefolgt von Margret, deren älterer, immer etwas schrill gekleideter Schwester Gertrud (44), Gertruds Kindern Marion (19) und Paul (17), Jupp und HansPeter über einen Pferdemarkt. Änne bleibt vor der Box eines riesigen, schwarzen, alten Pferdes stehen. ÄNNE Der wär doch was für dich, HansPeter. MARGRET Moder, der ist zu groß! Die anderen können reiten. Der Hans-Peter is noch nie auf’m Pferd gesessen. Hans-Peter hat sich inzwischen dem Tier genähert und streichelt vorsichtig die Schnauze. Das Pferd sieht ihn treuherzig an.
14. HANS-PETER Der ist aber lieb. ÄNNE Und wenn wir ihn nicht kaufen, kommt er zum Schlachter. Nein!
HANS-PETER
ÄNNE Willst ihn haben? Hans-Peter nickt energisch. Margret und Gertrud tauschen einen resignierten Blick. Wenn Änne sich was in den Kopf gesetzt hat, ist nichts zu machen. Hans-Peter sieht den riesigen Bubi an. HANS-PETER Der passt aber nich in’ Garten. ÄNNE Nee, da brauchen wir was größeres ... Sie macht ein geheimnisvolles Gesicht. Ne Ranch?
HANS-PETER
ÄNNE So was in der Art. HANS-PETER Darf ich da Kinder einladen? Änne sieht ihn an. Sie weiß, wie wichtig ihm das ist. Dann entdeckt sie einen alten, aber imposanten Landauer neben Bubis Box, der ebenfalls zum Verkauf steht. ÄNNE Sollen wir sie mit der Kutsche abholen? Hans-Peter reißt überwältigt die Augen auf. 22
RECKLINGHAUSEN / LANDAUER A/T
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Änne, Hans-Peter und die Kinderbande drängen sich im Landauer. Die Kinderbande ist beeindruckt, Hans-Peter stolz wie Oskar. Willi lenkt den Landauer, Jupp sitzt neben ihm auf dem Kutschbock. Pauls dunkelbraunes und Jupps rotes Pferd sind davor gespannt. Leute bleiben stehen und begaffen das ungewöhnliche Gefährt. Änne grüßt huldvoll wie Queen Mom aus dem offenen Wagen.
15. ÄNNE Das wollte ich immer schon ma machen. Sie winkt. Hans-Peter schaut auf die staunenden Passanten. HANS-PETER Guck ma, wie die gucken. ÄNNE Wenn du weiß, was du wills, HansPeter, dann mach es einfach und kümmer dich nich drum, was die Leute sagen. Hans-Peter folgt ihrem Rat und grüßt das Volk genau so souverän wie seine Oma. Er grinst die andern Kinder an. HANS-PETER Macht doch auch ma. Murat, der kleine türkische Junge, sieht Hans-Peter verständnislos an. Hans-Peter spricht deutlich, damit Murat es auch versteht ... HANS-PETER (CONT’D) Winken, Murat ... winken. Murat winkt. 23
KOPPEL / STALLUNGEN
A/T
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Änne, Hans-Peter und die anderen Kinder winken königlich, als der Landauer mit Willi und Jupp auf dem Bock auf die “Ranch“ rollt. Sie werden von der versammelten Feiergesellschaft jubelnd begrüßt. Hans-Peter grinst breit über den Empfang, der ihm und seinen Freunden bereitet wird. Vor den Pferdeställen ist eine Koppel eingezäunt. Die Ställe sind mit Luftballons geschmückt. Heinz steht am Grill und dreht die Grillware um. Margret und Gertrud schenken Getränke aus. Unter den Gästen sind Marion und Paul, Bertha und Hermann, Veronika, Annemarie und Kurt, Tante Lisbeth (45), eine Nonne im Ornat, und noch mehr Freunde und Verwandte. Und eine Reihe Kinder aus Hans-Peters Klasse, die nicht mit in der Kutsche waren. Hans-Peter und die Kinder sind ausgestiegen und laufen zu der Stelle, wo hinter dem Gatter zwei Ziegen grasen. Die Mädchen streicheln sie begeistert. Hans-Peter erklärt stolz ... HANS-PETER Die hat die Omma gekauft, weil die halten das Gras kurz. Opa Willi führt Hans-Peters Pferd auf die Koppel. Hans-Peter zeigt darauf.
16. HANS-PETER (CONT’D) Das ist mein Pferd .... das ist Bubi. Die Kinder starren mit offenem Mund das riesige Pferd an. Hans-Peter läuft zu seinem Ross. Die praktische Tante Lisbeth im Ornat erkennt das Problem gleich ... LISBETH Wie will der Hans-Peter denn da hochkommen? Kinder und Verwandtschaft schauen gespannt zu, wie Opa Willi versucht Hans-Peter auf das riesige Pferd zu helfen. Keine Chance. KURT Dat gibt nix. WILLI Dann hilf doch ma. Kurt klettert in die Koppel. Er schiebt Hans-Peter von der einen Seite hoch, Willi zieht von der anderen. Hans-Peter hängt zwischen ihnen wie ein nasser Sack. Die Kinderbande kichert. Murat ruft was Freches auf Türkisch. KURT Du musst mithelfen, Hans-Peter. Wie denn?
HANS-PETER (JAMMERT)
Kurt hievt Hans-Peter so kräftig hoch, dass auf der anderen Seite des Pferdes wieder runterrutscht. Willi hat Mühe ihn vor dem Absturz zu bewahren. Die Kinder lachen. Hans-Peter schaut zu Silvia. Lacht sie auch? Nein, sie schaut besorgt. Hans-Peter strengt sich an. Es sieht urkomisch aus, wie er da zappelt. Die Kinder schmeißen sich weg. Auch Silvia prustet los. Die Erwachsenen versuchen ernst zu bleiben. Margret macht sich Sorgen. MARGRET Tu dir nicht weh. Jetzt schiebt Willi und Kurt zieht. Zumindest kriegen sie hin, dass Hans-Peter quer über Bubis Rücken liegt. Hans-Peter dreht den Kopf zur Seite und sieht, dass jetzt auch die Erwachsenen aufgeben und laut herausplatzen. Sein Blick trifft den der Mutter, sie lächelt jetzt auch zaghaft. Marion, Jupp und Paul reiten auf ihren Pferden demütigend elegant an Hans-Peter vorbei. Hans-Peter fasst einen Entschluss. HANS-PETER (9) V.O. Ja, und dann muss man sich eben entscheiden. (MORE)
17. HANS-PETER (9) V.O. (CONT'D) Ob man unfreiwillig komisch sein will ... oder ob man seine peinliche Erscheinung gezielt einsetzt. Mit Armen und Beinen übertrieben rudernd versucht er sich aufzusetzen. Schließlich krallt sich an Mähne des lammfrommen Bubi fest und mimt, er müsse sein zentnerschweres Gewicht hochstemmen. Seine Zuschauer lachen Tränen. Schließlich hat er es geschafft und nimmt eine stolze Reiterhaltung ein. Sein Publikum applaudiert. Er begegnet dem wissenden Blick von Oma Änne, die genau merkt, was hier passiert. HANS-PETER (9) V.O. (CONT’D) Ich habe mich für das zweite entschieden. Hans-Peters Blick begegnet dem seiner Mutter. Sie strahlt ihn an. Er grüßt sie mit einem knappen, zackigen Senken des Kopfes, wie die Turnierreiter das Wettkampfgericht grüßen. Margret wirft den Kopf zurück und lacht ihr umwerfendes Lachen. HANS-PETER (9) V.O. (CONT’D) Es war ganz einfach... Opa Willi nimmt Bubis Zügel. Sobald Bubi den ersten Schritt macht, gibt Hans-Peter auf dramatische Weise seine stolze Haltung auf und bricht über Bubis Hals zusammen. Er holt sich den Lacher ab und hebt mit dem Gesicht an Bubis Hals klebend die Hand, damit dreist behauptend: Hab alles im Griff. Opa Willi führt Bubi eine Runde um die Koppel. Hans-Peter stemmt sich wieder in eine aufrechte Haltung. Er gibt den Reitprofi, übertreibt das Auf- und Abwärtswippen bei jedem Schritt. Seine Zuschauer feuern ihn mit Pfiffen an und applaudieren begeistert. Hans-Peter sieht, dass ihn auch die Kinder feiern und grinst breit. 24
MONTAGE A/T
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Erinnerungsfetzen von der Ranch. Die Kinder rennen über die Wiese, die Ziegen hinterher. HansPeter schaut sich um zu den Ziegen, tut als wären gefährliche Raubtiere hinter ihm her und läuft in aufgesetzter Panik weiter. Er zieht die Knie dabei extrem hoch. Ein Laufstil, der aufwändig und kraftraubend aussieht, ihn aber kaum von der Stelle bringt. Aber lustig. Silvia wartet auf Hans-Peter, der abgehängt hinterher keucht. Hans-Peter klebt Bauch an Rücken an Silvia und geht mit ihr flott im Gleichschritt. Dabei singen sie im Rhythmus der Schritte “Geh die Straße“ von Cindy und Bert.
18. HANS-PETER / SILVIA Geh, geh, geh die Straße, geh die Straße, geh ... Änne lächelt darüber, Bertha lächelt darüber, Margret lacht ihr Lachen. Gräser wischen vorbei, Mohnblüten, blauer Himmel. Bilder vom Wegrand wie am Anfang. 25
1973 RECKLINGHAUSEN / KARNEVALSLADEN
I/T
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Hans-Peter, Margret, Gertrud und Änne schauen sich im Karnevalsladen um. Margret und Gertrud suchen eine Kleiderstange nach geeigneten Kostümen durch. GERTRUD Als was geht denn der Jupp? MARGRET Wieder als Cowboy. Margret wendet sich an Hans-Peter. MARGRET (CONT’D) Und weißte jetz als was du gehn willst? HANS-PETER Ich geh als Prinzessin. Alle drei Frauen starren ihn fassungslos an. Hans-Peter schaut in die schockierten Gesichter von seiner Mutter und Tante Gertrud. Dann zu seiner Oma. Änne mustert ihn von oben bis unten. ÄNNE Bei seiner Figur kriegen wir das nich von der Stange. Das muss die Gertrud ihm nähen. MARGRET Moder! Er kann doch nich als Prinzessin gehen. ÄNNE Warum nicht? GERTRUD Was sollen denn die Leute sagen? Hans-Peter steckt sich ein Plastikgebiss mit fiesen Zähnen in den Mund und grinst seine Mutter an. In ihrer Verzweiflung ...
19. MARGRET Das nehmen wir. Damit kannste prima als Monster gehen. Hans-Peter nuschelt mit den Zähnen im Mund .... HANS-PETER Isch geh alsch Prinscheschin. Isch mir egal, wasch die Leute schagen. 26
WOHNUNG KERKELING / KÜCHE I/T
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Hans-Peter schaut im improvisierten Schminkspiegel andächtig zu, wie sich sein Gesicht unter Gertruds sachkundigen Händen in das einer hübschen Prinzessin verwandelt. Gertrud ist mit schrillen Klamotten und lila Federhütchen angetan. Die Tür fliegt auf. Der Karnevalshit “Auf die Bäume, ihr Affen, der Wald wird gefegt“ schallt herein. Eine Horde Kostümierter drängt in die Küche. Änne im Seeräuberkostüm mit Säbel und Augenklappe, Willi als Scheich im langen Nachthemd und mit einem mit einem Seil um den Kopf befestigten Laken, Margret im selbst gebastelten Fliegenpilzkostüm und Jupp als Cowboy. Könn wir?
ÄNNE
Hans-Peter steht auf. Er trägt ein wirklich hübsches Prinzessinnenkleid, eine schwarze Perücke und ist behängt mit Perlenketten. Seine vornehmen, gezierten Bewegungen sind seiner Stellung angemessen. Er lächelt seinen Untertanen huldvoll entgegen. Seine Familie starrt die liebreizende und völlig überzeugend mädchenhafte Prinzessin ungläubig an. ÄNNE (CONT’D) Gertrud, das is n Wunder ....! 27
RECKLINGHAUSEN / ROSENMONTAGSZUG I/T
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Die ganze Familie nähert sich tanzend der Hauptstraße, durch die der Rosenmontagszug zieht. Sie singen laut die Karnevalslieder mit, die jetzt von Blaskapellen gespielt werden. Änne marschiert mit dem Säbel in der Hand voran. Gertrud hat Marion im Schlepptau, die als Frosch geht. Die Kinderbande besteht aus Hexen, Clowns, Indianern und Squaws. Hans-Peter klimpert seine Mutter mit seinen getuschten Wimpern an. Sie lacht, stimmt in den übermütigen Gesang ein und tanzt, soweit sie das im engen Pilzstiel kann. Sogar Jupp und sein Cowboykumpel Paul legen ihre Coolness ab und haben ebenso wie die anderen jede Menge Spaß. Ein größerer Junge, ebenfalls Indianer, zeigt mit dem Finger auf Hans-Peter und lacht über ihn.
20. Hexe Silvia löst sich aus dem Pulk, geht zu ihm und zieht ihm kurz und trocken den Besenstil über. 28
WOHNUNG BÖNKE
I/N
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Seeräuber-Änne öffnet die Tür und lässt Annemarie und ihren Mann Kurt herein. Beide sind schrill verkleidet. Aus der Wohnung dringt Musik und laute vielstimmige Unterhaltung. ÄNNE Kinners kommt rein ... Sie drückt beide, als sie an ihr vorbei in die Wohnung gehen. ÄNNE (CONT’D) Was ham wir uns lang nich gesehen. KURT Und gleich wiedererkannt ... Er lacht dröhnend über seinen eigenen Witz und schiebt Annemarie voran. KURT (CONT’D) Geh rein, Muttilein .... Jede Menge Verwandtschaft und Nachbarn drängen sich in der Wohnung. Kurt entdeckt Tante Lisbeth, die der Party im Ornat beiwohnt. Sie unterhält sich gerade mit Hans-Peter. KURT (CONT’D) Na, Lisbeth, altes Haus, dein Kostüm is ma wieder dat beste. Tante Lisbeth lächelt milde. Hans-Peter ergreift die Gelegenheit. HANS-PETER Tante Lisbeth, hast du eigentlich auch Haare? Er nestelt an den langen Haaren seiner Prinzessinnenperücke. Tante Lisbeth lacht. TANTE LISBETH Aber natürlich hab ich Haare. Er zögert. HANS-PETER Was denn für welche? Sie lächelt. TANTE LISBETH Ganz normale.
21. HANS-PETER Kannst du sie mir mal zeigen? Sie sieht ihn perplex an. TANTE LISBETH Ich kann meinen Schleier nicht einfach so abnehmen, Hans Peter. Das gehört sich nicht...
Ach so.
HANS-PETER
Sie sieht, dass er enttäuscht ist und lächelt ihn nachdenklich an. CUT TO Annemarie gibt das Zarah Leander Lied “Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“ zum Besten. Sie hat Zarah Leanders rauchige tiefe Stimme verblüffend gut drauf. Sie singt Hans-Peter an und der stimmt mit ein und bemüht sich ebenfalls um tiefen rauchigen Gesang. Bertha, deren Verkleidung sich auf ein spitzes Papphütchen beschränkt, Änne, Margret und Heinz, der mit aufgemaltem Schnurrbart eine Art Gigolo gibt, schauen ihrer kleinen singenden Prinzessin liebevoll zu. Heinz legt den Arm um seine Frau, Margret lächelt ihn an. Annemarie und Hans-Peter enden und es gibt donnernden Applaus. Kurt küsst seine Frau und kneift Hans-Peter in die Backe. KURT Du hättst auch n hübschet Mädchen abgegeben, Hans-Peter. Hans-Peter reißt sich die Perücke vom Kopf und blafft Kurt an. HANS-PETER Ich bin kein Mädchen, ich tu nur so. Merk dir das, Onkel Kurt. Die Gäste sind etwas erschrocken über Hans-Peters Wutanfall. Plötzlich reißt sich Margret ihre gepunktete Pilzhaube vom Kopf. MARGRET Und damit das klar ist: Ich bin auch kein Fliegenpilz, ich tu nur so. Hans-Peter schaut seine Mutter verblüfft an.
22. MARGRET (CONT’D) Merkt euch das gefälligst! Einen Moment herrscht Stille, dann fängt Hans-Peter an zu lachen und die anderen stimmen mit ein. Margret hebt Hans-Peter lachend vom Tisch und drückt ihn dabei an sich. Hans-Peter umarmt sie fest. Veronika, die wasserstoffblonde Partymaus, reißt die Arme hoch. Polonäse!
VERONIKA
Veronika stimmt “Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien an“ und alle fallen erstaunlich textsicher ein. Veronika tänzelt als Kopf der Schlange los und animiert alle sich einzureihen. Die Verwandtschaft lässt sich nicht lange bitten und auch Margret und Hans-Peter schließen sich fröhlich an. Die Polonäse zieht singend und tanzend hinaus in den Flur. Noch ehe der Schwanz der Schlange ganz verschwunden ist, tänzelt Veronika durch die Tür zum Nebenraum wieder herein. Als die Schlange sich wieder durch das Wohnzimmer windet, sieht Hans-Peter Annemarie seltsam starr und mit gesenktem Kopf am Tisch sitzen. Kurt hat den Arm um sie gelegt und streichelt sie zärtlich. Hans-Peter löst sich aus der Schlange. HANS-PETER Was hat denn Tante Annemarie? KURT Lass ma Hans-Peter. Dat hat mit’m Krieg zu tun. Wir feiern gleich wieder mit ... nä Muttilein ....? Annemarie nickt abwesend. Kurt nickt Hans-Peter freundlich zu und der wendet sich wieder der Polonäse zu. Oma Änne holt ihn vor sich rein und steppt Säbel schwingend hinter ihm her. 29
WOHNUNG BÖNKE / SCHLAFZIMMER I/N
29
Noch immer im Seeräuberkostüm geht Oma Änne ins Schlafzimmer. Sie macht Licht an und schließt die Tür hinter sich. Sie geht langsam ein paar Schritte zum Bett und hält sich daran fest. Sie versucht ruhig zu atmen, anscheinend hat sie Schmerzen. 30
STALL
I/T
30
3 Monate später. Auf der Wiese vor dem Stall freuen sich die Ziegen über den schönen Frühlingstag.
23. Im Stall sitzt Hans-Peter im Landauer. Er winkt königlich, wie seine Oma es ihm vorgemacht hat, aber sein einziges Publikum sind die Pferde in ihren Boxen. Jupp taucht neben Hans-Peter auf. JUPP Was machst du? HANS-PETER Ich tu, wie wenn ich mit der Omma durch die Stadt fahr. Da fällt Jupp erst mal nichts zu ein. HANS-PETER (CONT’D) Wann kommt sie denn raus aus’m Krankenhaus? JUPP Bald, ham se gesagt. HANS-PETER Und wann is das? Jupp zuckt mit den Schultern. Er will Hans-Peter aufheitern. JUPP Kommste mit reiten? HANS-PETER Ich darf nur mit Opa an der Longe. JUPP Opa is nich da. Hans-Peter wechselt einen komplizenhaften Blick mit seinem Bruder und steigt aus der Kutsche. Jupp legt ihm kurz die Hand auf die Schulter, als sie zusammen zu den Pferdeboxen gehen. Hans-Peter streichelt Bubi und drückt den Kopf an seine Schnauze. 31
RECKLINGHAUSEN / KANAL A/T
31
Jupp und Hans-Peter reiten am Kanal entlang. Hans-Peter wirkt ein bisschen verkrampft. Er lässt vorsichtig die Zügel los und greift mit den Händen in Bubis Mähne. So klappt es besser. Hans-Peter entspannt sich und genießt es. Ein seliges Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus. Jupp nickt ihm aufmunternd zu. JUPP Dann mach ma. Hans-Peter schnalzt zweimal mit der Zunge und kommandiert ...
24.
Terab ...!
HANS-PETER
Bubi wechselt in den Trab. Hans-Peter stellt sich auf die veränderte Gangart ein. Jupp stößt einen Pfiff aus, sein Pferd trabt ebenfalls los. Die beiden traben durch die weite Landschaft, die sich am Kanal längs zieht. Es könnte fast im wilden Westen sein, sähe man im Hintergrund nicht den Förderturm der Zeche. Hans-Peter sieht absolut glücklich aus. 32
WOHNUNG BÖNKE / WOHNZIMMER / FLUR
I/T
32
Margret ist dabei auf dem Sofa im Wohnzimmer ihrer Eltern ein Bett einzurichten. Willi hilft Änne aus dem Mantel. Änne sieht ziemlich angeschlagen aus. Hans-Peter kommt herein gelaufen, stürmt auf Änne zu und umarmt sie. HANS-PETER Omma ... da biste ja wieder ... Änne lächelt und tätschelt ihm den Kopf. Margret ist fertig und schlägt die Decke zurück. Änne legt sich vorsichtig hin. HANS-PETER (CONT’D) Legst du dich schon wieder hin? ÄNNE Nur n bisschen ausruhen ... Komm, Hans-Peter, setz dich her ... Sie klopft auf die Sofakante und Hans-Peter setzt sich zu ihr. Er bemerkt, dass Opa Willi den Mantel extra umständlich an der Garderobe aufhängt und das Gesicht dabei abwendet. 33
STALL
I/T
Hans-Peter und Silvia misten Bubis Stall aus. SILVIA Bei meiner Omma war das genauso. Die is vom Krankenhaus gekommen, alle waren se komisch und dann isse gestorben. HANS-PETER Meine Omma is aber nich gestorben. SILVIA Dann kommt das noch.
33
25. 34
WOHNUNG KERKELING
I/T
34
Ein Handwerker haut mit wuchtigen Hammerschlägen einen Fensterrahmen aus seiner Verankerung. Margret redet über den Lärm hinweg mit seinem Chef. MARGRET ... Sie ham das doch mit meinem Mann alles besprochen. CHEF Da hab ich noch nich gewusst, wie et da drunter aussieht ... Der Chef bohrt mit einem Schraubenzieher in den bröckeligen Putz, der unter dem Rahmen zum Vorschein gekommen ist. CHEF (CONT’D) Da hält nix, dat muss allet neu. Margret wirkt etwas überfordert. MARGRET Ja ... dann machen Sie das eben so. Sie wuselt hinaus. 35
WOHNUNG BÖNKE / KÜCHE I/T
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Margret spült einen Kochtopf in der Küche ihrer Eltern. Opa Willi kommt herein und geht zu der Batterie von Medizinschachteln auf der Anrichte. WILLI Sie hat schon wieder so Schmerzen. Während er mit zitternden Händen Tabletten rausholt ... MARGRET Vader, das Essen steht aufm Herd. Brauchst du nur warmmachen. Willi nickt. MARGRET (CONT’D) Ich komm dann später wieder und mach sauber. Sie trocknet sich die Hände am Geschirrtuch ab und eilt hinaus. 36
WOHNUNG KERKELING / SCHLAFZIMMER
I/T
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Heinz und Margret liegen frühmorgens im Bett. Heinz hat eine technische Zeichnung in der Hand, auf der eine geschwungene Theke zu sehen ist. Er spricht begeistert darüber ...
26. HEINZ ... die Platte ist aus wunderschönem Nussbaumholz ... Er zeigt auf die geschwungene obere Platte der Theke. HEINZ (CONT’D) ... aus 8 cm Stücken zusammengeleimt, immer abwechselnd in der Maserung, das bleibt so flach wie ein Spiegel, da tut sich nix ... ich würd’ dir dat so gern ma zeigen. MARGRET Dann musst du die nächste Theke in Recklinghausen bauen. HEINZ Die Firma kann sich das nicht aussuchen, woher die Aufträge kommen. MARGRET Muss ja nicht immer Nussbaum sein. Sie steht auf. Heinz greift nach ihrer Hand und zieht sie zärtlich zurück ins Bett. HEINZ Bleib doch noch was liegen, Schätzken. Ich bin doch jetz widder so lange weg. MARGRET Ja ... eben ... und einer muss hier alles machen. Sie macht sich los, steht auf, geht im Nachthemd zum Schrank und sucht Wäsche heraus. Heinz steht auch auf, holt etwas aus seiner Reisetasche und geht damit zu ihr. HEINZ Das hab ich dir gemacht. Er präsentiert ihr ein hübsches kleines Schmuckkästchen. Margret zögert hin und her gerissen zwischen Ärger und Freude über seine Aufmerksamkeit. Schließlich nimmt sie ihm das Kästchen aus der Hand und fährt mit dem Finger über die polierte Oberfläche, die durch die Anordnung verschieden gemaserten Holzes ausgefallen dekoriert ist. MARGRET Das ist schön. Danke. Er küsst sie und sie erwidert den Kuss.
27. Man hört das nervtötende Kreischen eines Kernbohrers im Mauerwerk ... 37
WOHNUNG KERKELING / FLUR I/T
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... Der Bohrer lärmt weiter. Jupp und Hans-Peter kommen aus der Küche, wo gebohrt und entsprechend gestaubt wird, und latschen mit ihren Schultaschen achtlos zur Wohnungstür. Margret ist dabei den Flur zu wischen und sieht ungläubig, dass die Jungs den Bohrdreck aus der Küche im frisch gewischten Flur verteilen, vor allem Hans-Peter. MARGRET Da liegt extra n Feudel. Die Jungs drehen sich um. Tatsächlich liegt vor der Küchentür ein Feudel, über den sie drübergestiegen sind. Jupp lenkt von sich ab, indem er auf Hans-Peters deutlichere Abdrücke zeigt. JUPP Pass doch auf, du Dreckschwein. HANS-PETER Hab ich nich gesehen. Hans-Peters bräsige Antwort gibt Margret den Rest. MARGRET Verschwindet .... raus hier ...! Sie schwingt den Schrubber samt Feudel in die Richtung der Jungs und jagt sie durch den Flur. MARGRET (CONT’D) .... ihr bringt mich noch um. Die Jungs retten sich aus der Wohnungstür. MARGRET (CONT’D) Kommt ihr mir nach Hause ...! Jupp ruft von draußen JUPP Ich geh nach der Schule zu Tante Gertrud. Er macht eine Geste Richtung Bohrlärm. JUPP (CONT’D) Hier kann man ja nich lernen.
28. 38
STRAßE RECKLINGHAUSEN - A/T
38
Jupp knattert gedankenverloren auf seinem Mofa zur Schule. Hans-Peter sitzt auf dem Gepäckträger und hält sich an seinem Bruder fest. Der Zeit entsprechend, tragen beide keinen Helm. Sie sehen nicht glücklich aus. 39
WOHNUNG KERKELING / FLUR / KÜCHE I/T
39
Die Wohnungstür wird aufgeschlossen und Hans-Peter steckt vorsichtig den Kopf in den Flur. Er hat Margrets Drohung nicht vergessen. In einem der Zimmer hämmert ein Handwerker. Mama ...?
HANS-PETER
Er bekommt keine Antwort, geht zur Küche und schaut hinein. Der Bohrdreck ist zusammengefegt. Margret sitzt am Küchentisch und hat den Kopf in die Hände gestützt. Vor sich Kartoffeln, von denen sie die Hälfte geschält hat. Hans-Peter putzt sich demonstrativ die Füße am Feudel ab, bevor er hineingeht. Mama ....?
HANS-PETER (CONT’D)
Margret reagiert immer noch nicht. Hans-Peter geht zu ihr. Was is?
HANS-PETER (CONT’D)
Margret hebt den Kopf, sie hat beide Hände fest an die Wangen gepresst. MARGRET Die Kiefernhöhlen schon wieder. Die Antibiotika nützen nichts mehr. Hans-Peter würde ihr gerne helfen. HANS-PETER Soll ich was machen? Sie schüttelt den Kopf, greift nach dem Schälmesser und schält weiter Kartoffeln. Hans-Peter verzieht sich. Margret schält weiter, doch plötzlich sieht sie, wie sich langsam zwei Beine in Hüfthöhe quer in den Türrahmen schieben. Hans-Peter hat sich wohl im Flur auf die Kommode neben der Küchentür gelegt, um den Effekt der halben schwebenden Jungfrau zu erzeugen.
29. Trotz ihrer Schmerzen muss Margret lachen. Hans Peter guckt um die Ecke und kontrolliert erleichtert das Lachen seiner Mutter. 40
SIEDLUNG / SEITENSTRAßE
A/T
40
Hans-Peter marschiert eine kleine Straße am Rand der Bergarbeitersiedlung entlang und singt im Rhythmus seiner Schritte “Geh die Straße“ von Cindy und Bert. Er ist so versunken in Rhythmus und Gesang, dass er die Jungs erst sieht, als es schon zu spät zum Weglaufen ist. Vier 14-jährige im Viertel wohlbekannte Rabauken kommen auf ihn zu. Ralf, der Anführer der Truppe, zieht cool an seiner Kippe. RALF Dat is unsere Straße. Hans-Peter antwortet ohne nachzudenken. HANS-PETER Sach bloß? Dat is “unsere Straße“?. Ich hab immer gedacht, dat is die Stenkhoffstraße Er zeigt zum Beweis auf das Straßenschild. Die Jungs können nicht glauben, dass ihnen der Kleine oberschlau kommt. Matthes pflanzt ihm jetzt ohne Vorwarnung die Faust ins Gesicht. Hans-Peter geht zu Boden. Ralf beugt sich zu ihm runter und drückt seine Nase fest in den Asphalt. Hans-Peter lässt ein dumpfes “Umpf“ hören. RALF Wat sachste? Matthes tritt Hans-Peter in die Seite, als der nicht gleich antwortet. Wat?
MATTHES
Hans-Peter bereut seine große Klappe. HANS-PETER Äh ... Jungs ... Gewalt ist keine Lösung .... Hans-Peter sieht Ralfs Faust auf sich zukommen, sein Kopf fliegt zur Seite. Die anderen beiden wollen auch ihren Spaß haben und traktieren Hans-Peter mit Fußtritten. Hans-Peter schützt seinen Kopf mit den Armen und schreit, was das Zeug hält. Jupp fährt mit einem Kumpel hinten auf dem Mofa auf der Querstraße vorbei. Ein zweites Mofa, auf dem ebenfalls zwei Sechzehnjährige sitzen, folgt.
30. Leider bemerken sie Hans-Peter und seine Notlage nicht. Aber Hans-Peter hat Jupps Mofa erkannt. HANS-PETER (CONT’D) Jupp ...!!! .... Jupp ....!!! Die Mofas sind weg. Jupp und seine Freunde haben nichts mitbekommen. Hans-Peter starrt enttäuscht auf die leere Kreuzung und steckt Tritte und Schläge ein. In seiner Not stößt er den Pfiff aus, mit dem Jupp sein Pferd zum Traben bringt. Nach einer gefühlten Ewigkeit taucht Jupps Mofa wieder an der Kreuzung auf, dahinter das zweite. Die Jungs sehen, was los ist, geben Gas und halten neben Hans-Peter und seinen Peinigern. Ralf und Konsorten ahnen schon, dass sich das Blatt wendet. Jupp und seine Freunde steigen cool von den Mofas. Zu den fröhlichen Klängen von “Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“ knöpfen sie sich die Schlägertruppe vor. Hans-Peter rettet sich halb kriechend, halb humpelnd aus der Gefahrenzone. Er schaut aus sicherer Entfernung zu, wie die Schlägertruppe fachgerecht vermöbelt wird. Ralf und seine Freunde haben den Sechzehnjährigen nichts entgegenzusetzen. Hans-Peter grinst trotz seiner Schmerzen. HANS-PETER (CONT’D) Ich hab mich geirrt, Jungs .... Gewalt ist doch eine Lösung. 41
SCHERLEBECK / STRAßE LADEN OMA ÄNNE A/T
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Hans-Peter und Silvia fahren auf ihren Fahrrädern die Straße entlang, an der Eckkneipe “Bei Erna” vorbei, in der Heinz damals abgefüllt wurde, zu Oma Ännes Laden. Sie steigen ab und Hans-Peter versteckt sich mit den zwei Fahrrädern seitlich vom Eingang des Ladens. Silvia öffnet die Tür, steckt kurz den Kopf in den Laden und macht die Tür wieder zu. HANS-PETER Is sie drin? 42
LADEN OMA ÄNNE I/T
42
Hans-Peter und Silvia betreten den Laden. Gertrud räumt Waren ins Regal. Oma Bertha sitzt an der Kasse und gibt einer Kundin, Frau Rädeker, Wechselgeld raus. Frau Rädeker ist mitten im Redefluss. FRAU RÄDEKER .... und haben Se das schon gehört? ... Der Frau Kolossa ... (MORE)
31. FRAU RÄDEKER (CONT'D) Sie wissen schon die Frau Kolossa ... genau ... der ist schon wieder n Kerl weggelaufen. Dat war schon der dritte in ein Jahr. Dat liegt doch an se selber und ihre komische Art. Da kann se so oft zum Friseur rennen, wie se will .... dat nutzt alles nichts ... wat soll man sagen ... Sie packt ihr Portemonnaie zu den Einkäufen und macht sich auf. FRAU RÄDEKER (CONT’D) Ich muss dann ma wieder ... Wiedersehen. BERTHA/GERTRUD Wiedersehn, Frau Rädeker. Bertha wendet sich Hans-Peter zu. BERTHA Hans-Peter, das ist aber schön ...! HANS-PETER Mama hat gesagt, dass du manchmal im Laden hilfst. BERTHA Na ja .... hinter der Kasse sitzen, das geht noch. Hans-Peter kommt zaghaft näher. Bertha entdeckt seine Blessuren. BERTHA (CONT’D) Was is’n mit Dir passiert? Auch Gertrud registriert jetzt Hans-Peters geschundenes Gesicht. HANS-PETER Mama darf das nich sehen. Sonst regt sie sich wieder auf. BERTHA (ZU GERTRUD) Hast du deine Schminke da? Gertrud sucht nach ihrer Tasche. Bertha sieht Hans-Peter in die Augen und fragt vorsichtig .... BERTHA (CONT’D) Geht’s der Mama nich so gut? Hans-Peter schüttelt den Kopf.
32. HANS-PETER Und der Omma Änne auch nicht. Silvia tröstet ihn mit Blick auf Bertha. SILVIA Has ja noch eine. Bertha lächelt und drückt Hans-Peter an sich. GERTRUD Lass mich ma ran. Bertha lässt Hans-Peter los und Gertrud fängt an ihm vorsichtig Make-up auf die Blessuren zu tupfen. Hans-Peter schaut in die besorgten Gesichter von Bertha und Gertrud und beschließt sie aufzuheitern. Er imitiert Frau Rädeker erstaunlich treffend. HANS-PETER Ham Se schon gehört? ... Der Frau Kolossa ... Sie wissen schon die Frau Kolossa ... genau ... der ist schon wieder n Kerl weggelaufen. Dat war schon der dritte in ein Jahr. Dat liegt doch an se selber und ihre komische Art. Da kann se so oft zum Friseur rennen, wie se will .... dat nutzt alles nichts ... wat soll man sagen ... Bertha, Gertrud und Silvia schmeißen sich weg vor Lachen. Hans-Peter ist hochzufrieden. 43
WOHNUNG KERKELING / KÜCHE
I/T
43
Hans-Peter kommt mit sorgfältig überschminkten Blessuren in die Küche. Er schaut erstaunt auf das Bild, das sich ihm bietet. Margret steht am Herd, bewegt Bratkartoffeln in der Pfanne und versucht dabei ihre Wange in die Nähe einer Rotlichtlampe zu halten, die sie ans Regal geklemmt hat. HANS-PETER Was machst du, Mama? MARGRET Der Doktor sagt, das hilft. Sie bewegt sich vom Rotlicht weg und holt das Salz. MARGRET (CONT’D) Aber wann hab ich denn Zeit, dass ich mich vor’s Rotlicht setz? Sie hält wieder die Wange ins Licht.
33. MARGRET (CONT’D) Kannste ma decken? Hans-Peter holt Teller aus dem Schrank und die Milch aus dem Kühlschrank. Teller in der einen, Milchflasche in der anderen Hand und die zusätzliche Aufgabe die Kühlschranktür zu schließen, überfordern seine Koordination. Die Milchflasche rutscht ihm unglücklich aus der Hand, zerschellt und die Milch verteilt sich über den ganzen Boden. Margret sieht die Bescherung und geht wie eine Furie auf ihn los. MARGRET (CONT’D) Du ... Kröte ... Hans-Peter weicht ihr aus, was sie noch wütender macht. MARGRET (CONT’D) Komm sofort her ... du ... Sie greift nach ihm, er flutscht aus ihrem Griff, rutscht in der Milchpfütze aus, fällt fast hin, fängt sich, trägt den Milchsee an seinen Füßen in die noch trockenen Bereiche der Küche. MARGRET (CONT’D) Bleib stehen! Hans-Peter denkt nicht dran. Er schlägt Haken, glitscht wieder in der Milchpfütze aus, kann Margret gerade noch entkommen. MARGRET (CONT’D) Wenn ich dich in die Finger krieg .... Hans-Peter macht seine Mutter Angst. Sie bekommt ihn zu fassen. Hans-Peter reißt sich mit aller Kraft los und rennt hinaus. 44
HAUS BÖNKE / HAUSFLUR I/T
44
Hans-Peter stürzt aus der Wohnung, schlägt die Tür hinter sich zu, rennt über den Flur zur Tür der Großeltern, schellt und trommelt gleichzeitig an die Tür. HANS-PETER Oppa, lass mich rein ... Oppa!! Margret reißt die Tür der Kerkelingschen Wohnung auf und platzt in den Flur. Hans-Peter trommelt an die Tür der Großeltern. HANS-PETER (CONT’D) Oppa ...!!!
34. Die Tür geht auf, Opa Willi steht mit qualmender Zigarre im Türrahmen. Wa ....
WILLI
Hans-Peter taucht schnell unter seinem Arm durch und verschwindet in der Wohnung. Margret erreicht die Tür. MARGRET Komm sofort her! WILLI Was ist los? ... Was schreit ihr denn so? MARGRET Er soll rauskommen! Willi sieht, dass Margret völlig außer sich ist. WILLI Was hat er denn angestellt? MARGRET Du holst ihn jetzt sofort raus, Vader. Willi macht ihr einfach die Tür vor der Nase zu. 45
WOHNUNG BÖNKE / FLUR / WOHNZIMMER
I/T
45
Hans-Peter hat sich ins Wohnzimmer geflüchtet und setzt sich zu Oma Änne, die in ihrem Sofabett im Wohnzimmer liegt. Sie hören, wie draußen an der Tür gerüttelt wird, dann verstummt das Geräusch. Oma Änne ist schwach, sie spricht leise. ÄNNE Was hat sie denn heute wieder? HANS-PETER Ich hab Milch verschüttet, da is sie total verrückt geworden. Änne sieht ihn schweigend an. Hans-Peter wirkt ziemlich verstört. ÄNNE Willi? Kommst du mal? Willi kommt herein.
35. ÄNNE (CONT’D) Geh rüber und bring sie zur Vernunft. Der Junge bleibt so lange hier. Willi nimmt noch einen Zug von seiner Zigarre. Glücklich ist er nicht über den Auftrag. Aber er geht. Änne wartet, bis die Wohnungstür hinter ihm ins Schloss gefallen ist. ÄNNE (CONT’D) Leg dich n bisschen zu mir, HansPeter. Hans-Peter legt sich neben sie. Sie schaut ihn eine kleine Weile an. ÄNNE (CONT’D) Du weißt, dass ich nicht mehr lange lebe? Hans-Peter nickt. Er schaut nach unten. Tränen treten in seine Augen. ÄNNE (CONT’D) Ich pass aber trotzdem weiter auf dich auf. Wie denn?
HANS-PETER
Die aufgestauten Tränen kullern ihm jetzt über die Backen. ÄNNE Das wirst du schon sehen ... Sie nimmt ein Taschentuch und trocknet ihm die Tränen. ÄNNE (CONT’D) Außerdem hast du ja immer noch deine Omma Bertha. Hans-Peter nickt. Wirklich getröstet wirkt er nicht. ÄNNE (CONT’D) Jetzt hör mir ma genau zu, HansPeter, und sag keinem weiter, was ich dir jetzt sag, auch nich dem Oppa. Hast du das verstanden? Hans-Peter nickt. ÄNNE (CONT’D) Aus dir wird mal was ganz Besonderes werden. Änne sieht seinen skeptischen Blick und nickt bekräftigend.
36. ÄNNE (CONT’D) Du wirst berühmt. Hans-Peter sieht sie misstrauisch an. HANS-PETER Biste jetz auch verrückt geworden? Sie schaut ihm tief in die Augen. ÄNNE Das war ich doch schon immer. 46
WOHNUNG BÖNKE / WOHNZIMMER
I/N
46
Margret, Gertrud und Willi sitzen um das Ännes Sofa-Bett herum. Willi hält Ännes eine Hand, Margret die andere. Änne atmet schwer. In der Zimmerecke auf dem Teppichboden sitzt Hans Peter in sich zusammen gesunken und hat seine Arme um die Beine gelegt. Er lauscht. Plötzlich verstummt auch der Atem. HANS-PETER (9) V.O. Ohne Oma Änne wurde es sehr still. Margrets Gesicht zeigt großen Kummer. Hans-Peter registriert es bedrückt. 47
RECKLINGHAUSEN / KANAL A/T
47
Grasboden, Pferdehufe. Hans-Peter und Jupp galoppieren so schnell sie können den Kanal entlang. Hans-Peter hat es jetzt richtig gut drauf, aber die beiden Brüder wirken traurig. Sie entfernen sich, bis sie kaum noch zu sehen sind. 48
HAUS BöNKE / STRAßE
A/T
48
Hans-Peter kommt von der Schule nach Hause. Sein Vater hat die alten Gartenstühle vor dem Haus aufgebaut und schleift mit einem Schleifpapierklotz die alte Farbe an. Er nickt HansPeter zu. Hans-Peter bleibt neben ihm stehen und schaut ihm zu. Hans-Peter hat eine Vermutung, warum sich sein Vater draußen herumtreibt. HANS-PETER Geht es Mama wieder schlecht? Hm ...
HEINZ
HANS-PETER Wieder Kopfweh?
37.
Hm ...
HEINZ
HANS-PETER Und was noch? Kopfweh.
HEINZ
Er merkt, dass Hans-Peter die Antwort nicht zufrieden stellt. HEINZ (CONT’D) Geht ihr auch so nich so gut. HANS-PETER Was heißt “auch so“? Heinz beschäftigt sich sorgfältig mit den Zwischenräumen der Latten. HEINZ Was heißt “auch so?“ ... der Kopf tut ihr weh ... wegen den Kiefernhöhlen, da... Er deutet den Sitz der Kieferhöhlen an. HEINZ (CONT’D) ... und sie muss sich um so viel kümmern und das kann sie nicht .... weil ihr der Kopf weh tut ... HANS-PETER Gehen wir rein? Heinz zögert, schleift noch einen Moment weiter, doch dann legt er den Schleifklotz weg. Hm. 49
HEINZ
WOHNUNG KERKELING / KÜCHE I/T
49
Heinz und Hans-Peter kommen in die Küche. Margret füllt Wasser in einen Topf mit Rosenkohl und weint dabei. HEINZ So schlimm, Schätzken? Margret hebt den Topf aus dem Waschbecken, dabei schwappt Wasser auf den Boden. Margret nimmt einen Lappen und wischt es weinend auf. Hans-Peter schaut ratlos zu. Heinz geht zu ihr und zieht sie sanft hoch. Margret klammert sich an ihn wie eine Ertrinkende. Hans-Peter geht der Schmerz seiner Mutter nahe.
38. HEINZ (CONT’D) Margret, so geht das doch nicht weiter. Jetzt lass dat doch endlich mal operieren... MARGRET Nein ... ich will nicht ... HEINZ Dat ist ein Routineeingriff ... Margret schüttelt den Kopf. HEINZ (CONT’D) Wenn die Dinger chronisch vereitert sind...dann geht das nich mehr weg von alleine... MARGRET Und wer soll sich hier um alles kümmern? Hans-Peter fischt zwei Rosenkohlröschen aus dem Wasser und klemmt sie sich wie Monokel in die Augen. HANS-PETER Ich kann kochen ....Prima kann ich das. Heinz und Margret müssen angesichts der grünen Glubschaugen schmunzeln. Heinz nutzt die aufgehellte Stimmung, drückt Margret an sich und sie schmiegt sich in seine Arme. HEINZ Das wird schon ... meine Mutter hilft uns schon. Das grüne Glubschaugenmonster streichelt seiner Mutter den Rücken. 50
WOHNUNG KERKELING / KÜCHE / EIN ANDERER TAG
I/T
50
Hans-Peter und Jupp sitzen beim Frühstück. Hans-Peter blättert in einem von Margrets Versandhauskatalogen. Sein Blick hängt wieder an männlichen Unterwäschemodellen. Er greift ohne hinzusehen nach seinem Milchglas und wirft es versehentlich um. Er schaut erschrocken zu Oma Bertha, die das Missgeschick von der Küchezeile aus mitbekommen hat. Sie nimmt einen Lappen, hinkt zum Tisch und wischt die Sauerei weg. Hans-Peter kann nicht glauben, dass das Donnerwetter ausbleibt. Bertha interpretiert seinen Blick falsch. BERTHA Willste noch Milch? Hans-Peter schüttelt den Kopf. Bertha sieht ihn forschend an. Er wirkt bedrückt.
39. 51
WOHNUNG KERKELING / ZIMMER BERTHA
I/N
51
Die Tür zu Berthas Zimmer geht auf. Hans-Peter kommt im Schlafanzug herein und geht zu Berthas Bett. Er flüstert. HANS-PETER Oma .... Oma ... Er flüstert lauter ... Oma ...
HANS-PETER (CONT’D)
Bertha wacht auf. BERTHA Hans-Peter .... was ist denn? HANS-PETER Ich hab schlecht geträumt. Bertha überlegt einen Moment, dann schlägt sie schließlich die Decke zurück und steht stöhnend auf. BERTHA Na, komm ... dann machen wir zwei beide jetz’ ma was Schönes. Sie zieht ihren Morgenmantel über. Jetzt?
HANS-PETER
Bertha nimmt seine Hand und wackelt schlurfend mit ihm hinaus. BERTHA Kennst Du eigentlich das österreichische Wort für Aprikosen? 52
WOHNUNG KERKELING / KÜCHE I/N
52
Hans-Peters Hand platziert sorgfältig ein Stück Würfelzucker in eine entsteinte Aprikose. So?
HANS-PETER
Er hat eine Schürze über dem Schlafanzug und steht auf einem Schemel neben Bertha an der Anrichte. Bertha hat eine Schürze über dem Morgenmantel. BERTHA Ja. Genau ... gut machste das ... Sie schneidet eine Scheibe von einer Teigrolle ab und drückt sie mit der Hand platt.
40. BERTHA (CONT’D) Und jetzt machste den Knödel. Hans-Peter legt die Aprikose auf das Teigstück, wickelt den Teig drum rum und drückt die Nahtstellen zusammen. Der Marillenknödel ist ziemlich krumm und schief. Ouh ...
HANS-PETER
BERTHA Macht nichts ... der schmeckt trotzdem. Hans-Peter platziert den nächsten Würfelzucker in eine Aprikose, während ihm Bertha bedächtig das nächste Teigstück vorbereitet. 53
WOHNUNG KERKELING / KÜCHE I/T
53
Jupp kommt morgens in die Küche und entdeckt einen großen Teller mit Marillenknödeln auf dem Tisch. Er geht hin, nimmt einen und isst ihn auf. Offensichtlich schmeckt er ihm. Da erst fällt sein Blick auf die Eckbank hinter dem Tisch. Bertha liegt im Morgenmantel auf dem langen Stück, Hans-Peter auf dem kurzen. Beide schlafen. Omma ...!
JUPP
Bertha wacht auf, Hans-Peter schläft komatös weiter. JUPP (CONT’D) Der Hans-Peter muss doch in die Schule! Bertha bleibt ganz gelassen. BERTHA Nix da! Der Hans-Peter hat heut keine Schule. Sie grinst Jupp verschmitzt an, deutet auf den Tisch. Sie spricht in breitestem Österreichisch. BERTHA (CONT’D) Sagns, hams unsre Marillenknödel schon probiert? 54
WOHNUNG KERKELING / FLUR I/T
54
Die Wohnungstür wird aufgeschlossen. Heinz kommt herein. Er trägt Margrets Koffer und hinter ihm kommt Margret selbst. Hans-Peter, Jupp und Bertha kommen aus der Küche.
41.
Mama ...!
HANS-PETER
Er umarmt sie und sie drückt ihn mit einem Arm fest an sich und zieht mit dem anderen Jupp zu sich. Bertha wartet, bis Margret die Jungs abgeküsst hat, und umarmt dann ihre Schwiegertochter. Schließlich rückt sie von Margret ab und betrachtet sie. Margret trägt einen schicken Mantel und strahlt, wie wir sie schon lange nicht mehr strahlen sehen haben. BERTHA Du siehst gut aus, Margret. MARGRET Mir geht es auch viel besser. Sie legt die Hände an den Kopf. MARGRET (CONT’D) Tut nix mehr weh. Vor Freude zieht Bertha sie gleich noch einmal an sich. HansPeter umarmt seine Mutter auch gleich noch mal glücklich, von hinten, da wo noch Platz ist. 55
WOHNUNG KERKELING / KÜCHE I/T
55
Heinz, Margret, Hans-Peter und Jupp sitzen am Tisch. Bertha balanciert auf einer Hand eine Kasserolle mit Braten und hangelt sich mit der anderen hinkend an der Küchenzeile entlang zum Tisch. Heinz springt auf und nimmt ihr die Kasserolle ab. HEINZ Sag doch was ... Er stellt den Braten auf den Tisch und fängt an ihn aufzuschneiden und auszuteilen. HEINZ (CONT’D) Boh, riecht das gut. Er legt Margret eine Scheibe auf den Teller. Bertha tut allen Kartoffeln auf. Margret hält die Nase über die Bratenscheibe. MARGRET Ich riech das nich. Hans-Peter sieht seine Mutter beunruhigt an. HANS-PETER Wie, du riechs das nich ...? MARGRET Das is noch wegen der Operation.
42. Alle sehen sie bestürzt an. MARGRET (CONT’D) Aber das wird wieder, sagen die Ärzte. Hans-Peter probiert das Fleisch. HEINZ Schmecken auch nich? Margret schüttelt den Kopf. Er sieht sie bedauernd an. HANS-PETER Das ist so lecker, Mama. Margret nickt und lächelt tapfer. MARGRET Das wird schon wieder. 56
TREPPENHAUS / WOHNUNG JUPP
I/T
56
Hans-Peter schleppt mit Jupp ein langes Teil von Jupps auseinandergebautem Bett die Treppe hoch. Sie biegen damit in eine Einzimmerwohnung im oberen Stockwerk ein, kommen aber nicht um die Ecke. JUPP Du musst das höher halten ... Hans-Peter gibt sich redlich Mühe und schließlich schaffen sie es und stellen das Teil neben den anderen Bettteilen ab. Hans-Peter schaut sich in der ansonsten noch leeren kleinen Wohnung um. HANS-PETER Warum musste denn unbedingt ausziehen? Jupp sieht den verlorenen Blick seines kleinen Bruders und legt ihm die Hand auf die Schulter. JUPP Wenn was is, kommste rauf. Hans-Peter nickt, halbwegs beruhigt. 57
WOHNUNG KERKELING / KÜCHE I/T Margret schiebt auf dem Küchentisch nervös und fahrig Zettelchen mit Namen herum. MARGRET Wer sitzt denn jetzt wo?
57
43. HANS-PETER Wo sitz ich denn? MARGRET Am Kopfende natürlich. Du bist doch die Hauptperson. HANS-PETER Tante Lisbeth soll neben mich ... und Onkel Kurt sitzt ganz unten ... Er deutet zum anderen Ende einer imaginären langen Tafel. HANS-PETER (CONT’D) Den hör ich sowieso. Er macht Kurts gut aufgelegte, laute Art nach. HANS-PETER (ALS KURT) (CONT’D) Wat ham wer uns lang nich gesehen, Kinners. Er wendet sich an eine imaginäre Annemarie neben sich. HANS-PETER (ALS KURT) (CONT’D) Setz dich her zu mir, Muttilein. Margret hört auf Zettel zu schieben und lacht. Eifrig legt Hans-Peter nach ... HANS-PETER (CONT’D) Und Tante Veronika gegenüber von Jupp ... nur für den Fall, dass sie sich vorbeugt ... Er beugt sich über den Tisch und deutet mit den Händen an, dass sein Busen aus dem Dekolleté quillt. Margret prustet los. HANS-PETER (CONT’D) Tante Gertrud kannst du neben Oppa Hermann setzen. Der hört nicht mehr so gut. Er macht Gertruds schrille Stimme nach ... HANS-PETER (ALS GERTRUD) (CONT’D) Ich nehm noch ne Scheibe, das is ganz mager, das macht nicht dick ... ach gib mal gleich zwei ... Margret lacht ihre ansteckende herzliche Lache. Hans-Peter freut sich darüber, betrachtet seine lachende Mutter glücklich. Ihr lachen geht über in...:
44. 58
WIESENLANDSCHAFT - AUSSEN/TAG
58
Hans Peter galoppiert über die Wiesen. Im Hintergrund die bekannte Ruhrgebietssilhouette. Es ist, als wolle der Junge vor etwas Reißaus nehmen. HANS-PETER (9) V.O. Vielleicht hätte ich mich noch mehr anstrengen sollen. Mama mochte meine Späße. Wenn Menschen lachen, dann schüttet der Körper ein bestimmtes Glückshormon aus. Das ist sehr gesund... Schokolade, Sonne und der Geruch von Orangenblüten macht so was auch. Es war ganz einfach für mich, Mama zum Lachen zu bringen. Völlig verausgabt werden Reiter und Pferd langsamer. 59
HAUS BÖNKE / GARTEN
A/T
59
Anlässlich von Hans-Peters Erstkommunionsfeier ist im Garten mit Hilfe aller zur Verfügung stehender Tische eine lange Tafel aufgebaut worden. Die üblichen Verdächtigen und dazu noch etliche, die wir noch nicht kennen, haben daran Platz genommen. Es wird gegessen, geplaudert und gelacht. HansPeter sitzt in seinem Kommunionsanzug am Kopfende. Onkel Kurt ruft Tante Lisbeth, die in ihrem Ornat neben HansPeter sitzt, zu ... KURT Lisbeth, du hast dat verwechselt, dat is nich Karneval. Er lacht über seinen gelungenen Witz. Tante Lisbeth und HansPeter tauschen ein verschwörerisches Lächeln. Annemarie, die Zarah-Leander-Imitatorin, beugt sich zu Kurt. ANNEMARIE Meinste, ich soll jetz wat singen? ... Oder nach dem Essen? KURT Wie du magst, Muttilein. Oma Bertha, die den beiden gegenübersitzt, hat das mitbekommen und beugt sich diskret über den Tisch. BERTHA Annemarie, ich glaub, das passt nich so richtig zu ner Kommunion.
45. ANNEMARIE Ich kann ja was Trauriges singen. BERTHA Das passt auch nich richtig. ANNEMARIE Was Feierliches? BERTHA Das ham wir doch schon in der Kirche gehabt. Bertha wird abgelenkt, weil Margret mit einer halb vollen Platte hinter ihr vorbeigeht, die sie zum anderen Ende des Tisches bringt. BERTHA (CONT’D) Was rennst du denn die ganze Zeit rum? MARGRET Die wollen da auch was von. Bertha zeigt auf eine Platte mit derselben Speise, die bereits am Ende des Tisches steht. BERTHA Die ham doch schon was. Margret bringt die Platte zurück zum Kopfende des Tisches. Hans-Peter beobachtet sie. Margret wirkt abwesend, als wäre sie nicht ganz bei sich. Heinz macht eine einladende Geste, Margret soll sich wieder neben ihn setzen, doch sie ignoriert das, nimmt sinnlos eine andere Platte und macht sich damit auf den Weg. Bertha hat die Nase voll. Sie steht auf, nimmt Margret die Platte aus der Hand, stellt sie auf den Tisch und führt Margret zu ein paar etwas abseits stehenden, neu lackierten Gartenstühlen. BERTHA (CONT’D) Du setzt sich jetz ma hin. Sie drückt Margret in einen Stuhl und setzt sich neben sie. Hans-Peter schaut zu ihnen hin. BERTHA (CONT’D) Die fragen schon alle, was mit dir is. MARGRET Is doch nichts. BERTHA Margret, man sieht, dass was nicht stimmt.
46. Margret schaut abwesend zum Tisch und will aufstehen. BERTHA (CONT’D) Wo willse hin? MARGRET Da fehlt Brot ... Bertha drückt sie zurück auf den Stuhl. BERTHA Du bleibst jetzt da. Es ertönt Gesang. Da Bertha nicht da war, um es zu verhindern, singt Annemarie mit voller Leidenschaft wie Zarah Leander die getragene Einleitung von “Davon geht die Welt nicht unter“. Bertha sieht Margret eindringlich an. BERTHA (CONT’D) Du musst dich behandeln lassen. MARGRET Is doch jetz gut mit den Kiefernhöhlen. BERTHA Nicht deswegen. Hans-Peter sieht von seinen Platz aus, wie Margret den Kopf schüttelt und Bertha wieder auf sie einredet. Er kann nicht hören, was sie sagen, aber er kann sehen, dass es ernst ist. Lisbeth merkt, was mit ihm los ist, und nimmt seine Hand. BERTHA (CONT’D) ... Du musst in eine Klinik gehen. MARGRET Ich war schon in einer Klinik und jetzt kann ich nichts mehr riechen und nichts mehr schmecken. Ich geh in keine Klinik mehr. Margret steht unruhig auf. Bertha zieht sie wieder auf den Stuhl. BERTHA Margret, jetz wart doch ma ... MARGRET Ich geh in keine Klinik mehr! Hans-Peter erträgt es nicht mehr, die beiden zu sehen. Er entzieht Lisbeth seine Hand, springt auf, stellt sich auf seinen Stuhl und setzt mit Annemarie zum großen Refrain an ....
47. ANNEMARIE / HANS-PETER Davon geht die Welt nicht unter .... Hans-Peter animiert die anderen Gäste mit Gesten mitzusingen. ANNEMARIE / HANS-PETER / GÄSTE ... sieht man sie manchmal auch grau Einmal wird sie wieder bunter Einmal wird sie wieder himmelblau ... Hans-Peter schmettert den Refrain, als wolle er alle Probleme zwingen von selbst zu verschwinden. Margret erreicht der optimistische Text nicht. Sie sitzt in sich gekehrt da. 60
KRANKENHAUS RECKLINGHAUSEN
I/T
60
Margret geht durch die sterile Eingangshalle des Kreiskrankenhauses Recklinghausen. Patienten und Besucher kommen ihr entgegen oder stehen in der Raucherecke um einen Aschenbecher herum, rauchen und unterhalten sich. Später: In einem Gang sitzt Margret auf einer Metallbank und wartet. Ärzte kommen und gehen aber keiner scheint sich für sie zuständig zu fühlen. Schließlich entdeckt Margret ihren gewünschten Arzt am Ende des Ganges im Gespräch mit zwei weiteren Ärzten. In seiner Hand hält er eine Kaffeetasse. Margret fasst sich ein Herz, geht auf ihn zu. MARGRET Dr. Lessen? Verzeihung. Der Arzt dreht sich zu ihr um, sieht sie einen Moment ratlos an. Ja?
DR. LESSEN
MARGRET Mein Name ist Kerkeling. Haben Sie einen Moment? Ungehalten nippt Dr. Lessen an seinem Kaffee. DR. LESSEN Ich hab eigentlich Pause gerade. Später: In seinem Behandlungszimmer sitzt Dr. Lessen einer am Boden zerstörten Margret gegenüber. Niedergeschlagen blickt sie zu ihm auf. Nie mehr?
MARGRET
48. Der Arzt blättert in seinen Unterlagen, sieht sie mitfühlend an. DR. LESSEN Wenn der Geruchssinn nach 2 Monaten nicht wieder hergestellt ist, müssen wir diese Möglichkeit leider in Betracht ziehen. MARGRET Und das Schmecken? DR. LESSEN Ich befürchte, bei der Operation wurde ein Hirnnerv verletzt. Der ist zuständig, um die Informationen von den Geschmacksknospen zum Hirn zu leiten. Es passiert selten... Eine Krankenschwester steckt den Kopf durch die Tür. KRANKENSCHWESTER Dr. Lessen? Herr Dr. Sailer wartet auf Station 13. Dr. Lessen steht auf, reicht Margret die Hand. DR. LESSEN Warten wir mal ab. Wer weiß. Manchmal geschehen auch Wunder. Er nickt ihr freundlich zu, verschwindet nach draußen. Für Margret bricht eine Welt zusammen. 61
WOHNUNG KERKELING / KÜCHE I/T
61
Gedankenverloren sitzt Margret am Küchentisch und starrt vor sich hin. Hans-Peter kommt mit einem Teller mit einem gebratenen Fischfilet und Kartoffeln zu ihr und serviert ihn seiner Mutter. Er bringt den damals berühmten Satz eines Fernsehkochs der 70er. HANS-PETER Ich habe da schon mal was vorbereitet ... Jupp folgt ihm mit zwei Tellern für sich und Hans-Peter und fährt nicht ganz ernst gemeint dazwischen .... JUPP Ey ... ICH hab was vorbereitet. Hans-Peter zuckt grinsend mit den Schultern. Margret sieht den Fisch und schaut besorgt zum Herd. MARGRET Riecht das hier nach Fisch?
49. JUPP Nein, Mama, gar nicht. Er grinst. JUPP (CONT’D) Ich riech nur dein Parfüm! Margret zuckt unsicher zusammen. MARGRET Is zu viel? Jupp schüttelt schnell den Kopf. JUPP Ach was. Egal. Hans-Peter gießt ein bisschen flüssige Butter über Margrets Filet und dann über seins. HANS-PETER Ein Tipp von Ihrem Fernsehkoch: Butter bei die Fische. Sie probiert lustlos, ohne irgendwas zu schmecken. Jupp und Hans-Peter tauschen einen besorgten Blick. HANS-PETER (CONT’D) Der Fisch schmeckt so zart und die Butter macht das ein bisschen kräftiger .... kannst du dir das vorstellen? Margret nickt vage. Bisschen.
MARGRET
JUPP Nimm dir Salat, Mama. Margret tut wie geheißen und isst ein Blatt Salat. MARGRET Das knackt wenigstens. Sie lächelt tapfer, isst noch mehr Salat. HANS-PETER Du kannst aber jetzt nich immer nur Salat essen, Mama. Sie reagiert nicht darauf. CUT TO
50. Jupp macht eine Folie über den Teller mit Margrets Fischfilet und stellt ihn in den Kühlschrank. Margret hat abgewaschen und ist dabei das Spülbecken auszuwischen. Hans-Peter trocknet die Teller ab und stellt sie weg. Margret setzt sich auf einen Stuhl mit dem Rücken zum Fenster und starrt auf die Tür. JUPP Ich geh dann ma rauf. Jupp winkt kurz verlegen und geht hinaus. Hans-Peter hängt das Geschirrtuch auf. Er sieht seine Mutter an. Er weiß nicht, was er tun soll. Spontan macht er Hans Moser nach. HANS-PETER Meng’S aan Heirigen, gnä’ Frau? Da geht’s Eaner glaach bessa .... Margret dreht verwundert den Kopf zu ihm. Immerhin eine Reaktion. Hans-Peter macht weiter. HANS-PETER (CONT’D) Ja, wissen’S leicht, wer i bin? MARGRET Hans Moser. HANS-PETER Des ham’S pfeigrad derkennt. Sie lacht zwar nicht, aber er hat ihre Aufmerksamkeit. Er zeigt auf den Küchenschrank und legt mit Jürgen von Manger nach. HANS-PETER (CONT’D) Da genau in die Vitrine, wo der alte Oppa sich gerade anlehnt, da liegen die Kronjuwelen vonne Lisbeth Windsor drin. Wussten Se dat schon? Margret lacht. Tatsächlich sie lacht. MARGRET Jürgen von Manger ...! Hans-Peter deutet bestätigend mit dem Finger auf sie. Jetzt nicht nachlassen. HANS-PETER Warte ma ... warte ... Hans-Peter läuft hinaus. Margrets Blick kehrt sich wieder nach innen. Nach kurzer Zeit hört man die Einleitung zu “Spaniens Gitarren“ von draußen.
51. HANS-PETER (OFF) (CONT’D) Ringdingeding dingedingdingeding dingeding ... Olé! Mit dem Olé! springt er in den Türrahmen. Er hat sich einen Fransenschal als Frauenhaare auf dem Kopf drapiert. Er gibt Cindy von Cindy und Bert. Er schüttelt sein “Haar“ und schmettert in sein “Mikrofon“. HANS-PETER (ALS CINDY) (CONT’D) Spaniens Gitarren begleiten die Verliebten seit ewigen Zeiten Es muss Nacht sein, es muss Nacht sein und da muss viel Musik sein, Senhor Margrets Blick wendet sich wieder nach draußen. Sie sieht ihn an. Hans-Peter reißt sich die Fransen vom Kopf, tritt einen Schritt neben “Cindy“ und gibt Bert eine Terz tiefer und mit einem ungeschickt-steifen Step-touch-Tanzschritt. HANS-PETER (ALS BERT) (CONT’D) Spaniens Gitarren, die spielen, als ob sie mit den Liebenden fühlen Hans-Peter hüpft an Cindys Stelle, Fransen schnell auf den Kopf. HANS-PETER (ALS CINDY) (CONT’D) Es muss Nacht sein ... Fransen ab, Berts Platz, Step-Touch. HANS-PETER (ALS BERT) (CONT’D) .... es muss Nacht sein ... HANS-PETER (ALS CINDY) (CONT’D) .... dann kommt Spanien ... HANS-PETER (ALS BERT) (CONT’D) .... so spanisch dir vor Margret muss laut lachen. Sie lacht so laut und so herzlich wie früher. Hans-Peter ist glücklich. Sein Gesicht im Close up. 62
HAUS BÖNKE
A/T
62
Der grüne R4 hält vor dem Haus. Heinz steigt aus, holt Reiseund Werkzeugtasche aus dem Auto und geht ins Haus.
52. 63
HAUS BÖNKE / HAUSFLUR I/T
63
Heinz geht zur Wohnungstür, als die Tür gegenüber aufgeht. Opa Willi schaut heraus. WILLI Ich muss mit dir reden. HEINZ Ich muss erst mal ... Er macht eine Bewegung zu seiner Wohnung hin. WILLI Nee. Musse nich. Opa Willi ist ziemlich geladen und schaltet einen Gang hoch. WILLI (CONT’D) Weißt du überhaupt, was hier los is? Nee, weiße nich, du bis ja nie da. Willi regt sich immer mehr auf. WILLI (CONT’D) Der Junge sitzt seit Monaten inner Wohnung und passt auf seine kranke Mutter auf. Ja. Margret is krank und das weiß du. Heinz macht eine hilflose Geste. HEINZ Was soll ich machen? Sie will partout in keine Klinik. Ich kann sie doch nich zwingen. WILLI Ich schau mir das nich mehr an. Heinz will etwas sagen, aber Willi lässt ihn nicht zu Wort kommen. WILLI (CONT’D) Erst ma muss der Junge raus. Er hat Ferien und da soll er was von haben. Der Junge muss ma anne frische Luft. 64
WOHNUNG KERKELING / FLUR I/T
64
Hans-Peter steht im Flur und hört das Gebrüll seines Opas ein wenig verschreckt, aber mit aufkeimender Hoffnung.
53. WILLI (OFF) Da brauchen wir gar nicht drüber reden. 65
SALZBURGER LAND A/T
65
Opa Willi und Hans-Peter wandern mit Tirolerhüten auf dem Kopf und Spazierstöcken durch bewaldetes Bergland. Sie tragen beide kleine Rucksäcke und sind in alberner Stimmung. HansPeter lässt den Blick schweifen. HANS-PETER Bäume, Bäume, Bäume. WILLI So ne und so ne und so ne. Hans-Peter hebt einen geöffneten Kiefernzapfen auf. HANS-PETER Alles Bäume. Sie kichern. Hans-Peter fällt auf, dass Willi einen Fuß beim Laufen ein bisschen weniger belastet. HANS-PETER (CONT’D) Was hast du? WILLI Nix. Dat sind nur die Zehen, die ich mir in Sibirien abgefroren hab. HANS-PETER Die könn es nich sein. Sind ja nicht mehr da. WILLI Sag ich ja. .... Ich hab nix. Er lacht und weil er außer Atem ist, klingt das Lachen ein bisschen schnarchend. Hans-Peter macht seine Lache nach. WILLI (CONT’D) Machst du mich nach? Hans-Peter bricht eine Reihe Kiefernzapfenzähne ab und steckt sie sich unter die Oberlippe. Wegen der Zapfenzähne nuschelt er. HANS-PETER Wie kommsche denn da drauf? Hans-Peter macht mit den vorstehenden Zähnen die schnarchende Lache nach. Willi sieht Hans-Peter mit dem eigenwilligen Gebiss und stimmt in die schnarchende Lache ein. Hans-Peter zeigt wichtig auf die Bäume und nuschelt ...
54. HANS-PETER (CONT’D) Bäume, Bäume, Bäume. .... Scho ne und scho ne und scho ne. Sie kriegen sich nicht mehr ein vor Lachen und kultivieren beide das schnarchende Geräusch dabei. Wir hören die Lache noch eine ganze Weile, während die beiden sich langsam entfernen. CUT TO Wir sehen Willi und Hans-Peter aus der Ferne, wie sie über einen Hügelkamm wandern. Schließlich bleiben sie stehen und schauen. 66
WOHNUNG KERKELING / FLUR / KÜCHE I/T
66
Heinz kommt mit Hans-Peter und Willi in die Wohnung. HansPeter und Willi haben ihre Tirolerhüte auf dem Kopf. Heinz trägt Hans-Peters Reisegepäck und stellt es im Flur ab. HEINZ Mama geht es heute nich so gut. Hans-Peter geht in die Küche. Die anderen beiden folgen ihm. Margret sitzt auf ihrem üblichen Stuhl. Jupp steht am Herd und schüttet Nudeln ins kochende Wasser. JUPP Da seid ihr ja wieder. Er packt Hans-Peter am Kragen und zieht ihn mit grober Zärtlichkeit an sich. Was n das?
JUPP (CONT’D)
Er schnappt sich Hans-Peters Hut und setzt ihn selbst auf. HANS-PETER N Tirolerhut. JUPP Und wie war’s in den Bergen? Super
HANS-PETER
Margret schaut Hans-Peter an, ohne auf seine Ankunft zu reagieren. Heinz versucht zu retten ... HEINZ Schau mal, wer da ist.
55. Margret reagiert immer noch nicht. Hans-Peter geht zu ihr und sieht sie ratlos an. HANS-PETER Freust du dich denn gar nich, dass ich wieder da bin? Margret senkt beschämt den Kopf. MARGRET Doch natürlich. Das hört sich mechanisch an. Willi platzt der Kragen. Es ist ihm egal, dass Hans-Peter zuhört. WILLI Tu doch wenigstens so, als ob du dich freust. Herrgott noch mal, dein Junge war zwei Wochen weg. HEINZ Es geht ihr nicht gut, Willi. Jupp wuschelt Hans-Peter durch die Haare. JUPP Da kann ER aber nichts für. Er geht aus der Küche, knallt die Tür hinter sich zu. Margret sieht Hans Peter hilflos an, ihr Blick ist unendlich leer. Hans-Peter ist nahe dran zu weinen. 67
WOHNUNG KERKELING / WOHNZIMMER
I/N
67
Klimbim ist gerade zu Ende. Das Ensemble singt das Schlusslied “Klimbim ist unser Leben“. Hans Peter singt mit und folgt dabei Ingrid Steegers Bewegungen. MARGRET (OFF) Hans-Peter ...? Hans-Peter dreht sich um. Seine Mutter steht in der Tür. Sie ist bettfertig und trägt ihren geblümten Bademantel. MARGRET (CONT’D) Ich geh jetzt schlafen. Du kannst so lange fernsehen, wie du willst. Sind ja noch Ferien. HANS-PETER Kommt Papa? MARGRET Morgen früh erst. Der hat Nachtschicht.
56. HANS-PETER Gute Nacht, Mama. Sie lächelt ihn kurz an und geht. Hans-Peter schaut ihr einen Moment lang nach. Irgendwas kommt ihm komisch vor. Für einen Moment sehen wir in Margrets Gesicht. CUT TO Auf dem Bildschirm erscheint SENDESCHLUSS. Danach das Testbild begleitet von dem Pfeifton. Hans-Peter schaltet den Fernseher aus. 68
BADEZIMMER/ HAUS KERKELING - I/N
68
Hans Peter putzt sich brav die Zähne. Das Haus ist ganz still. Hans Peters sorgenvoller Blick im Spiegel. 69
WIESENLANDSCHAFT - AUSSEN/TAG
69
Hufschläge . Ein Pferd jagt mit großer Geschwindigkeit durch die Wiesenlandschaft. Hans-Peters Gesicht in einer Großaufnahme. Anspannung. Erschöpfung. Darüber seine Stimme. HANS-PETER (9) V.O. Ich hätte mich mehr anstrengen sollen... Man kann alles erreichen, wenn man nicht aufgibt. Mama mochte meine Späßchen. Niemand konnte sie so zum Lachen bringen wie ich... In einiger Entfernung kommt das Pferd zum Stehen. 70
FLUR / SCHLAFZIMMER
I/N
70
Hans-Peter geht durch den Flur zu seinem Zimmer. An der Tür zögert er, dreht um und geht zum Elternschlafzimmer. Er öffnet leise die Tür und schaut hinein. Margret liegt im Bett und schläft fest. Hans-Peter macht die Tür hinter sich zu, legt sich neben sie, zieht sich die Decke zurecht und macht die Augen zu. CUT TO Hans-Peter wacht auf. Er schlägt die Augen auf. Etwas hat ihn geweckt. Er dreht den Kopf zu seiner Mutter. Irgendwas scheint mit ihr nicht in Ordnung zu sein. Sie atmet komisch. Hans-Peter versucht zaghaft sie zu wecken.
57. HANS-PETER Mama .... Mama .... Er fasst sie vorsichtig an der Schulter an. HANS-PETER (CONT’D)
Mama ...
Sie reagiert nicht. Hans-Peter lauscht angespannt. Er ist nicht in der Lage, irgendetwas zu tun. In seiner Not ruft er, aber nur geflüstert ... HANS-PETER (CONT’D)
Opa ....
Der Wecker mit den leuchtenden Zeigern auf dem Nachttisch zeigt 2:24. Hans-Peter liegt mit offenen Augen im Bett. Er dreht seinen Kopf zum Wecker. Der Wecker zeigt 5:03 Die Schlafzimmertür wird leise geöffnet. Heinz kommt herein. Hans-Peter richtet sich auf und flüstert .... HANS-PETER (CONT’D) Papa, der Mama geht es nicht gut. Heinz macht Licht an. Er sieht Margret leblos im Bett liegen, rennt zu ihr, rüttelt sie und schreit. HEINZ Margret, was ist mit dir? Sie reagiert nicht. Heinz schnappt sich Hans-Peter und trägt ihn hinaus. 71
ZIMMER HANS-PETER
I/N
71
Heinz schiebt Hans-Peter in sein Kinderzimmer. Bleib da.
HEINZ
Er macht die Tür zu. Hans-Peter bleibt allein. Hans-Peter steht ratlos mitten im Zimmer und horcht auf die Geräusche von draußen. Er hört, dass telefoniert wird. Er hört, wie im Flur herumgelaufen wird, die Stimme seines Opas. WILLI (OFF) Margret ... ! ... Margret ....!
58. Eine Sirene nähert sich. CUT TO Hans Peter schaut durch das Schlüsselloch seines Zimmers. Seine Mutter wird von Sanitätern auf einer Trage aus der Wohnung getragen. Sie hat eine Atemmaske auf. Heinz hält ihre Hand. Die Wohnungstür fällt hinter ihnen zu. Hans-Peter läuft hinaus. 72
WOHNZIMMER
I/A/T
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Hans-Peter läuft ins Wohnzimmer und schaut aus dem Fenster. Es wird gerade hell. Die Trage wird in den Rettungswagen geschoben. Sein Vater steigt mit ein. Der Rettungswagen fährt mit Sirenengeheul ab. Opa Willi bleibt alleine vor dem Haus zurück. Er schaut dem Rettungswagen nach, macht ein paar unsichere Schritte zu einem alten Auto-Anhänger, der am Straßenrand geparkt ist, und setzt sich auf den Rand. Er sieht aus, als würde er nie wieder hochkommen. 73
SCHLAFZIMMER
I/T
73
Hans-Peter geht ins Schlafzimmer. Er schaut auf das ungemachte Bett, aus dem eben seine Mutter abtransportiert wurde. Er geht zum Fenster und öffnet die Läden. Morgenlicht fällt herein und ein Brief, der zwischen die Läden geklemmt war, fällt auf den Boden. Hans-Peter bückt sich danach und dabei sieht er noch etwas anders: Unter dem Bett steht ein Glas. Er holt es raus. Es ist verschmiert mit aufgelösten Tablettenresten. 74
HAUS BÖNKE / HAUSFLUR I/T
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Hans-Peter kommt mit Brief und Glas aus der Wohnung. Die Wohnungstür von Opa Willi gegenüber steht offen. Hans-Peter sieht seinen völlig verwirrten Bruder die Treppe von seiner Wohnung herunterkommen. JUPP Was is los? 75
WOHNUNG BÖNKE / KÜCHE I/T
75
Jupp und Hans-Peter sitzen mit Opa Willi am Küchentisch. Das Glas steht auf dem Tisch. Jupp liest den Brief still für sich.
59. Willis Augen schwimmen in Tränen. Jupp und Hans-Peter sind viel zu schockiert, um zu weinen. 76
HAUS BöNKE / STRAßE
A/T
76
Hans-Peter sitzt auf den Stufen des Hauses und schaut auf die Straße. Weiter unten spielt die übliche Kinderbande und Leitung von Silvia Ball. Hans-Peter schaut hin, aber sie scheinen unendlich weit weg. Silvia winkt ihm, er soll kommen. Er reagiert nicht darauf. 77
WOHNUNG KERKELING / KÜCHE I/T
77
Hans-Peter und Opa Willi sitzen am Tisch. Gertrud bringt einen Suppentopf. HANS-PETER Kommt Papa? Gertrud schüttelt den Kopf. GERTRUD Heut Abend vielleicht. Gertraud teilt Suppe aus. Sie wendet sich an Hans-Peter. GERTRUD (CONT’D) Die Mama war heute das erste Mal wach ... Hans-Peter sieht sie überrascht an und auch für Willi scheint das neu zu sein. GERTRUD (CONT’D) Sie hat gleich nach dir gefragt. Hans-Peter sieht sie skeptisch an. GERTRUD (CONT’D) Sie lässt dich grüßen und freut sich drauf bald wieder nach Hause zu kommen. Du lügst.
HANS-PETER
GERTRUD Wie ... ich lüge? Geht’s noch? Sie stellt einen Suppenteller vor Hans-Peter hin. HANS-PETER Ich mag keine Suppe.
60.
Jetz iss.
GERTRUD
HANS-PETER Nein. Ich ess keine Suppe. GERTRUD Das wollen wir doch mal sehen ... Hans-Peter schiebt den Teller langsam und provozierend von sich weg. HANS-PETER Du bist nicht meine Mutter, Tante Gertrud. Gertrud schnappt empört nach Luft und will was sagen. Willi lässt sie nicht zu Wort kommen. WILLI Gertrud, der Junge mag keine Suppe. Jetzt akzeptier’ das! Gertrud ist verärgert, aber sie sagt nichts mehr. 78
STRAßE / HAUS BöNKE
A/T
78
Hans-Peter geht mit Silvia von der Schule nach Hause. Silvia hüpft munter neben ihm her, dann winkt sie ihm zum Abschied und läuft zu ihrem Haus. Hans-Peter geht weiter, da bemerkt er noch ein Stück weg seine Cousine Marion vor seinem Haus. Sie ist ganz schwarz angezogen und wartet offensichtlich auf ihn. Hans-Peter wird klar, was das bedeutet. Er muss sich dazu zwingen weiterzugehen. Marion bemerkt ihn und geht ihm entgegen. Sie breitet ihre Arme aus. MARION Ach, Hans-Peter ... Hans-Peter sieht ihre mitleidvolle Miene, schlägt einen Haken und schlüpft unter ihren Armen durch. Er rennt ins Haus. 79
WAGEN HEINZ / LANDSTRAßE I/A/T
79
Heinz und Hans-Peter fahren im grünen R4. Sie schweigen. HansPeters Gesicht ist verweint. 80
BOCKHOLT / HAUS KERKELING / WOHNZIMMER I/T Heinz, Hans-Peter, Oma Bertha und Opa Hermann sitzen am Tisch. Heinz hat ihnen die Nachricht überbracht.
80
61. Opa Hermann weint hemmungslos, Bertha starrt vor sich hin. Man hört das Ticken der Standuhr. Bertha steht auf, hinkt zur Standuhr und hält das Pendel an. Das Ticken hört auf. Heinz sieht sie an. HEINZ Mama, würdest Du zu uns ziehen? Bertha sieht in schockiert an. Was?
BERTHA
HEINZ Niemand kann sich so gut um die Kinder kümmern wie du. BERTHA Heinz, ich bin über 70. Wer weiß denn, wie lang ich noch lebe? Einen Moment lang ist es ganz still. Hans-Peter geht zu Bertha. HANS-PETER Oma ... bitte ... Bertha laufen die Tränen über das Gesicht. Hermann und Bertha tauschen einen Blick. BERTHA Dann geh ich ma packen. Sie hinkt hinaus. Sie macht die Tür hinter sich zu, aber man hört sie trotzdem draußen schluchzen. Hermann räuspert sich verlegen. HERMANN Mach dir keine Sorgen, Junge, deine Oma wird steinalt. CUT TO Bertha taucht mit einer kleinen Reisetasche in der Hand in der Wohnzimmertür auf. Heinz und Hans-Peter machen sich abmarschbereit und auch Hermann steht auf. Bertha schaut sich noch mal im Wohnzimmer um, als wüsste sie schon, dass sie nie mehr hierher zurückkehren wird. 81
HAUS KERKELING / WAGEN HEINZ
A/T
81
Opa Hermann schaut zu, wie Heinz Berthas kleine Reisetasche in den Wagen stellt. Hans-Peter steigt hinten ein, Bertha vorne. Sie dreht sich zu ihm um.
62. BERTHA Soll ich morgen Rouladen machen? Die magste doch. Hans-Peter sieht sie dankbar an und nickt. 82
WOHNUNG KERKELING / FLUR / WOHNZIMMER
I/T
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Heinz, Bertha und Hans-Peter betreten die Wohnung. Sie hören schon im Flur Tante Gertrud im Wohnzimmer reden. GERTRUD Was soll jetz bloß mit den Jungs werden? Die ham doch keinen mehr ... Und dann in etwas theatralischer Opferhaltung ... GERTRUD (CONT’D) Da muss ich wohl einspringen ... was soll ich sonst machen? Die drei biegen ins Wohnzimmer. Es ist voll mit schwarz gekleideter Verwandtschaft. BERTHA Das is nich nötig, Gertrud. Ich werd mich um die Jungs kümmern. Alle schauen zu den Neuankömmlingen. Oma Bertha hat sich in der Eile nicht umgezogen und hebt sich von der schwarzen Gruppe ab. Jupp sieht Bertha erleichtert an. Gertrud ungläubig. GERTRUD Du? ... Bertha, du bis 72. Und dann noch mit deiner Hüfte ... BERTHA Gut, dass du’s sagst. Hat ma einer n Stuhl? Jupp springt auf und bringt Bertha seinen Stuhl. Als sie sich hinsetzt, gibt er ihr einen dankbaren Kuss auf die Backe. 83
STRAßE
A/T
83
Heinz, Jupp, Hans-Peter, Bertha, Hermann und Willi sind auf dem Weg zu Margrets Beerdigung. Bertha hat Hermann untergehakt, der nicht mehr gut sieht. Hans-Peter trottet mit gesenktem Kopf an Berthas anderer Hand. Es wird wenig feierlich gestritten. BERTHA Das is Blödsinn, dass der Junge mit muss.
63. WILLI Der Junge muss mit. Da gibbet kein Vertun. BERTHA Wer sagt das? HEINZ Das gehört sich. BERTHA Wer sagt das? WILLI Mann, Bertha, die halbe Stadt kommt ... Er deutet mit dem Kopf Richtung Hans-Peter. WILLI (CONT’D) ... und den Pfarrer hat er in Religion. BERTHA Geh mir weg mit dem Pfarrer. Hans-Peter sieht seine Oma verwirrt an. Sie merkt, dass sie es besser lassen sollte, aber einen muss sie noch loswerden: BERTHA (CONT’D) Der kann mir gestohlen bleiben. 84
KIRCHE
A/T
84
Die Familie nähert sich der Kirche. Davor stehen etliche Grüppchen von Trauergästen. Tante Lisbeth kommt auf HansPeter zu und umarmt ihn fest. Bertha nimmt Blickkontakt mit Veronika, der Partymaus, Annemarie, der Zarah-Leander-Sängerin, und Kurt, ihrem Ehemann auf. Die drei kommen zur Familie. Während Annemarie und Kurt allen kondolieren, beugt sich Veronika zu HansPeter. VERONIKA Du kommst mit uns, Hans-Peter. Ehe jemand widersprechen kann, nehmen Annemarie und Veronika Hans-Peter an die Hand und gehen mit ihm Richtung Kirche. Annemarie beugt sich zu ihm runter. ANNEMARIE Wir stehen dat durch, Hans Peter. Wir sind doch nich aus Zucker.
64. 85
KIRCHE
I/T
85
Die kleine Kirche ist voll besetzt mit Trauergästen. Hans-Peter sitzt ganz hinten zwischen Veronika und Annemarie, die beide seine Hände nicht loslassen. Über ihm dröhnt die Orgel, er schaut auf die schwarzen Rücken vor ihm und hat sich in seiner Starre irgendwie eingerichtet. Das ändert sich, als sich die Frau vor ihm zur Seite beugt und ihrer Nachbarin was ins Ohr flüstert. Hans-Peters Blick fällt dadurch auf den Blumen geschmückten Sarg vorne. Er zieht erschrocken die Luft ein und fängt an zu weinen. Die Tanten links und rechts halten seine Hände fester, aber das macht es nur noch schlimmer. Er schluchzt herzzerreißend. Heinz und Jupp reagieren auf das Weinen hinter ihnen, drehen sich aber lieber nicht ganz um. Veronika und Annemarie sehen sich an und beschließen stumm, dem ein Ende zu machen. Sie stehen auf und ziehen Hans-Peter mit sich aus der Kirche. Kurt folgt ihnen. 86
KIRCHE
A/T
86
Veronika zündet sich draußen als erstes eine Zigarette an. Annemarie begibt sich auf Augenhöhe mit Hans-Peter und drückt ihn an sich. Er hört nicht auf zu weinen. Schließlich hält sie ihn ein Stück von sich weg. ANNEMARIE Sollen wir wat singen? Hans-Peter ist so verblüfft, dass er aufhört zu weinen. Was?
HANS-PETER
ANNEMARIE Ich sing immer, wenn ich traurig bin. Hans-Peter sieht sie an, als sei sie komplett durchgeknallt. ANNEMARIE (CONT’D) Lass dir von niemand sagen, watte machen darfst, wenne traurig bis, und wat nich, hörste? CUT TO Der Sarg wird aus der Kirche getragen. Annemarie und Veronika begleiten Hans-Peter zu seiner Familie. VERONIKA Geh mit deinem Bruder und schau nich auf den Sarg.
65. Hans-Peter geht zu Jupp und der nimmt ihn in Empfang, indem er den Arm um ihn legt. 87
STRAßE
A/T
87
Der Trauerzug bewegt sich Richtung Friedhof. Jupp hat immer noch den Arm um Hans-Peter gelegt. Hans-Peter gibt sich große Mühe schräg am Sarg vorbeizuschauen. Hans-Peter beherzigt Annemaries Rat. Er singt zwar nicht, aber er hört in seinem Kopf das Zarah-Leander-Lied “Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“ als Instrumentalversion. 88
MONTAGE
88
“Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“ läuft weiter. Erinnerungsfetzen zeigen Close Ups von Margret. Margrets Lachen. Margrets Hand auf Hans-Peters Kopf. HansPeters kleine Patschhand auf dem Blumenmuster von Margrets Morgenmantel. Margrets Mund, der sich dem pausbäckigen HansPeter im Kinderwagen nähert. Gräser. Mohnblumen. Magrets Hand auf Hans-Peters Wange. Und wieder ihr Lachen. 89
WOHNUNG KERKELING / ZIMMER HANS-PETER / FLUR
I/T
89
Hans-Peter singt den letzten Refrain von “Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“ höchstselbst in einen Kochlöffel als Mikroattrappe. Er hat sich mit Hilfe eines Nachthemdes seiner Großmutter und dem bewährten Fransenschal als Perücke in Zarah Leander verwandelt. Die Tür wird aufgemacht, ganz in Schwarz schaut Gertrud herein und ruft entsetzt über ihre Schulter ... GERTRUD Guck dir das an, was der da macht ... Hinter Gertrud taucht Bertha auf. BERTHA Nu lass ihn doch. GERTRUD Also wirklich ... BERTHA Wenn es hilft ... Gertrud wendet sich an Hans-Peter.
66. GERTRUD Kommse ma zu uns inne Küche? ... Und zieh das Zeug aus. Hans-Peter geht zur Tür ... Nee.
HANS-PETER
.... und knallt sie zu. GERTRUD Also hör ma ... Hans-Peter hört von drinnen, was hinter der Tür gesprochen wird. GERTRUD (CONT’D) Du kommst jetzt sofort da raus, Hans-Peter. Wir sind extra wegen dir gekommen. BERTHA Das is ja nett gemeint, Gertrud, aber wir haben seit Wochen Leute inner Küche sitzen, die ihm erzählen, wie schlimm alles is. Das weiß der Junge doch selber. Hans-Peter reißt die Tür auf und ruft mit der Stimme von Kermit, dem Frosch. HANS-PETER Und Tschüß! Die Tür knallt wieder zu. Gertrud ist empört. GERTRUD Was is das denn für’n Benehmen? Tür auf. HANS-PETER Tschühüß ...! Tür zu. GERTRUD Du kannst einem wirklich Leid tun, Bertha. BERTHA Komm, wir trinken ma n’Kaffee ... Sie will Gertrud zur Küche lotsen, doch so schnell lässt die sich nicht ablenken.
67. GERTRUD Was zieht der sich überhaupt immer so ne Fummel an? BERTHA Weil er Spaß dran hat. GERTRUD Na, wenn das später mit den Mädchen losgeht, wird er den Quatsch schon lassen. Berthas Ton wird schärfer. BERTHA Jetz pass ma auf, der Hans-Peter bleibt Junggeselle. Hast du das verstanden? Der bleibt Junggeselle, das is ma klar. Ich sag das nur, damit du nich vor dem Jungen so’n Blödsinn von dir gibst. Gertrud starrt Bertha sprachlos an. Die Tür geht auf. HANS-PETER (ALS KERMIT) Applaus! Applaus! Applaus! 90
WOHNUNG KERKELING / KÜCHE
I/N
90
Margrets Rotlichtlampe klemmt am Küchenregal und taucht HansPeters Profil in sanftes Rot. Hans-Peter gibt Roy Black und singt schmachtend in sein Kochlöffel-Mikrofon. HANS-PETER Du bist nicht allein, wenn du träumst heute Abend Du bist nicht allein, wenn du träumst von der Liebe Es finden tausend junge Herzen heut keine Ruh Es haben tausend Menschen Sehnsucht genau wie du ... 91
WOHNUNG KERKELING / FLUR / KÜCHE
I/N
Bertha steckt den Kopf aus dem Schlafzimmer und horcht verwundert auf den Gesang. Sie geht im Nachthemd durch den Flur und wirft einen Blick in die Küche. Hans-Peter steht mit dem Rücken zu ihr, angestrahlt vom Rotlicht und singt HANS-PETER Du bist nicht allein, wenn du träumst heute Abend Du bist nicht allein, (MORE)
91
68. HANS-PETER (CONT'D) wenn du träumst von der Liebe Mit meiner Sehnsucht, meinen Träumen bin ich bei dir My Darling, du bist nicht allein, komm und träume mit mir ... Berthas Blick richtet sich auf Hans-Peters Publikum. Er singt für den leeren Stuhl, auf dem seine Mutter immer gesessen ist. 92
SCHERLEBECK / STRAßE LADEN ÄNNE A/I/T
92
Hans-Peter geht durch die bekannte Straße zur Tür von Oma Ännes Laden und schaut durch das Glas in der Tür hinein. Den Laden haben jetzt andere Leute. Lothar Rottmann, der neue Besitzer, steht hinter dem Tresen und bedient eine Kundin. Er ist ein mittelalter dickbäuchiger Mann im grauen Kittel. HansPeter drückt die Nase gegen die Scheibe und betrachtet traurig den vertrauten Laden mit den fremden Menschen. Der Besitzer wird auf ihn aufmerksam, scheucht ihn mit einer Handbewegung weg und blökt so laut, dass man es durch die Scheibe hört ... LOTHAR Mach, datte wech komms, du verschmiers mir die Scheibe. 93
SCHULE / KLASSENZIMMER I/T
93
Hans-Peter sitzt auf seinem Platz in der Klasse. Frau Klöker lässt ihren Blick über die Klasse schweifen. FRAU KLÖKER Habt ihr alle “Hans Dampf in Röllinghausen“ zu Ende gelesen? Viele rufen “Ja“ ein Stimmchen ruft ... MELANIE Hätten wir das zu Ende lesen sollen? Frau Klöker seufzt. FRAU KLÖKER Ja, Melanie, das hättet ihr zu Ende lesen sollen. Dann schaut sie mit neuem Elan in die Klasse. FRAU KLÖKER (CONT’D) Wer möchte denn bei dem Stück mitmachen?
69. Etliche Finger schießen in die Höhe. Hans-Peters Finger ist nicht dabei. Frau Klöker sieht ihn erstaunt an. FRAU KLÖKER (CONT’D) Was ist mit dir, Hans-Peter? Willst du nicht mitmachen? Hans-Peter schüttelt den Kopf. Frau Klöker meint vorsichtig ... FRAU KLÖKER (CONT’D) Das ist schade. Ich dachte, du könntest Hans Dampf spielen. Silvia unterstützt das lautstark mit ... SILVIA Applaus! Applaus! Applaus! Die Klasse lacht. Frau Klöker lächelt und sieht Hans-Peter an. FRAU KLÖKER Was meinst du? HANS-PETER Lieber nicht. Die Klasse reagiert enttäuscht, Frau Klöker ist besorgt. 94
WOHNUNG KERKELING / KÜCHE I/T Hans-Peter lässt in der Küche seine Schultasche entdeckt einen leckeren selbstgebackenen Kuchen Küchentisch. Doch auf dem Weg zum Tisch hält er Margrets Stuhl steht nicht mehr an seinem Platz Oma ...!
94 fallen. Er auf dem inne. am Fenster.
HANS-PETER
Die Dringlichkeit in seiner Stimme ruft Bertha sofort in die Küche. HANS-PETER (CONT’D) Wo ist der Stuhl? BERTHA Den hab ich weggetan. Wohin?
HANS-PETER
BERTHA Weg...In’n Müll.. Man sieht ihr an, dass sie sich nicht sicher wegen ihrer Aktion ist. Hans-Peter stratzt aus der Küche.
70. BERTHA (CONT’D) Ich hab gedacht, ist vielleicht besser, wenn du ihn nicht mehr ... Rumms. Hans-Peter hat die Tür seines Zimmers hinter sich zugeworfen. Bertha zuckt zusammen. 95
ZIMMER HANS-PETER
I/T
95
Hans-Peter sitzt mit dem Rücken zur Tür an seinem kleinen Tisch. Die Tür wird hinter ihm vorsichtig aufgemacht. BERTHA Hans-Peter .... Hans-Peter dreht sich nicht um. Sein Ton ist genervt. Was?
HANS-PETER
BERTHA Ich hab Kuchen gebacken. HANS-PETER Ich will kein Kuchen. BERTHA Wir müssen was besprechen .... Da kommt ne Frau vom Jugendamt. Hans-Peter tut, als ginge ihn das nichts an. BERTHA (CONT’D) Die prüft, ob wir überhaupt in der Lage sind dich aufzuziehen ... ob wir nicht zu alt dafür sind. HANS-PETER Lass mich in Ruhe. Bertha merkt, dass es keinen Sinn hat. Sie zieht sich zurück und macht die Tür zu. Hans-Peter bleibt bockig sitzen, aber langsam ändert sich seine Miene. Er bekommt Angst. 96
WOHNUNG KERKELING / FLUR / KÜCHE I/T
96
Hans-Peter kommt aus seinem Zimmer. Ein ängstlicher kleiner Junge. Er geht langsam durch den Flur. Er hört die Stimmen seiner Großeltern aus der Küche. Als er in der Küchentür steht, kann er sie auch verstehen. HERMANN ... Das wird schon gut gehen.
71. BERTHA Und wenn sie merkt, dass ich kaum laufen kann? HERMANN Das merkt se nich. Du bleibst da sitzen ... Er deutet auf Berthas Platz auf der Eckbank. HERMANN (CONT’D) .... und ich hol se rein. BERTHA Und wenn se merkt, dass du kaum was siehs? Hermann wird klar, dass das ein Problem werden könnte. HANS-PETER Das üben wir, Opa. Bertha und Hermann sehen Hans-Peter überrascht an. CUT TO Hermann öffnet die Wohnungstür. Hans-Peter steht davor. Er spielt die Frau vom Jugendamt als leicht schnippische Person und gewinnt zunehmend Spaß daran. HANS-PETER (CONT’D) Guten Tach, Herr Kerkeling. HERMANN Guten Tach, kommse rein. Hans-Peter tritt ein. HANS-PETER Das mach ich doch glatt. HERMANN Ich geh ma vor .... HANS-PETER Ich bitte darum. Er macht sich auf den Weg in die Küche, Hans-Peter folgt ihm. HERMANN Ham Sie gut hergefunden? Bertha ruft aus der Küche ... BERTHA Nicht reden! Konzentrier dich auf das Gehen.
72. Hermann stößt an die Kommode im Flur. Hans-Peter legt kurz die Rolle ab. HANS-PETER Oppa ... die steht doch schon immer da. Hermann nickt Richtung Bertha. HERMANN Wenn die mich ablenkt .... BERTHA Du solls nich reden. HERMANN Und wenn die was sagt? BERTHA Dann nickste. HANS-PETER (OFFIZIELL) Wie geht es denn Hans-Peter? Hermann nickt. Da er grade die Küche betritt, hat Berta es gesehen. BERTHA Nur wenn es passt, natürlich. HERMANN Dann muss ich ja doch was sagen. HANS-PETER (SCHNIPPISCH) Dann frag ich jetzt noch mal: Wie geht es denn Hans-Peter? Gut.
HERMANN
BERTHA Jetz guck nich die ganze Zeit auf’n Boden. Das merkt die doch. Hermann schaut hoch und stößt fast im selben Moment an einen Küchenstuhl. Hans-Peter stellt ihn eifrig zur Seite. HANS-PETER Das räumen wir vorher alles weg, Oppa. Hermann geht weiter und streckt zu früh die Hand aus, um nicht an den Stuhl am Tisch zu stoßen. BERTHA Das fällt auf .... Hermann hat den Stuhl ertastet und will sich hinsetzen.
73. HANS-PETER Nich auf den Stuhl, auf die Bank neben Omma. Hermann tut wie geheißen und Hans-Peter setzt sich auf Berthas andere Seite. HANS-PETER (CONT’D) Dann kann sie gar nich aufstehen. HERMANN Nee, is klar. Hans-Peter gibt wieder die Jugendamtsfrau, diesmal leutselig. HANS-PETER Sagen Sie ma, Frau Kerkeling, könnte ich vielleicht so’n lecker Stück Kuchen kriegen? Bertha tut Hans-Peter ein Stück Kuchen auf und sagt Richtung Hermann .... BERTHA Du isst kein Kuchen, da krümelste nur. HERMANN Darf ich überhaupt was? BERTHA Du kriegst’n Glas Wasser, aber pass auf, dass du nix umwirfst. HERMANN Pass du lieber auf, was du sagst. Wie?
BERTHA
Hans-Peter hat schon verstanden, worauf Hermann hinaus will. HANS-PETER Du kanns doch nich lügen, Omma. BERTHA Klar kann ich lügen. Hans-Peter sieht sie skeptisch an. HANS-PETER Das is zwar gelogen, aber das zählt nich. Bertha ist ein bisschen beleidigt.
74. HANS-PETER (CONT’D) Du muss echt aufpassen, dass du nich aus Versehen ehrlich bis. 97
WOHNUNG KERKELING / FLUR / ELTERNSCHLAFZIMMER I/N
97
Bertha hinkt mühsam den Flur entlang und schließt die Wohnungstür ab. Sie hangelt sich weiter zum Badezimmer, da sieht sie, dass die Tür zum Elternschlafzimmer einen Spalt offensteht. Sie macht sie auf und schaut hinein. BERTHA Hans-Peter? Sie bekommt keine Antwort. Trotzdem kommt ihr die Sache komisch vor. Sie geht ins Schlafzimmer und schaut sich um. Die Tür des Kleiderschranks ist nur angelehnt. Bertha hinkt hin und macht sie auf. Hans-Peter sitzt am Boden des Schrankes. Er ist im Schlafanzug und hat eins der Kleider seiner Mutter vom Bügel gezogen und um sich gelegt. Bertha begibt sich mühsam auf seine Höhe und zieht ihn an sich. BERTHA (CONT’D) Ach, Schätzken ... HANS-PETER Was is denn, wenn sie mich euch wegnehmen? BERTHA Das darf einfach nich sein. Man sieht ihr an, dass ihr der Gedanke auch Sorgen macht. Hans-Peter klammert sich an ihr fest. 98
WOHNUNG KERKELING / KÜCHE I/T
98
Hans-Peter und Bertha sitzen wie festgeklebt am Tisch, der mit Kaffee und Kuchen für vier gedeckt ist. Beide haben sich nicht auffällig, aber doch ein bisschen schick gemacht. Aus dem Flur hört man Frau Höltermann, die Dame von Jugendamt, und Hermann. HERMANN (OFF) Ham Sie gut hergefunden? Bertha verdreht die Augen. Er soll doch nicht reden! FRAU HÖLTERMANN (OFF) Ja, danke .... Die Antwort von Frau Höltermann geht prompt in Gepolter unter. Hermann hat irgendwas umgeworfen. Bertha will aufspringen. Hans-Peter flüstert ihr hektisch zu ....
75. HANS-PETER Du bleibst sitzen! Hermann taucht in der Tür auf und Hans-Peter verfolgt ängstlich, wie sein Opa tapfer versucht die Küche zu durchqueren ohne auf den Boden zu schauen. Dann fällt sein Blick auf die Frau vom Jugendamt, die mit einer Aktenmappe hinter Hermann in die Küche kommt. Er springt auf und läuft ihr entgegen. HANS-PETER (CONT’D) Das is ja die Frau Höltermann. Frau Höltermann lacht. FRAU HÖLTERMANN Hallo, Hans-Peter. Hans-Peter bringt Frau Höltermann zum Tisch und erklärt seinen Großeltern ... HANS-PETER Wir kennen uns vom Krippenspiel. Bertha entspannt sich sichtlich. BERTHA Das ja schön .... mögen Sie n Käffchen, Frau Höltermann? FRAU HOLTERMANN Aber gerne ... BERTHA Nehmen Sie doch Platz. Frau Höltermann setzt sich hin. Bertha schenkt ein, HansPeter und Hermann keilen wie verabredet Bertha auf der Bank ein. FRAU HÖLTERMANN Hans-Peter hat den Josef gespielt und die Maria wollt ihn immer küssen, da hat er immer den Stab so gehalten. Sie demonstriert, wie Hans-Peter mit dem Stab vor dem Gesicht seine Maria auf Abstand gehalten hat. Alle lachen ganz entspannt. HANS-PETER Mögen Sie auch ein Stück Kuchen? Den hat meine Oma gebacken.
76. FRAU HÖLTERMANN Ja, gerne, Hans-Peter, sieht lecker aus. CUT TO Frau Höltermann steckt eine schmale Akte zurück in ihre Aktenmappe. FRAU HÖLTERMANN (CONT’D) Ich kann wirklich keinen Grund erkennen, warum der Junge nicht bei Ihnen aufwachsen sollte. Sie? Die Nachfrage ist scherzhaft gemeint, doch Bertha geht zu Hans-Peters Entsetzen darauf ein. BERTHA Na ja .... ich will Ihnen nichts vormachen ... mein Mann und ich sind nicht mehr die Jüngsten ... In Hans-Peters Augen steht die nackte Panik. Was tut sie da? BERTHA (CONT’D) Aber zum Glück sind wir ja beide noch kerngesund. Hans-Peter entspannt sich. FRAU HÖLTERMANN Und den Papa gibt’s ja auch noch, was? Hans-Peter, Bertha und Hermann nicken wie die Wackeldackel. FRAU HÖLTERMANN (CONT’D) Ist der grade wieder auf Montage? Wieder nicken alle drei. FRAU HÖLTERMANN (CONT’D) Wann kommt er denn wieder? Bertha, Hermann und Hans-Peter sagen gleichzeitig: HANS-PETER In drei Wochen. BERTHA Übermorgen. Freitag.
HERMANN
Die drei erstarren. Jetzt haben sie es verkackt. Frau Höltermann zieht skeptisch eine Augenbraue hoch.
77. FRAU HÖLTERMANN Also ... bald. Na, dann isses ja gut. Die drei nicken mechanisch. Frau Höltermann lächelt HansPeter gutmütig an. FRAU HÖLTERMANN (CONT’D) Und hörst du denn auch auf deine Großeltern? Jetzt ist es Hans-Peter, dem es schwerfällt zu lügen. HANS-PETER Äh ... ja .... Frau Höltermann ist irritiert, dass er darüber so unsicher scheint. Bertha legt den Arm um Hans-Peter. BERTHA Wenn ma alle Kinder so lieb wären wie der Hans-Peter. Stimmt doch, Hermann? Hermann nickt. Frau Höltermann schaut zufrieden auf das Familienidyll und steht auf. FRAU HÖLTERMANN Na, dann kann ich Sie ja getrost alleine lassen. HERMANN Ich bring Sie noch ... FRAU HÖLTERMANN Wiedersehen, Frau Kerkeling. Tschüss Hans-Peter. BERTHA / HANS-PETER Wiedersehen. Hermann lässt sie vorgehen und tapert hinter ihr her aus der Küche. Hans-Peter und Bertha bleiben mucksmäuschenstill sitzen. Man hört aus dem Flur noch unverständliche Abschiedsworte, dann fällt die Wohnungstür ins Schloss. HansPeter stößt einen Triumphschrei aus und fällt Bertha um den Hals. HANS-PETER Du kannst ja doch lügen, Omma. Bertha sieht außerordentlich selbstzufrieden aus. Hans-Peter greift hinter sich und dreht das Radio auf der Ablage der Eckbank in voller Lautstärke auf. Der Song “Ich bin verliebt in die Liebe“ ertönt. Hermann kommt wieder in die Küche. HansPeter springt auf und umarmt ihn. Bertha quält sich hinter der Eckbank raus und schließt alle beide in die Arme.
78. Sie legen als Dreierklumpen ein kleines Tänzchen zur Musik hin, so schwungvoll es Berthas Hüften zulassen. Darüber hören wir Hans Peters Stimme. HANS-PETER (9) V.O. (CONT’D) Am schlimmsten war, dass Mama an dem Abend einfach so gegangen ist. Ohne einen Kuss. Oder ein letztes Mal drücken... Das Bild der drei Tanzenden geht über in... 99
WIESENLANDSCHAFT - AUSSEN/TAG
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Eine Totale. Der neunjährige Hans-Peter steht mit gesenktem Kopf neben seinem Pferd Bubi auf der Wiese. Sehr nahes Close up: Er schmiegt sich eng an das Tier, streichelt seinen kräftigen, warmen Hals. HANS-PETER (9) V.O. ... Sie ist einfach so ins Bett gegangen. Und sie hat sich nicht einmal mehr zu mir umgedreht. Ein kurzer Flash: Margrets Gesicht an dem Abend. Sie geht weg und ihr Gesicht zeigt tiefste Verzweiflung. 100
1974 WOHNUNG GERTRUD / HAUSFLUR/WOHNZIMMER I/T
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Laut polternd und aufgebracht rennt Hans-Peter die knarzenden Stufen des Treppenhauses hoch. Vorbei an der staunenden Tante Gertrud, durch deren Flur, hinein ins Wohnzimmer. HANS-PETER Is er schon an? Auf einer Einbauanrichte ist ein riesiger neuer Farbfernseher aufgebaut, über dessen Bildschirm eine farbenprächtige Dokumentation über Papageien im brasilianischen Urwald flimmert. Hans-Peter reißt staunend die Augen auf. Hinter ihm im Flur sind unverständliche Begrüßungsworte zu hören. Dann betreten auch Bertha, Heinz und Gertrud das Wohnzimmer. HANS-PETER (CONT’D) Boah, guck mal die Farben, Omma, wie in echt. Bertha betrachtet skeptisch das bunte Fernsehbild.
79. Hans-Peter hat die klotzige Fernbedienung entdeckt, schaltet sämtliche drei Programme durch und kontrolliert das Bild mit dem Ergebnis ... HANS-PETER (CONT’D) Alles in Farbe! BERTHA Na, ich weiß ja nich, ob sich das durchsetzt ... Während Hans-Peter weiter wild Programme wechselt, setzt sich Bertha an den Kaffeetisch. Neben Torte und Kaffee steht auch ein Fläschchen Eierlikör auf dem Tisch. Bertha sieht, dass für fünf gedeckt ist. BERTHA (CONT’D) Wer kommt denn noch? In dem Moment läutet es auch schon. Gertrud ruft im Rausgehen über ihre Schulter ... GERTRUD Die Frau Kolossa. Vor Schreck lässt Hans-Peter das Umschalten sein. Nee, nä? Wer?
HANS-PETER BERTHA
HANS-PETER Weißt du nich mehr? Er macht Frau Rädeker nach wie damals im Laden. HANS-PETER (CONT’D) Die Frau Kolossa, der wo schon der dritte Kerl in ein Jahr weggelaufen ist. An Berthas entsetztem Blick sieht man, dass sie sich erinnert. Gertrud kommt auch schon mit dem Gast zurück. GERTRUD Darf ich vorstellen: Das ist die Frau Kolossa. MARGIT KOLOSSA Lassen wir dat doch mit dem Sie. Ich bin die Margit. Heinz, Bertha und Hans-Peter schauen Frau Kolossa an wie eine Erscheinung. Sie ist Mitte vierzig, trägt ein getigertes Oberteil mit gewagtem Ausschnitt und hat pechschwarz gefärbte zu einem ziemlich wilden Turm hochgesteckte Haare.
80. Heinz mustert Margit Kolossa. Sie gefällt ihm offensichtlich. Er schüttelt ihr die Hand. HEINZ Äh .... Heinz. Getrud weist mit verschwörerischem Blick auf Heinz. Das isser.
GERTRUD
Bertha dämmert langsam, was hier vorgeht. Sie guckt Gertrud entsetzt an. BERTHA Das is wer? So direkt darauf angesprochen, reagiert Getrud verlegen. GERTRUD Ach ... gar nichts ... Aber Margit Kolossa nutzt beherzt die Gelegenheit zur Sache zu kommen. MARGIT KOLOSSA Gertrud hat mir erzählt, dat du deine Frau verloren has, Heinz. Heinz lächelt Margit Kolossa an und will gerade was sagen, da schneidet ihm Bertha das Wort ab. BERTHA Ja, das hat er. Mein Sohn ist noch im Trauerjahr. MARGIT KOLOSSA Dat wusst ich nich, ich dachte, dat wär schon wat länger her. BERTHA Nein, das ist noch nicht länger her. MARGIT KOLOSSA Dat tut mir jetz leid, aber ... wat soll man sagen, dat Leben muss ja irgenswie weitergehen, ne? GERTRUD Da sagst du was Wahres, Margit. Gertrud schiebt den Tortenheber unter ein mächtiges Stück Sahnetorte. Heinz hält ihr einen Kuchenteller hin und bietet den Teller mit dem Tortenstück zuvorkommend Margit Kolossa an.
81. HEINZ Mögen Sie ... ah ... magst du ein Stück Torte, Margit? Bertha schaut sich kritisch die Torte und die Schüssel mit Schlagsahne daneben an. BERTHA Ah ... es gibt Sahnetorte mit Sahne. GERTRUD Genau. Doppelt lecker. BERTHA Ich verzichte. Sie verschränkt renitent die Arme. 101
WOHNUNG GERTRUD / FLUR I/T
101
Gertrud verabschiedet Margit Kolossa an der Wohnungstür. GERTRUD .... Das wurde doch grade nett, willst du nich doch noch n bisschen bleiben? MARGIT KOLOSSA Lass ma ... GERTRUD Das tut mir jetzt leid, Margit ... MARGIT KOLOSSA Is schon gut, Gertrud. War wohl n bissken früh ... Hans-Peter drückt sich neugierig aus dem Wohnzimmer und schaut zu, wie Getrud die Wohnungstür hinter Margit Kolossa schließt. Gertrud geht zurück ins Wohnzimmer und Hans-Peter fällt auf, dass an der Garderobe Margit Kolossas Tigerjäckchen passend zum getigerten Oberteil hängengeblieben ist. 102
WOHNUNG GERTRUD / WOHNZIMMER I/T
102
Vor den leer gegessenen Kuchentellern fährt Bertha Gertrud wütend an ... BERTHA Wie kannst du uns so was hier anschleppen? Dieser Ausschnitt! HEINZ Jetzt beruhige dich doch, Mutter.
82. BERTHA Das war ja wie auf dem Viehmarkt. GERTRUD Ich hab es doch nur gut gemeint. Bertha lässt sich nicht so schnell besänftigen. BERTHA Niemand kann Margret ersetzen und schon gar nicht so eine ... so eine .... Sie macht eine Geste, dass ihr die Worte dafür fehlen. BERTHA (CONT’D) ... und hast du gesehen, wie viel Eierlikör die getrunken hat? HANS-PETER (ALS KOLOSSA) Wat denn, dat warn doch höchstens drei Gläsgen. Gertrud, Bertha und Heinz glauben im ersten Moment Frau Kolossa sei zurückgekommen und schauen erschrocken auf. HansPeter steht in der Tür. Er trägt Kolossas Tigerjäckchen und hat sich mit einem Kissen einen Busen ausgestopft. Er macht Kolossas Stimme und ihren heftigen Ruhrgebietsslang erstaunlich gut nach. HANS-PETER (ALS MARGIT KOLOSSA) (CONT’D) Man muss dat ja irgenswie verdauen, dat mit der Sahne mit Sahne. GERTRUD Wo haste denn die Jacke her? HANS-PETER (ALS MARGIT KOLOSSA) Dat alte Ding? .... Vom Schlussverkauf bei C&A ... steht die mir? Er rückt seinen “Busen“ zurecht und schlendert mit aufreizend vorgestreckter Brust zum Tisch. HANS-PETER (ALS MARGIT KOLOSSA) (CONT’D) Ich nehm gern noch ein Eierlikörchen, wenn ich darf. Die drei sehen ihn sprachlos an. HANS-PETER (ALS MARGIT KOLOSSA) (CONT’D) Dat Leben muss ja irgenswie weitergehn ... hm Schätzken?
83. Er zwinkert Heinz zu. Heinz bricht in haltloses Gelächter aus. Und auch Bertha und Getrud kapitulieren vor Hans-Peters komischer Darbietung und lachen mit. Das Gelächter fegt Spannungen und schlechte Stimmung aus dem Wohnzimmer. HansPeter grinst zufrieden. 103
SCHULE / KLASSENZIMMER I/T
103
Frau Klöker steht vor ihrer Klasse neben einer Schautafel zum Thema Bergbau. FRAU KLÖKER .... Na, wer hat aufgepasst? Wer kann uns was über den Kohlebergbau im Ruhrgebiet erzählen? Einige zeigen eifrig auf. Hans-Peter sitzt still dazwischen. Sie lässt den Blick über einige eifrig hochgereckte Finger schweifen. Hans-Peter hebt langsam die Hand. FRAU KLÖKER (CONT’D) Ja ... Hans-Peter ... Sie sieht ihn freundlich an. FRAU KLÖKER (CONT’D) Willst du nach vorne kommen? Hans-Peter kommt nach vorn an die Tafel. Er starrt die Schautafel an und bereut offensichtlich, dass er sich gemeldet hat. Die Klasse und Frau Klöker warten. Frau Klöker will ihn aus der unangenehmen Lage befreien. FRAU KLÖKER (CONT’D) Ist nicht schlimm, Hans-Peter, wenn du ... Aber da fasst er sich ein Herz und beginnt. Die Schautafel zeigt einen Querschnitt durch die Erdschichten. Kohleflöze und Sohlen wechseln sich ab. HansPeter deutet auf den Schacht, der durch die Schichten nach unten führt. HANS-PETER Da fahren die Bergleute ein. Mit dem Aufzug. Das is so tief, dass das immer wärmer wird. Puh ... Er wischt sich imaginären Schweiß von der Stirn. In der Klasse wird gekichert. Er fährt mit dem Finger auf der Schautafel einen Stollen entlang, der bis zum Flöz getrieben ist.
84. HANS-PETER (CONT’D) Aber da wird es erst richtig warm. Da hauen se die Kohle aus dem Flöz. Er haut energisch mit einer imaginären Hacke zu. Die Klasse lacht. Hans-Peter hört kurz auf und schaut in die Klasse und sagt nach einer perfekt getimten winzigen Pause ... HANS-PETER (CONT’D) Deshalb heißen se Hauer. Er hackt wieder drauf los. Die Klasse amüsiert sich. HansPeter wirft einen Blick zu Frau Klöker. Sie versucht ernst zu bleiben. Hans-Peter stellt sich an die Stelle, auf die er eingehackt hat. HANS-PETER (CONT’D) Und das Flöz denkt sich ... Er verschränkt die Arme vor der Brust. HANS-PETER (ALS FLÖZ) (CONT’D) Hallo? Wat willst du denn? Ich bin Steinkohle, verstehste? Da kannste lange hacken ... Die Klasse schmeißt sich weg. Frau Klöker verbeißt sich das Lachen. Hans-Peter tut gelangweilt und gähnt demonstrativ. HANS-PETER (ALS FLÖZ) (CONT’D) Kannste noch? Doch plötzlich zuckt er zurück. HANS-PETER (ALS FLÖZ) (CONT’D) Aua! Dat tut weh ...! Das Flöz hält sich wehleidig den Arm. Zu seiner großen Befriedigung sieht er, dass jetzt auch Frau Klöker laut herausplatzt. Er grinst breit und genießt seinen Erfolg. CUT TO Der Unterricht ist zu Ende, die Klasse strömt hinaus. HansPeter bummelt ein bisschen herum und geht zu Frau Klöker ans Pult, als die anderen schon draußen sind. HANS-PETER (CONT’D) Frau Klöker ... FRAU KLÖKER Ja, Hans-Peter? HANS-PETER Ich möchte doch mitspielen ... bei “Hans Dampf in Röllinghausen“. Frau Klöker sieht ihn bedauernd an.
85. FRAU KLÖKER Jetzt hab ich die Rollen schon alle besetzt, Hans-Peter, das tut mir Leid. HANS-PETER Ach so ... ja klar .... macht ja nichts ... Es scheint ihm aber doch was auszumachen. Er wirkt ziemlich geknickt beim Rausgehen. Frau Klöker schaut ihm nach. Als er schon an der Tür ist ... FRAU KLÖKER Hans-Peter ...? Hans-Peter dreht sich um. HANS-PETER
Ja?
FRAU KLÖKER Es gibt doch den Nachbarn, der mit Hans Dampf schimpft, weil er auf dem Rasen spielt .... Ja ....
HANS-PETER
FRAU KLÖKER Ich wollte das von hinten reinrufen ... aber wer sagt denn, dass der Nachbar nicht auch persönlich auftreten kann? Sie lächelt entschuldigend. FRAU KLÖKER (CONT’D) Wär jetzt nur ne ganz kleine Rolle ... Hans-Peter scheint das nichts auszumachen. Er grinst breit. 104
SCHULE / AULA
I/T
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“Hans Dampf in Röllinghausen“ wird in der Schulaula auf der kleinen Bühne geprobt. Der Junge, der Hans Dampf spielt, dribbelt auf der Bühne mit einem Fußball. Hans-Peter tritt auf. Er bemüht sich um einen gewichtigen Tonfall. HANS-PETER Hey du, auf dem Rasen wird nicht gespielt. Hast du das verstanden? Hans Dampf hört auf zu dribbeln und nimmt den Ball in die Hand. Hans-Peter wendet sich an Frau Klöker, die die Probe von unten leitet.
86. HANS-PETER (CONT’D) Warum will der Nachbar denn nicht, dass Hans auf dem Rasen spielt? FRAU KLÖKER Er will es einfach nicht. HANS-PETER Aber er muss doch einen Grund dafür haben. FRAU KLÖKER Vielleicht ist es ihm zu laut ... vielleicht mag er keine Kinder ... HANS-PETER Wieso mag er keine Kinder? Frau Klökers Geduld ist langsam am Ende. FRAU KLÖKER Schau mal, es geht nicht um den Nachbarn. Es geht darum, dass Hans Dampf Probleme in der Schule hat und dass sein Vater immer so streng mit ihm ist und jetzt darf er noch nicht mal hinter dem Haus Fußballspielen. HANS-PETER Ja, aber wer ist denn dieser Nachbar, wie heißt er überhaupt? FRAU KLÖKER Das kannst du dir ausdenken. Hans-Peter denkt angestrengt nach. Frau Klöker dauert das zu lange. FRAU KLÖKER (CONT’D) Könntest du jetzt deinen Satz noch mal sagen? Hans-Peter sieht Hans Dampf an und legt seine ganze Verachtung für Kinder im Allgemeinen und dieses im Besonderen in seinen Satz. HANS-PETER Hey du .... kleine Kröte ... auf dem Rasen wird nicht gespielt. Hast du das verstanden? Ha?! Hans Dampf ist sichtlich beeindruckt von dem polternden Nachbarn und auch Frau Klöker nickt zufrieden. HANS-PETER (CONT’D) Ich kann Kinder nich leiden ... keine Ahnung warum ....
87. Frau Klöker verdreht die Augen. Die anderen Kinder kichern. 105
SCHERLEBECK / LADEN ÄNNE I/T
105
Hans-Peter betritt den Laden. Lothar Rottmann, der neue Besitzer steht wieder hinter dem Tresen. Tach ...
HANS-PETER
Lothar wirft ihm nur einen kurzen misstrauischen Blick zu und wendet sich dann wieder seiner Kundin zu, um seine unterbrochene Rede fortzusetzen. LOTHAR .... da dürfen Se nich mit spaßen, Frau Strecker, dat sach ich Ihnen. Ich kenn dat .... ich soll ja auch nich so viel stehen, sacht der Arzt, ... Hans-Peter verfolgt genau, was Lothar sagt, und studiert Haltung und Mimik. LOTHAR (CONT’D) ... aber sitzen auch nich. Ich weiß nich, wie er sich dat vorstellt, soll ich mich auf den Tresen legen? Er deutet mit den Händen an, wie er längs auf dem Tresen liegen würde. Hans-Peter ist fasziniert. 106
SCHULE / AULA / BÜHNE / KULISSE I/T
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Das Theaterstück wird aufgeführt. Die Aula ist voll mit Eltern und Schülern. Bertha und Hermann sind da und Tante Lisbeth ist extra gekommen und sitzt im Ornat neben ihnen. Das Stück spielt vor einer Kulisse, auf die ein typisches Bergarbeiterhäuschen gemalt ist. Eins der Fenster ist ausgespart. Hans Dampfs “Vater“, dargestellt von einem etwas größeren Schüler, schreit aus dem Fenster. VATER ... komm du mir nach Hause, dann kannste wat erleben ...! Er tut so, als würde er das Fenster zuschlagen, wobei zeitgleich ein entsprechender Knall ertönt und der Vater verschwindet. Hans Dampf guckt verzagt zum Fenster hoch und fängt dann an mit seinem Fußball zu spielen. Er hält den Ball geschickt eine ganze Weile hoch.
88. Frau Klöker schaut sich hinter der Bühne unter den herumwuselnden kleinen Schauspielern um. Sie flüstert vernehmlich. FRAU KLÖKER Hans-Peter, dein Auftritt ... Sie kann ihn nirgends entdecken. Schließlich fragt sie einen kleinen, dicken Jungen, der müßig herumsteht ... FRAU KLÖKER (CONT’D) Hast du Hans-Peter gesehen? Der Junge sieht sie an und da erkennt sie ihn erst. FRAU KLÖKER (CONT’D) Hans-Peter, bist du das ...? Hans-Peter hat sich eine graue Arbeitsjacke übergezogen, die bei ihm Kittellänge hat, und sich einen mächtigen Bauch ausgestopft. Außerdem hat er das alte Gebiss aus dem Karnevalsladen im Mund. Insgesamt eine sehr kuriose Erscheinung. HANS-PETER (ALS LOTHAR) Ich hab jetz wirklich keine Zeit für Sie, Frau Klöker. Damit marschiert er auf die Bühne. Frau Klöker sieht ihm ungläubig nach. Hans-Peters Erscheinen löst Kicheranfälle im Publikum aus. Schnaufend bewegt er sich Richtung Hans Dampf. Bertha, Hermann und Tante Lisbeth verfolgen seinen großen Auftritt staunend. Hans-Peter imitiert Lothar Rottmann. HANS-PETER (ALS LOTHAR) (CONT’D) Hey du kleine Kröte ... auf dem Rasen wird nich gespielt ... haste mich verstanden? Das Kichern im Publikum steigert sich. Hans-Peter wendet sich empört ans Publikum. HANS-PETER (ALS LOTHAR) (CONT’D) Da gibet überhaupt nix zu lachen. Jetzt wird laut gelacht. HANS-PETER (ALS LOTHAR) (CONT’D) Hallo ....? ... Der Arzt sacht, ich soll nich stehen und sitzen soll ich auch nich ... vom Laufen brauchen wir gar nich reden ... und dat Blag springt mir hier vor der Nase rum wie’n junges Reh. .... Dat is doch nich schön.
89. Die Leute kriegen sich kaum noch ein vor Lachen. Bertha und Hermann staunen über ihren Enkel und sind stolz. Lisbeth lächelt versonnen. Hans-Peter wendet sich wieder an Hans Dampf und blafft ihn an. HANS-PETER (CONT’D) Nu mach, datte wech komms ... 107
SCHULE
A/T
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Hans-Peter verlässt mit Bertha, Hermann und Lisbeth die Schule. Sie machen sich auf den Heimweg. TANTE LISBETH Der Nachbar war wirklich das Beste! Die Leute hätten am liebsten noch mehr von ihm gesehen. Hans-Peter geht das Lob runter wie Butter, aber er zuckt bescheiden mit den Schultern. HANS-PETER Ging ja in der Szene um Hans Dampf ... nicht um den Nachbarn. Bertha geht was durch den Kopf. BERTHA Kannst ja mal was spielen, wo es um den Nachbarn geht. Hans-Peter scheint der Gedanke zu gefallen. 108
HAUS BÖNKE / ZIMMER HANS-PETER
I/N
108
Es ist früh morgens, noch dunkel, Hans-Peter liegt im Bett. Es klopft leise an der Tür. TANTE LISBETH (OFF) Hans-Peter, bist du wach? Kann ich kurz reinkommen? Hans-Peter antwortet verschlafen ... HANS-PETER Ja, komm rein, Tante Lisbeth. Musst du schon fahren? Die Tür geht auf und eine verschwommene Silhouette kommt herein. Tante Lisbeth macht Licht an. Hans-Peter kneift in der plötzlichen Helligkeit die Augen halb zu. Dann reißt er sie erstaunt auf.
90. Tante Lisbeth trägt einen Morgenmantel und man sieht ihre Haare! Sie hat einen widerspenstigen Lockenkopf und sieht ziemlich gut damit aus – und völlig anders. TANTE LISBETH Du wolltest doch meine Haare mal sehen. Sie kommt auf Hans-Peters Bett zu, setzt sich auf die Kante. Zögerlich streckt er die Hand aus und greift ihr in die wuseligen Locken. Lisbeth lächelt. Boah.
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HANS-PETER
WOHNUNG KERKELING / ZIMMER HANS-PETER
I/T
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Hans-Peter sitzt an seinem kleinen Tisch und starrt trübsinnig vor sich hin. Von draußen hört man Berthas Stimme ... BERTHA Hans-Peter? Die Tür geht auf und Bertha kommt herein. Man hört an dem verhaltenen Stimmengewirr, dass etliche Leute in der Wohnung sein müssen. Als Bertha Hans-Peter so trübselig da sitzen sieht, macht sie die Tür hinter sich zu und schließt das Gemurmel aus. BERTHA (CONT’D) Was ist denn mit dir? HANS-PETER Ich hab einen Brief an Loriot geschrieben. Bertha sieht ihn erstaunt an. BERTHA An den im Fernsehen? Hans-Peter nickt. HANS-PETER Ich hab ihn gefragt, ob ich den Dicki Hoppenstedt in seinen Sketchen spielen kann. Bertha nickt wissend. BERTHA Aha ... Und was hat er Dir geantwortet, der Loriot?
91. HANS-PETER Gar nichts. Der Brief ist von einer Redakteurin. Hans-Peter schiebt ihr das Schreiben hin. HANS-PETER (CONT’D) Sie schreibt, dass ich zu jung bin. Sie lächelt ihn liebevoll an. BERTHA Das ist doch prima, Hans-Peter. Dann brauchste ja nur noch älter werden. Hans-Peter verdreht die Augen, aber er muss ein bisschen schmunzeln. BERTHA (CONT’D) Kommste dann? .... Sind schon alle da. 110
WOHNUNG KERKELING / WOHNZIMMER
I/N
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Die uns bekannte Verwandtschaft drängt sich um zusammengestellte Tische. Es wird gegessen, getrunken und gelacht. Kurt macht den Mund auf und will was zu Lisbeth sagen, die wie immer im Ornat ist. Sie kommt ihm zuvor. LISBETH Lass stecken, Kurt. Alle lachen. Hans-Peter taucht in der Lothar-Rottmann-Verkleidung in der Tür auf. Aufgepolstert und mit fiesen Zähnen. Die Gäste werden auf ihn aufmerksam. HANS-PETER (ALS LOTHAR) Guten Abend .... Kurt erkennt ihn erst auf den zweiten Blick. KURT Is dat der Hans-Peter? Kurt lacht angesichts des ausgestopften Bauches. KURT (CONT’D) Du wirs ja immer dicker. Hans-Peter kommt schnaufend näher.
92. HANS-PETER (ALS LOTHAR) Soll dat jetz ein ... ich sach ma .... versteckter .... Hinweis auf mein Übergewicht sein? Er hat die Lacher auf seiner Seite. Er fasst Annemarie an Kurts Seite ins Auge. HANS-PETER (ALS LOTHAR) (CONT’D) Is dat deine Frau? Hans-Peter zwinkert Annemarie zu. HANS-PETER (ALS LOTHAR) (CONT’D) Na ...? Wie isset ... Schätzelein ....? Singen wer heut noch einen? Annemarie schüttet sich aus vor Lachen. HANS-PETER (ALS LOTHAR) (CONT’D) Aber erst ma singen wir alle zusammen für die Omma. Passt ma auf, dat kennt ihr alle ... Hans-Peter stimmt einen seltsamen, arabisch anmutenden Gesang an mit Worten, die arabisch klingen, aber mit Sicherheit nicht sind. Dazu wippt Hans-Peter rhythmisch mit dem Bauch. Die Verwandtschaft schmeißt sich weg. 111
2006 SCHERLEBECK / STRAßE “BEI ERNA”
A/N
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Wir bewegen uns durch die bekannte Straße in Scherlebeck auf die Eckkneipe “Bei Erna” zu. Vorbei an Oma Ännes ehemaligem Laden, in dem jetzt ein kleiner Edeka ist. Es ist niemand auf der Straße. Die Stimme von Horst Schlämmer begleitet uns, manchmal überlagert von Gelächter. 112
2006 SCHERLEBECK / “BEI ERNA” / FERNSEHBILD
I/N
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Wir schauen in die vollbesetzte kleine Kneipe, hier darf immer noch geraucht werden und hier wird auch geraucht. Über die Hinterköpfe hinweg sieht man auf dem Fernseher über der Theke das “Opening mit Horst Schlämmer“ in der Lichtburg Essen. Die Kneipengäste sind mit ihrer Aufmerksamkeit ganz bei Horst Schlämmer und lachen sich scheckig. Die Kamera fährt näher an den Bildschirm heran, so dass wir Horst Schlämmer auf der Bühne voll und ganz genießen können, das Gelächter der Kneipengäste, die den Sohn ihrer Stadt feiern, immer im Hintergrund.
93. 113
RUHRGEBIET / WEG
A/T
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Blauer Himmel, Klatschmohnblüten, Büsche, Gräser, eine Kuh, weiter weg Schornsteine. Ein erwachsener Mann steht am Rande des uns vertrauten Weges vom Anfang. Von der Kamera abgewandt, scheint er die Landschaft tief in sich aufzunehmen. Die Räder des Kinderwagens, die sich drehen. Das dicke, fröhliche Baby im Kinderwagen. Der Mann dreht sich ins Profil, wir erkennen Hape Kerkeling. Er blickt den Weg hinunter. Und da kommen sie alle: Margret schiebt den Kinderwagen und die anderen kommen hinter ihr her: Oma Bertha, Oma Änne, Opa Hermann, Opa Willi, Heinz, Jupp, Tante Lisbeth, Tante Gertrud, Marion und Paul. Kurt, Annemarie und Veronika, Frau Klöker, Silvia und die Kinderbande. Auch der 9-jährige Hans-Peter ist dabei. Irgendeiner beginnt leise ‘Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien’ zu singen. Die Blicke des erwachsenen Hape und Margrets treffen sich, bleiben einen Moment aneinander hängen. Es scheint, als wolle sie ihn um Verzeihung bitten. Nachdenklich sieht Hape zurück. Über dem Gesang hören wir die V.O. OFF-STIMME HAPE Ich bin mein Vater, meine Mutter, mein Bruder und meine Großeltern. Ich bin ihr Lachen und ihr Schmerz. Ich bin Tante Gertrud, Tante Lisbeth, Onkel Kurt und Tante Veronika. Ich bin Frau Rädeker und Frau Strecker. Ich bin die Richtung, in die mich meine Mutter im Kinderwagen geschoben hat. Ich bin die gescheckte Kuh auf der Weide, das gelbe Korn auf dem Feld und der rote Mohn am Wegesrand. Ich bin der wolkenlose Himmel. Ich bin wach. Der Zug zieht an dem erwachsenen Hape vorbei. Der 9-jährige Hans-Peter bleibt zurück, zieht seinen Schuh aus und schüttelt einen kleinen Stein heraus. Der Hape von heute geht zu ihm, während Hans-Peter den Schuh wieder anzieht und sich aufrichtet. Hape legt ihm die Hand auf die Schulter und schaut freundlich zu ihm hinunter. HansPeter schaut zu ihm hinauf.
94. Das Bild bleibt stehen.