CHIKO Özgür Yildirim
DEUTSCHE DREHBÜCHER
Herausgegeben von Fred Breinersdorfer und Dorothee Schön für die Deutsche Filmakademie
Über Özgür Yildirim Özgür Yildirim wurde in 1979 in Hamburg geboren. Im Alter von vierzehn Jahren veröffentlicht er seinen ersten Roman ‚Graue Nächte‘. Zu dieser Zeit beginnt er auch gemeinsam mit Freunden erste Hi-8-Filme zu drehen. Nach dem Abitur und dem Zivildienst nimmt er 2002 sein Studium an der Hamburg Media School auf, das er 2004 mit dem Regie-Diplom abschließt. Während seines Studiums erhält er diverse Auszeichnungen für seine Kurzfilme. CHIKO ist sein Spielfilmdebüt. Über die Deutsche Filmakademie Die Deutsche Filmakademie e.V. wurde am 8. September 2003 in Berlin gegründet und hat inzwischen über 1000 Mitglieder aus allen künstlerischen Sparten des deutschen Films. Ziel der Filmakademie ist es, für die deutsche Kinolandschaft ein Forum zu schaffen, auf dem relevante Fragen diskutiert werden können und die Aufmerksamkeit für den deutschen Film und seine Macher zu steigern. Mit Projekten wie „24 – Das Wissensportal der Deutschen Filmakademie“ fördert sie die filmspezifische Bildung im schulischen und außerschulischen Bereich. Eine wichtige, wenn auch keineswegs primäre Aufgabe der Akademie ist seit 2005 die Wahl der Preisträger für den DEUTSCHEN FILMPREIS in dreizehn Kategorien und die LOLA Galaverleihung selbst, auf der diese Preise verliehen werden. Gestützt auf das Votum der besten Fachleute hat der Deutsche Filmpreis die Bedeutung erhalten, die einer nationalen Auszeichnung zukommen sollte. 2009 waren außer CHIKO noch NACHT VOR AUGEN von Johanna Stuttmann und NOVEMBERKIND von Heide und Christian Schwochow für das „Beste Drehbuch“ nominiert.
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CHIKO
Ein Drehbuch von
ÖZGÜR YILDIRIM Nominiert für den Deutschen Filmpreis
DEUTSCHE DREHBÜCHER Jahrgang 2009
Herausgegeben von Fred Breinersdorfer und Dorothee Schön für die Deutsche Filmakademie
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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Deutsche Filmakademie e.V. (Hrsg.) Chiko Ein Drehbuch von Özgür Yildirim Berlin: Pro BUSINESS 2009 ISBN 978-3-86805-364-7 1. Auflage 2009 © Özgür Yildirim Produktion und Herstellung: Pro BUSINESS GmbH Schwedenstraße 14, 13357 Berlin Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier Printed in Germany www.book-on-demand.de Gestaltung/Satz: e27 Brauns, Gackstatter, Quintus GbR Herstellungsleitung: Deutsche Filmakademie
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Vorwort
Am Anfang ist bekanntlich das Wort. So auch im Kino. Bevor sich eine Armada von Spezialisten anschickt, einen Film zu realisieren, muss sich ein Autor diesen Film erst einmal ausdenken, Satz für Satz, Szene für Szene. Das ist ein einsamer, aber hoch spannender Prozess. In einem „Making of“ allenfalls eine Einstellung von vier Sekunden, von außen gesehen im buchstäblichen Sinne unscheinbar. Dabei ist diese Arbeit elementar. Ohne sie könnten alle anderen gar nicht erst auspacken. Das Drehbuch ist jenes Medium, womit Regisseure begeistert, Produzenten überzeugt, Schauspieler gewonnen, Finanziers belagert, Kameraleute inspiriert und Teammitglieder geworben werden. Im Grunde besteht jeder Text in unserer Sprache aus unzähligen Kombinationen von knapp mehr als dreißig schwarzen Zeichen auf weißem Papier. Abstrakt gesehen ist es die Imagination und Kunst des Drehbuchautors, sie in einem Text so zu arrangieren, dass so etwas Komplexes wie ein vollständiger Film im Kopf der Leser entsteht. Und selbst wenn Autor und Regisseur ein und dieselbe Person sind, so entspricht die Vorstellung des Films, die er sich aufgrund seines eigenen Drehbuchs macht, niemals dem fertigen Film. Schon gar nicht eins zu eins. Jede Inszenierung entwickelt ihre eigene Dynamik. Und die Improvisation von Schauspielern, der Input eines Teams, die musikalische Interpretation des Komponisten und das Rhythmusgefühl des Cutters verfeinern den Film auf dem Weg seiner Herstellung. Drehbücher zu schreiben, ist eine eigene Kunst. Das Skript ist eine Herausforderung an die Fantasie der Leser. Wie beim Theaterstück. Wer erinnert sich nicht an die Schullektüre der Bühnenklassiker, die einem manchmal recht mühsam erschien? Diese vielen Dialoge mit ein paar kargen Regieanweisungen („tritt auf… tritt ab…“). Aber erst diese Lektüre ermöglicht, zwischen dem Text und seiner Inszenierung zu unterscheiden. Und man versteht, dass ein und dasselbe Stück auf unzählige Weisen realisiert werden kann. Das gilt für das Drehbuch nicht. Abgesehen von wenigen Remakes, erblickt der aus dem Drehbuch entstandene Film nur einmal und endgültig das Licht der Leinwand. Der Regisseur und sein Team hauchen den schwarzen Zeichen auf dem Papier Leben ein. Das Drehbuch ist nichts ohne den Regisseur und sein Team. Doch ohne ein gutes Drehbuch ist auch die ganze Kunst von Regie und allen Gewerken vergebens. Unsere Reihe „Deutsche Drehbücher“ soll die Arbeit herausragender Dreh-
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buchautoren, deren Bücher für den DEUTSCHEN FILMPREIS nominiert wurden, dem Publikum vorstellen. Nun kann sich jeder Filmfreund davon überzeugen, dass ein Drehbuch kein abgeschriebener Film ist. Denn von welchem Film hätte der Autor denn abschreiben sollen? Vielleicht kennen Sie den fertigen Film bereits und lassen sich jetzt überraschen, wie anders doch das zugrunde liegende Drehbuch war. Oder Sie kennen den Film noch nicht und wollen erst einmal das Drehbuch lesen, um zu erfahren, wie der Film im Kopf seines Autors aussah. Oder Sie lesen nur dieses Drehbuch und inszenieren in Ihrem Kopf Ihr ganz persönliches Meisterwerk… Fred Breinersdorfer und Dorothee Schön
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1. OPEL CURLY / STRASSE INNEN – AUSSEN / NACHT Ein alter Opel Kadett bratzt durch die nächtlichen Straßen. Aus dem Auto dröhnt Hip-Hop von Maho-B. Hinterm Steuer sitzt Tibet, ein schmächtiger Türke mit kurzem Haar und kahl rasierten Seiten. Irgendwie wirkt er sympathisch, aber irgendwie auch wieder nicht – er hat diesen typischen Pitbullblick. Gleich neben ihm sitzt Chiko, ein türkischer James Dean. Er sieht zwar nicht unbedingt so aus; es ist diese lässige Haltung, schon wie er seine Zigarette raucht. Auf dem Rücksitz hockt Curly, der Zigeuner mit den Naturlocken und einer Riesennase; um den Hals trägt er ein silbernes Kruzifix. Während die Jungs alle gleichzeitig sabbeln, fährt Tibet in eine enge Straße. TIBET Alda, da ist er, Mann, da ist er. Der da... Wir sehen jetzt, wen Tibet meint: HAKAN, einen hell gekleideten Türken so um die 25, der gerade die Straße hinaufgeht. Tibet wird langsamer. CURLY (zu Tibet) Tibet, Lan, was machst Du?! Doch nicht so auf der Straße... TIBET Wo sonst, Du Sack?? CURLY Digga, das ist MEIN Auto! Wenn sich einer mein Kennzeichen merkt, krieg ich ’n Schuss in den Arsch! TIBET Du sagst doch immer, Alda, ‘n Mann ist ‘n Mann, wenn er ‘n Schuss überleben kann. CHIKO Schnauze jetzt, Alda... (zu Tibet) Fahr ma‘ ran... Tibet fährt heran und Chiko kurbelt sein Fenster herunter. Tibet dreht die Musik leiser. CHIKO (zu Hakan) Ey! (pfeift) Komm mal kurz... Hakan nähert sich ein wenig, aber langsam und vorsichtig.
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CHIKO Bist Du Hakan, Digga? HAKAN Wieso? CHIKO Sag domma, bist Du Hakan? HAKAN Wieso?! CHIKO Digga, wir suchen so‘n Hakan, weißt Du, wollten korrektes ‚Ot‘. Hakan schaut nach links und rechts und kommt jetzt ans Fenster. HAKAN Wieviel wollt Ihr ‘n? Chiko packt den Jungen auf einmal an den Haaren und zerrt seinen Kopf durchs Fenster ins Auto. Tibet tritt sofort aufs Gas, Hakan muss mitlaufen. Er versucht zwar, den Kopf wieder herauszuziehen, aber gegen Chiko kommt er nicht an. Er schreit wie am Spieß. Chiko klatscht ihm eine. CHIKO Halt’s Maul, Du blöder Wichser! Gib her Deinen Scheiß, los! GIB HER DEINEN SCHEISS!!! HAKAN Alter, lass los, Mann! Lass los! Tibet haut dem Jungen auf den Kopf. TIBET Hadi, Lan, Du Sack!!! CHIKO Los, Alda! Dein Scheiß-Ot, Du Wichser!!! HAKAN NEIN, Mann, NEIN! HIER, HIER! HÖR AUF, HÖR AUF!
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Hakan schafft es irgendwie, seine Grasbeutel durch das Fenster zu reichen. Tibet nimmt ihm alles ab. CURLY (nervös) So, Digga, jetzt lass ihn, Mann, lass ihn! TIBET Halt die Schnauze, Alda! CHIKO (zu Hakan) Von wem kriegst Du den Scheiß, Du Wichser?! HAKAN Scholle, der heißt Scholle, der kommt aus Horn, Mann! Lass los, lass los... CHIKO Du bist raus, ICH bin jetzt hier, hast Du verstanden?! Merk Dir meine Scheiß-Fresse, Du Arsch, ich bin Chiko! Chiko rammt Hakan eine Faust ins Gesicht und lässt ihn los. Der fliegt auf die Straße und bleibt mitten auf dem Asphalt liegen. Der Opel fährt einfach weiter, und der Hip-Hop von Maho-B geht zu Ende. Alles wird schwarz.
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2. MÜMMELMANNSBERG AUSSEN / MORGEN So langsam beginnt der Tag in Mümmelmannsberg. Wir sehen die hohen Betonbauten, die im Dämmerlicht in den Himmel ragen. Aus der Ferne wirkt ‚Mümmel‘ fast wie ein kleiner, grauer Planet.
3. WOHNUNG CHIKO INNEN / MORGEN Chiko wacht auf, als sein Handy klingelt. Er schaltet die Weckfunktion aus und lässt sich wieder aufs Bett fallen. Das Tageslicht bohrt sich durch die Jalousien in das kleine Wohnzimmer, in dem nur das Nötigste steht: Ein Schrank, ein Fernseher und ein Sofabett.
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Chiko steht auf. Auf seinem rechten Unterarm trägt er eine Tätowierung: CHIKO. Cooler Hip-Hop setzt im Off ein.
4. STRASSE VOR WOHNUNG – CHIKO AUSSEN / TAG Chiko kommt aus der Haustür und marschiert die Straße hinauf. Er trägt Jeans und Lederjacke und raucht. Der Song aus dem letzten Bild begleitet die folgenden Szenen.
5. STRASSEN VON MÜMMELMANNSBERG AUSSEN / TAG Chiko schlendert durch Mümmelmannsberg. Wir sehen Spielplätze und Graffitis, Denkmäler und riesige Abbildungen deutscher Malerei aus den zwanziger Jahren, die an den Hochhäusern angebracht sind. Kids und Jugendliche sind auf dem Weg zur Schule oder zur Arbeit. Hier und da wird Chiko von einigen Leuten gegrüßt. Schließlich sehen wir Tibet an einer Ecke warten. Die beiden checken ab und grüßen sich mit Küsschen links und Küsschen rechts.
6. BUS – INNEN AUSSEN / TAG Chiko und Tibet fahren mit dem Bus. Sie sitzen ganz hinten. Aus dem Fenster sehen wir einen Gebraucht- und Neuwagenhändler, der noch geschlossen hat. Beim Vorbeifahren mustert Chiko einen weißen, schnieken Mercedes CL, der vorne in der ersten Reihe steht. An der Windschutzscheibe ist ein Schild angebracht, auf dem ein fünfstelliger Betrag zu sehen ist. Irgendwann schaut Chiko wieder nach vorn. Sein Blick hat etwas leicht Verträumtes.
7. STRASSE VOR MOSCHEE AUSSEN / TAG Chiko und Tibet kommen in Richtung Moschee und gehen hinein.
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8. MOSCHEE / WASCHRAUM INNEN / TAG Hände, die sich unter einem alten Wasserhahn waschen. Ein Mund, der mit Wasser spült und es wieder ausspuckt. Chiko und Tibet sind im Waschraum einer Moschee und vollziehen ein traditionelles Waschritual: den Aptes. Es ist ganz still hier. Nur leise hört man im Off den Gebetsruf des Imam.
9. MOSCHEE / GEBETSRAUM INNEN / TAG Der Raum ist mit orientalischen Teppichen ausgelegt, die mit Moscheen und Minaretten gemustert sind. An den Wänden hängen Bilder von Mekka oder Aufnahmen von Moscheen bei Sonnenuntergang. Ganz vorne betet der Imam, ein Mann um die Fünfzig. Hinter ihm Chiko und Tibet inmitten einer ganzen Reihe von anderen Männern. Sie stehen gleichzeitig auf, gehen gleichzeitig auf die Knie und beugen sich gleichzeitig nach vorne. ‚Amen‘.
10. TREPPENHAUS SCHOLLE INNEN / TAG Chiko und Tibet stehen nun zusammen in einem Treppenhaus vor einer Tür mit dem Namensschild ‚Scholle‘ und klingeln. Endlich macht Scholle auf: Ein Kerl mit hellem Teint und ’nem Stummel im Mund, vielleicht so Ende Zwanzig, kein typischer Klischeedealer, eher ’n komischer Vogel. Er guckt etwas verwirrt. Aus der Bude dringt Goa-Musik. CHIKO Hi. SCHOLLE Na? CHIKO Bist Du Scholle? SCHOLLE Yo... CHIKO Wir wollen korrektes Ot.
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Scholle glotzt noch kurz und macht ihnen Platz zum Eintreten.
11. WOHNZIMMER SCHOLLE INNEN / TAG Scholle kommt ins Wohnzimmer, gefolgt von Chiko und Tibet. Man sieht, der Mann hier hat Geld: Parkettboden, moderne Couchgarnitur, ein teurer Wandschrank... Aus der Anlage klingt immer noch hektisches Getrommel. SCHOLLE Setzt Euch, Digger... Diggers... DIGGERS! Scholle lacht über seinen eigenen Gag und verschwindet im Nebenzimmer. Chiko glotzt ihm nur hinterher und setzt sich dann hin. Tibet tanzt bescheuert zu der Musik. Chiko gibt ihm einen kleinen Ditscher nach dem Motto: ‚Lass den Scheiß jetzt.‘ Scholle kommt wieder rein und setzt sich nun mit einer großen 1kg-Tüte an den Tisch auf einen Sesselhocker. Er kichert immer noch. SCHOLLE Reicht ‘n Ding? Alles, was ich hab. Scholle schmeißt Chiko die Tüte rüber. CHIKO Amsterdam? SCHOLLE Amsterdam?! Seh ich aus wie‘n Student, oder was? Den Haag. Riech mal... Chiko riecht an dem Beutel. SCHOLLE Ahnst Du? So was kriegst Du nicht überall. CHIKO Was willst Du für? SCHOLLE Geb ich Dir für... 3,4.
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Währenddessen tanzt Tibet den Wandschrank entlang und sieht eine Miniatur von einem ‚Lowrider‘ auf einem Gestell. Er nimmt das Modellauto in die Hand. TIBET (zu Chiko) Alda, guck ma‘, hier, Lan! SCHOLLE Ey, Kollege, nicht anfassen da, pack ma’ wieder hin! Das sind meine Privatsachen... Tibets Gesicht wird auf einmal ernst. Er steht da und guckt Scholle doof an. Chiko schmeißt die Tüte auf den Tisch. CHIKO Du willst 3,4 für ’n Ganzes oder was? SCHOLLE Ey, geh ma’ nach Wandsbek, da kriegst Du ’n Ganzes nicht unter 3,5. CHIKO Dann verkauf Deinen Scheiß in Wandsbek, Moruk. Du bist raus hier, ich mach jetzt hier weiter. Scholle glotzt nur. Er muss irgendwie lachen, was Besseres fällt ihm dazu nicht ein. Er blickt wieder kurz zu Tibet rüber. SCHOLLE (lachend) Scheiße, Diggers, was geht ’n jetzt ab? Chiko lacht mit ihm. Plötzlich reißt Tibet den Schrank um, direkt auf Scholle. Chiko weicht gerade noch rechtzeitig aus. Scholle liegt unter dem Schrank und sämtlichem Krimskrams. Mit dem Knall geht die Musik aus. Scholle stöhnt vor Schmerz und ist außer Gefecht. Überall liegt zerbrochenes Porzellan und Gras aus dem Beutel. CHIKO (zu Tibet) Alda, bist Du krank, oder was?! Du hättest mich fast getroffen! TIBET Hast Du gehört, wie der Wichser mit mir redet, Alda? CHIKO Schnauze, so war der Scheiß nicht geplant! Guck Dir ma‘ das ganze Ot an, Mann!
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Tibet macht eine Bewegung, die ‚Ja, ja!‘ heißen soll, den ‚Lowrider‘ fest in der Hand. Er fängt an, das Gras zusammenzufegen. Scholle kriecht unter den Trümmern hervor, die Hand auf den blutenden Hinterkopf gepresst. Chiko hockt sich zu ihm runter und gibt ihm einen Ditscher. Scholle hält ängstlich die Hände über den Kopf. CHIKO Ey... Spasti... Geh zu Deinem Chef und sag, ich hab Dich gefickt... Klar?! Er hält Scholle sein Tattoo auf dem Unterarm vor die Nase. CHIKO Merk Dir meinen Scheiß-Namen, Mann. Wenn er was will, kommt er zu mir, „tamam mi“?! Scholle starrt ihn einen kurzen Moment an. SCHOLLE Tamam...
12. WOHNUNG CHIKO INNEN / NACHT Chiko sitzt mit dem Kilogramm Gras am Wohnzimmertisch und füllt es in Zehner- und Zwanziger-Tütchen um. Irgendeine Musik läuft aus der Anlage im Hintergrund. Nach einer Weile sieht er rüber zur Uhr: 19:48 Uhr. Mist! Chiko zischt irgendwas vor sich hin und schmeißt die Grastüte wieder auf den Tisch. Er flitzt los.
13. VOR SPIELZEUGLADEN AUSSEN / NACHT Die Einkaufsecke in Mümmel ist schon wie ausgestorben. Es ist dunkel. Chiko läuft um die Ecke und will in den Spielzeugladen, aber die Türen sind fest verschlossen und es brennt auch kein Licht mehr. Chiko schaut kurz durch die Schaufensterscheibe und dann durch die Gegend, aber alle Läden haben bereits geschlossen.
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WOHNUNG JILL 14. INNEN / NACHT Chiko sitzt alleine auf dem Sofa und raucht. Jills Wohnung ist ziemlich klein. Überall hängen Girlanden und Ballons. Reste von Geschenkpapier liegen auf dem Boden und benutzte Gläser und Teller stehen noch auf dem Tisch vor Chiko. Jill und Ayleen kommen aus der Küche. Jill ist Mitte Zwanzig, eine dunkelhaarige Deutsche. Sie hilft ihrer Tochter Ayleen beim Tragen eines Tellers mit Torte und geht ganz vorsichtig und gebeugt hinter ihr her. Ayleen wird heute vier Jahre alt und trägt ein süßes Kleid. JILL So, ganz vorsichtig, Ayleen... Jill und Ayleen stellen gemeinsam den Teller auf den Tisch. JILL (zu Chiko) Du sollst doch nicht neben ihr rauchen... Chiko drückt die Zigarette aus, aber ohne besondere Eile. JILL (zu Ayleen) Und jetzt gib mal Papa die Gabel. Die Kleine reicht ihrem Vater die Gabel. JILL (zu Chiko) Wo warst Du denn Montag? CHIKO Wie, wo war ich? JILL Ja, wo warst Du? Du wolltest sie doch vom Kindergarten abholen, oder nicht? CHIKO Hab ich nicht mehr gepackt. JILL Weißt Du, Du bist nie da. Und wenn, dann bist Du voll Scheiße.
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CHIKO Jill, nerv mich nicht, ist gut jetzt... Jill wischt Ayleens Finger sauber. JILL (zu Chiko) Wo ist ’n Dein Geschenk? Chiko zögert kurz, kaut er erst mal seine Torte zu Ende. CHIKO Ich wollte ihr noch was kaufen, die Scheiß-Läden hatten zu. Jill fällt dazu nichts ein. Sie schaut ihn nur an. Gereizt steht sie auf und geht in die Küche. Chiko reagiert nicht großartig. Er sitzt da und isst weiter. Für einen Moment schauen sich Vater und Tochter in die Augen. Aber Chiko schaut gleich wieder weg. Er guckt sich die Ballons und Girlanden an. Jill kommt mit einem Geschenk zurück. JILL Guck mal, Ayleen... Guck mal, was Papa mitgebracht hat. Chiko glotzt nur. Er stellt seinen Teller ab und lehnt sich zurück. Irgendwie wirkt er fast gereizt. Jill hilft der Kleinen, das Geschenk aufzureißen. Es ist irgendein nettes Spielzeug. Die Kleine strahlt. JILL Oohh, schööön... Sag: ‚Danke, Papa‘... AYLEEN Danke... JILL Komm, gib Papa einen Kuss. Ayleen geht zu Chiko herüber. Der beugt sich vor, sodass sie ihm einen Kuss auf die Wange geben kann. Sein Blick trifft den von Jill.
15. STRASSE VOR WOHNUNG TIBET AUSSEN / TAG Chiko ist auf dem Weg zu Tibet. Wir hören laute Musik zwischen den
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Wohnblöcken. Zwei 12-jährige Jungs schlendern an Chiko vorbei und checken dabei kurz ab. JUNGE #1 Ne is, Chiko? Hast ’n bisschen Ot, ey? CHIKO Siktir, Lan, bist noch viel zu klein. JUNGE#1 Ist für meinen Bruder... CHIKO Deinen Bruder haben die abgeschoben, Du Sack. Der andere Junge lacht. Chiko klingelt bei Tibet an der Haustür.
16. WOHNUNG TIBET / FLUR INNEN / TAG Tibets Mutter öffnet die Wohnungstür und sieht Chiko vor sich stehen. Sie ist eine kleine Frau Anfang 50, mit grauem Haaransatz und sympathischem Gesicht. Sie packt sich Chiko und umarmt ihn herzlich. MUTTER (türkisch) Isa, mein Junge! CHIKO (türkisch) Hallo, Tante. Tibet steht jetzt im Flur und kaut an seinem Frühstück. Er scheint noch nicht ganz fit zu sein. MUTTER (türkisch, zu Chiko) Wo steckst Du nur immer, hast Du abgenommen? Guck mal, er da hinten nimmt auch kein bisschen zu, Ihr müsst beide mehr essen, Ihr seid junge Männer! TIBET (dazwischen) Tamam, Mama, ja. (zu Chiko) Komm her, Alda, lass fressen...
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17. WOHNUNG TIBET / KÜCHE INNEN / TAG Chiko und Tibet sitzen gemeinsam in der Küche und frühstücken Fladenbrot, türkischen Tee und solche Sachen. Tibets Mutter wäscht im Hintergrund ab. TIBET Ey, ich hatte voll den derben Traum heute, Alda... Ich war auf so ’m Platz, weißt Du, so stadionmäßig war das. Und überall waren die derbsten Autos, Alda, so wie bei diesem einen Film da bei Turan... Wie hieß ’n der noch, Alda? CHIKO & TIBET (gleichzeitig) The Fast and the Furious. TIBET Genau der, Alda. Das waren aber alles so ’ne Lowrider, Alda... MUTTER (türkisch) Tibet, Junge, lass doch mal dieses Alda-Malda. Was ist das immer, dieses Alda, Alda? TIBET (türkisch) Mama, ‚Alda‘ ist so was wie... ‚Alda‘ eben... Chiko muss grinsen. MUTTER (türkisch) Lass das, das passt nicht zu Dir... TIBET (türkisch) Okay, Mama... (zu Chiko) Auf jeden Fall, Digga, standen die Autos da alle so rum, weißt Du, und ich voll so dazwischen, Digga – MUTTER (türkisch) Mein Gott... TIBET (türkisch) Mama, ‚Digga‘ ist nichts Schlimmes... (zu Chiko) Sag ihr mal, dass das nichts Schlimmes ist... MUTTER (türkisch) Egal, Digga-Migga auch nicht, was soll das? (zu Chiko) Ist doch so, mein Junge?
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TIBET (türkisch) T‘schuldigung, Mama. Bist Du bereit? Wir können gleich los. (genervt zu Chiko) So, auf jeden Fall waren da überall Autos, und das Ding war: Alle hatten die gleiche Marke. Und weißt Du, wie die Marke hieß, ey? ... Tibet... Das waren MEINE verfickten Lowrider, Lan‚ amina koyim‘... Tibets Mutter blickt erschrocken zu ihm herüber. TIBET T‘schuldigung, Mama...
18. DIALYSESTATION INNEN / TAG Eine kleine, stille Dialysestation mit weißen Wänden und zwei Betten. Tibets Mutter liegt in einem der Betten und ist an eine Dialysemaschine angeschlossen. Eine dicke Nadel steckt in ihrem Arm. Eine blonde Krankenschwesterin weißem Kittel und weißer Hose stellt die Maschine ein. Im Nebenbett liegt ein weiterer Patient, ebenfalls an eine Maschine angeschlossen. Chiko und Tibet sitzen auf zwei Stühlen in der Ecke. Als die Schwester fertig ist, beginnt die Maschine zu summen. SCHWESTER So, Frau Özcan, es geht los, ne. Wenn Sie noch Eiswürfel wollen, sagen Sie Bescheid. MUTTER (mit Eiswürfeln im Mund) Hm-hm... Die Schwester verlässt den Raum. Kurzes Schweigen. Nur das Summen der Maschine ist zu hören. TIBET (leise zu Chiko) Das ist echt Absturz, Alda. Dauernd dieser Scheiß hier... Ma ehrlich, ne, stell Dir ma’ vor, ich hätte echt Lowrider mit meinem Namen. Alda, ich wär so scheißreich, ich würd meiner Mutter tausend Nieren kaufen... Für einen Moment beobachten Chiko und Tibet schweigend die Maschine. TIBET Weißt Du, mir hat einer erzählt, der kennt ’n paar Rumänen, Alda. Die sollen Nieren und Herzen und so ’n Scheiß verticken...
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CHIKO Vergiss den Scheiß... Kannst Du soundso nicht blechen. Tibet sagt einen kurzen Moment lang nichts. Er lehnt sich zurück. TIBET Wenn Du Gott zeigst, dass Du an ihn glaubst, hilft er Dir bei jedem Scheiß. Chiko widerspricht nicht, seine Augen ruhen auf der Mutter.
19. HOFPLATZ VOR WOHNUNG CURLY / NEBENSTRASSE AUSSEN / TAG Chiko und seine Bande spielen Fußball neben einer kleinen Straße zwischen zwei alten Blöcken. Mit von der Partie sind Tibet, Curly, Youssef, ein Perser Anfang Zwanzig, Turan, der türkische ‚Big Punisher‘ und weitere fünf ‚Mümmler‘. Es ist ein lautes Spiel mit viel Geschrei und Gesabbel. In der Nähe hängen irgendwelche Kids ab, fahren auf ihren Bikes oder lungern herum. Curly steht im Tor, das von zwei Steinen markiert wird. Turan schubst seine Gegenspieler beiseite und kickt den Ball in Curlys Tor. Der saust kurz durch die Luft und Treffer! TURAN Goal!!! YOUSSEF Curly, Du Scheiß-Zigeuner! CURLY Ey, was ’n, Du Nille?! Ich war noch nicht bereit, Mann! TIBET (höhnisch zu Curly) Derber Schuss, Alda!!! CURLY Na und, Digga?! Ein Mann ist ’n Mann, wenn er ’n Schuss überleben kann! Allgemeines Gelächter vom Gegnerteam. Curly ignoriert das und geht den Ball holen. Während die Jungs sabbeln, entdeckt Chiko ein dunkles Mercedes-Coupé, das langsam heranfährt. Er hupt kurz und der Beifahrer winkt Curly zu sich. Chiko beobachtet still die Situation. Curly spricht kurz mit dem Beifahrer und nickt.
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CURLY (winkt rüber) Chiko! Chiko geht zum Wagen. Die anderen Jungs bekommen davon nicht viel mit, sie albern herum. Als Chiko zu dem Coupé kommt, sieht er die Achtspeichen-Felgen an den Rädern, wirklich ordentliche Dinger. In dem Wagen sitzen zwei Kerle um die Dreißig. Der Beifahrer ist Sascha, hinter dem Lenkrad sitzt Jimmi – beide deutsch. Sie sehen sehr gepflegt aus, aber andererseits etwas unheimlich. CHIKO Was geht? SASCHA Du bist Chiko, ne? CHIKO Ja. SASCHA (zu Curly) Verpiss Dich mal. (zu Chiko) Steig ein. Ein Kollege will Dich sehen. CHIKO Was für ’n Kollege? SASCHA Steig ma‘ ein jetzt, Junge. Sascha lässt unter der Jacke auf seinem Schoß den schwarzen Griff einer kurzen Shotgun sehen. Curly weicht noch einen Schritt zurück. SASCHA Los. Chiko glotzt eine Weile und steigt dann ein.
20. MERCEDES COUPÉ INNEN / TAG Sascha, Jimmi und Chiko fahren schweigend durch die Straßen. Auf dem Rücksitz sieht sich Chiko in Ruhe die Innenausstattung an.
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CHIKO Derber Wagen. Sascha und Jimmi reagieren nicht großartig. CHIKO Ich will auch ma ’n Mercedes. In Weiß. Sascha und Jimmi sehen sich nur kurz an. Dann sieht Sascha nach hinten zu Chiko. SASCHA Weiß...
21. VOR ‚STUDIO BABYLON‘ INNEN – AUSSEN / ABEND Der Mercedes hält direkt vor einem Gebäude, über dessen Eingang auf einem Schild ‚Studio Babylon‘ steht. Die Drei steigen aus.
22. STUDIO BABYLON / AUFNAHMESTUDIO / KORRIDOR INNEN / NACHT Sascha, Jimmi und Chiko gehen einen schwach beleuchteten Korridor entlang. Die Wände und der Teppichboden haben eine eher gedeckte Farbe und vermitteln eine gemütliche Atmosphäre. Die Jungs bleiben vor einer geschlossenen Tür stehen. Sascha klopft an und anschließend gehen alle nacheinander herein. Sie treten in einen großen Raum mit einem gigantischen Mischpult, vor dem zwei Männer sitzen. Einer von ihnen ist der Mischer, der andere Brownie, ein Kerl Mitte Dreißig, eher sportlich, aber elegant angezogen, mit einem freundlichen, solariumgebräunten Gesicht. Sascha geht zu ihm und sagt irgendetwas. Chiko sieht währenddessen durch eine große Scheibe in die Gesangskabine, in der eine junge Sängerin mit Kopfhörern auf den Ohren in ein Mikro singt. Wir hören ein langsames, melancholisches Lied; es klingt fast wie Jazz. Jetzt fängt Brownie an, zu Saschas Worten freundlich zu nicken. Dabei fällt sein Blick auf Chiko. In diesem Moment betritt noch jemand das Studio. Chiko blickt sich um und erkennt Scholle. Er hat ein großes Pflaster an der Stirn und glotzt ihn wortlos an.
23. STUDIO BABYLON / CLUBRAUM
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INNEN / NACHT Brownie, Chiko und Scholle sitzen in einem schicken Clubraum an einem Tisch. Es ist eine Art kleine Bar mit bunten Pufflichtern, einem Tresen und schicken Sitzecken. Leise Musik läuft im Hintergrund. Hinter der Theke steht Jenny, eine blonde Tussi. Brownie zündet sich eine Zigarette an. BROWNIE (zu Chiko) Sag ma‘, was willst Du trinken? Chiko will sich auch gerade eine Zigarette anzünden, aber Brownie reagiert schneller und gibt ihm Feuer; Chiko schaut ihn dankend an. CHIKO Bier. Aus der Flasche, kein Glas. BROWNIE Kein Glas. (zu Scholle) Du auch Bier, ne? Jenny! Bringst Du uns zwei Jever und einen Gin? Und nur EIN Glas. JENNY Kommt, Brownie! BROWNIE (zu Chiko) Wieso ’n nicht aus ’m Glas? CHIKO Mit ’ner Flasche kann ich besser hauen, wenn‘s Stress gibt. Das gefällt Brownie. Er muss kurz lachen. BROWNIE (zu Scholle) Hörst das? (wieder zu Chiko) Wie, Du rennst durch die Gegend und haust irgendwelche Leute um, oder was? CHIKO Ja, wenn ich was davon hab. BROWNIE Ja, Probleme. Scholle versucht zu grinsen.
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CHIKO Wieso, wer will mir denn Probleme machen? Brownie sieht ihn kurz an. BROWNIE Ja, ich... Meinst Du nicht, oder was? Chiko hält seinem Blick stand. Jenny serviert nun die Getränke. Brownie nimmt die Eiswürfel aus seinem Gin und legt sie Jenny aufs Tablett. BROWNIE Hier, nimm mal bitte das Eis mit. Ich hab heut ’n bisschen Halsschmerzen. JENNY Okay. Jenny geht. Dann kommt kurzes Schweigen auf. BROWNIE (zu Chiko) Also, wie machst ’n das wieder gut mit uns hier? Sag mal was, schlag mal was vor. Chiko lässt einen Augenblick verstreichen. Er und Scholle gucken sich an. Dann sieht er Brownie entschlossen ins Gesicht. CHIKO Schmeißen Sie den ma‘ raus. Nehmen Sie mich. Brownie weiß erst mal nicht, was er sagen soll. Er starrt einen Moment, guckt rüber zu Scholle und grinst. Das hat er nicht erwartet. Er fängt an zu lachen. Scholle versucht es auch, lacht aber nur unecht. BROWNIE Was lachst DU denn?! Er macht Dich grad voll fertig, Junge. Scholle wird wieder ernst. CHIKO Ich mein das ernst, Mann. Was haben Sie überhaupt gedacht, als der gesagt hat: Da hat mich einer abgezogen und mir auf die Fresse gehauen? BROWNIE Was wohl?
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CHIKO Und was hätten Sie so gedacht, wenn er gesagt hätte: Da WOLLTE mich einer abziehen, aber ich hab IHM auf die Fresse gehauen? Brownie sitzt still da und sieht sich Chiko genau an. CHIKO Verstehen Sie, Sie haben den falschen Mann. Ich lass mich nicht abziehen. SCHOLLE Du Wichser, Ihr wart auch zu zweit. BROWNIE Ssschhht, hey. Scholle macht eine entschuldigende Geste. BROWNIE (zu Chiko) Warte ma‘ jetzt. Du schlägst einen von meinen Jungs und ich soll Dich einstellen, oder was? CHIKO Ja. BROWNIE Warum ‚Ja‘? CHIKO Weil ich besser bin als Ihre Jungs. Brownie schaut zu Scholle, nach dem Motto: ‚Hör dir mal den Schlaukopf an.‘ BROWNIE Ja, dann sag ma’ an, in was bist Du ’n so viel besser? CHIKO In allem. Egal, was. Brownie sieht ihn fast nachdenklich an. BROWNIE Kannst Du zehn Kilo Gras in zehn Tagen verkloppen?
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Es ist eine ernsthafte Frage. Chiko grinst nicht, aber er ist kurz davor. CHIKO Ja, kann ich. BROWNIE Kannst Du? Auf klein? CHIKO Ja, ich hol meinen besten Freund dazu, ’n derber Typ, mit dem pack ich das. Brownie nimmt einen Zug von seiner Zigarette und lässt eine Weile vergehen. Sein Gesicht sagt jetzt so was wie: ‚Lasst mich mal nachdenken‘. BROWNIE Pass auf, ich geb Dir zehn Dinger, auf ‚Kris‘, okay? Und Du kriegst ’ne Bude dafür. Du hast zehn Tage. Ich krieg 25 Cent pro Gramm. Mach mit dem Rest, was Du willst. Ihr vertickert aber nicht auf der Straße, da hab ich keinen Bock drauf. Nur in der Bude... Chiko guckt ihn nur an. BROWNIE Soweit alles klar? Mit einem zufriedenen Lächeln blickt Chiko zu Scholle. Der wirkt mehr als verwirrt. CHIKO Alles klar, Mann. Ist okay... Dann ma‘ auf meinen Bruder Scholle. BROWNIE (grinst) Auf Bruder Scholle. Die beiden stoßen an. Scholle sitzt verloren da. BROWNIE (zu Scholle) Glotz doch nicht wie so ’ne Pussy, jetzt trink mit.
24. OPEL CURLY INNEN-AUSSEN / TAG
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Chiko, Tibet und Curly fahren mit dem Opel Kadett durch die Straßen. Curly fährt und Chiko sitzt neben ihm. TIBET Alda, wie willst ’n den ganzen Scheiß in zehn Tagen weghauen, ey?! Ma‘ ehrlich jetzt... CHIKO Wenn wir das packen, haben wir ’n Job bei dem Asi. TIBET Alda, was soll ich mit ’nem Job bei dem Asi, der ist Musikdozent. CURLY Nicht Dozent, Mann. Produzent. TIBET Ist doch dasselbe. CURLY Das ist nicht dasselbe. Ein Dozent ist irgendwas an der Uni oder so... CHIKO Ist doch scheißegal, Digga, so sind wir auf jeden Fall an dem Asi besser dran, verstehst Du. So können wir ihn abziehen. Wir pissen ihm voll in die Fresse und der checkt das nicht. TIBET Geil, was bringt ’n das? CHIKO Das bringt Respekt, Digga. Wenn Du der Beste sein willst, musst Du Respekt kriegen, verstehst Du. Wenn Du Respekt kriegen willst, darfst Du keinen Respekt zeigen. Und wenn Du keinen Respekt zeigst, denken alle irgendwann, Du hast den Respekt erfunden! Weißt Du, wie ich mein?
25. VOR APPARTEMENTHAUS AUSSEN / TAG
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Der Opel hält mit fetzigem Hip-Hop direkt vor einem unscheinbaren Appartementhaus und die Jungs springen aus dem Wagen. Sie holen ein paar Klappstühle, eine Waage, einen Klapptisch und irgendwelche Tüten aus dem Kofferraum.
26. APPARTEMENTHAUS / KORRIDOR INNEN / TAG Mit dem Song im Hintergrund schlendern Chiko und seine Jungs voll bepackt durch einen Korridor mit vielen Wohnungstüren.
27. APPARTEMENTHAUS / TICKERWOHNUNG INNEN / TAG – NACHT Nun kommen die Jungs in ihre ‚Tickerbude‘. Es ist eine kleine, fast leere Wohnung mit alten Tapeten und einem Bett. Wir erleben die folgenden drei Sequenzen nicht hintereinander, sondern ineinander montiert, immer noch mit dem fetzigen Hip-Hop im Hintergrund: Sie schieben das Bett hin und her, bauen ihre Klappstühle und den Tisch auf und streiten sich über die Einrichtung. Tibet stellt den ‚Lowrider‘ aus Scholles Wohnung wie eine Trophäe in eine Ecke. (später) Die Jungs stellen die Waage auf den Tisch und schneiden zwei große Päckchen auf, die komplett aus dickem Klebeband zu bestehen scheinen. Sie schütten das Gras darin auf den Tisch. Ein riesiger Berg Ot! Dann wiegen sie kleine Haufen ab, sodass das Display auf der Waage 7g anzeigt. Diese Menge füllen sie in kleine Plastikbeutel um. (später) Wir sehen jetzt Kunden, die im Appartement Gras kaufen. Mal ist Chiko der Verkäufer, mal Tibet. Mal geht ein Beutel über den Tisch, mal zwei oder mehr. Mal wiegt Chiko ab, mal Tibet. Verschiedene Kunden, verschiedene Gesichter. Bei Tag und bei Nacht...
28. APPARTEMENTHAUS / TICKERWOHNUNG INNEN / NACHT Chiko sitzt am Tisch und zählt einen Batzen Geld. Tibet liegt hinten auf der Couch und raucht einen Joint. Auf seiner Stirn klebt ein Fuffi. Es ist still in der Bude. Die beiden sehen ein wenig geschafft aus. Einen Moment später hören wir das dumpfe, laute Stöhnen einer Frau durch die Wand. Chiko und Tibet schauen sich an. FRAU (türkisch, off) Fick mich! Fick mich! Ja, Du Tier!
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Tibets Augen werden größer. TIBET Alda, das ist ‚ne Türkin, Lan! Er richtet sich auf und legt ein Ohr an die Wand. Chiko dreht sich wieder um und zählt weiter. TIBET Ey, weißt Du was? Wir sind hier voll in ’nem Puff, Digga. CHIKO Mann, ich verzähl mich andauernd wegen Dir, Du Sack... Tibet durch die Wand rüber. TIBET (zu Chiko) Ey, ohne Scheiß, das ganze Haus bumst rum, hier wohnen nur Weiber. Das sind bestimmt alles die Nutten von dem Typen, Mann. Chiko zählt weiter. Dabei schmunzelt er leicht. TIBET Ey, lass die ma‘ ficken gehen. CHIKO Keine Türkin, Mann. TIBET Was dann? CHIKO Wenn dann ’ne Polin oder ’ne Russin oder ’ne Mongolin oder so was... TIBET Gibt ’s hier auch Behinderte, oder was? CHIKO Keine Mongoloiden, Du Hans, ’ne Mongolin aus der Mongolei, Mann... TIBET Was soll ich mit Mongos, Ollum, da ist ’ne Türkin.
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CHIKO Wenn ein Türke ’ne Türkin bumst, will die den gleich heiraten. Egal, ‚Nudde‘ oder nicht, Mann. Tibet sagt einen Moment nichts dazu. TIBET Was, wenn wir keine Türken sind, Alda?
29. APPARTEMENTHAUS / KORRIDOR INNEN / NACHT Chiko und Tibet klopfen nebenan an der Tür im Korridor. CHIKO Lass MICH ma‘ reden, okay? TIBET Nein, Mann, das war meine Idee, ich will reden. CHIKO Du verkackst das nur, Alda. Die Tür geht auf und vor ihnen steht eine junge Türkin Mitte 20. Sie hat geflochtene Haare und ein Kindliches Gesicht hinter all der Schminke. Ihr Name ist Meryem. Zwei Männer auf einmal hat sie wohl nicht erwartet. TIBET Hi... MERYEM Hi. Chiko sagt kein Wort, als hätte Meryem ihm die Sprache verschlagen. Er mustert sie von oben bis unten. Tibet starrt ihr erst mal nur in das tiefe Dekolleté. TIBET Wir kommen von Brownie. Bist Du grad frei? Meryem zögert kurz.
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MERYEM Ja. Sie macht den Jungs den Weg frei in die Wohnung. Tibet geht gleich rein. Chiko steht noch da und starrt sie an. Meryem macht eine einladende Bewegung. Dann folgt Chiko seinem Freund in die Wohnung.
30. APPARTEMENTHAUS / WOHNZIMMER MERYEM INNEN / NACHT Chiko und Tibet sitzen dicht nebeneinander auf einer Ledercouch. Die kleine Wohnung ist ziemlich peppig eingerichtet. Hier und da hängen bunte Bilder; ein bisschen Rot hier und ein bisschen Blau da. Meryem sitzt ihnen in knapper Aufmachung auf einem Sessel gegenüber. MERYEM Normalerweise lass ich immer nur einen hier rein, ne, dass Ihr‘s wisst. Die Jungs sagen nichts dazu. TIBET Bist Du Türkin? MERYEM Ja. TIBET (zögert) Wir sind Afghaner. MERYEM Geil. Kurzes Schweigen. MERYEM Wer will ’n zuerst? Die Jungs sehen sich kurz an.
TIBET Keine Ahnung. Lass doch einfach ’n Sandwich machen.
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Chiko blickt Tibet etwas überrascht an. MERYEM Was? TIBET Ein Sandwich. Er von vorn, ich von hinten. (zu Chiko) Oder willst Du von hinten, Alda? MERYEM Ey, was ist los?! TIBET Was? MERYEM Wollt Ihr mich verarschen? Verpisst Euch ma‘! TIBET (zu Chiko) Was ’n jetzt los, Lan? Chiko muss irgendwie grinsen. MERYEM (steht auf) Ich scheiß auf Euer Sandwich! TIBET Alda, bleib ma‘ locker, wir wollen hier nur ficken. MERYEM Fickt Euch gegenseitig, ich dreh hier keinen Porno! TIBET (steht auch auf) Was, fickt Euch gegenseitig?! Seh ich schwul aus, oder was?! Chiko drängt nun seinen Freund von Meryem weg bis zur Tür hin. Er lacht und versucht gleichzeitig, Tibet zu beruhigen. Alle sabbeln durcheinander. Chiko küsst seinen Freund auf die Wange, macht die Tür auf und schubst ihn in den Korridor hinaus. CHIKO (grinst) Ey, Mann, sorry, mein Freund ist echt ’n bisschen durch, weißt Du?
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Wollten kein Stress machen... MERYEM Ey, DU hast gleich Stress, Alter. Tibet versucht, durch den Türspalt in die Wohnung zu kommen, aber Chiko hält ihn mit einer Hand draußen. CHIKO (zu Meryem) Ich find dich echt geil. MERYEM ‚Siktir‘. Sie drängt ihn ebenfalls raus, aber Chiko schiebt den Kopf noch mal durch den Türspalt hinein. CHIKO (türkisch) Du bist echt der Hammer... Meryem schaut ihn an. Sie scheint etwas verwirrt zu sein. Irgendwie schafft sie es dennoch, die Tür zuzukriegen.
31. APPARTEMENTHAUS / TICKERWOHNUNG INNEN / TAG Tibet sitzt wieder mal am Klapptisch mit der Waage und mehreren Grasbeuteln. Er ist allein, Chiko ist gerade nicht da. Tibet öffnet den ersten Beutel und schüttet ein wenig vom Inhalt auf die Waage, ungefähr 1g. Er fegt das eine Gramm von der Waage in eine kleine Plastikschüssel, in der schon bereits etwas Gras drin ist. Anschließend packt er den Beutel zurück zu den anderen und nimmt einen zweiten. Dann dasselbe Spiel: Er öffnet ihn, schüttet ein Gramm auf die Waage und fegt es in die Plastikschüssel.
32. APPARTEMENTHAUS / TICKERWOHNUNG / SCHLAFZIMMER INNEN / TAG Tibet kommt mit der Plastikschüssel ins Schlafzimmer, das bis auf das Bett leer ist. Tibet hebt die alte Matratze hoch und steckt die Hand in einen Schlitz auf der Unterseite, aus dem er dann einen Frischhaltebeutel mit Gras herausholt. In diesem Augenblick hören wir ein Geräusch aus dem Wohnzimmer oder aus dem
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Flur, als wäre jemand hereingekommen. Tibet hält sofort inne und sieht vorsichtig in den anderen Raum. Aber die Geräusche kommen aus dem Appartement über ihm, also setzt er seine Arbeit fort. Alles, was in der Plastikschüssel ist, kippt er eilig in den Frischhaltebeutel und geht damit raus.
33. SPIELPLATZ AUSSEN / TAG Tibet spaziert lässig über einen großen Spielplatz in Mümmel. Es ist viel los hier. Kinder schaukeln und spielen, Müttersitzen auf den Bänken und unterhalten sich. Auch Jugendliche hängen hier und da ab. Aus einer Ecke dröhnt Musik aus einem Ghettoblaster. Tibet spricht einen Jungen an. Der schüttelt den Kopf und Tibet marschiert weiter. Kurz darauf spricht er zwei Mädels an. Die schauen sich kurz an und nicken. Tibet wirft einen flüchtigen Blick durch die Gegend und überreicht ihnen einen Beutel Gras. Sie reichen ihm zwei Scheine. Und das war‘s. Tibet geht weiter. Sein Blick bleibt an einer Frau hängen, die gerade ihr Kind schaukelt. Sie trägt einen Nasenring und hat blondierte Rastalocken. Sie starrt ihn regelrecht an, aber Tibet schaut nicht weg. Die Rastafrau nimmt ihr Kind von der Schaukel und geht davon. Tibet sieht ihr hinterher. Aber nicht lange, er wendet sich ab und setzt seinen Weg fort.
34. APPARTEMENTHAUS / KORRIDOR INNEN / TAG Chiko klopft an Meryems Tür. Stimmen und Fernsehgeräusche dringen aus den Appartements der Etage. Irgendwo hören wir einen Kunden stöhnen. Meryem öffnet. CHIKO Ey, alles klar? Meryem guckt nur. CHIKO Bist grad frei? MERYEM Ich krieg noch Kunden. CHIKO Wollen wir solange was essen gehen, oder was?
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MERYEM Der Erste kommt gleich. CHIKO Wie viele Kunden kriegst Du denn? Sie guckt ihn kurz an. MERYEM Drei. CHIKO Drei auf einmal? MERYEM Drei in einer Stunde, Mann. Chiko holt zwei Hunderter aus der Tasche und drückt sie Meryem in die Hand. CHIKO Das sind vier Kunden für ’ne halbe Stunde mit mir. Meryem schaut etwas verdutzt. CHIKO Bock auf ’n Sandwich?
35. VOR HOLLYWOOD CANTINE AUSSEN / TAG Ein Fastfood-Schuppen, gleich um die Ecke des Appartementhauses. Hinter der Fensterfront sehen wir Chiko und Meryem sitzen. An der Scheibe kleben Abbildungen riesiger Sandwichs.
36. HOLLYWOOD CANTINE INNEN / TAG
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Chiko und Meryem sind die einzigen Gäste. Ihre Teller stehen leer auf dem Tisch und ihre Colas sind halb ausgetrunken. Chiko zündet sich einen Joint an und nimmt einen tiefen Zug. Dann bietet er ihn Meryem an, aber sie lehnt ab. CHIKO Wie heißt Du denn? MERYEM Meryem. CHIKO Chiko. MERYEM Was ’n das für ’n Scheiß-Name? CHIKO Die nennen mich alle so. Kommt von meinem Nachnamen. Von Çikar. MERYEM Wie heißt Du ‘n in echt? CHIKO Isa. MERYEM Das heißt doch ‚Jesus‘, oder nicht? CHIKO Yo. MERYEM Meryem heißt ‚Maria‘. CHIKO Cool, Jesus und Maria ficken nachher. MERYEM Bist Du eigentlich verheiratet? CHIKO Mh-mh.
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MERYEM Cool, ich fick nämlich nicht gern mit verheirateten Moslems. CHIKO Wieso das ’n nicht? MERYEM Deren Frauen machen genug Scheiße durch, da fick ich nicht mit ihren Männern. Das ist mein Glaube. CHIKO Glaubst Du an Gott? MERYEM Klar, Du nicht? CHIKO Ich glaub an seine Macht. Deswegen heißt er auch Gott. Alle haben Respekt vor ihm, weil er der Größte ist. MERYEM Du hast echt ’n Dachschaden. Chiko grinst. CHIKO Was ’n mit Deinen Eltern? Wissen die, was Du machst? MERYEM Ich hab nur noch zu meiner Mutter Kontakt. Die denkt, ich studier hier. CHIKO Wo lebt sie denn? MERYEM Bremen. Deine Eltern? CHIKO Meine Mutter bei ihrer Schwester, mein Vater in der Türkei. MERYEM Wissen die, was Du machst?
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CHIKO Ich scheiß auf die. Das sind Wichser. MERYEM Wieso das? CHIKO Ich hatte nie richtig Eltern, weißt Du. Tibets Mutter war immer für mich da. Als es ihr dann mal scheiße ging wegen Tibet, war ich dann für sie da. MERYEM Wieso, was war ’n mit Tibet? CHIKO Er war mal auf „H“, weißt Du. Und hat Autos geknackt und so. Ich hab ihn weggebracht von dem Scheiß. Meryem sieht ihn länger an, ohne was zu sagen. MERYEM Ich find, Isa passt tausend Mal besser zu Dir als Chiko. Chiko schmunzelt leicht und nimmt noch einen tiefen Zug von seinem Joint.
37. APPARTEMENTHAUS / SCHLAFZIMMER MERYEM INNEN / TAG Meryem reitet auf Chiko, sie haben richtigen Dampfhammersex. Chiko krallt sich an Meryems Kette fest und reißt sie runter zu sich. Es dauert nicht lange, bis er gierig aufschreit und kommt. Er packt sie am Kopf und drückt ihn gegen seinen.
38. OPEL CURLY / VOR STUDIO ‚BABYLON‘ INNEN – AUSSEN / NACHT Der Opel Kadett von Curly hält direkt vor dem Studio ‚Babylon‘. Curly fährt, Chiko sitzt daneben und Tibet hinten. TIBET Alda, meinst Du, der macht uns auch ’n Lowrider, klar ey?
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CHIKO Mann, laber keinen Scheiß da drin, okay? Lass mich einfach reden. Chiko und Tibet steigen aus und gehen Richtung Eingang. TIBET Ja, Mann, aber wenn er uns ’n Wagen gibt, dann will ich ’n Lowrider. Was ’n los?! CHIKO (zu Curly) Ey, sind gleich wieder da, warte hier. CURLY (hinterher) Ey, Digga! Erzählt dem auch ma‘ von mir. Vielleicht braucht der noch jemanden... TIBET Siktir, Lan! Der will MICH kennenlernen, Alda! Tibet tritt noch gegen Curlys Stoßstange. CURLY Du Penner! Du kriegst ’n Trabi, Alda! Einen Trabi-Rider!
39. STUDIO BABYLON / CLUBRAUM INNEN / NACHT Chiko und Tibet kommen in den Clubraum. Heute ist hier ein wenig mehr los. Ein paar Leute sitzen an der Bar und die Musik ist etwas lauter. Einer von den Barhockern ist Sascha. Als er die Jungs sieht, kommt er auf sie zu. SASCHA Alles klar? CHIKO Was geht? Tibet stellt sich kurz vor und schüttelt Sascha die Hand. CHIKO Brownie hat angerufen. Er wollt mit uns labern.
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SASCHA Ja, er ist grad im Büro, ich hol ihn ma‘, wartet hier. Sascha geht davon. Chiko und Tibet warten. Tibet schaut sich ein wenig um. Dabei bleibt sein Blick an einer Frau hängen, die hinter dem Tresen Gläser abtrocknet. Sie trägt einen Nasenring und hat blondierte Rastalocken. Es ist die Rastafrau vom Spielplatz, die ihn so angestarrt hatte. Und jetzt glotzt sie auch. Tibets Ausdruck ändert sich plötzlich. TIBET (zu Chiko) Alda, lass ma‘ gehen, ey... CHIKO Was? TIBET Ja, lass gehen, scheiß drauf, wenn der nicht da ist, ist der nicht da... CHIKO Was laberst Du, Mann? In dem Moment kreuzt Sascha wieder auf. SASCHA Er meinte, er kommt gleich. Der würd aber gern erst mal Dich sehen. Er meint Tibet. CHIKO Alleine oder was? SASCHA Ja, er will ihn mal kurz kennenlernen. Die Jungs schauen sich kurz an. CHIKO Geh doch, Digga, was ’n los?
TIBET Der kommt doch sowieso her. (zu Sascha) Oder nicht?
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CHIKO Ollum, geh jetzt. Meine Fresse... Chiko gibt Tibet schon mehr oder weniger einen Schubs. Sascha geht dann vor. Tibet folgt ihm nun. Dabei schaut er kurz zurück zu Chiko. Der zeigt ihm eine Geste, mit der er „Los, nur zu!“ sagen will. Die Rastafrau beobachtet das Geschehen hinter‘m Tresen.
40. STUDIO BABYLON / KORRIDOR INNEN / NACHT Sascha und Tibet gehen hintereinander durch einen langen Korridor. Die Musik aus dem Clubraum verschwindet immer mehr im Hintergrund. Keiner redet. Sascha bleibt vor einer geschlossenen Tür stehen und klopft kurz an. Anschließend macht er auf und sie gehen rein.
41. STUDIO BABYLON / KELLER INNEN / NACHT Sascha und Tibet betreten einen Kellerraum. Es ist ein Abstellraum mit Regalen, Kisten, Tischen und einer Menge Kleinkram. Der Raum hat keine Fenster und ist relativ heruntergekommen, irgendwie gruselig. Brownie und irgendein Brecher sitzen auf einem Holztisch an der Seite und rauchen. Der Brecher ist Jimmi, den wir zuletzt mit Sascha zusammen gesehen haben. Sie unterbrechen ihr Gespräch und stehen auf. Brownie gibt Sascha ein Zeichen und der schließt daraufhin die Tür ab. Tibet steht da und ist ganz still. Brownie drückt seine Zigarette auf dem Boden aus. BROWNIE Bist Du Tibet? Er baut sich vor Tibet auf. Nett wirkt er nicht unbedingt. TIBET Ja. BROWNIE Willst Du mir was sagen?
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TIBET Was? BROWNIE Ja, willst Du mir was sagen oder nicht? TIBET Was denn? BROWNIE Weißt Du nicht? TIBET Nein, was?! Brownie verpasst Tibet wie aus dem Nichts eine Ohrfeige. Der ist total baff. Sofort packen ihn Sascha und Jimmi von der Seite. TIBET Hey, Mann, was soll ’n der Scheiß?! Ich hab nichts gemacht... BROWNIE Hast Du mich nicht verarscht? Bist Du keine Fotze oder was?! Hä? TIBET Nein, Mann, was soll ’n der Scheiß? Brownie gibt ihm noch eine Ohrfeige. BROWNIE Du Wichser, hinter meinem Arsch vertickerst Du auf der Straße! TIBET Nein, Mann... BROWNIE Halt‘s Maul, meine Leute waren die ganze Zeit dran an Dir! Deine Mengen haben nicht gestimmt, überall war ’n Gramm zu wenig drin!
TIBET Nein, Mann, echt nicht, ich war das nicht!
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Brownie gibt ihm eine Kopfnuss. Tibet schreit kurz auf. Sascha und Jimmi lassen ihn wie ein Stück Dreck fallen. Seine Braue ist aufgeplatzt. Er hält sie sich fast heulend fest. BROWNIE Arschloch. Packt den da rauf. Gemeint ist der alte Holztisch nebenan. Brownie wischt den ganzen Schnickschnack vom Tisch und Sascha und Jimmi stemmen Tibet darauf, während Brownie sich dann einen Hammer vom Regal holt. Tibet jammert herum und wird festgehalten. BROWNIE Hast Du nicht die Eier, mir die Wahrheit zu sagen, Du Wichser?? TIBET Ich war das nicht, Mann, ich war das nicht!!! Brownie packt ihn jetzt am Kiefer, in der anderen Hand den Hammer. BROWNIE Lüg mich nicht an! Ich hau Dir die Scheiß-Zähne raus, mach das Maul, mach das Maul auf!!! Brownie holt jetzt mit dem Hammer aus. TIBET OKAY, Mann, ICH HAB GEKLAUT, ICH HAB GEKLAUT! HÖR AUF, HÖR AUF!!! ICH WAR‘S, HÖR AUF... Tibet ist völlig fertig, heult schon vor Angst. BROWNIE (zu seinen Jungs) Haltet ihn mal richtig fest! Brownie zieht Tibet einen Schuh aus und die Socke gleich mit. BROWNIE Wolltest mir in den Arsch treten, Du Fotze. TIBET Nein, Mann, ich schwör! Ich bring Euch alles zurück!!!
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Brownie holt einen großen, rostigen Nagel hervor. Jimmi hält Tibets Fuß fest. TIBET Nein, Mann, HÖR AUF, HÖR AUF! Brownie hämmert Tibet den Nagel durch den Fuß. Tibet schreit wie am Spieß und heult Rotz und Wasser. Er zappelt wie ein Fisch. Brownie spuckt auf Tibet. Dann schmeißt er den Hammer weg und geht.
42. STUDIO BABYLON / CLUBRAUM INNEN / NACHT Brownie kommt mit schnellen Schritten in den Clubraum, gefolgt von Sascha. Chiko sitzt an einem der Tische und raucht gerade. Als er Brownie sieht, will er mit gestreckter Hand aufstehen. Aber Brownie drückt ihm die Hand wieder herunter und setzt sich zu ihm an den Tisch. BROWNIE So, pass mal auf: Unser Ding ist durch, Dein Freund wollt mich verarschen, er ist raus. Ich lass mich nicht verarschen, ich will mein Geld... CHIKO Was für ’ne Verarsche?! Was ist denn los, Mann?! BROWNIE Hast Du mich verstanden? Ich will mein Geld, heute in einer Woche. Das war’s. Brownie steht schon wieder auf. CHIKO Was soll denn der Scheiß? Was ist denn los?! BROWNIE (zu Sascha) Lasst ihn den Wichser da rausholen.
43. STUDIO BABYLON / KELLER INNEN / NACHT
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Chiko kommt in den Kellerraum, dicht hinter ihm ist Sascha. Chiko sieht Tibet auf dem Boden liegen, ein Fuß nackt und blutbeschmiert. Er heult und schreit vor Schmerz. Jimmi steht wie ein Wächter daneben. Chiko eilt zu seinem Freund herüber und versucht, ihm hoch zu helfen. CHIKO Scheiße, Mann! SCHEISSE!!! Was hast Du gemacht, Du Arsch?! Was hast Du gemacht?! Tibet krallt sich hilflos an Chiko fest.
44. OPEL CURLY INNEN / NACHT Eine hektische Fahrt durch die Nacht. Curly, Chiko und Tibet schreien wild durcheinander. Tibet heult vor Schmerz und kann kaum still sitzen.
45. VOR KRANKENHAUS AUSSEN / NACHT Curlys Opel hält direkt vor einem Krankenhausgebäude. Chiko, Curly und Tibet steigen eilig aus. Tibet hält sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an Chiko fest.
46. KRANKENHAUS / KRANKENZIMMER TIBET INNEN / MORGEN Ein kleines Krankenzimmer mit zwei Betten. Ein Bett ist leer, in dem anderen liegt Tibet, den rechten Fuß in einem dicken, weißen Verband. Chiko und Curly stehen mit langen Gesichtern im Raum herum, Chiko ist am Fenster, möglichst weit weg von Tibet. Keiner sagt ein Wort. Langsam wird es hell draußen. Irgendwann schenkt Tibet den anderen einen Blick. TIBET (leise) Ich hab das für meine Mutter gemacht, Mann... Keiner sagt was dazu. TIBET Ich wollt ihr was holen...
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Chiko starrt ihn an. CHIKO Was? Tibet schweigt und schaut Chiko an, als erwarte er die Antwort von ihm. Chiko weiß nicht, ob er lachen oder weinen soll. Er geht auf Tibet zu. CHIKO Alda, willst Du mich verarschen, oder was?! Curly versteht nicht. CHIKO Bist Du hängengeblieben, oder was?! CURLY Digga, was ist denn los?? TIBET Sie braucht ‚ne Scheiß-Niere, Mann! Was?! CHIKO (zu Curly) Alda, sag ihm ma‘, dass er behindert ist! Sag ihm das ma‘! (wieder zu Tibet) Was hab ich Dir gesagt, Du Arschloch? Du hast nur Scheiße im Kopf! TIBET DU hast Scheiße im Kopf, Alda! CURLY Scchh, ey, wir sind im Krankenhaus... CHIKO Hast Du gedacht, mit ’nem bisschen Ot kannst Du Deiner Mutter ’ne Scheiß-Niere kaufen, oder was?! TIBET Was, Mann?! Ist doch mein Problem!
CHIKO Jetzt ist das unser Problem, Du Wichser!
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Darauf hat Tibet keine Antwort. Er wendet den Kopf ab, mit einem ‚Lass mich in Ruhe!‘ im Gesicht. Es ist ganz still im Krankenzimmer. Curly traut sich nicht, was zu sagen. Chiko wendet sich ab und geht. CURLY Ey, Mann... Chiko knallt die Tür hinter sich zu.
47. VOR HAUS TIBET AUSSEN / TAG Tibets Mutter kommt mit Einkaufstüten beladen auf die Haustür zu. Sie kramt ihren Hausschlüssel aus der Tasche, als sie Chiko vor der Tür sitzen sieht. MUTTER (türkisch) Isa, Junge... Alles in Ordnung? Chiko steht auf.
48. WOHNZIMMER TIBET INNEN / TAG Chiko und Tibets Mutter sitzen im Wohnzimmer. Die Einkaufstüten hat die Mutter einfach in den Raum gestellt, nicht einmal die Schuhe oder die Jacke hat sie ausgezogen. MUTTER (türkisch) Mein Blutdruck ist jetzt wieder ganz schlimm... Sie seufzt und legt sich die Hand auf die Augen. MUTTER (türkisch) Bring mich gleich zu ihm, Isa. Chiko sitzt nur still da. Es vergeht eine kurze Weile. Die Mutter setzt sich nun aufrecht hin. MUTTER (türkisch) Mein Junge... Ihr müsst aufeinander aufpassen...
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Chiko schaut sie einen Augenblick lang schweigend an. MUTTER (türkisch) Ihr seid wie Brüder... Chiko nickt.
49. WOHNUNG CHIKO / STRASSE INNEN – AUSSEN / NACHT Chiko liegt auf seinem Bett und starrt vor sich hin. Er ist allein. Das Licht der Straßenlaterne fällt schwach ins Zimmer. Chiko dreht sich zur Seite und zündet sich eine Zigarette an. Er steht auf, geht zum Fenster und macht sie auf. Er guckt raus auf die Straße. Nicht viel los. Einen kurzen Moment später fällt Chikos Blick auf die Mauerwand gegenüber auf der anderen Straßenseite. Dort ist ein riesiges, buntes Bild von Jesus zu sehen. Das Werk von begabten Sprayern. Chiko starrt Jesus an. Und für einen klitzekleinen Moment scheint auch Jesus ihn anzusehen.
50. SCHROTTPLATZ AUSSEN / TAG Wir befinden uns auf einem großen Schrottplatz mit Hunderten von Wracks. Ein paar Kerle schleppen verrostete Autofelgen oder Stoßstangen von einer Ecke in die andere. Unter ihnen ist Curly. Er hat schmutzige Arbeitsklamotten an und kurvt mit einem Gabelstapler über den Platz. Er transportiert einen alten Schlitten von A nach B. Chiko steht jetzt im Eingang und pfeift laut. Ein älterer Mann in Rollkragenpullover und Lederjacke schaut rüber zu ihm. Es ist Curlys Vater, der gerade jemandem eine Anweisung gibt. Curly hat Chiko auch gesehen, guckt zu seinem Vater und bittet ihn mit einer Geste um ein paar Minuten Pause. Danach steigt er vom Gabelstapler runter.
51. SCHROTTPLATZ / HINTERHOF AUSSEN / TAG Auf dem Hinterhof steht ein Berg voller Schrottwagen und ein Kran. Wir hören noch die Arbeiter und Maschinen im Hintergrund. Chiko und Curly sind hier allein. CHIKO Okay, Mann, das läuft jetzt so: Ich mach ’n Treffen mit dem Wichser klar. Dann geb ich ihm sein Geld, so war das soundso abgemacht.
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Curly nickt still. CHIKO Und wenn das dann gelaufen ist, ficken wir ihn. CURLY Wie meinst Du das? CHIKO Ich baller dem Arsch den Fuß weg. Curly weiß kurz nicht, was er sagen soll. CURLY Ja, und dann? CHIKO Dann muss ich erst ma‘ weg hier. Ich mach woanders weiter. Ein kurzes Schweigen. CURLY Digga, das ist ’ne Scheiß-Idee, Mann, echt. Stell Dir ma‘ vor, die Bullen packen uns oder der Typ, dann sind wir am Arsch. CHIKO Bleib ma‘ locker, uns packt keiner. CURLY Gib ihm doch sein ‚Para‘ und Ihr seid quitt! CHIKO Wir sind quitt, wenn der Wichser humpelt. CURLY Tibet hat die Scheiße gemacht, Digga, nicht der Typ... CHIKO Tibet ist mein Bruder, ich bin auf seiner Seite, klar?! CURLY Mann, er ist auch mein Bruder, aber weißt Du...
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Curly hält inne, als er seinen Vater auf dem Hof stehen sieht. Der glotzt nur doof und schimpft in seiner Sprache. CURLY Okay, ich komm gleich, Papa. Sein Vater dreht sich genervt um und geht. Chiko und Curly gucken sich kurz an. CURLY Digga, wenn irgendwas passiert, fickt mein Vater mich, verstehst Du. Der Scheiß ist zu krass. Chiko widerspricht nicht. Er lässt einen kleinen Augenblick verstreichen. CHIKO Alles klar, wir sehen uns dann. Chiko geht einfach. Curly sieht ihm hinterher. CURLY Ey, Mann... Chiko blickt zurück. Curly braucht einen Moment, um was zu sagen. CURLY (fast entschuldigend) Ich mach mit, Digga. Die Jungs gucken sich eine Weile aus der Distanz an. Chiko geht dann wieder auf seinen Freund zu. Die beiden checken ab und umarmen sich.
52. HOCHHAUSUNTERFÜHRUNG / MÜMMELMANNSBERG AUSSEN / TAG Chiko geht eine kleine Gasse in Mümmel entlang. In der Gegend sind nur ein paar kleine Mädels, die Seilhüpfen spielen. Turan, der türkische Big Punisher, den wir noch vom Fußball kennen, steht in der Hochhausunterführung und wartet auf Chiko. Er ist allein. Als Chiko zu ihm kommt, checken sie kurz ab und verkriechen sich in die Ecke. Dabei schauen sie sich noch einmal um, ob die Luft rein ist. Turan holt nun etwas hervor, das in ein kleines Tuch gewickelt ist. TURAN Hier, Moruk, aus Italien. Mein Bruder meint, ist erste Hand.
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Chiko packt eine vernickelte 9mm Walther aus. TURAN Ist auch nicht so groß... Ist okay? Chiko dreht und wendet das Ding und wiegt es kurz ab. CHIKO Ist okay. Er sieht sich noch einmal um und steckt sich die Knarre in den Hosenbund vorne.
53. KINDERGARTEN / HOF INNEN – AUSSEN / TAG Langsam kommt Chiko durch den Hofeingang zum Kindergarten. Ein Hoftisch und ein paar Kinderwagen stehen vor dem Eingang. Chiko zögert etwas und geht dann durch die Eingangstür. Kaum im Flur, hält er schon wieder inne. Er schaut sich kurz um. Wir hören die kleinen Kinder im Off aus dem Spielraum. Chiko richtet die Knarre im Hosenbund zurecht. Und nach einer Weile dreht er um und geht wieder raus. Er zögert ein wenig und geht zu den Fenstern. Vorsichtig späht er hinein. Er sieht eine Gruppe kleiner Kinder, die mit einer südländischen Erzieherin an einem niedrigen Tisch sitzen und malen. Unter ihnen Ayleen. Ganz dumpf hören wir die Kinder reden und rufen. Die Erzieherin hilft dem einen oder anderen Kind und schaut sich die Bilder an. Chiko rührt sich nicht vom Fleck. Er beobachtet Ayleen. Nach einer Weile dreht er ab und verlässt den Hof. Wir können etwas in seinem Gesicht sehen. Vielleicht eine gewisse Bedrücktheit.
54. VOR TAVERNE ‚ALMAS‘ / FORD CURLY INNEN – AUSSEN / NACHT Langsam fährt Curlys Opel auf den Parkplatz einer orientalischen Taverne. Der Eingang des Lokals ist mit bunten Lichtern geschmückt und darüber steht ‚ALMAS‘.
CURLY (off) Ist der Typ überhaupt schon da, oder was?
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CHIKO (off) Der Wichser wollte hier um neun ’n Tisch klarmachen. Der Wagen hält und wir sehen Chiko, Tibet und Curly. Chiko sitzt auf dem Rücksitz mit einer Sporttasche auf dem Schoß. Curly ist am Steuer, Tibet neben ihm. CHIKO Lass ma‘ laufen den Wagen... Chiko versucht, durch die Fensterfront in die Taverne hineinzusehen. CHIKO So, Mann, ich geh rein. Es kann ‚n bisschen dauern, okay, macht keinen Stress. Ich geb ihm sein Geld und versuch, ihn irgendwie da rauszulocken. Hörst Du zu, oder was?! CURLY Ja, Mann. CHIKO Ich mein das ernst, guckt immer zur Tür. Wenn ich fertig bin, müssen wir uns echt verpissen hier... Klar, Alda?! TIBET Alles klar. Curly wirkt nervös. CURLY Ja... Chiko braucht noch ein paar Sekunden, bevor er dann die Sporttasche nimmt und aussteigt. CHIKO Alles klar, bis gleich.
55. TAVERNE ‚ALMAS‘ INNEN / NACHT
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Chiko betritt die kleine Taverne, die gut besucht ist. Das Licht ist gedämpft und es läuft irgendeine arabische Musik im Hintergrund. Die Gäste essen bei nettem Kerzenlicht oder rauchen Wasserpfeifen. Chiko schaut kurz durch die Reihen. Und da ist Brownie auch schon, in feinem Zwirn und mit strahlendem Lächeln. Er winkt Chiko zu sich an den Tisch, wo er mit seiner rothaarigen, holländischen Ehefrau Rejy und seinem kleinen Sohn Niko sitzt. Ein dunkelblonder Kerl, so Anfang 30, sitzt direkt neben Brownie. Er heißt Tonton, ein feiner Typ. Chiko geht zu ihnen, die Sporttasche über die Schulter geworfen. BROWNIE Chikooo... Brownie gibt ihm Küsschen links, Küsschen rechts. BROWNIE Alles gut? CHIKO Ja... Tonton steht auf und lässt sie allein. TONTON Brownie, wenn was ist, ich bin hinten, okay? BROWNIE Alles klar. (zu Chiko) Setz Dich. Hast Du Hunger? Er nimmt Chiko die Tasche ab. Es könnte auch eine höfliche Geste sein. CHIKO Nein. BROWNIE Wie, nein? Bestell Dir ma‘ was. Schmeckt gut hier. (zum Kellner) Timo, bring mal die Weinblätter. Die Kleinen, nicht die aus ’m Glas, Du Sack. (zu Rejy) Entschuldige. Er setzt sich wieder an den Tisch. BROWNIE (zu Chiko) Das ist meine Frau, das ist Rejy. Sie war meine erste Musikerin im Studio, kann wahnsinnig Geigespielen. (zu Rejy) Und das ist Chiko, der Junge, den
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ich meinte. REJY (mit holländischem Akzent) Ah ja, hallo. Chiko und Rejy geben sich kurz die Hand. BROWNIE Und das ist mein kleiner Prinz hier, mein Sonnenschein. (dann zu seinem Sohn) Pass ma‘ auf: Niko, sag ma‘ dem Onkel da, wie dieser Muskelmann mit dem Messer in dem einen Film heißt, der im Wald immer? NIKO Dumbo. Brownie und Rejy lachen. BROWNIE (zu Chiko) Er meint Rambo... Chiko schmunzelt leicht. Brownie wischt seinem Sohn das Kinn sauber. BROWNIE Und sag mal jetzt: Wie heißt der Mann mit der Pistole in dem andern Film, den Mama so mag? NIKO Cappuchino... Wieder Gelächter. Chiko lacht jetzt mit. Nicht so herzhaft wie die anderen, aber er lacht mit. BROWNIE (zu Chiko) Al Pacino, meint er... Er wird ’n Großer. (zum Kellner) Timo, wo bleibst Du?? Wir hören auf einmal eine laute Darbuka aus den Boxen, das traditionelle orientalische Bauchtanz-Instrument. Die Gäste in der Taverne fangen an, zum Rhythmus zu klatschen und wie aus dem Nichts tritt eine dunkelhaarige Bauchtänzerin auf. Sie steckt in einem knappen, glitzernden Paillettenkleid und schwingt ihre Hüften. Brownie pfeift laut durch den Laden und klatscht mit. Chiko ist der Einzige, der still auf seinem Platz sitzen bleibt. Er versucht, zu lächeln und rückt ganz unauffällig die Knarre vorne im Hosenbund zurecht. Die Bauchtänzerin
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tanzt von Tisch zu Tisch und landet sehr bald an Brownies. Der zieht Chiko hektisch hoch. BROWNIE Los-los-los-los-los... REJY (zu Chiko) Ja, los, steh auf... CHIKO Nein, nein... Brownie zerrt Chiko auf die Beine. Der versucht sitzenzubleiben, aber Brownie lässt nicht nach. Er reißt ihm die Jacke vom Leib. Und dann geht’s los. Chiko tanzt mit der Bauchtänzerin – und das gar nicht mal so schlecht. Brownie lacht und amüsiert sich klatschend. Irgendwann mischt auch er mit. Die Gäste lachen über seine Art zu tanzen. Er tanzt Chiko an, wie eine Frau, die ihn anmachen will.
56. PARKPLATZ VOR TAVERNE ‚ALMAS‘ INNEN – AUSSEN / NACHT Die Jungs sitzen im Auto. Der Motor läuft immer noch. Durch die Fenster können sie Chiko, Brownie und die Bauchtänzerin tanzen sehen. CURLY Was geht ’n da ab, Alda?! Tibet sieht nicht gerade glücklich aus. Er sieht still durch die Scheiben.
57. TAVERNE ‚ALMAS‘ INNEN / NACHT Zurück in der Taverne. Chiko und Brownie hüpfen noch immer mit der Bauchtänzerin herum. Die Musik läuft jetzt aus und der Tanz ist zu Ende. Die Gäste applaudieren lachend, die Bauchtänzerin ebenso. Chiko und Brownie verneigen sich vor ihrem Publikum. Brownie legt zufrieden einen Arm um Chiko und die beiden wollen gerade wieder an ihren Tisch zurück, als sie einem Kellner in die Quere kommen. Ein Teller Suppe ergießt sich auf Brownies Jacke und Hemd, einige Frauen schreien kurz auf. Chiko hat einen großen Schritt zur Seite gemacht und ist noch mal davongekommen. Der Kellner, ein Pole Ende Zwanzig, weiß
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gar nicht, wie er sich verhalten soll. KELLNER Entschuldigung... Tut mir echt leid, Brownie... BROWNIE (mit einem Lächeln) Kein Ding... Schon okay, meine Schuld... Nach kurzem Hin und Her verschwindet Brownie in Richtung der Toiletten. Chiko schaut sich kurz um und geht dann hinterher.
58. TAVERNE ‚ALMAS‘ / GANG VOR HERRENTOILETTE INNEN / NACHT Chiko kommt in einen Gang, der zu den Toiletten führt. Er schaut sich vorsichtig um, ob die Luft rein ist und geht durch die Tür.
59. TAVERNE ‚ALMAS‘ / HERRENTOILETTE INNEN / NACHT Chiko kommt durch die Tür in einen großen, sauberen, gepflegten Waschraum. Große Kacheln, nette Leuchten, keine dieser 08/15-Toiletten. Brownie steht vor einem Waschbecken und wäscht Hemd und Jacke aus. Er blickt über den Spiegel zu Chiko. BROWNIE Hey. CHIKO Alles klar? BROWNIE Gar nichts klar. Da will man ma‘ tanzen und dann so ’ne Kacke... Das ist ägyptische Baumwolle... Chiko tut so, als öffne er seine Hose und geht um die Ecke zu den Pissoirs. Es scheint außer ihnen niemand hier zu sein. Chiko durchsucht eilig jede Kabine. Die Luft ist rein. BROWNIE Hab ich schon gesagt? Der Laden hier gehört einem von meinen Jungs, dem Polacken von eben, der bei uns saß. Der schleppt hier dauernd so ’ne Vögel
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aus Warschau an, weißt Du, die klauen den Leuten hier noch die Autos vor dem Laden, diese Arschficker. Brownie schaltet den Händetrockner ein und hält die Jacke darunter. BROWNIE Sorry, Mann. Rejy flippt immer aus, wenn ich so rede. Ich will mir das abgewöhnen. Niko schnappt sich manchmal was auf, das ist nicht gut... Chiko nutzt den Moment und holt währenddessen die Pistole hervor. Er lädt durch. Er wirkt verdammt nervös, braucht eine Weile, bevor er sich bewegt. Langsam wagt er es, mit der Knarre um die Ecke zu spähen. BROWNIE Da sitzen wir letztens beim Essen und er sagt zu seiner Mutter ‚Fotze‘. Glaubst Du das? Er sagt zu ihr ‚Fotze‘. Chiko zielt nun auf Brownies Rücken. Er ist verdammt nervös. Auf einmal ist Brownie fertig mit dem Trocknen und dreht sich um. Chiko weicht zurück und stellt sich mit der Waffe in der Hand vor eines der Pissoirs. Links und rechts neben ihm sind Trennwände. Brownie kommt um die Ecke und stellt sich direkt neben Chiko zum Pinkeln hin. BROWNIE Jetzt hat Rejy ’ne Spardose in der Küche. Immer wenn ich irgendwas mit ‚Ficken-Facken‘ sag, muss ich da 50 Cent reinschmeißen. Sie meinte gestern, da sind schon 340 Euro drin... Brownie lacht kurz. Und dann Stille. Brownie glotzt Chiko von der Seite an. BROWNIE Alles klar? CHIKO Ja. Brownie schweigt für einen Moment. BROWNIE Ich weiß, was Du machen willst. Chiko glotzt. Ihm wird mulmig. CHIKO
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Was? BROWNIE Was? Du weißt, was ich mein. Das seh‘ ich Dir voll an, die ganze Zeit. Chiko bringt kein Wort heraus. Er hält die Knarre in seiner Hand noch fester. Brownie schüttelt den letzten Tropfen ab und packt alles wieder ein. Er drückt die Spülung. BROWNIE Guck mal, das ist Dein Freund, ich weiß. Du willst mir hier weismachen, dem tut das leid und so, aber...mh-mh. Mit dem bin ich durch, kann er vergessen. Chiko guckt ihn nur an. BROWNIE WIR beide hier machen weiter. Du hast tausend Mal mehr drauf als der, bist ’n Guter. Glaub mir mal, ich kann Leute gut einschätzen, mein Vater war Richter. Brownie zwinkert ihm zu. Chiko weiß nicht, was er sagen soll. Er nickt nur. Brownie geht zu den Waschbecken, um sich die Hände zu waschen. Chiko stopft eilig die Knarre wieder hinten in den Hosenbund. Dann geht auch er zu den Waschbecken. BROWNIE Was hast Du überhaupt mit so ’nem Spacken zu tun? Den würd ich echt lassen. Der Typ ist kein Freund, der wird Dich irgendwann runterziehen, ich mein das ernst. Chiko schweigt. Brownie schüttelt seine Hände trocken und dreht sich zu ihm. BROWNIE Kennst Dich eigentlich aus mit ‚Dash‘? Mit Koka? CHIKO Geht so.
BROWNIE Guck mal, das mit dem Pot, das läuft bei mir so nebenbei, verstehst Du? Ich will so richtig was aufziehen. Vergiss mal Gras, vergiss das alles. Deutsch-
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land ist ’n Koksland. Ich will expandieren. Die beiden schauen sich eine ganze Weile an. BROWNIE Ist das was für Dich? Chikos Mund verzieht sich zu einem Lächeln. CHIKO Ja, schon. BROWNIE Wie ‚ja schon‘?? Machst da mit oder nicht? CHIKO (lacht leise) Ja, Mann. Geht klar. Die beiden schlagen die Hände ein. BROWNIE Lass mal wieder rüber. Trinken wir was.
60. PARKPLATZ VOR TAVERNE ‚ALMAS‘ INNEN / NACHT Chiko steigt hinten ins Auto. Die anderen beiden drehen sich nervös zu ihm um. CURLY Ey, was ’n los, Digga? Wo warst Du denn? Chiko holt die Knarre hervor und legt sie in das Fach zwischen den beiden Vordersitzen. CHIKO Hier, Alda. Die beiden anderen Jungs schauen verwirrt. CHIKO Ich mach wieder Geschäfte.
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CURLY Was? Curly und Tibet schauen sich an. Tibet sieht nicht gerade erfreut aus.
61. MOSCHEE / GEBETSRAUM INNEN / TAG Am nächsten Tag hocken Chiko und Tibet in den ersten Reihen im Gebetsraum und beten. Es ist das gleiche Spiel: Der Imam spricht das Gebet vor und die Gemeinde steht gleichzeitig auf und geht gleichzeitig auf die Knie. Tibet braucht ein wenig länger als die anderen. Er betet wegen seines Fußes in einer anderen Haltung. In seinem Gesicht sind deutliche Anzeichen schlechter Laune zu beobachten. Er sieht grimmig aus. Chiko schaut ihn kurz an. Von Tibet kommt keine Reaktion.
62. BUS INNEN / TAG Die Busfahrt Richtung Mümmelmannsberg. Chiko und Tibet sitzen wieder auf der Rückbank. Tibet in der einen, Chiko in der anderen Ecke. CHIKO Was ’n los mit Dir, Mann?... Hh? TIBET Du hättest den Wichser abknallen sollen, Alda. Chiko guckt ihn von der Seite an. CHIKO Wir machen den fertig, wenn wir ihn nicht mehr brauchen, klar? TIBET Ich brauch den nicht. CHIKO ICH brauch den aber. TIBET Alda, ich würd nie für so ’n Hurensohn arbeiten, wenn er Dir was getan hätte, verstehst Du?! Ich würd den ficken.
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CHIKO Willst Du mir erzählen, was ich machen soll, oder was? TIBET Ich erzähl Dir, was ICH machen würde. CHIKO Du machst gar nichts. Tibet guckt ihn doof an. TIBET Das siehst Du dann. Tibet drückt auf ‚Stop‘ und steht mühsam auf. Chiko schaut ihm hinterher.
63. APPARTEMENTHAUS / SCHLAFZIMMER MERYEM INNEN / TAG Chiko liegt in Boxershorts da, während Meryem sich langsam anzieht. Sie hat bereits String und BH übergezogen und ist gerade mit den Strapsen beschäftigt. Direkt neben Chiko auf der Kommode liegen Stricknadeln, Wolle und halbfertige Socken herum. Er schaut sich das alles kurz an. CHIKO Strickst Du oder was? MERYEM Hh? (sieht herüber) ...Ja, ja. Socken und so. Ich spende die an Kinder. CHIKO Kriegst Du Geld für? MERYEM Nein, Mann. Ich mach das so. Manche Kunden würden sogar zahlen, damit ich für die strick. CHIKO Machst das?
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MERYEM Näh. Ich lass mich nur fürs Ficken bezahlen. CHIKO Küsst Du Deine Kunden auch? MERYEM Hau ma‘ ab. CHIKO Wieso nicht? MERYEM Ey, weißt Du, wie die manchmal stinken? CHIKO Schwänze stinken doch auch. Die nimmst Du auch in den Mund. MERYEM Ja, da ist auch immer ’n Gummi drauf. CHIKO Gut, dann zieh ich mir ’n Gummi über die Zunge. Küsst Du mich dann? MERYEM Mann, ich küss keine Kunden. Das ist was Intimes. CHIKO Was, intim, laber nicht. (Er setzt sich auf.) Los, gib mir ma‘ einen Gummi. MERYEM Was? CHIKO Ich will Dich küssen. MERYEM Nein, Mann, nerv mich nicht.
CHIKO Digga, ich will Dich jetzt küssen.
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MERYEM Küss Deine Mutter. CHIKO Ich will Dich küssen, Lan!!! Chiko springt wie ein wilder Esel auf die Beine und Meryem haut mit einem kreischenden Lachen ab. Chiko wetzt ihr hinterher. CHIKO Komm her, gib mir ’n Kuss!!! MERYEM Nein, hau ab!!! Meryem hetzt durch den Flur ins Bad und schließt die Tür hinter sich ab.
64. WOHNUNG CHIKO INNEN / TAG Die Szene beginnt mit polnischem Hip-Hop. Chiko kommt in die Wohnung, die Hände voll mit Einkaufstüten. Er holt eine feine Stoffhose, ein neues Hemd und eine coole Lederjacke heraus und legt sie schön nebeneinander aufs Bett. Anschließend legt er seine neuen Schuhe dazu und mustert das Arrangement.
65. NEBENSTRASSE / MAZDA TONTON INNEN – AUSSEN / TAG Chiko wartet in einer Nebenstraße und raucht. Er steckt nun in seinen neuen Sachen und wirkt sehr frisch. Seine Haare sind gegelt und er sieht gut aus. Ein schicker Mazda 6 hält genau vor ihm. Der Song aus der Szene davor dringt nun aus dem Wagen. Der Fahrer ist ein Pole Ende Zwanzig und ziemlich gepflegt. Es ist Tonton, den wir schon mal gesehen haben. Chiko geht ans offene Beifahrerfenster. TONTON Chiko! CHIKO Hey.
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TONTON Alles klar? Wartest schon lange? Steig mal ein. Chiko steigt ein. TONTON Schnall Dich mal an. Der Mazda fährt los.
66. MAZDA TONTON INNEN – AUSSEN / TAG Chiko und Tonton fahren durch die Gegend. Der Song läuft weiter. TONTON Ich bin Tonton. Die Jungs schütteln sich die Hände. CHIKO Wir haben uns letztens gesehen. Dir gehört diese Taverne, ne? TONTON Ja, ja. CHIKO Geiler Laden. TONTON Ja. Brownie meint, bisher hattest Du nix laufen mit ‚Dash‘. CHIKO Mit Koks nicht. Nur Gras. TONTON Pass auf, hier machen die Latinos den Koks, verstehst Du? Brownie ist der einzige, der als Latino durchgeht, mit seinen dicken Lippen da. Er kriegt bestes Kokain von drüben. Dazu sagen wir ‚Flex‘. Das ist oberste Liga, richtig öliges Kristall. Manche sagen auch: Pink Champagne oder White Lady zum Beispiel. Chirurgen meinen, das ist gut für ’ne ruhige Hand, weißt Du.
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CHIKO Und was machen wir jetzt? TONTON Meine Aufgabe ist, Dir zu zeigen, wie man das Zeug streckt. Dafür müssen wir erst ma‘ den Wagen hier auseinander nehmen. Chiko guckt ihn kurz an. TONTON War einkaufen.
67. AUTOWERKSTATT INNEN / TAG Zwei Mechaniker bearbeiten den Mazda auf einer Hebebühne. Alles geht ratzfatz: Sie schrauben hier, drehen da, bauen den Tank aus, schneiden ihn auf und holen eine Unmenge an fest verklebten Päckchen raus.
68. TAVERNE ‚ALMAS‘ INNEN / TAG Chiko und Tonton gehen mit zwei Taschen durch die mäßig besuchte Taverne Richtung Abstellraum. Ein paar Kellner kreuzen ihren Weg und grüßen die Jungs.
69. TAVERNE ‚ALMAS‘ / ABSTELLRAUM INNEN / TAG Im Abstellraum stehen überall Kartons, Flaschenkästen, alte Stühle und so weiter herum. Der Song läuft noch immer. Chiko und Tonton sitzen nun mit einem halboffenen Päckchen an einem Tisch und feilen mit einer Raspel das ziegelsteinartige Kokain darin klein. (Schnitt) Chiko zerhackt die abgeraspelten, groben Bröckchen mit einer Rasierklinge zu Pulver. (Schnitt) Jetzt wird das weiße Pulver zusammen mit Edelweiß in eine Schüssel gekippt und umgerührt. (Schnitt) Das vermischte Pulver wird auf ein feuchtes Tuch verteilt. (Schnitt) Tonton besprüht das Pulver mit einem Sprayer drei, vier Mal mit Wasser. (Schnitt) Das Pulver
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kommt in eine Tüte und die Tüte dann in eine Büchse aus Stahl. Chiko klopft die Tüte gerade und legt einen kleinen Stahldeckel drauf. (Schnitt) Die Jungs pressen jetzt die Büchse mit einem Wagenheber gegen einen selbst gebastelten Metallklotz. (Schnitt) Tonton bastelt etwas aus einem kleinen, rechteckigen Papier. Er faltet hier, er faltet da und fertig ist ein kleines Briefchen. (Schnitt) Die Jungs drehen den Metallklotz um und nehmen die Büchse wieder raus. Die Büchse wird geöffnet und das Pulver ist wieder zu Stein geworden. (Schnitt) Chiko schleift den Stein mit der Raspel wieder zu kleinen Bröckchen. (Schnitt) Chiko wiegt die Bröckchen auf einer Feinwaage ab. (Schnitt) Tonton schüttet nun ein paar Bröckchen in ein leeres Briefchen. Dann faltet er es zu und legt es zu den anderen dreißig, vierzig Stück. (Schnitt) Bröckchen in größeren Mengen kommen in kleine Tütchen. Die werden zugeknotet und zu weiteren Tütchen gelegt. (Schnitt) Tonton schüttet eine ‚Line‘ auf den Tisch und schnieft alles mit einem zusammengerollten ‚Hunderter-Röhrchen‘ weg. (Schnitt) Chiko ist der Nächste. Er snifft, schüttet eine zweite Line auf den Tisch und putzt sie gleich hinterher...
70. APPARTEMENT / WOHNZIMMER MERYEM INNEN / NACHT Chiko und Meryem sitzen im Wohnzimmer. Meryem packt ihr Geschenk aus. Als sie das Geschenkpapier aufreißt, sehen wir die Abbildung einer Nähmaschine auf dem Karton darunter. MERYEM Was ist das denn? CHIKO Du meintest doch, Du machst Socken und so. So brauchst Du die nicht mehr mit der Hand machen. MERYEM Ich näh aber keine Socken, ich strick die. CHIKO Wie jetzt? Geht damit nicht, oder was? Meryem fängt an zu lachen. MERYEM Geil, ey... CHIKO
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Was weiß ich, wie so was geht. Dann NÄHST Du eben ab jetzt Socken... Meryem lacht sich schlapp. CHIKO Was ’n so witzig, Du Sack, Alda?? Chiko nimmt ihren String vom Sofa und wirft ihn ihr an den Kopf.
71. ZIMMER TIBET INNEN / NACHT Tibet liegt in seinem Zimmer herum und starrt zur Decke, den Fuß auf ein Kissen gelegt. Er steckt in T-Shirt und Jogginghose und hat sich schon seit Tagen nicht mehr rasiert. Tibet dreht sich mit müden Augen zur Seite und guckt sich seinen Lowrider im Regal an. Nach einer Weile steht er dann auf. Er macht sich einen Bong fertig und raucht ihn. Völlig dicht geht er humpelnd auf den losen, großen Spiegel an der Wand zu und mustert sein bekifftes Gesicht darin. Er zieht sein T-Shirt aus, nimmt sich eine seiner Stützen und stellt sich mitten in den Raum. Dabei ‚lädt‘ er einmal seine Stütze durch als sei sie eine Pump-Gun und betrachtet sich selbst dabei. Irgendwie sieht er aus wie ein kranker ComicHeld. Etwas später sehen wir, wie er eine Knarre aus seinem Bettkasten holt. Es ist die 9mm Walther, mit der Chiko neulich Brownie eins verpassen wollte. Tibet holt das volle Magazin heraus und schaut es sich kurz an. Dann steckt er die geladene Waffe in die Tasche seiner Lederjacke.
72. WOHNZIMMER TIBET INNEN / NACHT Tibet humpelt mit seiner Stütze durch das Wohnzimmer in Richtung Haustür. Seine Mutter ist nebenan in der Küche, wir hören, wie sie Geschirr und Gläser in die Schränke räumt. TIBET (türkisch) Mama, ich geh ’n bisschen raus.
MUTTER (türkisch) Was? TIBET (türkisch)
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Ich geh ’n bisschen raus. Seine Mutter kommt zu ihm. MUTTER (türkisch) Junge, bist Du nicht zu dünn angezogen? Es ist kalt heute. Mach Dir wenigstens die Jacke zu... Sie will ihm die Jacke zuknöpfen, aber Tibet wehrt ab, so als sollte sie ihn nicht anfassen. MUTTER (türkisch) Was soll denn das?! Ich will die doch nur zumachen... Sie knöpft ihm die Jacke zu. MUTTER (türkisch) Und komm nicht so spät, wir müssen morgen früh hoch. Hab ’n Termin bei der Dialyse. TIBET Okay. Seine Mutter gibt ihm einen Kuss auf die Wange. Tibet verlässt anschließend die Wohnung.
73. HOF VOR WOHNUNG CURLY AUSSEN / NACHT Tibet steht vor Curlys Fenster im Hof und pfeift laut durch die Finger. Ab und zu kommen ein paar Leute vorbei, sonst ist hier nichts los. TIBET Curly! Curly!! Curly macht das Fenster auf. Er hat weiße Farbflecken im Gesicht.
CURLY Was ist los?! TIBET
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Was machst Du? CURLY Ich helf meinem Vater beim Streichen. TIBET Scheiß aufs Streichen, komm runter, Chiko hat grad angerufen, er ist im Studio. Er meint, Brownie will mit mir labern. CURLY Was? Echt jetzt? TIBET Du musst mich fahren, ich soll dahin. CURLY Digga, mein Vater lässt mich nicht. Der knallt mich ab, wenn ich jetzt geh. TIBET Alda, ’n Mann ist ’n Mann, wenn er ’n Schuss überleben kann, oder nicht?! CURLY Den überleb ich nicht, glaub mir ma‘. TIBET Schwul nicht rum jetzt... CURLY Was, schwul?! Mein Vater ist echt kacke drauf, Mann, geht nicht. Tibet schaut ihn böse an. TIBET Siktir, Alda... Geh ich eben zu Fuß... Fast beleidigt dreht er sich um und geht. Curly schaut ihm hinterher und weiß nicht, was er tun soll.
CURLY Ja, ja, Mann! Warte! Leberwurst mal nicht rum hier...
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74. OPEL CURLY / VOR ‚STUDIO BABYLON‘ INNEN – AUSSEN / NACHT Curly und Tibet halten langsam mit dem Opel Kadett gegenüber vom ‚Studio Babylon‘. CURLY Ey, dauernd hab ich Stress wegen Euch, Ihr Penner. Ich hab da keinen Bock mehr drauf, echt. TIBET Entspann Dich ma‘. Curly schaltet den Motor aus. CURLY Nix, entspann dich ma‘. Du hast gesagt zehn Minuten. So, ich warte hier. Nach zehn Minuten fahr ich nach Hause, ist mir scheißegal... Los. Tibet rührt sich nicht vom Fleck. Er beobachtet den Eingang. CURLY Ey, willst Du jetzt rein, oder was?! Tibet gibt keinen Mucks von sich, schaut auf seine Uhr. CURLY Digga, ich red mir Dir, Mann, was ’n los? In diesem Moment kommt Brownie aus dem Gebäude. Tibet holt wortlos seine Walther aus der Tasche. Curly kriegt große Augen. CURLY Scheiße, Alda, was soll das ’n jetzt??? TIBET Fresse...
CURLY Ey, Mann, bist Du behindert, oder was?! Eine junge Frau kommt hinter Brownie aus der Tür. Es ist die Sängerin, die wir
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schon einmal im Studio gesehen haben. TIBET Fuck, wer ist ’n das?! CURLY Pack das weg, was soll ’n der Scheiß?! Brownie und die Sängerin geben sich ein Bussi zum Abschied und die Frau geht die Straße hinunter. Brownie steigt in seinen Kombi. TIBET Mach den Wagen an. CURLY Was ’n los mit Dir??? Tibet richtet seine Knarre auf Curly. TIBET Halt‘s Maul, start den Scheiß-Wagen, Du Arsch!!! Curly guckt Tibet entsetzt an. Brownie fährt los. TIBET Los, mach! Fahr hinterher! Curly startet den Wagen und fährt Brownie hinterher. Dabei setzt ‚Inat‘ von Erkin Koray ein, ein Instrumental-Stück, das ein wenig an ‚Hendrix‘ erinnert...
75. OPEL CURLY / STRASSEN / PARKPLATZ INNEN – AUSSEN / NACHT Brownie blinkt beim Abbiegen vorbildlich und fährt nicht schneller als erlaubt. Tibet lässt den Kombi keine Sekunde aus den Augen. Irgendwann fährt Brownie auf einen Parkplatz und hält langsam zwischen einigen Autos.
TIBET So, Mann, langsam, langsam... Mach die Scheiß-Lichter aus. Curly schaltet die Scheinwerfer aus und hält Abstand. Er hält hinter einigen Fla-
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schencontainern, ohne den Motor auszuschalten. Die Jungs beobachten Brownie, der aussteigt, sich kurz umschaut und irgendwo hingeht. Tibet kurbelt sein Fenster runter. TIBET Fahr ’n bisschen vor. CURLY (sieht sich um) Ey, das ist doch krank, das ist echt krank! TIBET Fahr jetzt, Alda... Curly fährt ein bisschen vor. Er ist nervös und sauer und fährt in Schrittgeschwindigkeit hinter eine Reihe parkender Autos. Brownie schaut gar nicht zu ihnen, er geht geradewegs auf ein Ziel zu. TIBET Bleib stehen... Curly bremst. Jetzt können sie Brownie zwischen zwei Autos sehen. Tibet richtet nun die Waffe aus dem Fenster und versucht, Brownie ins Visier zu bekommen. TIBET (leise zu sich selbst) Hurensohn... CURLY Digga, der sieht Dich gleich... Brownie bleibt neben einem Mazda stehen, neben Tontons Mazda. Und in diesem Moment steigen auch Tonton und Chiko aus. CURLY Scheiße, Mann! Warte ma‘, warte ma‘... Tibet erstarrt. Er beobachtet, wie Brownie zuerst Chiko und dann Tonton mit Wangenküssen begrüßt.
CURLY Lass den Scheiß, Mann, das ist Chiko... Chikos Blick fällt nun voll auf Tibet. Überrascht starrt er zu ihm herüber, wäh-
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rend Brownie dem Opel den Rücken zudreht und sich mit Tonton unterhält. CURLY Digga, der glotzt voll hier rüber... Chiko stellt sich nun vor Brownie, sodass er seinen Chef wie ein Bodyguard deckt. CURLY Scheiße... Curly tritt aufs Gas und fährt davon. Irgendwann gehen die Scheinwerfer an. Brownie und Tonton werden aufmerksam und schauen dem Wagen kurz hinterher. Der Opel bratzt um die Ecke und ist schon bald verschwunden.
76. NEBENSTRASSE AUSSEN / NACHT Chiko wartet in einer Nebenstraße außerhalb von Mümmel. Er hat sein Handy am Ohr, aber er kommt nicht durch: ‚The person you have called is temporarily not available...‘ Als ein TAXI vorbeifährt, hält er es an und steigt ein.
77. FUSSGÄNGERPLATZ IN MÜMMEL AUSSEN / NACHT Der Opel parkt irgendwo auf einem großen Fußgängerplatz zwischen zwei Hochhäusern. Die Scheinwerfer brennen, aber Curly und Tibet sind ausgestiegen und streiten. CURLY Verpiss dich, Alda! Du hast mich verarscht! Du wolltest mich abknallen! TIBET Verpiss Du Dich, Du Wichser! Curly hält großen Abstand zu Tibet. Er macht einen Schritt auf das Auto zu, um wieder einzusteigen, aber er ist so aus dem Häuschen, dass er sich doch wieder zu Tibet herumdreht, weil er so viel zu sagen hat. CURLY Ich dachte, Du bist mein Freund, Mann?! Was sollt ’n der Scheiß???
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78. TAXI / STRASSEN IN MÜMMEL INNEN – AUSSEN / NACHT Während der Taxifahrer, ein älterer Mann, fährt, schaut Chiko sich auf dem Rücksitz um, aber Tibet ist nirgendwo zu sehen auf den Straßen.
79. FUSSGÄNGERPLATZ AUSSEN / NACHT Tibet und Curly streiten immer noch. TIBET Du bist genauso ’ne Muschi wie die andern, Alda! CURLY Und Du bist echt krank, Digga! TIBET Verpiss Dich doch, Alda, siktir!
80. TAXI / FUSSGÄNGERPLATZ INNEN – AUSSEN / NACHT Chiko erblickt nun den Opel sowie Tibet und Curly. CHIKO (zum Fahrer) Ich will hier raus. Der Taxifahrer hält an und bevor er das Taxameter ablesen kann, überreicht ihm Chiko einen Zwanziger. CHIKO Stimmt so. TAXIFAHRER Dankeschön. Chiko springt raus aus dem Taxi und geht entschlossen auf die Jungs zu. Tibet bemerkt ihn als Erster. CHIKO
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Komm ma‘ her, Du Arschloch... Curly muss nun selber dazwischen gehen. CHIKO (zu Tibet) Was war das für ’ne Scheiße, hä?? Was sollt ’n das werden, Alda??? CURLY Digga, ganz cool, Mann... TIBET Scht, ey, lass ihn ma‘. (zu Chiko) Was kackst ’n hier rum, Alda?! CHIKO Du wolltest den fertigmachen, Du Arsch! TIBET Ja, und? MEIN Problem, oder nicht?! CHIKO Wenn der checkt, was los ist, ist das auch mein Problem! TIBET Wieso ist das Dein Problem? Du bist doch sein Freund. Du läufst so rum wie er, Du laberst wie er... CURLY Ey, jetzt lass ma‘ alle entspannen... CHIKO Du kackst doch voll ab, weil ich alles pack und Du nicht. TIBET Ja, ganz bestimmt... CHIKO Ja, weil Du keinen Plan von irgendwas hast. Ohne mich wärst Du immer noch so ’n Scheiß-Junkie auf Hero, Alda! TIBET Ach‚ was! Wegen Dir hab ich mit Schore aufgehört, oder was?! CURLY
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Sscht, ey... TIBET Nein, ich will ma’ wissen, wie der auf so was kommt. (zu Chiko) Denkst Du, Du bist hier der Derbste oder was?! Bist Du Pablo Escobar, Alda?! CHIKO Ich hab einfach mehr drauf als Du, okay? Du kannst nicht so sein wie ich. Tibet hat darauf nichts mehr zu sagen. Er glotzt nur. CHIKO Geh Deinen eigenen Scheiß-Weg, Du Wichser. Ein langer Blickwechsel und Chiko will gehen. CHIKO (zu Curly) Los, scheiß auf den. Tibet zieht plötzlich seine Knarre aus der Tasche und zielt damit auf Chiko. Curly springt sofort zur Seite. TIBET Was, Mann?! Was?! Wohin, Du Arschloch?! CURLY (zu Tibet) Ey, nicht schon wieder, Mann! Pack weg, den Scheiß! CHIKO Was? Willst mich abknallen, oder was?! Tibet gibt keine Antwort. CHIKO Hh? Chiko läuft aggressiv gegen die Knarre, aber Tibet zieht sie nicht weg. Mit dem Lauf an der Stirn drängt Chiko Tibet nach hinten und schubst ihn dann. Tibet, völlig außer sich, gibt einen Schuss in die Luft ab. Die anderen gehen in Deckung. TIBET
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WAS??? Plötzliche Stille. Tibet bebt vor Wut. Eine alte Frau macht im ersten Stock ihr Fenster auf. ALTE FRAU Sagt mal, seid Ihr bescheuert?! Ich ruf die Polizei! Tibet zielt auf das Fenster. TIBET Was willst du, Lan, Alda?! Die alte Frau schließt sofort ihr Fenster. Chiko nutzt den Moment und stürzt sich auf Tibet. Er versucht, ihm die Waffe wegzunehmen. Für einen kurzen Augenblick rangeln sie hin und her... BAM! Plötzlich löst sich ein Schuss und trifft Curly an der Arschbacke. Alle gehen wieder in Deckung und Curly geht kreischend zu Boden. CHIKO Scheiße!!! Chiko eilt zu Curly. Der schreit wie am Spieß. Tibet schaut entsetzt. Die Jungs schreien alle durcheinander, totale Panik bricht aus.
81. KRANKENHAUS / WARTERAUM INNEN / NACHT Chiko und Tibet sind in einem leeren Warteraum. Keiner sitzt neben dem anderen, oder redet oder schaut den anderen an. Eine deutsche Krankenschwester, Mitte 40, kommt herein. KRANKENSCHWESTER Sie gehören zu Herrn Adler, oder? CHIKO Ja. KRANKENSCHWESTER Also, er ist vor einer halben Stunde aus dem OP, es geht ihm gut, er ist noch ein wenig dösig. Wenn Sie rein wollen, bitte nur einer, für zwei Minuten.
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Die Jungs gucken sich nur gegenseitig an. Keiner denkt dran, etwas zu sagen. So vergeht ein Moment. TIBET Für mich ist der Scheiß nicht durch, Alda. Chiko gibt keinen Kommentar ab. Tibet steht auf und humpelt mit seiner Stütze an der Krankenschwestervorbei. Sie sieht ihm nur verwirrt hinterher. Chiko sieht zu der Krankenschwesterherüber und nickt, was heißen soll, dass er zu Curly will. Er steht auch auf.
82. KRANKENZIMMER INNEN / NACHT Chiko kommt in das Krankenzimmer von Curly. Es ist ein kleines Zimmer mit einem Einzelbett. Curly liegt auf dem Bauch und ist noch nicht aus der Narkose erwacht. Chiko geht leise zu ihm hin und sieht ihn etwas länger an. Anschließend setzt er sich auf den Stuhl in der Nähe und wartet.
83. APPARTEMENTHAUS / BAD / SCHLAFZIMMER MERYEM INNEN / TAG Chiko lässt seinen vollen Pariser ins Klo plumpsen und spült. Er ist gerade in Meryems Badezimmer, nur in Hose und Schuhen. Er dreht ab und geht zurück ins Schlafzimmer. Meryem lackiert sich grad die Fußnägel. MERYEM Wie geht‘s ’n Deiner Tochter? Chiko zieht sich gerade sein Hemd über, hält auf einmal inne und starrt sie an. CHIKO Was? MERYEM Du hast gar nicht erzählt, dass Du ’n Kind hast. Chiko starrt noch immer. CHIKO Woher weißt Du das?
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MERYEM Ich weiß das halt. CHIKO (fast wütend) Woher weißt Du das, Alda?! MERYEM Ey, reg Dich ma‘ ab, was soll ’n das?! Chiko wartet auf eine Antwort. MERYEM Dein Freund hat mir das erzählt. CHIKO Welcher Freund? MERYEM Ja, welcher wohl? CHIKO War der hier, oder was? MERYEM Ja. Chiko wird immer ernster. Er geht auf sie zu. CHIKO Ich will nicht, dass Du mit dem fickst. MERYEM Was?? CHIKO Ist so. Der Typ ist nicht ganz fit im Kopf.
MERYEM Ey, das ist noch ’n Junge, was soll der Quatsch? Sie lackiert sich die Nägel weiter, aber Chiko unterbricht sie.
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CHIKO Ich hab Dir gesagt, ich will das nicht, klar, Mann?! Meryem starrt ihn an. MERYEM (ruhig) Ey, Du bist nicht mein Zuhälter, meine Kunden gehen Dich nichts an. Du bist auch nur ’n Kunde. Das hat gesessen. Chiko guckt nur, dreht sich dann um und geht aus der Tür.
84. APPARTEMENTHAUS / KORRIDOR INNEN / TAG Chiko kommt aus Meryems Tür und geht den Korridor hinunter. Dabei rempelt er einen kleinen Mann an, einen Sakkoträger mit Goldkette und Jeans, irgendein Kunde. Der Mann entschuldigt sich und dreht sich nach Chiko um, aber der geht einfach geradeaus weiter. Dazu läuft ‚On a brass bed‘ von King Khan & The Shrines, klingt fast wie ein Oldie aus den Sechzigern.
85. VOR APPARTEMENTHAUS AUSSEN / TAG Mit dem Lied kommt Chiko aus dem Gebäude. Er tritt eine Mülltonne um und geht hin und her wie ein verirrter Kampfhund. Er ist ganz schön aus dem Häuschen. Er zündet sich eine Zigarette an und nimmt einen tiefen Zug. Dabei schaut er zur Haustür zurück. Es dauert nicht lange und er wirft die Kippe weg. Mit entschlossenen Schritten geht er wieder zurück ins Appartementhaus.
86. APPARTEMENTHAUS / KORRIDOR / WOHNZIMMER MERYEM INNEN / TAG Chiko klopft hart und ausgiebig an Meryems Tür. Kurze Zeit später öffnet Meryem endlich und Chiko platzt in die Wohnung. MERYEM Ey, was soll der Scheiß?! Sie trägt irgendeinen Fummel und der fast romantische Song von vorhin läuft
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weiter. Chiko sucht sofort die Wohnung ab und sie eilt hinter ihm her. MERYEM Was machst Du?! Bist Du bescheuert?! Hau ab, ich hab ’n Kunden! Und da kommt der Kunde auch schon um die Ecke, mit einem Stringtanga, auf Socken und mit einer wilden Körperbehaarung. Es ist der Mann, den Chiko im Flur angerempelt hatte. Er glotzt verwirrt. Chiko packt ihn brutal und zerrt ihn zur Tür. Geschrei und Gebrüll. Meryem versucht, Chiko von ihrem Kunden wegzureißen, aber es gelingt ihr nicht. Chiko stößt sie immer wieder zurück. Er tritt den halbnackten Mann in den Korridor hinaus und knallt die Tür zu. Meryem versucht, irgendwie zur Tür zu gelangen, aber Chiko lässt sie nicht durch. MERYEM WAS MACHST DU FÜR ’NE SCHEISSE?! BIST DU KRANK ODER WAS, DU ARSCH?! Chiko kommt auf sie zu und küsst sie einfach. Zuerst versucht sie, sich zu wehren, aber das lässt schnell nach. Sie macht mit. Chiko drückt sie gegen die Wand und sie küssen sich wild. Währenddessen brüllt und klopft der arme Kerl vor der Tür. Irgendwann lässt Chiko Meryem los und geht mit einem letzten Blick davon. Als er die Tür öffnet, schreckt der Mann zurück. MANN Ganz ruhig, ich will nur meine Sachen... Ich will nur meine Sachen, ehrlich... Chiko ignoriert ihn und geht einfach. Meryem sieht ihm verwirrt hinterher.
87. ZIMMER CURLY INNEN / TAG Curly liegt oben in einem Etagenbett. Er sieht ein wenig kränklich aus, unrasiert und müde. Das Zimmer ist voll mit Schnickschnack: Schallplatten, Handyzubehör, Spielsachen und ähnliches. Er teilt das Zimmer mit seinen Geschwistern. Von nebenan hören wir seine Familie lärmen. Es klopft kurz an seiner Tür und Chiko tritt ein. CHIKO Gipsy-Man. CURLY
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Chiko-Man... CHIKO Was machst Du schon zu Hause? CURLY Ich hatte keinen Bock mehr im Krankenhaus. Da sind nur Kranke. Chiko klettert auf das Bett und setzt sich auf die Kante. CHIKO Hast Du noch Schmerzen? CURLY Ja, beim Scheißen. Die beiden lachen leise. CHIKO Ein Mann ist ’n Mann, wenn er ’n Schuss überleben kann. Curly schmunzelt. Er macht kein glückliches Gesicht. CURLY Nee, Digga, so wird man kein Mann. Chiko guckt überrascht. Curly schweigt einen Moment. CURLY Gestern im Krankenhaus, da lieg ich so im Bett und guck aus ’m Fenster, weißt Du. Und auf einmal seh ich in den Wolken meinen Namen stehen... CHIKO Wie, so richtig in den Wolken, oder was? CURLY Ey, ohne Scheiß, Mann. Ich konnte aus den Wolken meinen Namen lesen, so aus der Form, weißt Du... Curly schweigt wieder kurz. CURLY Ich hör auf mit dem ganzen Scheiß, Digga.
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Chiko widerspricht nicht. Er sitzt nur da und sieht Curly an.
88. TAVERNE ‚ALMAS‘ INNEN / TAG Chiko kommt ins ‚Almas‘. Ein paar Gäste sind da, aber es ist nicht viel Betrieb. Heitere arabische Musik läuft im Hintergrund. Chiko geht bis zum letzten Tisch durch, an dem Tonton mit zwei arabischen Männern sitzt. Die beiden sind Anfang Dreißig und nicht schlecht gebaut. Sie heißen Samir und Jamil. TONTON Ey, Chiko, wo warst Du denn?! Bist viel zu spät. CHIKO Du bist viel zu früh. TONTON (zu den Arabern) Das ist Chiko, der neue Kollege von mir. (zu Chiko) Das sind Samir und Jamil. Jamil spricht aber nur Arabisch. Die Araber geben Chiko die Hand. TONTON Wollen wir dann ma‘ rüber jetzt? SAMIR Würd ich sagen. Tonton steht auf und die beiden Araber auch. TONTON (zum Kellner) Timo, wir sind nebenan, das geht klar hier... Samir und Jamil folgen Tonton und Chiko mit zwei Taschen. Sie gehen gemeinsam den Gang entlang, der zum Abstellraum führt.
89. TAVERNE ‚ALMAS‘ / ABSTELLRAUM INNEN / TAG Tonton, Samir, Jamil und Chiko kommen in den Raum und gehen zum Tisch
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hinten in der Ecke rüber. Ganz leise hören wir noch die Musik von nebenan. TONTON Passt auf, wir gehen fünf Mille vom Preis runter. Ist ’n Geschenk fürs Erste, okay? SAMIR Okay, schöne Sache, danke. Samir reicht Tonton die kleinere Tasche. Tonton öffnet sie und guckt hinein. Währenddessen gibt Samir die Information an Jamil auf Arabisch weiter. TONTON Sind das alles Hunderter? SAMIR Ja. Tonton guckt noch einen Moment lang in die Tasche. Chiko zündet sich eine Zigarette an. TONTON Chef, hier fehlt noch was. SAMIR Ja, wir dachten, erst mal das ‚Komo’, und dann... TONTON Nein, nein, nein. Erst ma‘ das Gold, Chef. SAMIR (grinsend) Komm, erst ma‘ das ‚Komo‘, dann kriegst Du den Rest. Kurzes Gelächter. TONTON Brauch erst ma‘ den Rest, dann kann ich das Zeug holen. Samir sagt zu Jamil irgendetwas auf Arabisch. JAMIL (gebrochen) Wo is‘ Koks? TONTON
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Der kann ja doch Deutsch. Erneutes Gelächter. SAMIR (lachend zu Chiko) Ey, Dein Kollege macht mich voll fertig. Auf ’m Basar hab ich keine Chance gegen den. TONTON (schärfer) Wir sind hier aber nicht auf ’m Basar, okay?! Also, gib jetzt den Rest her. Samir wird still. SAMIR Okay. Er sagt Jamil wieder etwas in seiner Sprache, und der fängt an, in der Tasche herumzukramen. Auf einmal zieht er einen Knüppel heraus, mit dem er Chiko zu seiner Linken umhaut. Samir zieht gleichzeitig eine kleine Knarre hervor und richtet sie auf Tonton, bevor der sich rühren kann. SAMIR Halt die Hände hoch, Du Arschloch! TONTON Ey, ganz ruhig... Auf der anderen Seite kriegt Chiko noch drei, vier Schläge von Jamil auf den Arm. Er blutet aus einem Ohr und liegt flach. SAMIR (zu Tonton) Geh auf die Knie, zur Wand drehen!!! Tonton gehorcht. Samir tritt einen Stuhl weg, der ihm im Weg steht, geht zu Tonton und hält ihm die Waffe ins Ohr. SAMIR Wo ist der Scheiß? Wo??? TONTON (panisch) Hinten rechts, hinten rechts, unter der blauen Kiste... Samir gibt Jamil eine Anweisung in seiner Sprache. Jamil flitzt los, um nachzuse-
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hen. Chiko schaut benommen hoch. Sein Blick fällt auf den Stuhl, den Samir eben umgeworfen hat. Jamil hebt die Kiste hoch und sieht zwei große Päckchen darunter. Chiko versucht, an den Stuhl heranzukommen. Er schafft es. Samir fragt Jamil etwas auf Arabisch und der antwortet ihm mit ‚Ja.‘, während er die großen Päckchen herausnimmt. SAMIR (zu Tonton) Wichser. Samir gibt Tonton einen heftigen Tritt in den Hinterkopf, sodass der mit dem Gesicht gegen die Wand knallt und umfällt. Chiko kommt jetzt mit dem Stuhl auf die Beine. JAMIL Samir!!! Aber die Warnung kommt zu spät. Samir dreht sich zwar noch um, bekommt aber von Chiko den Stuhl über den Kopf gezogen und fällt um. Jamil greift von hinten an, aber Chiko wehrt die Schläge mit dem Stuhl ab und rammt Jamil in ein paar Flaschenkisten hinein. Anschließend rennt er rüber zu Samir und knallt ihm noch einmal den Stuhl in den Nacken, sodass die Lehne abbricht. Jamil greift jetzt wieder an, aber Chiko ist schneller. Er schnappt sich Samirs Knarre und richtet sie auf Jamil, der ihm mit dem Knüppel in der Hand gegenüber steht. CHIKO LASS DEN SCHEISS FALLEN, DU FOTZE! Chiko sabbert, ist völlig außer sich. CHIKO Los!!! Runter den Scheiß!!! Jamil gehorcht und wirft den Knüppel hin. CHIKO Dreh Dich um, Du Wichser! Dreh Dich um!!! Jamil dreht sich um. Chiko hebt den Knüppel auf und verpasst ihm eine ins Kreuz. Jamil fällt schreiend um und Chiko schlägt noch ein paar Mal auf ihn ein, bis er endgültig k.o. ist. Chiko sieht aus wie ein Wahnsinniger, atmet heftig und kurz. Samir versucht stöhnend, auf die Beine zu kommen. Chiko wirft die Keule
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nach ihm und trifft. Samir bricht wieder zusammen. Für ein paar SeKunden ist nichts zu hören als die dumpfe Arabeske nebenan. Chiko taumelt kurz, stolpert über einige Kartons und kickt sie sauer weg. Dann sieht er nach Tonton. Der liegt leblos in der Ecke, Nase und Stirn voller Blut und die Augen weit aufgerissen. Er ist tot. Chiko lehnt sich an die Wand und verweilt dort einen Augenblick. Er steckt die Knarre des Arabers ein.
90. STUDIO BABYLON / CLUBRAUM INNEN / NACHT Chiko und Brownie sitzen zusammen am Tresen. Hocker und Stühle stehen umgedreht auf den Tischen, die Bar ist nicht in Betrieb. Chiko trägt noch die Klamotten aus der Szene zuvor. Er hat eine leicht geschwollene Wange und ein dünnes Pflaster über der Braue. Die beiden rauchen erst einmal nur vor sich hin. BROWNIE Scheiße gelaufen.... Pass auf, tu mir mal ’n Gefallen, mach ma‘ ein paar Tage frei, Du musst erst mal weg hier. Schlaf Dich aus, siehst scheiße aus. Chiko raucht nur. BROWNIE Hast Du gut gemacht. Er holt einen geschlossenen Umschlag aus der Jacke und legt ihn vor Chiko auf den Tresen. BROWNIE Und das nimm mal hier. Wenn sonst irgendwas ist, klingelst Du durch, ja? Chiko zieht noch mal an seiner Zigarette. CHIKO Ja, Mann. Da ist was. BROWNIE Na? Chiko nimmt den Umschlag und gibt ihn Brownie zurück. CHIKO Ich will was anderes... Ich will eins von Deinen Mädels.
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Das hat Brownie nicht erwartet. BROWNIE Was? Ich hab nur eine, die kriegst Du nicht. CHIKO Ich mein die Türkin... Im Puff. Stille. Brownie fängt an, leise zu lachen, fast schon verzweifelt. BROWNIE Scheiße, warum denken alle, ich bin Zuhälter?! Mir gehört nur das Haus, die Mädels zahlen Miete, ich hab mit denen nichts laufen. Mach mit ihr was Du willst. Chiko muss grinsen. Er nimmt sich den Umschlag wieder. CHIKO Alles klar. Chiko steht auf und geht.
91. VOR NOBELRESTAURANT AUSSEN / NACHT Ein Taxi hält direkt vor einem Nobelrestaurant. Chiko und Meryem steigen aus. Chiko steckt in einem sportlichen Anzug und Meryem trägt ein hübsches Paillettenkleid. Sie hat eine große Handtasche dabei. Sie gehen hinein.
92. NOBELRESTAURANT INNEN / NACHT Chiko und Meryem sitzen an einem Tisch zwischen einigen reichen Schnöseln und essen Ente, Roulade vom Lachs und trinken ‚Clos du Mesnil’. Fast alle hier tragen Anzug mit Krawatte, Abendgarderobe oder Hosenanzüge. Das Restaurant ist nobel, sehr schick und fein dekoriert, von der Decke bis zum Fußboden. CHIKO Weißt Du, ich hab ma‘ ein bisschen nachgedacht. So über Dich, mich, uns... Meryem hält sich zurück. Sie stochert in ihrem Fisch herum.
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CHIKO Ich hab ma‘ gehört, hinter jedem großen Mann steht ’ne starke Frau. Ich mein, ich bin nicht so groß, aber ich fühl mich irgendwie angesprochen... Und ich find, Du bist ’ne starke Frau, verstehst Du? Da frag ich mich auf einmal so: ‚Ich groß, sie stark... Wo ist ’n noch das Problem, Alda?‘ Meryem sieht ihn an. CHIKO Bisher dachte ich immer so, ich will Respekt, ich will Geld, einen weißen Mercedes... Der ganze andere Scheiß war mir egal. Aber jetzt denk ich: Dir fehlt ’ne Frau, Alda. Verstehst Du, ich will mit Dir zusammen sein. Du brauchst auch nicht mehr arbeiten. Hier, so will ich mit Dir leben. Wir machen paar Kinder, wir machen paar Hunde, paar Katzen, was Du willst... Meryem muss ein wenig lächeln. CHIKO Ich find, Du bist ’ne derbe Frau. Ich hab mich in Dich verknallt. Chiko schaut ihr tief in die Augen. Meryem braucht eine Weile, um etwas sagen zu können. MERYEM Weißt Du, manchmal erinnerst Du mich an meinen Vater. So wie Du redest, wie Du gehst... Meine Mutter war siebzehn Jahre mit ihm verheiratet. Irgendwann hat er ihr eine reingehauen. Dann ist sie weg. Für einen Moment sagt keiner etwas. MERYEM Ich hab irgendwie Schiss. Dass ich das bereu oder so, keine Ahnung... Chiko sieht sie an.
CHIKO Weißt Du, bei mir ist das anders rum. Ich hab keinen Schiss, irgendwas zu bereuen. Ich bereue’s, Schiss zu haben. Weil ich mit Schiss nicht weiterkomm.
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Sie blicken sich still an. Irgendwann löst sich Meryem von Chikos Augen und kramt eine Tüte aus ihrer Tasche. MERYEM Hier. Für Dich. CHIKO Was ’n das? Chiko greift in die Tüte und holt einen grauen Pullover heraus. Er sieht ihn sich genau an. CHIKO Hast Du den gemacht? MERYEM Ja, hoffentlich passt er Dir. Chiko zieht sich einfach das Hemd aus. Er trägt ein Unterhemd darunter. MERYEM Scchht, ey, was machst Du? CHIKO Ich will den anprobieren. MERYEM Doch nicht hier, was machst Du denn?! Der Kellner starrt Chiko wortlos an. Auch einige Gäste blicken nun herüber. Chiko zieht sich den Pullover über. CHIKO Und, ist gut? Meryem lacht.
MERYEM Scheiße, die Ärmel... Die sind zu kurz. Meryem vergräbt das Gesicht vor Lachen in den Händen.
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CHIKO Ja und? Krempel ich hoch. Geht doch. (zum Kellner) Was meinst Du, Chef?! Sieht doch gut aus, oder?
93. VOR TAVERNE ‚ALMAS‘ / ‚CHIKO‘S‘ – (MONTAGE) AUSSEN / TAG Vor der Taverne von Tonton tragen drei Männer in Arbeitskleidung sämtlichen arabischen Krempel heraus: Sitzbänke, Stühle, Bilder usw. Über dem Eingang bringen sie nun ein anderes Schild an: ‚CHIKO’S‘. Chiko selbst steht rauchend davor und betrachtet es zufrieden.
94. PENTHOUSE CHIKO / BALKON – (MONTAGE) INNEN – AUSSEN / TAG Wir befinden uns in einem leeren, großen Penthouse. Chiko, Meryem und der Makler, ein Mann in mittlerem Alter mit Jackett und Krawatte, spazieren durch die Räume. Der Vermieter redet stark gestikulierend auf die beiden ein. Chiko und Meryem sehen sich genau um und gehen auf die Terrasse. Wir sind irgendwo im zehnten oder elften Stockwerk und von hier oben ist halb Hamburg zu sehen.
95. TAVERNE ‚CHIKO‘S‘ – (MONTAGE) INNEN / NACHT Chiko, Meryem, Brownie und Rejy sitzen gemeinsam an einem Tisch in der Taverne, die nun ‚CHIKO’S’ heißt, beim Dinner. Die Stimmung ist hervorragend, sie lachen und stoßen an. Die Taverne ist jetzt ganz in Weiß gehalten. Alles sieht sehr edel aus.
96. DIALYSESTATION – (MONTAGE) INNEN / TAG Tibet sitzt auf einem der Stühle in der Dialysestation. Seine Mutter ist wieder an die Maschine angeschlossen und döst vor sich hin. Tibet sieht nicht wirklich gesund aus. Er ist unrasiert, blass und hat glasige Augen. Wie gebannt starrt er auf seine Mutter.
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97. AUTOHAUS – (MONTAGE) AUSSEN / TAG Chiko und ein Autoverkäufer spazieren zwischen den verschiedensten Mercedes-Modellen entlang. Chiko bleibt vor einem weißen CL stehen und sieht hinein. Es ist der Wagen, den wir ganz am Anfang vom Bus aus gesehen haben.
98. PENTHOUSE CHIKO – (MONTAGE) INNEN / NACHT Chiko führt Meryem in das neue Penthouse. Alles ist frisch gestrichen und der Parkettboden glänzt. Die Möbel machen einen teuren Eindruck, auf jeden Fall kein Billigschrott. Meryem wandert begeistert durch das Wohnzimmer, das Schlafzimmer, die Küche. Alles wirklich der Wahnsinn.
99. JUWELIERGESCHÄFT – (MONTAGE) INNEN / TAG Chiko und Meryem schauen sich in einem türkischen Juweliergeschäft Schmuck an. Alles glänzt und funkelt. Ein türkischer Juwelier berät die beiden an einem Glastresen. Meryem probiert ein Collier an und Chiko eine fette Golduhr.
100. ZIMMER TIBET – (MONTAGE) INNEN / TAG Tibet liegt in seinem Zimmer und starrt den ‚Lowrider‘ auf seinem Regal an. Plötzlich nimmt er eine seiner Stützen und haut das Ding runter.
101. MERCEDES CHIKO – (MONTAGE) INNEN – AUSSEN / TAG Chiko cruist mit seinem neuen, weißen Mercedes durch die Straßen. Der Wagen ist tiefer gelegt und schwer aufgetuned: Fette Reifen, schicke goldverchromte, amerikanische 20‘er Wellenreiter-Felgen und ein breites, glänzendes Doppelauspuffrohr.
102. PENTHOUSE / SCHLAFZIMMER CHIKO – (MONTAGE)
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INNEN / NACHT Chiko und Meryem sniffen zwei, drei Lines von einem Glastisch mit einem Berg voller Koka-Päckchen. Anschließend beschmeißen sie sich mit teuren Damenschuhen und fallen halbnackt übereinander her, küssen und wälzen sich auf dem Seidenbettzeug. Chiko schüttet ihr Koks auf den Arsch und schnupft ihn weg. Er kippt Pulver aus einer Kokainmühle in einen Teller und beide versenken die Nasen darin. Sie lecken sich gegenseitig das Puder vom Gesicht.
103. BADEZIMMER TIBET INNEN / NACHT Tibet sitzt im Badezimmer auf der Kloschüssel und bereitet ein Heroinblech vor. Das Badezimmer ist ziemlich kahl und dunkel. Das Fenster über ihm steht offen. Im Off hören wir türkisches Fernsehen aus dem Wohnzimmer. Tibet zündet das „H“ unterm Blech an und inhaliert tief. Er muss kurz husten. Der ätzende Qualm schießt ihm aus dem Mund, und er wedelt den Rauch zum Fenster herüber. Anschließend zündet er das „H“ erneut an und nimmt wieder einen tiefen Zug. Sein Gesichtsausdruck verändert sich ruckartig. Er erstarrt mit geschlossenen Augen, pustet den Rauch aus, pustet immer weiter, obwohl nichts mehr kommt. Tibet ist high. Er steht auf, nimmt ein altes Haarschneidegerät und beginnt, sich die Haare vom Kopf zu rasieren. Er fährt mit der Maschine hoch und runter, auf und ab – bis er eine Glatze hat. Er wischt sich die Haarreste vom Kopf und mustert sein mageres Gesicht im Spiegel.
104. VOR ‚STUDIO BABYLON‘ / AUTO BROWNIE INNEN – AUSSEN / NACHT Es ist sehr ruhig in der Gegend heute Nacht. Weit und breit ist kein Mensch zu sehen. Brownie kommt rauchend aus dem Gebäude und knöpft sich die Jacke zu. Er wirft die Kippe weg, steigt in seinen Wagen, den er rückwärts eingeparkt hat, und startet den Motor. Er hat es nicht besonders eilig, macht alles in routiniertem Tempo. Als er sich gerade anschnallen will, fährt ein kleiner, heller Golf heran und hält direkt vor der Motorhaube von Brownies Kombi. Brownie schaut geradewegs in Tibets boshaftes Gesicht unter einer Kapuze. In diesem Moment richtet Tibet die Walther auf Brownie und drückt ab. Brownie wirft sich zur Seite auf den Beifahrersitz. Die Windschutzscheibe zerspringt. Tibet schießt das Magazin leer, das Gesicht zu einer Fratze verzogen. Dann düst er mit quietschenden Reifen davon. Brownie bleibt noch kurz liegen; ein paar Glassplitter haben sich in seinen Haaren verfangen. Er richtet sich langsam auf und steigt sofort aus. Er scheint einen kleinen Schock zu ha-
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ben, wirkt desorientiert und ringt nach Atem. Als er sich an die Schläfe fasst, bemerkt er erst, dass er blutet.
105. HAUS BROWNIE INNEN – AUSSEN / TAG Chiko hält direkt vor Brownies Haus und geht zur Haustür. Es ist ein hübsches Häuschen mit einem kleinen Pool in einer ruhigen Gegend. Chiko klingelt hastig und es dauert nicht lange, bis Rejy die Tür öffnet. Sie sieht mitgenommen aus. CHIKO Hey... REJY Hallo. Chiko geht hinein. Sie umarmen sich kurz zur Begrüßung. CHIKO Wie geht‘s ihm, wo ist er? REJY Er ist drin, ihm geht‘s ein bisschen besser.
106. WOHNZIMMER BROWNIE INNEN / TAG Brownie liegt auf der Couch im Wohnzimmer. Er trägt einen lockeren Baumwollpyjama und hat einen Cut an der Schläfe. Chiko sitzt ihm gegenüber. Das Wohnzimmer ist nett eingerichtet, edel und sauber. Die Vorhänge sind zugezogen, sodass es etwas dunkler ist hier drinnen. CHIKO Mann, bist Du sicher, dass er das war? Brownie lässt sich Zeit mit der Antwort. Nicht weil er groß überlegen muss, er schaut Chiko prüfend an. BROWNIE Ja. CHIKO
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Vielleicht sah der Wichser so aus wie er. Der Typ ist durch, verstehst Du, der packt so was gar nicht... BROWNIE Vielleicht nicht alleine, ne. CHIKO Wie? Meinst Du, da war noch jemand, oder was? Brownie antwortet nicht, sondern starrt nur Chiko an. Er setzt sich aufrecht hin und schaut kurz zur Tür. Er greift unters Kissen und holt eine Beretta hervor. Er richtet sie auf Chiko. CHIKO Brownie, was soll der Scheiß jetzt? BROWNIE Scht... Brownie schaut noch einmal kurz zur Tür. BROWNIE (leiser) Du wusstest nichts davon. CHIKO Nein. BROWNIE Soll ich Dir glauben, ja? Chiko bringt keinen Ton heraus. Brownie richtet die Knarre auf ihn. BROWNIE (sauer) Soll ich Dir glauben??
CHIKO Ja, Mann. BROWNIE Ja? Ich mein, stell dir ma‘ vor, DIR passiert so was. Was machst Du dann? Chiko weiß keine Antwort. Brownie schaut noch einmal zur Tür, aber Rejy ist
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nicht in Sicht. Wir hören sie und das Kind nur irgendwo aus einem anderen Raum. Brownie nimmt die Knarre wieder runter. BROWNIE Du bist echt wie ’n kleiner Bruder für mich, das weißt Du, ne? Wenn ich Dir geholfen hab, dann immer von hier. Er klopft auf seine Brust. BROWNIE Ich will echt nicht glauben, dass da was ist mit Dir. Wenn, dann würd ’s mich echt ficken... Und dann fick ich Dich. Chiko schweigt. Brownie nimmt endlich die Waffe herunter. BROWNIE Mach ihn weg... Du machst ihn weg und ich weiß, was mit Dir ist... Sonst hau ich Dich weg, das schwör ich Dir... Chiko starrt ihn reglos an. CHIKO Scheiß drauf, Mann. Kann ich nicht. Brownie sitzt da, ohne einen Finger zu rühren. BROWNIE Weißt Du was? Jetzt will ich das erst recht. Schweigen. BROWNIE Verpiss Dich.
107. MERCEDES CHIKO / VOR HAUS TIBET INNEN – AUSSEN / TAG Chiko sitzt in seinem Mercedes, den er vor Tibets Haus geparkt hat. Er beobachtet die Haustür. Ein paar Kids gehen gerade zur Schule. Chiko schaut auf seine Uhr. Endlich kommt Tibets Mutter aus der Tür. Sie geht die Straße hinunter, ohne Chiko zu bemerken. Chiko steigt aus und geht zur Haustür.
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108. WOHNUNG TIBET / BADEZIMMER INNEN / TAG Tibet öffnet die Wohnungstür. Seine Augen sind heute noch ein wenig geröteter und glasiger. Er steckt in seinem üblichen T-Shirt und seiner Jogginghose. Chiko platzt in die Wohnung und schubst seinen glatzköpfigen Freund brutal nach hinten. CHIKO Du Scheiß-Arschloch!!! Was hast Du gemacht, häh??? Chiko gibt ihm noch einen harten Schubs und Tibet stolpert auf den Boden. CHIKO Was hast Du gemacht??? Bist Du jetzt völlig durch?!? TIBET Lass mich, Du Arsch! Chiko packt ihn am Kragen. Tibet ist machtlos. CHIKO Weißt Du, was Du gemacht hast?! Weißt Du, was Du gemacht hast??? Der Arsch will Dich ficken!!! TIBET Was, Mann?! ICH hab ihn gefickt!!! CHIKO Am Arsch, Du Wichser!!! Er lebt noch!!! Tibet starrt ihm ins Gesicht. Er kann es nicht fassen. Chiko lässt ihn los wie ein Stück Dreck und steht auf; er ist völlig durch den Wind. Er weint fast vor Wut und Verzweiflung. Tibet rollt sich zur Seite und würgt auf einmal. Und dann, beim zweiten Würgen kotzt er auf den Boden. Chiko ist wie erstarrt. Aber er fängt sich bald wieder und hilft Tibet auf die Beine. CHIKO Komm hoch, Mann! Komm hoch... Was nimmst Du wieder für ’n Scheiß, Alda?!
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Tibet wehrt sich nicht. Sein T-Shirt ist hin. Chiko hilft ihm ins Badezimmer und dreht das Wasser am Waschbecken auf. Er wäscht Tibet das Gesicht. Der zittert am ganzen Leib.
109. ZIMMER TIBET INNEN / TAG Chiko und Tibet sitzen nun in Tibets Zimmer, Tibet auf seinem Bett, Chiko auf dem Boden an der Wand. Tibet ist noch blasser geworden und zittert noch ein bisschen. CHIKO Du musst sofort weg hier. Von Tibet kommt nichts. CHIKO Die werden Dich suchen, Alda. Tibet widerspricht nicht. Er versucht zwar, etwas zu sagen, aber es kommt einfach nichts. Dann verzieht sich sein Gesicht und er fängt an zu weinen. Chiko sieht weg. Irgendwann steht er auf, setzt sich zu Tibet aufs Bett und zieht ihn an sich. CHIKO Hör auf, Mann. Lass das jetzt... Komm her, Du Sack. Chiko umarmt seinen Freund und Tibet hält sich an ihm fest. Er kann nicht aufhören zu weinen.
110. STRASSE VOR WOHNUNG TIBET AUSSEN / TAG Chiko kommt aus dem Haus und sieht sich vorsichtig um. Es ist nichts Verdächtiges zu sehen. Chiko dreht sich um und gibt Tibet ein Zeichen. Der kommt aus einem Versteck im Treppenhaus hervor. Mit der Kapuze über dem Kopf und einer großen Tasche in der Hand folgt er Chiko zum Auto.
111. MERCEDES CHIKO INNEN / TAG
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Chiko fährt und Tibet liegt hinten auf dem Rücksitz. Chiko lässt Rück- und Seitenspiegel nicht aus den Augen, blickt ständig durch die Gegend. Nebenbei schüttet er sich etwas Koks auf den Handrücken und schnieft.
112. STRASSE VOR MOSCHEE AUSSEN / TAG Chiko hält direkt vor der Moschee und steigt aus. Er schaut sich um und öffnet dann eine der hinteren Türen. Tibet steigt aus.
113. MOSCHEE / TEESTUBE INNEN / TAG In der Teestube der Moschee sitzen nur Männer. Es ist ein kahler Raum mit Neonröhren und kalligraphischen Suren aus dem Koran, die in Bilderrahmen an den Wänden hängen. Tibet sitzt allein an einem der Tische und schaut zu Chiko und dem Imam. Der Imam hat einen Schnurrbart und ein ‚Takke‘ auf dem Kopf, ein kleines Käppchen, das die Imame tragen. Die beiden sitzen in einer Ecke und besprechen etwas. Der Imam hört zu, sagt etwas und nickt dann. Sie stehen auf und Chiko winkt Tibet herüber.
114. MOSCHEE / ABSTELLKAMMER INNEN / TAG Der Imam, Chiko und Tibet kommen in die große Abstellkammer der Moschee. In dem fensterlosen Raum brennt nur eine Glühbirne. IMAM (türkisch) Hier kannst Du erst mal bleiben, leg ruhig Deine Sachen in das Regal dort. Wir besorgen dir eine Matratze. CHIKO / TIBET (türkisch) Vielen Dank. Der Imam geht wieder. Tibet legt seine Sporttasche ab. Für einen Moment herrscht Schweigen. CHIKO Alles klar? Tibet weiß nicht, was er sagen soll. Chiko reicht ihm die Hand und sie checken
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leise ab. CHIKO Das packen wir schon. Ich komm morgen vorbei, Digga. Tibet nickt. Er wirkt so armselig. Chiko zieht ihn nun zu sich herüber und umarmt ihn. CHIKO Hadi, Mann. Ciao... Tibet antwortet mit einem Blick. Chiko geht zur Tür. TIBET Ey, Mann, wegen morgen, ne... Chiko blickt zurück. TIBET Meine Mutter muss um elf zur Dialyse... CHIKO Tamam, Mann. Ich pass auf sie auf. Chiko gibt ihm ein zweites ‚Ciao‘ und geht. Tibet setzt sich still auf den Boden.
115. MERCEDES CHIKO INNEN / TAG Während der Fahrt schraubt Chiko nervös seine kleine Kokainflasche auf, aber sie ist schon leer. Sein Autotelefon klingelt. Genervt geht er ran. Das Handy ist an die Freisprechanlage angeschlossen. CHIKO Ja? BROWNIE (off) Ich bin‘s. Wo bist Du? CHIKO Ich fahr rum. Ich such den... BROWNIE (off)
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Warst schon bei ihm zu Hause? CHIKO Ja, war keiner da, vielleicht ist er weg oder was. Brownie schweigt eine Weile. BROWNIE (off) Vielleicht hab ich ja was anderes gehört. CHIKO Wieso, was hast Du ’n gehört? Er sieht in den Rück- und Seitenspiegel, aber es ist nichts Verdächtiges zu sehen. Brownie schweigt wieder eine Weile. BROWNIE (off) Lügst Du mich an oder was? CHIKO Ey, ey, ich find den schon, bleib ma‘ ganz locker... BROWNIE (off) Du lügst mich an, oder nicht? CHIKO Ey, willst Du mich stressen, oder was?! BROWNIE Pass auf, wie Du redest. CHIKO Dann pass DU auf, wie Du mit MIR redest! BROWNIE (off) Verarsch mich nicht, Junge. Du hast echt keine Ahnung, was Du machst. CHIKO Was denn, Mann, Alda?! Drohst Du mir oder was?! DROHST DU MIR ODER WAS?! Brownie legt einfach auf. CHIKO
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WILLST DU MIR DROHEN, ODER WAS? HÄ?! Chiko reißt das Autotelefon heraus, schlägt es ein paar Mal gegen das Steuer und wirft es aus dem Fenster. CHIKO (hinterher) FICK DICH, Mann!
116. PENTHOUSE CHIKO INNEN / NACHT Chiko sitzt in Unterhemd und Jeans an seinem Wohnzimmertisch und bereitet sich mit seiner Visitenkarte eine ‚Line‘ vor, die er dann mit einem Zug wegschnieft. Er ist verdammt nervös. Meryem geht im Raum auf und ab. MERYEM Ey, lass doch einfach abhauen... Chiko reagiert nicht darauf. Er bereitet sich eine zweite ‚Line‘ vor. MERYEM Lass verpissen, irgendwohin... CHIKO Ich verpiss mich nicht. Ich bleib bei meinem Freund. MERYEM Ey, bist Du bescheuert?! Das hat der doch selbst verkackt, Mann! CHIKO (brüllt) Halt die Fresse! Das ist meine Sache, hast Du verstanden?! Misch Dich da nicht ein, Alda! Für einen Moment ist Meryem überrascht über Chikos plötzlichen Wutausbruch. Chiko snifft auch die zweite Line weg. MERYEM So hab ich mir das nicht vorgestellt... Du Wichser. CHIKO Was? Meryem geht raus. Chiko guckt ihr nur kurz hinterher und folgt ihr dann.
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CHIKO Was hast Du Dir nicht vorgestellt, Alda?! Hä?! Meryem geht ins Bad und nimmt sich die großen Ohrringe vorm Spiegel ab. Sie guckt ihn gar nicht mehr an. MERYEM Hättest mich da nicht rausholen sollen... CHIKO Was ist los?! MERYEM Du brauchst mich doch soundso nicht... CHIKO Ich brauch keinen, der mich voll labert, was ich machen soll, klar, Mann?! Du hältst Deine Schnauze! Chiko geht einfach wieder. CHIKO Schlampe. Jetzt hält Meryem inne und guckt ihm wütend nach. MERYEM Du Wichser, ich scheiß auf Dich und Deinen Fotzen-Freund! Sie schleudert ihr Deo auf den Boden und geht ins Schlafzimmer. Chiko dreht sich auf einmal um und folgt ihr. CHIKO (toternst) Ey! Du Schlampe! So redest Du nicht noch ma‘ über ihn, hast Du verstanden?! Hast Du das verstanden?! Chiko baut sich bedrohlich vor ihr auf und stupst sie an. MERYEM Ich rede wie ich will. Nimm Deinen Finger runter. CHIKO Du redest nicht wie Du willst!
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MERYEM Nimm Deinen Scheiß-Finger runter. CHIKO Du hältst jetzt Deine Fresse, hast Du das verstanden?! MERYEM Dann sag jetzt: Er oder ich? Chiko guckt sie nur an. Das hat er nicht erwartet. MERYEM Sag: Er oder ich?! Für wen bist Du? CHIKO Ey, Du setzt mich nicht unter Druck... MERYEM Ich scheiß auf Deinen Druck. Für wen bist Du?! CHIKO Du setzt mich nicht unter Druck! MERYEM Er – oder – ich??? Chiko packt sie am Hals, drückt sie aufs Bett und hält sie brutal fest. Meryem versucht, ihm ins Gesicht zu fassen, aber sie kommt nicht gegen ihn an. CHIKO Keiner setzt mich unter Druck, Alda! Ich lass meinen Freund nicht hängen! Du Fotze?! Chiko knallt ihr eine und lässt sie endlich los. Er geht aus dem Raum. Zurück bleibt eine verstörte Meryem. Sie setzt sich aufrecht hin und rührt sich nicht mehr. 117. WOHNUNG TIBET / KÜCHE INNEN / TAG Tibets Mutter zieht sich gerade die Jacke über. Sie schaut kurz aus dem Fenster und sucht die Straße mit den Augen ab. Es klingelt an der Tür. MUTTER (türkisch)
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Ja! Bin schon da, Isa! Tibets Mutter eilt zur Wohnungstür und öffnet. Sascha steht vor ihr und lächelt freundlich. Tibets Mutter schaut überrascht zu ihm auf. SASCHA Guten Tag. Sind Sie die Mutter von Tibet? MUTTER Ja... SASCHA Ich bin ein Freund. Ich hab gehört, er hat Probleme. Ich wollte ihn mal sprechen. MUTTER Tut mir leid, nicht da... SASCHA Tibet nicht zu Hause? MUTTER Nein... Sascha lässt ein, zwei Sekunden verstreichen. Ohne Vorwarnung schlägt er ihr mit der Faust ins Gesicht. Die Mutter fällt sofort um und schreit auf. Sascha dringt in die Wohnung, gleich hinter ihm Jimmi, der sich bis jetzt verborgen gehalten hatte. Sie machen die Tür hinter sich zu. Tibets Mutter hält sich die gebrochene Nase und heult hysterisch. Sie hat eine Platzwunde auf dem Nasenbein. SASCHA (zu Jimmi) Bleib bei ihr... Jimmi packt sie an den Haaren und schleift sie weg von der Tür.
JIMMI Halts Maul! HALT’S MAUL! Er drückt der Mutter den Mund zu. Sie versucht, sich hilflos zu wehren. Sascha sucht die Wohnung ab. Niemand da. Er geht wieder zurück. SASCHA
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Ist nicht da! Lass sie. Jimmi lässt die Mutter los und Sascha packt sie jetzt am Kragen. SASCHA Dein Sohn ist gefickt, er kann nicht abhauen, sag ihm das! Sascha gibt ihr einen harten Tritt. Und dann noch einen hinterher. Wir sehen zwar nicht, wo die Tritte landen, aber die Mutter ist nun still. Die beiden Kerle verlassen eilig die Wohnung.
118. STRASSE VOR WOHNUNG TIBET AUSSEN / TAG Sascha und Jimmi kommen aus der Haustür, steigen in ihr Coupé und fahren davon. Einen Schnitt später biegt Chikos Mercedes um die Ecke. Er parkt vor der Haustür und steigt aus.
119. WOHNUNG TIBET INNEN / TAG Die Tür steht noch einen Spalt offen, als Chiko in die Wohnung tritt. Er bleibt wie angewurzelt stehen, als er im Flur auf den Boden schaut.
120. KRANKENHAUS / KORRIDOR INNEN / TAG Chiko sitzt mit einem besorgten Gesicht auf einer Bank im Korridor. Ab und zu marschieren irgendwelche Schwestern oder Sanis an ihm vorbei, aber keiner spricht ihn an. Dann geht eine weiße Schiebetür auf und ein Arzt, um die Anfang 40, kommt aus der Intensivstation. Er schaut links und rechts und bleibt mit dem Blick bei Chiko hängen. ARZT Guten Tag. Chiko nickt nur und steht auf. ARZT Sind Sie der Sohn von Frau Özcan?
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Chiko zögert einen kleinen Moment. CHIKO Ja... Der Arzt sieht Chiko ein wenig bemitleidend an. ARZT Schauen Sie, Ihre Mutter hat ein akutes Nierenversagen erlitten. In dem Fall sagen wir akutes Nierenversagen bei Rhabdomyolyse. Durch die Verletzungen sind Giftstoffe aus den Nieren in das Blut gelangt, und wir konnten die nicht mehr herauswaschen. Chiko kriegt kein Wort heraus. Er setzt zwar zum Sprechen an, aber es kommt nichts. Er taumelt wie ein angeschlagener Boxer. Sein Gesicht verzieht sich, als hätte er Schmerzen. CHIKO Ist sie... ARZT Tut uns sehr leid... Chiko hört nichts mehr. ARZT Wir konnten nichts mehr machen. Bitte setzen Sie sich lieber hin, das ist... Aber Chiko wendet sich einfach ab und geht.
121. PARKPLATZ VOR KRANKENHAUS AUSSEN / TAG Chiko kommt wie in Trance zu seinem Mercedes. Er hat immer noch den gleichen Ausdruck im Gesicht. Er hält sich wie ein erschöpfter alter Mann an seinem Auto fest und versucht, ruhig zu atmen. Sein schockierter Ausdruck verwandelt sich auf einmal zu einer Fratze und er schlägt ein, zwei Mal auf das Autodach. Anschließend hält er inne und atmet tief durch.
122. MOSCHEE / TEESTUBE
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INNEN / TAG Chiko kommt in die Teestube. Wie immer sitzen ein paar Männer an den Tischen und unterhalten sich. In der hintersten Ecke sitzt Tibet und trinkt Tee. Er ist allein. Chiko geht zu ihm. Sein Gesicht spricht Bände. Nun sieht ihn Tibet, sie schauen sich an. Keiner sagt etwas. Tibet spürt, dass etwas nicht in Ordnung ist. TIBET Was ist los? Chiko kriegt kein Wort heraus. TIBET Was?! Chiko kämpft gegen die Tränen an. Tibet steht auf. TIBET Was ist los, Alda? Es kommt nichts. TIBET (lauter) Was, Mann?!? Nun schauen einige der Männer herüber. CHIKO Die Wichser... TIBET Was?! CHIKO Die Wichser, die haben... TIBET Was haben die, was?! Tibets Ausdruck gleicht jetzt Chikos. Er atmet schneller, als wäre er einmal um den Block gelaufen. Chiko hält ihn fest, als würde Tibet ihm davonlaufen wollen, aber der nimmt ihm die Hände weg.
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CHIKO Sschh... TIBET Lass mich! Was haben die, was haben die, was haben die?! CHIKO Deine Mutter, die... TIBET Nein, Mann... nein... Tibet schubst Chiko hart zurück. TIBET NEIN, Mann!!! CHIKO (fast kraftlos) Ssch, komm, beruhig dich, Mann... Die Männer im Hintergrund beginnen zu murmeln. Ein „Was ist los?“ und ein „Jungs, setzt euch mal wieder hin.“ schwirren durch den Raum. TIBET NEIIIIN!!! Tibet schreit immer wieder und geht auf und ab. CHIKO Hör auf, Mann... Hör auf... Zwei Männer stehen auf und kommen auf Tibet zu. Der schreit wieder laut auf, nimmt ein Glas von einem der Tische und zieht es sich über den Kopf, dass es zerbricht. Chiko will ihn festhalten, aber Tibet stürzt sich auf ihn. Die Jungs krachen über den Tisch auf den Boden und Tibet schlägt Chiko mit der Faust ins Gesicht. TIBET DU HAST SIE UMGEBRACHT, DU ARSCH!! WEGEN DIR... Die Männer schreiten ein und zerren Tibet mühsam von Chiko weg. Ein wildes Durcheinander entsteht. Tibet schreit, heult und versucht, sich loszureißen. Ein anderer Mann hilft Chiko auf die Beine. Seine Oberlippe ist aufgeplatzt. Chiko sieht zu Tibet. Eine Gruppe von Männern redet beschwichtigend auf
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ihn ein. Dann geht Chiko hinaus.
123. VOR MOSCHEE / MERCEDES CHIKO INNEN – AUSSEN / TAG Chiko sitzt in seinem Wagen und hat den Kopf auf die Arme über das Lenkrad gelegt. Er schwitzt ein wenig und atmet schwer. Nach einer Weile schüttet er ein Häufchen Koks auf seinen Handrücken und schnupft es weg. Er atmet tief durch, startet den Motor und fährt los.
124. VOR HAUSTÜR / HAUS BROWNIE INNEN – AUSSEN / TAG Chiko hält vor Brownies Haus und steigt aus, ohne den Motor auszumachen. Seine Augen sind glasig. Er geht mit schnellen Schritten zur Haustür und klingelt hastig. Es dauert nicht lange und der kleine Niko öffnet. Chiko platzt einfach herein und geht ohne ein Wort ins Esszimmer, wo Brownie und Rejy am Esstisch sitzen. REJY Niko! Wer ist das? Jetzt sieht sie, wer es ist. Brownie schaut auf. Chiko zieht seine Knarre hinten aus dem Hosenbund und schießt. Der Schuss trifft Brownie am Hals und sein Blut spritzt über den Tisch. Rejy kreischt hysterisch. Brownie kommt langsam hoch und macht ein paar Schritte auf Chiko zu, fällt aber hin. Unter ihm bildet sich eine Lache. Chiko schießt noch zweimal in Brownies Brust. Brownie rührt sich nicht mehr. Rejy hört nicht auf zu kreischen. Sie hat das Kind an sich gerissen und sich in eine Ecke gequetscht. Chiko dreht einfach ab und geht an Rejy vorbei aus dem Raum.
125. STRASSE HINTER SCHULHOF AUSSEN / TAG Chiko hat irgendwo angehalten und kotzt in eine Ecke. Ein Schulhof befindet sich in der Nähe und man hört die Kinder dort spielen und toben. Chiko ist leer und wankt wie ein Zombie zum Auto zurück. Sein blasses Gesicht glänzt vor Schweiß und er zittert. Er stützt sich am Wagendach ab und harrt dort für einige Zeit aus.
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126. PENTHOUSE CHIKO INNEN / TAG Chiko kommt in sein Penthouse. Er geht direkt ins Wohnzimmer, ohne Jacke und Schuhe auszuziehen. Als er Meryem nicht findet, geht er in die Küche, aber hier ist sie auch nicht. CHIKO Meryem?!... Ey... Chiko geht ins Schlafzimmer. Fehlschlag. Der Kleiderschrank steht einen kleinen Spalt offen. Chiko öffnet ihn und findet nichts weiter vor als nackte Kleiderbügel. Er irrt durch das Penthouse. Sein Atem wird zum aggressiven Hecheln. CHIKO Du Fotze! Chiko sieht im Bad nach. Nichts. Alle Kosmetikartikel sind aus den Regalen verschwunden. CHIKO Du Scheiß-Nutte! Du Scheiß-Fotze!!! Chiko schlägt auf die Tür ein, brüllt wie ein Irrer. Irgendwann sinkt er völlig verzweifelt auf die Knie. Er schreit voller Hass wie ein Tier. (später) Chiko sitzt noch immer auf dem Boden. Jetzt ist er ganz still. Irgendwann hebt er den Kopf, als wäre er gerade eben aufgewacht. Er steht auf. (später) Chiko packt ein paar Sachen zusammen und stopft alles in zwei große Taschen. Eilig verlässt er das Penthouse.
127. STRASSE VOR PENTHOUSE CHIKO AUSSEN / TAG Chiko öffnet den Kofferraum seines Wagens und legt die Taschen hinein. Anschließend schaut er sich um und steigt schnell in den Wagen.
12. SCHROTTPLATZ
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AUSSEN / TAG Chiko hält vor dem Schrottplatz. Wie immer fahren hier die Gabelstapler durch die Gegend und sammeln Wracks auf. Chiko steigt aus und entdeckt Curly, der gerade über den Schrottplatz humpelt. Er hat Arbeitshandschuhe an und trägt alte Felgen. Chiko pfeift und Curly sieht zu ihm rüber. Auf der anderen Seite wird noch jemand aufmerksam: Curlys Vater, wie immer in Rollkragenpullover und Lederjacke. Curly blickt zu seinem Vater herüber, der ein ernstes Gesicht macht. Doch Curly dreht sich einfach um und geht zu seinem Freund.
129. SCHROTTPLATZ / HINTERHOF AUSSEN / TAG Chiko und Curly im Hinterhof. CHIKO Ich hau ab. CURLY Wohin? CHIKO Weiß nicht, raus aus Hamburg. Curly sagt nichts. Er nickt. Einen Moment lang herrscht Stille. CURLY Digga, nimm Tibet mit. Chiko antwortet nicht. CURLY Nimm ihn echt mit. Chiko schüttelt den Kopf. Nicht widerspenstig, eher niedergeschlagen. CURLY Denk ma‘ drüber nach, Mann. Curly klopft ihm auf die Schulter und die beiden umarmen sich kurz. CURLY
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Ruf ma‘ durch, okay? Chiko nickt.
130. DÖNERIMBISS INNEN / TAG Hinter dem Tresen steht Mehmet, ein dicklicher Türke um die 50 mit Schnurrbart, ihm gegenüber ein paar weitere Türken in seinem Alter, anscheinend alles seine Freunde, denn sie führen eine lebendige Unterhaltung auf türkisch. Chiko steht in einer Ecke an einem kleinen Tisch und schreibt einen Brief. Ganz flüchtig sieht er ab und zu nach draußen, ob die Luft rein ist. Er faltet das Papier zusammen und steckt es mit einem Batzen Geld in einen Umschlag. Er geht zur Kasse und legt den Stift auf den Tresen. CHIKO (türkisch) Danke, Onkel Mehmet.
131. MERCEDES CHIKO / VOR HAUS JILL INNEN – AUSSEN / TAG Chiko parkt irgendwo zwischen anderen Autos in der Nähe von Jills Haus. Aus der Ferne kommt Jill mit Einkaufstüten auf ihre Haustür zu. Sie ist allein. Sie bemerkt Chiko nicht und verschwindet im Haus. Chiko steigt aus. Den Umschlag in der Hand, lässt er die Gegend keine Sekunde aus den Augen. Immer wieder fahren irgendwelche Autos vorbei. Jedes könnte eine Gefahr sein, aber es geschieht nichts.
132. TREPPENHAUS JILL / HAUSEINGANG INNEN / TAG Chiko kommt ins Treppenhaus, wirft den Umschlag in Jills Briefkasten und geht wieder.
133. MERCEDES CHIKO / VOR KINDERGARTEN
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INNEN – AUSSEN / TAG Chiko hält vor dem Kindergartengebäude und macht den Motor aus. Er will aussteigen, aber im nächsten Moment schlägt er die Wagentür wieder zu. Er holt seine Knarre aus dem Hosenbund und legt sie ins Handschuhfach. Dann erst steigt er aus.
134. KINDERGARTEN / VOR SPIELRAUM INNEN / TAG Chiko geht auf den Spielraum zu, dessen Tür mit von Kindern gemalten Bildern dekoriert ist. Die südländische Erzieherin, die wir schon einmal gesehen haben, hockt vor dem Raum und zieht einem Kind die Jacke an. ERZIEHERIN Hallo. Kann ich was für Dich tun? CHIKO Hi. Ich wollt zu Ayleen.
135. KINDERGARTEN / FLUR INNEN / TAG Chiko sitzt auf einer kleinen Bank im Flur. Es ist still hier. Die Erzieherin bringt nun Ayleen zu ihm. ERZIEHERIN So, guck ma‘, wer da ist, Ayleen: Papa... Chiko steht auf. CHIKO (zur Erzieherin) Danke Dir. ERZIEHERIN Bitte schön. Sie zieht sich zurück. Chiko geht in die Hocke. Er macht einen verkrampften Eindruck. CHIKO Na?
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Schweigen. CHIKO Alles klar? Immer noch Stille. Ayleen starrt ihn nur an. Chiko steigen jetzt langsam Tränen in den Augen. CHIKO Komm her... Chiko zieht sie sanft zu sich und in der Umarmung bricht er in Tränen aus. Er drückt sein Kind fest an sich und vergräbt das Gesicht an ihrer Schulter. Ayleen rührt sich nicht. Chiko heult und hält sie dabei so fest, als ginge es um Leben und Tod. Nach einer Weile versucht Ayleen, sich aus seinen Armen zu befreien. Chiko lässt sie los. Seine Augen sind völlig verheult. CHIKO Tschuldige... Chiko zieht Ayleen noch einmal kurz an sich, gibt ihr zwei innige Küsse auf den Kopf und atmet sie tief ein... Dann lässt er sie endlich los. Er braucht noch einen kleinen Augenblick, um sich wieder zu fangen. Chiko steht auf und guckt Ayleen mit einem zarten Lächeln an. CHIKO Bis dann... Er wendet sich ab und geht. Ayleen schaut ihm hinterher.
136. MERCEDES CHIKO / STRASSE INNEN – AUSSEN / TAG Chiko fährt auf einer zweispurigen Straße. Das Radio läuft leise. Chiko hält an einer roten Ampel und wartet. Er sucht prüfend die Gegend ab, aber es ist alles ganz normal. Als er in den Rückspiegel schaut, sieht er einen Alfa Romeo hinter sich, ein neueres Modell. Zwei Typen sitzen darin. Ein Südländer und ein Hellhäutiger, beide vielleicht Ende Zwanzig, könnten Türsteher sein. Sie scheinen
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Chiko regelrecht in den Nacken zu starren. Chiko beobachtet sie ganz genau, lässt sie nicht aus den Augen. Der Alfa Romeo hupt auf einmal. Chiko schaut nach vorn und sieht, dass die Ampel auf grün gesprungen ist. Er fährt los. Der Alfa wechselt auf die linke Spur und holt langsam auf, bis er auf gleicher Höhe ist. Chiko schaut hinüber. Die zwei Alfa-Fahrer auch. Der Südländer sagt irgendetwas zu dem anderen. Chiko beschleunigt ein wenig, aber der Alfa holt ihn wieder ein. Er hupt wieder. Zweimal. Der Südländer auf dem Beifahrersitz macht Chiko ein Zeichen. Er soll sein Fenster herunterlassen. Chiko ignoriert das und schaut im Handschuhfach nach der Knarre. Weiter vorne senken sich die Schranken eines Bahnübergangs. Chiko muss anhalten und der Alfa kommt direkt neben ihm zum Stehen. SÜDLÄNDER (aus dem Beifahrerfenster) Ey, Kollege... Ey! Chiko zögert zuerst, lässt dann aber das Fenster herunter. Von weitem hören wir den Zug näher kommen. SÜDLÄNDER Bist Du Chiko, sag ma‘? Chiko glotzt. CHIKO Wieso? SÜDLÄNDER Du bist doch Chiko... CHIKO Wer bist Du denn? HELLHÄUTIGER Du bist doch der von Brownie, oder nicht?! Chiko zögert nicht lange, er nimmt die Waffe und springt aus dem Wagen, die Knarre auf den Alfa Romeo gerichtet. Im Hintergrund rattert nun ein endlos langer Güterzug vorbei. Es ist verdammt laut. Die beiden Kerle im Auto schrecken zurück, als Chiko vor dem offenen Fenster steht und mit der Waffe droht. Er packt den Südländer am Kragen. CHIKO Wer seid Ihr, Lan?! Was wollt Ihr???
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SÜDLÄNDER Ey, ganz ruhig, Mann! Was soll der Scheiß??? CHIKO WAS WOLLT IHR WICHSER?! Nimm Deine Hände hoch, Du Arsch!!! Der Hellhäutige hebt die Hände hoch, völlige Panik im Gesicht. HELLHÄUTIGER Ganz cool, Mann!!! Wir wollten nur ’n bisschen Koks, echt!!! SÜDLÄNDER Wir wollten nur Dash, Mann, ich schwör... HELLHÄUTIGER Wir kennen Dich vom Sehen. Wir wussten nicht, ob Du das bist oder nicht... Chiko hat die Knarre noch immer auf die beiden gerichtet. Der Zug ist jetzt durchgefahren und der Lärm verebbt. Die beiden Knallerbsen rühren sich nicht mehr. CHIKO Ich bin nicht Chiko... Ich bin Isa. Er nimmt die Knarre herunter und steigt wieder in sein Auto. Die beiden Alfafahrer schauen sich verdutzt an. Die Schranken gehen auf und Chiko fährt weiter.
137. AUTOBAHN AUSSEN / TAG Chikos Mercedes fährt auf der Autobahn Richtung Lübeck. 138. MERCEDES CHIKO / AUTOBAHN INNEN – AUSSEN / TAG Chiko fährt auf der linken Spur. Er überholt einige Autos und düst unter zwei, drei blauen Schildern durch. Chiko verlässt Hamburg. Er hat einen leicht verträumten Ausdruck. Irgendeine passende Musik läuft aus den Boxen. So vergeht eine Weile. Irgendwann ändert sich der Ausdruck in seinem Gesicht. Er reißt das Lenkrad nach rechts und zieht unvermittelt auf die äußere Spur. Ein paar Autos
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hinter ihm weichen hupend aus, einer geht voll in die Eisen. Chikos Mercedes fährt auf eine Ausfahrt.
139. STRASSE VOR MOSCHEE AUSSEN / TAG Chiko hält vor der Moschee und steigt aus.
140. MOSCHEE / TEESTUBE / GANG INNEN / TAG Chiko kommt in die Teestube der Moschee. Ein paar der üblichen Figuren schauen ihn etwas schräg an. Ein junger BURSCHE macht gerade Tee hinterm Tresen, aber Tibet ist nicht zu sehen. BURSCHE (türkisch) Guten Tag, Bruder. Chiko geht zu ihm. CHIKO (türkisch) Wo ist Tibet? BURSCHE (türkisch) Tibet? Der Humpelnde? CHIKO (türkisch) Ja. BURSCHE (türkisch) Der wollte gleich zum Gebet. Schau mal im Waschraum nach. Chiko geht los. Der Bursche ruft ihm hinterher. BURSCHE (türkisch) Ich glaube, der sucht Dich... Chiko marschiert durch eine Tür. Er eilt durch einen Gang und steigt eine Treppe hinunter. Unten ist eine weitere Tür. Chiko geht darauf zu.
141. MOSCHEE / WASCHRAUM
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INNEN / TAG Chiko öffnet die Tür zum Waschraum. Schwaches Tageslicht fällt durch die Milchglasfenster in den Raum. Es ist niemand zu sehen. Wir hören einen Wasserhahn laufen. Chiko tritt in den Raum. Tibet sitzt mit dem Rücken zu Chiko und macht das traditionelle Waschritual: den Aptes. Chiko geht langsam auf einen Wasserhahn am anderen Ende des Raumes zu. Dabei lässt er Tibet nicht aus den Augen. Er dreht den Hahn auf und beginnt, sich das Gesicht zu waschen. Dann spült er sich mit Wasser den Mund aus; alles ganz ruhig und mit einer fast sanften Melancholie im Gesicht. Anschließend wischt er sich das Gesicht mit den Ärmeln trocken und geht zu seinem Freund. Tibet schüttelt sich die Hände trocken, dreht sich um und sieht Chiko. Er hat einen fertigen Blick und ein farbloses Gesicht mit Rändern unter den glasigen Augen. Chiko zeigt ein halbes, zurückhaltendes Lächeln. CHIKO (leise) Ey, Mann... Tibet wirkt irgendwie völlig dicht. CHIKO Ich hau ab... Kommst Du mit? Tibet hat einen leeren Blick, aber trotzdem kämpfen seine Augen gegen die Tränen an. Er steht auf und Chiko nimmt ihn in die Arme. Ganz fest. Für einen Moment stehen sie in fester Umklammerung da. Dann holt Tibet etwas aus der Tasche, ein Brotmesser mit kurzer Klinge. Er rammt Chiko das Messer in die Seite und Chiko schreit auf. Tibet krallt sich an ihm fest und sticht gleich noch einmal zu und dann noch mal. Chiko knallt gegen die hintere Wand und Tibet rammt ihm nun das Messer in den Bauch. Chiko fällt zu Boden und Tibet tritt zurück. Chiko kommt wackelig auf die Beine und stützt sich an der Wand hinter ihm. Das Blut läuft ihm den Bauch herunter. Tibet kommt wieder auf ihn zu. Er heult fast. Er sticht wieder auf ihn ein. Chiko krallt sich mit einer blutverschmierten Hand an Tibets Gesicht fest. Einen kleinen Moment sehen sie sich an, aber nur einen klitzekleinen Moment. Dann reißt Tibet sich los und taumelt wieder ein paar Schritte zurück. Er heult jetzt und atmet schnell und heftig. Chiko blutet stark und fällt wieder um. Tibet beginnt, sich auf den Kopf zu schlagen und geht auf und ab. Dann sinkt er in die Hocke und flennt. Speichel hängt ihm aus dem Mund. Chiko versucht, Luft zu bekommen und aufzustehen. Zwecklos. Wir hören keinen Ton, nur noch Chikos hilfloses Keuchen. Das Blut läuft über den Fußboden in den Abfluss. Alles scheint langsamer abzulaufen als sonst. Chiko läuft jetzt Blut aus dem Mund. Er dreht sich auf die Seite und keucht weiter... Bis er endlich ganz aufhört zu atmen.
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ENDE Özgür Yildirim zu CHIKO Viele fragen mich, wie ich zum Schreiben gekommen bin. Ehrlich gesagt, erinnere ich mich nicht mehr an den Wendepunkt meines Lebens, als ich gedacht habe: „Ich entscheide mich heute dafür, Geschichten und Drehbücher zu schreiben“. Irgendwann habe ich so viele Filme gesehen, dass ich auch so was machen wollte und so fing ich mit 11 Jahren an, meine Phantasie mit dem Bleistift auf Papier zu bringen. Damit ging die Exposition meines Lebens zu Ende und
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der 2. Akt begann. Mein Ziel war, Filme zu schreiben und sie zu drehen. Mein Hindernis, dass ich kein Geld dafür hatte. Jahrelang hingen wir zu dritt mit meinen Freunden in der Wohnung meiner Eltern herum und drehten kurze Horrorfilme und Komödien, immer wieder mit denselben drei Gesichtern in tausend Kostümen. Ich hatte viele Antagonisten: Meine Lehrer, die mich beim Zeichnen meiner Storyboards störten oder Leute auf der Straße, die uns beim filmen nervten. Aber irgendwann machten wir HARTES BLUT, ein Jugenddrama um Drogen, Kriminalität und Gewalt, gedreht direkt vor unserer Haustür in Dulsberg, mit echten „Homies“. Und mit diesem Film wurden wir ernst genommen. Das ist der Moment, in dem der Held sein erstes Hindernis überwindet. Wir kriegten Geld von Projektentwicklungsstätten und konnten unseren nächsten Kurzfilm DON JUAN DE TÜRKO drehen, mit dem wir einen Publikumspreis bei dem Internationalen Kurzfilmfest in Hamburg gewannen. Und kurze Zeit später durfte ich Filmregie studieren. Ich fing an, CHIKO zu schreiben, traf Fatih Akin nach sechs Jahren als Gastdozent an meiner Uni wieder und gab ihm das Drehbuch zum Lesen. Die letzten Filme, die er noch von mir kannte, waren meine kurzen Horrorfilme und Komödien, als wir uns ’97 zufällig kennengelernt hatten. Ich war schon beim nächsten Plotpoint angekommen: Fatih wollte mich produzieren. Der 3. Akt meines bisherigen Lebens waren die intensiven Vorbereitungen und der Dreh zu CHIKO. Und das Finale? Wenn ich da schon angekommen sein sollte, dann hatte ich ein recht kurzes Leben. Mit meinem ersten Film habe ich versucht, etwas zu erzählen, was mir thematisch nahe steht. Was ich kenne und was ich teilweise selber gesehen habe. Was andere nur aus der Glotze kennen. Und der Reiz bestand darin, ein totes Genre in Deutschland wieder zu erwecken. Menschen, die an mich geglaubt und mir geholfen haben, verdanke ich sehr viel. Und Menschen, die wie Komparsen oder Nebenrollen meine Wege kreuzten, genauso. Denn sie alle um mich herum haben mich inspiriert und mir ihre Geschichten erzählt. So ist CHIKO nach vielen Jahren entstanden. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Herzblut und Leidenschaft die wichtigsten zwei Mittel sind, um den Glauben an sein Ziel nicht zu verlieren.
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Ich glaube, das ist der Moment, in dem der Epilog zu Ende erzählt ist. Abspann.
Özgür Yildirim
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Bisher sind folgende Drehbücher in der Reihe
DEUTSCHE DREHBÜCHER erschienen:
2008 AUF DER ANDEREN SEITE Von Fatih Akin KIRCHBLÜTEN – HANAMI Von Doris Dörrie
2009 CHIKO Von Özgür Yildirim NACHT VOR AUGEN Von Johanna Stuttmann NOVEMBERKIND Von Heide und Christian Schwochow
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