Fabian oder der Gang vor die Hunde

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FABIAN ODER DER GANG VOR DIE HUNDE Constantin Lieb & Dominik Graf

DEUTSCHE DREHBÜCHER Herausgegeben von der Deutschen Filmakademie


FABIAN Drehbuch zu einem Kinospielfilm von Constantin Lieb Co-Autor Dominik Graf REGIE-FASSUNG 12.2 VERSION GRAF 25. JULI 2019

Adaption basierend auf Ausgabe:
 "Erich Kästner - Der Gang vor die Hunde". Atrium Verlag, Zürich 2013. .LUPA Film GmbH

Felix von Boehm Keithstrasse 5 10787 Berlin/ felix@lupa-film.com.


A 1.

U-BAHNSTATION

I/A/T

Schnelle Bewegung der Kamera frontal durch eine moderne Berliner UBahnstation, Treppe hinunter, an den heutig gekleideten Menschen, den wartenden Passagieren am Bahnsteig vorbei, bis zur anderen Seite der Station wieder nach oben. Bis dahin Originalton, Titel. Der Ton wechselt nun, OFF-Musik klingt kurz auf, einen Augenblick bleibt die Kamera wie Atem holend stehen. Wir sehen Plakate an der UBahn-Wand wie aus einer anderen Zeit. Oben, über uns hören wir schon Verkehr fliessen, alte Autohupen, aber vor allem ein leises unsicheres Atmen. Die Kamera schwenkt hoch: von der Treppe aus sehen wir Fabian, er steht ans Geländer gelehnt, hinter ihm ist nur Himmel zu sehen. Er schaut uns direkt an, atmet schwer, schliesst kurz erschöpft die Augen. Er trägt einen kleinen Schnurrbart. Er hat einen leichten Herzanfall. Eine Hand, Schulter.

aus

einem

weissen

Hemdsärmel

ragend,

fasst

ihn

an

der

RAUE STIMME DES GEZEICHNETEN (HALB OFF) Was ist dir, Kamerad? Erzählerin: „Was ist dir Kamerad?“ RAUE STIMME DES GEZEICHNETEN (HALB OFF) Dieser verdammte Krieg! Fabian schaut auf, blickt den Mann an. Wir sehen sein Gesicht wegen der Sonnenstrahlung im Gegenlicht nicht. Aber wir sehen Beunruhigung in Fabians Gesicht. (Später, in einem Traum, werden wir den Mann zu sehen kriegen: eines jener furchtbaren zusammengeflickten NarbenGesichter aus dem ersten Weltkrieg, die damals tausendfach durch Berlin liefen. Oder verschlossen in geheimgehaltenen Heimen vegetierten.)

A 2.

MONTAGE: RAUSCH EINER NACHT/CLUB FRAU SOMMER/EMPFANG

I/N

Jetzt beginnt der Film richtig. Mit einer Art rasendem Punkrock. Hauptsächlich instrumental. Nur eine Zeile wird mehrfach an passenden Stellen herausgebrüllt: "Die Liebe ist ein Zeitvertreib - man braucht dafür den Unterleib"!!!!! Wir sehen dabei in Fragmenten eine Nacht, in der Fabian in Frau Sommers Club Mitglied wird ("30 Mark Beitrittsgebühr! Jeder Besuch extra ..."- Fabian: "Ich würd' mich gern erstmal umschauen..." "Umschauen ist nicht! Haben Sie hinsichtlich der Damen besondere Wünsche?" - Fabian: "Mein Geschmack neigt zu blond, meine Erfahrung spricht dagegen..." Dame: „Das Etablissement dient zur Anbahnung von Beziehungen. Die Damen genießen die gleichen Rechte wie die Herren.


Paare, die ungestört verlassen.) ...

A 3.

bleiben

mögen,

werden

gebeten

den

Club

MONTAGE: RAUSCH EINER NACHT/CLUBRAUM SOMMER

zu

A/I/N

... und in einer Art Wohnzimmer neben anderen Damen die hungrige, nicht mehr ganz junge Dame Moll kennenlernt. Jemand ruft "Man wird tanzen" „Entschuldigen Sie, ich bin auf Ihren Fuß getreten.“ Musik. Fabian tanzt mit ihr.... Sie: „Wie heißte denn?“ Er: „Fabian. Jakob Fabian.“ Sie: „Ist das nicht ein bisschen doll? Zwei Vornamen?“ Er: „Besser als einer.“ Vorschlag für improvisierte Konversation zwischen ihnen beiden, sie stellt sich namentlich vor: "Moll. Irene Moll sogar, damit Leute mit Gymnasialbildung was zu lachen haben" - Er lacht. Sie: "Aha?"- Fabian: "Warten Sie. Ich erinnere mich, humanistisches Gymnasium: 'Irene' - in Latein 'die Friedliche', ja?"- Sie: "Und was sagt Ihnen 'Moll'?" - Sie schiebt ihn an sich heran. Er: "Dass Sie vielleicht eher 'Dur' heissen müssten."

A 4.

MONTAGE: RAUSCH EINER NACHT/TAXI RÜCKBANK

A/I/N

Wir sehen nur eine Rückbank. Fabian wird von Frau Moll im Taxi bereits angefallen. Sie ruft dem Chauffeur nach vorn zu "Licht aus!". Erzähler: „Die Liebe ist ein Zeitvertreib.“ Erzählerin: „Man damit dafür den Unterleib.“ Fabian versucht sich zu wehren: "Ich wollte erwürgt werde noch einen Brief schreiben"...

A 5.

eigentlich

bevor

MONTAGE: RAUSCH EINER NACHT/LIFT/TREPPENHS/WOHNUNG MOLL

In einem Küssen...

Spiegel

in

einem

Lift

betrachten

sich

die

beiden

ich

A/I/N beim

Erzähler: „Was hatte die Frau wohl mit ihm vor? Fabian war zweiunddreißig Jahre alt und hatte sich nachts fleißig umgetan. Auch dieser Abend begann ihn zu reizen.“ Fabian: "Wissen Sie was ne Megäre ist?"- "Ich weiß es. Aber ich bin hübscher." Sie umarmt ihn. Wie im Würgegriff. Er lacht. Vor der herrschaftlichen Wohnungstür angekommen sehen wir - an der Tür steht "Dr. Moll". In der Wohnung, sprich Salon: Fabian mag Frau Moll, aber seine Sache ist nun mal die schnelle Eroberung nicht. Vor allem nicht in passiver Position. Er beteuert mehrmals in Verteidigungshaltung: "Ich warte auf den Sieg der Anständigkeit" und "Ich muss immer zu Hause schlafen" usw. - Aber sie: "Wozu kommst du in den Club, wenn dir an den Konsequenzen nichts liegt?"- "Ich erfuhr die Adresse und ich bin sehr neugierig." Sie: "Also hopp! Der Neugier sind keine Grenzen gesetzt!" Frau Moll duldet keinen Widerspruch und gerät immer heftiger in Fahrt. "Setz dich, ich komm gleich wieder." Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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Erzähler: „Meinte sie und entfernte sich. Fabian (Er) trug, durstig, schon lange ein Gefäß in seiner Hand durch all diese Nächte, und er mochte es nicht mehr tragen, weil es leer war...“ Als sie zurückkehrt: IRENE MOLL So nun wird der kleine Junge geschlachtet! Hurra!! Sie landen im Ringkampf auf dem Boden. Fabian erleidet einen Kratzer im Gesicht. Es erscheint der Ehemann Moll im Pyjama mit einem mehrseitigen Beischlaf-Vertrag in der Hand. Er rettet Fabian für den Moment, bittet ihn aber zu bleiben, denn: "Ich muss Sie unterbrechen. Wenn Sie für eine kurze Unterredung in mein Büro kommen würden? Er: „Wer sind Sie?“ – „Moll. Dr. Moll.“ Im Büro: „Es freut kennenzulernen.“

mich,

einen

so

sympathischen

jungen

Mann

Die Umstände sind ebenso gewöhnlich wie ungewöhnlich."- Und er führt Fabian in ein büroartiges Nebenzimmer, zeigt ihm den Vertrag. DR. MOLL (erzählt) Nach dem ersten Jahr unsrer Ehe setzten Frau Moll und ich einen Vertrag auf, dessen Paragraph 4 lautet: Die Vertragspartnerin verpflichtet sich, jeden Menschen, mit dem sie in intime Beziehungen zu treten wünscht, zuvor ihrem Gatten, Herrn Dr. Felix Moll, vorzuführen. Spricht sich dieser gegen den Betreffenden aus, so ist Frau Irene Moll angewiesen, unverzüglich auf die Ausführung ihres Vorhabens zu verzichten.... FABIAN Aha. DR. MOLL ...Es wurde nach kurzer Ehe bereits klar, dass ihre sexuellen Bedürfnisse proportional der Dauer unserer Verbindung zunahmen und bei ihr Wunschträume erzeugten, von denen Sie sich keine Vorstellung machen. Mir wuchs der Unterleib meiner Frau sozusagen über den Kopf. Fabian nimmt Fluchthaltung an. Wohnungsschlüssel in die Hand....

Dr.

Moll

drückt

ihm

einen

DR. MOLL Bleiben Sie doch! Sie werden es nicht bereuen! Sie werden unser Freund werden! Und ich werde Irene in guten Händen wissen. Tun Sie‘s mir zu Gefallen! Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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FABIAN Vielleicht wollen Sie mir noch ein gesichertes Monatseinkommen garantieren? DR. MOLL Darüber liesse sich reden, ich bin nicht unvermögend. Und als Fabian ablehnt ("Nee, nee, nee...") folgt ihm Dr. Moll ein paar Schritte in ein Halbdunkel der Szenerie. DR. MOLL (trägt ihm die Schlüssel hinterher) ... Schade, aber Sie brauchen die Schlüssel um unten raus zu kommen, behalten Sie sie ein paar Tage. Vielleicht überlegen Sie sich’s? Fabian sucht schliesslich - mit Schlüssel - das Weite. Schwenk: Man sieht. Frau Moll leidet alleine auf dem Sofa bzw. Bett des Salons. Das alles in schwungvoller Montage. Gegengeschnitten sind die Szenen mit Fotos aus dem Berliner Leben, aus der politischen Zeit (Vormarsch der Nazis), dazwischen Nachtclub-Reklamen, oder auch expressionistische Gemälde, George Grosz-like, soweit rechtlich verfügbar. (Prod. Bemerkung: Die Bilder dieser Nacht sind wie rudimentäre Fragmente gezeigt. Die Szenerien zeigen nur die wichtigsten Anteile der Orte, alle wie von einem Spot-Licht auf einer Bühne von oben beleuchtet, darum herum Schwarz. Frau Sommers Club besteht z.B. aus einem Eingangs-Kontortisch, der Clubraum aus zwei Tischen, zwei Stühlen, Lampe und einem Teppich, das Taxi nur aus der Rückbank, über die die Lichter der Grossstadt schwenken, die Wohnung aus wenigen Möbelstücken. All das in einem einzigen grösseren Zimmer gedreht. Von Herrn Molls Schreibtisch weg schwenken wir einmal in die Tiefe des Raums und sehen in einer entfernten Lichtinsel Irene Moll auf dem Sofa leidend auf Fabian wartend ...)

A 5.1

WOHNUNG FABIAN / VOR SPIEGEL

A/I/N

Fabian rasiert sich vor dem Spiegel den Bart ab. Erzähler: „Um 5 Uhr am Morgen legte Fabian Hand an sich und rasierte sich den Schnurrbart ab. Danach ging er wieder ins Bett. Es war ein Montag.“ Abblende.... Berlin-Bilder...die Stadt ruht nicht.... Erzähler: „Nach zwei unergiebigen (ergebnislos verschwundenen) Arbeitstagen erwachte Fabian (er) am Mittwoch Morgen beunruhigt.“ A 6.

HOF ZIGARETTENFABRIK

A/T

entfällt. Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

5


A 7.

ZIGARETTENFABRIK

I/A/T

So. Ruhe. Nächster Morgen. Wir sehen Fabians Gang zu seinem Arbeitsplatz. Ein Korridor. Eine Treppe hoch. Noch eine Treppe. Zu einem Dachbüro. Fabian hat immer einen Regenschirm dabei. Schrift "Berlin, Sommer 1931".

A 8.

ZIGARETTENFABRIK/FABIANS BÜRO

I/T

Fabian - von den Nächten gezeichnet, Frau Molls Kratzer ist noch sichtbar. Er öffnet die Tür. Sein kleiner Schnurrbart ist wegrasiert. Stattdessen eine minimale Rötung, die er noch manchmal betastet wie in Phantomschmerz. Erzähler: „Natürlich kam Fabian zu spät ins Büro. Der alberne Kollege (Fischer) war schon beim zweiten Frühstück.“ Der Kollege FISCHER hängt im gemeinsamen Büro gerade ein 
Muster-Plakat für eine neue Zigarettenwerbung auf. Vorwurfsvoller Blick auf die Uhr. Fabian registriert das. FABIAN Die Menschheit zerfällt in zwei Kategorien. KOLLEGE FISCHER (mit Rücken zu Fabian) In Männer und Frauen... FABIAN In Frühaufsteher und Langschläfer. Ich gehöre zur zweiten Sorte. Guten Morgen Herr Fischer. KOLLEGE FISCHER Ja, ja. Morgen. FABIAN (während er sich einrichtet) Ein Kinderphysiologe hat sich soeben öffentlich meine Ansicht, ohne sie zu kennen, zu eigen gemacht und fordert die Verlegung des Schulbeginns auf neun Uhr. KOLLEGE FISCHER Kunze hat 'ne Inseratenserie gezeichnet, zu der sollen wir gereimte Zweizeiler liefern. Das ist doch Ihr Spezialgebiet. Oder ist das dem Dichter zu profan? FABIAN (in Gedanken) Nee, ist gut. Letzte Woche sollten sie noch auf Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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gar keinen Fall gereimt sein. (Pause) Aber was nützt das Frühaufstehen wenn's sich nicht reimt, was? Machen Sie erstmal allein drauflos, ich hab' noch mit den photomontierten Plakaten zu tun. - War er schon da? KOLLEGE FISCHER 
Ist beim Arzt. Kommt heut später. 
 Fabian rollt ein Plakat auf, befestigt es an der Wand, schaut es sich aus Distanz an. Es zeigt den Kölner Dom, daneben eine genauso hohe Zigarette. KOLLEGE FISCHER (kaut an einem mitgebrachten Pausebrot) Fällt Ihnen was dazu ein? FABIAN (murmelt) "Nichts geht über..."- "So groß ist..." "Turmhoch über allen...". "völlig unerreichbar... thront die Kurmark" KOLLEGE FISCHER (deutet auf Fabians Oberlippe) Wo ist Ihr Bart? FABIAN Verlorengegangen. KOLLEGE FISCHER Wieder schlimm unterwegs gewesen? Fabian antwortet nicht, beobachtet durchs Fenster auf dem Vorplatz der Fabrik zwei Männer, die mit jeweils einer Kiste unterm Arm weggehen. FABIAN Was ist da los mit Ohser und Knauf? KOLLEGE FISCHER (beiläufig) Entlassen. Raus. Abgebaut. FABIAN (ungläubig) Die sind doch länger hier als ich? Keine Antwort. Ein Blick auf Fabian von aussen durch das Fenster: Ist Skepsis oder gar Furcht vor seinem eigenen Schicksal im Gesicht zu sehen? Dann setzt er sich wieder an seinen Tisch und beobachtet, wie Fischer Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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einzelne ausgeschnittene Buchstaben an sein zu bearbeitendes Plakat heftet, auf dem das Brandenburger Tor zu sehen ist. FISCHER Was wär' mit Trumpf? Oder Triumph? FABIAN (in Gedanken) Ja, könnte passen. - Wissen Sie, ob er meine Idee zum Preisausschreiben gelesen hat? FISCHER 
Ich bin später bei ihm. Soll ich's ihm nochmal vorlegen? FABIAN (zögerlich) Ja, warum nicht. Danke. Fabian starrt auf Fischers Plakat als könne er nicht recht glauben, dass das wirklich seine tägliche Arbeit ist. Da steht nun: T-R-U-M-P KOLLEGE FISCHER Mit “h” oder “f”? FABIAN (doziert) Der Triumph mit H, das Trumpf As mit F. Man sieht Fischer an, dass er derartige Belehrungen von Fabian hasst. Murmelt dennoch ein "Ach so, ja klar..."

1.

CAFÉ SPALTEHOLZ/FENSTERAUSBLICK

A/I/ T

entfällt.

2.

STRASSE BERLIN 1930

A/T

entfällt. 3.

VOR INSTITUT ZUR ANBAHNUNG VON BEZIEHUNGEN

A/T

entfällt.

4.

DIE HAND DIE SCHREIBT

Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

I/T

8


entfällt.

4 A.

EINGANG HAUS LABUDE

I/T

Von draussen Verkehrslärm, der nach dem Schliessen der schweren Haustür zum Schweigen gebracht ist. Fabian betritt einen edlen Treppenhaus-Eingang. An den Wänden Dekorationen, u.a. vier nackte Damen als Porzellan-Metaphern für die Jahreszeiten. Fabian zieht vor ihnen den Hut und geht die Treppe hoch. Fabian klopft. Ein "Offen!" (Labude) ertönt von innen.

5.

STADTWOHNUNG LABUDE

I/T

Fabian betritt seines Freundes Labudes Stadtwohnung. Labude ist blond, gross gewachsen, und meistens anscheinend platzend vor Energie und Geistesblitz. Darunter lauert die Fratze der Depression und Schwermut. Die Wohnung ist ein Bücherturm, Kleidern, leeren Flaschen.

ein

Durcheinander

von

Papier,

FABIAN (statt einer Begrüßung) Wo hast du die vorige Woche gesteckt? LABUDE (lehnt an seinem Bücherberg, starrt ihn einen Moment an - trinkt Cognac) Ja, danke gut. (Pause) War in Hamburg. Leda läßt grüßen. - Wo ist der Bart? FABIAN (nickt dankend) Abhanden gekommen. - Und? Wie geht’s der Verlobten? LABUDE (pathetisch, weitläufige Armbewegung) "Davon später". FABIAN Was vom Geheimrat gehört? Hat er gelesen? LABUDE Nee. Hab nich' abgegeben. Nochmal drüber gegangen. Drittes Mal. Der Alte hat sowieso keine Zeit - Promotionen, Prüfungen, Vorlesungen, Seminare, Senatssitzungen.... FABIAN (blättert in dem bereitgelegten Konvolut) Sei nich' nervös. Sie werden verstehen, daß sie den Mann nie verstanden haben. Erst durch dich. Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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An der Wand hängt ein Bild von Gotthold Ephraim Lessing. LABUDE (doziert) Naja, die heilige Logik von 'nem mausetoten Schriftsteller, 'nem längst verkaufsfertig verpackten Klassiker psychologisch auswerten, dabei seine Denkfehler entdecken und genau die dann als absolut individuell und als sinnvolle Vorgänge (zu) behandeln..(mit Pathos) Fünf Jahre hab ich dich Kerl, Gotthold Ephraim seziert, auseinandergenommen und zusammengesetzt! Fabian hört ihm zu, warmes Lächeln, er mag den Freund. LABUDE ... Auch 'ne Beschäftigung für'n Erwachsenen, im ganzen achtzehnten Jahrhundert wie in 'nem Müllkasten rumfingern! (zu Fabian) Aber heute geben wir das gemeinsam ab. Wenn du dabei bist, schaff ich das. Ich muß mich trennen. Hol dir’n Glas! Fabian nickt, nimmt ein Likörglas aus dem Schrank und schenkt sich ein. Labude hebt sein Glas. Starrt auf seine Promotion.

5 A.

STRASSE

A/N

entfällt. 6.

BUS

A/ I/T

entfällt.

7.

HALTESTELLE BUDAPESTER STRASSE

A/T

entfällt.

8.

UNIVERSITÄT / HAUPTEINGANG

A/T

Entfällt.

Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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9.

UNIVERSITÄT / TREPPE

I/T

Labude und Fabian kommen zügig die breite Treppe der Uni hoch. An den Wänden des Foyers hängen Portraits bedeutender Professoren und Denker. LABUDE (schelmisch) Kennst du den Geruch noch? FABIAN
 Ja. Wie im Affenhaus. Nur mit schlechterem Essen.

10.

UNIVERSITÄT / SEKRETARIAT PROFESSOR

I/T

Die Doktorarbeit liegt auf einem Schreibtisch. Hinter dem vom Cognac aufgekratzten Labude wartet Fabian, vom Rennen leicht ausser Atem. Eine Sekretärin, Frau Menasse, schaut von der Arbeit auf. MENASSE Der Herr Geheimrat ist auf Reisen. LABUDE (entschlossen) Ist bekannt. Trotzdem. Richten Sie ihm bitte meine Grüße aus und ..eh... damit einhergehend wünsche ich ‘ne anregende Lektüre. Labude klopft auf das Titelblatt seiner Arbeit. Die Sekretärin hebt kritisch eine Augenbraue, wuchtet dann das Werk auf einen großen Stapel anderer Ordner, die bereits für den Professor bereit liegen. SEKRETÄRIN (müde) Ich mach ‘ne Notiz. (Sieht jetzt erst hinter Labude Fabian) Ach, Tag, Herr Dr. Fabian. Wollen Sie sich nochmal einschreiben bei uns? FABIAN (schüttelt lächelnd den Kopf) Nie im Leben. Labude schaut seiner Arbeit nach, sieht, daß sogleich wieder andere Akten darauf zu liegen kommen, nickt final, will gehen. An der Tür des Vorzimmers begegnet er aber dem Professorenassistent Weckherlin, der mit einem belegten Brot in der Hand in das ans Sekretariat angeschlossene Professorenzimmer strebt. Er hat eine frische Facon-Frisur. Labude lässt ihn vorbei ("Pardon"), dann spricht er ihn von hinten an: LABUDE (laut) Weckherlin, Mensch, hast dir ja im Oberstübchen alles wegrasiert? Nur noch die halbe Birne auf. Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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Topf drauf und drumrum schnibbeln (Dazugehörige Geste). Naja, halb so wild, sieht man ja allenthalben rumlaufem, Irrenhausfrisuren... entspricht dem Innenleben, wie? WECKHERLIN
 (bleibt stehen, grinst, voller Mund) Was willst’n sagen? Komm zum Punkt. LABUDE ...Und immer am Futtern. Jetzt grapschste gleich mit deinen Fettfingern meine Promotion an. WECKHERLIN Haste endlich abgegeben? LABUDE (Sieger-Pose) Bei Gott ja! Ich habe abgegeben. (leise) Frau Menasse hat mich reichlich weit unten im Stapel eingeordnet, könntest Du da was tun? WECKHERLIN (kommt näher, stellt sich blöd) Was tun? LABUDE (entsprechende Treppen-Geste mit Handfläche) Beförderung (meines Schriftguts) nach weiter oben? Daß ich früher dran bin? Weckherlin starrt ihn an. Labude noch konspirativer, damits keiner hört. LABUDE Ich spendier dir n’Abend bei Onkel Pelle am Nordpark. Mußt doch mal unter die Leute. Mit allem drum und dran. Weckherlin ist offenbar gegen jede Bestechung immun. Er schliesst das Professorenzimmer auf, dreht sich nochmal um, grinst. WECKHERLIN Muß ich nicht. Der Mensch braucht nur ‘ne Heimat, weißte. Sonst nüscht. Er geht ins Zimmer. hinter dem Grinsen.

Auch

die

Sekretärin

starrt.

Hass

war

spürbar

LABUDE (verinsichert zu Fabian) Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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Das war jetzt ‘ne rätselhafte Bemerkung für so eine geistig subalterne Existenz, oder?

11.

GANG UNIVERSITÄT

I/T

Entfällt.

12.

WOHNUNG FABIAN / HAUSFLUR MIT EINGANG

I/N

Fabian öffnet den Eingang der Wohnungspension. Erzähler: „Pension Hohlfeld. Schaperstraße. 4.“ Vom Flur aus gehen mehrere Zimmertüren ab. Im Dunkeln kaum erkennbar, aber ihm auf dem Fuss folgen leise Labude und zwei junge Frauen. Knarzender Fussboden, leise zischende Psst-Zeichen wie bei Stan und Ollie. Erzählerin: „Labude war ein moralischer Mensch. Die Braut in Hamburg hatte seine Moral jedoch lädiert. Der seelische Stundenplan war gefährdet, dem Charakter fehlte das Geländer. Er wollte lernen, so planlos zu leben wie sein Freund – aber er verzweifelte daran.....“ "Psst mich um die Uhrzeit nich’ an" hört man Labude flüstern. Das geflüsterte Gespräch dreht sich darum, wo sie noch hätten hingehen können statt nur nach Hause. Clubnamen fallen. LABUDE Also die "Cousine" hätte auf jeden Fall noch offen gehabt... FABIAN Ja, "Spalteholz" auch. LABUDE
 Da biste du doch eh dein halbes Leben. Ins Leon. Oder ins Eden? Eine der Damen bringt ihre lautmalerisch zum Ausdruck.

Aversion

gegen

das

"Eden"

deutlich

FABIAN
 Nich’ hier auf den Gang kotzen bitte. - Gibts das Eden denn noch? LABUDE
 Heißt, glaube ich, jetzt Hölle. - Oder zum Böse-Buben-Ball ins Eldorado. Man müsste sich nur mal entscheiden. Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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DAME 2 Ja, nee... Vielleicht lieber in’ Topp-Keller. LABUDE Ja, warum nicht? FABIAN Leute, ich bin zu Hause, das hat’n Grund. Ich bin müde. DIE BEGLEITERINNEN Wir wollen aber nicht schlafen. Was wird’n hier noch geboten? LABUDE (gleichzeitig) Müdigkeit ist ein Akt der Unterwerfung. (zu einer der begleitenden Damen) Nicht anfassen bitte. Der Gang biegt um die Ecke. Fabian sperrt leise die Tür zu seinem Zimmer am Ende auf. 
Unter einem Türschlitz am Ende des langen Gangs, direkt hinter Fabians Tür, dringt Licht heraus. Dumpf und leise ist Musik zu hören. Vor der Tür steht ein Teller, auf dem die abgebissenen Ränder eines Butterbrotes liegen. Fabian bemerkt es. LABUDE Was ist? FABIAN (deutet auf Tür, leise) Neuer Mieter... Fabian betritt sein Zimmer. Die Damen schwirren währenddessen davon, schlafen wollen sie noch nicht. Labude will nicht mitkommen. Nochmal mehrfache "Pssst"- Geräusche. Türen klappen.

13.

ZIMMER FABIAN/GANG SCHAPERSTRASSE

I/N

Später. Labude schläft fest auf Fabians schmalem Bett. Details der Einrichtung. Ein Waschbecken. 
Ein Schrank. Ein Spiegel. Möbliertes Wohnen in Berlin um 1930. 
 Fabian, ohne Jackett, knipst ganz spärliches Licht am Schreibtisch an. Man sieht die letzten beschriebenen Seiten seines Notizbuches. Neben ihm stehen säuberlich aufgereiht weitere Notizbücher der gleichen Art. FABIAN (schreibt) Wir sitzen alle im gleichen Zug. Und reißen quer durch die Zeit. Wir sehen hinaus. Wir sahen genug. Wir fahren alle im gleichen Zug. Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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Und keiner weiß, wie weit. Ein Nachbar schläft, ein anderer klagt. Ein dritter redet viel… Erzähler: „.....Stationen werden angesagt – Der Zug, der durch die Jahre jagt, kommt niemals an sein Ziel.“ Er will noch weiter schreiben, aber da ist aus dem Nebenzimmer wieder deutlich Musik zu hören. Seine Armbanduhr zeigt halb 3. Er holt sich ein Glas, legt es an die Wand an und horcht: eine Instrumentalmusik der Zeit, ein schöner sehnsüchtiger langsamer Tango. Auf dem Gang vor den Zimmertüren bewegen wir uns einmal parallel von Fabians geschlossener Tür zur geschlossenen Nachbars-Tür. Eine Frauenstimme summt dort dezent und nicht unbegabt die Melodie mit. Fabian rutscht lächelnd an seiner Zimmerwand nach unten, weiterhin lauschend. Die Nadel hängt jetzt. Das Lied stockt. Die Nadel wird von der Platte genommen. Fabian wartet, aber keine neue Musik setzt ein. Für einen Moment ist es ganz still. Fabian klopft den Takt des Lieds von eben an die Wand. Labude wird nicht wach. Dann beginnt langsam die Frauenstimme im Nachbarzimmer nun zu Fabians Takt zu pfeifen. Fabian lacht leise. Die Stimme singt....und rückt dabei offenbar näher an die Zwischenwand heran. Das Licht im Flur geht an. Die Schritte der Vermieterin Frau Hohlfeld sind zu hören. Fabian stoppt sein Klopfen und löscht das kleine Licht. Er wartet darauf, dass seine Tür aufgerissen wird, aber passiert. Er hört stattdessen, dass Frau Hohlfeld nebenan ist.

nichts

FRAU HOHLFELD (OFF) (dumpf) Unter meinem Dach herrscht eine gewisse Ordnung. Und jetzt wünsch ich ‘ne gute Nacht. Sie wissen, erste Nacht im neuen Bett...- die Träume gehen in Erfüllung. Das Licht im Flur erlischt wieder. Alles ist ganz ruhig. rutscht von der Wand weg. Er hört Frau Hohlfeld vor seiner Tür.

Fabian

FRAU HOHLFELD (OFF/ON/leise) Herr Fabian, sind Sie anwesend? FABIAN (leise) Ja, Frau Hohlfeld. FRAU HOHLFELD (OFF/ON/leise) Das ist gut. Schlafen Sie wohl.

14.

WOHNUNG FABIAN / ZIMMER FABIAN

I/DÄ

Blick aus dem Fenster: Bäume, durch die rötliches Früh-Morgenlicht in Zimmer fällt. Fabian liegt halb auf dem Teppich neben dem Bett. Labude jetzt neben ihm, hellwach, strahlt eine Mischung aus Vorfreude und Ungeduld aus. LABUDE (leise, raucht) Ich mach ihr ‘n Antrag. Ich fahr zurück nach Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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Hamburg. Dann frag ich sie. Es ist wichtig, mal’n nächsten Schritt zu machen. Labude schaut Fabian erwartungsvoll an. Fabian braucht einen Moment bis er realisiert, was Labude gerade gesagt hat. FABIAN 
Ist das nicht bisschen... früh? LABUDE Wir sind seit 5 Jahren zusammen. FABIAN Ja. Naja. Mehr oder weniger. LABUDE 
Das Leben wartet nicht. (Pause) 
Tut gut, ne Entscheidung getroffen zu haben. Als hätte jemand den Startschuss endlich abgefeuert und man stürmt los! Du bist natürlich Trauzeuge. Lässt du mich hängen? FABIAN (schluckt)
 Nein, nein. Ich freu mich für dich. (Pause) 
 Ich frag mich nur, warum Menschen eigentlich heiraten? LABUDE Weils Spaß macht, wenn man nicht gerade Misanthrop ist oder Pessimist. FABIAN Ich bin Beobachter. LABUDE
 Ja, gute Position. Am Rand der Tanzfläche. FABIAN Sieht man mehr. - Hast du deinen Eltern überhaupt schon von der Verlobung erzählt? Labude schweigt, will das Thema offenbar nicht ausführlicher besprechen. Draussen hört man während der Szene eine akustische Kulisse, die manchmal das Interesse der Freunde fesselt. Marschtritte? Oder Rufe? Gelächter...? FABIAN
 (möchte etwas wissen) Woher weißt du, dass du Leda liebst? Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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LABUDE Ich hab' verstanden, Liebe ist Erweiterung. Vervielfältigung. Du verdoppelst deinen Blick auf die Welt! Wenn das mal passiert, willst du’s nie wieder anders haben. Die Poesie der Liebe liegt in der Zahl Zwei. FABIAN (leise, skeptisch) Hm. Bedeutet Liebe nicht eher 1 durch 2. Also jeder wird n’ Halbes. Praktisch Selbstaufgabe? LABUDE
 Ja, von mir aus Selbstaufgabe. Schön. Erlösung vom Ego. Ende der Ich-Sucht. Bereit für den anderen.

15.

WOHNUNG FABIAN / ZIMMER FABIAN

I/T

Fabian wacht mit pochendem Herzschlag - jetzt in seinem Bett - auf. Er muss sich orientieren. Labude ist weg. Die Stadt draussen lebt, Motorengeräusche. Verkaufsrufe. Erzähler: „Das Herz schlug wie verrückt. Es hämmerte unter seinem Schlafanzug. Es schlug im Hals. Es pochte unterm Schädel. Dieser Krieg! Dieser verdammte Krieg! Nur ein krankes Herz dabei erwischt zu haben, war zwar eine Kinderei, aber Fabian genügte dieses (eine) Andenken." 50 Mark liegen diskret auf seinem Schreibtisch. Fabian steckt sie weg. Fabian hört einen schrillen, tinitusartigen Ton, der nur langsam abnimmt. (Hören wir ihn auch? Vielleicht hält er sich nur das Ohr?) Es klopft an seiner Zimmertür, und sie geht auch schon auf. FRAU HOHLFELD ‘Morgen. Ein Paket von ihrer Mutter. Kam gestern. FABIAN
 Ja. Guten Morgen, Frau Hohlfeld. Frau Hohlfeld schiebt einen Servierwagen ins Zimmer, darauf das Frühstück und ein geschnürtes Postpaket. Hinter dem Schreibtisch befinden sich bereits zwei andere geöffnete Pakete. FRAU HOHLFELD Ich hoffe, Sie konnten schlafen bei dem Lärm heut Nacht. FABIAN Ich hab nichts gehört. 
 Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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Fabian will sich anziehen. FRAU HOHLFELD Sie sind spät. FABIAN (Kopfbewegung Richtung Nachbarzimmer) Ja. Gibts n’ neuen Mieter? FRAU HOHLFELD
 (nickt) Seit Montag. Hat im Voraus zwei Monate bezahlt. Etwas laut, ja, aber gewöhnt sich schon an uns. Wir sind anständige Leute, nicht wahr? Fabian nimmt eine Schrippe vom Servierwagen. FABIAN (unterbricht halb) Apropos. Anstand. Haben Sie die Zeitung von gestern Abend gelesen? Frau Hohlfeld schüttelt den Kopf. Fabian zerrt die Zeitung hervor. FABIAN Darf ich Ihnen vortragen? FRAU HOHLFELD Ach ja... Sie lesen immer so schön. Sie schliesst die Tür und setzt sich erwartungsvoll. FABIAN Sie werden nicht glauben, was jetzt kommt. Also: "Ein sechzehnjähriges Mädchen ist im Wedding verhaftet worden. Sie hatte eine Bande junger Burschen organisiert, zum Stehlen angehalten, hatte mit allen zehn Jungs geschlafen und alle zehn haben sich bei ihr angesteckt. Ein Uhrmacher aus dem Norden war vor einer Woche von zwei Mitgliedern der Bande im Bett erstickt worden. Olga, die Sechzehnjährige, hatte nackt daneben gelegen und für alle Fälle noch ein Küchenbeil bereitgehalten......"

16.

MONTAGE: SCHLAFZIMMER UHRMACHER

I/N

Kurze, poetisch-erschreckende Bilder, die das Geschriebene illustrieren. Vielleicht auch S/W-Fotos im Stil der Zeit. Zwei Jungs ersticken den sich heftig wehrenden Mann im Bett, daneben liegt die nackte Olga, schaut den Sterbenden an und hat in ihrem Rücken ein Beil liegen... Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

18


17.

WOHNUNG FABIAN / ZIMMER FABIAN

I/T

Fabian fährt unterdes fort. Erfindet er das? Frau Hohlfeld erstarrt in wohligem Entsetzen. FABIAN (ON/OFF) "...Der Mann war fünfzig Jahre alt gewesen, viele Mädchen der Gegend haben ihn gekannt. Er hat sie alle im Bett gehabt und alle nackt photographiert. Die Photos wurden beschlagnahmt und ein Schrank voll mit Seiden-Unterwäsche, Strumpfbändern und Strümpfen wurde gefunden."

18.

MONTAGE / WOHNUNG UHRMACHER/ EINGANG UND SCHRANK

I/N

- Olga, wie sie die Jungs reinlässt. - Das Ausrauben der verschiedenen Ecken der Wohnung. Nur als BilderFetzen. - Dann Polizei an einem Schrank. Die Fotos anderer jungen Damen... Wirkt alles wie ein Stummfilm. dramatischer Klavierbegleitung.

19.

Vielleicht

sogar

mit

entsprechend

WOHNUNG FABIAN / ZIMMER FABIAN

I/T

Fabian liest weiter. FABIAN (OFF/ON) ".... Übrigens sei nun, teilte die Polizeidirektion mit, das Mädchen schwanger, im fünften Monat. Gestanden haben sie alle. Bereut hat keiner. Von wem das Kind stammt, ist unklar. " Frau Hohlfeld ist vom Zuhören und Imaginieren der Ereignisse erregt. FABIAN (legt die Zeitung weg) Nun frage ich Sie: hat die Welt überhaupt Talent zur Anständigkeit? FRAU HOHLFELD (schiebt den Frühstückswagen aus dem Zimmer) Denken Sie an Ihre Miete?

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FABIAN Ausdauernd. Fabian wirft die Zeitung in den Papierkorb, öffnet das Paket - seine Wäsche, zu Hause gewaschen und gebügelt - nimmt den Begleitbrief, und setzt sich ans Fenster. Sonne scheint jetzt. In der dritten Etage übt jemand Klavier. Nebenan schreit der alte Oberrechnungsrat seine Frau an. Fabian öffnet das Kuvert und liest. Guckt auf die Uhr. Erzähler: Es konnte (alles) nicht ewig so (weiter)gehen. Bald, vielleicht wenn er es kaum noch hoffte, bald würde das Schicksal gnädig sein und das Gefäß in seiner Hand füllen. Bald. Dann. Erzählerin. Dann. Wann?“ (Jeanette 2. „bald“....) Erzähler: Er (Fabian) blickte auf die Straße hinunter. Warum saß er hier in dem fremden, gottverlassenen Zimmer - achtzig Mark monatlich, Morgenkaffee inbegriffen, Licht extra - bei der Witwe Hohlfeld, die das Vermieten früher nicht nötig gehabt hatte? Warum saß er nicht zu Hause, bei seiner Mutter? Was hatte er hier in dieser Stadt, in diesem verrückt gewordenen Steinbaukasten zu suchen? Blumigen Unsinn schreiben, damit die Menschheit noch mehr Zigaretten rauchte als bisher? Den Untergang Europas konnte er auch dort abwarten, wo er geboren worden war."

20.

DRESDEN / ELTERNHAUS FABIAN

I/T

Fabians Elternhaus. Das kleine Ladengeschäft der Mutter: Fabians feine Seifen.

21.

WOHNUNG FABIAN / ZIMMER FABIAN

I/T

Entfällt.

22.

VOR ZIGARETTENFABRIK

A/T

Entfällt

23.

BÜRO FABIAN/ ZIGARETTENFABRIK

I/T

Entfällt

23 A.

EIN SPIELPLATZ

Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

A/N

20


Entfällt

24.

KABARETT DER ANONYMEN

I/N

Autos vor einem Lokal- Eingang unter einer Brücke. Erzählerin: „Sonntag Nacht.“ Erzähler: „Komm, wir fahren ins Kabarett der Anonymen.« sagte Labude 4 Tage später, nach seiner Rückkehr aus HH (nachdem er aus Hamburg zurückgekehrt war)“ - »`Was ist das?- »Ich kenne es auch noch nicht. Ein findiger Kerl hat Halbverrückte auf der Strasse aufgelesen und läßt sie singen und tanzen. Er zahlt ihnen ein paar Mark, und sie lassen sich dafür vom Publikum beschimpfen...(Wahrscheinlich merken sie es gar nicht. Das Lokal soll sehr besucht sein. Das ist ja auch verständlich.) Und die Gäste bezahlen Eintritt, weil sie sich darüber freuen, daß es Leute gibt, die noch verrückter sind als sie selbst.`" Am Eingang: Ein Mann mit Perücke, der einen Pleureusenhut trägt und eine Hellebarde hält, lehnt an der Zwischentür zum Eingang des Lokal. Menschen drängen von der Straße herein. MANN (ruft) Immer rein in die Gummizelle! Labude und Fabian geben die Garderobe ab, betreten den überfüllten, verqualmten Hauptraum und enden an einem Tisch oder einer Bank im Getümmel. Auf der halbdunklen Bühne macht eine lächelnde junge Frau Sprünge auf einem niedrigen Trampolin. Es handelt sich offenbar um eine Tänzerin, sie springt in einem giftgrünen selbstgeschneiderten Kleid auf und nieder. Sie hält über dem Kopf eine Ranke künstlicher Blumen und wirft sich und die Ranke in regelmäßigen Zeitabständen in die Luft. Neben der Bühne sitzt ein zahnloser Greis an einem verstimmten Klavier und spielt die Ungarische Rhapsodie. Das Publikum, mittel bis upper class, überwiegend elegant gekleidet, trinkt Wein, unterhält sich laut und lacht. GLATZKÖPFIGER AUS PUBLIKUM Fräulein, Sie werden am Telefon verlangt! Brüllendes Gelächter. Die Tänzerin fährt fort zu lächeln und zu springen. Das Klavierspiel hört auf. Die Tänzerin wirft dem Klavierspieler einen bösen Blick zu und hüpft weiter. Neue, jetzt schwungvollere Melodie dazu. Labude ist betrunken und hängt etwas an Fabian. Er redet ununterbrochen auf ihn ein. Wir hören ihn wegen des Lärms nicht. DAME MIT MONOKEL (zur Bühne) Mutter, dein Kind ruft! EIN ANDERER GAST Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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Ja, Ihr Kind auch! DAME MIT MONOKEL (dreht sich um) Ich habe keine Kinder. EIN DRITTER GAST AUS HINTERGRUND Na, da können die aber lachen. VIERTER GAST Ruhe! Die junge tanzende Frau macht schliesslich, so scheint’s, ein Ende und landet in einem total mißlungenen Knicks, lächelt alberner als vorher, breitet die Arme aus. DICKER HERR MIT SMOKING Gut! Sie können morgen zum Teppichklopfen kommen! Erzähler: „Die Rhapsodie auf dem Klavier war zu Ende, aber der Tanz noch nicht. Das Mädchen tanzte noch immer, obwohl ihr längst die Beine wehtun mußten“ (Das Mädchen auf der Bühne warf der Klavierspielerin böse Blicke zu und hüpfte weiter.) Das Publikum lärmte, klatschte und schimpfte. Da kam ein Mann aus der Kulisse, zog die Tänzerin, die sich heftig sträubte, von der Bühne.... und trat selbst an die Rampe." DAME AUS DER ERSTEN TISCHREIHE Bravo! Caligula, ein etwas rundlicher Jude mit Hornbrille, zieht die Tänzerin weg… „Mädchenschweiß.“ Er wendet sich an den Herrn, der neben der Ruferin sitzt. CALIGULA (deutet auf die Frau) Ihre Frau? Der Herr nickt. CALIGULA Dann sagen Sie Ihrer Frau, sie soll die Schnauze halten. Man applaudiert erneut. Der Mann in der ersten Tischreihe wird rot. Seine Frau fühlt sich aber sichtbar geschmeichelt. CALIGULA (hebt die Hände) Ruhe, ihr Armleuchter! Es wird ruhig. CALIGULA Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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War die Tanzdarbietung nich’ ein Erlebnis? ALLE Jawohl!! Erzähler: „Fabian wusste es noch nicht, aber es waren nur noch 10 Minuten bis die Liebe beginnen sollte.“ CALIGULA Aber es kommt noch besser. Jetzt schicke ich euch einen raus, der heißt Paul Müller. Der ist aus Tolkewitz. Das liegt in Sachsen. Paul Müller gibt vor, Rezitator zu sein. Er ist kein Komiker. Sein Repertoire enthält nur ernste Werke. Er wird eine Ballade vortragen. Machen Sie sich aufs Äußerste gefaßt. Ich hab’ keine Kosten gescheut, diese wertvolle Kraft für heute Abend zu gewinnen. Weil: ihr kennt mich, ich kanns nicht dulden, daß nur im Zuschauerraum Verrückte sind. BESUCHER MIT SCHMISSNARBEN Das geht zu weit, Mann! Der Schmißnarbige springt auf, zieht sich empört das Jackett straff. CALIGULA Hinsetzen! Wissen Sie, was Sie sind? Ein Idiot! Der Schmissnarbige ringt nach Luft. CALIGULA Im übrigen meine ich Idiot nicht in beleidigendem Sinn, sondern als Charakteristikum. Die Leute lachen und klatschen. Der Herr mit den Schmissen wird von seinen Bekannten auf den Stuhl gezogen und beschwichtigt. Caligula nimmt eine Klingel in die Hand, schellt und ruft: CALIGULA Paul Müller erscheine! Caligula verschwindet, aus dem Hintergrund naht langaufgeschossener, sehr blasser Mensch in abgerissener Kleidung.

ein

STIMMEN Tag, Müller! EINE STIMME Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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Der ist zu schnell gewachsen. Paul Müller verbeugt sich, zeigt herausfordernden Ernst im Gesicht, fährt sich durch die Haare und presst dann die Hände vor die Augen. Er sammelt sich offenbar. Plötzlich zieht er die Hände vom Gesicht fort, streckt sie weit von sich, spreizt die Finger, reißt die Augen auf, beugt sich weit vor. Labude starrt ihn fasziniert an wie ein alter ego. PAUL MÜLLER (tritt noch einen Schritt an die Rampe) Die Todesfahrt. Von Paul Müller. DAME AUS DER ERSTEN TISCHREIHE Fall nicht runter! Paul Müller macht extra noch ein Schrittchen nach vorne, verächtlich auf das Publikum da unten und beginnt wieder:

blickt

PAUL MÜLLER Die Todesfahrt von Paul Müller: »Da Der Sie Der

war der Graf von Hohenstein. sperrte seine Tochter ein. liebte einen Offizier. Vater sprach: ›Du bleibst bei mir!‹«

Erzähler: „Nun waren es nur noch fünf Minuten. Man warf Zuckerstücke auf die Bühne. Man langweilte sich. Dem Vers-Vortrag war ein Drama im Hochadel zu entnehmen, zwei Liebende steuerten in nebliger Nacht unwissentlich aufeinander zu....“ Jemand aus dem Publikum wirft ein Stück Würfelzucker auf die Bühne. Paul Müller bückt sich, steckt den Zucker ein und fährt mit unheilschwangerer Stimme und teutonisch rollendem RRRRR fort. PAUL MÜLLER "Da half nur Flucht, und die Komteß entfloh in ihrem 10 PS. Sie steuerte durch Nacht und Not. Doch auf dem Kühler saß der Tod!" Wieder Zucker auf die Bühne. Allmählich kommt ein Bombardement zustande, dem Müller nur dadurch entgeht, daß er sich dauernd bückt. Es entwickelt sich ein Balladenvortrag mit Kniebeugen. Auch mit aufgerissenem Mund versucht Müller, den ihm zufliegenden Zucker aufzufangen. Sein Gesicht wird dabei immer drohender. Einige Zeilen sparen wir akustisch aus. Stattdessen Musik aus dem OFF und wachsender froher Tumult im Publikum. Darunter auch eine junge Dame mit verbundener Nase und ihr recht besitzergreifender Begleiter. Labude hört Müller zu und er ist sehr bewegt. Fabian schaut ihn besorgt an. Jetzt die letzten Zeilen der Todesfahrt: Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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PAUL MÜLLER (unbeirrt) »Das Auto jenes Offizieres kam links gefahren, rechts kam ihres. Der Nebel war entsetzlich dick. Und so vollzog sich das Geschick. Von links ein Schrei, von rechts ein Schrei –« STIMME Das macht nach Adam Riese zwei! Die Leute johlen und klatschen. Müller deklamiert unverdrossen weiter. Aber man sieht wegen des Lärms der Zuhörer unhörbar. "Aufhören!"- "Wir hams kapiert, Herr Müller!"- "Setzen, sechs!" LABUDE (springt auf, zum Publikum) Ruhe!!! Ruhe!!!! "Da packt nun auch den dürren Balladendichter Müller endgültig die blasse Wut. Er spring vom Podium und rüttelt eine rufende Dame derart an den Schultern, daß ihr die Zigarette aus dem Mund und in den blauseidenen Schoß fällt. Sie springt schreiend auf. Ihr Begleiter erhebt sich ebenfalls und schimpft, einzelne Verfluchungen herausbellend. Paul Müller gibt dem Kavalier einen Stoß, daß der in den Stuhl zurücktaumelt." (E. Kästner) Fabian hilft Labude, sich von der beginnenden allgemeinen Rangelei weg in eine Art Gang mit Hinterzimmer zu drängen, zu einem zur Bar umfunktionierten Tisch. Erzähler: „`Pfui Teufel`, Verrückte. Wir leben in grösser.`"

sagte Fabian, `unten grossen Zeiten. Sie

Sadisten und oben werden jeden Tag

Labude bedient sich sofort fachmännisch aus den Getränken der Bar, wirft Geld in eine offene Kasse. Daneben ein Schild: "Bin gleich zurück. Finger weg." JUNGE DAME (OFF/russischer Akzent) Für mich bitte auch. LABUDE (ohne hin zu sehen) Sehr gern. Labude dreht sich um und reicht seinen Drink an die Dame weiter, die aufreizend gekleidet hinter ihm steht: KYRA. Ihre Nase ist eingegipst. Sie nimmt das Glas, lächelt Labude zu und geht wieder. Labude schaut ihr nach. FABIAN Die bringt Unheil. Kyra dreht sich nochmal um, fängt Labudes interessierten Blick auf und Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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nähert sich prompt wieder. KYRA (mit Akzent zu Labude, der sie grinsend anstarrt) Mach Mund zu, sonst fallen Sägespäne aus dein Schädel! Erzählerin: „Die junge Dame, die eigentlich aus Bremen stammte, hatte sich ihren aufregendsten sibirischen Phantasie-Akzent für diesen Abend ausgesucht.“ Labude lacht etwas zu laut über den frechen Witz. Blickt Fabian an im Sinn von "Ist sie nicht toll?" Auf der Bühne hat inzwischen eine großgewachsene dunkelhaarige Sängerin begonnen, das Lied “Auf der Mundharmonika” anzustimmen. Sie hat ein beeindruckendes Stummfilmgesicht. Sie "spielt" und spricht das Lied quasi krächzend dramatisch. DRAMATISCHE SÄNGERIN "Später, später... bleibt vom Wagen....... nicht einmal die Wagenspur - Niemand, niemand wird dann fragen, wer in diesem Wagen fuhr..." Labude unterhält sich angeregt mit Kyra. Fabian geht von den beiden fort einen Toiletten-Gang hinunter. Erzähler: „Noch zwei Minuten.“ DRAMATISCHE SÄNGERIN "...Und das Lied, das uns erklungen auf der Mundharmonika - wird dereinst vom Wind gesungen und heisst nur noch lalala..." Fabian entfernt sich immer weiter von den Gästen und der Bühne. Die zweite Strophe des Lieds beginnt. Mit jedem Schritt weiter in die Wand-gefliessten Katarakte des Clubs hört Fabian, wie eine andere Stimme das Lied mitsingt, viel klarer und schöner als die Frau auf der Bühne. Fabian horcht auf. CORNELIA BATTENBERG (OFF) "... Singt einmal ein anderer Sänger..." Fabian folgt der Stimme in eine hintere Ecke des Lokals, die als eine Art Requisitenkammer dient. Gegenstände, Figuren, Klamotten, Krempelalles ist notdürftig in Kisten verpackt, in Regale gequetscht. Er zündet sich eine Zigarette an. Eine junge Frau steht plötzlich hinter ihm. CORNELIA BATTENBERG (kritischer Blick) Suchst du was?

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Fabian dreht sich um zu Cornelia Battenberg. Sie Zigarette direkt aus dem Mund und zieht selbst daran.

nimmt

ihm

die

FABIAN
 Verstecken Sie sich? Sie fixiert Fabian. CORNELIA BATTENBERG 
Nee, ich versteck mich nich’. Ich distanziere mich. Außerdem ist das arme Wesen auf der Bühne schrecklich unbegabt. Das kann man sich nur von Weitem anhören. In einem fleckigen, verzerrenden Decken-Spiegel über ihnen kann man über das ganze Lokal sehen. Cornelia Battenberg summt wieder ein bißchen mit und wirft den Gästen im Spiegel einen abschätzigen Blick zu. Erzählerin: „Und die Liebe höret nimmer auf.“ CORNELIA BATTENBERG Ich arbeite an der Bar. Hab aber grad Pause. (nickt bestätigend, die Pause hat sie sich wohl selbst genommen.) Als Frau ist man hier so viel wert wie das Korsett gekostet hat. Jede gibt sich so wie sie glaubt, dass ein Mann sie will. Im Spiegel sehen wir, wie im anderen Teil des Lokals ein echter Streit entsteht. Eine Dame in echtem Pelzmantel und nichts darunter will mit einem jungen Reichswehrsoldaten die Bühne usurpieren. Und Labude kämpft um Kyra, die Dame mit der Gipsnase. Erzähler: „Das Knallen eines Korkens inspirierte aber nun einen kräftigen Nachbarn, sich handgreiflich (raus) gleichfalls um das Mädchen mit der Gipsnase zu bewerben. Labude wollte aber nicht nachgeben.“ Kyras Begleiter reißt sie aus dem Gespräch mit Labude, küsst sie wild und habgierig. Labude geht dazwischen, greift sich Kyra wieder. Er rennt mit ihr in den Gang hinein, in den Fabian verschwunden ist und taucht nun direkt vor seinem Freund auf. DRAMATISCHE SÄNGERIN (derweil) "... Singt einmal ein anderer Sänger..." Labude steht mit Kyra vor Fabian und Cornelia. LABUDE (hastig) Das ist Kyra. Sie will Schauspielerin werden.

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Labude hat Kyra im Genick gepackt wie eine Beute. Die lässt es sich gefallen, kichert. FABIAN Ah. Angenehm.
 Kyra macht einen Knicks vor Fabian. LABUDE (zu Kyra, deutet auf seine Nase) Erzähl ihm nochmal, wie heißt das, wo du warst? KYRA (mit Akkzent) Institut für ästhetisch’ Körperkorrektur, Dr. Jacques Joseph. Nur empfehlen. LABUDE Bezahlt hat den Spaß ein verheirateter Mann. KYRA
 (haut ihn) Ey, das hab ich erzählt in Vertrauen.... In dem Moment hat aber der zuvor sie an der Bar wild küssende Mann sie wieder entdeckt und beansprucht Kyra erneut für sich. Es gibt aus dem Stand heraus eine Schlägerei in der engen Rumpelkammer. Labude wehrt den Hitzkopf erst mal mit flachen Händen ab. Er ist Pazifist. LABUDE Was ist los? Mann? Ey ey ey, kein Blut soll fliessen, Rot soll es nur politisch zugehen! KYRA (droht zwischen die Fronten zu kommen) Scheisse, geh weg! Mein Nase! (Russisch:) Vorsicht! (Deutsch:) Aufpass! Mein Nase!! Erzähler: „Fabian sagte: `Tanzbodenschlägereien gleichen politischen Schießereien zum Verwechseln. Es handelt sich hier dort um Auswüchse des deutschen Vereinslebens.` Im übrigen habe den Eindruck, sie wollten die Arbeitslosenziffer senken, indem einander totprügeln oder (tot)-schießen. Eine merkwürdige Art Selbsthilfe....«

den wie man sie von

Fräulein Cornelia Battenberg schliesst die Tischkassen ab, trägt ganz unhysterisch cool ihr noch halb volles Glas aus dem Gang nach vorne. Fabian folgt, verliert sie aus den Augen. Schreie. In der Rumpelkammer ist jetzt eine Plane oder ein Kostüm durch eine aus dem Mund gehauene Zigarette in Brand. Zügig Rauchentwicklung. Kyra, Labude und der wild küssende und prügelnde Mann verlagern ihre Aktivitäten zurück auf den kleinen Gang zum Gastraum. Fabian hilft Kyra aus der Prügelzone. Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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FABIAN (zu Kyra) War mir eine Freude, Sie und Ihre Nase kennen zu lernen. Labude stürzt sich nun wirklich in Rage auf den feurigen Mann, rennt ihm mit einem tierischen Schrei den Kopf in die Magengrube. Im Hauptraum singt jetzt die Frau im Pelzmantel laut und mit betrunkener Stimme auf der Bühne ebenfalls das Wagen-Lied. "Später, später..." Und sie ist dabei, den Reichswehrsoldaten, der sich verzweifelt wehrt, auszuziehen. Die Leute glauben, das sei auch eine Nummer. Vom Qualm aus dem Nebengang nimmt man nebenbei Notiz. Der eine oder andere - darunter Caligula und der Türsteher- versuchen die Kampfhähne zu trennen. IRENE MOLL (auf der Bühne) Kerl! Mach nicht so einen schlappen Eindruck! Los! Zeig den Ausweis! (geht ihm an die Hose) Der brave Infanterist stösst sie etwas unentschlossen zurück. Fabian erkennt in der Frau jetzt Irene Moll, deren Schlüssel er im Mantel hat. Labude und sein Gegner vereint das Feuer aus.

und

die

anderen

treten

jetzt

im

Nebenraum

Irene Moll läßt vom Polizisten ab, packt ein Sektglas, taumelt zur Rampe. Hebt das spitze Glas hoch und wirft es in den Saal. Begeisterung. Ein Nachbar wendet sich an Fabian und Cornelia: NACHBAR Die ist ‘ne Marke. Gehört gar nich’ hierher, kommt immer in teuren Lappen, drunter nix an, schleppt sich junge Kerle ab. IRENE MOLL (deutet auf den fliehenden VoPo) Männer nennt sich das! Wenn man sie anpackt, gehn se aus dem Leim! Meine sehr verehrten Damen, wir brauchen Männerbordelle! Wer dafür ist, der hebe die Hand! Sie schlägt sich emphatisch vor die Brust und bekommt davon Schluckauf. Im Saal wird gelacht. Sie fängt an zu weinen. Das Schwarz der getuschten Wimpern verflüssigt sich, und die Tränen liniieren ihr Gesicht. IRENE MOLL (breitet schluchzend beide Arme aus) Wir singen! Das schöne Lied vom Klavierspiel. Auch der Mensch ist nur ein Tier, immer, und erst recht zu zweit. Komm und spiel auf mir Klavier! Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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Komm und spieleee auf mir die Schule der Geläufigkeit. Dazu bin ich ja …« Der Pianist kennt dieses Lied nicht, versucht Schritt zu halten. Caligula hat nun die Bühne betreten, hält der dem Publikum gerade ihren Rücken zeigenden Irene den Mund zu. Sie fällt ihm dafür um den Hals. Dabei wird sie den zu ihr hinblickenden Fabian gewahr, reißt sich los und schreit: IRENE MOLL Dich kenn ich doch! Irene geht von der Bühne herunter, will zu Fabian. Aber der Reichswehrsoldat, der sich inzwischen erholt hat, und Caligula folgen ihr und drücken sie beruhigend auf einen Stuhl. Der Klavierspieler intoniert was Populäres. Die Gäste tanzen dazu. Cornelia ist fort. Labude, durch die Schlägerei leicht derangiert aber auch etwas ausgenüchtert, kommt zu Fabian, Kyra hinter sich herziehend. LABUDE Die kennt dich wirklich? FABIAN Ja, sie heißt Irene Moll, ihr Mann ist Rechtsanwalt und zahlt jede Summe, wenn man mit ihr schläft. LABUDE Hast du was mit ihr gehabt? FABIAN Nein, ich war nur in ihrem Schlafzimmer, und plötzlich kam noch’n Mann dazu, behauptete, mit ihr verheiratet zu sein, ich solle mich aber nicht stören lassen. Dann hat er mir einen ungewöhnlichen Vertrag vorgelesen, den die Beiden miteinander geschlossen hatten. Dann bin ich gegangen. LABUDE Warum hast du die Schlüssel mitgenommen? FABIAN Weil die Haustür unten abgeschlossen war. Hier. LABUDE Wenn sie hässlich wäre hättst du die Schlüssel längst beim Portier abgegeben.

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Labude nimmt ihm die Schlüssel weg und macht sich auf den Weg zu Frau Moll. Kyra steht allein. Sucht ihren ursprünglichen Begleiter....

25.

STRASSE NÄHE KABARETT DER ANONYMEN

A/N

Späte Nacht. Cornelia fährt mit einem Fahrrad auf einer abschüssigen Stadtstrasse, summend. Unten eine stillgelegte Fabrik. Fabian überholt sie mit einem Taxi, zahlt, kommt auf sie zu und stoppt sie. Sie steigt ab. Er atmet schwer, weil alles so schnell gehen musste. Das Taxi fährt davon. Cornelia schiebt das Rad. Sie gehen wortlos zu zweit nebeneinander. Kommen an einem Plakat vorbei: LERNT SCHWIMMEN! Wir blicken einen Moment länger darauf als die beiden. CORNELIA Wieso ist dieser prügelnde Mensch Ihr Freund? FABIAN Sie kennen ihn doch gar nicht. CORNELIA Einen Egozentriker erkenn ich ohne ihn zu kennen. - Sollte per Gesetz verboten sein. FABIAN Aber Labude hat Pech gehabt. Er ist nach Hamburg gefahren und hat zugesehen, wie ihn seine zukünftige Gattin betrogen hat.

26.

KABARETT DER ANONYMEN

I/N

Rückblende ins Lokal: Labude klagt Fabian sein Leid. Auf der Bühne springt noch das Mädchen.... LABUDE (brüllt gegen den Lärm des Lokals an, verzweifelt, betrunken, gehetzt) Ich hab sie zur Rede gestellt. Sie hat gesagt, es ist ihr zu schwer, die Strecke zwischen Hamburg und Berlin seelisch zu überbrücken. Und auch in sexueller Beziehung hätten wir nur Konflikte. Wenn sie mich haben wolle, dann sei ich nicht da, und wenn ich da sei, dann müsse die Liebe wie´n Mittagessen erledigt werden, egal ob man Hunger hat oder nicht. Und ich soll übrigens nicht böse sein, aber sie hatte vor mehreren Wochen n ärztlichen Eingriff vornehmen lassen. Sie wolle unsere Kinder als meine Frau zur Welt bringen, nich’ vorher. Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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Der tonliche brüllen.

Hintergrund

ist

zurückgetreten,

Labude

muss

nicht

LABUDE ...Mitgeteilt hatte sie mir den kleinen Unfall ja nicht, um mich nicht zu ängstigen. Aber von wem war denn das wieder rückgängig gemachte Kind? fragte ich. Und wer war der Mann, der heute Nacht bei dir schlief? Du siehst Gespenster, sagte sie. Du bist eifersüchtig, albern. Und ich solle mich nun endlich neben sie setzen. Sie hätte Sehnsucht. Da gab ich ihr ‘ne Ohrfeige und bin gegangen. Ich komm schon drüber weg. Mich so zu belügen. Ich darf nicht mehr darüber nachdenken. Mir ist so, als wär ich schwer krank gewesen!

26 A.

STRASSE ODER PARK "HAMBURG"

A/T

Kurzes Bild: Labude und Leda streiten sich, schreien sich an. Eine Ohrfeige. Von ihr. Nicht von ihm. Zurück im Club der Anonymen (26): FABIAN Du bist noch krank. Du hast sie noch lieb. LABUDE Das ist wahr. Aber ich bin schon mit ganz anderen Kerlen fertig geworden als mit mir. Zu den Akten!

26B

STRASSE NÄHE KABARETT DER ANONYMEN

A/N

Wieder auf der abschüssigen Strasse. Jetzt am Fluss entlang. CORNELIA BATTENBERG Was sollen heutzutage noch Schlägereien wegen ‘ner Frau. Sind wir zurück in der Steinzeit? Wird die Frau um Erlaubnis gefragt? Nein. FABIAN Er wollte heiraten. Er organisiert gern. Seine Zukunft ist auf der familiären Seite bis auf die fünfte Stelle nach dem Komma ausgerechnet. Er wollte seinen Lebenslauf ohne Fehler gleich ins Reine schreiben. Und jetzt stellt sich über Nacht raus, es war alles falsch. Das hat ihn lädiert. Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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Er will schnell vergessen, aber es fehlt seinem Charakter momentan das Geländer. Man sieht ihm an: er macht sich Sorgen um Labude während er das sagt.

27.

STRASSE VOR GESCHÄFT

A/N

Sie bleiben vor einem Geschäft stehen. Der Laden ist hell erleuchtet, und die Kleider und Blusen und Lackgürtel liegen in der dunklen Strasse wie auf einer kleinen, von der Sonne beschienenen Insel. Besonders eines scheint es Cornelia angetan zu haben. Fabian sieht ihren Blick. PASSANT (OFF/sehr nah) Können Sie mir sagen, wie spät es ist? Cornelia erschrickt und faßt Fabians Arm. Der Mann steht hinter ihnen. Nur ein Schattenriss gegen den erleuchteten Laden. FABIAN (schaut auf Uhr) Zehn nach zwölf. PASSANT Danke schön. Da muß ich mich beeilen. Sie sehen, es ist ein junger Mann. Er bückt sich und nestelt umständlich an einem Schnürsenkel an seinem Schuh. Dann richtet er sich wieder auf. PASSANT (verlegen lächelnd) Haben Sie zufällig fünfzig Pfennige einstecken, die Sie entbehren könnten? FABIAN (gibt ihm eine Mark) Zufällig natürlich, ja. PASSANT Oh, das ist schön. Haben Sie vielen Dank. Da brauch ich nicht bei der Heilsarmee übernachten. Der Fremde lüftet den Hut und läuft schnell davon. CORNELIA BATTENBERG (mißtrauisch) Ein gebildeter Mensch. FABIAN Ja, erst fragt er nach der Zeit, bevor er uns Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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anbettelt.

27A.

STRASSE/ AUF DEM WEG ZU WHG. FABIAN

A/N

Sie kommen um eine Ecke. Fabian konstatiert, daß sie bislang denselben Weg haben. Berliner Seitenstrassen bei Nacht. Hofeingänge. Ecken. Mauern. FABIAN Das Schlimmste ist: Labude hat fünf Jahre zu spät gemerkt, daß die Frau aus Hamburg ihn gar nicht betrogen hat, weil er zu selten bei ihr war. Sie hat ihn betrogen, weil sie ihn nie geliebt hat. Sie mochte ihn, aber er war nicht ihr Typ. Es gibt auch den umgekehrten Fall. Man kann jemanden mögen, weil er der goldrichtigen Typ ist, aber man will ihn nicht als Mensch nah bei sich haben. CORNELIA BATTENBERG (verständnislos) Na, und daß jemand in jeder Beziehung der Richtige ist, das kommt gar nicht vor? FABIAN Man soll nicht gleich das Äußerste hoffen. Erzähler: „Sie setzten ihren Weg fort. Fabian wußte nicht, wo das Mädchen wohnte. Er ließ sich führen, obwohl er die Gegend besser kannte als sie." FABIAN Was führt Sie nach Sodom und Gomorrha? CORNELIA BATTENBERG Ich bin Referendarin. FABIAN Welcher Bereich? CORNELIA BATTENBERG Meine Dissertation betraf eine Frage zum internationalen Filmrecht. FABIAN Bleiben Sie an der Uni? CORNELIA BATTENBERG (schüttelt den Kopf) Nee, ‘ne große Berliner Filmgesellschaft hat mich in ihrer Vertragsabteilung anfangen lassen. Hundertzwanzig Mark im Monat. Hab 4 Wochen Probezeit. Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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FABIAN Spielen Sie doch! Vor der Kamera. CORNELIA BATTENBERG Schliesst das eine das andere aus? FABIAN Ah!? Volontärin und Barmädchen will Star werden. CORNELIA BATTENBERG (sieht ihn ernst an) Ich bin auch kein Engel, mein Herr. Unsere Zeit ist mit den Engeln böse, nicht? Wenn wir einen Mann liebhaben, liefern wir uns ihm aus. Wir trennen uns von allem, was vorher war, und kommen zu ihm. Da bin ich, sagen wir freundlich lächelnd. Ja, sagt er, da bist du, und kratzt sich hinterm Ohr. Allmächtiger, denkt er, jetzt hab ich sie am Hals. Mit leichtem Herzen schenken wir ihm, was wir haben. Und er flucht. Unsre Geschenke sind ihm lästig. Erst flucht er leise, später flucht er laut. Und wir sind allein wie nie zuvor. Ich bin fünfundzwanzig Jahre alt, und von zwei Männern wurde ich stehengelassen. Wie 'n Schirm, den man absichtlich irgendwo vergißt. Stört Sie meine Offenheit? FABIAN (hat sie angesehen) Auf keinen Fall. Nur selten durchquert ein Auto die Nachtruhe. In den Vorgärten duften Blumenbeete. In einer Haustür streichelt sich ein Liebespaar.

27 B.

PLATZ/STRASSE

A/N

Sie fahren nun zusammen auf dem Fahrrad. CORNELIA BATTENBERG Sogar der Mond scheint in dieser Stadt... FABIAN .... bemerkte die Kennerin des internationalen Filmrechts. - Aber Sie täuschen sich. (Er bleibt stehen) Mondschein, Blumenduft, die Stille und der Kuß im Torbogen... Da am Platz, ist ein Café, in dem Chinesen mit Berliner Huren zusammensitzen. Rechts an der Ecke ist ein Hotel, in dem nur Japaner wohnen, daneben liegt ein Restaurant, wo russische und ungarische Juden einander anpumpen. In ‘ner Nebenstraße gibts ‘ne Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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Pension, wo sich nachmittags minderjährige Gymnasiastinnen verkaufen, um ihr Taschengeld zu erhöhen. Die Kamera zeigt uns die Orte, von denen Fabian erzählt. Fast menschenleer. Langsame Fahrten oder Zooms. Auf Fenster im Etablissement zu.

ein

dunkles

FABIAN (fast fröhlich) Vor ‘nem halben Jahr gabs da einen Skandal: ein älterer Herr fand im Zimmer, das er zu Vergnügungszwecken betrat, zwar ein sechzehnjähriges nacktes Mädchen vor, wie er bestellt hatte, aber es war leider seine eigene Tochter - das hatte er nicht erwartet. Im Osten der Stadt residiert das Verbrechen, im Zentrum die Gaunerei, im Norden das Elend, im Westen die Unzucht, und in allen Himmelsrichtungen wohnt der Untergang. CORNELIA BATTENBERG Und was kommt nach dem Untergang? FABIAN (zuckt die Achseln) Die Dummheit. Sie fahren (oder gehen) weiter. Fabian pflückt einen kleinen Zweig, der idyllisch über ein Gitter hängt. CORNELIA BATTENBERG In der Stadt, aus der ich bin, da ist die Dummheit schon eingetroffen. Aber was soll man tun? FABIAN Ich kenn Sie ja noch nicht. Trotzdem möchte ich Ihnen für den Umgang mit den Menschen ‘ne Arbeitshypothese anvertrauen, die nicht richtig zu sein braucht. Aber sie führt in der Praxis zu anwendbaren Ergebnissen. CORNELIA BATTENBERG (amüsiert) Aha. Und wie lautet die? FABIAN Man halte hier jeden, bevor das Gegenteil nicht unwiderlegbar bewiesen ist, für verrückt! mit Ausnahme der Kinder. Richten Sie sich danach. Sie werden erfahren, wie nützlich das sein kann.

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CORNELIA BATTENBERG Soll ich bei Ihnen damit anfangen? FABIAN Ich bitte darum.

28.

WOHNUNG FABIAN / STRASSE DAVOR

A/N

Sie überqueren den Nürnberger Platz. Ein Auto bremst dicht vor ihnen, fährt weiter. Cornelia erschrickt abermals, so wie bei dem Mann vor dem Laden. Sie fahren oder gehen in die Schaperstraße. Wir sehen das Strassenschild. Fabian sagt nichts. Aus einem verwahrlosten Garten hört man Katzen schreien. Die Gehsteige säumen Alleebäume, verbergen den erleuchteten Nachthimmel. Cornelia steigt ab und stellt das Rad an einen Zaun. FABIAN Wollen Sie nicht abschliessen? CORNELIA BATTENBERG Gehört mir nicht. Sie gehen zur Fuss die letzten Meter zur Nummer 4. CORNELIA BATTENBERG Ich bin zu Hause. FABIAN (verbirgt sein Erstaunen) Kann ich Sie wiedersehen? CORNELIA BATTENBERG Wollen Sie wirklich? FABIAN Ja. Unter der Bedingung, daß Sie’s auch wollen. Sie nickt und legt einen Augenblick lang den Kopf an seine Schulter. CORNELIA BATTENBERG Ja. Er drückt ihre Hand. CORNELIA BATTENBERG Werden Sie mich falsch verstehen, wenn ich Sie Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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bitte, für eine halbe Stunde mit raufzukommen? Das Zimmer ist mir noch so fremd. Vor dem Fenster schwanken nachts die Bäume. FABIAN Ich komm gern mit. Cornelia steckt den Schlüssel ins Schloß und dreht um. Doch bevor sie die Tür öffnet, wendet sie sich noch einmal zu ihm... CORNELIA BATTENBERG Ich bin sehr in Sorge, daß Sie mich mißverstehen.

29.

WOHNUNG FABIAN / TREPPENHAUS

I/N

Fabian drückt ihr statt einer Antwort die Tür auf und schaltet automatisch die Beleuchtung ein. Er macht eine ärgerliche Geste über sich selbst und schnipst unwillkürlich mit den Fingern. Sie schaut ihn kurz an, merkt aber nichts, freut sich stattdessen, daß er schnipsen kann, schliesst hinter ihm ab und geht voraus, die Treppe hoch. Er folgt ihr. Erzähler: „Sie drückte die Tür auf und er schaltete die Treppenbeleuchtung ein. ...Ah! Fast hätte er sich verraten. Aber sie wurde nicht stutzig, ging voraus, blieb tatsächlich vor der Tür seiner Wirtin, vor der Tür der Witwe Hohlfeld, stehen und öffnete.“

30.

WOHNUNG FABIAN / HAUSFLUR MIT EINGANG

I/N

Im Flur brennt Licht. Zwei junge Mädchen spielen mit einem grünen Luftballon Fußball. Sie erschrecken, kichern. Fräulein Battenberg macht Fabian ein Zeichen und er bleibt kurz im Treppenhaus stehen. Aus der Toilette kommt Herr Tröger, ein Mitmieter, im Pyjama. Erzähler: „Zwei junge Mädchen spielten im Gang mit einem grünen Luftballon Fußball. - Da ging die Toilettentür auf, und Herr Tröger, der sinnliche Handlungsreisende, erschien im Pyjama. - Tröger trieb die Mädchen in seinen Serail und riegelte hinter sich ab.“ TRÖGER (zu Cornelia Battenberg) Guten Abend. Tröger wundert sich über die offene Tür zum Treppenhaus, treibt die Mädchen in sein Zimmer, will abriegeln, da tritt Fabian ein und folgt nun Fräulein Battenberg, die bereits um die Ecke ist. Tröger erkennt Fabian und schliesst dann hinter ihm die Tür. Nach der Gang-Ecke legt Fabian im Weitergehen automatisch die Hand auf die Klinke zu seinem eigenen Zimmer.

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38


CORNELIA BATTENBERG Um Gottes willen! Da wohnt jemand anderes. FABIAN Pardon. Sie gehen leise in Richtung letzter Raum des Korridors.

31.

WOHNUNG FABIAN/ZIMMER CORNELIA

I/N

Fabian legt Hut und Mantel aufs Sofa. Cornelia hängt ihren Mantel in den Schrank. CORNELIA BATTENBERG Eine fürchterliche Bude. Und für achtzig Mark im Monat. FABIAN Ich zahl bei mir genau so viel. Vorne, im Zimmer knirschen.

Tröger

wird

gelärmt.

Die

Sprungfedern

des

Betts

CORNELIA BATTENBERG (weist mit dem Kopf nach nebenan) Und die Nachbarschaft habe ich gratis. FABIAN Bohren Sie’n Loch in die Wand und verlangen Sie Eintritt. CORNELIA BATTENBERG (überhört das) Ach, ich bin so froh, daß Sie mit rein gekommen sind. Wenn ich allein bin, ist das Zimmer noch viel gräßlicher. Wollen Sie sich mal die schaurigen Bäume anschauen? Sie treten ans Fenster. POV auf Baumkronen über ihnen. Pause. CORNELIA BATTENBERG Heute sind sogar die Bäume freundlicher. Er zieht sie behutsam an sich und gibt ihr einen Kuß. Sie küsst ihn zurück. CORNELIA BATTENBERG Jetzt denkst du, daß du deshalb mitkommen solltest. FABIAN Klar. Aber du wußtest es selber noch nicht. Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

39


CORNELIA BATTENBERG (reibt ihre Wange an seiner) Ja. Also nein. FABIAN Wie heißt du eigentlich? CORNELIA BATTENBERG Cornelia. 32.

WOHNUNG FABIAN / ZIMMER CORNELIA

I/N

Später. Sie liegen nebeneinander im Bett. Fabian streicht ihr mit den Händen über das Gesicht und schliesst dabei die Augen, um sich das Profil wie ein Blinder einzuprägen. FABIAN Weißt du noch, daß du heute Abend erzählt hast, wie du die Männer für ihren Egoismus bestrafen willst? Sie drückt ihm lauter kleine Küsse auf seine Hände. CORNELIA BATTENBERG Mit dir mach ich 'ne Ausnahme. Mir ist so... ich könnte dich liebhaben. Er setzt sich auf. Sie zieht ihn wieder zu sich herunter. CORNELIA BATTENBERG Vorhin hab ich geweint. ....Und dabei steigt ihr wieder das Wasser in die Augen. FABIAN Ja. CORNELIA BATTENBERG Weil ich dich liebhabe. Aber daß ich dich liebhabe, das ist meine Sache, das geht dich nix an. Sie drängt sich an ihn und preßt ihren Körper derartig eng an den seinen, daß Beiden der Atem stockt. Sie lachen und atmen heftig aus. CORNELIA BATTENBERG So, und jetzt hab ich Hunger! Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

40


Fabian schaut sie erstaunt an. Sie lacht. CORNELIA BATTENBERG Weil wenn ich wen liebhabe, ich meine, wenn mich jemand liebgehabt hat, aber du verstehst mich schon, ja? Dann hab ich hinterher immer fürchterlichen Hunger. Der Hunger hat nur einen Haken. Ich habe nichts zu essen da. Ich konnt’ ja nicht wissen, daß ich in dieser schrecklichen Stadt so bald solchen Hunger bekomme. Sie liegt auf dem Rücken und lächelt die Zimmerdecke an. Fabian steht auf. FABIAN Müssen wir eben einbrechen. Dann öffnet er die Tür und zieht die widerstrebende Cornelia ("Hey, hey, wohin des Wegs!!?" o.ä.) in den Korridor.

33.

WOHNUNG FABIAN / FLUR

I/N

Sie sträubt sich, aber er führt sie nackt den dunklen Flur entlang, bis vor seine Tür. CORNELIA BATTENBERG (will fliehen) Das ist ja furchtbar!! Was tust du denn! FABIAN (hält sie auf) Nix da. Hier bleiben. Er drückt die Klinke nieder und schiebt sie in sein Zimmer.

34.

WOHNUNG FABIAN /ZIMMER FABIAN

I/N

Er macht (dezentes) Licht, verbeugt sich. FABIAN Herr Doktor Fabian erlaubt sich, Fräulein Doktor Battenberg in seinen Gemächern willkommen zu heißen. Dann wirft er sich auf sein Bett, beißt vor Vergnügen ins Kopfkissen. CORNELIA BATTENBERG (völlig baff) Nee! Das ist nicht möglich. Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

41


Erzählerin: „»Nein!« sagte sie »das ist nicht möglich.« Aber dann glaubte sie es doch und begann Schuhplattler zu tanzen." Sie beginnt vor Freude - nackt - einen Schuhplattler ohne Schuhe zu tanzen, klatscht sich den Rhythmus auf die Schenkel und stösst dabei ein paar ungeordnete Jodellaute aus. FABIAN (begeistert) Psst... CORNELIA BATTENBERG (ausser Atem) Schuhplattler muss laut sein... FABIAN ......sagte die Kennerin des internationalen Filmrechts... Dann geht Cornelia zum Tisch, setzt sich auf einen Stuhl, und tut so, als ob sie ihr nicht vorhandenes Kleid glattstreicht. CORNELIA BATTENBERG Bitte, die Speisekarte. Kleine Montage: Fabian schleppt Teller, Messer, Gabel, Brot und Wurst und Keks zum Tisch und spielt den aufmerksamen Oberkellner. Cornelia Battenberg hat in der Tat grossen Hunger. Er schaut ihr zu. Schnitt: der Tisch ist leer gegessen. Die beiden sind nicht mehr da. Im OFF klappt irgendwo eine Tür.

35.

DIE HAND, DIE SCHREIBT

I/T

Entfällt. 36.

WOHNUNG FABIAN / GANG UND ZIMMER CORNELIA

I/N

... Denn sie sind nun zurück in Fräulein Battenbergs Zimmer. Sie hat nämlich einen Wecker. Der ist auf halb 7 Uhr eingestellt. Dämmert es schon? FABIAN (mässig vorfreudig) Werden sich aber die Leute freuen, wenn ich mal pünktlich ins Büro komme. Im Dunkeln wendet sich Cornelia zu ihm. CORNELIA BATTENBERG Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

42


Komm! Er streichelt ihren Körper, sie nimmt seinen Kopf in die Hände, presst den Mund auf sein Ohr. CORNELIA BATTENBERG Komm!

37.

ZIGARETTENFABRIK / BÜRO BREITKOPF/ GANG DAVOR

I/T

Am nächsten Morgen läuft Fabian den Büroflur in Richtung des Büros von Direktor Breitkopf. Er ist - soweit ihm das von seinem Naturell her möglich ist - glücklich. Fabian kommt zur Tür des Direktors. Im Vorzimmer eine Frau, die tippt. Kurze Begrüßung, stumme Pantomime mit ihr, "na wie ist bei ihm die Stimmung so heute?" Gemischt offenbar. Fabian lauscht. Der Direktor scheint mit jemandem zu reden. Fabian will klopfen, zögert erst, klopft und wartet.
 Klopft nochmal. BREITKOPF (kräftige Stimme) Mein Gott, ja. Herein! Fabian öffnet die Tür und tritt ein.

38.

ZIGARETTENFABRIK / BÜRO BREITKOPF

I/T

Das Zimmer ist stark verraucht. Der Direktor telefoniert im Sessel, 
nickt Fabian zu und dreht ihm dem Rücken zu. 
DIREKTOR BREITKOPF (insistierend) 
 Drucken Sie doch ‘ne ganze Seite! Das muss einem ja ins Gesicht springen, wenn man das Blatt aufschlägt! - Was? - Ja gut, das ist dann Ihre Entscheidung. - Gut. Wir bleiben dran. Sie und ich. Wir bleiben beide dran. In Ordnung? Breitkopf hat sich in seinem Drehstuhl umgedreht, hat Fabian aber bereits zuvor beim Telefonieren und Zuhören fixiert, so als habe das Gespräch mit ihm zu tun. Er legt den Hörer auf. 
 FABIAN 
Sie wollten mich sprechen? BREITKOPF Waren Sie zu spät heute? Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

43


Er bietet Fabian einen Stuhl an. Fabian setzt sich. FABIAN (im Hinsetzen) Nein. BREITKOPF Die Wahrheit. FABIAN (zögerlich) Sieben Minuten. BREITKOPF Haben Sie etwa ´n Nebenberuf? Dazu hätte es ‘ner ausdrückliche Genehmigung bedurft. Kennen Sie Ihren Vertrag? FABIAN (irritiert vom "hätte") Ja. Ich hab aber trotzdem einen Nebenberuf. BREITKOPF Dacht ichs mir doch! Was tun Sie denn? FABIAN (nach einer Pause) Ich lebe. BREITKOPF Das nennen Sie Leben? In Bars und Tanzsälen treiben Sie sich rum! Weiß ich doch! Leben nennen Sie das? Sie haben ja gar keinen Respekt vor dem Leben! FABIAN Nur vor meinem Leben nicht, das stimmt allerdings. Aber das verstehen Sie nicht und das geht Sie nichts an. Es hat nicht jeder die Geschmacklosigkeit, Tippfräuleins über den Tisch zu legen. Verstehen Sie das? Breitkopfs Blick wird starr und verharrt auf Fabian. FABIAN (versuchts jetzt kleinlauter) Ich hab gestern lange an den Zweizeilern gesessen. Haben Sie die Vorschläge gelesen? Ich hab sie Ihrer Sekretärin... BREITKOPF Ach Gott. Die Zweizeiler schon wieder. Ich hoffe, die sind nicht wieder gereimt, oder? Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

44


FABIAN (irritiert) Fischer sagte, sie sollen nun doch gereimt sein? BREITKOPF Herrgott, Fabian... Breitkopf schüttelt den Kopf. Fabian ist nervös. FABIAN
 Ich kann sie auch wieder neu machen. Das ist kein Problem. Alles ent-reimen. Mach ich. Breitkopf steht auf, winkt ab. BREITKOPF Vergessen Sie’s. Sie müssen mir mit was anderem helfen. Sie haben doch so dürre Finger. Fabian schaut auf seine Finger. Breitkopf geht um den Schreibtisch herum und lässt seine Hosenträger herabgleiten. Dann öffnet er sein Hemd. Darunter kommt sein mit Bandagen und einem medizinischen Korsett umwickelter riesiger Bauch zum Vorschein. Fabian wird etwas bleich.

BREITKOPF (währenddessen) Der Arzt hat gesagt, ich muss das 
alle vier Stunden neu umwickeln. Fabian kniet sich vor den Direktor, der das Korsett aufschnürt. Sein Bauch stürzt nach unten. BREITKOPF Einen Mann haben Sie schon mal gesehen, ja? Die Wunde ist südlich. Er reicht Fabian eine Cremetube. Fabian beginnt langsam die Binden abzunehmen. Dann verteilt er zaghaft die Creme auf den Bauch. Auf dem Tisch sind frische Binden bereitgelegt. Die OP-Wunde ist geklammert. FABIAN (fasziniert) Sieht aus wie’n Parteiprogramm. (Pause) Rechts braun, links rot und dazwischen Einheitsbrei. Kaum zu unterscheiden. BREITKOPF Hören Sie auf! Lachen tut weh. Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

45


Der Direktor verzieht sein Gesicht, raucht weiter. BREITKOPF Ein Blinddarm ist wie’n Sozialist. Wissen Sie warum? Fabian legt eine frische Binde um den Bauch und fixiert sie mit dem Korsett. Er ist erleichtert, dass die Stimmung des Direktors besser ist. BREITKOPF Man ist besser dran ohne. Fabian lacht nicht, "Hm", und schnürt das Korsett etwas fester als nötig. BREITKOPF Aaah! Vorsicht, Mann! Das genügt. Danke. Fabian steht auf. Der Direktor zieht sich wieder an, setzt sich an den Schreibtisch. FABIAN Ich nehme an, Sie haben nicht nochmal über das Preisausschreiben nachgedacht? Fabian sieht, daß die Akte mit dem Preisausschreiben, die er Fischer gegeben hat, auf dem Tisch des Direktors liegt. BREITKOPF Natürlich! Erstklassige Idee, habs direkt auf die Tagungsordnung in der Direktionssitzung gesetzt. Ihr Kollege macht sich mit solchen Einfällen ja unverzichtbar. FABIAN (verwundert) Aber ich habe eigentlich, also... das war meine.. BREITKOPF (übergeht Fabians Antwort) Na, der Fischer war eben früher damit bei mir. Oder sehen Sie das anders? FABIAN (zögerlich) 
Nein, nein. Er hat Talent und ist schnell. Natürlich. BREITKOPF Ja. Talent haben Sie auch, Fabian. (Pause) Was ich mich allerdings frage, ist, warum Sie das hier bei uns eigentlich machen? Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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Fabian sieht ihn ratlos an. FABIAN 
Herr Direktor, ich versteh gerade nicht, was Sie... (meinen). BREITKOPF (unterbricht) Ich glaube, Sie wollen gar nicht hier arbeiten. Ihre Begabung zeigt doch eher in Richtung Literatur oder solche Sachen. Wir brauchen hier aber Macher. Leute, die anpacken und die wissen, wie man das Produkt an den Mann bringt, und die sich nicht damit aufhalten, wie ‘n Satz schöngeistig gesehen gut gebaut ist. FABIAN
 Das kann nicht Ihr Ernst sein. Das Preisausschreiben war meine... BREITKOPF Ja!!! Jetzt nerven Sie mich nicht. Ich geb ihnen zusätzlich 50 Mark Abfindung zu den üblichen 200. FABIAN (Pause) Sie entlassen mich? BREITKOPF Ich denke, es ist das Beste für Sie. FABIAN 
Und das gilt ab sofort? Der Direktor nickt. Fabian schluckt. Gesichtsausdruck. Er steht auf.

Dann

verhärtet

sich

sein

BREITKOPF (aufgesetzt, reicht Fabian die Hand) Ich wünsch ihnen alles Gute. Im Ernst. Danke. Fabian bleibt stehen. Der Direktor wendet sich wieder seiner Arbeit zu.

39.

ZIGARETTENFABRIK / BÜRO FABIAN / GANG DAVOR

I/T.

Entfällt.

Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

47


40.

ZIGARETTENFABRIK / BUCHHALTUNG.

I/T

Fabian steht vor einem Schalter, hinter dem eine Angestellte inmitten unzähliger Aktenordner sitzt. Einen davon hat sie vor sich auf dem Tisch. BUCHHALTERIN (Sehr berlinerisch) Fabian, Jakob. Hier angestellt seit drei Jahren. Wohnhaft in der Schaperstraße 5. Noch immer allet korrekt? FABIAN
 Korrekt. Der Direktor sagte, ich bekomme zusätzliche 50 Mark. BUCHHALTERIN
 Davon weiß ich nüscht. Hier ist aber’n Vermerk für wiederholtes Zuspätkommen. Das wird bei uns mit... Sie schaut hängt.

in

einer

Bestrafungs-Liste,

die

neben

ihr

an

der

Wand

BUCHHALTERIN (CONT’D) ... pauschal 15 Mark Abzug geahndet. Bleiben 185 Mark Abfindung. FABIAN 
15 Mark Abzug? Weil ich in drei Jahren ein oder zwei Mal zu spät gekommen bin? Ich sollte 50 Mark mehr bekommen, nicht 15 Mark weniger. Die Buchhalterin geht nicht auf ihn ein. BUCHHALTERIN 
Ihr Angestelltenverhältnis bleibt bis Ende des Monats bestehen. Das mit den 50 Mark kläre ich bis heute Nachmittag. Hier unterschreiben. Sie reicht Fabian einen Zettel und grinst überraschend fröhlich. Fabian schüttelt den Kopf, unterschreibt, bekommt das Geld in einem Umschlag ausgehändigt. FABIAN
 Was soll ich denn jetzt machen? BUCHHALTERIN (lächelt breit) Steine klopfen? (wirft sich Hand vor den Mund) T’schuldigung. Die Buchhalterin guckt bedauernd und schließt das Schalterfenster. Auf einem kleinen Schild, das nun vor Fabian zu sehen ist, steht: Zu Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

48


Tisch.

41.

ZIGARETTENFABRIK VORPLATZ

A/T

Fabian tritt aus dem Fabrikgelände heraus und zählt das Abfindungsgeld, steckt es zurück in einen Umschlag und diesen in sein Jackett. Die Sonne blendet ihn. Er zündet sich eine Zigarette an, raucht einige Züge. Ein Arbeiter kommt vorbei und nimmt ihm im Gehen die Zigarette aus dem Mund. FABIAN Hei. Der Fremde geht einfach weiter, zieht zweimal, Zigarette weg. Fabian wirkt kraftlos, lässt die starrt ins Leere.

42.

und schnippt die Schultern sinken,

VOR ARBEITSAMT

A/I/T

Detail Schild: "Arbeitsamt" mit entsprechender Bezirksbezeichnung. Draussen vor der Tür steht Fabian Frauen, die aus der Gebäudetür auf sie im Inneren geht, kann man nur Nur langsam geht es weiter. Ein Dann:

in einer Schlange von Männern und den Bordstein hinausragt. Wie weit erahnen. Beigestellt ein Polizist. Mann hinter Fabian räuspert sich.

MANN Zum ersten Mal hier? Fabian nickt und dreht sich wieder nach vorne. Er will nicht reden. MANN Ich mach das schon elf Monate mit. Fabian nickt, bemerkt jetzt, dass der Mann nur einen Arm hat. Der rechte Jackett-Ärmel hängt leer am Körper herab. Der Mann bemerkt Fabians Blick. MANN Ostfront. Heeresgruppe Linsingen. Operation Faustschlag. War bis Kiew dabei. Da hats mich zerrissen. Fabian lässt sich etwas widerwillig auf das Gespräch ein. FABIAN Tut mir leid. MANN
 Drei Tage Belagerung. Eigentlich ‘n Witz. Die Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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hatten nix gegen zu setzen. Aber dann... Gerade, wenn du dich in Sicherheit wiegst. (Pause) 
Die Granate kam aus ‘nem Kartoffelkeller. Wie ich pinkeln war. Fabian fühlt sich unwohl mit dem Thema. MANN Auch gedient? Fabian nickt. Er braucht einen Moment. Langsam kommen sie weiter vor in der Warteschlange. FABIAN Fußartillerieregiment 19. MANN Ah. N’Sachse. (Pause)
 Siehste, und jetzt stehen wer beide für Almosen an. Fabian deutet auf den leeren Jackett-Ärmel. FABIAN Kommen Sie klar damit? MANN
 Was nich’ da ist, kann nich’ stören. Die Nächte sind schlimmer. Immer wenn ich die Augen zumach, hab ich Bienen im Kopp. (Pause)
 Krieg. Inflation. Arbeitslosigkeit. Man magert ab. Also nicht nur der Körper. Auch der Kopp. Fabian nickt wieder. In dem Moment wird aus dem OPF mal wieder geschossen in der grossen Stadt. (Ton!) Alle in der Schlange ducken sich... ein Auto rast vorbei, Polizeitrara (OFF!), die Kamera rast ebenfalls einmal wild an den Anstehenden vorbei, die sich ins Innere des Amts drängen wollen. Der Polizist ist auch in Deckung gegangen. Die Szene endet mit Fabian groß. Eine Frau ruft: "Schon wieder was Politisches?" Gemurmel. "Nö, glaub nich’"- "Polizei, Polizei, auf der Straße liegt ein Ei!" usw.

42 A1 (EX 59)

STRASSE VOR GESCHÄFT

I/T

Eine Verkäuferin holt aus der Auslage des Geschäfts, vor dem er nachts mit Cornelia stand, eine Puppe 
mit dem bewußten Kleid. Wir sehen wie Fabian bezahlt. Großaufnahme: das Geld. Nicht billig. Wenig später kommt Fabian eilig mit großem Karton aus dem Geschäft. Er hat jetzt noch 20 Mark, das war’s. (Stammt das Geld für den Kauf von Labude? Ist es geliehen? Gar geklaut?) 
Wir hören eine Strassenbahn: Schrille Klingel. Gefluche des Schaffners (OFF). Ein Polizist dreht sich zu Fabian um. Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

50


POLIZIST Passen Se auf, Mann! 
FABIAN Werd mir Mühe geben.

42 A2 (NEU)

WOHNUNG FABIAN / KÜCHE

I/T

Fabian bezahlt Frau Hohlfeld die Miete, den Mai und den Juni. FABIAN Macht 160 Mark FRAU HOHLFELD Fehlt noch der Juli jetzt. FABIAN Der kommt auch noch.

42 A3 (NEU)

WOHNUNG FABIAN / ZIMMER FABIAN

I/T

Fabian versteckt den Karton mit dem Kleid unter dem Bett.

42 A4

WOHNUNG FABIAN / ZIMMER CORNELIA

I/T

Fabian öffnet die Tür nach kurzem Klopfen zu Cornelias Zimmer. CORNELIA Endlich! Sie hat auf ihn gewartet, hat offenbar ein paar Tassen, Teller und Bestecke aus ihrem Koffer geholt, etwas zum Essen besorgt und den Tisch hübsch garniert. Sogar eine weiße Decke und ein Blumenstrauß hat sie organisiert. Sie küsst ihn und zieht ihn an den Tisch, damit er ihre Vorbereitungen bewundert. Das Essen ist karg, nicht verlockend und auch nicht viel. Aber die Dekoration sehr liebenswert. CORNELIA Gefällt dir das? FABIAN Großartig. Sehr schön. Sei übrigens so nett und Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

51


sag mir immer, wenn es was zum Bewundern gibt. Hast du ein neues Kleid an? Kenne ich die Ohrringe schon? Hattest du gestern auch den Scheitel in der Mitte? Was mir gefällt, merk ich nicht. Du mußt mich mit der Nase darauf stoßen. CORNELIA Du hast nichts als Fehler. Jeden einzelnen könnte man hassen, alle miteinander habe ich lieb. Kleiner Zeitsprung. Fabian isst vorsichtig. Auf dem Teller liegen Dinge, die er nicht mag, sowas wie Pressack etwa. Er muß sich zum Essen animieren. Sie merkt es. CORNELIA Tut mir leid. Zu was Feinschmeckerischem reichts gerade nicht. FABIAN (will lügen, klappt aber nicht) Nein, nein.... ich bin nich’ verwöhnt...es ist...Magst du denn Pressack? CORNELIA Stell dir vor, es wär was anderes. FABIAN (nach einer Pause) Ich hab mich immer schon gefragt: Was genau ist eigentlich Schnitzel Holsteiner Art? Cornelia hat sich eine Zigarette angezündet, ihm ihren Teller noch zusätzlich zugeschoben. Sie beugt sich nun etwas vor. CORNELIA
 (leise, fast zärtlich) Zuerst wird das mehlierte Stück Kalb in Butter gebraten. Fabian hört angeregt zu. Nickt zu ihren Erklärungen. Und isst. CORNELIA Darüber werden zwei Eier aufgeschlagen und mit angebraten. Dann werden Kapern in die Pfanne gestreut und das Ganze mit Ölsardinen garniert. Am Ende kommt Räucherlachs dazu. FABIAN
 Und rote Beete mit Bohnen?

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52


CORNELIA
 Ja. Eigentlich auch Croûtons, aber ich nehm an, das machen sie hier in diesem Restaurant nicht. FABIAN
 (grinst) Du kennst dich ja aus. CORNELIA
 (melancholisch) Gutes Essen macht glücklich. Zeitsprung: Als sie mit dem Essen fertig sind, stellt Cornelia einen Teller mit zwei belegten Broten beiseite und sagt lächelnd. CORNELIA Die eiserne Ration. FABIAN (der die ganze Zeit überlegt, wie er ihr die Kündigung erklären soll) Ich lade dich zu ‘nem Verdauungsschnaps ein, ja?

42 B.

CAFE SPALTEHOLZ

Fabians Lieblingscafé. Schweigen.

Sie

sitzen

vor

I/T jeweils

einem

Schnaps.

An der Tür geht es plötzlich lebhaft zu. Der Kellner und ein Hilfskellner sind damit beschäftigt, einen schäbig gekleideten Mann hinauszudrängen. KELLNER (zischt) Scher dich fort. Raus! Ständig die Bettelei, ist ja ekelhaft. Der Hilfskellner zerrt den Menschen, der blaß ist und nicht spricht, hin und her. Fabian springt auf, läuft hin und ruft den Kellnern zu: FABIAN Lassen Sie sofort den Herrn los! Die zwei gehorchen widerstrebend. Fabian gibt dem blassen Herrn die Hand. FABIAN Da sind Sie ja. Es tut mir außerordentlich leid, daß man Sie verwechselt hat. Entschuldigen Sie, und kommen Sie. Er führt den Mann, der nicht weiß, wie ihm geschieht, in seine Ecke, stellt ihm Cornelia vor, bittet ihn, Platz nehmen. Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

53


FABIAN Was möchten Sie essen? Wollen Sie ‘n Glas Bier mit uns trinken? BETTLER Sie sind sehr freundlich. Aber ich werde Ihnen Ungelegenheiten machen. FABIAN (unterbricht) Hier ist die Speisekarte. Suchen Sie sich, bitte, was aus. BETTLER Das geht nicht! Man wird mich vom Tisch wegholen und rausschmeißen. FABIAN Das wird man nicht tun! Nehmen Sie sich zusammen! Bloß, weil Ihr Jackett geflickt ist und der Magen knurrt, wagen Sie nicht, richtig auf dem Stuhl zu sitzen! Sie sind ja selber mit Schuld, daß man Sie nirgends durch die Tür läßt. BETTLER Wenn man zwei Jahre arbeitslos ist, denkt man anders darüber. Ich schlafe am Engelufer in der Herberge. Zehn Mark zahlt mir die Fürsorge. Mein Magen ist krank vom vielen Kaviar. FABIAN (legt ihm die Speisekarte hin) Nehmen Sie ein Schnitzel Holstein. Was sind Sie von Beruf? BETTLER Bankangestellter, wenn ich mich recht entsinne. Im Gefängnis war ich auch schon. Gott, man sieht sich eben um. Das einzige, was ich noch nicht erlebt habe, ist der Selbstmord. Aber das läßt sich nachholen. FABIAN Arbeitslos ist inzwischen der Normalfall, mein Herr. Der Bettler hält die Hände zitternd vor seinen Westenausschnitt, um das dreckige Hemd zu verbergen. Er deutet fragend mit dem Finger auf Fabian. Fabian weiß nicht, was er sagen soll. Cornelia schaut ihn an. Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

54


Erzähler: „Er probiert, im Kopf, viele Sätze. Keiner passt. Er stand auf.“ Der Kellner schaut vom Tresen aus zu ihm, mault mit seinem Kollegen gemeinsam. Fabian steht abrupt auf. FABIAN (froh über die Ablenkung) Einen Augenblick, der Kellner wünscht glaub ich eine Unterredung. Er geht zum Büfett, stellt den Kellner zur Rede, faßt ihn sogar am Arm und beschimpft ihn. Wir hören es nicht. Dann geht er auf die Toilette. Zählt dort sein Geld, nur noch ein paar Münzen. Aber als er zurückkommt, ist der Bettler fort. Cornelia steht an der Tür, als habe sie versucht, ihn aufzuhalten. FABIAN Ich zahle morgen.

42 C.

CAFÉ SPALTEHOLZ / iNNEN UND DAVOR

A/I/T

entfällt

42 D.

WOHNUNG FABIAN / ZIMMER CORNELIA

I/N

Cornelia isst gerade die "eiserne Ration" auf. Sie sitzen angezogen im Bett. Fabian schreibt in sein Notizheft. Cornelia beobachtet ihn. CORNELIA Arbeitslos bist du? Ist das wahr? FABIAN Ja. Man hat mir gekündigt. Gestern hätte ich drüber gelacht. CORNELIA (kämpft gegen die Traurigkeit) Ach, ist das Leben schön! Wie denkst du über die Treue? FABIAN Kau erst runter, bevor du so große Worte aussprichst! Er sitzt vor ihr, hält seine Knie umschlungen und blickt auf sie. Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

55


FABIAN Ich glaube, ich warte eigentlich auf die Gelegenheit zur Treue. Und dabei dachte ich bis letzte Woche, ich wäre dafür verdorben. CORNELIA Das ist ja ‘ne Liebeserklärung. FABIAN Wenn du jetzt heulst, zieh ich dir die Hosen stramm! Sie kugelt sich aus dem Bett. Sie lächelt unter Tränen. CORNELIA Ich heule. Er zieht sie zurück aufs Bett. CORNELIA (liebkost sein Gesicht) Mein Lieber, mein Lieber! Mach dir keine Sorgen. (Pause) Und wenn es ganz hart wird, verkaufen wir eben etwas.

43.

UNIVERSITÄT. PARK DAVOR

A/T

Fabian steht zwischen Bäumen und wartet. Vor ihm sitzt eine Gruppe Studenten im modernen Halbkreis vor Labude, der ein Buch in die Höhe hält und zu ihnen spricht. 
LABUDE
 (leidenschaftlich, auswendig) ...Lessing schreibt: "... Doch kommen wir denn nicht auch öfters in Gesellschaften, in welchen wir aushalten müssen, und in welchen uns die Zeit ebenso unerträglich langweilig wird auf dem Krankenlager?" 
(Pause) Auf die Frage müssen wir heute antworten, dass wir die Position einer Gesellschaft auf dem Krankenlager jetzt satt haben. Unsre Farbe ist rot. Wir schreiten voran. Wir müssen handeln und nicht immer aushalten! Labude schaut auf die Uhr. Dann blickt er sich vorsichtig um, ob jemand in der Nähe ist und holt ein Bündel Papier aus seiner Tasche. Er verteilt Zettel an die Studenten. 
 LABUDE (etwas leiser) 
 Wir schließen uns mit Hamburg, Tübingen und Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

56


Frankfurt zusammen. Es klingelt drüben im Haupthaus der Uni. Die Studenten bleiben hier aber und hören weiter zu. LABUDE ... Es gibt klare Forderungen: Freiwillige Kürzung des privaten Profits. Steigerung der sozialen Leistungen. Kulturelle Vertiefung der Erziehung. Angst und Hass dürfen nicht länger lauter schreien als der Verstand und unser Herz. (gerührt) Ich danke euch. Das Zeitalter der Menschenwürde bricht an. Vergesst diese Stunde nicht! Die Studenten lesen - die meisten wirklich interessiert - den Zettel, stecken ihn ein. Manche starren Labude auch an, bewundernd oder erstaunt. Der beendet jetzt den Unterricht. Fabian geht langsam auf ihn zu, während die Studenten - viele, aber nicht alle, respektvoll grüssend - den Sitz- oder Stehkreis im Freien verlassen. Irgendwo unter Bäumen scheint jemand zu stehen, der Labude beobachtet. Beobachtet er aber wirklich Labude? FABIAN Lass dich nicht erwischen. Die sperren dich ein und es wird ihnen Freude machen. LABUDE
 (zuckt die Achseln) Ja. Aber wenn man erstmal das System vernünftig gestaltet hat, dann werden sich auch die Menschen anpassen. FABIAN Ich bin froh, daß du - wieder ungebunden und frei - an die Verwirklichung deiner Pläne gehen kannst. Aber sei mir nicht böse, wenn ich nicht glaube, daß sich Vernunft und Macht irgendwann mal heiraten werden. LABUDE Wenn man die Macht im Interesse anderer benutzt, schon. FABIAN (weicht aus) ....Im Übrigen muss ich mich bei dir noch für das Geld von neulich.... LABUDE (winkt ab) Komm, lass das. FABIAN (kommt zum Hauptthema zurück) Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

57


Ich bin kein Politiker. Die entscheiden für andere Menschen mit. Das finde ich obszön, das weißt du. Und was nützt dein göttliches System, solang der Mensch ein Schwein ist? Die Vernünftigen werden nicht an die Macht kommen und die Gerechten noch weniger. LABUDE (tritt dicht an den Freund und packt seinen Jackenkragen) So? Aber sollen sie’s nicht trotzdem wagen? Versuchen?! Labude lässt los, haut Fabian freundlich auf die Schulter.

43 A.

SEE

A/T

Tage später. Cornelia taucht unter, kommt mit einem Fisch in beiden Händen wieder hoch. CORNELIA BATTENBERG Da! Der Fisch entwischt ihr sofort wieder.... CORNELIA BATTENBERG Abendessen, bleib hier!! Oh, nein!!! Fabian und Labude stehen im recht flachen Wasser und schauen Cornelia zu. FABIAN ......Und sie will Schauspielerin werden. LABUDE
 (stöhnt) Noch eine!! FABIAN Ja. Ich träume nachts, daß ich sie wieder verliere, Und schäm’ mich für die Angst. Du verstehst das, nicht? LABUDE (ernst) Ja. Aber es wird kommen wie’s kommt, du hast keinen Einfluss drauf. Sie wird dir wieder wegrennen oder du ihr. Im grossen Buch der Liebe steht längst geschrieben, wer von euch den anderen wieder fallen lässt. Setz dich auf den Hintern schreib! Wir sind Menschen, die in der Arbeit ihre Erfüllung suchen, nich’ in der Liebe. (Er sieht Fabian an. Der will ihm nicht Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

58


sagen, daß ihm ja auch Geld zum freien Arbeiten fehlt:) Geh zum Arbeitsamt. FABIAN Da war ich. Da sagen sie dir, du giltst noch gar nicht als arbeitslos, erst 14 Tage nach der Entlassung kann ich wiederkommen. Solang hab ich unbezahlten Zwangs-Urlaub.... Labude läuft Cornelia ins Wasser nach und taucht ebenfalls, um beim Fangen zu helfen. Fabian ist etwas zögerlicher. Labude bemerkt es. LABUDE
(taucht auf) Man kann bis hierher stehen. Kurz darauf sind alle drei im Wasser. Fabian hält seinen Kopf mühsam über Wasser. Labude daneben. Hinter ihnen ragt Schilf in die Höhe, durch das die Sonne funkelt. 
 Plötzlich taucht Cornelia zwischen ihnen auf und drängt Fabian ab. Fabian droht unterzugehen, kann sich dann aber doch an Cornelia halten. LABUDE Weiß du wovon ich träume? Von dem Roman, den du schreiben kannst. Moderne. Klare Formen. Substanz, in jedem Satz gebündelt wie MaggieBrühwürfel. Avantgarde!!! Labude wirft sich wieder ins Wasser und zeigt jetzt allen und sich selbst, daß er fantastisch kraulen kann. FABIAN (der Wasser tritt) 
Das Blöde an der Avantgarde ist, daß sie immer so avantgardistisch sein muß. LABUDE (hat das gehört und ruft) Dir passt ja heute wieder gar nichts! Cornelia schwimmt auch und singt das Lied von der Mundharmonika dabei. FABIAN Ich muss raus. Ich sinke ein. Cornelia lacht, als sie Fabian zusieht, wie er dem Festland zustrebt. CORNELIA BATTENBERG
 Du schwimmst wie’n Hund. LABUDE
 (plötzlich neben ihr) Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

59


War noch nie seine Stärke. CORNELIA BATTENBERG Dafür hat er andere. Fabian steigt aus dem Wasser. Cornelia folgt ihm. CORNELIA (nimmt ihn an der Schulter) Wir haben uns kennengelernt wann? Heute vor 25 Tagen!!!! "Ja, stimmt". Fabian sieht sie an, lächelt. Sie küsst ihn. 44.

CAFÉ SPALTEHOLZ

I/T Entfällt.

45.

UNIVERSITÄT/BIBLIOTHEK

I/T

Entfällt.

46.

UNI/GANG VOR BIBLIOTHEK Entfällt.

47.

SEE

A/T

Entfällt.

47 A.

ZIMMER CORNELIA

I/N

Für einen Moment blitzt ein Liebesmoment zwischen Fabian und Cornelia auf, den wir noch nicht gesehen haben. Sehr lustvoll, absolut zügellos.

48.

WIESE AM SEE

A/T

Entfällt. Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

60


49.

VILLA LABUDE / EINFAHRT

A/T

Später Nachmittag desselben Tages. Die Villa. Labudes Cabriolet kommt gerade vor dem noch nicht ganz fertigen Baudenkmal zum Stehen. Als Labude, Fabian und Cornelia aussteigen, wird die Haustür aufgerissen, und der JUSTIZRAT LABUDE tritt mit Reisetasche heraus, gefolgt von einer Frau. JUSTIZRAT LABUDE (setzt sich Sonnenbrille auf) Ein Labude kommt, ein anderer geht. Labude, Fabian und Cornelia gehen auf den Hauseingang zu. Die junge Frau hält sich hinter Labudes Vater versteckt. Labude scheint nicht unbedingt erfreut, seinen Vater zu sehen.

JUSTIZRAT LABUDE (sehr schnell, gibt Labude die Hand, der ergreift sie ungern) Tag, Stefan! War paar Tage unterwegs. Mußte mal ausspannen. Die Nerven. (Labude junior nickt "interessiert") Wie geht’s? Was macht Hamburg? Siehst schlecht aus. Sorgen? Was über die Habilitationsschrift gehört? Nein? Langweilige Bande. - Tag, Herr Fabian, lang ist's her. Noch immer in der Reklame tätig? FABIAN (nickt) Hallo Herr Labude. Ja. Ja. JUSTIZRAT LABUDE Nicht so ernst. Immer überwiegend seriöse Gespräche, wie? "Gibts ein Fortleben nach dem Tode?" und so weiter... Im Vertrauen gesagt, es gibt keins. Muß alles hier erledigt werden. LABUDE (kühl) Ich nehm an, Mutter ist noch in Lugano? JUSTIZRAT LABUDE Ja. Kann ruhig noch paar Wochen bleiben. Heißt mit Recht Paradiso, das Nest. Hat’s die Frau gut. Ich beneide sie glatt um ihre zarte Gesundheit. In diesem Moment bekommen Fabian und Labude zum ersten Mal die junge Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

61


Frau richtig zu sehen. Sie hat immer noch eine eingegipste Nase. Es ist Kyra aus dem Kabarett. In Labudes Gesicht ist Abscheu zu erkennen. Er geht mit einer Geste als ob er sich die Ohren zuhalte zügig an seinem Vater vorbei zum Haus. Kyra schaut ihm nach, folgt dann dem Vater. Fabian und Cornelia folgen Labude, der nun regelrecht ins Haus stürzt. Der Hausdiener hat den Wagen vorgefahren. VATER LABUDE (vom schicken Auto aus, fröhlich) Wiederschaun! Im Eingangsbereich bitte vorsehen! Die Handwerker kommen erst nächste Woche! Erzähler: „Labudes Vater war ein bekannter Verteidiger. Da seine Klienten viel Geld und viele Prozesse hatten, hatte auch er viele Prozesse und viel Geld. Die Aufregungen des Berufs, den er liebte, genügten ihm nicht. Fast jede Nacht saß er in Spielklubs. Die Ruhe, die sein Haus verbreitete, war ihm höchst zuwider. Und die vorwurfsvollen Augen seiner Frau brachten ihn zur Verzweiflung. Da beide befürchteten, den anderen anzutreffen, mieden beide die Villa, so oft das möglich war."

50.

VILLA LABUDE

In der gewaltigen Treppenhaus.

Villa.

Ein

hallenartiges

I/ABEND eindrucksvolles

FABIAN (skeptisch, zu Cornelia) Jedes Mal hier erwarte ich, daß mir der Diener Filzpantoffeln überzieht. CORNELIA BATTENBERG (leise zu Fabian) Sind seine Eltern getrennt? FABIAN
 Nein, aber sie mögen sich vor allem in gegenseitiger Abwesenheit. Ihre Zuneigung wächst im Quadrat der Entfernung, die zwischen ihnen liegt. LABUDE (stark aufgebracht) Bedient euch an der Bar. FABIAN
 Warum regst du dich auf? Du rennst selber in alle Clubs der Stadt. Und wenns dein Vater tut, ist es unmoralisch? LABUDE Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

62


Misch dich da nicht ein. Labude schenkt sich sofort ein Glas Vodka ein und trinkt es hastig aus. Dann eilt er auf die Terrasse. CORNELIA BATTENBERG (leise) Warum hast du mir nicht erzählt, dass er so reich ist? FABIAN Woran bitte ändert das denn was? Cornelia küsst ihn: "Spaaaaaaß!" Stummer, stoischer Beobachter der folgenden Szenen ist der Hausdiener.

51.

FELD UNWEIT GARTEN DER VILLA LABUDE

I/T

Sie stehen inmitten eines unbebauten Feldes. Labude zeigt Cornelia wie man ein Gewehr hält. Er schaut direkt in den Lauf des Gewehrs, das Cornelia hält. LABUDE
 Genau so. Immer dem Ziel folgen. Cornelia kichert. Labude blickt etwas besorgt fragend zu Fabian. FABIAN Kein Problem heute. LABUDE (zu Fabian) Gut dann. Bitte, Jakob!!! Lass sie fliegen! Fabian betätigt den Tontauben-Wurf-Arm. Hält sich sofort die Ohren zu. Die Scheibe fliegt. Cornelia folgt mit dem Lauf des Gewehrs. Sie schießt, von die Wucht der Waffe drückt sie gegen Labude, der sich hinter sie gestellt hat. Sie verfehlt natürlich. Die Scheibe landet auf dem Feld. LABUDE Nicht schlecht. Mit Übung... FABIAN ...Eher mit viel Übung, oder? CORNELIA BATTENBERG (leicht angetrunken) Ja, mach’s besser, oder?!! Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

63


FABIAN Ich nehm so’n Ding nich’ in die Hand. LABUDE Hier wird 
niemand gezwungen, zu schiessen. CORNELIA BATTENBERG (spürt die Untertöne) Ist das so? LABUDE (schreits in den Kosmos) Aber ich schiesse! Weil ich sonst nix gelernt habe als schiessen!!!! Fabian, lass sie fliegen!! Fabian lässt in kurzer Folge drei Tontauben hintereinander los. Labude schiesst, trifft jedes Mal, verbissen, hart. Fabian hält sich beim Knall die Ohren zu. Es geht nicht mehr. Er steht auf, geht einige Schritte. Seine Ohren sausen. Die Schüsse hallen nach. Cornelia nimmt ihn in den Arm. Aber er möchte jetzt nicht in den Arm genommen werden. Sein Herz klopft. CORNELIA Ich verstehe, ist gut, ist gut. FABIAN (heftig) Nein, das versteht man nicht. Kann niemand verstehen. Fabian löst sich aus der Umarmung. 51 A.

VILLA LABUDE SCHLAFZIMMER

I/T

Fabian ist in einem eigenartig eingerichteten modernen Schlafzimmer mit getrennten Betten. Die beiden Betten stehen in diagonal zueinander verschobenen Konstellationen. An der Wand ein Bild mit einer jungen Frau, die abgewandt auf Segelboote starrt. Es könnte beinahe Cornelia sein.

51 B.

EIN TRAUM/MONTAGE

Wir sind wieder am Anfang des Films: die U-Bahnstation, Fabian steht oben am Eingang, hat einen Herzanfall, er atmet schwer, der "Gezeichnete" fragt ihn wieder, schwerfällig die Worte formend "Was ist dir, Kamerad?", Fabian schaut ihn an, erschrickt. Ein verheertes Gesicht, ohne Nase, der Mund ein Loch, die Hälfte einer Wange weg, ein Gesicht wie ein Bombentrichter.... Und wie in einem frühen, technisch miserablen Fernsehinterview oder Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

64


einer Dokumentation für medizinische Zwecke, mit Schlieren und groben Pixeln im Bild, spricht dieser Mann nun (wie als Antwort, aber auf was für eine Frage?) die folgenden Kästner-Sätze: DER GEZEICHNETE (ON/OFF): "Dieser verdammte Krieg! Dieser verdammte Krieg! In der Provinz draussen gibt es einzeln stehende Gebäude, wo noch immer verstümmelte Soldaten liegen. Männer ohne Gliedmaßen, Männer mit furchtbaren Gesichtern, ohne Nasen, ohne Münder." Die Kamera fährt in einer schnell hereinbrechenden Dämmerung an Häusern in Dörfern oder kleinen Städten vorbei, ein Zoom zuckt auf ein etwas versteckter hinter Bäumen liegendes grosses Haus zu. Man sieht halb unscharf eine Gedenktafel für die Gefallenen des grossen ersten Kriegs. DER GEZEICHNETE (weiter): "...Krankenschwestern, die vor nichts zurückschrecken, füllen diesen entstellten Kreaturen Nahrung ein, durch dünne Glasröhren, die sie dort in wuchernd vernarbte Löcher spießen, wo früher einmal ein Mund gewesen war. Ein Mund, der hatte lachen und sprechen und schreien können..." Dazwischen sieht man Fabian im Traum schwer atmen. Er liegt - im Traum- im selben Zimmer. Neben ihm liegt Cornelia. Sie sind beide halbnackt, abgemagerte Skelette. Sie sind tot. Verhungert? Auf dem Boden Erbrochenes. Sie haben Gift genommen? Dazwischen das Bild eines hohen Krematoriumturms (Zittau). Er qualmt nicht, aber der Schlot steht da wie ein Menetekel. Das Herz schlägt. Fabian - irgendwo- in Schwarz gekleidet, vielleicht mit Hut, blickt auf diesen irren Jugendstil-Turm. Trauer. Er wacht entsetzt auf: Cornelias Gesicht zeichnet sich direkt über ihm gegen die tiefstehende Sonne ab. Sie lächelt. Fabian packt sie, reißt sie an sich. Das Herz klopft wieder. FABIAN (wie entschuldigend) Ich bin eingeschlafen. CORNELIA (berührt) Wie dein Herz klopft! Sie hat einen Zettel in der Hand. CORNELIA Du mußt unterschreiben, ich hab einen Vertrag für uns aufgesetzt. Fabian richtet sich erstaunt auf. Auf dem Blatt vor ihm steht: "Ich liebe Cornelia und werde deshalb ihrer Karriere nie im Wege stehen!" Datum. Sie lacht albern. Er lächelt und unterschreibt sofort. Dann: CORNELIA (umarmt ihn) Wir sind Gleichgesinnte.

52.

VILLA LABUDE/ GRUNEWALD

A/DÄ

Späte Dämmerung. Labude beginnt im Garten rund um den Teich Fackeln anzuzünden. Cornelia hilft ihm. Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

65


CORNELIA Was macht noch gleich dein Vater? LABUDE (etwas widerwillig) Befreit Menschen aus ihrer misslichen Lage. Immer wieder blitzt eine Flamme auf und erhellt einen weiteren Bereich der Terrasse und des Gartens. Fabian steht auf der Terrasse und beobachtet das Schauspiel, trinkt dabei ein Glas Cognac...

53.

VILLA LABUDE/GRUNEWALD

A/I/DÄ

Totale des Hauses in der Dämmerung. Fabian streunt durch das große Wohnzimmer des Hauses. An einem Sideboard nahe des Eingangs sieht er Labudes Jackett hängen. Er kommt näher, entdeckt in der Jacke die Geldbörse. Der Garten ist ausser Sichtweite. 
Labude und Fackeln.

Cornelia

entzünden

in

der

Tiefe

des

Gartens

weitere

Fabian zögert. Dann holt er die Brieftasche heraus und blickt auf ein Bündel Scheine darin. 
 CORNELIA BATTENBERG (OFF) Jakob! Komm zu uns. Fabian steckt die Brieftasche zurück. Cornelia sieht von draußen Fabian bei der Garderobe stehen, aber nicht, was er genau da macht. Plötzlich steht der Diener in Fabians Nähe. Geht dann weiter. DIENER (ruft in den Garten) Wenn die Herrschaften nichts mehr brauchen, ziehe ich mich zurück... Labude nickt. LABUDE Morgen haben Sie frei! CORNELIA BATTENBERG (fröhlich) Sind Sie froh, wenn Sie frei haben? Ja, oder? Keine Antwort. Stattdessen würdige Verbeugung und Abgang. Auf dem Terrassentisch liegt der soeben von Fabian unterschriebene "Vertrag".

54.

VILLA LABUDE/GRUNEWALD.

Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

A/N

66


Später. Alle drei auf der Terrasse. Labude gibt Fabian 
ein Glas Wein. Cornelia gibt ihm spontan einen langen Kuss. 
 Plötzlich geht ein automatischer Wassersprenger im Garten an. 
 CORNELIA BATTENBERG Oh, Versailles!! Sie schnappt sich die Weinflasche und rennt sofort die Terrassenstufen wieder nach unten. Sie springt durch die feinen Wasserstrahlen und trinkt dabei immer wieder aus der Flasche. Kurz darauf sitzen sie alle im Salon des modernen Flach-Anbaus mit Blick auf den See... LABUDE (nachdem er Cornelia fixiert hat) Machens wirs so: ich stell dir die Fragen, die sich unser Freund dir nicht zu stellen traut. FABIAN (entsetzt) Ey, Labude! LABUDE (ungerührt) Nee, lass doch. Eine Frage davon darfst du ablehnen. Alle anderen mußt du beantworten sonst mußt du zu Fuß nach Berlin zurück, Fräulein Battenberg. CORNELIA BATTENBERG Ich find schon jemand, der mich mitnimmt. Fabian muss gegen seinen Willen kichern. LABUDE Wo kommst du her? CORNELIA BATTENBERG In Paris sind die Morgenstunden wie Campari Orange. LABUDE (beeindruckte Grimasse) Paris? Fräulein antwortet in Rätseln. Und wo willst sie hin? Im Leben? CORNELIA BATTENBERG Beantworte ich nicht. Ich darf eine ablehnen...

LABUDE Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

67


Ja. Gut, nächste: Was soll noch ne Schauspielerin in diesen Zeiten? Also, was kann die Gesellschaft mit ihr anfangen? Was nutzt sie der Gesellschaft? CORNELIA BATTENBERG Absolut nichts. Hoffentlich. Nutzlose Schönheit. LABUDE Was erwartest du von Jakob Fabians Roman? CORNELIA BATTENBERG Daß ich vorkomme. Erstens. Und zweitens, daß die Kraft der Sprache derart stark ist, dass einem kein Wort austauschbar, kein Satz zu viel, kein Bild zu konstruiert vorkommt. LABUDE (schaut in den Himmel) Und ich erwarte von ihm einen Roman, der die politische Wirklichkeit derart seziert, dass der Text selbst... FABIAN Schön, daß ihr wenigstens wisst, was ich schreiben soll. CORNELIA BATTENBERG Weniger das Was, aber das Wie! LABUDE Weniger das Wie als das Was! Weg mit dem Formalismus!! Pause dann: LABUDE Fräulein Cornelia Battenberg, du erhältst hiermit meine Erlaubnis für eine eheähnliche Verbindung mit Herrn Jakob Fabian. Sollte Herr Fabian sich wider Erwarten für eure Beziehung als ungeeignet erweisen, so gehst du ohne jede zeitliche Verzögerung in meinen Besitz über, obwohl Eigentum ja bekanntlich Diebstahl ist. Cornelia fängt erstaunt...

schlagartig

an

zu

weinen.

Die

jungen

Herren

sind

FABIAN Was ist denn? CORNELIA (unter Tränen) "Oh, ich armes Mädchen. Ich muss den Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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schrecklichen Herrn Labude heiraten, wenn ich nicht brav bin..." Beide merken nicht sofort, daß sie spielt. LABUDE (trocken) Eindrucksvoll, Fräulein Battenberg. FABIAN (lenkt ab) Die Betten deiner Eltern oben haben eine merkwürdige Konstellation. LABUDE Meine Mutter wollte morgens nah an der Tür aufwachen, damit sie in den Garten gehen kann, ohne meinen Vater zu stören. So wars vom Architekten geplant.... Aber die beiden haben noch nie zusammen in dem Zimmer übernachtet.

55.

WOHNZIMMER/VILLA LABUDE

I/N

Später in der Nacht sitzen Labude, Fabian und Cornelia im gläsernen Wohnzimmer der Villa. Sie spielen mit Buntstiften "Motorradrennen" auf kariertem Papier. Wir sehen die zu "fahrende" Strecke von oben, die drei verschiedenfarbigen "Wagen", die sich im System der Kästchen vorwärts bewegen. "1. Gang, 2. Gang" - "Schalt runter, du schaffst die Kurve nicht...". "Bang, die Kennerin des internationalen Filmrechts hat die Bande berührt, du warst im dritten Gang, damit drei Runden aussetzen..."- "Nein!" schreit Cornelia, "das ist ungerecht, ich bin Anfänger!"...und malt den führenden beiden Herren einfach eine weitere Schikane in ihren Weg. Protest. Es endet damit, daß Cornelia das Papier zerreisst und schreit, "ich hab gewonnen!"... Dann liegt Cornelia mit halb zugefallenen Augen auf einer Chaiselongue nahe der grossen Fenster. Sie starrt auf eine Lücke zwischen den Bäumen. Das Glas in ihrer Hand droht zu fallen. Fabian nimmt es ihr gerade noch rechtzeitig ab. CORNELIA (stark schläfrig) Ich will so gern den Sonnenaufgang sehen. Campari Orange. Gleich kommt er, noch ein bisschen... Fabian geht zurück zu Labude. FABIAN ...In ihrer Film-Firma soll sie nach 3 Wochen Probezeit als Juristin jetzt wegen ‘ner Rolle vorsprechen. Ein Regisseur hat sie angeblich entdeckt. Makart. Kennst du? Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

69


LABUDE Nöö. Ist bekannt? FABIAN Dreht Filme mit der Dietrich. Sie will das machen. LABUDE Naja, kein Wunder, sie ist ja vielleicht sogar gut. Aber auch zu klug für Schauspielerei. Wirst sehen. Ihr landet im trauten Heim. Fabian schaut skeptisch. Labude zündet sich eine Zigarette an. LABUDE
 Schreib ihr ‘ne Szene für das Vorsprechen. Das wird sie dir hoch anrechnen. Fabian lächelt Labude an. Dann geht er zurück und legt Cornelia eine Decke über. Er gibt ihr einen Kuss auf die Stirn. CORNELIA (leise, betrunken, zieht ihn zu sich) Ich mag aber keine Küsse auf die Stirn. Sprung: Der Himmel färbt sich durch den Sonnenaufgang allmählich rötlich. Campari. Cornelia schläft. Fabian schaut sie sehr liebend an.

56.

WOHNUNG FABIAN

I/ABEND

Entfällt.

57.

´

CAFÉ SPALTEHOLZ

I/T

entfällt

58.

VILLA LABUDE/ZIMMER LABUDE

I/T

entfällt

59.

STRASSE VOR GESCHÄFT

Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

I/T

70


verschoben auf Bild 42A1

60.

BAHNHOF /EINGANG UND BAHNSTEIG

I/N

Fabian eilt auf den Eingang des Bahnhofs zu. Er ist in Gedanken abwesend, sieht etwas zerzaust aus. Seine Mutter, Frau Fabian sitzt im Wartehäuschen am Bahnsteig. 
 FABIAN
 Entschuldige bitte. Hat länger 
gedauert im Büro. 
FRAU FABIAN Hallo, mein Schatz. 
 Frau Fabian umarmt ihn. Fabian löst sich aus ihrer Umklammerung. 
 Seine Mutter riecht skeptisch an ihm. 
FRAU FABIAN
 Trinkt ihr bei euch auf der Arbeit? 
 FABIAN (ausweichend) Der Fischer hatte Geburtstag und hat n’Glas ausgegeben. FRAU FABIAN Hast du ihm was geschenkt? FABIAN
 Nein, warum? Ich kann den Kerl nicht leiden. FRAU FABIAN 
Ich schenk unseren Nachbarn immer was zum Geburtstag. Aber du wirst schon wissen. Wo ist sie? FABIAN Wer? FRAU FABIAN
 Die Cornelia. Du hast so schwärmend von ihr geschrieben. Ich dachte, sie kommt mit. Fabian nimmt den Koffer seiner Mutter und geht los. FRAU FABIAN Oder will sie mich gar nicht sehen? Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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FABIAN Doch. Sie arbeitet noch.

61.

WOHNUNG FABIAN / ZIMMER FABIAN

I/T

Frau Fabian schüttelt das Bett auf. Fabian räumt etwas unruhig seinen Schreibtisch frei. FRAU FABIAN (öffnet das Fenster) 
Die Luft steht. Kann man hier gar keinen richtigen Durchzug machen? FABIAN
 Setz dich doch mal hin. Du machst mich nervös. FRAU FABIAN
 Dein Vater vergisst auch immer zu lüften. Da kann man doch gar nicht mehr denken! Fabian hält inne und beobachtet still seine Mutter. Sie setzt sich auf seine Matratze und prüft die Stärke. FABIAN
 Schön, dass du da bist. Fabians Mutter schaut ihren Sohn an. Sie lächelt. Dann sieht sie ein Kurbel-Grammophon. (Es ist aus Cornelias Zimmer in Fabians Zimmer gewandert) FRAU FABIAN
 Was hört man so in Berlin? Fabian legt eine Platte auf, betätigt die Kurbel. FABIAN
 Weintraub Syncopators. FRAU FABIAN (beeindruckt) So so. (murmelt den Namen nach) Fabian und seine Mutter hören der Musik zu. Frau Fabian wippt etwas steif mit ihrem Fuß. FRAU FABIAN Ist gut. Wie tanzt man dazu? Fabian steht auf und bittet um die Hand seiner Mutter. Sie schaut ihn strahlend an. Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

72


FRAU FABIAN Ich kann das doch nicht. FABIAN Doch. Ich führ dich. Kurz darauf dreht Fabian seine Mutter zur Musik durch das kleine Zimmer. Beide lachen, tanzen und drehen sich immer weiter bis die Nadel am Ende der Platte angekommen ist. Fabian wirkt gelöst. Sie sind außer Atem. Fabian dreht sich zur Tür. Cornelia steht schon eine Zeit grinsend am Türstock, ehrlich überrascht. CORNELIA BATTENBERG 
Guten Tag. Sie geht auf Frau Fabian zu, die ihren Rock richtet und sich die Haare aus dem Gesicht streicht. CORNELIA BATTENBERG (fröhlich) Ich bin Cornelia Battenberg. Sehr angenehm. Mir gehört das Grammophon. Noch. Wir haben leider nur noch die zwei Schallplatten, den Rest hab ich ins Pfandhaus getragen. Morgen kommt das Grammophon aus dem Haus. Was solls. Wer braucht das schon? Irritation. Fabian ist peinlich, dass Cornelia die Geldsorgen so direkt anspricht. Die Frauen geben sich die Hand. Cornelia gibt Fabian einen Kuss. FRAU FABIAN "Fabian". Mein Sohn hat mir von Ihnen geschrieben. CORNELIA
 BATTENBERG Er schreibt schön, oder? (zu Fabian) Mit mir kannst du auch mal tanzen. Fabian schaut zwischen Cornelia und der Mutter hin und her. Dann nimmt er Cornelias Hand und dreht sie einmal um die Achse. FRAU FABIAN
 Wir sollten vielleicht los. Ich lade ein. FABIAN Kommt nicht in Frage. FRAU FABIAN (unterbricht ihn) Doch, doch. (Zu Cornelia) Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen. Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

73


CORNELIA BATTENBERG Nein, also ich... überhaupt nicht. FABIAN
 Einen Moment noch. Fabian holt unter dem Schreibtisch den Kleider-Karton aus der Boutique hervor. Cornelia macht große Augen. CORNELIA BATTENBERG Für mich? Cornelia macht den Karton auf und hebt das Kleid heraus. Fabian ist verlegen. CORNELIA BATTENBERG Ich hab doch gar nix gesagt, aber du hast es mir angesehen...Fabian.... Sie gibt Fabian eine Umarmung und einen langen Kuss. FABIAN (macht sich vor der Mutter sanft los) Ich wollte es dir ursprünglich zum Geburtstag schenken, aber jetzt ist auch ein schöner Anlass. CORNELIA BATTENBERG Ich zieh’s gleich an. Ja? Haben wir noch so viel Zeit? Sie huscht aus dem Zimmer. Fabian und die Mutter bleiben zurück. FRAU FABIAN
 Sie nennt dich beim Nachnamen? FABIAN
 Das machen hier alle. Nach dieser Zurechtweisung ist Frau Fabian kurz ruhig. Hebt dann aber doch nochmal ihren Finger wie eine Schülerin, weil sie noch etwas fragen muß. Fabian gestattet ihr die Frage: FABIAN Ja, bitte Mutter... Ich erwarte aber vernünftige Fragen. FRAU FABIAN Was hat das Kleid gekostet? Ja, das fragen wir uns auch. Und auch Cornelia fragt sich das. Wir Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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sehen sie im Nebenzimmer das Kleid plötzlich... Woher hat er das Geld?

62.

anziehen.

Und

sie

RESTAURANT

zögert

A/T

Ein Sommerabend beginnt. Am Eingang des Restaurants steht eine Gruppe „deutscher“ junger Männer, die Nacken ausrasiert. Fabian, seine Mutter und Cornelia sitzen an einem Tisch, der für vier Gäste gedeckt ist. Labudes Platz ist leer. Ein Kellner füllt drei Gläser mit Sekt. Cornelia trägt das neue Kleid. Erzähler: „Wo ist nur Labude?“ FRAU FABIAN
 Hast du ihm nicht Bescheid gegeben, dass ich komme? FABIAN 
Er ist gestern nochmal nach Hamburg. Hab ich vergessen. Wollte aber... naja, was solls. Fabian räumt Labudes Gedeck zusammen. FABIAN Das können Sie mitnehmen. Der Kellner nimmt das vierte Gedeck vom Tisch. CORNELIA
 BATTENBERG Dann stoßen wir zu dritt an. FRAU FABIAN Gern. Auf was? CORNELIA BATTENBERG Ja. Auf was, Fabian? Beide schauen Fabian erwartungsvoll an. FABIAN
 (lächelt weise) Wenn ich das eine sage, bereu ich, nicht das andere gesagt zu haben. CORNELIA BATTENBERG Na dann nur auf uns. FRAU FABIAN Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

75


Find ich auch gut. Auf uns drei. Fabian hebt sein Glas. Sie stoßen an. FABIAN Auf uns.
 Alle trinken. Cornelia zwinkert Fabian zu.

63.

RESTAURANT

A/T/DÄ

Die Sonne steht tiefer. Etwas später ist Cornelia gerade dabei, von ihrer Arbeit zu erzählen. Fabians Mutter schaut skeptisch, bleibt aber höflich. CORNELIA 
... Dramaturgen, Kostümbildner, Produktionsleiter, Direktoren. Man läuft all die Gänge entlang und denkt sich, das Haus muss bis unters Dach mit wichtigen Leuten vollgestopft sein. Und alle sind sie elegant und sind gebildet und attraktiv. FABIAN
 Du bist ja ganz rot geworden. CORNELIA Manchmal merkst du doch, wenns bei mir was Neues zu sehen gibt. Der Mutter entgeht keine Nuance. Die Teller werden abgeräumt. Fabian sieht am Tor zum Gartenlokal einen Mann, der ihm ebenso bekannt vorkommt wie uns. Es ist der Passant aus der Nacht des ersten Spaziergangs mit Cornelia. (Kurze Rückblende dorthin?) Fabian ist verwirrt, lässt es sich nicht anmerken. KELLNER (währenddessen)
 ... Als Dessert haben wir heute frische Marillenknödel und Crème bavaroise. Cornelia macht pantomimisch und gestisch die französische Aussprache des Kellners leise nach. Der schaut zu Frau Fabian. KELLNER Einmal beides für Sie drei? Frau Fabian fixiert kurz Cornelia. FRAU FABIAN Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

76


Nein, beides drei Mal. KELLNER Sehr wohl. FABIAN
 Mamma, das musst du nicht machen. Hast du so viel... FRAU FABIAN Jetzt komm, beleidige mich nicht. Cornelia starrt nun auch zum Eingang des Lokals. CORNELIA
 Oh Gott. Da ist er. (Fabian dreht sich um) Dahinten ist Makart! Die Mutter dreht sich auch um. Auftritt: Filmproduzent Makart. Ein kräftiger grosser Mann Anfang 50, ist gerade mit einem teuren Auto und Chauffeur angekommen, spricht kurz mit dem bereits bekannten "Passant" am Eingang, man ahnt, daß Geld den Besitzer wechselt. Dann steuert Makart auf einen freigehaltenen Tisch zu. Hinter ihm eine Entourage von Anzugträgern. Cornelia ist nur halb erfreut. Sogar ein wenig ärgerlich. CORNELIA (zu Fabian seufzend) Ich sag nur schnell Hallo und stell ihn dir vor, ja? Darf ich? Cornelia steht auf, zieht Fabian mit zu dem anderen Tisch. In diesem Moment werden die drei Portionen Marillenknödel und drei Portionen Bayerisch Creme serviert. Fabians Mutter wartet geduldig am Platz. Makart steht sofort auf, als er Cornelia sieht. Tut überrascht. CORNELIA Hallo, Herr Makart. MAKART (begeisterter Handkuss) Frau Battenberg!! Sowas! Wunderbar, Sie zu sehen. CORNELIA (schaut ihn an) Ja? Makart übergeht das und schaut an ihr herab, beäugt das Kleid. MAKART Sie können ja wirklich alles tragen. Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

77


CORNELIA Wie meinen Sie das? MAKART Sie sind eben eine Naturschönheit. Makart stellt überflüssig.

sie

den

anderen

Anwesenden

vor.

Fabian

ist

zügig

MAKART Cornelia Battenberg. Abteilung internationales Filmrecht.
 Hoch begabt. Und... (dreht sich zu ihr um) morgen Vormittag, 11 Uhr, bei uns zu Probeaufnahmen! (Wieder zu seinen Tischgästen) Vielleicht eine unserer neuen Sterne. Die anderen Männer nicken bestätigend und sind scheinbar amüsiert über die Szene. MAKART Und ihren kleinen Bruder haben Sie auch mitgebracht? Cornelia tritt einen Schritt zur Seite, Fabian geht vor der großen Statur Makarts beinahe unter. CORNELIA
 Das ist Jakob Fabian. Er ist Autor. Makart reicht Fabian die Hand. MAKART
 Ach was? Respekt. Und? Sind Sie beide verlobt? CORNELIA Ja. Fabian schaut sie erstaunt, erfreut an. Es folgt ein knapper harter Blickwechsel zwischen Makart und Cornelia. In diesem Moment werden die Getränke für den Tisch serviert. MAKART
 Setzen Sie sich doch zu uns. Auf ein Glas? Makart sucht nach einem freien Stuhl in der Nähe, es ist lediglich ein freier Platz zur Verfügung. MAKART Wir machen gerne Platz... Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

78


FABIAN
 Nein, das ist schon in Ordnung. Meine Mutter sitzt da hinten, ich muss ohnehin... MAKART (warmherzig) Die Mutter! Das ist schön! Makart winkt leutselig der Mutter Fabians. Zwischen Fabian und Cornelia ein Gewitter von Blicken. Der Mann am Tor steht immer noch da. Was bedeutet das? Cornelia schaut Fabian an. Sie hat Tränen in den Augen. Wie eine Bitte an ihn, bei ihr zu bleiben. CORNELIA Es wäre schön, wenn du ein Glas trinkst. Fabian versteift sich. Er spürt, daß da etwas schon seit langem ohne sein Wissen läuft, etwas hinter seinem Rücken, was er nicht wusste. Und drüben an dem Tisch die Mutter...allein vor den Nachtischen. Das geht nicht. Makart klopft Fabian auf die Schulter. MAKART
 Vielleicht nachher? Ihre Mutter ist auch willkommen! Cornelia setzt sich auf einen der inzwischen zwei freien Plätze. Die anderen männlichen Gäste geben ihr die Hand. Fabian geht zurück zur Mutter. FRAU FABIAN Und? Sie bleibt da? FABIAN (schüttelt den Kopf.) 
Kurz. Ist beruflich. Ist beim Film so. Frau Fabian beginnt mit Appetit zu essen. Fabian starrt auf die Berge an Nachspeisen. FRAU FABIAN Gehts dir nicht gut? FABIAN
 Doch, doch. Ich dachte nur gerade an was.
 Ich hab noch zu schreiben heut Nacht. Fabian stochert in einer Crème bavaroise herum. Blicktausch CorneliaFabian. Makart beobachtet sie. Sein Blick ist Besitz ergreifend. Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

79


64.

RESTAURANT / UND STRASSE DAVOR

A/N

Fabians Mutter wartet vor dem Restaurant. Fabian ist kurz nochmal am Makart-Tisch, verabschiedet sich, gibt sich höflich, kommt alleine heraus. Cornelia schaut ihm nach. FABIAN (leicht verärgert) Sie kommt später nach.
 Frau Fabian hebt skeptisch die Augenbrauen. FRAU FABIAN
 Du kannst auch gern hier bleiben. Ich komm schon nach Hause. FABIAN
 Wenn mich meine Mutter besucht, kümmer ich mich auch um sie. Er drückt sich an seine Mutter. Sie gehen die Straße entlang. FRAU FABIAN Du hast mir gefehlt. FABIAN Du mir auch. FRAU FABIAN Dein Vater freut sich, wenn er dich wiedersieht. FABIAN Ich weiß. FRAU FABIAN
 Und es ist eine Stelle bei unserer Zeitung frei. In der Redaktion. FABIAN (schaut sie an) Ich hab hier doch ‘ne Stelle. Und Cornelia würde nicht nach Dresden mitkommen. FRAU FABIAN
 Na, jetzt hab ichs gesagt und du kannst darüber nachdenken. Für alle Fälle. Deine Heimat ist immer da. Und für Cornelia finden wir auch in Dresden ein Glas Champagner. FABIAN
 Meine Heimat ist jetzt Berlin, Mama.

Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

80


Sie laufen weiter in die Dunkelheit.

65.

WOHNUNG FABIAN / ZIMMER FABIAN

I/N

Fabian sitzt an seinem Schreibtisch und schreibt in ein Notizbuch. 
Ihm gegenüber liegt seine Mutter in seinem Bett und schläft. Er beobachtet ihren auf- und abwiegenden Körper. Sie schnarcht leise. Fabian muss lächeln. Er schreibt weiter. Er steht leise auf und geht mit dem Buch aus dem Zimmer...

66.

WOHNUNG FABIAN / FLUR VOR KÜCHE

I/N

Cornelia schwankt durch den Flur Richtung Küche. 
Fabian sieht sie, sie ihn zunächst nicht. Er reißt leise aus dem Notizbuch einige beschriebene Seiten heraus.

67.

WOHNUNG FABIAN / KÜCHE / FLUR

I/N

Fabian steht an der Schwelle zur Küche. Cornelia ihm gegenüber. Sie trinkt Wasser, erschrickt als sie ihn sieht. Dann geht sie auf ihn zu. CORNELIA 
Tut mir leid. Schläft sie? 
 Fabian nickt, weiß nicht, was er sagen soll. Sie gibt ihm einen Kuss. CORNELIA Entschuldige. Ich hätt mich auch 
anders verhalten können. 
 FABIAN
 Nein. Ich habs kapiert. Makart ist dein Beschützer. Schon an unserm ersten Abend war doch einer hinter uns her, auf der Strasse. Ich hätts nur gern früher gewußt, daß es so ist. CORNELIA
 Nichts ist irgendwie. Du weißt, dass ich nicht still stehen kann. Mit dir hab ich ein Leben. Er kann mir ‘ne Karriere geben... FABIAN Wie lange Mal sagst überhaupt entdeckt?

bist du schon bei ihm in der Firma? Du 5 Tage, mal 2 Monate.... Hast du studiert? Seit wann hat Makart dich (Sie will irgendwas antworten)

Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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Lass es, sag nix, Fräulein Battenberg, dein Leben verläuft zweigleisig. Fabian bettelt im Grunde um ihre Liebe. Aber das kommt ihn hart an, es verletzt seinen grossen Stolz, aber er will sie nicht verlieren. Cornelia sieht ihn verzweifelt an. CORNELIA Ich soll ausziehen, er zahlt mir eine "angemessene" Wohnung, sagt er. Was tun, sprach Zeus? Wir haben beide kein Geld!... Von welchem Geld hast du denn wirklich das Kleid gekauft. Oder hast du gestohlen? Ich hab dich an der Garderobe gesehen. Hast du deinen Freund beklaut? FABIAN (jetzt kämpft er) Ich hab Labude nicht bestohlen! Ich hab das Kleid schon vor Wochen gekauft. Ich hab stattdessen die Miete immer noch nicht bezahlt, bald wird der nächste Monat fällig. Ich dachte, ich krieg was zu schreiben bei Zacharias vom Abendblatt. Nix wars. Aber wir schaffen das! Lass uns so gewissenlos sein wie die 16-jährige Olga mit ihrer Bande aus dem Wedding. Die Bonzen von Babelsberg sind unsere Bank, Makart dürfen wir ausrauben. Ich leg das Beil schon mal bereit, für den Fall, daß er nicht so will wie wir wollen... (Anm.: man könnte hier zwei einander widersprechende Details aus der Villa Labude einschneiden: Fabian zieht die Hand aus Labudes Jackentasche in der Garderobe. Einmal hat er zwei Geldscheine in der Hand. Einmal nicht.) Fabian reicht ihr die ausgerissenen Seiten. FABIAN Für dein Vorsprechen morgen. CORNELIA Es soll was Affektives sein, wurde mir gesagt. Ist es affektiv? FABIAN
 Kommt drauf an wie du’s spielst. Aber nicht jetzt gleich lesen, solang ich hier bin. Sie fängt dennoch sofort an, zu lesen. Fabian flieht, schließt die Tür zu Küche hinter sich. Durch ein milchglasiges Fenster kann er sehen, wie Cornelia liest. Er wartet im Dunkeln des Ganges. Dann schaut sie auf. Durch das trübe Milchglas hindurch. Cornelia kommt näher, legt ihre Lippen auf die Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

82


Innenseite des Glases. Fabian küsst zurück und wendet sich dann ab. Ihr Gesicht hinter dem Milchglas. Wie eine schöne Gefangene.

68.

STRASSE NÄHE CAFÉ SPALTEHOLZ / TELEFONZELLE

A/N

JETZT 71 I

69.

CAFÉ SPALTEHOLZ / STRASSE DAVOR

A/I/N

JETZT 71 J

69 A.

CAFÉ SPALTEHOLZ

A/N

JETZT 71 K

70.

LABUDES WOHNUNG

I/N

JETZT 71 L

71.

WOHNUNG FABIAN / KÜCHE

I/T

Nächster Morgen. Fabian öffnet halb angezogen die Tür zur Küche. Im Vorbeigehen schaut er auf Cornelias Tür. Sie ist geschlossen. Er muss nicht hineinschauen, er weiss, sie ist weg. Den Anblick möchte er sich ersparen. Seine Mutter und die Vermieterin Hohlfeld sitzend lachend am Tisch und trinken Kaffee. 
FRAU FABIAN 
Da ist er ja. Gut geschlafen? 
 Fabian nickt. Frau Hohlfeld schaut auf ihre Uhr. 
 FRAU HOHLFELD Sind Sie nicht zu spät? Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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Fabians Mutter hebt skeptisch eine Augenbraue. FABIAN
 Nein, alles gut. Mama, wir treffen uns um 5 am Bahnhof, vor dem Eingang? FRAU FABIAN
 Ja, geh du mal. Ich werd Ordnung im Zimmer machen.... und an dem Mantel ist der Henkel abgerissen. Geh ohne Mantel. Ist ja warm draussen. FABIAN Ja. Sehr schade, daß du nur einen Tag bleibst...Ich geh mal mich fertig machen.... Fabian geht zurück in sein Zimmer, um sich anzuziehen. Aber wozu? HOHLFELD Fräulein Battenberg ist ausgezogen. Fabian schaut Hohlfeld an. "Ich weiß." Seine Mutter, für die das offenbar keine Neuigkeit war, steht auf und gibt Fabian einen Kuss auf die Wange. FRAU FABIAN Scher dich an die Arbeit! Arbeiten ist gesund. Und grüß den Fischer.

71 A.

STRASSEN

A/T

Fabian treibt sich herum. Vor einem Warenhaus in einer Limousine, die vor ihm parkt, sieht er eine reiche ältere Dame, die aussteigen will und deren Chauffeur mit ihrem Schosshund und den Einkäufen vollauf beschäftigt ist. Erzähler: „Fabian Bordschwelle und schob sich vom Wagenschlag, half

trat auf die Straße. Er (Fabian) stellte sich an die sah den Autos zu. Ein Wagen hielt. Eine alte Dame Sitz und wollte aussteigen. Fabian öffnete den der Dame vom Trittbrett…“

Fabian öffnet ihr hilfreich die Tür des Fonds, sie steigt aus, nimmt den Hund in den Arm, macht dem Chauffeur ein Zeichen. Der gibt Fabian einen Groschen. CHAUFFEUR Da. Als Fabian den beiden noch nachblickt, kommt das nächste Taxi. Erzähler: "Er hatte unfreiwillig einen Groschen verdient. Er steckte Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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die Münze ein, trat trotzig an den Straßenrand und öffnete einen zweiten Wagen. »Da!« sagte jemand anderer und gab ihm wieder einen Groschen. Wenn jetzt Labude vorbeikäme und den literar-historisch ausgebildeten Türöffner sähe, überlegte er....“ Automatisch öffnet Fabian die Tür für den nächsten Fahrgast, der steigt aus und schon - "Danke"- hat Fabian wieder einen Groschen in der Hand. Er muss lächeln. Montage mit immer mehr werdenden Groschen und anderen Münzen in seiner Hand. Erzähler: „Fabian dachte, `Das wächst sich zu einem Beruf aus´, und hatte eine Viertelstunde später fünfundsechzig Pfennige verdient." FABIAN ( murmelt) Das wächst sich zum Beruf aus. Jetzt kommt wieder eine eine Dame, zu Fuß, er öffnet die Taxi-Tür. Aber sie will nicht einsteigen. FRAU Eine milde Gabe gefällig? Sie gibt ihm Geld, er schaut sie gar nicht an, aber der Lohn ist diesmal sehr hoch. Deshalb blickt er der Dame doch ins Gesicht und wer schaut ihn an? Frau Irene Moll. Hinter ihr ein Kaufhaus-Page mit etlichen Paketen. IRENE MOLL (grinst schadenfroh) Ich habe dich beobachtet, mein Junge. Wir begegnen einander, wo wir können. Geht’s dir so dreckig? Du warst voreilig, als du das Angebot von meinem Mann abgelehnt hast, und auch die Schlüssel hättst du behalten können. Ich hab auf dich gewartet. Deine Zurückhaltung macht sinnlich. (sie deutet auf die Pakete) Hilf mir die Pakete nach Hause tragen. Das Trinkgeld dafür hast du schon. Fabian lässt sich vom Pagen die Pakete aufladen und setzt sich mit ihnen zu Fuss Frau Moll hinterher in Bewegung. Er sieht aus wie ein mit Geschenken überschüttetes Kind an Weihnachten.

71 B.

STRASSE VOR ELEGANTEM MIETSHAUS

A/T

Frau Moll ist zügig unterwegs. Fabian folgt. IRENE MOLL Was kann ich für dich tun? Stellung eingebüßt? (Er antwortet nicht) Auf Dr. Moll ist leider auch nicht mehr zu zählen. Er ist "zu Schiff Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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nach Frankreich" oder sonstwohin. Und jetzt wohnt die Kriminalpolizei bei uns. Moll hat die Gelder, die seinem Notariat übergeben waren, alle unterschlagen. Seit Jahren schon. Ich habe ihn unterschätzt. FABIAN Wovon leben Sie jetzt? IRENE MOLL (deutet auf ein Ziel) Ich hab ‘ne Pension eröffnet. Wohnung und die Möblierung dazu hat mir ein alter Bekannter geschenkt, das heißt, die Bekanntschaft ist noch jung, der Bekannte selbst ist alt. Ihm gehören dafür paar Gucklöcher in den Türen. FABIAN Und wer wohnt in dieser durchsichtigen Pension? IRENE MOLL Junge Männer. Schlafen und Verpflegung gratis. Außerdem kriegen sie dreißig Prozent der Einnahmen. FABIAN Welcher Einnahmen?

71 C.

HAUSEINFAHRT EDLES MIETSHAUS

A/I/T

Sie sind im Entrée eines eleganten Mietshauses angelangt. IRENE MOLL ... Mein Verein unchristlicher junger Männer wird von Damen der besten Gesellschaft frequentiert. Die sind nicht immer schön und schlank, die Damen, und daß sie mal jung waren, glaubt ihnen kein Mensch. Aber sie haben Geld. Egal, was ich verlange, sie zahlen. Und wenn sie vorher ihre Herren Ehemänner bestehlen oder ermorden müssen, sie kommen zu mir. Drei Jungs sind mir schon abgekauft worden. Der eine, ein Ungar, von der Frau eines Industriellen. Wenn er klug ist, hat er in einem Jahr ein Vermögen. FABIAN Also ein Männerbordell. IRENE MOLL Das hat heute viel mehr Existenzberechtigung Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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als ein Frauenhaus. Außerdem hab ich schon als junges Mädchen geträumt, so ein Etablissement zu führen. Und ich nehme nicht jeden! FABIAN Gibts Aufnahmeprüfungen? IRNE MOLL Wirkliche Talente sind selten. Naturbegabungen schon eher. Ich mach dir’n Vorschlag, mein Lieber. Du bist zu wählerisch. Du bist auch schon zu alt für die Branche, meine Kundschaft bevorzugt Zwanzigjährige. Außerdem leidest du an falschem Stolz. (Das sitzt.) Ich könnte dich als Sekretär verwenden. Allmählich wird ne geordnete Buchführung notwendig. Kannst bei mir arbeiten, wohnen. Wie denkst du darüber? FABIAN (hält ihr die Pakete hin) Ich möchte meinem angeborenen Brechreiz nicht zu viel zumuten. In diesem Augenblick kommen zwei junge Burschen aus dem Treppenhaus, schick angezogen. Als sie Frau Moll erblicken nehmen sie die Hüte ab. IRENE MOLL (kritisch) Gaston, hast du heute Ausgang? GASTON Mackie meinte, ich soll mir mal das Auto ansehen, das ihm die Nummer Sieben versprochen hat. In zwanzig Minuten bin ich wieder da. IRENE MOLL Du gehst denn für hat sich schläfst

sofort auf dein Zimmer. Was ist das eine Wirtschaft? Marsch! Für drei Uhr Nummer Zwölf angemeldet. Bis dahin du dich aus, los! Nimm die Pakete.

Der junge Mann, Gaston, nimmt Fabian die Pakete ab und geht ins Haus zurück, der andere setzt, nochmals grüßend, seinen Weg fort. IRENE MOLL (zu Fabian) Du willst wieder nicht? Ich geb dir eine Woche Bedenkzeit. Überleg dir’s. Verhungern ist Geschmackssache. Sie geht ins Treppenhaus. Fabian dreht sich zur Kamera. FABIAN (in die Kamera) Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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Das grenzt an Zwangsläufigkeit. Fabian kehrt um, von wo er gekommen ist.

71 D

GESCHÄFT

I/T

Cornelia gibt das Kleid zurück. Sie erhält Geld. Wir sehen das Kleid, das Geld und ihre Hände.

71 E.

TRÖDELLADEN

I/T

Cornelia verkauft das Grammophon. Wie zuvor im Kleiderladen nur das Grammophon und das Geld zu sehen. CORNELIA (OFF) Die Platte von Weintraub Syncopators ist selten. VERKÄUFER (OFF) Frollein, det is’ im Ankaufpreis schon mit drinne, daß die selten is’. CORNELIA (OFF/wütend) Dann behalten sie doch ihr Geld. Legt Geld wieder hin und nimmt das Grammophon.

71 F (EX 90)

BAHNHOF /ZUGANG ZU DEN GLEISEN

A/T

Fabian steht neben seiner Mutter am Gatter zu den Gleisen. Zu ihren Füßen ihr Koffer. Der Zug nach Dresden wird angesagt. Fabian will sich eine Bahnsteigkarte kaufen. 10 pfg. Er sucht nach Kleingeld. FRAU FABIAN
 Lass mal, mußt mich nich’ bringen. - Es ist keine Schande arbeitslos zu sein. Fabian erstarrt. FRAU FABIAN Du konntest nie lang was verheimlichen.
 Menschen mit Koffern drängen sich an ihnen vorbei. FABIAN Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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Aber du setzt dich wieder in den mittelsten Wagen, versprochen? FRAU FABIAN (lächelt) Wenns Platz gibt, ja. FABIAN Du weißt: Die etwaigen Folgen eines Eisenbahnunglücks sind somit von vornherein reduziert. FRAU FABIAN (nickt, kennt das schon, schaut ihn an) Ist gut. Wenn du das sagst. FABIAN 
Ich krieg schon bald wieder was. FRAU FABIAN
 Seht ihr euch nochmal? FABIAN
 (weiß, wen sie meint) Wir haben eine Verabredung. In 3 Tagen. FRAU FABIAN Erst? FABIAN Ja. Frau Fabian nickt und umarmt ihren Sohn noch einmal. Dann geht sie in Richtung der Gleise. Er steckt ihr seine restlichen 20 Mark in die Handtasche ohne daß sie es merkt..... Sie geht. FABIAN Ich komme sobald ich kann. Sie nickt und verschwindet.

71 G (EX 90 A)

WOHNUNG FABIAN / ZIMMER FABIAN

I/T

Auf seinem Tisch stehen Blumen. Ein Päckchen liegt daneben. Er öffnet es. Einkäufe der Mutter vom Feinkostladen. Ein Zettel fällt heraus. »Wenig mit Liebe, deine Mutter«, daraufgeschrieben. In der unteren Ecke ist noch etwas zu lesen. »Iß das Schnitzel zuerst. Die Wurst hält sich in dem Pergamentpapier mehrere Tage.« Als er den Umschlag beiseite legen will fällt ihm noch ein ZwanzigFassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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Mark-Schein auf, der auf dem Boden liegt. Er steckt ihn ein.

71 G2 (NEU)

WOHNUNG FABIAN / ZIMMER CORNELIA

I/T

Fabian betritt zum ersten Mal wieder Cornelias Zimmer. Sie ist am Vorabend schon ausgezogen. Eine Platten-Innenhülle (nur Papier, meistens bräunlich) liegt noch in einer Ecke.

71 H

(EX 90B)

ZUGABTEIL MUTTER NACH DRESDEN

I/T

Die Mutter im Zug findet wie gleichzeitig den Zwanzigmarkschein, den Fabian ihr heimlich in ihre Handtasche deponiert hatte. Erzähler: „Mathematisch gesehen war das Ergebnis gleich Null. Denn nun besaßen beide dieselbe Summe wie vorher. Aber gute Taten lassen sich nicht stornieren. Die moralische Gleichung verläuft anders als die arithmetische." 71 I

(EX 68)

STRASSE NÄHE CAFÉ SPALTEHOLZ / TELEFONZELLE

Autos fahren durch Mitternacht, aber (Dokumentarmaterial)

A/N

die nassen Strassen. Lichter. Töne. Es ist in der Weltstadt noch jede Menge los.

Cornelia kommt - mit recht grossem Koffer und ihrem Grammophon- aus einer Telefonzelle. Wen hat sie angerufen?

71 J

(EX 69)

CAFÉ SPALTEHOLZ / STRASSE DAVOR

A/I/N

Cornelia wartet mit ihrem Gepäck vor dem uns bekannten Café auf einem Stuhl. Die anderen Stühle und Tische draussen sind hochgeklappt. Drin ist noch ein wenig los. Sie hat die Text-Seiten von Fabian vor sich. Lernt. Ein Kellner kommt zu ihr. Wir kennen ihn schon. KELLNER Fräulein, hier draussen ist keene Bedienung mehr! CORNELIA Na, dann nich’. Aber sitzenbleiben darf ich? KELLNER Warum kommen Se nicht rein? CORNELIA Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

90


Frische Luft ist schön. KELLNER Sie haben keen Geld, kann det sein? Ich spendier’ Ihnen drinne was. Sie schaut ihn an, wortlos, Verachtung im Blick. Jemand kommt jetzt in schwankendem Sturmschritt zu ihr, setzt sich. Es ist Labude.

71 K (EX 69A)

CAFÉ SPALTEHOLZ / STRASSE DAVOR

A/N

ZEITSPRUNG in der Szene: Sie sitzen, reden schon eine Weile. Labude sieht aufgelöst aus. Betrunken. Hört intensiv zu. Dann: CORNELIA Du bist wieder betrunken...Ich wollte dich bitten, auf Fabian aufzupassen..... ("Aber in deinem Zustand..." denkt sie, sagts aber nicht.) LABUDE (konzentriert sich) Ja, ja... - Wir müssen reden, auch meine Meinung. Fräulein Battenberg, ich sags jetzt mal (direkt) folgendermassen: ich geb dir Geld soviel du brauchst. Dann musst du dich nicht mehr ans Filmstudio verkaufen. Wie wär das? CORNELIA (weicht aus) Was...? LABUDE (unterbricht) ...Ich zahls auf dein Konto, morgen früh. Unser Schriftsteller wird nüscht wissen. Verlass ihn nich’. Was sagst du dazu? CORNELIA (lächelt) Und du bist mein Mäzen? Was sind dafür meine Pflichten? Labude schaut sie an. Da ist vielleicht Sehnsucht. Aber er schüttelt den Kopf. LABUDE Ich gründe grade ‘n Hilfsverein für unterbemittelte Künstlerinnen, da passt du großartig ins Bild. Du kannst Schriftführerin werden, wir bräuchten ‘ne Club-Satzung. Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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Es ist klar: er will sie sozusagen von Makart loskaufen - für Fabian. Er fällt mit seinem Stuhl um. Sie hilft ihm auf. Kurz darauf. Sie sitzen wieder. CORNELIA (leise, jetzt ernst) Es geht ja nicht immer nur ums Geld oder? LABUDE Ach was? (Wie von Loriot) Hab ich mir gedacht. (klopft an die Scheibe) Zahlen!! CORNELIA (wehrt ab) Ich hatte nix. LABUDE Und? -

Mein Angebot steht.

CORNELIA Ich will doch spielen. Und er hat mir so ‘ne schöne Szene geschrieben... LABUDE Ja, hab ich mir auch gedacht. CORNELIA Du prüfst mich? LABUDE Nee. Ich streck dir nur die Hand entgegen.

71 L (EX 70)

LABUDES WOHNUNG

I/N

Labude übernachtet auf dem Boden. Cornelia im Bett. Es dämmert. Beide haben die Augen offen. Einmal blickt Labude zu Cornelia. Da stellt sie sich schlafend. Man sieht: in Labude toben Dämonen. An der Decke fahren die Lichter der Autos unten. Sind nicht viele um diese Uhrzeit. Erzähler: „Fabians Blick war gespannt, aber das Herz war besinnungslos. Er hatte lange in seinem möblierten Zimmer gesessen. Irgendwo in dieser unabsehbaren Stadt lag jetzt Cornelia mit einem fünfzigjährigen Mann im Bett und schloß ergeben die Augen. Wo war sie? Er hätte die Wände von allen Häusern reißen mögen, bis er die Zwei fand. Wo war Cornelia?

Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

92


72.

WOHNUNG FABIAN / HAUSFLUR MIT EINGANG

I/T

entfällt in 73 enthalten

73.

WOHNUNG FABIAN / FABIANS ZIMMER

I/T

Fabian in seinem Zimmer auf dem Fensterbrett. Sonne scheint herein. Erzählerin: „Nein, nein (Aber nein), Cornelia war schon weit. Er durfte sie nicht zurückrufen. Wenn er es getan und wenn er, aus dem Fenster gebeugt, gesagt hätte: Komm wieder herauf, ich will nicht, daß du arbeitest, ich will nicht, daß du zu Makart gehst! hätte sie geantwortet: Was fällt dir ein. gib mir Geld oder halte mich nicht auf. `Er konnte sich nicht anders helfen.....er streckte der Sonne die Zunge heraus." Fabian streckt der Sonne die Zunge heraus. Es klingelt Sturm an der Wohnungstür. Stimmen. Kommen näher. Hohlfeld und ein Mann. Fabian rutscht vom Fensterbrett...Da wird ie Zimmertür wird nach kurzem Klopfen geöffnet. Justizrat Labude steht davor. Aufgelöst. JUSTIZRAT LABUDE Können wir reden? Fabian, überrumpelt, weist auf sein Zimmer. Labude senior tritt ein. Der Justizrat spricht sofort. JUSTIZRAT LABUDE Stefan ist in Hamburg verhaftet worden... FABIAN Wann? JUSTIZRAT LABUDE Am Sonntag. Weil er mit runtergelassener Hose stockbesoffen seiner Ex-Verlobten auf offener Strasse hinterhergerannt ist. FABIAN (kanns nicht glauben) Nix Politisches? JUSTIZRAT LABUDE Doch, er hat zuvor einen Tag lang agitiert, Kundgebungen abgehalten bei Hafenarbeitern und Studenten und so weiter. Aber im Gefängnis sass er wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. 2 Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

93


Tage lang. Ich hab ihn rausgeholt. Hab ihn zurückgebracht, hab versucht zu reden. Er hat versprochen, Leda zu vergessen etcpp. Seit gestern Nacht ist er jetzt aber wieder weg. Können wir ihn gemeinsam suchen gehen? Ich bin sehr beunruhigt.

74.

WOHNUNG FABIAN/ FLUR/CORNELIAS ZIMMER

I/T

entfällt.

75.

EINE HAND, DIE SCHREIBT

I/T

Entfällt.

76.

STRASSEN / VOR LABUDES STADTWOHNUNG/TREPPENHAUS

I/T

Eine Montage: Der Justizrat und Fabian stehen mit einem Hausmeister vor der Wohnungstür von Labudes Stadtwohnung. Die Tür wird geöffnet.

77.

LABUDES WOHNUNG/MONTAGE

I/T

Ordnung im Raum. Völlig unerwartet. Aber kein Labude. LABUDE SENIOR (so unerwartet wie die Ordnung im Zimmer) Es gibt eine Stelle bei Pascal, da spricht er vom tödlichen Vorzeichen der Ordnung.

78.

VOR LABUDES WOHNUNG/STRASSE

A/T

Sie teilen sich offenbar auf.

79.

AUTO/JUSTIZRAT LABUDE

I

A/T

Der Justizrat in seinem dicken Wagen mit Chauffeur unterwegs... Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

94


Erzähler: „Der Strafverteidiger Labude senior, vor Gericht berühmt und berüchtigt, sowie der arbeitslose Dr. Fabian ergeben kein sehr effektives Such-Kommando. Sie fragen überall nach dem Freund, sie spähen aus, telefonieren, jeder für sich. Angst in der Stimme, etwas Panik im Herzen. Der Steinhaufen Berlin gibt ihnen keine Antwort.“

80.

STRASSENBAHN

I/A/T

Fabian in der Strassenbahn, fährt an uns vorbei. Er blickt mehr in sich selbst hinein, als daß er den Freund sucht...

81.

VILLA LABUDE

I/T

Der Justizrat in seiner Villa am Telefon.

82.

STRASSE BERLIN

A/T

Labude, einmal zu sehen. In durchaus ramponiertem Zustand.

83.

FILMSTUDIO / GELÄNDE

A/T

Montage weiter. Fabian steht vor einem Schild des Geländes, versucht, sich zu orientieren. Erzähler: „Am späten Nachmittag findet Fabian sich Stadt wieder, an einem ganz anderen Ort. Studio 3.

ausserhalb

Erzählerin: „Ihm schwant plötzlich, er habe hier heute Verabredung. Tatsächlich. Er hatte sie nur einen halben Tag vergessen, aber jetzt...“

84.

FILMSTUDIO / GARDEROBE / GANG DAVOR

der

eine lang

I/T

Fabian Kommt in ein Studiohaus, ein Gang. Er sieht in einer...

85.

FILMSTUDIO / GARDEROBE

I/T

...Garderobe Cornelia, wie sie sich umzieht, wie sie geschminkt wird.

Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

95


86.

FILMSTUDIO / GANG VOR HALLE

I/T

Fabian folgt ihr heimlich in eine Riesenhalle.

87.

FILMSTUDIO / HALLE

I/T

Montage endet. Irgendwo im riesigen Dunkel eine kleine erleuchtete Dekoration. Es spricht ein Mann. Eine weinende junge Frau verlässt die Dekoration. Cornelia ist dran. Sie hat Fabians Seiten in der Hand. Davor, im Halbdunkel rauchend, sitzen noch zwei Männer, Makart und Chefproduzent Engelmann. Fabian steigt leise eine Treppe zu einer Beleuchterbrücke hoch. Er bleibt an einer Ecke stehen und schaut zu. Makart ist aufgestanden, sucht Techniker und Kameramann werkeln.

für

Cornelia

das

richtige

Licht.

MAKART (zeigt auf die Seiten) Was wird das? Dein Monolog, Darling? Sei nicht aufgeregt. CORNELIA (dazwischen) Ja. MAKART (zu Engelmann) ...Sie ist seit sechs Monaten bei uns. Abteilung Filmrecht. Aber schau dir mal bitte ihr Gesicht an. Die Anatomie! War schlichtweg nicht zu übersehen. ENGELMANN (müde aber zustimmend) Ja. Schön. Hmm. MAKARART (weiter zu Engelmann) Ich hab sie vorbereitet. Verstehste schon, alte Geschichte, die Schöne und das Biest... Er steht jetzt hinter ihr, seine Hände krallen sich etwas in Cornelias Fleisch. Aber da ist auch echte Zärtlichkeit. MAKART Stell dich grade hin. - Jetzt ist sie natürlich nervös! - Setz mal den Hut auf. Cornelia setzt ihren Hut auf. MAKART Wooh! Das ist doch in der Dekoration) sie formen. Obwohl widerspenstig ist,

mal was. (geht zu Engelmann Ich stell mir vor, man kann sie manchmal bissel gell? Aber so ist das halt

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mit den Rohdiamanten. Ist nicht die erste. (Zu Cornelia) Wir lassen den Hut weg! Macht nur Schatten. Wenn du das jetzt nich’ versaust, Darling, dann musst du dir keine Gedanken mehr um die Zukunft machen. Er setzt sich zurück zu Engelmann. Kommandos. Cornelia setzt an.

Es

folgen

die

technischen

CORNELIA BATTENBERG (spricht auswendig, Fabians Text in der Hand) "Lieber Freund - ist es nicht besser, ich gehe zu früh als zu spät? Eben stand ich neben Dir am Sofa. Du schliefst, und Du schläfst auch jetzt, während ich Dir schreibe. Ich bliebe gern, aber stell Dir vor, ich bliebe! Ein paar Wochen noch, und Du wärst recht unglücklich. Solange Du allein warst, und es mich noch nicht gab, konnte Dir nichts geschehen. Es wird jetzt wieder werden, wie es vorher war. Bist Du sehr traurig? Fünfzig Jahre ist er alt, der Andere, und er sieht aus wie ein zu gut angezogener Ringkämpfer im Ruhestand......." Zufahrt auf Makart. Zufahrt auf Fabian oben in seinem Versteck. CORNELIA "... Mir ist, lieber Freund, als hätte ich mich an die Anatomie verkauft. Wenn ich jetzt noch einmal in Dein Zimmer komme und Dich wecke? Nein, ich lass Dich schlafen. Ich werde nicht zugrunde gehen. Ich werde mir von nun an in der strahlenden Welt einbilden, der Arzt untersucht mich. Der Andere will sich immer gern mit mir beschäftigen, anatomisch und psychologisch, es muß sein. Man kommt nur aus dem Dreck heraus, wenn man sich dreckig macht. Und wir wollen doch heraus! - Ich schreibe: Wir. Verstehst Du mich? Ich gehe jetzt von Dir fort, um mit Dir zusammen zu bleiben. Wirst Du mich lieb behalten? Wirst Du mich noch anschauen wollen und umarmen können, trotz dem Anderen? Sonntag nachmittag werde ich, von vier Uhr ab, im Café Spalteholz auf Dich warten. Was soll aus mir werden, wenn Du nicht kommst? « Engelmann ist beeindruckt, steht auf. Makart sitzt wie vom Donner gerührt. ENGELMANN Donnerwetter, das geht ja unter die Haut, Fräulein. Wer hat das geschrieben? - Was? CORNELIA BATTENBERG (nach einer Pause) Ich. An einen Freund. Sie fixiert Makart. Jetzt hätte er die Chance, den schrägen Handel zwischen ihnen beiden zu beenden, sie rauszuwerfen. Aber er hat nicht gemerkt, daß er gemeint ist, oder er will es nicht merken. Er will benutzt werden. Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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MAKART (enthusiastisch) Dichterin ooch noch! Die Anhäufung Ihrer Talente ist ja für’n normal Sterblichen kaum auszuhalten, Fräulein Battenberg.... Fabian ist längst gegangen. Er hat es nicht ertragen.

88.

FILMSTUDIO / GELÄNDE

A/T

Fabian sucht den Weg zurück. Immer wenn er abbiegt, scheint es, als würde er die gleichen Hallen passieren. Einmal steht er vor einem Studiobau im Freien. Ein Dorf. Der bekannte Tinitus-Ton zieht in seinen Kopf. Er Schläfen, läuft schneller, findet endlich den Ausgang.

89.

KAUFHAUS KARSTADT

massiert

die

I/T

Entfällt.

90.

BAHNHOF /ZUGANG ZU DEN GLEISEN

A/T

JETZT 71 F

90 A.

WOHNUNG FABIAN / ZIMMER FABIAN

I/T

JETZT 71 G

90 B.

ZUGABTEIL MUTTER NACH DRESDEN

I/T

JETZT 71 H

91.

CAFÉ SPALTEHOLZ/FENSTERAUSBLICK

A/I/T

Ein neuer Tag. Es hat geregnet. Das Kopfsteinpflaster glänzt, die Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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Bordsteine sind hoch und unregelmässig, an ihrem Sockel haben grosse Pfützen gebildet. Wir sehen, wie die Fußgänger, Männer Frauen auf verschiedenste Art und Weise die Pfützen umgehen überspringen. Allein, zu zweit, zu dritt, mit Regenschirm- ohne. zwei Autos rauschen vorbei. Der Film holt Atem.

sich und oder Ein,

Erzähler: „Wo ist Labude?“ (mehrfach wiederholend) Wir sehen von aussen: Fabian sitzt im bekannten Café und starrt unverwandt nach draussen, manchmal muß er lächeln über die Bemühungen der Passanten, sich die Füsse nicht nass zu machen. In seiner linken Hand eine unangezündete Zigarette. In der Rechten ein Stift, der über der aufgeschlagenen leeren Seite vor ihm schwebt. Währenddessen hört man innen bereits die ganze Zeit: KRÄFTIGE STIMME SCHWERER MANN

(OFF)

Englisches Luftschiff explodiert! Neunjährige aus Fenster gesprungen!(Rascheln; dann leiser:) Strychnin lagerte neben Linsen. - Allet ausser Rand und Band, Mann, Mann, Mann.... Ein prustendes Frau.

Männer-Lachen

dazu

und

das

zartere

Gelächter

einer

Fabian hat einen Kaffee getrunken, sieht sich jetzt um, sieht den schweren lachenden Mann, ein paar Tische weiter: er hat eine Zeitung in der Hand und liest vor, während eine sehr dünne Frau sich allzu sehr an ihn schmiegt: SCHWERER MANN (weiter) ... 140 Tausend Metaller wollen streiken. Da! Wahl des Ministerpräsidenten erneut gescheitert! Nervosität an den Kaffeemärkten! (er blättert lautstark weiter) Pola Negri spricht! Na wat spricht se denn...? Die Frau an seiner Schulter schließt die Augen und hält ihm bettelnd die Lippen hin. Ein Blick zur hingebungsvollen Frau an seiner Schulter. SCHWERER MANN (nebenbei, die Zeitung ist wichtiger) Ick küsse Ihre Hand, Madame! Er lacht wieder, und Fabian wendet sich ab, als sei ihm das Bild zu intim und zu verletzend für die Frau. Er folgt einer anderen jungen Frau, einer Angestellten, fast noch ein Mädchen. Sie ist mit einem Aufnehmer und einem Eimer im Gastraum unterwegs, um etwas fort zu wischen. Sie schaut beim Gehen zu lange zu dem Paar und stolpert, fällt hin. Der Eimer fällt ihr aus der Hand und Wasser schießt über den Boden. Der Blick des schweren Mannes fällt vor allem auf ihren Hintern, als er abwesend einen 20 Mark Schein aus der Tasche nimmt. Die Frau an seiner Seite sucht weiter ängstlich seine Aufmerksamkeit: Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

99


FRAU IM CAFÉ SPALTEHOLZ (leise) Kannst mich überall hinknutschen, du ...! Aber der Mann kriegt den Blick nicht von dem jungen Mädchen los, das sich aufgerappelt hat und nun vom uns bekannten Kellner zurechtgewiesen wird: KELLNER (zischt hörbar) Du blödes Stück, Mensch! Mach's weg und scher dich raus, zum Teufel! Wenn da einer ausrutscht!!... Fabian sieht es. "Soll, muß, kann man sich einmischen?" Er winkt den Kellner vom bedauernswerten Putzmädchen weg, her zu sich: FABIAN Bedienung! Der Kellner reisst sich fast ungern von seinem Dauer-Geschimpfe los und steht an Fabians Tisch. KELLNER
 Noch’n Wunsch?! Fabian schafft es nicht, den Mann zurecht zu weisen oder ein Wort für das Mädchen einzulegen. Er schaut auf das leere Blatt vor ihm auf dem Tisch: FABIAN Antworten Sie mir auf eine Frage: Soll ich hingehen oder nicht? KELLNER
 Wohin meint der Herr? FABIAN Sie sollen nicht fragen, Sie sollen antworten. Ich suche jemanden. Es gibt noch einen Ort, wo die Person sein könnte. Es könnte aber schwierig werden. Soll ich hingehen oder nicht? Die dünne Frau hängt am Arm des Mannes, als die beiden aufstehen und gehen. Er wirft lachend Geld auf den Tisch und schaut dem jungen Mädchen weiter auf den Hintern. Die Frau an seinem Arm lacht so herzerweichend mit, dass klar wird, wie verzweifelt sie diesen Mann und sein Geld braucht, wie wenig sie hat außer ihrem Lachen und ihrem bisschen Körper und ihrem Hunger. KELLNER (währenddessen) Na, wenn Sie mich so fragen, dann ist es wohl besser, Sie gehen nich’. Sicher ist sicher. Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

100


FABIAN (klappt das Heft zusammen
) Gut, vielen Dank. Dann werde ich hingehen. KELLNER Aber ich habe Ihnen doch abgeraten!? FABIAN
 (nickt) Deshalb geh ich ja hin. KELLNER Und wenn ich Ihnen zugeraten hätte, dann wären Sie nich’ gegangen?! FABIAN (steht auf) Doch. Dann auch. KELLNER (ungehalten
) Warum haben Sie mich dann überhaupt gefragt!
? Fabian legt eine Münze hin. Das Putzmädchen hat sich mit Eimer inzwischen aus dem Gastraum getrollt. Fabian sieht, sein kleiner Trick hat gewirkt. FABIAN
 (nickt, gespielt selbstkritische Mimik) Ja. Wenn ich das wüsste.

92.

STRASSE BERLIN 1930

A/T

Entfällt.

93.

VOR INSTITUT ZUR ANBAHNUNG VON BEZIEHUNGEN

A/T

Scheinbar ein Hauseingang wie alle anderen: Fabian schaut auf die Tür, ein Klingeltableau mit Schild. Fabian drückt die Klingel. Ein Summer ertönt. Fabian tritt ein.

94.

INSTITUT REITER "BEZIEHUNGSANBAHNUNG"

I/T

Eine Treppe nach oben..... Das Intérieur Lichtdurchflutet.

eines

Dach-Ateliers.

Es

ist

weiträumig.

Noch ist nicht richtig viel los, Ruth Reiter, die etwa 50-jährige Chefin, "Baronin" genannt, öffnet und nimmt Fabians Mantel ab. Fabian Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

101


will nicht sagen, daß er nur seinen Freund Labude sucht. RUTH REITER Endlich, noch’n Mann! Machs dir bequem. Die Kulp hat gerade gestöhnt, so ginge das nicht weiter. Sie hat zwei Tage keinen mehr gehabt, und der letzte war auch bloß’n Verkehrsunfall. FABIAN Warum? REITER Na, sie ist doch Modezeichnerin, und der Kerl hätte ihr ohne Gegenleistung keinen Auftrag gegeben. Ein beinah impotenter Lebegreis war’s, sagt sie. FABIAN Das sind die Schlimmsten. Die probierens ununterbrochen nochmal, um nachzusehen, ob sich der Schaden inzwischen behoben hat. Fabian blickt sich nach dem Mädchen um, das Kulp heisst. Sie hockt, mit hochgezogenen Beinen, auf einer Chaiselongue und winkt ihm. In der Mitte des Raumes, im von oben einfliessenden Licht, vor einer Reihe von Skulpturen, steht ein rohgezimmerter Tisch, und auf dem Tisch sitzt eine nackte Frau. Ruth Reiter kauert sich Skizzenblock und zeichnet.

auf

einen

Schemel

davor,

nimmt

den

REITER Nachmittag-Akt. Heißt Selow. Neue Position, mein Schatz. Stehend, Beine breit, Oberkörper rechtwinklig drehen. So, jetzt die Hände im Nacken verschränken. Halt! Die nackte Frau, die Selow heisst, richtet sich auf und steht breitbeinig auf dem Tisch. Sie blickt gleichgültig, aus schwermütigen Augen, vor sich hin. SELOW Baron, was zu trinken, mich friert. FABIAN (ist nähergekommen) Wahrhaftig, Fräulein Selow hat überall Gänsehaut. RUTH REITER (unfreundlich) Berühren verboten! Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

102


Fabian zuckt zurück. KULP Ja, ja, Hand von der Butter. Der Baron ist eifersüchtig. Die hat mit ihr ein gutgehendes Verhältnis. REITER (zeichnend) Halt den Rand! Aus den hygienischen Räumlichkeiten im Hintergrund kommt plötzlich ein bereits wieder betrunkener Labude in den Raum. Er sieht Fabian nicht und wirft sich geradezu auf das Mädchen namens Kulp. REITER Labude, wenn Sie mit der Kulp was Unaufschiebbares vorhaben, dann genieren Sie sich nicht. Ich hab nur den einen Raum, aber der ist ja Kummer gewöhnt. LABUDE (lallt) Ich hege moralische Bedenken, hier öffentlich... KULP (traurig, schaut ihn an, streichelt die Wange) Was es so alles gibt. Fabian sieht: Fräulein Kulp fühlt sich bei Labude nicht unwohl. Reiter blickt vorübergehend von ihrem Block hoch und schaut Fabian an. REITER Falls Sie sich beteiligen wollen: Ihr braucht weiter nix (dazu) als ‘n Groschen. Labude wählt Wappen. Sie nehmen Zahl. Die Kulp wirft den Groschen hoch, das regt ihr Sonnengeflecht an. Und wer oben liegt, hat den Vortritt. KULP (ruft) N’ Groschen? Du verdirbst mir die Preise!

FABIAN Ich bin kein Freund von Glücksspiel. SELOW (stampft mit dem Fuß auf) Was zu trinken! REITER Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

103


Holt ihr mal jemand was!? Letzte Position, Schatz. Rumpfbeuge vorwärts, ja, Knie einknicken, Gesäß raus, Hände auf die Knie, gut, halt! Fabian hat dem Modell Selow etwas zu trinken geholt. Labude ist bei der Kulp kurzfristig eingeschlafen. KULP (gerührt/Blick zu den anderen) Och.... FABIAN (kommt hinzu) Verzeihung. Ist ein guter Freund von mir. Danke, daß Sie sich so lieb um ihn kümmern, ich sollte ihn mit heimnehmen. KULP Seit gestern früh isser hier... Als Fabian ihn anheben will, wird Labude wach. Er erkennt den Freund nicht. LABUDE (zu Fabian) Ich habe Geld! Ich kann zahlen. Wir müssen noch die Vereinssatzung formulieren. Alles Künstlerinnen hier, alle brauchen Unterstützung! Motto: DAS LEBEN IST EINE SCHLECHTE ANGEWOHNHEIT. Und hält Fabian ein Papier hin, das aber nicht nach Geld und auch nicht nach Vereins-Satzung aussieht. Fabian entfaltet es: es trägt einen Briefkopf der Universität. Erzähler: „Fabian hatte von seiner Mutter gelernt, es sei ungehörig, fremde Post zu lesen. Also unterdrückte er seine Neugierde, nahm den Brief aber vorläufig in Obhut.“ An der Tür klingelts. Ruth Reiter richtet sich auf und geht hinaus. Frau Selow zieht sich Strümpfe an. Ein riesiger Mann kommt durch die Tür. Er atmet keuchend, ist leichenblass, hat ein Holzbein und geht an einem einstmals teuren Stock. TODKRANKER MANN Ist die Kulp da? Die Reiter nickt. Der Mann zieht Geldscheine aus der Tasche. TODKRANKER MANN Ihr andern solltet ‘ne Stunde verschwinden. Die Selow kannst du mir auch noch dalassen. Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

104


"Die Selow" und der Baron schauen entsetzt. Der Mann sinkt auf einen Stuhl. TODKRANKER MANN (lacht schwerfällig) Nein, nein, Baron, nur ein Witz. Kulp kommt von der Chaiselongue mit Labude, streicht sich das bisschen Unterkleid, was sie anhat, glatt und gibt dem Mann artig die Hand. KULP Tag, Wilhelmy, noch immer nicht tot? Wilhelmy- der Todkranke- wischt sich den Schweiß von der Stirn, lacht und schüttelt den Kopf. WILHELMY Nee. Lang kann’s aber nicht mehr dauern. Sonst ist das Geld früher zu Ende als ich. Er gibt ihr auch gleich ein paar Geldscheine. Selow, halb angezogen, trinkt und schaut. WILHELMY Selow, sauf uns den Gin nicht weg! BARON Und zieh dich schneller an! Raus! Komm! KULP (zu den anderen) Geht in die "Cousine". Ich komm nach. Dann rüttelt sie Labude, der zwischenzeitlich wieder weggenickt war, munter. Fabian starrt nach wie vor auf den Brief in seiner Hand. KULP (zu Labude) Du, hier is’ einer, dem die Ärzte erzählt haben, daß er noch in dem Monat stirbt. Der lauert auf den Tod wie unsereiner auf die Periode. Ich helf ihm n’ Viertelstündchen beim Warten. Geht ma’ voraus. Später treff ich euch wieder. Labude steht mit Fabians Hilfe auf. Die Reiter holt ihren Mantel. Selow ist mit Anziehen fertig. Sie gehen. Der Todeskandidat und die Kulp bleiben zurück. Die Tür des Ateliers schliesst sich.

95.

INSTITUT FÜR ANBAHNUNGEN / STRASSE DAVOR Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

A/DÄMMERUNG 105


Die Truppe kommt aus dem Haus. REITER (zu den anderen) Hoffentlich prügelt er sie nicht so sehr wie beim letzten Mal. Er ist sauer, daß Andere länger leben dürfen als er. SELOW Die hat aber nix dagegen, die liebt die Keile. Und außerdem, nur von ihrer Zeichnerei kann sie nich’ leben. REITER (lacht wütend) Jaaa!! Feine Berufe haben wir! Labude drängelt den Frauen hinterher. Fabian bleibt an ihm dran. Will mit ihm sprechen, aber Labude entzieht sich ihm. Irgendetwas in seiner zugesoffenen Birne sagt ihm wohl, es droht seelisches Ungemach von Fabian.

96.

"KLUBLOKAL COUSINE"

I/N

Die "Cousine" ist ein Klublokal, in dem vorwiegend Frauen verkehren. Zunächst kein Dialog, nur die schwungvolle Musik. Sie tanzen miteinander. Sie sitzen Arm in Arm auf kleinen grünen Sofas. Sie sehen einander tief in die Augen. Sie trinken Schnaps, und manche tragen Smokingjacken und hochgeschlossene Blusen. Die Inhaberin raucht schwarze Zigarren und vermittelt Bekanntschaften. Sie geht von Tisch zu Tisch, begrüßt die Gäste, erzählte handfeste Witze. Fabian erkennt in einer Frau die angelehnte Schauspielerin aus dem Filmstudio. Labude ist etwas präsenter und scheint sich nun vor Fabian und sich selber etwas zu schämen. Er tanzt mit Selow, setzt sich dann ihr an die Theke und dreht dem Freund den Rücken zu. Ruth Reiter eifersüchtig, nimmt sich aber zusammen. Sie blickt ganz selten zu Bar, sieht blaß aus und beginnt still zu trinken.

vor mit ist der

Fabian hält immer noch den Brief von der Uni in der Hand. REITER (muß mit jemandem sprechen...) Ich sehs Ihnen an. Sie halten alle Frauen, die hier versammelt sind, für Abnormitäten, stimmts? Die Blondine da drüben war jahrelang die Freundin von nem Schauspieler, bis der sie ruckartig an die Luft gesetzt hat. Dann ging sie ins Büro und schlief mit dem Prokuristen. Kriegte’n Kind und verlor den Posten. Der Prokurist leugnete die Vaterschaft. Das Kind wurde aufs Land gegeben. Die Blondine bekam ne neue Stellung. Aber sie hat, vielleicht für immer, zumindestens für vorübergehend, von den Männern genug. Wen wunderts? (Sie blickt sich Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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um.) Die Eine findet keinen Mann, die Andere findet zu viele, die Dritte hat panische Angst vor den Folgen. Hier sitzen viele Frauen, die mit den Männern nur böse sind. Die Selow gehört auch zu der Sorte. Sie ist momentan lesbisch, weil sie mit dem andern Geschlecht schmollt. Da geht die Tür auf und Kulp taumelt ins Lokal. Vor Ruth Reiters Tisch bleibt sie stehen und öffnet den Mund. Sie schreit nicht......Sie bricht zusammen. Die Frauen drängen sich um die Ohnmächtige. Die Lokalchefin bringt Whisky. REITER (zur "Cousine") Der Leichnam hat sie wieder geschlagen. EIN MÄDCHEN Ein Hoch auf die Männer! LOKALCHEFIN Ja. Holt den Doktor aus’m Hinterzimmer! Der Klavierspieler intoniert den Trauermarsch von Chopin. Der Doktor kommt: Durch die Seitentür tritt eine große, magere Dame im Abendkleid, das Gesicht gleicht einem weißgepuderten Totenkopf. LABUDE (zu Fabian) Ein medizinisch gut vorgebildeter Mann. War sogar mal Korpsstudent. Schau auf die Schmisse unterm Puder? Jetzt ist er Morphinist und hat polizeiliche Erlaubnis, Frauenkleidung zu tragen. Er lebt davon, daß er Morphiumrezepte verschreibt. Irgendwann werden sie ihn erwischen, und dann vergiftet er sich. Sagt er. Man trägt währenddessen zu mehreren die Kulp wie eine Christus-Figur ins Hinterzimmer. Der Doktor im Abendkleid folgt. Ein Akkordeonspieler beginnt einen langsamen Tango. Ruth Reiter packt sich jetzt die Selow zum Tanz, presst die Freundin eng an sich und redet heftig auf sie ein. Die Selow ist aber völlig betrunken, hört kaum zu und schliesst die Augen. FABIAN (zu Labude) Wie kommst du eigentlich in diesen Saustall? LABUDE Ruth Reiter und ich sind in die gleiche Schule gegangen. FABIAN Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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Das ist nicht glaubwürdig.... LABUDE (lacht) Sie war Lehrerin am Gymnasium. Und warum nennst du das einen Saustall? Im Atelier sind doch die Frauen so, wie wir sie haben wollen. Oder nicht? Sie sollen zwar kommen und gehen, wann wir das wollen. Aber sie sollen auch weinen, wenn wir sie wegschicken. Und sie sollen selig sein, wenn wir ihnen winken. Wir wollen den Warencharakter der Liebe, jawoll, aber die Ware soll verliebt in uns sein. Wir sind zu allem berechtigt und zu nichts verpflichtet, Sie sind zu allem verpflichtet und zu nichts berechtigt. So sieht das Männer-Paradies aus. Labude hat Tränen in den Augen. LABUDE Aber wenn sie uns nicht behalten dürfen, dann wollen sie uns auch gar nicht lieben. Und wenn wir sie uns kaufen wollen, dann sollen wir teuer dafür bezahlen. Recht haben sie. Plötzlich reisst die Selow sich von dem Baron los, überquert schwankend das Parkett, schlägt den Klavierdeckel zu und brüllt: SELOW Nein! Stille. Reiter allein ineinandergekrampft.

auf

der

Tanzfläche,

die

Hände

SELOW Nein! Ich hab genug davon. Nicht weiter!! Ich will einen Mann haben! Einen Mann will ich haben! (Zu Reiter) Steig mir doch den Buckel runter, du geile Ziege! Sie zerrt Labude vom Stuhl, gibt ihm einen Kuß, presst sich den Hut auf den Kopf und zieht ihn, kaum daß er seinen Mantel mitnehmen kann, zur Tür. SELOW (schreit) Es lebe der kleine Unterschied! Labude verneigt sich am Ausgang vor ihr, eine tanzartige Bewegung, er läßt ihr den Vortritt raus. Noch ein Blick Labudes zu Fabian. Dann sind die beiden verschwunden. Fabian geht ihnen nach einigen Augenblicken mit dem Brief nach. Ruth Reiter steht noch immer auf dem Tanzparkett. Niemand wagt es, Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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sich zu nähern.

97.

VOR LABUDES STADTWOHNUNG

I/N

Fabian steht davor und klingelt. Und klingelt. Nichts rührt sich. Das Treppenhauslicht geht aus. Man sieht Licht in der Wohnung unter der Tür durchschimmern. FABIAN Stefan! Ich hab doch den Brief!! Von der Uni!! Stefan!!! Wohin jetzt mit dem Brief? geht.

98.

Er schiebt ihn unter der Tür durch. Und

LABUDES STADTWOHNUNG

I/N

Ein Schwenk durch die leere Wohnung. Hell erleuchtet. Im Schwenk platzt mit einem lauten Knall die Birne, die den Raum erleuchtet. Zu lang gebrannt. Wir hören Fabians Schritte die Treppe hinab. Im Dunkel erkennen wir Labude, der an die Tür geht. Er nimmt den Brief wieder an sich.

99.

VOR UNIVERSITÄT

I/T

entfällt.
 100.

UNIVERISITÄT/SEKRETARIAT

I/T

entfällt.

101.

TREPPE DER UNIVERSITÄT

A/T

Entfällt.

102.

CAFÉ SPALTEHOLZ / STRASSE DAVOR

A/I/T

Heute voll und viel Palaver in der Luft. Die Kamera schärft auf die Glasscheibe und man sieht Fabian da draussen stehen, als stünde er schon Minutenlang da und zögerte, hineinzugehen. Nach ein paar Sekunden ein Zoom ins Café, exakt auf Cornelias Gesicht, die gerade Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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hochblickt und ihn anschaut. Erzähler: „Cornelia saß da, als warte sie seit Jahren.“ 103.

CAFÉ SPALTEHOLZ

A/I/T

Fabian geht durchs Café. Erzähler: „Die automatischen Klaviere im Spalteholz dröhnten wie üblich, der Saal war voll, die Temperatur erreichte fast 30 Grad Celsius, das Barometer zeigte eine Tendenz zur Veränderung..." Fabian setzt sich. Fräulein Cornelia Battenberg nimmt seine Hand. CORNELIA Ich hab nicht geglaubt, daß Du kommst. Er schweigt und schaut an ihr vorbei. CORNELIA (flüstert) Es war nicht recht von mir zu gehen, nicht wahr? Tränen fallen in ihren Kaffee. Sie schiebt ihn beiseite und trocknet sich die Augen. Dann nickt sie. Kleines triumphierendes Lächeln bei Fabian. Er schaut konsequent an ihr vorbei. Draussen heute keine Pfützenspringer. CORNELIA Warum siehst du mich nicht an? Sie presst das Taschentuch vor den Mund und ihr Weinen klingt, als wimmere weit entfernt ein verzweifeltes Kind. Ihre Augen zittern vor Aufregung. Er sitzt und schweigt. CORNELIA (Flüstert wie im Selbstgespräch) Was soll bloß aus mir werden. - Was soll bloß aus mir werden? FABIAN (laut) Eine unglückliche Frau, der 's gut geht. Bist du nicht deswegen nach Berlin gekommen? Hier wird einem nix geschenkt, hier wird getauscht. Wer haben will, muß dafür geben. Ein Kellner schaut. Cornelia nimmt die Puderdose aus der Tasche, lässt sie dann aber ungeöffnet liegen. Draussen steht heute ein dickes Auto mit wartendem Chauffeur. FABIAN Du hast ‘nen einflußreichen Menschen gefunden, Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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der dich finanziert. Er gibt dir auch eine berufliche Chance. Du wirst Erfolg haben. Dadurch verdient er sich das Geld zurück, das er in dich reingesteckt hat; auch für die Männer, von denen er dich Tag und Nacht überwachen lässt. Draussen steht wieder so einer. Mit Chauffeursmütze diesmal. - Du wirst auch selber Geld verdienen, und eines Tages wirst du ihm sagen: Lebewohl mein Herr, wir sind quitt. Und gehst. Cornelia betrachtet ihn, dann klappt sie die Puderdose doch auf, mustert sich in dem kleinen runden Spiegel und fährt mit der weißen stäubenden Quaste über ihr verweintes, kindlich erstauntes Gesicht. CORNELIA Fahren Sie fort, Herr Fabian. FABIAN Was dann werden wird, wenn du Makart nicht mehr brauchst... Du wirst arbeiten, der Erfolg wird sich vielleicht steigern, der Ehrgeiz wird wachsen, die Absturzgefahr nimmt zu. Und es findet sich immer wieder ein Mann, der einer Frau den Weg versperrt, und mit dem sie sich langlegen muß, wenn sie über ihn hinweg weiterkommen will. Du wirst dich daran gewöhnen, den Präzedenzfall hast du ja jetzt in den letzten Tagen hinter dir. CORNELIA Ich dachte, wir sind eine Bande? Ich dachte, wir sind gewissenlos. FABIAN Ungerührt) Zwei sind keine Bande. Und zu besprechen wär auch noch die Vergangenheit. Du hast mich nicht wirklich gefragt, als du gegangen bist, du wolltest nur mein Einverständnis damit du ein gutes Gewissen hast. Du wolltest daß ich ein Halunke bin, dein Zuhälter, wenn du zum reichen Mann gehst. Du wolltest, daß ich darauf brenne, ‘ne Geliebte zu haben, die in anderen Betten das Geld verdient, das ich nicht habe. Wenn du recht hast, dann war ich, bin ich ein Halunke. So. - Und wenn ich aber doch gar kein Halunke war, dann war alles falsch. Cornelia hört Fabian zu, wie er sich selbst betrügt. CORNELIA (nach kurzem Nachdenken) Ja. Stimmt. Es war alles falsch. Sie steht auf, legt Geld hin und verlässt das Café. Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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104.

DIE HAND, DIE SCHREIBT entfällt.

105.

VOR CAFÉ SPALTEHOLZ

A/T

Fabian folgt ihr, geht neben ihr zu dem grossen Auto mit Chauffeur. Erzähler: "Er folgte ihr und war mit sich sehr unzufrieden. Er kränkte sie, weil er ein Recht dazu hatte, aber war das ein Grund?" Sie öffnet ihm die Tür, sie steigen ein. Sie gibt dem Chauffeur ein Zeichen: vorne auf dem Beifahrersitz steht ihr Grammophon. Der Chauffeur zieht es auf, eiernd hören wir während des folgenden Gesprächs eine Platte... FABIAN Wenn du mich jetzt fragst, ob du zu mir zurückkommen sollst, was würd ich antworten? Ich würde sagen: Ja. Und zwar weil ich nur noch sechsundfünfzig Mark in der Tasche habe. CORNELIA Es war so schrecklich gestern und vorgestern und am Tag davor, nach dem Vorsprechen. Er war derart widerwärtig! Aber jetzt bräuchten wir ja keine Sorgen mehr zu haben, dachte ich immer. Aber was fang ich an, wenn ich weiß, du willst mich nicht mehr sehen? Wozu war das dann alles gut...? FABIAN Für dich ist es gut. Ich habs kapiert. Das Rezept, das Du beschlossen hast, für Dein Leben anzuwenden, heißt: hack dir selber den Kopf ab, aber gib acht, daß es nicht umsonst war. Und entschuldige, daß ich dich vorhin so gekränkt habe. Der Chauffeur vorne schnarrt etwas von "Sie haben einen Termin". CORNELIA Ja,ja. - Komm fahr ein Stück mit. Es ist schön zu fahren. - Musik!! Sie gibt dem Chauffeur ein Zeichen. Er wirft das Grammophon Cornelias, das auf dem Beifahrersitz vorne steht an. Musik: "Immer wenn ich glücklich bin!". Sie fahren los. Wenn die Strasse holprig ist, eiert die Musik oder der Saphir springt.... Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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CORNELIA (grinst, leise) Heut Abend komme ich nochmal, ohne den. FABIAN Ich weiß nicht, ob ich zu Hause bin. Es ist gut jetzt. Alles gesagt. - Hast du die Rolle bekommen? CORNELIA Ja. Stell dir vor, ich soll die Frau von einem Manne sein, der mir abverlangt, daß ich mich dauernd verändere. Er ist ein kranker Mensch und er zwingt mich, mal ein unerfahrenes Mädchen und mal ‘ne raffinierte Frau zu spielen, mal ein ordinäres Weib und dann wieder ein hirnloses Luxusgeschöpf. Und dabei stellt sich aber raus, daß ich ein ganz anderes Wesen bin, als ich selbst glaube. Und ich veränder’ mich immer weiter und erst dadurch werd ich das, was ich eigentlich schon immer war: Gemein und herrschsüchtig. FABIAN (nicht ganz unbeeindruckt) Ist die Idee von Makart? (noch leiser) Cornelia, der Mann ist gefährlich. Er wird dich die Verwandlung spielen lassen, und insgeheim wird er mit sich selber wetten, ob du nicht auch so wirst. CORNELIA Das wär kein Unglück. Solche Männer wollen ja benutzt werden. Die Rolle wird ein Privatkursus für mein ganzes Leben werden. Fabian beobachtet den Schofför, der fortwährend in den kleinen konkaven Sucherspiegel blickt. Er hört nichts aber er starrt sie an. Erzähler: „Sie senkte die Stimme und sagte: »Achtung, der Schofför paßt auf." FABIAN Was ist los? Können Sie Lippenlesen? Was starren Sie denn so. - Deine Gouvernante wird uns noch an’n Baum fahren. - (schreit den Chauffeur an) Vorn ist doch die Musik!! Herr Gefängnis-Inspektor! CORNELIA (lehnt sich schüchtern an ihn) Ich komm auf alle Fälle zu dir, vielleicht kannst du mich brauchen. Ich hab Arbeit - du hast keine. Ich liebe dich jeden Tag mehr, du mich immer weniger. Wir ergänzen uns doch. Das Auto hält. Fabian steigt wortlos aus. Der Gefängnisinspektor will weiterfahren. Cornelia steigt aber auch aus, umarmt Fabian, mitten auf Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

113


der Strasse, küßt ihn, flüstert: CORNELIA (Auch sie weiß, daß er keine Arbeit hat) Gestern wollte ich dich in deinem Büro besuchen und dir Schokolade bringen. Ich hatte ganz vergessen, daß sie dir gekündigt haben...Hier. Sie gibt ihm zwei Tafeln und rennt zum Auto zurück. Fabian wischt sich mit der Hand über den Mund und ekelt sich. Wen hatten Cornelias Lippen berührt?

106.

TELEFONHÄUSCHEN AN STRASSE

A/T

Fabian steht in einem der blau-gelben Telefonhäuschen und hat den Hörer am Ohr. Dahinter ist eine lang gestreckte Wand mit hunderten Plakaten verschiedener Bars und Varietés zu sehen. 
Und darunter das bereits bekannte: "Lernt Schwimmen!" Fahrt entlang der Wand zu Fabian hin. FABIAN Hallo? Ja. Der Name ist Labude. 
Verbinden sie mich einfach. Danke. (Pause) Es geht niemand ran? Es gibt Hausangestellte. Da geht immer jemand ran. Ich habe erst Gestern... - Nein, ich weiß, dass Sie nichts dafür können! 
(lauter) 
Ich entschuldige mich ja. Ent-schuldi-gung! 
 Fabian knallt den Hörer auf die Gabel und legt die Stirn gegen das Telefonhäuschen.

107.

WOHNUNG FABIAN / FLUR/ZIMMER CORNELIA

I/N

Fabian betritt vorsichtig die Wohnung. Obwohl er behutsam geht, knarzt bei jedem Schritt eine Diele. Er nähert sich Cornelias Tür, öffnet sie... 
Es ist erleuchtet. Ein geöffneter Koffer auf dem Boden. Aus der Schranktür tritt ein Mann, der seine Kleider einordnet. Fabian entschuldigt sich, schliesst die Tür.

108.

WOHNUNG/ZIMMER FABIAN

I/N/T

Wieder in seinem Zimmer. Fabian schreibt. Und isst die Schokoladen. Erzähler: „Er hatte, durstig, ein Gefäß in der Hand gehalten und es nicht tragen mögen, weil es leer war. Da, als er es kaum noch hoffte, war das Schicksal gnädig gewesen und hatte das Gefäß gefüllt. Er hatte sich darüber geneigt und endlich trinken wollen.“ Erzählerin: „Nein, hatte da das Schicksal gesagt, nein, du wolltest ja den Becher nicht halten, und das Gefäß war ihm aus den Händen Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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geschlagen worden, geflossen.“

und

das

Wasser

war

über

seine

Hände

zur

Erde

Erzähler: „Er war wieder frei. Hurra.“ (oder: „Hurra. Er war wieder frei.“) Nächster Morgen: Die Tür wird aufgerissen. Fabian wird schlagartig wach. Frau Hohlfeld steht mit strengem Blick neben dem Bett. FRAU HOHLFELD
 Ihre Mutter hat mich gebeten ein bisschen auf Sie Acht zu geben. Und jetzt möchte die Polizei Sie sprechen.

109.

WOHNUNG FABIAN / FLUR / EINGANGSTÜR

I/T

Zwei Polizisten stehen in der Eingangstür der Wohnung. Fabian steht vor ihnen im Flur. Hinter ihm die Vermieterin Hohlfeld und Cornelia. POLIZIST Name? FABIAN 
Jakob Fabian. Was ist los? POLIZIST 
Kennen Sie einen Herrn Stefan Labude?
 Fabian schaut kurz zurück zu Frau Hohlfeldt. FABIAN
 Ja, er ist ein sehr guter Freund. Was ist mit ihm?

110.

VILLA LABUDE / EINGANG / SALON / ZIMMER LABUDE

I/T

Ein fremder Mann öffnet Fabian. FABIAN Mein Name ist Jakob Fabian, ich bin ein Freund von Herrn Labude junior. FREMDER MANN Endlich. Ich bin Kriminalkommissar Donath. Wir kommen ohne Sie nicht weiter.

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115


In grossen Wohnzimmer des Hauses sitzen fünf mehr oder weniger junge Damen und ein Polizist steht dabei. Fabian erkennt die Selow, die Kulp und den Baron Reiter. Kurzer Gruß. Das Zimmer ist durcheinandergebracht, Gläser und Flaschen liegen am Boden. Draussen im Garten sieht Fabian durch die grossen Fenster die schwarzen abgebrannten Fackeln, die noch dort stehen. SELOW Endlich... Oben in Labudes Zimmer steht ein junger Mann vom Schreibtisch auf. KRIMINALKOMMISSAR DONATH (stellt vor) Mein Assistent. Fabian blickt sich um und erschrickt. Auf dem Sofa liegt Labude, kalkweiß, mit geschlossenen Augen. Er hat ein Loch in der Schläfe. FABIAN (geht nahe heran, setzt sich neben ihn) Stefan....Aber Stefan. - Das macht man doch nicht. KOMMISSAR DONATH Herr Labude hat für Sie einen Brief hinterlassen. Wir bitten Sie, den Brief zu lesen und uns über den Inhalt zu unterrichten. Wir teilen Ihre Vermutung, daß es sich um einen Selbstmord handelt. Die fünf jungen Damen, die wir hier zurückbehalten haben, behaupten, im Nebenzimmer gewesen zu sein, als der Schuß fiel. Aber ganz aufgeklärt scheint der Vorfall noch nicht. Sie werden bemerkt haben, daß das Wohnzimmer demoliert worden ist. Der Kriminalassistent reicht Fabian einen Briefumschlag, der auf einen neuen Notizblock geklammert ist. "Für Fabian" steht darauf. KRIMINALASSISTENT Wollen Sie so freundlich sein und den Brief lesen? Die Damen behaupten, das Zimmer ist im Laufe einer privaten Meinungsverschiedenheit in Unordnung geraten. Doktor Labude hat damit angeblich nichts zu tun gehabt. Er sei nicht einmal dabeigewesen, er war zuvor in das Zimmer hier gegangen, er wolle einen Brief schreiben. KRIMINALKOMISSAR DONATH Die Damen - wie sich aus Andeutungen entnehmen lässt- stehen in einigermaßen ungewöhnlichen Beziehungen zueinander. Ich vermute, es gab eine Art Eifersuchtsszene. Sie haben, nach dem Schuss, und das spricht gegen ihre Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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Mittäterschaft, sofort die Polizei verständigt und hier gewartet, anstatt wegzulaufen. Wollen Sie, bitte, den Brief lesen? FABIAN
 Ist es möglich ihn bis morgen hier zu lassen? Damit sich sein Vater verabschieden kann. Er ist auf Reisen. Morgen kommt er wieder. KRIMINALASSISTENT Laut Vorschrift müssen wir... Donath unterbricht seinen Kollegen. KOMMISSAR DONATH Das geht in Ordnung. Fabian nickt dankbar. Er öffnet das Kuvert und nimmt den gefalteten Briefbogen heraus. Dabei fällt ein Banknotenbündel zur Erde. Der Assistent hebt es auf und legt es aufs Sofa. KRIMINALKOMISSAR DONATH Wir warten nebenan. Fabian sieht auf den toten Freund, dessen gelbes Gesicht genau unter einer Lampe liegt. Der Mund ist ein wenig geöffnet, der Unterkiefer gibt nach. Fabian legt auf Labudes Schallplattenspieler Godwin auf: “Immer wenn ich glücklich bin...”

110 A.

die

VILLA LABUDE/ SALON

Platte

von

Paul

I/T

Unten im Salon blicken die Damen auf. Es folgt ein kurzer, improvisierter Aufstand gegen die Polizisten. "Wieso halten Sie uns hier noch fest?!!"- "Polizeistaat!"- "Wir müssen Geld verdienen!!" Kulp bietet sich auch an: "Willst du mich ...Dann musst du zahlen! Willst du mich nicht, lass mich gehen..." Die Polizisten sind überfordert. Dazu die Musik im OFF.

110 B.

ZIMMER LABUDE/VILLA LABUDE

I/T

Fabian sieht den überfüllten Aschenbecher und eine am Boden liegende Achter Billardkugel. Er nimmt einen von Labudes Zigarettenstummel und zündet ihn für sich noch einmal an, zieht daran. Dann faltet er den Briefbogen auseinander und liest: LABUDE (OFF): "Mein lieber Freund, dass man lebt, ist purer Zufall. Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

117


Dass man stirbt, ist dagegen gewiss. Ich weiß, dass bedeutende Männer auch schlechte Schüler und unglückliche Liebhaber waren. Aber wenn ich meinen augenblicklichen Zustand betrachte, kann ich nur sagen: die ganze Richtung passt mir nicht.... " Der Kommissar öffnet leise die Tür. KOMMISSAR Entschuldigen Sie, daß ich wieder störe. Fabian reicht ihm den Brief. Pause. Musik. KOMMISSAR (liest, dann:) Da kann ich ja die Mädchen nach Hause schicken. Er gibt den Brief zurück und geht ins Nebenzimmer. KOMMISSAR (ruft) Die Sache ist erledigt, ich will Sie nicht länger aufhalten! RUTH REITER Nur noch einen Augenblick! Nur noch einen Augenblick! Ich habe ein Faible für Tote. Die fünf Frauen stürmen in unterschiedlichem Tempo die Treppe hoch, drängen sich durch die Tür und stehen schweigend vor dem Sofa. SELOW Man müßte ihm die Kinnlade hochbinden. Die Bildhauerin Reiter läuft in ein anderes Zimmer und kehrt mit einer Serviette wieder. Sie bindet Labude den Unterkiefer hoch, der Mund schließt sich, und sie knüpft die Serviette auf seinem Kopf zu einem Knoten. SELOW (lacht bösartig) Ein Toter mit Zahnschmerzen. RUTH REITER Es ist eine Schande. Bei mir im Atelier sitzt der halbtote Wilhelmy und wird von Tag zu Tag gesünder, das Schwein, obwohl die Ärzte jede Hoffnung aufgegeben haben. Und dieser kräftige junge Kerl hier bringt sich um die Ecke. Dann schiebt der Assistent die Frauen aus dem Zimmer. Fabian streicht dem Toten behutsam über die Stirn und lächelt Labude zu, als wolle er ihn jetzt noch trösten. Der

Kommissar

setzt

sich

an

den

Schreibtisch

Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

und

entwirft

einen 118


Polizeibericht. Der Assistent kommt mit dem Hausdiener zurück und bückt sich. Die Geldscheine sind vom Sofa gefallen und liegen wieder auf der Erde. Er hebt sie auf und steckt sie Fabian in die Tasche. FABIAN Sind die Eltern schon verständigt? ASSISTENT Justizrat Labude ist bislang nicht erreichbar, er befindet sich auf einer kleinen Reise... FABIAN (dazwischen) Das weiß ich, ich sagte Ihnen ja... ASSISTENT (weiter) .... das Hauspersonal weiß nichts Näheres. Die Mutter ist in Lugano. Man hat ihr depeschiert. DIENER Ich hab keine Ahnung, wo der Justizrat sich momentan aufhält. Aber er wirds ja in der Zeitung lesen. FABIAN (ungläubig) Es steht schon in der Zeitung? DIENER Ja. Wie gesagt, die gnädige Frau ist benachrichtigt. Sie dürfte morgen mittag in Berlin eintreffen, wenn ihr Zustand die Reise gestattet. Ihr Zug ist JETZT um diese Stunde in Bellinzona. FABIAN Gehen Sie ruhig. Ich bleibe die Nacht über hier. Er zieht den Stuhl zum Sofa. Die Anderen verlassen das Zimmer. Fabian ist allein. Die Musik schweigt.

111.

VILLA LABUDE / EINFAHRT

A/T

Der Fall ist kriminalistisch erledigt. Die Damen werden zu einem Wagen gebracht. Der Baron weint. Die Selow hält sie fest umarmt, physisch und psychisch Beistand anbietend. Personal steht vor der Tür, der Diener. Die Polizisten fahren mit ihren Wagen weg.... Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

119


112.

VILLA LABUDE / SALON

A/I/T

Neben Fabian dreht sich die Schallplatte konstant leer weiter. LABUDE (OFF): "... Dort, wo ich hingehöre, wollte man mich nicht mehr. 
Ich habe meine Ideale verloren. Ich habe Leda verloren. Meine Arbeit wurde abgelehnt. Das hält mein Ehrgeiz nicht aus, das bricht meinem Kopf das Herz und meinem Herzen das Genick, Jakob. Ich bin eine lächerliche Figur geworden, ein in den Fächern der Liebe und Beruf durchgefallener Menschheitskandidat. Laß mich den Kerl umbringen. " Wir sehen Fabian allein in der grossen Villa. Als gehöre sie nun ihm. Der eigentliche Hausherr liegt tot in seinem Zimmer.

113.

VILLA LABUDE / FOYER

I/T

Die Sonne strahlt nun hell durch die Fenster ins Foyer des Hauses. Fabian blinzelt, er hat etwas geschlafen, beobachtet, auf dem Hof einen Wagen. 
 LABUDE (OFF): "...Es kommt nicht plötzlich. Der Wind dreht sich. Auch wenn du das nicht gerne lesen wirst. Darüber nachgedacht habe ich schon länger. 
Bitte behalte das aber für dich. Die Abgründe eines Sohnes, muss der Vater nicht immer wissen.... Lehrer hätte ich werden müssen, nur Kinder sind für Ideale reif. Also, Jakob, leb wohl. Fast hätte ich ganz ernsthaft hingeschrieben: Ich werde oft an Dich denken. Du bist der einzige Mensch, den ich lieb hatte, obwohl ich ihn kannte..."

113 A.

VILLA LABUDE / EINFAHRT

A/T

Labude Senior steigt aus. Hastig läuft er zur Eingangstür. Fabian geht auf ihn zu und gibt ihm die Hand.

114.

VILLA LABUDE / ZIMMER LABUDE

I/T

Labudes Vater und Fabian stehen vor Labudes Leiche. 
 Weiter LABUDE (OFF): "....Ich würd dich gerne bitten, meine Angelegenheiten zu regeln, aber es gibt nichts, was der Regelung bedarf. Die Wohnung Nummer Zwei in der Stadt sollen meine Eltern auflösen. Meine Bücher gehören alle Dir. Ich fand vorhin in meinem Schreibtisch zweitausend Mark, nimm das Geld, viel ist es nicht. Und damit du jetzt nicht zu gut über mich denkst: Ich habe versucht, Dir Deine Braut weg zu kaufen. Sie hat abgelehnt. - Leb wohl und besser als ich. Und bitte schreib! Schreib, wie es war und wie es hätte sein können. Dein Stefan." JUSTIZRAT LABUDE Er hat gewusst, was er tat. Und wenn er es für das klügste hielt , brauchen die anderen nicht Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

120


zu weinen. Ich war kein Vater, der für den Sohn lebt. Ich bin ein vergnügungssüchtiger älterer Herr, der in das Leben verliebt ist. Und dieses Leben verliert seinen Sinn keineswegs durch diese Tatsache. 115.

VILLA LABUDE / FOYER / EINFAHRT

I/A/T

Etwas später: Labudes Leichnam wird von zwei Bestattern in einem Sarg in einen Wagen geladen. Fabian und der Justizrat Labude stehen daneben. 
Fabian schaut zu Labudes Vater, der Tränen in den Augen hat.

116.

VILLA LABUDE / WOHNZIMMER

I/T

Labudes Vater räumt das ungeordnete Wohnzimmer auf. Fabian hilft ihm. Eine Übersprungshandlung. Sie sortieren Schallplatten zurück ins Regal, leeren Aschenbecher aus.. FABIAN (ohne Labude sen. anzuschauen) Wie gehts der jungen Dame mit der Nase? JUSTIZRAT LABUDE (spürt den Vorwurf) Ich gar und War

habe rausgefunden, sie hat die Operation nicht machen lassen. Sie ist mit dem Arzt meinem Geld für ihre OP durchgebrannt. seine 
Habilitation so schlecht?

Fabian findet den Universitätsbrief. Er gibt ihn Labude. Der liest ihn kopfschüttelnd. 
 FABIAN
 Die Beurteilung ist ein Witz. Ich hab seine Arbeit gelesen. Es 
ist eine der besten und originellsten, die ich kenne. 
 JUSTIZRAT LABUDE Worüber? FABIAN
 Lessing. Er bewunderte ihn sehr. JUSTIZRAT LABUDE 
Ich fürchte, ich habe es versäumt, meinen eigenen Sohn kennenzulernen. Fabian geht auf ihn zu und umarmt ihn jetzt. Das rührt den Vater. JUSTIZRAT LABUDE ( (leise) Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

121


Danke. - Er hätte doch mit dem Professor sprechen können. ‘Ne neue Arbeit schreiben können. Das ist doch kein Grund...

117. Fabian oben.

UNIVERSITÄT / TREPPE geht

mit

118.

entschlossenen,

harten

Schritten

I/T die

Treppen

UNIVERSITÄT / BÜRO DES PROFESSORS

nach

I/T

Fabian wartet im Zimmer des Professors, dem Geheimrat. Geöffnete Tür ins Vorzimmer. Der Professor betritt nun, gefolgt von einem Institutsdiener, der den Handkoffer hinterherträgt, und von Frau Menasse das Zimmer, ausser sich. PROFESSOR
 (ist bereits im Bilde) Das kann gar nicht sein. Die Arbeit ist erstklassig. Es liegt ein Irrtum vor. FABIAN
 Er hat sich umgebracht. Kein Irrtum! PROFESSOR Das ist fürchterlich. Wir kennen uns. Ich weiß, Sie waren sein Freund. Er wäscht bereit.

sich

die

Hände.

Der

Institutsdiener

hält

das

Handtuch

PROFESSOR (zu Menasse) Ich bin für keinen Menschen zu sprechen. Der Diener entfernt sich, Menasse auch, der Professor trocknet sich die Hände manisch weiter. PROFESSOR Ich kaufte mir heute morgen in Naumburg eine Zeitung, und das Erste, was ich las, war die Meldung von Labudes tragischen Geschick. Was, um des Himmels willen, hat Ihren Freund zu diesem Schritt bewogen? FABIAN Können Sie sich das nicht denken? PROFESSOR Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

122


Nein. FABIAN Er hat sich erschossen, weil Sie seine Arbeit abgelehnt haben. Schriftlich. PROFESSOR (wischt sich die Stirn mit einem Tuch) Was? Aber das ist ja gar nicht möglich. FABIAN Doch! Nehmen Sie Ihren Mantel, kommen Sie mit, sehen Sie ihn sich an!.... PROFESSOR (unterbricht, packt Fabians Arm) Ich hätte die Arbeit abgelehnt? Wer hat das behauptet? - Wer hat das behauptet?! Ich habe die Arbeit mit dem Bemerken bei der Fakultät in Umlauf gesetzt, daß sie die reifste literarhistorische Leistung der letzten Jahre darstellt. Ich habe geschrieben, noch nie sei mir aus Schülerkreisen eine Schrift von ähnlicher Bedeutung vorgelegt worden und ich ließe sie in der Reihe des Instituts umgehend als Sonderdruck erscheinen. Wer hat also behauptet, die Arbeit sei von mir abgelehnt worden? Fabian erhebt sich. Er zittert am ganzen Körper. FABIAN Einen Augenblick, ich hole ihn. Dann rennt er hinaus...

118 A.

UNI/ TREPPE

I/T

.... die Treppe hinunter. Er verschwindet aus unserem Blick. Man hört Radau, Türenschlagen.... "Was wollen Sie?" hört man den Assistenten Weckherlin fragen. Fabians Stimme: "Sie sollen sofort zum Geheimrat kommen!!!" Pause, wieder Radau. »Was erlauben Sie sich eigentlich?« schreit Weckherlin. Alles Hörspiel. Wir sehen die Gesichter der Wartenden.

118 B.

UNIVERSITÄT / PROFESSORENZIMMER

Im Professorenzimmer runzelt Institutsdiener ein Zeichen...

der

Professor

die

Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

I/T

Stirn.

Gibt

dem 123


PROFESSOR Sehen Sie nach. Als der sich auf die Socken machen Fabian entgegen. Fabian schleift den Sakko durch die Tür, offenbar hat verabreicht. Der Assistent blutet aus

will, prallen ihm Weckherlin und deutlich grösseren jungen Mann am er ihm auch schon einen Schlag der Nase.

FABIAN Ich muß in Ihrer Gegenwart Fragen an diesen Herrn richten! Doktor Weckherlin, haben Sie vor drei Tagen meinem Freund Stephan Labude eine schriftliche Nachricht geschickt, angeblich vom Geheimrat, seine Arbeit sei abgelehnt worden? Haben Sie geschrieben, der Geheimrat habe geäußert, die Arbeit der Fakultät weitergeben, hieße, die Professoren dort mit geistigem Durchfall zu belästigen? Haben Sie ihm geschrieben, der Geheimrat wolle ihm durch diese private Ablehnung eine öffentliche Blamage ersparen? Weckherlin ist bis zur Tür zurückgewichen. Die beiden gegenüber stehen vorgeneigt und warten auf Antwort.

Männer

ihm

GEHEIMRAT/PROFESSOR (flüstert) Weckherlin! Der Assistent verzieht das breite, blasse lächeln, er legt die Hand auf die Klinke.

Gesicht,

als

wolle

er

WECKHERLIN Es war nur ein Scherz! Da schreit Fabian, es klingt wie der Schrei eines Tiers. Im nächsten Augenblick springt er vor und schlägt auf den Assistenten ein, mit beiden Fäusten, unablässig, ohne zu überlegen, wohin er trifft. FABIAN (brüllt) Du Schuft! Er haut dem anderen beide Fäuste mitten ins Gesicht. Weckherlin lächelt noch immer, als wolle er sich entschuldigen. Er hat vergessen, daß er die Hand auf der Klinke hält, er hat vergessen, daß er grösser und vielleicht stärker ist, sinkt unter den Schlägen vorübergehend in die Knie. Zieht sich an der Klinke wieder hoch, die Tür schnappt auf. Jetzt erst drängt Weckherlin durch die Tür ins Vorzimmer, Fabian folgt ihm aber.

118 C.

UNI/TREPPE Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

I/T 124


Sie nähern sich, einander zerrend, rüttelnd, Schritt für Schritt der Treppe, die ins Untergeschoß führt, der Eine schlägt, der Andere blutet. Unten am Fuß der Treppe sammeln sich Studenten, die der Lärm aus den Institutsräumen gelockt hat. Sie stehen zunächst stumm und abwartend. FABIAN Du Hund! WECKHERLIN (wehrt sich jetzt und schreit) Hey, geh weg, du stinkst! Iiiiiih. Du versoffener Versager! Ihr seid alle Versager! Euer Saustall ekelt uns an!! Parasiten!! Ihr gehört weg! Labude, du... Fabian - nur kurz in der Defensive- trifft Weckherlin nun voll unters Kinn, der kippt hintenüber, schlägt dumpf mit dem Kopf auf eine Stufe und rollt die Treppe hinunter. Fabian weiter hinter ihm her und will sich über ihn stürzen. springen jetzt ein paar der Studenten vor und halten ihn fest.

Da

FABIAN (schreit) Laßt mich los! Er reißt wie ein Tobsüchtiger an den Armen, die ihn umklammerten. FABIAN ... Laßt mich los, ich schlag ihn tot! GROSSER KRÄFTIGER STUDENT (zischt) Du schlägst keinen mehr. Geh weg, ganz schnell. Ein anderer hält ihm den Mund zu. Der Institutsdiener kniet nun neben dem Assistenten. Der versucht sich aufzurichten, sinkt aber stöhnend zurück. Oben, dicht an der Treppe, stehen der Geheimrat und Frau Menasse. FABIAN (zum Professor) Entlassen Sie ihn! Die Studenten geben Fabian frei. Sie stehen jetzt wie schützend um Weckherlin. Ihr gemeinsamer Blick zum Professor hat etwas Bedrohliches. Fabian blickt zwischen den Studenten und dem Professor hin und her. Manche waren bei Labudes Versammlung auf dem Campus dabei. Pause. Der Professor nickt. Man spürt, er hat Angst. FABIAN Und jetzt? Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

125


PROFESSOR (resignierend) Was soll ich unternehmen? Labude posthum zum Doktor deklarieren? FABIAN Ja! Jajajaja!! PROFESSOR Die Welt geht vor die Hunde. FABIAN (ungläubig) Der Kerl muss doch mindestens entlassen werden. Der Professor schaut zu den anderen Studenten. PROFESSOR
 Das liegt außerhalb meiner Befugnis. Das soll der Rat entscheiden. Labude - was musste er auch so politisch lautstark agieren. FABIAN (mißtrauisch) Werden Sie bedroht? PROFESSOR Es muss jetzt alles eine neue Ordnung bekommen. So gehts doch nicht weiter. Der ganze Hedonismus, dieses schrecklichen Nachkriegschaos müssen ein Ende haben. Alles ist für etwas gut. Auch ein Opfer. Es muss aufwärts gehen. Der Professor geht zurück in sein Arbeitszimmer. Fabian ist fassungslos. Die applaudieren dem Professor.

Studenten

lassen

ihn

vorbei,

sie

Der sitzt in seinem Zimmer, das Gesicht in den Händen vergraben. Erzähler: „Eine unsichtbare gespenstische Schere hatte sämtliche Bande, die ihn an diese Stadt fesselten, zerschnitten. Der Beruf war verloren, der Freund tot, Cornelia war in fremder Hand, was hatte er hier noch verloren?"

Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

126


119.

VOR HAUS SCHAPERSTRASSE 5

A/T

Entfällt.

120.

SCHAPERSTRASSE/NÜRNBERGER PLATZ

I/A/T

Entfällt.

121.

PASSAGIER ABTEIL. DAMPFLOK

I/N

Fabian in einem Zugabteil, schaut aus dem Fenster. Wir sehen nur das Abteil, Licht und Schatten auf Fabians Gesicht. Erzähler: "Hatte er nicht zu Labude gesagt: Noch in dem Paradies, das du erträumst, werden sich die Menschen gegenseitig die Fresse vollhauen? ..... Waren jene humanen anständigen Normalmenschen, die er herbeiwünschte, in der Tat wünschens-wert? Wurde dieser Himmel auf Erden, ob er nun erreichbar war oder nicht, nicht schon in der blossen Vorstellung infernalisch? War ein derartig mit Edelmut vergoldetes Zeitalter überhaupt auszuhalten? Wars nicht viel eher zum Blödsinnigwerden? Wozu? Warum lebte der Freund nicht mehr, der das Wozu gekannt hatte? Es starben und es lebten die Verkehrten." Fabian hat eine Zeitung vor sich: Im Feuilleton des Boulevardblattes, das auf seinen Knien liegt, sieht er Cornelia wieder. "Juristin wird Filmstar", steht groß unter dem Photo. "Fräulein Dr. jur. Cornelia Battenberg", ist zu lesen, "wurde von Edwin Makart, dem bekannten Filmindustriellen, entdeckt und beginnt schon in den nächsten Tagen mit den Aufnahmen zu dem Film »Die Masken der Frau Z.« FABIAN Alles Gute. Er nickt dem Bild zu. In der anderen Zeitung sieht er Cornelia nochmal. Sie trägt einen imposanten Sommerpelz und sitzt mit Makart in dem Auto, das er schon kennt am Steuer. "Edwin Makart, der Mann mit der Wünschelrute" seine neueste Entdeckung heißt Cornelia Battenberg! Sie repräsentiere als ehemaliger Referendar einen neuen Modetyp, die intelligente deutsche Frau!! FABIAN (wiederholt) Alles Gute. Fabian trennt die Photographie sorgfältig aus der Zeitung, verwahrt die Ausschnitte im Notizbuch und legt die Zeitung fort. Fabian rutscht ans Fenster und blickt in die Dunkelheit hinaus. Sehr Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

127


vereinzelte Lichter. Im OFF hört man die Abteiltüren auf und zu gehen, Stimmen kommen und gehen, Fabian schaut zwar nicht hin, aber ihm ist, als suche jemand seine Augen. Er wendet sich um und blickt ins Abteil. Die Mitreisenden, gleichgültige, gleichgültig dasitzende Leute, sind mit sich beschäftigt. Wer sieht ihn an? Da entdeckt er, draußen im Gang, Frau Irene Moll. Sie raucht eine Zigarette und lächelt ihm zu. Als er sich nicht rührt, winkt sie. Er kommt zu ihr. IRENE MOLL Es ist skandalös, wie wir beiden einander nachlaufen. Wo fährst du hin? FABIAN Nach Hause. IRENE MOLL (nach einer Pause) Sei höflich. Frage mich gefälligst, wo ich hinwill. FABIAN Wo wollen Sie hin? IRENE MOLL Ich türme. Einer der Schlafburschen hat mein Etablissement verpfiffen. Ich habs heute morgen von einem Polizeibeamten erfahren, dessen Monatsgehalt ich verdoppelt habe. FABIAN Was für ein Etablissement? IRENE MOLL Mein Männerbordell Kommst du mit nach Budapest? FABIAN (entsetzt) Nein. IRENE MOLL Ich hab hunderttausend Mark bei mir. Wollen wir über Prag nach Paris? Wir gehen nach Fontainebleau und mieten eine kleine Villa. London? FABIAN Nein. Ich fahr nach Hause. (Eine Landkarte hängt im Gang) FABIAN In der Zeitung hat gestern ein Ingenieur Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

128


vorgeschlagen, man sollte den Spiegel des Mittelmeers um zweihundert Meter senken, dann kämen große Ländereien ans Licht, wie vor der Eiszeit, und man könne die besiedeln und Millionen von Menschen darauf ernähren. Außerdem wäre dann, mit Hilfe kurzer Dämme, eine durchgehende Eisenbahnverbindung von Berlin bis Kapstadt möglich! IRENE MOLL (begeistert) Na also! Auf ans Mittelmeer! Laß uns seinen Spiegel senken. Ich habe Schmuck bei mir. Wenn wir blank sind, erpressen wir die alten Schachteln, die sich bei mir haben beschlafen lassen. Ich kenn interessante Einzelheiten, Gucklöcher haben ihr Gutes... FABIAN Nein, ich fahre zu meiner Mutter. IRENE MOLL (ärgerlich) Du verdammter Esel. Soll ich vor dir niederknien und dir ‘ne Liebeserklärung machen? Was hast du gegen mich? Bin ich dir zu aufgeklärt? Ist dir ‘ne dumme Gans lieber? Ich habs endlich sattgekriegt, nach der ersten besten Hose zu greifen. Du gefällst mir. Wir begegnen einander immer wieder. Das kann kein Zufall sein. Sie faßt seine Hand und streichelt seine Finger. IRENE MOLL Ich bitte dich, komm mit. FABIAN Nein. Ich komm nicht mit. Reisen Sie gut. Er will wieder in sein Abteil. Die Tür klemmt. IRENE MOLL Schade, jammerschade. Vielleicht kriegen wir kein andres Mal mehr.... Sie öffnet ihre Handtasche. IRENE MOLL Brauchst du Geld? Sie will ihm ein paar Banknoten in die Hand stecken. Er schließt die Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

129


Hand zur Faust, schüttelt den Kopf und geht jetzt zurück ins Kupee. Sie bleibt noch eine Weile vor der Tür des Abteils und sieht ihn an.

122.

DIE HAND DIE SCHREIBT

I/T

Entfällt.

123.

DRESDEN/ HAUS FABIAN / STRASSE DAVOR

A/T

Morgen. Ein altes freistehendes Haus mit Laden am Rand der Stadt. Fabian läuft darauf zu. Ein Nachbar, der gerade im Garten arbeitet, hebt seinen Kopf und folgt ihm mit dem Blick. 
 »Seifengeschäft« steht über dem Laden. Ein Zettel klebt am Fenster. Er liest: »Nun auch Feinseife herabgesetzt. Die Hausmarke Lavendel zwanzig statt zweiundzwanzig Pfennige. Torpedoseife fünfundzwanzig statt achtundzwanzig Pfennige.« Er geht bis zur Tür. Seine Mutter steht schon hinter dem Ladentisch, bereitet den Tag vor. Sie bückt sich gerade und stellt ein Paket Waschpulver hin, dann schneidet sie einen Riegel Kernseife mittendurch. Dann nimmt sie einen Bogen Packpapier und einen Holzlöffel, schaufelt Schmierseife aus dem Faß, wiegt sie ab und wickelt sie ein. Fabian spürt den Seifengeruch bis auf die Straße.

123 A.

DRESDEN / ELTERNHAUS FABIAN / LADEN FABIAN

I/T

Dann klinkt er die Ladentür auf. Die Glocke bimmelt. Die alte Frau sieht auf und lässt erschrocken die Hände sinken. Er geht auf sie zu und sagt mit zitternder Stimme: FABIAN Mutter, Labude hat sich erschossen. Sie nimmt ihn in den Arm.

123 B.

DRESDEN / ELTERNHAUS FABIAN / HINTERZIMMER

Er setzt sich in den Lehnstuhl vorm Fenster, langsam den Kopf aufs Fensterbrett und weint.

blickt

A/I/T

hinaus,

legt

Draussen vor dem Fenster weidet eine kleine Schafherde.

124.

FABIANS ELTERNHAUS

I/T

Fabians Koffer steht im Flur. 
 Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

130


HERR FABIAN (OFF) Was hat er denn?

Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

131


125.

ELTERNHAUS WOHNZIMMER

I/T

Herr und Frau Fabian sitzen bei Tee. Der Vater liest Zeitung. 
 FRAU FABIAN Sein Freund Labude hat sich 
umgebracht. 
 HERR FABIAN 
Ich wusste gar nicht, dass er einen 
Freund hatte. 
 FRAU FABIAN Doch. Du hörst nur nicht zu. 
 HERR FABIAN Arbeitslos ist er. Das hab ich 
gehört. 
 FRAU FABIAN 
Ich finds schön, dass er da 
ist.

126.

DRESDEN / HAUS FABIAN / ZIMMER FABIAN

I/T

Entfällt

127.

DRESDEN /STRASSE VOR SCHULE

A/T

Entfällt

128.

DRESDEN / SCHULE

I/T

Entfällt

129.

SCHULE / AULA UND GANG DAVOR

I/T

Entfällt 130.

DRESDEN / ELTERNHAUS FABIAN / WOHNZIMMER / GARTEN

I/T

Fabian schaut durch das Fenster seinen Eltern bei der Gartenarbeit zu. Sie wirken vertraut miteinander. Fabian holt Labudes Abschiedsbrief aus seiner Tasche. Er steckt ihn in Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

132


ein Lessing-Buch im Regal.

131.

DRESDEN / ELTERNHAUS FABIAN / GARTEN

A/T

Fabian steht an der Haustür zum Garten. 
Sein Vater und seine Mutter schneiden einen Blumenstrauß. 
 Auf dem Gartentisch liegt aufgeschlagen eine Tageszeitung: Man sieht Cornelias Bild. Eine entsprechende Unterschrift: "Ein Stern geht auf" und so weiter.... Frau Fabian schaut ihren Sohn an. Klar, daß sie ihm die Zeitung hingelegt hat.

132.

DRESDEN / ELTERNHAUS FABIAN

A/T

Kleiner Zeitsprung. Alle sitzen an einem Tisch. Kaffee und Kuchen. Fabian nimmt nichts zu sich. Seine Mutter schaut besorgt. FABIAN (es platzt, zischt geradezu aus ihm heraus) Ich denke an sie. Andauernd. FRAU FABIAN
 Ja. Ruf sie an. Sprich mit ihr. Es wird 
schon nicht so schlimm sein. Manchmal sagt man was, das der Verstand lieber verschwiegen hätte. 
Entschuldige dich. FABIAN (braust auf) Wieso? HERR FABIAN
 (kauend) Hör auf deine Mutter. Sie hat ja 
doch meistens Recht. Frau Fabian schaut ihren Mann an, das hat sie noch nie von ihm gehört.

133.

ELTERNHAUS FABIAN / EINGANGSBEREICH

I/ABEND

Eine kleine Szenen-Montage, die ein zeigt, wie schwer es früher war, sich via Fern-Kommunikation zu erwischen: Fabian sitzt im Eingangsbereich auf einem Schemel vor dem elterlichen Telefonapparat. Er hadert mit sich. 
Dann hebt er ab und wählt eine Nummer. FABIAN
 Hallo Frau Hohlfeld. Ich grüße Sie. 
Jakob Fabian hier. In Dresden. Ja, ich weiß. Danke. Ich hoffe, es geht Ihnen auch gut?
 (Pause) 
Sagen Sie, war Fräulein Battenberg Cornelia zufällig nochmal bei Ihnen? Hat sie vielleicht eine Telefonnummer hinterlassen? Danke. (Pause) Hallo? - Ah, ja.... 
 Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

133


Er schreibt mit... ZEITSPRUNG. Selber Ort, später. Fabian sitzt am selben Platz. Er spricht und gibt seine Nummer, bzw Verbindung weiter - wie wir später sehen werden: an einen Pförtner im Studio Babelsberg. FABIAN ......(sagt die Nummer, bzw. Verbindung)... Danke. Bitte nicht vergessen. Dringend. Freudiges Ereignis in der Verwandtschaft. Er legt auf.

134.

FILMSTUDIO / MONDÄNE GARDEROBE

I/ABEND

Leer. Das Licht eines grossen Garderobenspiegels brennt. Die Tür zum Gang ist auf. Irgendwo Stimmen und Arbeit. Kommandos. Ein Telefon klingelt. Endlos. Eine Neonlampe des Spiegels erlischt plötzlich wie die Birne in der Wohnung Labude zuvor. Dann stürzt jemand vom Gang aus dem Studio an den Apparat. Es ist nicht Cornelia. Es ist ihre Maskenbildnerin. MASKENBILDNERIN Was? - Wer spricht? Ach so Pforte, Sie sind angerufen worden. Ja. Sie steht vor der Kamera. - Dringend? Verwandte? - Was? Keine Verwandten? Doch Verwandte? Ruft nochmal an? Ach so, sie soll anrufen? - Ja, das wird sie dann selbst entscheiden, ob sie zurückruft.Ich hab keinen Stift, ich muß ins Studio. Schreiben Sie die Nummer auf... Haben Sie schon, gut. - Und wenn Sie Ihren Rundgang machen, legen Sie’s hier in die Garderobe. Studio (Name) Die Dame legt auf und wird von draussen gerufen. MASKENBILDNERIN Kommeeeeee!

135.

STUDIO / PFÖRTNERHÄUSCHEN

A/N

entfällt

136.

MONTAGE LANDKARTE

A/I/N

Grafik mit Musik: Aus einer nächtlichen Stadtkarte von Berlin und Umgebung fährt die Kamera hoch bis sie Brandenburg und Sachsen Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

134


komplett im Bild hat. Stösst dann südlich wie ein Raubvogel auf Dresden hinunter. Man hört Telefonscheiben-Wählgeräusche, hört Leitungen klicken. Man sieht die Elbe-Lichter, ahnt die Altstadt, die Brücke "blaues Wunder", dann rast die Kamera auf das Fabian-Haus zu. Von dort hört man Klingeltöne (Es ist der Klang im Ohr des Anrufenden).

137.

FILMSTUDIO / MONDÄNE GARDEROBE

I/N

Die Garderobe ist jetzt dunkel. Im OFF kein Gewusel mehr. Hier schrillt es extrem laut. Auf der Spiegel-Ablage liegt ein Zettel, eine ungelenk aufgeschriebene Dresdener Telefonnummer. Unberührt. Niemand kommt. Das Klingeln hört auf.

138.

ELTERNHAUS FABIAN / EINGANGSBEREICH

I/N

Stunden später. Fabian sitzt zu Hause am Telefon und wartet. Offenbar schon lange. Neben ihm ein halb gegessenes Brot. Ein Glas. Er zündet sich eine Zigarette an. Unmittelbar nach dem StreichholzGeräusch hört man die Mutter: MUTTER FABIAN Du. Junge, wenn du rauchen willst, geh bitte raus. Der Gestank hängt sonst morgen den ganzen Tag in den Vorhängen.... Fabian nimmt den Hörer von der Gabel, damit Cornelia nicht ausgerechnet jetzt anruft, während er draussen rauchen muss. Man hört Stille im Telefon-Äther, dann ein Besetzt-Zeichen.

139.

DRESDEN / ELTERNHAUS FABIAN / EINGANGSBEREICH

I/DÄMMERUNG

Fabian schläft nun neben dem Telefon. Der Hörer liegt wieder auf der Gabel. Darüber eine dicke Jacke, damit die Eltern nicht zu rabiat geweckt werden vom Klingeln. Fabian wirkt wie ein Haustier, das Wache hält.

140.

ELTERNHAUS FABIAN / TOILETTE UND EINGANGSBEREICH

I/T

Nächster Vormittag. Fabian ist auf der Toilette. Er betätigt die Spülung. In dem Augenblick hört er das Telefon klingeln. Er wird extrem hektisch, zerrt sich die Klamotten hoch. FABIAN (laut) Nicht drangehen. Das ist für mich!! Nicht Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

135


drangehen!! Zu spät: MUTTER FABIAN (OFF) Ja. Hier bei Fabian...(Sie sagt noch die Adresse dazu, das haben manche in den Zeiten der frühen Fern-Kommunikationen so gemacht.) Hallo!! Hallo?! Er stürzt aus der Toilette, da hat die aufgelegt. Sie sieht seine Enttäuschung.

Mutter

aber

schon

wieder

MUTTER FABIAN War niemand dran...ich hab ‘Hallo’ gerufen. FABIAN (absolut ausser sich) Warum hast du’s nicht klingeln lassen!!? Niemand in diesem Haushalt geht an den TelefonApparat solange ich hier bin - ausser mir. VATER FABIAN (taucht aus dem Wohnzimmer auf) Haste ne Meise!!? Schrei deine Mutter nich’ an! FABIAN Ja! - Nein! - Aber das ist jetzt hier mein privater Bereich. Ich verwalte das Telefoniergerät. Bitte, ja?! Ich kann auch mal anders! Die Eltern starren ihn an. Trotziges böses Kind.

141.

ELTERNHAUS FABIAN / EINGANG / KÜCHE

I/N

Wieder ist es Nacht. Wieder ein Pullover über dem Telefon, dessen Schnur, so lang es geht, ausgedehnt ist. Fabian liegt jetzt in der Küche. Wieder leerer Teller und Tasse und ein Buch neben ihm. Er schläft. Das Klingeln ist so leise, daß es ihn erst sehr spät weckt. Dann reißt er den Hörer vom Aparat.

142.

FILMSTUDIO / MONDÄNE GARDEROBE

I/N

143.

HAUS FABIAN DRESDEN / KÜCHE

I/N

Cornelia in der Garderobe. Weitgehend Ruhe. Es ist ja mitten in der Nacht. CORNELIA 
Wie ist Dresden?

Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

136


Fabian hockt in der Küche. 
Er flüstert fast. FABIAN
 Anders als Berlin. Ich hab gelesen, dass ihr mit den Dreharbeiten angefangen habt. Glückwunsch. CORNELIA Ja. Also ja und Nein. FABIAN Wie? Cornelia schließt ihre Augen. 
 CORNELIA
 Heute war mein vierter Tag. FABIAN Und? CORNELIA ...Ich hab daran gedacht, wie du mich vielleicht siehst. Im Kino. Und ich dich aber nicht sehen kann. 
(Pause)
 Weißt du noch, du hast mich gefragt, wo ich herkomme. Und ich habs dir nicht gesagt. 
(Pause) 
Ich bin in Berlin geboren. Wie tausend andere auch. Ich war nie woanders. Nie in Paris. Oder London. Alles an mir ist Durchschnitt. 
Ich dachte, ich bräuchte ein Geheimnis, um interessant zu sein. Aber das war ein Irrtum. Fabian hört zu und lächelt. Er wirkt entspannt, als würde er 
sich der Position des Zuhörers ganz hingeben. Cornelia schließt die Augen. 
 Fabian schließt ebenfalls seine Augen. 
 FABIAN
 Vielleicht wärs ein 
zweiter Anfang, wenn wir uns doch nochmal sehen? Ich könnte für ein, zwei Tage in die Stadt kommen, zu Besuch sozusagen. Und wir lernen uns neu kennen. Du könntest mir dein Berlin zeigen. Wenns das noch gibt. Hättest du dafür Zeit? 
 Cornelia öffnet ihre Augen. 
 CORNELIA (leise) 
Immer. Ich werd dem Anderen entfliehen. Sag Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

137


einfach nur wann und wo. 
 Cornelia lächelt.

144.

ELTERNHAUS FABIAN

A/T

Die aufgehende Sonne spiegelt sich in einem Messingeimer, der neben der Tür steht. C 
 amparifarben.

145.

ZIMMER FABIAN. ELTERNHAUS

I/T

Fabian liegt auf dem Rücken in seinem Bett und starrt zur Decke. Im Nebenzimmer hört er wie seine Mutter mit seinem Vater redet. 
 MUTTER FABIAN (OFF) 
Nicht die graue Hose zu dem grünen Hemd. Wie sieht das denn aus. Hier, nimm die. Ich hab den Fleck nicht ganz raus gekriegt. 
 HERR FABIAN (OFF) (dumpf) 
 Das war dein Sauerbraten. Die Soße ist immer so fettig. 
 MUTTER FABIAN (OFF) Mein Sauerbraten? Was kann der denn dafür, dass du alt bist. Fabian lächelt und steht auf.

146.

ELTERNHAUS FABIAN / KÜCHE

I/T

Fabians Mutter kocht. Der Vater deckt den Tisch. HERR FABIAN
 Wo is’n der Junge schon wieder? mit?

Isst er nicht

FRAU FABIAN
 Er wollte raus. Ich hab ihm was eingepackt für die Fahrt. Aber das liegt nicht mehr da, wo ichs deponiert hab.... HERR FABIAN Auf deutsch: er ist weg!? Oder wie? Fabians Vater schüttelt den Kopf und räumt das dritte Gedeck wieder Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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weg. HERR FABIAN (auf dem Weg zur Küche) Der kommt schon wieder. Der wollte zurück zu seiner Thusnelda... FRAU FABIAN (vorwurfsvoll Sag doch nicht Thusnelda... HERR FABIAN ...und debattieren wollt er da drüber oooch nich’ mehr. Und ooch nich mit dir. FRAU FABIAN Hätt doch Tschüss sagen können... HERR FABIAN Na, wollt er halt heute mal nich’... Wir verlassen das alte Ehepaar......

147.

DRESDEN / FELDWEG

A/T

Fabian schlendert über einen Feldweg. Die Sonne scheint ihm ins Gesicht. Er genießt den Ausblick auf die Landschaft, hat seinen kleinen Koffer dabei, das Brote-Päckchen der Mutter. Erzähler: „Also los an den Busen der Natur, marsch, marsch. Einen kleinen Umweg zum Bahnhof nehmen. Das Leben war doch eine der interessantesten Beschäftigungen, trotz alledem!"

148.

DRESDEN / EISENBAHNBRÜCKE

A/T

Fabian kommt an eine extrem hohe Eisenbahn-Brücke, einen Viadukt über die Elbe. Er sieht, dass am Aussen-Geländer der Brücke barfuß ein Junge balanciert. Erzähler: „Plötzlich sah Fabian, daß ein Junge am Rand des Geländers der hohen Brücke stand. Eine Mutprobe? Ein Selbstmordversuch?" Wir sehen: Der Junge, elf, zwölf Jahre, lacht vor Angst. Unten an der Elbe 3 Freunde des Jungen im Wasser, die ihn nervös anfeuern und ihm zeigen, wohin er springen muß, um flachere Stellen zu vermeiden. Die sich aber auch untereinander streiten, ob das Ganze so eine wirklich tolle Idee ist. "Ist doch Schwachsinn!"- "Ich bin da auch schon runter"... FABIAN (ruft) Hei. Sag mal! Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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Der Junge oben hört ihn natürlich nicht. Fabians Schritte werden schneller. Der Junge ist kurz vor Absprung. FABIAN (lauter schreiend) Komm da oben weg! Hei, du...weg da! Du bist doch nicht verrückt! Die anfeuernden Jungs werden jetzt vom Fluss abgetrieben. Plötzlich fällt der Junge mehr als er springt vom Geländer, schreit im Fallen, ein Juchzen und verschwindet im Fluss. Erzähler: „Er sah den Kopf des Kindes und die Hände, die das Wasser schlugen. Es verschwand darin. Da zog er die Jacke aus und sprang in den Fluss."

FABIAN (wütend zu den Jungs unten) Menschenskind, ihr Idioten!! Feuert ihn auch noch an!! Fabian zieht sich seine Schuhe und das Jackett aus, rennt ins Wasser. Sein Notizbuch fällt aus der Jacke. Ein Zug nähert sich oben hörbar. Vom Jungen ist gerade nichts zu sehen. Fabian im Wasser verliert den Boden unter den Füssen, schaut sich weiter um, wird mitgerissen, geht unter... Der Zug rattert Schweigen.

ohrenbetäubend

über

die

Brücke.

Dann

ist

er

weg.

Die Elbe fliesst ruhig. Nichts zu sehen. Die Freunde des Jungen sind weit weg, sind jetzt entsetzt und einer von ihnen geht an Land, um den Freund zu retten, der im Fluss treibt, nahe dem anderen Ufer und jetzt Hilfeschreie ausstösst. Er geht unter. Erzähler: „Der Zug der Fluten überraschte ihn. Er trieb ab. `Hoppla` dachte er bevor er unterging." Von Fabian ist gar nichts mehr zu sehen. Erzählerin: "Fabian ertrank,…“ Erzähler: „Er konnte (leider) nicht schwimmen." Am anderen Ufer der Elbe taucht der Junge nun wieder auf und schwimmt, plantscht zum Flachen. Er klettert aus dem Wasser. Die anderen Jungs im Wasser jubeln. Die Oberfläche beruhigt sich wieder. Die Kamera geht höher und höher. Am Ufer ein Lokal mit Terrasse, in dem eine kleinbürgerliche Hochzeit gefeiert wird. Alles nur Innen, wenige Leute auf der Terrasse. Musik. Lebensfreude. Alkohol. Niemand hat den Kampf des Jungen bemerkt. Der winkt nun seinen Freunden zu. Die Blätter von Fabians Notizbuchs flattern im Wind. Von Fabian selbst ist keine Spur zu sehen.

Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

140


149.

CAFÉ SPALTEHOLZ

A/I/T

Durch das große Fenster zur Straße hindurch ist Cornelia zu sehen, die sich gerade an einen der Tische setzt. Sie trägt nun wieder das Kleid, das Fabian ihr einst schenkte. Sie hat ein Paket aus Schokolade und Keksen für ihn dabei. Sie ist nervös. Ein Mann läuft am Fenster vorbei. Cornelia dreht sich nach ihm um, wartet, schaut zur Tür wendet sich dann aber wieder ab und bleibt sitzen. Draussen hat es wieder geregnet. Pfützen stehen an den hohen Bordsteinen. Fussgänger - Frauen wie Männer- versuchen wieder, die kleinen Seen zu umgehen oder zu überspringen. Der uns bekannte Kellner kommt zu Cornelia, fragt etwas.
 Sie schüttelt den Kopf, schaut auf die Uhr, wartet weiter. Im Radio eine Durchsage über den „Kurfürstendamm – Krawall“ vom 12. September 1931.

150.

DRESDEN / EISENBAHNBRÜCKE

A/T

Der Fluss fliesst. Man hört die Musik der großteils unsichtbaren Hochzeitsgesellschaft in dem Lokal. Der Junge, der beinahe ertrunken wäre, hat seine Klamotten nun am Ufer gefunden und zieht sich an. Er findet unweit auch Fabians Notizbuch. Die anderen Jungs sind aus dem Wasser zu der Gartenlokal-Terrasse zurückgekehrt und versuchen sich dort verständlich zu machen, daß ein Retter noch abgängig ist. Sie weisen auf die verstreuten Klamotten Fabians. Die paar Gäste auf der Terrasse und der hinzugekommene Wirt haben offenbar keine Lust und keine Zeit und zuviel Alkohol intus, um ihnen zuzuhören.... Der Fluss fliesst weiter. Fabian ist nirgends zu sehen. Der Junge kniet frierend und blättert im Notizbuch. Dort steht auf der ersten Seite "Lernt Schwimmen!"

150 A.

BÜCHERSTAPEL

A/DÄ/N

Es wird dunkel. Die Heftseite flammt auf, verbrennt. Aufzoom: Ein brennender Bücherhaufen.

ENDE

Fassung 12.1 © D.GRAF 25.7. 2019

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