im gespräch mit Harald Welzer
„Junge Menschen verweigern es zu träumen“ Wir haben alle Zutaten, um eine solidarische Gesellschaft zu etablieren meint Harald Welzer, Soziologe und Buchautor. Auf Einladung des Diakoniewerks diskutierte Welzer mit Christine Haiden und Josef Scharinger im OÖ. Presseclub darüber, wie eine Offene Gesellschaft funktionieren kann. Karin Windpessl
Nicht Neues erfinden, aber das, was da ist, neu und ideenreich kombinieren: das ist Harald Welzers Anliegen.
Ihr neues Buch lautet „Alles könnte anders sein – eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen“: Wie könnte diese Utopie aussehen? Wir leben in einer Welt, die vor zwei oder drei Generationen eine völlige Utopie gewesen wäre. Dieses Buch ist eine Utopie. Eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen. Die setzt aber an der
Gegenwart an. Ich sage nicht, dass ich einen Masterplan habe für eine neue Welt. Ich sage nur, dass das meiste schon da ist, wir müssen es nur etwas weiterentwickeln und umbauen. Das Programm der Moderne ist nicht ausbuchstabiert. Das Buch soll aus dem Lamentieren und dem Weltuntergangs-Lamento herausführen und neue Wege aufzeigen
In Ihren Büchern taucht im Zusammenhang mit den Flüchtlingsbewegungen häufig der Begriff der „beschwiegenen Mehrheit“ auf. Was verstehen Sie darunter? Ein Großteil der Bevölkerung hat eine ganz andere Haltung, als uns die Politik vermitteln will. Eine Demokratie basiert auf dem Zusammenhalt der Menschen untereinander, die diese Demokratie bilden. Und dieser Sachverhalt war im Jahr 2015 (Anm: Beginn der Flüchtlingsbewegung) gegeben. Die positive Reaktion vieler hatte auch mit einer e igenen Flüchtlings erfahrung zu tun – auch in Österreich. Es gibt in Deutschland fast keine Familie, ohne Fluchthintergrund. Die Leute wissen von ihren Großeltern, was Krieg ist. Und ich fand das so demoralisierend. Statt es seitens der Politik als Stern stunde der Demokratie aufzu greifen, zu sagen: Das ist ja ein super Land, das sind tolle Leute, passierte das genaue Gegenteil. Die Stimmung wurde bewusst umgekehrt? Sie hatten zum Beispiel die Situation in Bayern, wo die Landesräte damals natürlich unter starken Druck geraten sind durch das Anwachsen der Flüchtlingszahlen. Aber die Unterstützung
diakonie ∙ April 2019
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