Das Drachennest an der Hochries
Nestflucht bei der Drachenbrut Ausfliegen in die Chiemgauer Alpen TEXT: LENA WALBRUNN
T
ief einatmen. Den Puls spüren. Poch, Poch, Poch. Ausatmen. Im Kopf herrscht absolute Ruhe. Die Muskeln gespannt, der Blick fokussiert. Die Konzentration übernimmt die Kontrolle. Blick zur Windfahne. Zum Windspion. Start frei. Eins, zwei, drei, vier Schritte. Der Fünfte schon in der Luft. Der Wind rauscht augenblicklich um den Helm, die Augen beginnen zu begreifen. Das erste Grinsen stellt sich ein. Das ist das erste Wieder-in-die-Luftkommen. Im vergangenen Sommer ist die selbsternannte Alpensippe ausfliegen. Ziel: Chiemgau, Oberbayern. Pandemiebedingt in kleinem Kreis, mit Maske bei der Autofahrt, nur Paare schlafen gemeinsam in Zelt oder Bus, Vorsicht beim Besprechen und Zusammensein – so gut es eben geht, wenn man als Gruppe trotzdem fliegen will. Die Alpensippe besteht aus den Zieheltern und der Brut selbst: Dirk Soboll von Linking Wings hat die Fahrt als Fluglehrer schon einmal organisiert und sich Ines Zießau als Fluglehrerin mit an Bord geholt, Ausbildungsleiterin beim Drachenflugzentrum Millau. Mit dabei sind drei A-Schein-Schüler*innen, die beide schon kennen, dazu
50
DHV-info 227
zwei UL-Schlepp-Erfahrene, die den Hangstart üben möchten, und fünf Freiflieger*innen. Für die einen heißt das Ausfliegen: Zum ersten Mal wirklich oben bleiben, an der Hangkante entlang hangeln, aufdrehen lernen, auskosten. Den Blick länger als gewohnt über Felder, Dörfer und den Chiemsee schweifen lassen. Modelleisenbahn-Feeling. Für die anderen steht der Umstieg auf ein neues, leistungsstärkeres Gerät an oder Training für große Höhen und weite Strecken. Die Drachenbrut darf zu den Großen. Dass so bei jeder und jedem das Briefkastengrinsen angeknipst wird, ist vorprogrammiert. Aber erstmal Berg für Berg…
Der Unternberg Mit 1.381 Metern ist der erste Berg, den wir ansteuern, nicht ganz so hoch wie die benachbarten Gipfel - die kommen später. Mit der Zweier-Sesselbahn und einem Transportbügel, der am Sitz eingehängt wird, schaffen es alle Drachen heil nach oben. Das Bahnpersonal der Unternbergbahn ist das Spektakel gewohnt und packt mit an – bei einem Überfall mit zwölf Personen ist eine kurze Ankündigung aber natürlich nett. Die
Gastmitgliedschaft beim DCB Ruhpolding kostet drei Euro und wird an der Bahn gezahlt. Am Naturstart auf Nordwest tummeln sich auch Gleitschirme und Schulen und auch für uns taugt das Gelände hervorragend zum Wiedereinstieg. Als Landeplätze kommen im Gebiet die drei vom Verein ausgeschriebenen in Frage: Bärngschwendt, Fischerwirt und Inzell.
Der Rauschberg Nächster Stopp: In Sichtweite. Mit 1.650 Metern überragt er den Unternberg, der Mythos Streckenflug umweht den Gipfel. Aber von vorn: Die Nutzung der Kabinenbahn wirkt zunächst kompliziert - aber auch hier erklärt das Personal, wie’s läuft. Und auch hier ist der DCB Ruhpolding Ansprechpartner bei Schulung oder nötiger Einweisung. Den Weg von der Rauschbergbahn zur Nordrampe dürfen wir mit den zusammengebastelten Karren der ortsansässigen Flieger absolvieren. Die zwei Piloten, die routiniert mit uns aufbauen, geben Tipps zur Wetterlage und Eigenheiten des Geländes. Auch ohne Traumbedingungen reicht die Höhe, um entspannt die Landeplätze anzufliegen, die vom Unternberg bekannt sind. Die Nordrampe und der Naturstart auf www.dhv.de