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Junge Menschen verweigern es zu tr\u00E4umen
from Diakonie 02
by Diakoniewerk
„Junge Menschen verweigern es zu träumen“
Wir haben alle Zutaten, um eine solidarische Gesellschaft zu etablieren meint Harald Welzer, Soziologe und Buchautor. Auf Einladung des Diakoniewerks diskutierte Welzer mit Christine Haiden und Josef Scharinger im OÖ. Presseclub darüber, wie eine Offene Gesellschaft funktionieren kann.
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Karin Windpessl
Ihr neues Buch lautet „Alles könnte anders sein – eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen“: Wie könnte diese Utopie aussehen?
Wir leben in einer Welt, die vor zwei oder drei Generationen eine völlige Utopie gewesen wäre. Dieses Buch ist eine Utopie. Eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen. Die setzt aber an der Gegenwart an. Ich sage nicht, dass ich einen Masterplan habe für eine neue Welt. Ich sage nur, dass das meiste schon da ist, wir müssen es nur etwas weiterentwickeln und umbauen. Das Programm der Moderne ist nicht ausbuchstabiert. Das Buch soll aus dem Lamentieren und dem Weltuntergangs-Lamento herausführen und neue Wege aufzeigen
In Ihren Büchern taucht im Zusammenhang mit den Flüchtlingsbewegungen häufig der Begriff der „beschwiegenen Mehrheit“ auf. Was verstehen Sie darunter?
Ein Großteil der Bevölkerung hat eine ganz andere Haltung, als uns dies die Politik vermitteln will. Eine Demokratie basiert auf dem Zusammenhalt der Menschen untereinander, die diese Demokratie bilden. Und dieser Sachverhalt war im Jahr 2015 (Anm: Beginn der Flüchtlingsbewegung) gegeben. Die positive Reaktion vieler hatte auch mit eigener Flüchtlingserfahrung zu tun – auch in Österreich. Es gibt in Deutschland fast keine Familie ohne Fluchthintergrund. Die Leute wissen von ihren Großeltern, was Krieg ist. Und ich fand das so demoralisierend. Statt es seitens der Politik als Sternstunde der Demokratie aufzugreifen, zu sagen: Das ist ja ein super Land, das sind tolle Leute, passierte das genaue Gegenteil.
Wie ist es nun möglich, dieser „beschwiegenen Mehrheit“ eine Stimme zu geben?
Wir haben damals als Reaktion auf diese politische Kampagne das öffentliche Format „Welches Land wollen wir sein?“ ins Leben gerufen. Das war aus gesprochen erfolgreich im Sinne der Teilnehmer zahlen und der Diskussion, die dort gelaufen sind.
Diese öffentlichen Formate waren Veranstaltungen, bei denen Interessierte mitdiskutieren konnten?
Genau. Es waren keine Experten, keine Paneldiskussion. Es ging einfach darum, eine Diskussion anzuregen. Wir hatten zwei bis drei lokale oder regionale Prominente. Leute aus unterschiedlichen Feldern, aus dem Sport.
Zugpferde aus der Region.
Zugpferde aus der Region, damit man auch ein Motiv hatte, hinzugehen. Jeder hat fünf Minuten etwas gesagt und dann hat der Saal diskutiert. Und so war das immer – im Town Hall-Format. Die Bürgerschaft hat diskutiert und es hat funktioniert. Es gab ein großes Bedürfnis seitens der Bevölkerung, die Teilnehmer waren da.
Nur medial ist nicht darüber berichtet worden?
Es ist bis heute ein Problem, dass wir positive Sachverhalte nur schwer kommunizieren können. Das hat mich auch frustriert. Diese Reihe von Veranstaltungen – insgesamt waren es über 1 000 – hatten schon einen Wert in sich. Aber davon keine Kenntnis zu geben, das finde ich schon hart.
Sind Menschen heute noch politisch?
Ich glaube, wir haben eine neue politische Generation, die sich gerade zeigt.
Stichwort Greta.
Stichwort Greta, aber schon vorher. Ich habe das beobachtet im vergangenen Jahr. Es gab die Seebrücke-Demonstration in allen deutschen Städten. Diese richteten sich gegen die Kriminalisierung der Seenotrettung. Es war erstaunlich zu sehen, dass auf diesen Demos, die groß waren, zu 80 Prozent ganz junge Menschen gewesen sind. Das hatte ich so Jahrzehnte vorher nicht gesehen.
Warum ist das so?
Es kommen zwei Aspekte zusammen. Junge Menschen haben verinnerlicht, was für andere nur Sonntagsreden sind. Sie haben in der Schule gelernt, dass es Menschenrechte gibt und dass man Menschenrechte nicht ertrinken lässt. Das bringt sie auf die Palme. Und es bringt sie auf die Palme, dass Menschen, die helfen wollen, auch noch kriminalisiert werden. Der andere Punkt ist, dass diejenigen auf den Schiffen, die konkret helfen, verhaftet werden, das sind ja überwiegend auch junge Leute. Das heißt, da gibt es Role Models. Jetzt gibt es die Diskrepanz zwischen dem, was an Werten vorgetragen wird und was tatsächlich gelebt wird. Gerade hier werden junge Menschen sauer. Und da kommt Greta ins Spiel. Sie stellte sich hin und sagte: Ihr müsst das Nötige tun, nicht das politisch Machbare. Das hat eine wahnsinnige Sprengkraft.
Wie schauen die Zukunftsbilder junger Menschen aus?
Die schauen leer aus, da ist nichts Positives dabei.
Weshalb?
Weil Leute wie ich doch sehr stark die ökologischen Probleme thematisiert haben und es damit es geschafft haben, Zukunft nicht als etwas Erstrebenswertes, sondern als etwas zu Vermeidendes zu skizzieren. Und dann wundern wir uns darüber, wenn junge Menschen keine positiven Zukunftsbilder haben. Junge Menschen verweigern es, zu träumen. Wir haben es geschafft, eine bessere Welt unvorstellbar zu machen.