Grüner Frauenbericht 2015 – Halbe-Halbe in Beruf, Politik und Alltag

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e in beruf, halbe-halb alltag politik und



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inhalt

inhalt

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Editorial

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FRAUEN UND KÖRPER

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Frauenwelt in Zahlen

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Gesundheit aus Genderperspektive

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Glossar

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5 Fragen an Elisabeth Löffler

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Interview mit Eva Glawischnig

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Straffen, spritzen, gesetzlich regeln

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Wer hat’s gesagt?

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Schwanger – was nun?

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Kommentar von Sibylle Hamann

56 Europa-Panorama 57

Wir Grüne wollen

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FRAUEN UND GELD

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Ich arbeite – also bin ich arm?

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GEWALT GEGEN FRAUEN

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Die Diskussion um die Frauenpension

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Der Weg aus der Gewaltspirale

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Wie weiblich ist das Budget?

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Selbstbestimmt und selbstbewusst

28 Europa-Panorama

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Vom Selfie zum Sexting

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Wir Grüne wollen

66 Europa-Panorama

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FRAUEN UND SICHTBARKEIT

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Wir Grüne wollen

Gleich, gleicher, Gender

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Parlamentarische Arbeit

Mama geht arbeiten

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Grüne Frauenorganisationen

Wie wir – und wie weiblich?

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Impressum

38 Europa-Panorama 39

Wir Grüne wollen

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FRAUEN UND BILDUNG

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Wissen ist weiblich

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Die gläserne Decke hat einen Sprung

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5 Fragen an Edeltraud Hanappi-Egger

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Frauen helfen Frauen

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Wir Grüne wollen


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editorial

Liebe Frauen, liebe Männer, unser jährlicher Frauenbericht hat ein Anliegen. Wir wollen Frauen und Mädchen darin bestärken, sich in Gesellschaft und Politik einzumischen. Die einzelnen Kapitel – „Frauen und Geld“, „Frauen und Sichtbarkeit“, „Frauen und Bildung“, „Frauen und Körper“ und „Gewalt gegen Frauen“ – liefern Fakten, schildern die Probleme und zeigen politische und gesellschaftliche Lösungen auf. Unser Ziel ist es, die schiefe Ebene, auf der sich Frauen bewegen müssen, gerade zu richten. Frauen finden derzeit nicht die gleichen Rahmenbedingungen vor, um zu Ressourcen und Macht zu kommen. Überall, wo Geld eine wichtige Rolle spielt, sind Frauen kaum sichtbar. Solange relevante politische Hebel, wie das jährliche Budget oder eine Steuerreform, nicht auf diese schiefe Ebene Einfluss nehmen, werden wir von echter Gleichbehandlung weit entfernt bleiben. Die Entlastung durch die geplante Steuerreform geht im Übrigen zu zwei Drittel an Männer und nur zu einem Drittel an Frauen. Das ist ignorant gegenüber den Frauen in Österreich, die immer noch um ein Viertel weniger verdienen als Männer; ignorant gegenüber den vielen Frauen, die an der Armutsgrenze leben, ignorant gegenüber den vielen Frauen, die trotz guter Ausbildung unter ihrem Qualitätsniveau eingesetzt und bezahlt werden.
Viele Fragen stellen wir schon lange, z.B. warum „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ Frauen zugeschrieben wird. Oder warum die Pflege von Angehörigen immer noch vor allem Frauensache ist. Frauen sind aufgrund ihrer Karenzzeit, Teilzeittätigkeit, Erwerbspausen etc. in der Pension benachteiligt, das darf auch in Diskussionen um das Frauenpensionsalter nicht einfach weggewischt werden. Manche alte Fragen stellen sich neu und in unerträglicher Schärfe – man denke an die Entführung und Versklavung, die Misshandlung, Vergewaltigung und Ermordung von Tausenden Frauen und Mädchen etwa in Syrien, im Irak oder in Nigeria – Berivan Aslan ist als kurdisch-stämmige Österreicherin besonders involviert. Sie versucht unter anderem durch Reisen in die kritischen Gebiete im Nahen Osten zu verhindern, dass das Schicksal dieser Frauen aus dem Fokus der Weltöffentlichkeit gerät. Diese brutale Frauenfeindlichkeit darf uns nicht mundtot machen, ganz im Gegenteil: Sie soll uns alle ermutigen, uns für eine (gewalt)freie Gesellschaft einzusetzen!

Eva Glawischnig

Grüne Bundessprecherin

Berîvan Aslan

Grüne Frauensprecherin


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t l e w n e u f ra n e l h a z n i

6 %

In der österreichischen Gemeinden gibt es eine Bürgermeisterin!

4,34 Mio.  Frauen

leben in Österreich, das sind

51,2 % der Gesamtbevölkerung!

2

Nobelpreisträgerinnen aus Österreich gibt es:

Bertha von Suttner (Friedensnobelpreis 1905) und Elfriede Jelinek (Nobelpreis für Literatur 2004).

23 %

7 Rektorinnen

der Alltagswege legen Frauen in Vorarlberg zu Fuß zurück (Männer: 15 %).

gibt es in Österreich. D.h. jede dritte Uni wird von einer Frau geleitet.

62 Tage müssen

1,4 Kinder

Frauen länger arbeiten, damit sie auf das gleiche Gehalt wie Männer im gleichen Job kommen.

ist die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau. 1961 waren es 2,8 Kinder.


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29,1 Jahre

ist das durchschnittliche Alter der Mutter bei der Geburt des ersten Kindes.

frauenwelt in zahlen

Frauen verdienen brutto pro Stunde um

23 %

weniger als Männer

(EU-Durschnitt: 16,4 %).

51 % der ProfessorInnen

der Akademie der bildenden Künste sind Frauen.

83,6

Jahre beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung von Frauen. Die von Männern beträgt 78,5 Jahre.

55,2 %

der 20–24-jährigen Frauen leben im Elternhaus, bei

den Männern sind es 70,4 %.

852

Euro Pension

bekommt eine Frau im Durchschnitt.

1.769 Euro der Mann.

94,5 % beträgt der Schülerinnen-Anteil

an Pädagogischen Hochschulen.

145.031 Frauen und 128.249 Männer

studierten 2013/2014 an öffentlichen Universitäten.


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In den Studienrichtungen

Maschinenbau und Elektrotechnik

liegt der Frauenanteil

unter  10 %. 42 % Frauenquote gibt es

bei Doktoratsabschlüssen an österr.

Universitäten.

Frauen sind in Österreich mit einem Anteil von

15,2 %

deutlich weiterbildungsaktiver als Männer (13,0 %).

Generell waren Frauen mit Migrationshintergrund

häufiger überqualifiziert beschäftigt als Männer mit Migrationshintergrund (32 % gegenüber 25 %).

70 % im Alter von 40 und mehr

der Österreicherinnen

Jahren haben sich in den letzten drei Jahren einer

Mammographie unterzogen.

74,2 % aller Frauen

haben sexuelle Belästigung erlebt.

Die weibliche Erwerbsbeteiligung von Migrantinnen beträgt 58 % gegenüber 70 % bei Frauen ohne Migrationshintergrund.


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frauenwelt in zahlen

Von den 183 Abgeordneten des Nationalrats

sind derzeit 56 Frauen (30,6 %). Weltweit

sind die Abgeordneten in den Parlamenten etwa

20 % Frauen.

3,08 Stunden wenden Frauen täglich für die Haushaltsführung auf (Männer: 2,10 Stunden).

1918

wurde das Frauenwahlrecht in Österreich (vergleichsweise früh) eingeführt.

839 Anzeigen wegen Vergewaltigung gab es 2014 in Österreich. 668 Fälle konnten geklärt werden.

41 %

der Selbstständigen sind Frauen.

3,23 Stunden Freizeit haben Frauen

durchschnittlich am Tag. (Männer: 3,58 Stunden)

QUELLEN: Statistik Austria, „Österreichische Prävalenzstudie zur Gewalt an Frauen und Männern“ des Österreichischen Instituts Familienforschung (ÖIF), Gender Pay Gap von Eurostat, Polizeiliche Kriminalstatistik Österreich.


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t ss i e h s a w … h c i l t n eige Binnen-I

Das Binnen-I soll in der deutschen Sprache sichtbar machen, dass sowohl die männliche als auch die weibliche Form gemeint ist – z. B. LehrerInnen oder MitarbeiterInnen. 1987 verabschiedete die UNESCO eine Resolution für einen nicht sexistischen Sprachgebrauch, im Zuge derer eine Richtlinie erarbeitet wurde, die neben Empfehlungen zum Gebrauch der weiblichen Form und des Binnen-I verschiedene Varianten geschlechtergerechter Sprache vorstellt. Eine aus der Queer-Theorie stammende Alternative zum Binnen-I ist das sogenannte Gender Gap (z. B. Musiker_innen oder Politiker_innen). Damit sollen alle sozialen Geschlechter und Geschlechteridentitäten miteinbezogen werden.

Einkommensschere

Im internationalen Fachjargon auch „Gender Pay Gap“ genannt, stellt die Einkommensschere die geschlechtsspezifischen Verdienstunterschiede zwischen den durchschnittlichen Bruttostundenverdiensten von Frauen und jenen der Männer dar. Im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedstaaten zählt Österreich zu den Ländern mit den größten geschlechtsspezifischen Lohn- und Gehaltsunterschieden (23 %) und rangiert an vorletzter Stelle. Noch größere Unterschiede gibt es nur in Estland (29,9 %). Der EU-Durchschnitt beträgt 16,4 %.

Equal Pay Day

Aus den obigen Zahlen zur Einkommensschere ergeben sich die Berechnungen zum „Equal Pay Day“. Dieser Stichtag besagt, wann Frauen gleich viel verdient haben, wie männliche Kollegen bereits Ende des vorangegangenen Jahres in der Tasche hatten. Das überparteiliche internationale Frauennetzwerk BPW (Business and Professional Women) berechnet diesen Tag für 2015 wie folgt: Bei einer Basis von 260 Arbeitstagen im Jahr, abzüglich des 1. Jänner und des 6. Jänner als Feiertage, ergeben sich aus den 23 % Einkommensunterschied insgesamt 62 Tage, die Frauen länger arbeiten müssen als Männer. Daher fiel der Equal Pay Day im Jahr 2015 auf den 31. März. Der Equal Pay Day wird allerdings auch im Herbst (Anfang/Mitte Oktober) begangen. Dieses Datum verweist auf den Stichtag, ab dem Frauen statistisch gesehen ohne Lohn weiterarbeiten müssen.

Gender Mainstreaming

Gender Mainstreaming ist eine Strategie für EntscheidungsträgerInnen, zur Gleichstellung von Frauen und Männern beizutragen. Dabei werden politische Maßnahmen auf eine mögliche benachteiligende Auswirkung auf Frauen und Männer analysiert, um dem anschließend entgegenzuwirken. Das Prinzip des Gender Mainstreaming wurde erstmals 1995 auf der Weltfrauenkonferenz in Peking beschlossen. Die Europäische Union hat das Prinzip aufgegriffen und sich zur Durchführung von Gender Mainstreaming verpflichtet, ebenso wie die österreichische Regierung – zumindest auf dem Papier.


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glossar

Gender Budgeting

Frauen und Männer sollen in allen Bereichen gerecht und fair entlohnt und behandelt werden. Dafür ist eine Veränderung der Budgetpolitik im Sinne des Gender Mainstreaming notwendig – Gender Budgeting lautet das Zauberwort. Es bedeutet, dass das Budget auf seine Auswirkungen auf Männer und Frauen hin analysiert und entsprechend den Gleichstellungszielen verändert wird. Denn auch „geschlechtsneutral“ erscheinende Änderungen in Bereichen wie z. B. Gesundheit, Bildung, Verkehr, Arbeitsmarkt etc. können sich aufgrund der Lebensrealitäten von Frauen und Männern unterschiedlich auswirken.

Quotenregelung

Gut 50 % der Gesamtbevölkerung sind Frauen – allerdings spiegelt sich dieses Verhältnis in den meisten Institutionen, Gremien, Aufsichtsräten, in der Wissenschaft, in sogenannten Top-Jobs, in der Politik usw. nicht wider. Eine Möglichkeit, das zu ändern, ist die Quotenregelung. Darunter versteht man eine Vorgabe, die festlegt, dass ein bestimmter Prozentsatz von MitarbeiterInnen eines Unternehmens oder Mitgliedern eines Gremiums aus Frauen bestehen muss. Die EU-Kommission hat sich im November 2012 für eine Frauenquote von 40 % in Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen ausgesprochen. In Österreich sind Grundlagen für die Frauenquote im Bundes-Verfassungsgesetz festgeschrieben, verankert ist die Quotenregelung bisher mit 45 % nur im Öffentlichen Dienst.

Revenge Porn

Revenge Porn, übersetzt Racheporno, bezeichnet explizit sexuelle Inhalte (meist Fotos oder Videos), die – häufig von Expartnern – ohne die Genehmigung der darauf abgebildeten Person im Internet verbreitet werden, um ihr zu schaden. Oft werden die Bilder mit dem Zusatz des echten Namens, einem direkten Link zum Facebook-Profil oder auch anderen persönlichen Daten wie Wohnadresse, Arbeitsplatz oder Telefonnummer hochgeladen. Besonders oft sind Frauen davon betroffen. Vor allem in Großbritannien sind Rachepornos in den vergangenen Jahren zunehmend außer Kontrolle geraten, weshalb der Gesetzgeber nun reagiert hat: Der Upload pornografischen Materials ohne Zustimmung der gezeigten Person wurde im Oktober 2014 unter Strafe gestellt.

Viktimisierung

Wörtlich bedeutet Viktimisierung „Zum-Opfer-Machen“ (lat. victima = Opfer, daraus engl. victim). Oft wird der Begriff gebraucht, um eine Opfer-Täter-Umkehr zu beschreiben, die etwa dann vorliegt, wenn einem Opfer sexueller Gewalt vorgeworfen wird, die Gewalt selbst provoziert zu haben. Viktimisierung liegt auch dann vor, wenn eine Person eine Benachteiligung erfährt, weil sie sich über eine Diskriminierung beschwert hat oder weil sie eine andere Person, die sich beschwert hat, unterstützt bzw. unterstützt hat.


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t f f i r t e b h c i l r ü t a „n k i t i l o p n f rau e “ r e n n ä m au c h Hat ein Mädchen 2015 in Österreich die gleichen Zukunftschancen wie ein Bub? Und wie schaut Gleichberechtigung in zehn Jahren aus? Eva Glawischnig, die Chefin der Grünen, im Interview. Wenn wir von Feminismus oder Frauenpolitik sprechen, wird generell davon ausgegangen, dass das Thema „nur“ Frauen betrifft. Warum ist diese Annahme falsch? Eva Glawischnig: Natürlich betrifft Frauenpolitik auch Männer. Bis 1975 durften Frauen ohne Zustimmung des Mannes nicht arbeiten, über den Wohnsitz mitentscheiden und den Familiennamen wählen. Da haben Frauen viel an Selbstständigkeit erkämpft, und Männer mussten entsprechend Macht abgeben. Andererseits verändert der Feminismus traditionelle Rollenerwartungen an Männer. „Ganze Männer machen halbe-halbe“ – diese Forderung wurde erstmals 1996 von der damaligen SPÖ-Frauenministerin Helga Konrad gestellt. Und sie findet sich u.a. auch in diesem Frauenbericht wieder. Was hat sich in fast 20 Jahren getan? Männer gehen immer öfter in Karenz. Im Öffentlichen Dienst gibt es endlich einen Rechtsanspruch auf einen Papa-Monat. Immerhin 353 Männer haben von diesem Gebrauch gemacht. Allerdings gehen Männer deutlich kürzer in Karenz. Mehr Väterbeteiligung wäre notwendig. Die meiste Zeit mit den Kindern verbringen immer noch die Mütter.

Eine zentrale Forderung der Grünen lautet: gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Oft hört man das Argument, Frauen könnten gar nicht weniger verdienen, weil es ja Kollektivverträge gibt. Verhandeln Frauen einfach schlechter? Erstens gibt es nicht überall Kollektivverträge, und zweitens sind die „traditionellen Frauenberufe“ viel schlechter bezahlt. Regina Petrik, unsere burgenländische Spitzenkandidatin, hat ein Jahr lang in unterschiedlichen Berufen, etwa als Näherin, als Verkäuferin usw. gearbeitet. Am besten verdient hat sie als Bauarbeiterin, also in einem „traditionellen Männerberuf“. Und dann gibt es noch die gläserne Decke: In europäischen Topunternehmen ist nur eines von sieben (13,7 %) Aufsichtsratsmitgliedern und nur eine von 30 VorstandschefInnen (3,2 %) weiblich. Warum käme ein gesetzlicher Mindestlohn von 1.550 Euro vor allem Frauen zugute? Frauen verdienen in Österreich im Schnitt um 23% weniger als Männer. Eine Sekretärin bei einem Notar oder einem Rechtsanwalt, aber auch eine Friseurin würde daher von einem gesetzlichen Mindestlohn deutlich profitieren.


13 Frauen verrichten nach wie vor einen großen Teil der unbezahlten Arbeit, kümmern sich um die Kinderbetreuung oder die Pflege von Angehörigen. Wie können Erwerbsarbeit und unbezahlte Arbeit in unserer Gesellschaft besser aufgeteilt werden? Es braucht einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr, und es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass Männer gleich lang in Karenz gehen. Pflegebedürftige Menschen haben meist nicht nur Töchter, sondern auch Söhne, die einen Teil übernehmen könnten. Notwendig ist ein Rechtsanspruch auf Pflegekarenz, denn die Gefahr, den Arbeitsplatz zu verlieren, belastet pflegende Angehörige oft noch zusätzlich. Mitte März hat die österreichische Bundesregierung eine Steuerreform präsentiert, bei der sie sich nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner hat einigen können. BezieherInnen niedriger Einkommen und Frauen sind die klaren VerliererInnen dieser Steuerreform. Was heißt das, und wo würde das Grüne Modell ansetzen? Nach unserem Modell würde eine Teilzeitbeschäftigte im Jahr 1.100 Euro mehr im Börserl haben, nach dem Regierungsmodell bloß 290 Euro. Der Kanzler würde dagegen fast gar nicht davon profitieren, während die Regierung ihm 2.300 Euro mehr im Jahr geben will. Wir würden also niedrige Einkommen deutlich mehr entlasten. Zu Beginn der Frauenrechtsbewegungen haben Frauen für ihr politisches Mitspracherecht gekämpft. Wofür gilt es heute zu kämpfen? Frauen verdienen immer noch deutlich weniger als Männer. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist immer noch zu erkämpfen. Und obwohl Frauen deutlich

interview

besser gebildet sind als früher, sind Führungspositionen immer noch vorwiegend männlich besetzt. Nicht einmal ein Drittel der Nationalratsabgeordneten sind Frauen. Wir brauchen Gewaltschutzzentren, Notwohnungen sowie Frauen- und Mädchenberatungsstellen. Jede fünfte Frau in Österreich ist von Gewalt betroffen. Und wie man angesichts der Debatte um das Sexualstrafrecht sieht, sehen manche Männer sexuelle Belästigung immer noch als Kavaliersdelikt an. Das ist jenseitig! Hat ein Mädchen 2015 in Österreich die gleichen Zukunftschancen wie ein Bub? Ich würde mir das sehr wünschen, aber leider ist dem nicht so. Obwohl die Frauenbewegung sehr erfolgreich ist, sind vollkommene Chancengleichheit oder gleicher Lohn für gleiche Arbeit immer noch hart zu erkämpfen. Im Bildungsbereich haben Mädchen bereits aufgeholt. Am Arbeitsmarkt, bei der Karriere oder im Geldbeutel sieht das noch anders aus. Wie schaut Gleichstellung in zehn Jahren aus? Frauen und Männer werden sich partnerschaftlich die Kindererziehung gerecht aufteilen, Frauen werden gleich viel verdienen wie Männer, im Parlament und in Führungsetagen sitzen so viele Frauen wie Männer, und keine Frau ist mehr von Gewalt oder sexueller Belästigung betroffen. Das ist die Vision. Vermutlich werden wir aber länger als zehn Jahre brauchen, um sie zu verwirklichen.

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s ’ t a h r e w g e s ag t ? Was haben Emma Watson und Andreas Gabalier gemeinsam? Wohl eher nichts, wie unsere Zitaten-Sammlung zeigt. Welche Themen wurden im vergangenen Jahr diskutiert? Die Zitate des Jahres – zwischen echtem Engagement und infamer Ignoranz.

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„Men, I would like to take this opportunity to extend your formal invitation. Gender equality is your issue too.“ Emma Watson, UN-Sonderbotschafterin für Frauen In ihrer Rede vor den Vereinten Nationen, 20. 9. 2014

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„Den Text der österreichischen Bundeshymne lernte ich mit acht Jahren in der Schule im Sachkundeunterricht, und ich sehe keine Veranlassung, ihn anders zu singen.“ Andreas Gabalier, Musiker In einem offenen Brief via APA, 24. 6. 2014

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„Die brutale Sparpolitik der EU-Troika der letzten Jahre hat die Armut von Frauen weiter erhöht, prekäre Beschäftigung wird zunehmend zum Normalarbeitsverhältnis, die ,gläserne Decke‘ im Karriereverlauf ist für viele Frauen nach wie vor aus Beton.“ Monika Vana, Grüne Europaabgeordnete Anlässlich des Internationalen Frauentags 2015, 4. 3. 2015

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„Die Rache der Frauen wird nicht furchtbar sein.“ Reinhold Entholzer, Oberösterreichs SPÖ-Chef Zum Aufbegehren der Frauen in der SPÖ im Interview mit der Tageszeitung „Der Standard“, 25. 8. 2014

„Aber ich gestehe zu, dass die Quote ein hilfreiches Vehikel wäre.“ Hans Jörg Schelling, ÖVP-Finanzminister Im Interview mit dem Magazin „WOMAN“, Ausgabe 26/2014


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zitate

„Das Binnen-I verstößt gegen alle Usancen der deutschen Sprache und ist ein artifizielles Minderheitenprogramm.“ Konrad Paul Liessmann, Philosoph Über seinen Kampf gegen das Binnen-I im Magazin „Profil“, 28. 7. 2014

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„Es schenkt uns niemand das Binnen-I, sondern wir haben es uns genommen.“ Eva Blimlinger, Rektorin der Akademie der bildenden Künste Im „ZIB 2“-Interview, 15. 7. 2014

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„I am Malala, but I am also those 66 million girls who are deprived of education. I’m not raising my voice. It is the voice of those 66 million girls.“ Malala Yousafzai, 17-jährige Kinderrechtsaktivistin Anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises, 10. 10. 2014

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„Auf Frauen verzichten heißt Geld vernichten!“ Ulrike Lunacek, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Grüne/EFA-Fraktion, Österreich Im Interview mit www.phenomenelle.de, 1. 4. 2015

„Sexual assault is neither a ,light‘ nor ,fluffy‘ matter, and we cannot treat it as if it were.“ Emma Sulkowicz, Studentin und Anti-Vergewaltigungs-Aktivistin Über ihren Protest „Carry That Weight“ in der Studentenzeitung der Columbia University, 26. 10. 2014

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„Es ist nichts Herabsetzendes, wenn die Frau kocht und auf die Kinder schaut. Der Mann muss es würdigen.“ Herbert Prohaska, ehemaliger Fußballspieler und Trainer Im Interview mit der Tageszeitung „Der Standard“, 16. 8. 2014

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„Gender matters everywhere in the world. And I would like today to ask that we should begin to dream about and plan for a different world. A fairer world. A world of happier men and happier women who are truer to themselves. And this is how to start: we must raise our daughters differently. We must also raise our sons differently.“ Chimamanda Ngozi Adichie, nigerianische Schriftstellerin In ihrem Buch „We Should All Be Feminists“, veröffentlicht im Oktober 2014


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s u m s i n i m fe ? e s i r k r e in d – e s i r k r e in d ! s u m s i n i fem Der Feminismus hat alle ökonomischen Krisen und ideologischen Konfrontationen der vergangenen Jahre erstaunlich gut überstanden – und ist sogar kräftiger denn je. In den wichtigsten Existenzfragen unserer Gegenwart kann er uns den Weg weisen. Zugegeben: Um die Jahrtausendwende, als der Aktienmarkt noch stabil und der Glaube an das ewige Wohlstandswachstum ungebrochen war, machte der Feminismus einen etwas ramponierten Eindruck. Die Politik hatte ihn erfolgreich in Nischen zurückgedrängt, die „Frauenförderungsprogramme“, „Frauenforschungslehrstühle“ oder „Frauenhäuser“ hießen. Dort – so lautete der Auftrag – sollten sich Feministinnen still miteinander beschäftigen. Dort kriegten sie ein bisschen Geld und zum Frauentag jährlich ein bisschen ritualisierte Aufmerksamkeit, damit sie die Allgemeinheit nicht weiter belästigen würden. Man stellte Feministinnen damals flächendeckend als schönheits-, lust- und körperfeindliche Ideologinnen dar, schmähfrei, verbissen und verhärmt. Und irgendwann bald, so hieß es, wenn die alten Kämpferinnen gebrechlich wären, würde sich der Feminismus erledigt haben. Denn die jungen, feschen, sexy, erfolgreichen Alpha-Mädchen – die brauchen so etwas doch nicht!

Inzwischen sind multiple Krisen über uns hinweggezogen. Europa kämpft mit dem Euro und mit der Massenarbeitslosigkeit. An den Rändern des Kontinents herrscht Krieg, wir müssen uns gegen fundamentalistische Bedrohungen wappnen, innen und außen. Viele einstige Gewissheiten – der Fortschrittsglaube, die Strahlkraft der liberalen Demokratie – schauen mittlerweile ramponiert aus. Aber, oh Wunder: Der Feminismus ist immer noch da. Er hat alle Stürme, die über ihn hinweggefegt sind, unbeschadet überlebt. Er schaut sogar frischer und lebendiger aus als zuvor. Und wer weiß – womöglich eignet er sich inmitten des Durcheinanders sogar als Wegweiser. Das ist tatsächlich gut möglich. Man muss nur ein bisschen genauer hinschauen, um dafür schon jetzt Indizien zu erkennen. Erstes Beispiel: die globale Wirtschaft. In den Machtzentren des US-amerikanischen Kapitalismus ist der Feminismus ins Gewand


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des „Diversity Managements“ geschlüpft und zieht von dort aus um die Welt. Was der Feminismus schon lange weiß, weiß nämlich inzwischen auch jedes profitorientierte Unternehmen: dass Vielfalt von Vorteil ist; dass Entscheidungen qualitativ besser werden, wenn jene, die sie fällen, möglichst viele unterschiedliche Erfahrungen mitbringen. Die Quote, einst ein verpöntes Brachialinstrument, ist dewegen heute in der Mitte des Mainstreams angekommen. In allen Branchen wird sie mittlerweile ausprobiert, in Bildung und Wissenschaft, in der Politik und in den Medien. Sogar in weltanschaulich konservativen Institutionen gehört es mittlerweile zum guten Ton, ein Mindestmaß an Vielfalt zur Schau zu stellen. Nach anfänglichem Heulen und Zetern stellt sich beinahe überall heraus: Die Quote ist überraschend effizient. Sie wirkt rasch, wo Überzeugen und Verhandeln jahrzehntelang nichts bewegt haben. Und man gewöhnt sich daran. Zweites Beispiel: die Familien-politik. Hier herrscht Verwirrung und Angst, abzulesen an stetig sinkenden Kinderzahlen. Das traditionelle Familienbild vom „Haupternährer“ und der „Zuverdienerin“ hat endgültig ausgedient, es kracht an allen Ecken und Enden. Die einen arbeiten zu viel, verausgaben sich in Dauerüberstunden und schlittern ins Burn-out. Die anderen arbeiten zu wenig und finden aus Arbeitslosigkeit oder Dauerprekariat nicht mehr heraus. Dazwischen bleibt für Familien kaum Luft und eit zum Verschnaufen. Wie könnte man das menschenwürdiger organisieren? Hier zeigt uns der Feminismus skandinavischer Prägung die Richtung an. Gleichberechtigte Elternschaft ist die sinnvollste Art, bezahlte und unbezahlte Arbeit unter einen Hut zu bringen, privat ebenso wie gesamtgesellschaftlich. Männer müssen sich für Familie, Reproduktion und Vereinbarkeitsfragen glei-

kommentar

chermaßen verantwortlich fühlen – und gleichermaßen verantwortlich gemacht werden. Funktionieren kann das nur, wenn sich Männer an der Frauenbewegung ein Beispiel nehmen und Rollenzwänge, Erwartungshaltungen und Geschlechterklischees hinterfragen. Die Konflikte, mit denen diese Neuverteilung der Rollen einhergeht, kann man derzeit spüren, vor allem in Obsorgefragen. Doch wir ahnen bereits: Es wird sich am Ende auszahlen. Für beide Geschlechter. Drittes Beispiel ist der Kulturkampf. Die westlichen Demokratien werden akut bedroht, bedrängt von fundamentalistischen Kräften, die von Hass und revolutionären Heilsversprechen angetrieben werden. Was kann man dem entgegensetzen? Was genau wollen wir verteidigen? Was macht, im Vergleich zu anderen, das Besondere, Verteidigenswerte unserer Art zu leben aus? Auch hier hat sich der Feminismus als großartiger Kompass erwiesen. Es ist kein Zufall, dass es in der Auseinandersetzung mit dem Islamismus immer sehr rasch um Frauenrechte geht. Ob alle Menschen denselben Anspruch auf Würde, Respekt und Platz in der Öffentlichkeit haben; ob sie dieselben Chancen haben, sich zu entfalten – diese Fragen hat die Frauenbewegung zu stellen gelernt. Und sie sind ebenso tauglich, um festzustellen, wie ernst es eine Gesellschaft generell mit ihren Grundwerten meint – mit den Menschenrechten, mit der Demokratie, mit dem selbstbestimmten Leben. Man muss diese Fragen ja nicht immer nur den Fundamentalisten, den „anderen“ stellen. Zum Erkenntnisgewinn helfen sie auch in der unmittelbaren Nähe ganz gut.

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> Text: Sibylle Hamann / Foto: Godany


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t e t s o k s a w d i e w e lt ? Ein selbstständiges, selbstbestimmtes Leben bedeutet auch ein ökonomisch unabhängiges Leben. Frauen arbeiten jedoch besonders oft in prekären Arbeitsverhältnissen, d.h. in Teilzeit, oder sie sind geringfügig beschäftigt. Und: Die Einkommensschere zwischen Frauen und Männern schließt sich nicht. Warum eigentlich? „Viele Leute fragen mich, wie ich das alles unter einen Hut bekomme … aber irgendwie geht es sich immer aus.“ Alexandra Simonic ist das, was man gemeinhin als Workaholic bezeichnen könnte: Sie studiert Musikmanagement und BWL, arbeitet 20 Stunden in der Woche bei einer Rechtsschutzversicherung, ist DJane aus Leidenschaft und nebenbei auch noch ehrenamtlich tätig. Man könnte aber auch sagen: Alexandra ist eine von vielen jungen Frauen, die zwischen Lebensplanung und Lebensfinanzierung einfach eines wollen: leben. Dabei hat sie schon relativ früh gelernt, auf eigenen Beinen zu stehen: „Ich habe mit 19 die HAK-Matura gemacht, ein Jahr zuvor bin ich von zuhause ausgezogen. Ab dem Zeitpunkt der Matura habe ich mir mein Leben selber finanzieren müssen. Im Nachhinein gesehen bin ich nicht unglücklich darüber, dass ich recht schnell selbstständig sein musste. Das bringt einen in der persönlichen Entwicklung schnell weiter.“ Arbeit ist für Alexandra identitätsstiftend. „Mein Selbstwert hängt schon stark an dem, was und wofür ich arbeite“, sagt die 29-Jährige. Gerade der Job als DJane verlangt ihr dabei aber oft einiges ab. „Das Auflegen ist ein purer Nacht-Job. Wenn ich beispielsweise um 1 oder 2 Uhr anfange, arbeite ich bis 5 oder halb 6 in der Früh. Das schlägt sich natürlich auf den Körper nieder.“ Von ihren Jobs als DJane kann Alexandra aber allein nicht leben. „Dazu brauchst du in Österreich viele Connections und Glück – und es hilft, wenn man ein Mann ist“, meint sie. Zwar wird über die Höhe der Gagen in der Branche nicht viel gesprochen, Alexandra ist aber der Meinung, dass männliche DJs zumindest ernster genommen werden, wenn sie mehr fordern. Alexandra macht sich viele Gedanken über die Zukunft. Seit einigen Jahren zahlt sie in eine private Pensionsvorsorge ein. Gibt das Sicherheit? „Es gibt mir zumindest das Gefühl, das, was mir möglich ist, getan zu haben“, sagt sie. Als sie vor zwei Wochen nach einem DJ-Gig ein Taxi nach Hause genommen hat, ist ihr aufgefallen, dass der Taxi-Fahrer schon weit über 70 Jahre alt gewesen sein muss. „In dem Moment hab ich mich gefragt: Wie lange werde ich eigentlich einmal arbeiten müssen? Wir werden immer älter, die Gesundheitsversorgung wird immer besser. Aber werde ich mir dieses Gesundheitssystem auch noch leisten können, wenn ich alt bin?“ Bei so großen Fragen vergisst man oft, dass zwischen Lebensplanung und Lebensfinanzierung ja vor allem eines möglich sein: leben. Mit 29 genau so wie mit 79.

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Alexandra Simonic, 29 Teilzeit-Angestellte, Studentin, DJane und ehrenamtliche Mitarbeiterin in der Rosa Lila Villa

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Ich arbeite – also bin ich arm? Gleichstellungspolitik ist noch immer nicht in der JobRealität österreichischer Frauen angekommen. Reden wir über Einkommensgerechtigkeit, gesetzlichen Mindestlohn, ein Pensionsmodell für Frauen, das vor Armut schützt, und ein Steuermodell das echte Chancengleichheit schafft.

Vollzeit beschäftigte Frauen verdienen in der Europäischen Union im Durchschnitt um 16,4 % weniger als Vollzeit beschäftigte Männer. In Österreich ist dieser Wert noch weitaus schlechter. Mit 23,4 % weniger Verdienst für Frauen, liegt Österreich EU-

weit am vorletzten Platz und wird nur von Estland unterboten. Trotz guter Ausbildung werden Frauen oft unter ihrem Qualifikationsniveau eingesetzt und bezahlt.

Unselbständig Erwerbstätige nach Einkommensgruppen und Geschlecht 2013 Frauenanteil insgesamt Höchstes Viertel Drittes Viertel Zweites Viertel Niedrigstes Viertel 0

in Prozent

20 Frauen

40

60

80

100

Männer

Quelle: Statistik Austria, 2014. Lohnsteuer- und HV-Daten. Ohne Lehrlinge.

Mittleres Bruttojahreseinkommen der unselbständig Erwerbstätigen 2013 50.000 40.000 30.000 20.000 10.000 0 in Euro

Arbeiter & Arbeiterinnen Frauen

Männer

Angestellte Insgesamt

Quelle: Statistik Austria, 22.12.2014. Lohnsteuerdaten – Sozialstatistische Auswertungen.

Vertragsbedienstete

Beamte & Beamtinnen


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frauen und geld

Entwicklung der mittleren Jahreseinkommen (vor Steuern) der ausschließlich selbständig Erwerbstätigen in Euro 16.000 14.000 12.000 10.000 8.000 6.000 4.000 1998

2000 Frauen

2002 Männer

2004

2006

2008

2010*

2012** 2013**

Insgesamt

Quelle: Statistik Austria, 2014. Einkommenssteuerdaten. *) Zeitreihenbruch durch die Einführung des Gewinnfreibetrags. **) Die Werte für 2012 und 2013 wurden mit einem zeitreihenanalytischen Prognoseprogramm geschätzt.

Die Einkommensschere zwischen Männern und Frauen schließt sich nicht. Der Einkommensnachteil von Frauen fällt je nach sozialer Stellung unterschiedlich stark aus, im öffentlichen Bereich schwächer als in der Privatwirtschaft. Unter den BeamtInnen verdienen Frauen 95 % des mittleren Männereinkommens, unter Vertragsbediensteten 77 %. Dagegen kommen weibliche Angestellte auf 51 % der mittleren Männerverdienste, Arbeiterinnen nur auf 43 %. Diese Einkommensunterschiede werden auch in der Pension fortgeschrieben. Mit einer Jahrespension von 13.162 € erhielten Pensionistinnen um 58 % weniger Pension als Männer (22.860 €).

atypische beschäftigungsverhältnisse Ein Teil dieser Einkommensunterschiede ist auf die höhere Zahl von Teilzeitbeschäftigungen bei den Frauen zurückzuführen. Frauen sind, unabhängig von ihrem Qualifikationsniveau, durchwegs stärker von atypischer Beschäftigung betroffen als Männer. Zirka vier Fünftel der Beschäftigten in Teilzeit, zwei

Drittel der geringfügig Beschäftigten und etwas mehr als die Hälfte der freien DienstnehmerInnen sind Frauen. Gerade bei Teilzeitjobs in sogenannten traditionellen Frauenberufen, die schlechter bezahlt werden besteht die Gefahr einer schlechten Absicherung und Bezahlung, was Auswirkungen bis hin zur Pension hat. Dass unbezahlte Arbeiten nach wie vor zumeist von Frauen erledigt, ist keine Neuigkeit. Frauen tragen dadurch ein ungleich höheres Armutsrisiko. Lohnschere, Working Poor, ungleiche Verteilung von Fürsorge,-und betreuungspflichten und weibliche Gratisarbeit sind kein Mythos, sondern prägen die wirtschaftlichen, sozialen, ökonomischen und politischen Strukturen.

einkommenstransparenz und angabe von mindestentgelt Einkommensgerechtigkeit befindet sich noch immer im Stillstand. Im Regierungsübereinkommen wird als Ziel „Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit – Gleichstellung von Frauen am Arbeitsmarkt“ gefordert. Als


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Herausforderung wird dabei genannt: Einkommensunterschiede verringern, Frauen am Arbeitsmarkt entsprechend ihrer Qualifikationen fördern und Diskriminierungen beseitigen. Das ist bekanntlich nichts Neues. Eine der sechs angeführten Maßnahmen heißt: Einkommenstransparenz. Am 1. März 2011 trat eine Novelle des Gleichbehandlungsgesetzes in Kraft. Die wohl bekannteste Neuerung ist die Verpflichtung für Unternehmen, betriebsinterne Einkommensberichte zu erstellen. Das Problem dabei: Selbst im Vollausbau, der seit 2014 geltend ist, muss nur etwa 1 % der Betriebe Einkommensberichte erstellen (2.800 von insgesamt 300.000 Betrieben in ganz Österreich). Der Einkommensbericht ist dem Betriebsrat im ersten Quartal des Folgejahres zu übermitteln. Wenn es keinen Betriebsrat gibt, ist der Einkommensbericht in einem für alle MitarbeiterInnen zugänglichen Raum aufzulegen. Das bedeutet: Verpflichtung ohne Konsequenzen. Der Anspruch auf Erstellung und Übermittlung bzw. Information kann seitens des Betriebsrates oder seitens einzelner ArbeitnehmerInnen gerichtlich geltend gemacht werden. Allerdings gibt es keine Strafen für die Unternehmen, wenn sie der Erstellung des Einkommensberichtes nicht nachkommen. Die Betriebe sind auch nicht dazu verpflichtet, Maßnahmen zur Verringerung der Einkommensunterschiede wie die Erstellung von Frauenförderplänen zu ergreifen. MitarbeiterInnen hingegen drohen sehr wohl Verwaltungsstrafen – und zwar bis zu 360 € –, wenn sie über die anonymisierten Durchschnittsgehälter in ihrem Unternehmen sprechen. Unklarheiten gibt es auch darüber, welche Gehaltsbestandteile in diesen Berichten bei den Einkommen ausgewiesen werden müssen. Denn das Gesetz definiert nicht, welche Einkommensbestandteile (Zulagen, Überstunden, Sachleistungsbezüge, Jubiläumsgelder etc.) in den Einkommensberichten anzuführen sind. Ohne Unterstützung und Kontrolle durch eine unabhängige Stelle ist damit zu rechnen, dass die Einkommensberichte wenig aussagekräftig sind oder gar geschönt werden.

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Ebenfalls beschlossen wurde, dass Stellenanzeigen das Mindestgehalt und einen Hinweis auf eine mögliche Überzahlung beinhalten müssen. Seit März 2011 muss in jeder Stellenanzeige stehen, wie viel man im inserierten Job mindestens verdienen kann – selbst dann, wenn nur nach einer geringfügig beschäftigten Aushilfe gesucht wird. Das Mindestentgelt kann unterschiedlich geregelt sein, zum Beispiel durch Kollektivvertrag, Gesetz, Satzung oder Mindestlohntarif. In Bereichen, in denen es keinen Kollektivvertrag gibt, muss das Entgelt angegeben werden, das als Mindestgrundlage für die Vertragsverhandlung dienen soll. Wissen ArbeitgeberIn (oder die Arbeitsvermittlungsfirma) bereits zum Zeitpunkt der Stellenausschreibung, dass für die ausgeschriebene Position z. B. auch Zulagen zustehen, muss auch das in den Inseratentext aufgenommen werden. Von der Bezahlungsinfo nicht erfasst sind arbeitnehmerähnliche Personen (z. B. freie DienstnehmerInnen) sowie ArbeitnehmerInnen in hohen Führungspositionen (z. B. GeschäftsführerInnen). Die Novelle soll vor allem Diskriminierungen in der Arbeitswelt abbauen und durch die Verbesserung der Einkommenstransparenz die wirtschaftliche und soziale Teilhabe fördern sowie einer sozialen Ausgrenzung entgegenwirken. Gerade für Frauen ist das eine wichtige Maßnahme. Die Regierung nimmt sich vor, die Gehaltsangaben in Stelleninseraten und Einkommensberichte zu evaluieren und gegebenenfalls unter Einbindung der Sozialpartner weiterzuentwickeln (z. B. Maßnahmenplan, Antragsrecht). Nur: Alle im Regierungsprogramm genannten Maßnahmen sind 1. nicht budgetiert und 2. sind es alte Forderungen und Ankündigungen der Frauenministerin, zu denen es keine konkreten Vorschläge auf Umsetzung gibt.


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das grüne steuermodell Geschlechter- und sozialgerechte Steuerreformen können einen zentralen Beitrag zur Bekämpfung von Frauenarmut in Österreich leisten. Die im März 2015 von der Regierung präsentierte Einigung ist keine Reform des Steuersystems, sondern eine Tarifanpassung. BezieherInnen niedriger Einkommen und vor allem Frauen gehören zu den VerliererInnen, weil die ohnehin schon weit geöffnete Einkommensschere noch weiter aufgeht. Von der rot-schwarzen Tarif-Anpassung profitieren Männer wesentlich stärker als Frauen, auf die nur ein gutes Drittel der Entlastung fällt. Die Erhöhung des Kinderfreibetrags von 220 auf 400 Euro (100 Mio Euro) kommt geringverdienenden Familien und vielen Alleinerzie-

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herinnen nicht zugute. Während beim grünen Modell die Entlastung mit 50 % bei Frauen und 50 Prozent bei Männern gerecht aufgeteilt ist, sieht das Steuermodell der Regierung bei Frauen ein Entlastungsvolumen von gerade einmal 36 % vor, bei Männern dagegen stolze 64 %. Wir Grünen haben im Jänner ein von Experten durchgerechnetes Modell zur umfassenden Reform des Steuersystems und der Entlastung unterer Einkommen vorgelegt. Damit wären 90 % der Arbeitsund Erwerbseinkommen entlastet, 10 % belastet worden. Wir wollen eome Entlastung niedriger und mittlerer Einkommen und die Hälfte des Entlastungsvolumens für Frauen.

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Die Diskussion um die Frauenpension Die Angleichung des Frauenpensionsalters mit dem Pensionsalter der Männer beginnt mit 2024. Berechnung zeigen aber: Ein späterer Pensionsantritt von Frauen entlastet das Pensionssystem so gut wie nicht.

Mit 1. Jänner 1993 ist das „Bundesverfassungsgesetz über unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten“ in Kraft getreten. Dieses Gesetz wird mit 31. Dezember 2033, also dem Datum, an dem beide Geschlechter das gleiche Regelpensionsalter erreicht haben werden, außer Kraft treten. Dass Frauen fünf Jahre vor den Männern Anspruch auf das reguläre Regelpensionsalter haben, ist damit zu begründen, dass Frauen in Gesellschaft und der Arbeitswelt nicht gleichgestellt

sind. Sie leisten den Großteil der unbezahlten Arbeit im Haushalt, tragen die Verantwortung sowohl für die Erziehung und Betreuung der Kinder aber auch pflegebedürftiger Angehöriger. Im Gegensatz dazu mussten und müssen sie die fehlenden Rahmenbedingungen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben mit guter Organisation ausgleichen. Im Berufsleben waren und sind sie deshalb noch immer mit schlechterer Bezahlung und fehlenden Chancen beim Aufstieg und dem Zugang zur Aus- und Wei-


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terbildung konfrontiert. Das sind nur einige Gründe dafür, dass Frauen aufgrund der Doppel- und Dreifachbelastung mit einem früheren Regelpensionsalter rechnen konnten. Im Vorfeld des oben angeführten Bundesverfassungsgesetzes wurde von den Frauenpolitikerinnen im Jahr 1992 ein begleitendes Gleichstellungspaket beschlossen. Darin enthalten sind die notwendigen Bedingungen zur Erreichung der Gleichstellung, unter denen sich die Frauen vorstellen konnten, das Frauenpensionsalters ab 2024 schrittweise anzuheben. Die Grünen sprechen sich wie alle Frauenorganisationen deshalb für die stufenweise Anpassung und nicht eine vorzeitige Anpassung aus. Die meisten Frauen können derzeit um fünf Jahre früher in Pension gehen als Männer. In der öffentlichen Debatte wird dies als ungerecht dargestellt und die Anhebung des Pensionsantrittsalters von Frauen als Einsparungsmöglichkeit im Pensionssystem dargestellt. Die Ungerechtigkeit bestünde, so Kritiker, darin, dass Frauen zumindest fünf Jahre länger eine Pension erhielten als Männer und somit dem System wesentlich höhere Kosten entstünden als durch Männer. Beide Argumente sind sachlich falsch, denn > Frauenpensionen sind deutlich niedriger als Männerpensionen. > Sie kommen daher dem Bundesbudget trotz früheren Pensionsantritts und höherer Lebens erwartung deutlich billiger als Männer. > Das tatsächliche Antrittsalter von Frauen in der Alterspension liegt mit 59,3 Jahren wesentlich näher beim gesetzlichen Pensionsantrittsalter von 60 Jahren als bei Männern (62,8/65). Die Anhebung des gesetzlichen Frauenpensionsalters auf 65 Jahre ist bereits gesetzlich vorgesehen

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und beginnt mit Halbjahresschritten im Jahr 2024. Im Jahr 2033 werden Frauen und Männer ein gleiches Pensionsantrittsalter haben. Diese Anhebung ist formal an eine Verbesserung beim Erwerbszugang und der Einkommenshöhe gebunden (vor allem bei der Einkommenshöhe hat sich allerdings seit dem Beschluss dieser Regelung 1992 fast nichts getan – Stichwort Gender Gap). Eine Vorziehung dieser Anhebung ist aus verfassungsrechtlichen Gründen allerfrühestens mit dem Jahr 2018 möglich. Eine frühere Anhebung ist aber auch ökonomisch kontraproduktiv. Zum Beispiel geht knapp ein Drittel aller Frauen (32,3%) nicht aus der Erwerbstätigkeit in Pension, sondern aus der Arbeitslosigkeit oder dem Krankengeldbezug. Ein späterer Pensionsantritt verwandelt also nur Einsparungen im Pensionssystem in Mehrausgaben in der Arbeitslosenversicherung oder der Krankenversicherung. Die Grünen sind für die Beibehaltung des bereits im Jahr 1992 beschlossenen „Bundesverfassungsgesetzes über unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten“ (BGBl. 1992/832), in dem die Anhebung des Frauenpensionsalters ab 2024 um ein 1/2 Jahr pro Jahr festgeschrieben ist. Es bedarf aber noch erheblicher Schritte, um Fraueneinkommen, aber auch die Beschäftigungszeiten (Beitragszeiten) deutlich zu erhöhen, weil andernfalls auch die Anhebung ab 2024 zu ungewünschten Effekten führt. Darüber hinaus müssen jene noch existierenden Bestimmungen in Gesetzen, Dienstordnungen, Kollektivverträgen und Betriebsvereinbarungen, die Frauen dazu zwingen, mit Erreichen des gesetzlichen Pensionsalters in Pension zu gehen, gesetzlich als sittenwidrig deklariert werden.


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Eine Frau hätte mit Pensionsantritt mit 60 Jahren die Frauenmedianpension des Jahres 2014 von 838 € im Monat. Über 23,78 Jahre Bezugszeit „kostet“ ihre Pension dem Pensionssystem 278.978 €. Arbeitet sie ein Jahr länger, so erhöht sich ihre Monatspension auf 869 € im Monat, die sie aber nur 22,78 Jahre erhält. In diesen 22,78 Jahren kostet sie dem Pensionssystem als 277.003 €. Das Pensionssystem erspart sich also über einen Zeitraum von fast 23 Jahren betrachtet nicht einmal 2.000 € (oder 0,7 % der Gesamtsumme). Dem gegenüber stehen aber erhebliche Mehrkosten, da angesichts der Situation

Pension mit 60

ein Jahr

Pension neu in €

am Arbeitsmarkt entweder diese Frauen arbeitslos werden, oder an ihrer Stelle andere Personen keine Arbeit finden. Anm.: Bei der Berechnung dieses Beispiels wurde nicht die durchschnittliche Bezugsdauer einer Pension (23,9 Jahre), sondern die fernere Lebenserwartung im Alter von 60 Jahren herangezogen (23,78 Jahre).

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drei Jahre

vier Jahre

2.605,08

–6,6 %

991

2.659,16

–4,7 %

960

930

zwei Jahre

2.704,67

–3,1 %

2.741,63

–1,7 %

899

2.770,03

869

2.789,87

838

–0,7 %

frauen und geld

fünf Jahre

Kosten über 23,78 Jahre in 100 €

300.000,00 290.000,00 280.000,00

+18,2%

270.000,00 260.000,00

+10,4%

+14,1%

drei Jahre

vier Jahre

+6,8% +3,3%

250.000,00 240.000,00 230.000,00

Pension mit 60

Gesamtkosten Pension

ein Jahr

zwei Jahre

Gesamtkosten Notstandshilfe

fünf Jahre


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Wie weiblich ist das Budget? Die Idee von Gender Budgeting ist die Gleichstellung von Frauen und Männern als zentraler Bestandteil der Wirtschaftsund Finanzpolitik. Geld hat ja bekanntlich kein Mascherl – aber ein Geschlecht?

Gender Mainstreaming ist eine Strategie zur Gleichstellung von Frauen und Männern, die die klassische Frauenpolitik ergänzen soll. Dabei werden politische Maßnahmen auf eine mögliche benachteiligende Auswirkung auf Frauen und Männer analysiert, damit Benachteiligungen entgegengewirkt werden kann. Da Männer und Frauen unterschiedliche Verhaltensweisen, Ressourcen und Bedürfnisse haben können, können „neutral“ gemeinte Maßnahmen unterschiedlich stark auf sie wirken. Zumeist werden die Interessen von Frauen nicht ausreichend wahrgenommen, wodurch Benachteiligungen entstehen. Gender Mainstreaming soll klassische Frauen- und Gleichstellungspolitik ergänzen, jedoch keineswegs ersetzen. Das Prinzip des Gender Mainstreaming wurde erstmals auf der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 beschlossen. Die Staaten wurden aufgefordert, „geschlechterspezifische Belange in die Konzeption aller Politiken und Programme einzubeziehen, so dass vor dem Fällen von Entscheidungen die Folgen für Männer bzw. Frauen analysiert werden“. Die EU hat das Prinzip aufgegriffen und sich zur Durchführung von Gender Mainstreaming verpflichtet, ebenso wie die österreichische Regierung. Ein zentraler Bereich für Gender Mainstreaming ist die Steuer- und Budgetpolitik, also Gender Budgeting. Bisher ist die Umsetzung von Gender Mainstreaming und Gender Budgeting in Österreich noch mangelhaft.

gender budgeting in der verfassung – und dann? Gender Budgeting bedeutet, dass das Budget auf seine Auswirkungen auf Männer und Frauen hin analysiert und entsprechend der Gleichstellungsziele verändert wird. Denn auch „geschlechtsneutral“ erscheinende Änderungen in Bereichen wie z.B. Gesundheit, Bildung, Verkehr, Arbeitsmarkt, etc. können sich aufgrund der Lebensrealitäten von Frauen und Männern unterschiedlich auswirken. Im Rahmen der Haushaltsrechtsreform 2007 ist es nicht zuletzt aufgrund des Engagements der Grünen zu einer Verankerung von Gender Budgeting in der Verfassung gekommen. Mit 1. Jänner 2009 wurde die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern im öffentlichen Haushaltswesen als Staatszielbestimmung in der Verfassung verankert. Die Budgetpolitik des Bundes, der Länder und Gemeinden muss sich seit 2013 verpflichtend am Grundsatz der Gleichstellung der Geschlechter ausrichten. Doch die Umsetzung des Gender Budgetings größtenteils noch lässt auf sich warten.

haushaltsführung: gleichgestellt Der Budgetdienst, der regierungsunabhängige Analysen und Fachexpertisen zu budgetrelevanten Dokumenten erstellt, hält in der Budgetanalyse 2014/2015 fest: „Der Budgetdienst hat im Vorjahr


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bei den Budgetunterlagen eine aussagekräftige Gesamtdarstellung zum Thema Gender Budgeting vermisst, aus der die angestrebten Wirkungen insgesamt abgelesen werden können. Im Budgetbericht 2014/2015 wurden nunmehr zwar für alle Untergliederungen die Genderziele in einer Aufstellung zusammengefasst, diese beinhaltet jedoch keinerlei Analyse oder Gesamtaussage zur Ausrichtung der Zielsetzungen und Maßnahmen oder zur angestrebten Gesamtwirkung.“ Zwar wurden von Bund, Ländern und Gemeinden Gleichstellungsziele, Gleichstellungsmaßnahmen und entsprechende Messindikatoren definiert, es gab jedoch wenige Veränderungen bei den Maßnahmen und den Wirkungszielen. Gleichstellungsziele sind meist sehr breit ausgerichtet („Verbesserter Schutz vor Gewalt, insbesondere gegen Frauen, Minderjährige und SeniorInnen/ Wirksamkeit des Betretungsverbots“, „Sicherstellung der Gendergerechtigkeit in der Mobilität sowie eines gleichen Zugangs zu allen Verkehrsdienstleistungen/ Anzahl durchgeführter Genderanalysen“), wesentliche Schwerpunkte liegen auf der Bewusstseinsbildung zu Gleichstellungsfragen, Verbesserung der Lage der Frauen auf dem Arbeitsmarkt, einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie und der Erhöhung des Frauenanteils in Führungsfunktionen. Die Erhöhung des Anteils von Frauen an Einzelpersonenförderungen wurde als Zielsetzung im Budget 2014/2015 beispielsweise aber wieder weggelassen.

frauen und geld

So heißt es weiter in der Budgetanalyse: „Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass die Voranschlagsentwürfe 2014 und 2015 Impulse zur Gleichstellung von Frauen und Männern schaffen, die weiterentwickelt werden müssen. Gender-Budgeting-Ansätze als Analyse- und Steuerungsinstrument kommen in den Zielsetzungen und Maßnahmen der Ressorts und Obersten Organe insgesamt noch wenig zum Einsatz.“ Im Jahr 2014 erhielt das Bundesministerium für Bildung und Frauen (BMBF) laut Budgetentwurf 8,08 Mrd. €, auf die Frauen- und Gleichstellungsagenden entfielen davon rund 8,5 Mio. €. 2015 schreibt der Budgetentwurf für das BMBF eine Obergrenze von 7,99 Mrd. € bei den Auszahlungen vor. Das Frauenbudget erhöht sich auf rund 10,15 Mio. €. Eine Veränderung der Budgetpolitik im Sinne des Gender Mainstreaming ist essenziell. Dabei muss der Prozess der Budgeterstellung demokratisiert werden – etwa durch öffentliche Hearings jedes Ministeriums sowie die Einbeziehung von NGOs in diesen Prozess. Alle an der Entwicklung und Entscheidung grüner politischer Konzepte Beteiligten sollten über Gender-Kompetenz verfügen und die Methodik des Gender Mainstreaming kennen.

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Europa-Panorama Teilzeit, prekäre Beschäftigungssituationen, Armut trotz Arbeit, im Niedriglohnsektor überdurchschnittlich und in Führungspositionen unterdurchschnittlich repräsentiert – das ist die Realität für Frauen am Arbeitsmarkt in Europa. Die brutale Sparpolitik der EU-Troika der letzten Jahre hat die Situation noch verschlimmert. Der Grundsatz, wonach Männer und Frauen für gleichwertige Arbeit Anspruch auf gleiches Entgelt haben, ist in den EU-Verträgen verankert. Doch Papier ist geduldig: Mit 23 % ist der Gender Pay Gap in Österreich über dem EU-Schnitt von 16 %. Auch die Teilzeitrate von Frauen ist weit überdurchschnittlich: 46 % im Vergleich zu EUweiten 30 %.

her mit dem mindestlohn Wir Grüne fordern europaweit verbindliche soziale Mindeststandards, gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit, eine Mutterschutz-Richtlinie und den Ausbau europaweiter ArbeitnehmerInnenrechte, u. a. Mindeststandards bei Löhnen und Arbeitslosenversicherung. Derzeit gibt es in 22 EU-Staaten Mindestlöhne, in Österreich branchenabhängige Kollektivverträge (von denen allerdings nicht alle Berufe erfasst sind). Die Mindestlöhne rangieren von 11,12 Euro in Luxemburg bis 1,06 Euro in Bulgarien. Laut einer Eurofound-Studie würden bei einem EU-weiten Mindestlohn, der mindestens 60 % des länderspezifischen mittleren Lohns beträgt, ein Fünftel der Frauen und ein Zehntel der Männer profitieren. Besonders hohe Effekte gäbe es bei Teilzeit, wo EU-weit jede/r Dritte betroffen wäre. Es ist klar zu sehen: Frauen profitieren in doppelter Hinsicht von einem europäischen

Mindestlohn! Die nachhaltige Einkommensdiskriminierung von Frauen ist eine Schande für das 21. Jahrhundert.

gender budgeting In einem Punkt hat Österreich gegenüber der EU zumindest in der Theorie die Nase vorn: beim Gender Budgeting. Die Berücksichtigung der Geschlechterperspektive bei der Erstellung öffentlicher Haushalte ist in Österreich in der Verfassung verankert (von der Umsetzung fehlt allerdings jede Spur). Für das EU-Budget fehlt eine entsprechende Regelung bislang. Nichtsdestotrotz gibt es auf europäischer Ebene Bestrebungen, das Budget als Werkzeug für die Gleichstellung der Geschlechter einzusetzen. So haben das Europäische Parlament, der Rat sowie die Kommission schon im Jahr 2013 in einer gemeinsamen Erklärung verkündet, dass bei der Erstellung des Mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) in Zukunft Gleichstellungsaspekte einbezogen werden sollen. Dies ist allerdings erst ein Anfang. Wir Grüne fordern die sofortige Einführung von Gender Budgeting in allen Stadien der Erstellung des EU-Budgets, insbesonders auch bei Investitionsentscheidungen. Zahlreiche Best-Practice-Beispiele auf lokaler Ebene in der ganzen EU zeigen, wie es gehen kann.

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> Monika Vana, Grüne EU-Abgeordnete


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frauen und geld

wir grüne wo l l e n : > Eine Lohnpolitik, die sich vor allem für Lohnerhöhungen in den niedrig bezahlten „Frauenbranchen“ einsetzt > Einen gesetzlichen Mindestlohn von 1.500 € brutto > Maßnahmen auf allen Ebenen des Arbeitsmarktes (bei Ausbildung, Wiedereinstieg, Entlohnung etc.), um die Situation von Frauen gravierend zu verbessern > Die Förderung qualifizierter (Teilzeit-)Arbeitsplätze für Frauen > Verpflichtung zu Frauenförderplänen in der Wirtschaft > Gesetzliche Verankerung des Rückkehrrechts in eine Vollzeitanstellung nach Inanspruchnahme von Teilzeitregelungen (Elternteilzeit, Karenz etc.) > Gender Budgeting auf allen Ebenen der Budgeterstellung und Budgetpolitik > Die Einbeziehung von Frauen-NGOs in den Prozess der Budgeterstellung > Die Förderung der Forschung auf dem Gebiet des Gender Budgetings > Ausreichende Ressourcenausstattung für Gender Budgeting in den Ressorts > Gender Budgeting auf allen Ebenen der Budgeterstellung und Budgetpolitik > Beibehaltung des Gender-Checks bei allen Gesetzen und Verordnungen > Permanentes Erwerbs-Screening und Einstiegsgehälter-Check > Förderung für Betriebe nur bei Nachweis von Gleichbehandlung von Frauen und Männern


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Melanie Schiller, 27 Leiterin der On-air-Promotion bei OKTO


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frauen und sichtbarkeit

e i d d n i s wo n e n o i l l i m 4,34 f rau e n ?

Wenn die Frage nach der Sichtbarkeit von Frauen in der Gesellschaft gestellt wird, ist es gleichzeitig auch immer eine Frage nach Machtverhältnissen, Hierarchien und der Ökonomie der Aufmerksamkeit. Wo sind Quoten sinnvoll, und was bewirken sie (bzw. haben sie schon bewirkt)? Und: Wie werden Frauen durch sprachliche Gleichstellung sichtbar gemacht?

Warum ist es für dich wichtig, dass in der österreichischen Bundeshymne auch die Töchter vorkommen? „Ja, weil wir da sind“, antwortet Melanie Schiller auf diese Frage. Es ist ein pragmatisches Argument – und eines, das sitzt. „Ich finde, man sollte überhaupt einfach ,Menschen‘ schreiben“, fügt Melanie schmunzelnd hinzu. Die studierte Kultur- und Sozialanthropologin arbeitet als Leiterin der On-air-Promotion bei OKTO, einem partizipativen Fernsehsender in Wien. In ihrer Arbeit ist Sichtbarkeit per se ein wichtiges Thema. Minderheiten und gesellschaftlichen Teilgruppen, Frauen, Männern, LGBTIQ-Personen – allen soll und wird hier die Möglichkeit gegeben, Fernsehen zu machen. Frauen sind unter den SendungsmacherInnen auch stark vertreten. Melanie hat eine klare Botschaft an Mädchen und Frauen: „Take the chance! Du hast viele Möglichkeiten, nutze die Chancen, die dir das Leben bietet.“ Für die 27-Jährige ist es bedeutend, keine Angst vor der eigenen Sichtbarkeit zu haben, sich selbst etwas zuzutrauen. „Ganz wichtig ist da das kleine Fünkchen ,Du schaffst das schon‘, das zum Beispiel Eltern einem Kind mitgeben können“, sagt Melanie. „Meine Kinder werden auf jeden Fall so aufwachsen.“ Dabei hat es in Melanies Leben auch eine Zeit gegeben, in der sie dachte, dass ein Teil von ihr unsichtbar sein müsse. Eine junge lesbische Frau, die am Land aufwächst – ihr Coming-out-Prozess war nicht einfach, aber Melanie hat sich ihren Weg gesucht. Die Kultur- und Sozialanthropologie, die Arbeit und Forschung in den Bereichen Anti-Rassismus, Migration, Asyl und Queer Studies wurden ihr Zuhause. An der Universität war Gender-Theorie in ihrer Studienrichtung ein zentrales Thema. „Wo aber Räume mit Macht gefüllt sind, wie es an der Uni der Fall ist, geht es für Frauen noch immer darum, dass sie sich ihren Platz hart erkämpfen müssen“, meint Melanie. Strukturelle Gegebenheiten halten alte Machtgefüge hoch – nicht nur auf der Uni, sondern auch was die Sichtbarkeit, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung von Frauen generell in Gesellschaften betrifft. Darüber hinaus sind Benachteiligungen, die aufgrund Ethnizität, Religion etc. existieren, ja auch nicht einfach wegzudenken, Diskriminierung wird gemacht. Die vielfältigen Rollen einer Frau in den unterschiedlichsten sozialen Kontexten wahrzunehmen, zu akzeptieren und zu unterstützen ist für Melanie ein wesentlicher Schritt, um die Sichtbarkeit von Frauen in Gesellschaften zu fördern. „Ich bin ja nicht nur Frau, ich bin in manchen Situationen dann auch große Schwester, Tochter, gute Freundin, Arbeitskollegin oder eine lesbische Frau, die einfordert, dass sie heiraten oder mit ihrer Partnerin ein Kind bekommen darf, wenn sie das möchte.“ Das kleine Fünkchen Hoffnung auf eine gleichberechtigte Welt und der Wille, die Gesellschaft positiv mitzugestalten, sind da in jedem Fall sinnvolle und wichtige Instrumente.

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Gleich, gleicher, Gender Österreich ist im Bereich Gender Equality eindeutig kein Vorreiter. Doch wenn es um die Sichtbarmachung von Frauen in Politik und Wirtschaft geht, hat sich die Quote noch keine FreundInnen gemacht.

Der „Global Gender Gap Report“, den das Schweizer Weltwirtschaftsforum alljährlich veröffentlicht, liefert klare Zahlen: 2014 lag Österreich in der weltweiten Gleichstellungsrangliste auf Platz 36 (von 142 Ländern), ein Jahr zuvor immerhin noch auf Platz 19 (von 136 Ländern). Die Top-Plätze im Ranking nehmen skandinavische Länder wie Island (Platz 1), Finnland (Platz 2) und Norwegen (Platz 3) ein. Nach Malawi (34) und den Bahamas (36), jedoch noch vor Kenia (37) und Lesotho (38) ist also Österreich zu finden. Syrien, Tschad, Pakistan und Jemen bilden übrigens die Schlusslichter im „Global Gender Gap Report“. Nachholbedarf gibt es in Österreich in vielen Bereichen.

frauen im parlament Der bisher höchste Frauenanteil im österreichischen Parlament (33,9 %) wurde 2002 erreicht. Nach der Nationalratswahl 2006 sank der Frauenanteil im Nationalrat zunächst auf 31,2 %, nach der Wahl im Oktober 2008 sogar auf 27,3 %. Von den 183 Abgeordneten des Nationalrats sind derzeit 56 Frauen (30,6 %). Von den 61 Mitgliedern des Bundesrats sind derzeit 18 Frauen (29,51 %). Angesichts des beschämend niedrigen Frauenanteils im österreichischen Parlament fordern die Grünen neben einem eigenständigen Frauenministerium auch klare finanzielle Anreize für mehr Frauen in der

Politik. Konkret soll z. B. ein Teil der Parteienbzw. der Klubfinanzierung an Frauenquoten in den Parlamentsklubs gebunden werden. Die Grünen sind die einzige Partei, die ihre eigene Frauenquote von 50 % einhält (die Grünen haben einen aktuellen Frauenanteil von 54,17 % bei den MandatarInnen im Parlament) und glaubwürdig für eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen eintritt.

frauen in führungspositionen Durch mehr Frauen in Führungspositionen würden sich auch die großen Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern verringern. Die obersten Führungsebenen, Geschäftsführung und Aufsichtsräte sind jedoch weitgehend von Männern dominiert. 2014 betrug der Frauenanteil in den Geschäftsführungen der 200 größten bzw. umsatzstärksten heimischen Unternehmen laut „Frauen.Management. Report.2014“ der AK Wien 5,6 % (gleich wie 2013), in den Aufsichtsgremien konnte der Frauenanteil von 13,4 % (2013) marginal auf 13,9 % erhöht werden. Weiters heißt es in der AK-Studie: „Die besonders im Fokus der Öffentlichkeit stehenden börsennotierten Unternehmen, die sich per „Corporate Governance Kodex“ zu guter Unternehmensführung bekennen, schneiden mit lediglich sechs Frauen (2013: sieben Frauen) in den Vorstandsetagen noch schlechter ab.


33 Im Aufsichtsrat liegt der Anteil bei 12,0 % weiblich besetzten Mandaten und damit ein weiteres Mal unter dem Ergebnis der Top-200-Unternehmen. Die staatsnahen Unternehmen machen hingegen spürbare Fortschritte: Zahlen aus dem Jahr 2013 zeigen, dass unter den 285 vom Bund entsandten Aufsichtsratsmitgliedern 94 Frauen vertreten sind. Durchschnittlich liegt die Bundesfrauenquote damit in jenen 55 Unternehmen, an denen der Staat mit mehr als 50 % beteiligt ist, bei 33 % (2011: 26 Prozent). Öffentliche Unternehmen nehmen so eine Vorreiterrolle ein, die Privatwirtschaft und dabei besonders die Kapitalmarktunternehmen hinken bei der geschlechtergerechten Besetzung von Spitzenpositionen deutlich nach.“ Quotenregelungen sind die effektivste Methode zur Erhöhung des Frauenanteils in zentralen Positionen. Deshalb setzen sich die Grünen für gesetzlich verpflichtende Frauenquoten ein. Obwohl es heute so viele Maturantinnen und Akademikerinnen wie noch nie gibt, sind Frauen in allen wichtigen Bereichen (z. B. Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Sport, Medien oder Gewerkschaft) weiterhin unterrepräsentiert. Gesetzlich verpflichtende Quotenregelungen würden dafür sorgen, dass die Top-Jobs seltener an mittelmäßig qualifizierte Männer und öfter an die bestqualifizierten Frauen gehen würden. Mittels Frauenquoten soll eine Erhöhung des Frauenanteils in diversen Bereichen erreicht werden, wobei diese Erhöhung auf verschiedenen Wegen angestrebt werden kann: von unmittelbar verpflichtenden Quotenvorgaben über Zielquoten, die innerhalb einer bestimmten Zeit erreicht werden müssen, bis zu Anreizmechanismen, die über finanzielle oder andere Anreize zur Erhöhung von Frauenquoten motivieren sollen. Begründet werden können Frauenquoten mit der verfassungsrechtlichen Verankerung der Gleichstellung der Geschlechter sowie mit dem Anspruch des Staates, in seinem Tätigkeitsbereich

frauen und sichtbarkeit

bzw. auch dort, wo er finanziert, das politische Ziel der Geschlechtergleichstellung zu verfolgen. 
 In Österreich gibt es derzeit zwei Quotenregelungen: > Eine gesetzliche Quotenregelung im Bundes gleichbehandlungsgesetz, die eine Bevorzugung von Frauen bei gleicher Qualifikation vorsieht, solange der Frauenanteil unter 45 % liegt. > Für staatsnahe Unternehmen gibt es eine Ministerratsvereinbarung, die vorsieht, dass der Frauenanteil unter den von der Regierung entsandten Aufsichtsratsmitgliedern bis 2018 35 % erreichen soll. Eine gesetzliche Regelung für private Unternehmen ist nicht geplant, hier setzt die Regierung auf die „freiwillige Selbstverpflichtung“ der Unternehmen. Den Grünen ist das zu wenig: Wir fordern eine 50 %-Quote in allen Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen und Sanktionen im Falle der Nichteinhaltung. Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner haben sich am 15. Februar 2011 im Ministerrat darauf verständigt, dass staatsnahe börsennotierte Unternehmen, an denen der Bund mindestens 50 % hält, bis 2013 im Aufsichtsrat 25 % Frauen haben sollen und dieser Anteil bis 2018 auf 35 % steigen soll. Eine gesetzliche Regelung soll es selbst bei Nichterreichung des Ziels nicht vor 2018 geben. Für alle anderen börsennotierten Unternehmen soll einstweilen keine Quote, sondern nur eine Selbstverpflichtung in Form einer „Explain or Comply“-Regelung des „Corporate Governance Kodex“ gelten – statt des derzeitigen ausschließlichen Empfehlungscharakters (R 42) „zur Berücksichtigung der Aspekte der Diversität des Aufsichtsrats auch im Hinblick auf die Vertretung beider Geschlechter“.

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Mama geht arbeiten Familiäre Pflichten werden noch immer primär Frauen zugeordnet. Daher sind sie es, die allzu oft vor die Wahl zwischen Familie und Karriere gestellt werden. Mehr Väterbeteiligung kann Frauen einen rascheren Wiedereinstieg garantieren. Die Geburt eines Kindes bedeutet für Frauen noch immer einen massiven Einschnitt in ihre Erwerbskarriere. Frauen unterbrechen aufgrund einer Elternschaft nicht nur die Erwerbsarbeit, sondern nehmen eine Arbeit danach auch nur in reduziertem Ausmaß wieder auf. Auf Männer hat Elternschaft eine völlig andere Auswirkung. Männliche Biografien werden durch die Geburt eines Kindes nur unwesentlich beeinflusst. Das Arbeitspensum von Vätern steigt durch Familiengründung sogar an. Die Steigerung der Frauenerwerbstätigkeit durch den Ausbau der Kinderbetreuung sowie eine gleichmäßigere Verteilung der Betreuungsarbeit auf die Elternteile – das müssen Ziele moderner Familienpolitik sein, und dazu gehören beispielsweise der Rechtsanspruch auf einen qualitätsvollen Kinderbetreuungsplatz ab dem vollendeten 1. Lebensjahr des Kindesund die Anerkennung sozialer Elternschaft beim Kinderbetreuungsgeldbezug. Wir Grüne fordern das Recht auf (Eltern-)Teilzeit für alle mit Recht auf Rückkehr zur Vollzeitarbeit sowie eine Ausdehnung der Behaltefrist am Arbeitsplatz nach der Karenzzeit auf 26 Wochen. Denn: Nur eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch eine gute soziale Infrastruktur (ganztägige qualitativ hochwertige Kinderbetreuung, mehr ambulante und teilstationäre Dienste in der Altenbetreuung etc.) hilft Frauen, einem ihrer Qualifikation entsprechenden Beruf nachzugehen. Nach wie vor gibt es – bedingt durch Mehrfachzuständigkeiten (Bund, Länder, Gemeinden) sowie

jahrzehntelange Versäumnisse im Ausbau – viel zu wenige Kinderbetreuungsplätze in Österreich. Krippe und Kindergarten sind die ersten und wichtigsten Stationen auf einem lebenslangen Bildungsweg. D.h. Bildung beginnt nicht erst mit dem Schuleintritt. Eine umfassende öffentliche, qualitativ hochwertige und leistbare Kinderbetreuungsstruktur ist auch eine zentrale Voraussetzung dafür, dass Eltern tatsächlich entscheiden können, wann sie nach der Kinderpause wieder ins Berufsleben einsteigen wollen. Die Kinderbetreuungsquote bei den Drei- bis Fünfjährigen liegt im Kindergartenjahr 2013/2014 bei 90,8%, bei den Null- bis Zweijährigen allerdings nur bei 23%.

und die väter? Derzeit haben lediglich Bundesbedienstete einen Rechtsanspruch auf einen unbezahlten Papa-Monat. Erstens sollten davon alle Väter – also auch jene in der Privatwirtschaft – profitieren können. Zweitens braucht es natürlich einen vollen Einkommensersatz. Ein Papa-Monat darf nicht nur gut verdienenden Vätern vorbehalten sein. Aus Sicht der Grünen muss das Ziel sein, dass es für beide Elternteile selbstverständlich ist, sich an der Kinderbetreuung zu beteiligen. Es liegt bestimmt nicht daran, dass Väter nicht wollen, sondern viele Familien können es sich nach wie vor aufgrund der Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen nicht leisten, dass der Mann in Karenz geht. Genau hier muss angesetzt werden, aber nicht mit einem Bonus, sondern mit einem einkommensabhängigen Karenzgeld.


35

Aus einer von der APA veröffentlichten Aufstellung des Beamtenressorts geht hervor, dass ungefähr jeder achte Vater den Papa-Monat in Anspruch nimmt. Seit Jahresbeginn 2011 haben Männer im Öffentlichen Dienst diesen Anspruch auf einen Karenzurlaub ohne Bezahlung im Ausmaß von bis zu vier Wochen. Seit 1. Jänner 2011 gingen demnach 1.083 Männer in den Papa-Monat.

wenn, dann gehen väter kurz in karenz

frauen und sichtbarkeit

beim KBG. Dabei werden alle abgeschlossenen Fälle herangezogen. Die Väterbeteiligung ist bei dieser Betrachtungsweise vergleichsweise hoch, da bei der Auswertung der abgeschlossenen Fälle nicht berücksichtigt wird, wie lange die Väter jeweils KBG in Anspruch genommen haben. Bei der „Momentaufnahme“ der monatlichen Statistik ist die Väterbeteiligung deutlich geringer, weil Väter in der Regel nur für wenige Monate KBG beanspruchen. Bei genauerem Hinsehen heißt das also: Väter beteiligen sich zwar in steigendem Ausmaß, aber der Zeitraum der Inanspruchnahme ist nach wie vor deutlich kürzer als der von Frauen.

p

In der Öffentlichkeit kursieren regelmäßig verschiedene Statistiken zur Väterbeteiligung beim Kinderbetreuungsgeld (KBG). Das Ministerium beruft sich dabei auf Sonderauswertungen zur Väterbeteiligung Nicht bezahlte Arbeit Frauen/Männer/insgesamt

Stunden pro Tag ab 19 Jahren (Montag–Sonntag)

06:00

04:52

04:48

03:59 03:36

03:52

03:08 02:42

02:24

02:10

01:12

00:35 00:00

Haushaltsführung Gesamt

Frauen

Quelle: Statistik Austria, Zeitverwendungserhebung; erstellt am 1. 10. 2012

00:45 00:22

Kinderbetreuung Männer

00:09 00:08 00:10

Freiwilligenarbeit

insgesamt


frauenbericht 2015

36

Wie wir – und wie weiblich? Unter Österreichs JournalistInnen herrscht annährend Geschlechterparität. Bei genauerem Hinsehen fällt aber auf: Es gibt noch viel zu tun. Auch beim ORF. Im Journalismus sind immer mehr Frauen tätig. Netzwerke stärken Autorinnen, Redakteurinnen und Chefredakteurinnen. Laut „Journalisten-Report“ (2007) liegt Österreich mit einem Frauenanteil von 42 % im Journalismus weit vor der Schweiz (33 %) und vor Deutschland (37 %). Im Detail zeichnet sich jedoch ein bereits bekanntes Bild ab: Fast ein Drittel der Frauen (32 %) in Medienberufen arbeitet in Teilzeit; von den Männern tun dies lediglich 18 %. Ein großer Unterschied zwischen Journalistinnen und Journalisten zeigt sich auch noch immer beim Einkommen: Bei den 30- bis 39-Jährigen verdienen 85 % der Frauen unter 3.500 Euro, aber nur 67 % der Männer. Und: Je höher man in die Führungsetagen kommt, desto weniger werden die Frauen. Während also fast jeder fünfte Mann (18,5 %) eine leitende Funktion ausübt, tut dies bei den Frauen nur knapp eine von zehn (9 %)1.

gleichstellung im ORF Der ORF als öffentlich-rechtlicher Sender ist per ORF-Gesetz dazu verpflichtet, „nach Maßgabe der Vorgaben des Gleichstellungsplanes (§ 30b) auf eine Beseitigung einer bestehenden Unterrepräsentation von Frauen an der Gesamtzahl der dauernd Beschäftigten und der Funktionen sowie von bestehenden Benachteiligungen von Frauen im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis hinzuwirken“. Weiters heißt es in § 30a (2): „Frauen sind unterrepräsentiert, wenn der Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der dauernd Beschäftigten, einschließlich überlas-

sener Arbeitskräfte, 1. in der betreffenden Verwendungs-, Entlohnungs- oder Funktionsgruppe oder 2. in sonstigen hervorgehobenen Verwendungen oder Funktionen, welche keine Unterteilung in Gruppen aufweisen, der Stiftung weniger als 45 vH beträgt.“ Wie es um die Gleichstellung bei Österreichs größtem Medienanbieter bestellt ist, zeigen die Ergebnisse des von der ORF-Gleichbehandlungskommission und der internen AG für Gleichstellungsfragen vorgelegten Berichts: Zum Stichtag 31. 10. 2014 standen im ORF 1.434 Frauen und 1.933 Männer in einem dauernden Beschäftigungsverhältnis, das entspricht einem Frauenanteil von 42,6 % (plus 0,4 Prozentpunkte gegenüber 2013). Davon betrug der Frauenanteil
 > im Bereich Programm 53,3 % (plus 0,1 Prozentpunkte)
 > im Bereich Administration und Technik 29,9 % (plus 0,2 Prozentpunkte) > im Bereich Landesstudios 45,7 % (plus 1,2 Prozentpunkte) Betrachtet man den Frauenanteil nach Altersgruppen, wird der ORF zunehmend weiblicher – allerdings zeigt sich bei der Analyse des Frauenanteils in den einzelnen Verwendungsgruppen, dass durchaus Handlungsbedarf besteht. Auch wenn die im Zuge der Umsetzung des Gleichstellungsplans im vergangenen Jahr getroffenen Maßnahmen, insbesondere die „Gleichstellungsmillion“, zu einer weiteren Verbesserung des Frauenanteils in den höheren


37

Verwendungsgruppen führten – einen Frauenüberhang gibt es nur in den Verwendungsgruppen bis 10 (Sekretariate); in den Redaktionen (bis VG13) sind 38 % der MitarbeiterInnen weiblich, im mittleren Management nur 27 %, auf Ebene der AbteilungsleiterInnen und HauptabteilungsleiterInnen 23 %. Die ORF-Geschäftsführung ist zudem klar männlich dominiert: Unter den DirektorInnen findet sich mit Kathrin Zechner als Fernsehdirektorin die einzige Frau, unter den LandesdirektorInnen sind mit Karin Bernhard (Kärnten) und Brigitte Wolf (Wien) zwei von neun Posten mit Frauen besetzt. Ein Blick auf die Beschäftigungsarten lässt ebenfalls Verbesserungspotenzial erkennen, denn die befristeten Verträge entfielen auf 46 Männer und 83 Frauen, daraus ergibt sich ein Frauenanteil von 64,3 %. Von den unbefristeten Verträgen entfielen 1.731 auf Männer und 1.296 auf Frauen, woraus sich ein Frauenanteil von 42,8 % ergibt (plus 0,3 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr).
Bei der Mehrzahl der befristeten Verträge handelt es sich um Karenzvertretungen, die wiederum überwiegend

frauen und geld

auf Frauen entfallen. Der Frauenanteil im Bereich der Teilzeitbeschäftigung beträgt 71,3 %, der Frauenanteil im Bereich der Vollzeitbeschäftigung 31,5 %. ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz wurde währenddessen in New York mit dem „Women’s Empowerment Principles CEO Leadership Award“ ausgezeichnet, einem internationalen UNO-Preis, der an ManagerInnen verliehen wird, die sich speziell für die Gleichstellung von Frauen einsetzen. Dass der Gleichstellungsplan des ORF bereits international Beachtung findet, ist natürlich gut. Noch besser wäre es aber, wenn die angestrebte Quote auch auf allen Ebenen erfüllt wird.

p

Andy Kaltenbrunner, Matthias Karmasin, Daniela Kraus, Astrid Zimmermann: Österreichs Medien und ihre Macher. Eine empirische Erhebung. In: Der Journalisten-Report. Teil I, Facultas Verlags- und Buchhandels AG. Wien 2007

1)

ORF-Mitarbeiter-Statistik 2013/2014 Verwendungsgruppe

männer frauen gesamt

frauenanteil 2014

2013

VG 2–10

466

641

1.107

57,9 %

57,1 %

VG 11–14

1.067

624

1.691

36,9 %

36,4 %

VG 15–18

341

145

486

29,8 %

28,7 %

Quelle: Bericht „Gleichstellung im ORF“, November 2014


frauenbericht 2015

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Europa-Panorama Von der Gleichstellung von Frauen und Männern in der EU sind wir auch im Jahr 2015 weit entfernt. Werfen wir einen Blick in die Berufswelt: In der EU sind Frauen in allen Bereichen in Führungspositionen unterrepräsentiert, durchschnittlich sind nur 17 % Frauen in Spitzengremien. Die „gläserne Decke“ erweist sich im Karriereverlauf oft aus Beton. Eine Quote in Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen wäre ein wichtiger Schritt in Richtung gerechtere Repräsentation von Frauen – so fordert es die von den Grünen unterstützte „Women on Board“Richtlinie.

die politik als vorbild? Nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik sollte Gleichstellung gelebt werden. Derzeit sieht es allerdings düster aus: Die EU-Kommission hat nach wie vor eine Frauenquote von nur knapp einem Drittel, das Europäische Parlament von 37 %. Die Europäische Grüne Partei (EGP) geht mit gutem Beispiel voran und hat – ähnlich den Österreichischen Grünen – eine Mindestfrauenquote von 50 % in allen Gremien verankert. Der europäische Vergleich zeigt ganz klar: Fortschritte beim Frauenanteil gibt es nur in Ländern, die verbindliche Regelungen geschaffen haben – selbstverpflichtende und damit unverbindliche Quoten sind nicht genug. Deshalb braucht es Anreizsysteme: In Irland beispielsweise verlieren Parteien, die nicht mindestens 30 % Frauen auf ihren Listen stehen haben, die Hälfte der staatlichen Parteienförderung.

viele männer wollen nicht nur ernährer, sondern auch väter sein Zahlreiche Studien zeigen, dass ein Großteil der berufstätigen Väter gerne weniger arbeiten würde. Dagegen möchten 20 % der erwerbstätigen Frauen ihre Wochenstundenzahl erhöhen. Und hier beißt sich die Katze in den eigenen Schwanz: Männer möchten gerne weniger arbeiten und auch ihre Rolle als Vater ausfüllen, doch im Regelfall verdienen sie besser als Frauen. Frauen möchten gerne mehr arbeiten, aber verdienen deutlich weniger und/oder sind in Teilzeitanstellungen gefangen. Um endlich einen Schritt vorwärts zu machen, muss mit der Mutterschutzrichtlinie auch eine EU-weite Regelung für eine Freistellung der Väter unmittelbar nach der Geburt eines Kindes eingeführt werden. Doch die Diskussionen dazu sind zermürbend, der Rat der EU blockiert das Vorhaben, den meisten Mitgliedstaaten ist das zu teuer. Europäischer Fortschritt sieht anders aus. Derzeit wird lieber in Atomenergie und Autobahnen investiert statt in Europas Zukunft.

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> Monika Vana, Grüne EU-Abgeordnete


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frauen und sichtbarkeit

wir grüne wo l l e n : > Eine gesetzlich verpflichtende Geschlechterquote von mind. 50 % für Aufsichtsratsgremien > Die Förderung von Arbeitszeitmodellen, die Führungspositionen in Teilzeit ermöglichen >

Verpflichtende Frauenquoten bei der Erstellung von KandidatInnenlisten für Wahlen und die Bindung der Parteienförderung an die Erfüllung dieser Quoten über ein System einer Basisparteienförderung mit Zusatzprämien und Zuschlägen je nach erzielter Frauenquote

>

50 %-Frauenquoten bei der Besetzung von Gremien im öffentlichen Bereich, z. B. bei den von Regierungsstellen zu entsendenden VertreterInnen in Beiräten (Menschenrechtsbeirat, Gentechnik-Kommission, ORF-Stiftungsrat etc.)

> Halbe-halbe in der Bundesregierung: Die Besetzung der Ministerien mindestens zur Hälfte mit Frauen und der Regierung insgesamt zur Hälfte mit Frauen ist für die Grünen (Selbst-)Verpflichtung > Ja zu kostenlosen Kindergärten, denn es handelt sich um Bildungseinrichtungen >

Bundeseinheitliche Rahmenbedingungen für die Kinderbetreuung (Bundesrahmengesetz): Öffnungszeiten, Kosten, Raumgröße und Gruppengröße dürfen nicht von der Postleitzahl abhängen; jedes Kind in Österreich soll die gleichen Bildungschancen haben.

> Aufwertung des Berufs der KindergartenpädagogIn; adäquate Bezahlung auch infolge einer reformierten Ausbildung (auf Hochschulniveau) >

Rechtsanspruch auf qualitativ hochwertige und kostenlose Kinderbetreuung für Kinder ab einem Jahr bei gleichzeitiger Verlängerung und Flexibilisierung der Öffnungszeiten von Kinderbetreuungseinrichtungen. Langfristig soll dieser Rechtsanspruch ab Ende der Mutterschaftsschutzfrist bestehen.


frauenbericht 2015

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r e t h c e l gesch klischees t i e h c s ’ g sind nicht Es gibt sie nach wie vor: die klassischen Frauen- und Männerdomänen im Bildungsbereich und am Arbeitsmarkt. Frauen in Führungspositionen? Erfolgreich, aber rar. Frauen in Technikberufen? Qualifiziert, aber selten. Nur durch ein geschlechtersensibles Bildungssystem kann es echte Chancengleichheit im Bildungsbereich und am Arbeitsmarkt geben. Raspberry, also Himbeere. Raspberry Pi, um genauer zu sein – so heißt das kleine blaue Kästchen auf Nele Schnabls Schreibtisch. Es ist kaum größer als ein Seifenstück, aber ein voll funktionsfähiger Computer, und es kann alles, was man als angehende EDV-Technikerin zum Programmieren und Experimentieren braucht. „Hast du schon mal von Linux gehört? Shell Command?“, fragt Nele. „Obwohl … das ist vielleicht schon ein bisschen nerdig.“ Raspberry Pi wurde vor ein paar Jahren mit dem Ziel entwickelt, jungen Menschen den Erwerb von Programmier- und Hardwarekenntnissen zu erleichtern. Und Nele ist jetzt eine davon. Die gebürtige Waldviertlerin hat in der siebten Klasse Gymnasium die Schule abgebrochen. Die angefangene AugenoptikerInnen-Lehre stellte sich als mäßig interessant heraus, also fragte Nele ihre AMS-Betreuerin, ob sie beim Programm „Frauen in Handwerk und Technik“, kurz FiT, mitmachen könnte. Sie konnte. Mit dem Programm wird die Qualifizierung von Frauen in handwerklich-technischen Berufen gefördert. „Ich hab mir eine Holzwerkstatt angeschaut, den Bereich Elektronik, ich hab überall ein bissl reingeschnuppert.“ In ihrem jetzigen Lehrbetrieb wurde sie aufgenommen, nachdem sie ein EDV-Praktikum absolviert hatte. „Nele hat sich im Praktikum sehr bewährt“, meint ihr Lehrlingsbetreuer Oliver. „Auf sie kann man sich verlassen. Sie ist sehr genau, und das ist in diesem Job das Um und Auf.“ „Ich lern das schnell“, meint Nele. „Ich schau’s mir an, mach’s einmal, und dann hab ich es mir gemerkt.“ Die EDV-Abteilung, in der Nele arbeitet, ist klein. Neben Oliver hat Nele noch eine Kollegin. „Mädchensein in dem Beruf war deshalb für mich bisher das Normalste auf der Welt, auch weil meine Schwester EDVTechnikerin ist. Erst in der Berufsschule hab ich mitbekommen, dass der Technikbereich noch immer männerdominiert ist“, sagt Nele. In ihrer Klasse ist sie das einzige Mädchen. „Es gibt nur männliche Lehrer, aber wir haben eine Direktorin!“ Nele will auf jeden Fall die Matura nachmachen und hat sich auf Anraten des Klassenvorstands für die Berufsmatura angemeldet. Die Lehre mit Reifeprüfung machen laut einer Statistik des Bildungsministeriums übrigens 8,7% aller Lehrlinge, Tendenz: steigend. „Nach der Lehre will ich ein paar Jahre arbeiten, dann aber vielleicht noch studieren – Kultur- und Sozialanthropologie würde mich interessieren.“ Die Ausbildung, so Nele, ist für sie die Sicherheit, jederzeit wieder in den Job zurückkehren zu können. „EDV-TechnikerInnen werden ja immer und überall gesucht.“ Ein Job mit Zukunft also – und eine Frau, die noch viel vorhat.

p


41

Nele Schnabl, 19 EDV-Technikerin in Lehre

frauen und bildung


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Wissen ist weiblich Beim Thema Bildung haben Frauen in den letzten Jahren „aufholen“ können. Frauen sind top ausgebildet, ab Maturaniveau überholen sie sogar die Männer. Aber nach wie vor gilt: je höher der Abschluss, umso geringer der Frauenanteil. Die gute Nachricht zuerst: Geschlechterspezifische Unterschiede im Bildungsniveau haben abgenommen. Bezogen auf die Bevölkerung im Alter von 25 bis 64 Jahren haben Frauen zwar immer noch ein niedrigeres Bildungsniveau als Männer – im Jahr 2012 hatten 23,2 % der Frauen dieses Alters höchstens einen Pflichtschulabschluss, bei den Männern lag der Anteil bei 14,9 %. Bezüglich der Reifeprüfungsquote haben Frauen ihre männlichen Schulkollegen dagegen bereits Mitte der 1980er-Jahre überholt. 2012/13 haben 49,7 % der jungen Frauen (bezogen auf den Durchschnitt der 18- bis 19-Jährigen) die Matura erfolgreich abgelegt. Bei den Männern waren es hingegen nur 35,5 %. 58,3 % der Maturaabschlüsse werden von Frauen abgelegt, bei den Lehrabschlüssen liegt der Frauenanteil bei 44,3 %. An Universitäten haben die Frauen die Männer bereits überholt. Im Studienjahr 2012/13 wurden 58,7 % der Studienabschlüsse von Frauen erworben. Bei den Doktoraten sind Männer allerdings noch in der Überzahl. 56,3 % der postgradualen Doktoratsabschlüsse entfielen auf Männer. Bei den Studienabschlüssen an Fachhochschulen ist der Frauenanteil mit 48,9 % insgesamt noch deutlich niedriger als an den Universitäten.

gleichstellung im schul- und bildungswesen Große geschlechtsspezifische Unterschiede bestehen nach wie vor in der Fächerwahl, und zwar sowohl was den Schul- als auch den Hochschulbereich betrifft.

Schon im Kindergarten und in der Volksschule sollte bei Mädchen das Interesse an Technik und Naturwissenschaften geweckt werden, und Burschen muss mehr geboten werden als Bauecken. Jedes Kind braucht Platz zur Entfaltung seiner Persönlichkeit und zur Erweiterung eigener Handlungskompetenzen. Denn im Bildungssystem wird der Grundstein für die weitere Berufs- und Bildungswahl gelegt. Bei der Genderkompetenz der PädagogInnen gibt es noch großen Verbesserungsbedarf. LehrerInnen müssen die Kompetenzen für einen geschlechtersensiblen Unterricht im Rahmen der Aus- und Weiterbildungen erwerben. Bedauerlich ist, dass es kaum mehr Förderungen für Projekte zur geschlechtersensiblen Berufs- und Ausbildungswahl gibt. Ohne diese Projekte fehlen ExpertInnen, die ihr Wissen über eine geschlechtersensible Berufs- und Ausbildungswahl in die Schulen tragen. Investitionen in die Verbesserung der Berufschancen von Mädchen lohnen sich immer und dürfen daher nicht als Einsparungsposten gesehen werden.

ich mach eine lehre! Von den insgesamt 115.068 Lehrlingen in Österreich im Jahr 2014 waren 39.249 Mädchen. Die am häufigsten von Mädchen gewählten Lehrberufe sind Einzelhandelskauffrau, Bürokauffrau und Friseurin. Verglichen mit den Zahlen der Lehrlingsabschlüsse lässt sich daraus also schlussfolgern, dass mehr Mädchen die Lehre abschließen als Burschen.


43 Die vor allem von Mädchen gewählten Lehrberufe sind wesentlich schlechter bezahlt als die männerdominierten Bereiche (Beispiel Friseurin und KFZ-Mechaniker). Unser Bildungssystem fördert Mädchen und junge Frauen kaum, Technik und Handwerk als Berufsbild zu wählen. All dies führt dazu, dass Mädchen und junge Frauen in tradierte Rollenklischees gedrängt werden. Maßnahmen zu Chancengleichheit und Selbstbestimmung für alle Mädchen und junge Frauen in Österreich müssen als ein hohes gesellschaftliches Ziel erarbeitet und umgesetzt werden.

ich geh studieren! An den öffentlichen Universitäten belegen Frauen in erster Linie verstärkt geistes-, sozial- und kulturwissenschaftliche sowie pädagogische Studien, während die Männer in der Mehrzahl technische Studienfächer wählen. Betrachtet man die Frauenquote auf Ebene der einzelnen Studienrichtungen, so sind Sprachstudien, veterinärmedizinische Studien und Pädagogik typische „Frauenstudien“. Hier werden Frauenanteile von über 80 % erreicht. Männliche Domänen sind die Studienrichtungen Maschinenbau, Elektrotechnik und Informatik mit Frauenanteilen von bis zu unter 10 %.

frauen und bildung

Bezogen auf die Studienabschlüsse zeigen sich im Zeitvergleich jedoch merkbare Veränderungen. Während 2002/03 nur 16,4 % der Abschlüsse im Bereich Montanistik von Frauen abgelegt wurden, waren es 2012/13 schon 25,8 %. In den Rechtswissenschaften stieg der Frauenanteil von 50,2 % auf 53,5 %. In den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften lag der Anteil der Frauen 2002/03 bei 49,0 % und 2012/13 bei 52,4 %. Bei den Abschlüssen in Veterinärmedizin ist der Frauenanteil von 71,6% weiter auf 84,7 % angestiegen. Aber auch in den Naturwissenschaften konnte der Frauenanteil weiter zulegen (2002/03: 57,0 %, 2012/13: 62,4 %). In der Medizin, der bildenden und angewandten Kunst sowie in der darstellenden Kunst ist der Frauenanteil allerdings zurückgegangen.

mit wissen zur führungsposition? Auch eine gute bzw. höhere Ausbildung garantiert Frauen allerdings kein existenzsicherndes Einkommen, und Bildung allein führt nicht zwangsläufig zu mehr Chancengleichheit. Selbst bei gleichen Bildungsabschlüssen sind Frauen stärker in mittleren Positionen vertreten, während Männer häufiger in Führungspositionen aufsteigen.

Die zehn häufigsten Lehrabschlüsse nach Lehrberufen Einzelhandel ingesamt Bürokauffrau/-mann Landwirtschaft Kraftfahrzeugtechnik Köchin/Koch Installateur und Gebäudetechniker Metalltechnik insgesamt Friseur und Perückenmacher Maschinenbautechnik Maurerin/Maurer 0 Männer

Frauen

Quelle: Statistik Austria, Schulstatistik 2012/2013; erstellt am 12.1.2015

1.000

2.000

3.000

4.000

5.000

6.000


frauenbericht 2015

44

Nach dem Abschluss einer BHS üben beispielsweise bedeutend mehr Frauen (53,8 %) als Männer (28,6 %) nur mittlere Tätigkeiten aus, während umgekehrt mehr Männer (42,3 %) als Frauen (27,6 %) mit BHS-Abschluss höher und hoch qualifizierte Tätig-

keiten verrichten. Deutlich ist auch der Unterschied bei Beschäftigten mit Fachhochschul- oder Universitätsabschluss, hier üben 22,3 % der Männer, aber nur 7,0 % der Frauen eine führende Tätigkeit aus.

p

Die gläserne Decke hat einen Sprung Die universitäre Forschung wird noch immer klar von Männern dominiert. Je höher die Karrierestufe, desto weniger Frauen. Das Potenzial und die Notwendigkeit frauenfördernder Maßnahmen wurden erkannt – aber sie greifen langsam. Frauen sind in Österreich in der Forschung stark unterrepräsentiert. Innerhalb der EU ist Österreich, was den Anteil von Wissenschafterinnen und Ingenieurinnen an den Erwerbstätigen betrifft, weit abgeschlagen. Speziell in der Hochschulforschung nimmt der Frauenanteil mit jeder Karrierestufe ab („leaky pipeline“). Österreich braucht jedoch dringend NachwuchswissenschafterInnen, um den Anschluss an die führenden Forschungsnationen nicht zu verlieren. Die Abwanderung von „High Potentials“ ins Ausland aufgrund fehlender Karrieremöglichkeiten, starrer hierarchischer Strukturen und fehlender Commitments zu echter Gleichstellung muss gestoppt werden. Zwar sind durch gezielte Maßnahmen der letzten Jahre gewisse Erfolge sichtbar, doch der Frauenanteil bewegt sich im Vergleich zum vorhandenen Potenzial weiterhin auf einem niedrigen Niveau. Während bereits 61,4 % der Erstabschlüsse (an öffentlichen Universitäten und Fachhochschulen nach Hauptstudienrichtung 2012/13) auf Frauen entfielen, liegt der Frauenanteil bei den Doktoraten bereits bei nur mehr 43,7 %, bei den AssistentInnen bei 39% und bei den ProfessorInnen gar nur bei kümmerlichen 22,2 %. Eine besondere Hürde für Frauen auf dem

Weg zur Professur stellt die Habilitation dar. Dieser Qualifizierungsschritt ist für Frauen häufig schwer zu bewältigen, weil er mit der Phase des Elternwerdens zusammenfällt. Die Habilitation ist international völlig unüblich und nur mehr bei einem Teil der Berufungen überhaupt relevant. Daher sollte sie gänzlich abgeschafft werden. Frauenförderung muss ein integraler Bestandteil der Leistungsvereinbarungen bleiben. Die Unis müssen zur Umsetzung konkreter frauenfördernder Maßnahmen verpflichtet werden. Auch müssen etwa Laufbahnstellen ausgebaut und ein echtes Tenure-Track-System (ein aus den USA kommendes Laufbahnmodell für Hochschullehrende mit hohem Kündigungsschutz) eingeführt werden. Das Stipendienwesen auf Doktoratsebene ist auszubauen. Dabei ist auch die grundlegende Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben herzustellen. Es müssen nicht nur Betriebskindergärten eingerichtet, sondern auch familienfreundliche Beschäftigungsverhältnisse geschaffen werden. An den chronisch unterfinanzierten Hochschulen wird ein Großteil der Lehre und Forschung von Personal in befristeten und teilweise sehr schlecht bezahlten Stellen bestritten. In den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften ist die Situation besonders schwierig. Diese Fächer haben


45 einen hohen Frauenanteil und sind im Vergleich mit anderen Disziplinen finanziell deutlich schlechter ausgestattet. Die meisten Forschungsförderungsprogramme sind auf Naturwissenschaft und Technik ausgerichtet. Aus diesem Grund sind Frauen wesentlich häufiger vom akademischen Prekariat betroffen als Männer.

frauen und bildung

Im Studienjahr 2013/14 waren an den öffentlichen Universitäten 36.173 Personen als wissenschaftliches und künstlerisches Personal tätig. Davon waren 2.356 ProfessorInnen; 33.919 entfielen auf das sonstige wissenschaftliche und künstlerische Personal. Insgesamt betrug der Frauenanteil 39,5 %.

feministische forschung

zahlen und fakten Der sogenannte „Glass Ceiling Index“ im Gender Monitoring des Wissenschaftsministeriums zeigt, dass Aufstiegschancen von Frauen v. a. an den Kunstunis und der Uni Klagenfurt gegeben sind; am schlechtesten schneiden die Montanuni und die Veterinärmedizinische Universität ab. Zwar zeigt die Analyse eine signifikante Verbesserung, andererseits beweist sie aber auch, dass Männer nach wie vor bessere Aufstiegschancen haben. Der Frauenanteil am gesamten wissenschaftlichen bzw. künstlerischen Personal liegt österreichweit bei 35 %. Den Höchstwert weist die Vetmed auf (57 %), den niedrigsten wieder die Montanuni (16 %), gefolgt von der TU Graz (17 %). In den universitären Führungsgremien sieht es bezüglich Frauenanteil im Regelfall wesentlich besser aus: In den Universitätsräten gibt es bereits fifty-fifty, in den Rektoraten (inklusive der Vizerektorate) liegt der Frauenanteil bei 43 %, in den Berufungskommissionen bei 42 %, in den Habilitationskommissionen bei 38 % und in den Senaten bei 42 %. Die absoluten Führungspositionen sind aber weiter eher in Männerhand: Von den derzeit 22 RektorInnen sind nur sieben Frauen.

Um tatsächliche Gleichstellung zu erreichen, darf sich feministische Politik nicht nur mit Personalpolitik begnügen. Die Auseinandersetzung mit den Faktoren der Ungleichheit ist zentral für ihre Überwindung. Wissenschaft und Forschung waren jahrhundertelang von Männern geprägt, erst in den letzten hundert Jahren waren Frauen zum Studium zugelassen. Die Auswirkungen dieses Ausschlusses liegen nicht nur in der nach wie vor niedrigen Zahl an Professorinnen, sondern auch in den Wissenschaften selbst: So beschäftigte sich die Medizin z. B. lange vornehmlich mit dem männlichen Körper, die Literaturwissenschaft nur mit männlichen Autoren etc. In den letzten Jahrzehnten haben sich daher einerseits interdisziplinäre Gender Studies etabliert, andererseits gibt es fachspezifische feministische Forschungsschwerpunkte. Diese feministische Wissenschaft gerät jedoch in Zeiten der Budgetknappheit und eines antifeministischen Backlashs (also Angriffe auf Frauenrechte) zunehmend in Bedrängnis. Die feministischen Wissenschaften müssen weiterhin eingefordert und ausgebaut werden, um ihren Beitrag zur Gleichstellung leisten zu können.

p

Lehrpersonal-Verteilung an den öffentlichen Universitäten in Österreich Personaltyp Personen Vollzeitäquivalente

Zusammen Männer

Frauen Zusammen Männer Frauen

Öffentliche Universitäten

Lehrpersonal gesamt

36.173

21.898

20.453

13.105

Professorinnen und Professoren

2.356

1.834

522

2.270

1.766

503

Sonstiges wissensch. u. künstl. Personal

33.919

20.150

13.773

18.183

11.339

6.845

Quelle: Statistik Austria, 2014. Lohnsteuer- und HV-Daten. Ohne Lehrlinge.

14.279

7.348


frauenbericht 2015

46

5 Fragen an …

Edeltraud Hanappi-Egger, Rektorin der Wirtschaftsuniversität Wien Sie sind studierte Informatikerin und forschen seit Anfang der 90er-Jahre u.a. zur Situation von Frauen in der IT-Branche. Was ist das Spannende am Forschungsfeld Frauen und Technik? Edeltraud Hanappi-Egger: Das Spannende im wahrsten Sinne des Wortes ist, dass gerade der Technikbereich stark mit Männern und Maskulinitätskonstruktionen in Verbindung gebracht wird und daher Frauen noch immer als eher exotisch wahrgenommen werden. Gerade diese Sonderstellung macht es Frauen dann schwer, mit dem Spannungsverhältnis umzugehen, dass sie einerseits als Expertinnen anerkannt werden wollen, andererseits das aber immer wieder im Widerspruch zum Frausein zu stehen scheint. Wenn sie also versuchen, „wie Männer“ zu sein, gelten sie als unweiblich, wenn sie etwas anders machen, gelten sie als unprofessionell. Dieses Dilemma wird in der Literatur als „double binding“ bezeichnet. Bei der Anzahl der StudienanfängerInnen und Uni-AbsolventInnen liegen Frauen inzwischen vorne. Doch im Zuge einer universitären Laufbahn kommen der Wissenschaft die Frauen abhanden. So liegt der Frauenanteil bei den AssistentInnenstellen nur noch bei 40 %, unter den DozentInnen und ProfessorInnen bei 20 %. Wo sind die Frauen? Das Problem, dass Frauen im Laufe der wissenschaftlichen Karrieren immer weniger werden, ist ein europaweites. Das liegt wohl daran, dass die Vorstellung einer wissenschaftlichen Normalbiografie hohe zeitliche und örtliche Flexibilität inkludiert, die gerade in bestimmten Lebensabschnittsphasen schwer lebbar ist. Das führt tendenziell zu einem stärkeren Ausschluss und

Selbstausschluss von Frauen. Das bedeutet, dass wir Frauen dann oft im Drittmittelbereich und/ oder in der Lehre finden. Das Problem kriegen wir wohl erst in den Griff, wenn sich die Wissenschaftskultur in Summe in Richtung mehr Inklusion verändert. Dazu gehört z. B. auch, dass sich eine karriererelevante Leistungsbeurteilung auf ein breites Leistungsportfolio bezieht. Werden Ihrer Einschätzung nach Frauen in Forschung und Lehre benachteiligt? Wenn ja, wie äußert sich diese Benachteiligung? Ich meine, es sind nicht die Frauen per se, sondern es werden bestimmte Lebenskontexte benachteiligt, nämlich solche, die es einfach nicht erlauben, den extrem hohen Ansprüchen in wissenschaftlichen Karrieren zu genügen. Internationale Erfahrungen, generell Mobilität, eine stark auf Publikationsoutput in angesehenen Fachjournalen ausgerichtete Evaluierung, Drittmitteleinwerbungen usw. – das impliziert eine ziemliche soziale Unabhängigkeit. Alle, die das nicht leben können oder wollen, haben es in der Wissenschaft schwer – und es sind statistisch gesehen weitaus mehr Frauen als Männer, die Vereinbarkeitsprobleme haben. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe für die geringe Zahl von Frauen in leitenden Positionen in der Wissenschaft, insbesondere in Ihrem Fach? Führungspositionen werden traditionell noch immer stark mit sehr spezifischen Männerbildern in Verbindung gebracht. Ähnlich wie bei Frauen in der Technik stellt sich auch hier das Problem, dass Frauen sich an diese Vorstellungen anpassen oder andere Wege gehen können. Dabei laufen sie


47 Gefahr, entweder als unweiblich oder als unprofessionell zu gelten. Dies erzeugt ambivalente Haltungen Führungsaufgaben gegenüber. Es fehlt an Rollenvorbildern, aber auch an sogenannten Talentemanagement-Projekten, also Karriereprogrammen. Oft liegt es aber auch an der fehlenden Ermutigung: In der Annahme, dass Frauen „eh nicht an Führungsaufgaben interessiert sind“, werden sie schlicht nicht gefragt – oder „übersehen“. Manche FeministInnen halten bisherige Förderinstrumente für unzureichend und plädieren für eine Frauenquote. Sind Sie persönlich für oder gegen die Einführung einer Frauenquote in Forschung und Lehre?

frauen und bildung

Quoten sind ohne Frage ein Beschleunigungsinstrument, sie bringen also schneller einen entsprechenden Effekt. Allerdings gebe ich zu bedenken, dass Quoten immer gleiche Qualifikationen voraussetzen. Damit wird aber das System, am Beispiel Wissenschaft mit den sehr spezifischen karriererelevanten Leistungsbewertungen, nicht infrage gestellt. Es wäre aber meines Erachtens auch an der Zeit, zum Beispiel die Rolle der Lehre an den Universitäten wieder aufzuwerten und stärker bei der Evaluierung und Mittelvergabe einfließen zu lassen. Daher: Ja, Quoten, wo sie Sinn haben. Aber auch eine Hinterfragung der Wissenschafts> Foto: Gloria Warmuth kultur steht an.

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Frauen helfen Frauen Frauenberatungsstellen kämpfen mit einer schwierigen finanziellen Struktur. Die Politik muss Rahmenbedingungen schaffen, damit die Mitarbeiterinnen in den Frauenberatungen noch besser helfen können. Die Erfahrungen und das Wissen der Expertinnen über die Situation von Frauen in der Region sind enorm wichtig. Sie wissen am besten, was Frauen, die sich in schwierigen Situationen befinden, brauchen. Österreichweit werden aus dem Budget für Frauen im Bundesministerium für Bildung und Frauen derzeit 56 Frauenservicestellen mit 13 Außenstellen, die aufgrund ihres ganzheitlichen Beratungsangebots jedenfalls geschlechtssensible Berufsorientierung anbieten, gefördert. Laut Auskunft der Bundesministerin wurden 2013 aus den Mitteln der Frauenprojektförderung 5.890.961 Euro und 5.874.240 Euro an Förderungen im Jahr 2014 vergeben. Für das Förderjahr 2015 lagen mit Stand 12. Jänner 2015 207 Anträge vor. Fünf davon sind abschließend behandelt, alle übrigen in Bearbeitung.

Frauenberatungsstellen und Frauenhäuser leisten einen wertvollen Dienst. Dieser Dienst muss honoriert und weiter entsprechend gefördert werden. Zu diesem Zweck soll ein eigenes Frauenberatungsförderungsgesetz – analog zum Familienberatungsförderungsgesetz – erlassen werden, das objektive Kriterien für die Fördervergabe und bei deren Erfüllung einen Rechtsanspruch auf Förderung festlegt. Rahmenförderverträge mit Fraueneinrichtungen sind grundsätzlich mindestens auf drei Jahre abzuschließen, und jede Frauenberatungsstelle sowie die Frauenservicestellen sollen eine Basisfinanzierung in der Höhe von bis zu 100.000 Euro vom Bund erhalten. Es ist zu prüfen, inwieweit die Leistungs- und Finanzierungsbedingungen des AMS bei arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen für Frauen und Mädchen Direktvergaben an Frauenberatungsstellen zulassen, da Frauenberatungsstellen meist nicht


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die Overheadkosten zur Beteiligung an öffentlichen Ausschreibungsverfahren tragen können. Nach Prüfung einer Optimierung der Förderungen von Ländern, Städten, AMS und Bund für die Frauenund Mädchenberatungsstellen werden die Mittel des Bundes für die Förderung von Frauenberatungs-

einrichtungen jährlich um bis zu 10 Mio. Euro höher angesetzt als derzeit. Ein konkreter Entwurf für ein Frauenberatungsförderungsgesetz müsste im ExpertInnenkreis ausgearbeitet werden.

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Europa-Panorama In den letzten 150 Jahren hat sich in der Entwicklung des Bildungsgrads von Frauen und Männern einiges getan: 39,9 % aller Frauen (31,5 % der Männer) zwischen 30 und 34 Jahren in der EU haben einen akademischen Abschluss. Spitzenreiter sind Irland (57,9 %) und die skandinavischen Länder. In der Realität stehen wir vor folgender Situation: Frauen sind im Schnitt höher qualifiziert, die Spitzenpositionen besetzen jedoch Männer, Frauen sind öfter in Teilzeitjobs und prekären Beschäftigungsverhältnissen zu finden.

warum gibt es so wenige frauen an der spitze? Ergebnisse aus der „Eliteforschung“ zeigen, dass begabte Mädchen und junge Frauen bereits in Familie, Schule und Freundeskreis kaum dazu motiviert werden, ihre vorhandenen Fähigkeiten systematisch auszubauen und in ihre berufliche Zukunft zu investieren: Häufig bremsen Eltern Mädchen eher und unterstützen sie darin, bescheiden, artig und angepasst zu sein. Intelligente, mutige und unangepasste Mädchen, die einen starken Willen und eigene Ideen für ihre Zukunft haben, gelten als „schwierig“ und „wild“. Die EU startete 2012 die Kampagne „Wissenschaft ist Mädchensache“ (Laufzeit: drei Jahre; http://scien-

ce-girl-thing.eu), um mehr Frauen für die Forschung zu begeistern und sie zu einer wissenschaftlichen Laufbahn zu motivieren. Solche Kampagnen sind ein Schritt in die richtige Richtung, doch reichen sie bei Weitem nicht aus. Bildung, Forschung und Wissen sind für die Entwicklung einer Gesellschaft unverzichtbar. Wir Grüne fordern europaweit Investitionen in die Förderung von Mädchen und jungen Frauen in nicht traditionellen Berufen (zum Beispiel nach Vorbild des Wiener Töchtertags). Geschlechtergerechte Kindergartenpädagogik und geschlechtergerechte Schulbücher bis hin zur Unterstützung von Nachwuchswissenschafterinnen an den Hochschulen bilden die Grundlage dafür. Nur wenn wir schon im Kleinkindalter beginnen, können wir eine tatsächliche Gleichstellung von Frauen im gesamten Bildungssektor erreichen.

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> Monika Vana, Grüne EU-Abgeordnete


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frauen und bildung

wir grüne wo l l e n : > Frauenförderung als integralen Bestandteil der Leistungsvereinbarungen > Intensivierung von Förderprogrammen und Stipendien für Nachwuchswissenschafterinnen, insbesondere auf Doktoratsebene > Veröffentlichung der Evaluierungen von Frauenförderung an den Hochschulen > Flexiblere und familienfreundliche Arbeitszeitmodelle, Betriebskindergärten an allen Hochschulen > Etablierung von Mentoringprogrammen > Wiedereinstiegshilfen nach Auszeiten > Ein politisches Bekenntnis zur Gleichbehandlung in F&E bzw. an Hochschulen > Erhöhung der Gender-Sensibilität der Führungskräfte und Forschenden > Ausbau der Beratungs- und Betreuungsangebote für Frauen > Ein eigenes Frauenberatungsförderungsgesetz – analog zum Familienberatungsförderungsgesetz


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Veronika Kritzer, 62 Pensionistin

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frauen und körper

t i e h d n u s e h at g ? t h c e l h c ein ges

Der „kleine Unterschied“ ist vielleicht gar nicht so klein: Frauen erleben ihren Körper anders als Männer, Frauen werden anders krank und werden oft anders behandelt. Dabei sind weibliche Selbstbestimmung in allen gesundheitlichen Belangen sowie genderspezifische Aspekte der Vorsorge und Versorgung wichtige Anliegen grüner Gesundheitspolitik. „Meinem Body geht’s sehr gut!“ – Veronika Kritzer füllt den Raum mit einer Energie, die keinen Zweifel an dieser Aussage lässt. Es liegen gerade vier Probentage mit der Age Company, einer zeitgenössischen Tanzperformance-Gruppe für Frauen um und über 50, hinter ihr. „Abgesehen von ein bisschen Muskelkater funktioniert alles super. Ich kümmere mich halt um das Apparatl, und deswegen versagt es mir den Dienst auch nicht“, sagt sie.

Über Veronikas Bett hängt eine Aktzeichnung, darauf sind sie und ihr Freund zu sehen. Das Kunstwerk entstand 2012 im Rahmen eines Projekts anlässlich des „Europäischen Jahres für aktives Altern und Solidarität zwischen den Generationen“. Es zeigt ein Paar, für das Alter, Körperlichkeit und Sinnlichkeit Dimensionen sind, die auf jeden Fall zusammengehen. Ihren Freund hat Veronika übrigens vor einigen Jahren bei einem Nackttanzkurs getroffen. „Das mag schon eine sehr spezielle Art und Weise sein, sich kennenzulernen. Aber so kam auch die Sexualität wieder in mein Leben. Der körperliche Genuss und das vielfältige Erleben haben sich im Alter wesentlich verbessert.“ Man merkt schnell: Diese Frau weiß über sich, über ihren Körper und ihre Bedürfnisse bescheid. Durch ihren früheren Job ist sie natürlich sensibilisiert. Veronika arbeitete als Physiotherapeutin und merkte schnell: Ich bin selbst dafür verantwortlich, wie ich alt werde! „Wenn etwas nicht funktioniert, tragen manche Leute ihren Körper einfach irgendwohin und sagen: ,Mach was damit.‘ Sie selber aber kümmern sich nicht darum und fühlen sich einfach nicht zuständig“, erzählt Veronika von ihren Erfahrungen. Die Kunst des Zuhörens, das hat sie in ihrer Arbeit gelernt, ist auf dem Weg zur körperlichen Selbstbestimmtheit eine große Hilfe. Auf den eigenen Körper zu hören – das müssen die meisten aber erst lernen. Dennoch: „Die Menschen wissen eigentlich selbst am besten, was gut für sie ist und warum sie etwas tun oder nicht tun.“ Manchmal stünde aber die eigene Angst im Weg – vor allem, wenn es um gesundheitliche Vorsorge geht. „Meine Erfahrung ist, dass viele Leute keine Untersuchungen machen, weil sie Angst vor einem negativen Ergebnis haben oder – etwa bei einem psychotherapeutischen Prozess – weil sie Angst haben, sich selbst zu begegnen.“ Zahnarzt, Tanzen, Gesundenuntersuchung, Mammografie – für Veronika gehört das alles zu einer ganzheitlichen Gesundheitsvorsorge dazu. Es muss ja nicht für alle gleich Nackttanzen sein …

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Gesundheit aus Genderperspektive Die Diskriminierung von Frauen im Gesundheitsbereich zeigt sich auf unterschiedlichen Ebenen. Weibliche Lebenszusammenhänge werden vielfach ausgeblendet. In der Medizin sind Krankheitsbild, Untersuchungsmethoden, Symptombeschreibung und Behandlung immer noch auf die männliche Norm abgestellt, obwohl es gravierende geschlechtsspezifische Unterschiede geben kann. Medikamente werden fast ausschließlich an Männern erprobt. Ein Beispiel: Die häufigste Todesursache von Frauen sind Herzerkrankungen; Studien weisen jedoch darauf hin, dass Frauen in der Kardiologie nachweislich schlechter behandelt werden als Männer. Ein anderer Problembereich ist die medikamentöse Versorgung von Frauen. Frauen bekommen nicht nur doppelt so oft wie Männer Tranquilizer und Psychopharmaka verschrieben (man nimmt ihre Symptome weniger ernst), auch die Wirkungen und Nebenwirkungen von Medikamenten sind bei Frauen angesichts mangelnder klinischer Studien oft unzureichend untersucht. Der „Gender Medicine“ ist innerhalb des Gesundheitswesens verstärkt Augenmerk zu schenken. Denn nur wenn Frauen Zugang zu Gesundheitsangeboten und Information haben, kann eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung garantiert werden. Grundlegende Bestrebung grüner Gesundheitspolitik ist es, diese Strukturen aufzuzeigen und zu überwinden. Wie in allen Politikfeldern müssen auch in der Gesundheitspolitik geschlechtsspezifische Auswirkungen mitgedacht und zur Grundlage von Entscheidungen werden.

frauen und gesundheitspolitik Männer dominieren in Führungspositionen des Gesundheitswesens. Karriereschienen für Frauen sind nur mangelhaft entwickelt, und frauenspezifi-

sche Lebenssituationen werden in Diagnostik und Therapie zu wenig berücksichtigt (z.B. Möglichkeiten eines Kur- oder Spitalsaufenthalts für Frauen mit Kleinkindern etc.). Darüber hinaus zeigen wissenschaftliche Arbeiten einen deutlichen Einfluss der Geschlechtszugehörigkeit von BehandlerInnen und PatientInnen auf den Therapieerfolg. Die Wahlmöglichkeit zwischen weiblichen und männlichen TherapeutInnen ist daher zu verbessern. Eine geschlechterdifferenzierte Sichtweise ist also ein wesentliches Qualitätskriterium, welches im Gesundheitswesen von der Datenerhebung über die medizinische Behandlung bis hin zur stärkeren Verankerung von Frauen und ihren Interessen in Forschung, Aus-, Fort- und Weiterbildung und in Führungsebenen Berücksichtigung finden muss. Die Repräsentanz von Frauen ist daher in allen Verwendungs- und Führungspositionen zu erhöhen. Eine geschlechtsdifferenzierte Sichtweise trägt zur geschlechtsadäquaten Gesundheitsförderung und Prävention bei, ermöglicht eine differenzierte Diagnostik, erhöht die Qualität der Behandlung für Frauen sowie Männer und trägt zur Identifikation spezifischer Ressourcen bei.

gesundes körpergefühl kann man lernen Gerade in der Pubertät finden gravierende Veränderungen statt, die dazu führen, dass Jugendliche ihren Körper mit gesteigerter Aufmerksamkeit beobachten. Vor allem bei Mädchen sind diese pubertären Veränderungen häufig mit einer erhöhten Unzufriedenheit mit ihrem Körper und ihrem Erscheinungs-


53 bild verbunden, während sich Burschen meist eine eher positive Einstellung zu ihrem Körper bewahren können. Ein positives Selbstbild, eine wertschätzende Umwelt, gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung sind die Schlüssel zu einem gesunden Körpergewicht und Essverhalten. Die Schule hat die Aufgabe, ein Ort zu sein, an dem alle Kinder und Jugendliche geschätzt und in ihrem Selbstbild gestärkt werden. Darüber hinaus kann die Schule auch zur gesunden Ernährung beitragen. Die Einführung eines Unterrichtsfachs „Gesunde Ernährung“ ist nicht sinnvoll. Wichtig ist das täglich gelebte gesunde Es-

frauen und körper

sen. Dazu gehören ein gemeinsames abwechslungsreiches Frühstück, eine gesunde Zwischenmahlzeit und eine warme Mahlzeit, bei deren Zubereitung die SchülerInnen regelmäßig eingebunden werden. Zudem müssen LehrerInnen und SchulärztInnen geschult werden, problematisches Essverhalten frühzeitig zu erkennen. Der Kontakt zu den Eltern der betroffenen SchülerInnen muss gesucht werden, um die Ursachen und mögliche Auswege rasch zu finden. Vielleicht benötigen die Eltern nur eine Ernährungsberatung, damit zu Hause gesunde Nahrung angeboten wird. Möglicherweise muss eine Psychotherapie ins Auge gefasst werden.

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5 Fragen an …

Elisabeth Löffler, Performancekünstlerin und Lebensund Sozialberaterin mit Schwerpunkt Sexualität Frau Löffler, wie definieren Sie für sich den Begriff „Frauengesundheit“? Elisabeth Löffler: Ich denke dabei an Aufklärung in Schulen und Kindergärten – auch für Mädchen mit Behinderung. Die Zugänglichkeit zu Ärzten muss gegeben sein, und in Gesundheitseinrichtungen sollte es zur Normalität gehören, dass auch Frauen mit Behinderung als Patientinnen kommen können. Ich denke dabei aber auch an Schutz für Frauen mit Behinderung von Gewalt und die Rahmenbedingungen, die es braucht, damit dieser Schutz gegeben ist. Frauengesundheit bedeutet für mich auch, dass ich mich nicht fürchten muss vor Übergriffen und vor struktureller Gewalt, die Frauen mit Behinderung ja sehr stark erleben. Menschen mit Behinderung beobachten oft, dass die Behinderung als entscheidendes Merkmal von außen wahrgenommen wird, während die Geschlechtsidentität in den Hintergrund rückt.

Was bedeutet das für den Lebensalltag einer behinderten Frau? Die Antwortmöglichkeiten auf diese Fragen sind so unterschiedlich wie die Frauen selbst. Aber allgemein bedeutet es, dass man sehr lange als Kind wahrgenommen und behandelt wird – und man sich selbst auch so sieht. All die Erfahrungen, die man als Jugendliche/r macht, erleben Frauen mit Behinderung oft erst 10 bis 15 Jahre später. In welchen Bereichen brauchen Frauen mit Behinderung mehr Unterstützung? Das Thema Körpergefühl ist wichtig. Frauen mit Behinderung kennen Berührung oft als etwas, das sie über sich ergehen lassen müssen, etwa im Spital oder von Therapeuten. Wann und wie lernt man dann, dass eine Berührung gut und eine andere Berührung nicht gut ist? Auch beim Thema Schwangerschaft fehlt noch vieles. Wenn eine Frau mit Behinderung ein Kind bekommt, wird sie oft psychologisiert. Willst du wirklich ein


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Kind? Wofür ist das ein Ersatz in deinem Leben? Was willst du sublimieren? Es wird total genau analysiert, und ich glaube nicht, dass das so einer nicht behinderten Frau passiert. Studien besagen, dass Frauen mit Behinderung nur äußerst selten zum Frauenarzt gehen. Wo muss angesetzt werden, damit sich das ändert? Ist die Praxis barrierefrei? Wie groß ist die Kabine? Darf mein Assistent mitkommen? Das sind alles Fragen, die ich mir als Frau mit Behinderung stelle. Es wäre wichtig, dass ÄrztInnen von vornherein kommunizieren, was sie anbieten oder eben nicht anbieten bzw. wo sie bereit sind zu unterstützen. Wenn auf der Website einer Praxis steht „Wir sind barrierefrei zugänglich“ oder wenn ein Folder in leicht verständlicher Sprache angeboten wird, dann merken die Frauen, dass sie mitgedacht, gemeint und eingeladen sind zu kommen – und

es spricht sich sicher ganz schnell herum. Frausein und Behindertsein – das sind gleich zwei Dimensionen, die mit gesellschaftlicher Ungleichheit verbunden sind. Wo muss die Politik konkret ansetzen, um das zu ändern? Ein wichtiger Schritt wäre das Recht auf Persönliche Assistenz. Weiters sollten in Entscheidungsgremien zur Frauengesundheit auch Frauen mit Behinderung vertreten sein. Es braucht barrierefreie Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen – und dafür muss es ein Extrabudget geben, denn für die Kosten sollen nicht die Frauenhäuser aufkommen müssen. Es muss ein politisches Anliegen sein, dass Frauen mit Behinderung sichtbar werden. Frauen mit Behinderung sind da – es ist nicht ein großes Leid, es ist eine Form > Foto: Ernst Spiessberger zu leben.

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Straffen, spritzen – gesetzlich regeln Schönheit liegt bekanntlich im Auge des/der BetrachterIn. Schönheitsoperationen sind jedoch hochkomplexe medizinische Eingriffe. Dieser Tatsache muss auch die Gesetzgebung Rechnung tragen. Schönheitsoperationen scheinen immer beliebter, „normaler“, aber auch ausgefallener zu werden. Diesen Eindruck erwecken jedenfalls Werbung und Medien. Neben den häufigsten Eingriffen wie Lidkorrekturen, Brustvergrößerungen, Fettabsaugungen und Botox-Behandlungen sind in den letzten Jahren auch Eingriffe in die weibliche Intimzone wie „Schamlippenkorrekturen“ oder „vaginale Verjüngungen“ auf dem OP-Tisch in Mode gekommen. Schätzungen gehen von 30.000 bis 50.000 Operationen jährlich aus, die ohne medizinische Notwendigkeit erfolgen. Etwa 80 bis 90 % dieser medizinisch nicht indizierten Eingriffe werden an Frauen durchgeführt. Medizinische Eingriffe müssen besser heute als morgen strengeren Qualitätsanforderungen unterliegen,

denn jede Schönheitsoperation ist für die PatientInnen auch mit Risiken verbunden. Eine qualitätsgesicherte Ausbildung der SchönheitschirurgInnen ist daher ebenso unerlässlich wie eine umfassende Aufklärung und Dokumentation über die Operationen selbst.

ein grüner erfolg Nach einer Reihe von Anfragen an Gesundheitsminister Stöger und einem Antrag der Grünen für eine bessere gesetzliche Regelung zum Thema Schönheitsoperationen wurde im Juli 2012 das Bundesgesetz über die Durchführung von ästhetischen


55 Behandlungen und Operationen (ÄsthOPG), das mit 1. 1. 2013 in Kraft getreten ist, im Parlament beschlossen. Als „SchönheitschirurgIn“ dürfen sich in Österreich seither nicht mehr alle ÄrztInnen bezeichnen. Das Gesundheitsministerium hat gemeinsam mit der Ärztekammer Mindestausbildungsstandards festgelegt, welche ÄrztInnen neben den FachärztInnen für plastische Chirurgie berechtigt sind, ästhetische Operationen durchzuführen (z. B. Nasenkorrekturen durch HNO-ÄrztInnen oder AllgemeinmedizinerInnen mit entsprechender Fortbildung und langjähriger Erfahrung). Außerdem sind die MedizinerInnen verpflichtet, PatientInnen vor einem Eingriff umfassend aufzuklären, einen schriftlichen Kostenplan vorzulegen, eine

frauen und körper

Fotodokumentation zu erstellen und einen Operationspass mit allen relevanten Daten auszustellen. Zwischen nachweislicher Aufklärung und Einwilligung zur Operation muss in der Regel überdies ein Zeitraum von 14 Tagen verstreichen. Das Gesetz enthält außerdem verschärfte Werbebeschränkungen sowie ein Provisionsverbot. Unzulässig sind ästhetische Behandlungen und Operationen an Personen, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Bis zum 18. Lebensjahr ist die Einwilligung der Erziehungsberechtigten erforderlich. Bei Gesetzesverstößen drohen Geldstrafen von bis zu 25.000 Euro. Das Verbot von Schönheitsoperationen sollte jedoch für alle Jugendlichen unter 18 Jahren gelten.

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Schwanger, was nun? Wenn sich Frauen für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, müssen sie in ihrem Selbstbestimmungsrecht gestärkt werden, damit sie eine solche Entscheidung so einfach und so risikofrei wie möglich umsetzen können. Die gesetzlichen Regelungen bezüglich Schwangerschaftsabbruch unterscheiden sich in Europa erheblich. Vom Totalverbot bis zur relativ autonomen Entscheidungsfreiheit der Frau gibt es zahlreiche Varianten, den Zugang zum Schwangerschaftsabbruch zu reglementieren. In Österreich ist er seit dem 1. Jänner 1975 mit der „Fristenlösung“ geregelt. Dies bedeutet, der Abbruch ist straffrei, wenn er bis zum dritten Schwangerschaftsmonat von einer/m Ärztin/Arzt nach vorheriger Beratung durchgeführt wird. Wenn der Schwangerschaftsabbruch zur Abwendung einer nicht anders abwendbaren ernsten Gefahr für das Leben oder eines schweren Schadens für die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren erforderlich ist oder die Schwangere zur Zeit der Schwängerung unmündig gewesen ist, kann die dreimonatige Frist überschritten werden.

Es gibt keine näheren Durchführungsbestimmungen und keine Regelungen für eine Kostenübernahme. In Österreich sind ÄrztInnen nicht verpflichtet, Abtreibungen vorzunehmen. Außerhalb Wiens gibt es nur wenige ÄrztInnen oder Krankenhäuser, die auch öffentlich die Durchführung von Abbrüchen anbieten. Dies bedeutet, dass Frauen außerhalb der Großstadt oft nicht die Möglichkeit haben, den Eingriff in der Nähe ihres Wohnorts vornehmen zu lassen. Die Grünen fordern die Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch in allen öffentlichen Spitälern und auf Krankenschein. Darüber hinaus sollen – nach französischem Vorbild – Kliniken durch Demonstrationsbannmeilen vor Belästigung und Agitation geschützt werden. Gleichzeitig ist jedoch auch eine verstärkte Verhütungsinformation erforderlich. Die Übernahme der Kosten für die Verhütungsmittel


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durch die Kassen, wie es in einigen europäischen Ländern der Fall ist, würde viele unerwünschte Schwangerschaften und damit viel Not verhindern. Ein Grüner Erfolg: Mit der Rezeptfreistellung der „Pille danach“ wurde 2009 eine unserer langjährigen Forderungen umgesetzt, die Niederschlag in der parlamentarischen Arbeit fand. Das war eine wichtige Maßnahme, mit der Frauen einen barrierefreien Zugang zu einem Notfallsverhütungsmittel erhalten haben.

meine entscheidung, meine kosten Europaweit verglichene Zahlen über vorgenommene Schwangerschaftsabbrüche lassen laut ExpertInnen einen Schluss auf die Versorgung mit schwangerschaftsverhütenden Mitteln zu. Soll heißen: In den Ländern, in denen weniger Abtreibungen vorgenommen werden, ist der Zugang zur Verhütung besser, leistbar und gesellschaftlich akzeptiert. Ein Schwangerschaftsabbruch wird in Österreich nicht wie in fast allen anderen westeuropäischen Ländern von der Krankenkasse bezahlt, d.h. in Österreich müssen Frauen den Abbruch selbst bezahlen, außer es gibt einen medizinischen Grund für einen Abbruch (Indikation).

schwangerschaftsabbruch und strafrecht Der Schwangerschaftsabbruch war, ist und bleibt ein heiß umkämpftes Thema: In den USA, in Europa, derzeit aktuell in Spanien – überall herrscht der Glaubenskrieg zwischen BefürworterInnen – ProChoice – und GegnerInnen – Pro-Life. In Österreich gibt es nach wie vor den vor 40 Jahren erzielten Kompromiss der Fristenlösung, also das strafrechtliche Verbot des Abbruchs, in Verbindung mit der Straffreiheit innerhalb der ersten drei Monate. Frauen, die sich dafür entscheiden, ihr Kind nicht zu bekommen, machen sich also, wie oben erwähnt, nicht strafbar, wenn „der Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn der Schwangerschaft nach vorhergehender ärztlicher Beratung von einem Arzt vorgenommen wird“ (§ 97 StGB). Die Rahmenbedingungen im Vorfeld eines Schwangerschaftsabbruchs sowie bei der Durchführung sind jedoch kaum bis gar nicht an den Bedürfnissen der betroffenen Frauen ausgerichtet, dabei belegen viele Studien, dass die Kostenübernahme von Verhütung und Schwangerschaftsabbruch ein Kennzeichen und eine Basis für den hohen Stellenwert der sexuellen und reproduktiven Gesundheit in der Gesellschaft ist.

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Europa-Panorama Das EU-Parlament stimmte Mitte März 2015 über den sogenannten Tarabella-Bericht ab. In dem Papier zur Gleichstellung von Frauen und Männern geht es u.a. darum, dass Frauen insbesondere durch den einfachen Zugang zu Empfängnisverhütung und Abtreibung die Kontrolle über ihre sexuellen und reproduktiven Rechte haben müssen. Unterstützt werden daher Maßnahmen und Strategien zur Verbesserung des Zugangs von Frauen zu Dienstleistungen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und zu besserer Information über ihre Rechte und über die verfügbaren Dienstleistungen. Die gesetzlichen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch in Europa divergieren derzeit er-

heblich und reichen vom Totalverbot (z. B. in Malta) bis zur relativ autonomen Entscheidungsfreiheit. Auch die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch variieren innerhalb Europas und bewegen sich zwischen 0 und 517 Euro, wobei die meisten Länder in Westeuropa die teilweise oder vollständige Kostenübernahme unterstützen. Die Grüne Fraktion im Europaparlament spricht sich mit Nachdruck für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen und ihre sexuellen sowie reproduktiven Rechte aus und hat sich dafür eingesetzt, diese auch im Tarabella-Bericht zu verankern. Die Unterstützung sexueller und reproduktiver Gesundheit und


57 die damit verbundenen Rechte (SRHR, Sexual and Reproductive Health and Rights) sind in zahlreichen internationalen Verträgen und Konferenzen festgeschrieben (u.a. CEDAW, UNO-Bevölkerungskonferenz 1994 und UNO-Frauenkonferenz 1995) und von zentraler gesellschaftlicher wie individueller Bedeutung. Das Thema darf allerdings nicht auf den zweifellos wichtigen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen reduziert werden, sondern hier geht es um das

frauen und körper

körperliche und seelische Wohlbefinden in Bezug auf alle Bereiche der Sexualität und Fortpflanzung; und dazu kann und soll das Europaparlament klar Stellung beziehen. Die EU kann den höchstmöglichen Gesundheitsstandard nur dann erreichen, wenn die reproduktive und sexuelle Gesundheit sowie die damit verbundenen Rechte uneingeschränkt geachtet und gefördert werden.

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> Monika Vana, Grüne EU-Abgeordnete

wir grüne wo l l e n : > Verpflichtende und regelmäßige Dokumentation in Form eines Frauengesundheitsberichts > Umsetzung der Gleichbehandlung von Frauen in sämtlichen Wirkungsbereichen – sowohl als Partnerinnen und als Verantwortliche – des Gesundheitssystems > Ganzheitliche Gesundheitsförderung durch z. B. Untersuchungen zur Prävalenz und Versorgungsstruktur frauenspezifischer Erkrankungsbilder > Kostenlose bzw. leistbare Verhütungsmittel > Die Entwicklung von risikoarmen Verhütungsmethoden für Männer und Frauen als Gegenstand innovativer Forschung > Einen offenen Sexualkundeunterricht an Schulen > Eine bessere Aufklärung von Frauen über die mit einem Kaiserschnitt verbundenen Risiken und eine Aufwertung der Hebammentätigkeit sowie deren bessere Finanzierung durch die Krankenkassen > Keine Schönheitsoperationen für unter 18-Jährige sowie strengere Werbebeschränkungen und höhere Strafen bei Verstößen


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es tut weh Es kann überall passieren. Es kann Frauen aller Altersstufen, jeder Herkunft und Sozialisation passieren. Gewalt an Frauen ist kein individuelles, sondern ein politisches und gesellschaftliches Problem. Wie finden betroffene Frauen – und Kinder – einen Weg aus der Gewalt? Und welche Gesetze und Institutionen schützen Frauen vor physischen und psychischen Übergriffen? „Manchmal sieht man es erst auf den zweiten Blick“ – dieser Satz steht auf einem Plakat in Maria Rösslhumers Büro, und es stimmt: Erst der zweite Blick offenbart die geballten Fäuste, die sich schemenhaft in das Tapetenmuster der auf den ersten Blick gediegenen Wohnzimmeridylle einordnen. „Jede fünfte Frau ist zumindest einmal in ihrem Leben von häuslicher Gewalt betroffen, und dabei ist die Dunkelziffer noch gar nicht erfasst“, sagt Maria Rösslhumer. 1985 gründet sie, unterstützt von der Caritas, die erste Wohngemeinschaft für Frauen mit Behinderung in Wien. Ihre Vision: den Frauen die Möglichkeit geben, sich in kleinstrukturierten Betreuungseinrichtungen zu entfalten, einen Weg in die Selbstbestimmung und Selbstständigkeit zu finden. Maria holt die Matura nach, beginnt mit Anfang 30 ein Studium und setzt sich intensiv mit dem Thema Frauenpolitik auseinander. In dieser Zeit lernt sie auch den Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser kennen, wird Mitarbeiterin, später Geschäftsführerin und etabliert die Frauenhelpline gegen Gewalt 0800/222 555. Das erste Frauenhaus wurde 1978 in Wien gegründet. Insgesamt gibt es derzeit 30 Frauenhäuser in Österreich, die meisten von ihnen sind im 1988 gegründeten Verein organisiert. „Frauenhäuser sind in erster Linie Schutzeinrichtungen für von Gewalt betroffene Frauen. Wir bieten aber auch umfassende Unterstützung, psychologische und juristische Beratung, Begleitung zum Gericht, zur Polizei oder zu medizinischer Versorgung. Wir vermitteln Jobs und helfen bei der Suche nach leistbaren Wohnungen. Und ganz wichtig: Frauenhäuser sind auch Kinderschutzeinrichtungen“, sagt Maria. Darüber hinaus definieren sich die Frauenhäuser auch als frauenpolitische Einrichtung mit feministischen Prinzipien, gehen hinaus, führen Seminare mit PolizistInnen, Schulungen mit Berufsgruppen wie LehrerInnen oder RichterInnen durch. „In Österreich ist vergleichsweise schon viel passiert“, sagt Maria. „Die Gesetze werden laufend verbessert, das Betretungsverbot wurde verlängert und es gibt die kostenlose Prozessbegleitung von der Anzeige bis zum Ende des Gerichtsverfahrens – das haben andere Länder nicht.“ Auch auf europäischer Ebene wurde nicht zuletzt aufgrund der Zusammenarbeit der Frauenhäuser im europäischen Netzwerk WAVE (Women Against Violence Europe) viel erreicht. Und trotzdem: Die Gewalt gegen Frauen ist nicht weniger geworden. „Wenn man sich die Zahlen anschaut, weiß man: Wir müssen noch viel tun!“, sagt Maria. Dabei ist vor allem auch wichtig, über die Anliegen und Angebote der Frauenhäuser zu berichten. Und das ist hiermit wieder einmal geschehen.

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Maria Rösslhumer, 54 Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) und von WAVE (Women Against Violence Europe), www.aoef.at

frauen gegen gewalt


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Der Weg aus der Gewaltspirale Die Auswirkungen von Gewalt betreffen nicht nur die Frauen, die Opfer von Gewalt werden, sondern auch ihre Familien, FreundInnen und die Gesellschaft insgesamt. Nur wenn sich Frauen sicher fühlen, können sie selbstbestimmt leben.

Die 2011 veröffentlichte „Österreichische Prävalenzstudie zur Gewalt an Frauen und Männern“ des Österreichischen Instituts für Familienforschung (ÖIF) liefert folgende Zahlen: Drei Viertel aller Frauen haben sexuelle Belästigung erlebt (74,2 %), nahezu ein Drittel aller Frauen hat sexuelle Gewalt erfahren (29,5 %). 90,3 % der von sexueller Gewalt betroffenen Frauen erlebten diese ausschließlich von Männern, weitere 8,6 % überwiegend von Männern. In ihrer Kindheit – also bis zum Alter von 16 Jahren – haben etwa drei Viertel der befragten Personen psychische und/oder körperliche Gewalterfahrungen gemacht. Dabei zeigen sich kaum Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Frauen waren in ihrer Kindheit zu 74,8 % von psychischer und zu 72,6 % von körperlicher Gewalt betroffen. Bei der sexuellen Gewalt existieren klare geschlechterspezifische Unterschiede: Mit 27,7 % Nennungen waren mehr als doppelt so viele Frauen in ihrer Kindheit sexuellen Übergriffen ausgesetzt wie Männer (12 %).

dieser Altersgruppe bei 6,4 % liegen, was eine Halbierung der Übergriffe bzw. sogar einen Rückgang um zwei Drittel bedeutet. Die sexuelle Belästigung ist jene Gewaltform, die am häufigsten an öffentlichen Orten erfahren wird (Frauen: 51,3 %, Männer: 12,5 %). Gewalt gegen Frauen – darunter fallen sexuelle Übergriffe, Vergewaltigung und „häusliche Gewalt“ – ist ein Verstoß gegen die Grundrechte von Frauen in Bezug auf Würde, Gleichheit und Zugang zur Justiz. 78 Millionen Euro betragen die Kosten, die pro Jahr in Österreich durch familiäre Gewalt entstehen – sowohl durch Gewalt von Männern gegen Frauen als auch durch häusliche Gewalt gegen Kinder und Jugendliche.

Die altersspezifische Betrachtung zeigt, dass die ältere Generation in ihrer Kindheit signifikant häufiger Gewalt erlebt hat als die Jüngeren. Ein ebenso signifikanter Rückgang an in der Kindheit erlebten Gewalthandlungen ist bei der sexuellen Gewalt zu beobachten – und zwar sowohl bei Frauen als auch bei Männern. So geben 40,8 % der 51- bis 60-jährigen Frauen und 19,9 % der Männer in dieser Altersgruppe an, in ihrer Kindheit sexuellen Übergriffen ausgesetzt gewesen zu sein, wohingegen die Nennungen in der Altersgruppe der heutigen 16- bis 20-jährigen Frauen bei 19,6% und die der Männer in

Da personale und strukturelle Gewalt eng miteinander verschränkt sind und einander oft ergänzen, setzt eine wirksame Bekämpfung von Gewalt Maßnahmen voraus, die sowohl bei den TäterInnen ansetzen und das Opfer unterstützen, als auch die Veränderungen der gesellschaftlichen Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern zum Ziel haben. Es muss auf allen Ebenen angesetzt werden: Justiz, Medizin, Kinder, familiäres Umfeld und Männer- bzw. TäterInnenarbeit. Viele Erhebungen weisen darauf hin, dass Gewalt gegen Frauen eines der weltweit größten Gesundheitsrisiken darstellt. Interessante

prävention und täterarbeit


61 Ergebnisse zeigt auch eine Studie im Gesundheitsbereich: 82 % der Frauen in Österreich wünschen sich, dass ÄrztInnen einen Verdacht auf Gewaltbetroffenheit adäquat ansprechen. Auch Männerarbeit ist in der Gewaltprävention ein zentraler Schlüsselfaktor: eine gesetzlich verankerte verpflichtende Teilnahme an Täterarbeitsprogrammen für Männer, gegen die eine Wegweisung/einstweilige Verfügung ausgesprochen wurde, und eine Finanzierung zum Auf- und Ausbau der Täterarbeit in ganz Österreich. Es sollte eine enge Kooperation bei der Täterarbeit mit den Interventionsstellen, Gewaltschutzzentren und Frauenhäusern gegeben sein, damit alle Maßnahmen einen maximalen Opferschutz gewährleisten können.

ökonomische gewalt Gewalt wird nicht nur körperlich ausgeübt, sondern auch psychisch und ökonomisch. Von ökonomischer oder finanzieller Gewalt sind in erster Linie Frauen, aber auch alte und pflegebedürftige Menschen betroffen. Wenn Frauen über kein eigenes Einkom-

frauen gegen gewalt

men verfügen oder das Einkommen vom Partner kontrolliert wird, kann diese Situation vom Partner ausgenützt werden. Diese finanzielle Abhängigkeit gefährdet Frauen, in einer Beziehung Gewalt zu erleiden. Ökonomische Abhängigkeit vom Gewalttäter aufgrund geringen Einkommens trifft berufstätige ebenso wie nicht berufstätige Frauen. Vor allem für Alleinerzieherinnen und Migrantinnen ist die Situation am Arbeitsund Wohnungsmarkt denkbar schlecht. Sie zählen zu den besonders armutsgefährdeten Gruppen. Migrantinnen, die von Gewalt betroffen sind, und vor allem Nicht-EU-Bürgerinnen sehen sich mit besonderen Hürden konfrontiert. Sie haben in manchen Bundesländern wie in Niederösterreich nur verminderten Anspruch auf Mindestsicherung. In anderen Bundesländern ist der Bezug der Mindestsicherung zwar möglich, kann aber ebenso wie ein Einkommen unter dem ASVG-Richtsatz zum Verlust der Niederlassungsbewilligung führen. Ökonomische Gewalt wird bisweilen auch gesetzlich verstärkt: Bei der Berechnung der Notstandshilfe etwa wird das PartnerInneneinkommen mitberücksichtigt, die Notstandshilfe infolgedessen häufig gekürzt. Solche Kürzungen betreffen zu 54 %

Frauen, die seit dem 15. Lebensjahr und in den 12 Monaten vor der Befragung körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren haben, EU-28 (%)

Keine körperliche und/oder sexuelle Gewalt seit dem Alter von 15 Jahren

67%

33%

25%

Ja, Gewalterfahrung vor mehr als 12 Monaten Ja, Gewalterfahrung in den letzten 12 Monaten

8%

Anmerkung: Auf der Grundlage aller Befragten (N=42.002) / Quelle: FRA-Erhebnung zu geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen, 2012


frauenbericht 2015

Frauen, obwohl nur 42 % aller Arbeitslosen Frauen sind. Besonders dramatisch zeigt sich die strukturelle Benachteiligung von Frauen in den Fällen, in denen aufgrund eines PartnerInneneinkommens die gesamte Notstandshilfe gestrichen wird: 82% aller Streichungen betreffen Frauen.

frauen als ware Frauenhandel ist jede Art von Geschäftemacherei, mit der in der Regel die Migrationsbestrebungen von Frauen ausgenutzt und missbraucht werden. Gemeinsam mit Drogen- und Waffenhandel gehört Menschen- bzw. Frauenhandel zu den drei „ertragreichsten Geschäften“ des organisierten Verbrechens. Herkunftsländer sind vor allem lateinamerikanische, asiatische und afrikanische Staaten, aber auch osteuropäische Länder. Betroffen sind neben Sexarbeiterinnen vor allem Hausangestellte und Frauen, die „per Katalog“ verheiratet werden. Österreich ist zwar auch Transitland für gehandelte Frauen, in erster Linie aber Zielland. In Österreich, wie in den anderen Industrieländern, werden Frauen

62 für reproduktive Tätigkeiten wie Hausarbeit, für Heirat und Sexarbeit nachgefragt. Damit ist Österreich am Handel mit Menschen mitbeteiligt. Die restriktiven Fremdengesetze in Österreich begünstigen diese Menschenrechtsverletzung von Frauen, wie auch UNO-Menschenhandelsberichte hervorheben. Strafen haben nämlich anstatt der Täter die Opfer zu befürchten: Verwaltungsstrafen wegen illegaler Prostitution, vor allem aber die Abschiebung. Damit wird wiederum die Verfolgung der Frauenhändler verunmöglicht, da die gehandelten Frauen zum Zeitpunkt eines Prozesses häufig bereits abgeschoben wurden und daher nicht mehr aussagen können. Generell fehlt es in Österreich an ausreichenden Opferschutzmaßnahmen. Auch gibt es hierzulande derzeit nur eine einzige Opferschutzeinrichtung, die ausdrücklich für Opfer von Frauenhandel zuständig ist – die Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels (IBF) in Wien; notwendig wäre eine verbesserte Zusammenarbeit von NGOs und Behörden in Fragen der Opferidentifizierung. Die Grünen treten – neben einer verstärkten internationalen Zusammenarbeit zur Bekämpfung von Frauenhandel bereits im Vorfeld – insbesondere für eine Verbesserung des Schutzes für Opfer von Frauenhandel ein.

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Selbstbestimmt und selbstbewusst Frauen mit Behinderung sind in weit höherem Ausmaß von sexualisierter Gewalt betroffen als nicht behinderte Frauen. Der Schutz vor Gewalt weist allerdings große Lücken auf. Frauen mit Behinderungen sind in Belangen der Ausbildung, am Arbeitsmarkt sowie im Privatbereich, wie zum Beispiel bei der Führung eines selbstbestimmten Sexual- und Familienlebens oder der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, besonders benachteiligt. Ein Leben mit Behinderung bedeutet

auch heutzutage größtenteils ein Leben in institutionellen Abläufen. Je isolierter, größer und je stärker eine Einrichtung von institutionellen Abläufen abhängig ist, desto gewaltanfälliger ist sie. Frauen und Mädchen mit Behinderungen sind besonders gefährdet, Opfer von Gewalt und sexuellem


63 Missbrauch zu werden. Frauen, deren Behinderung mit einer Kommunikationsbeeinträchtigung einhergeht, wie z.B. bei einer Lernbehinderung oder bei Gehörlosigkeit, bilden eine besonders gefährdete Risikogruppe. Es gibt eine Vielzahl an Hindernissen für Frauen mit Behinderungen. Neben baulichen Barrieren ist oft der Zugang zu Informationen nicht möglich. Dazu kommt, dass die meisten Unterstützungsangebote nicht an die Lebensbedürfnisse der Frauen mit Behinderungen angepasst sind. Dies widerspricht dem Artikel 6 der Behindertenrechtskonvention, der die Mehrfachdiskriminierung von Frauen mit Behinderungen anspricht und Maßnahmen zur Stärkung von Autonomie und Selbstbestimmung fordert. Denn: Der wirksamste Schutz gegen sexuelle Gewalt und Missbrauch sind Aufklärung und Selbstbestimmung durch Persönliche Assistenz und unterstützte Entscheidungsfindung.

frauen gegen gewalt

Die AutorInnen der Studie formulieren sechs konkrete Empfehlungen, die Frauen mit Behinderung unterstützen sollen:

1. Barrierefreier Zugang zu Information sowie zu Unterstützungsangeboten und verbesserter Zugang zu Recht und Strafverfolgung 2. Schulungen für MitarbeiterInnen in den Bereichen Gewalt und Lebenssituation von Frauen mit Behinderungen 3. Stärkere Vernetzung zwischen Opferschutz- und Unterstützungs einrichtungen und Organisationen für Menschen mit Behinderungen sowie Selbstvertretungsorganisationen 4. Öffentliche Sensibilisierung für Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen

das wissen um die eigenen rechte Zwischen 2013 und 2015 wurde ein EU-Projekt mit dem Thema „Zugang von Frauen mit Behinderung zu Opferschutz- und Unterstützungseinrichtungen bei Gewalterfahrungen“ (Daphne III) durchgeführt. Im Mittelpunkt des Projekts stand die Verbesserung der Zugänglichkeit von Opferschutzeinrichtungen, die mithilfe und aus der Sicht der betroffenen Frauen analysiert wurde. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass in den an der Studie beteiligten Ländern (Deutschland, Großbritannien, Island und Österreich) zwar eine Vielzahl nationaler Gesetze existiert, die darauf abzielen, Frauen vor geschlechtsspezifischer Gewalt und Personen mit Behinderungen vor Rechtsverletzungen und Diskriminierung zu schützen. Allerdings zeigen sich Lücken im System, wenn es darum geht, Frauen mit Behinderung entsprechende Unterstützungsleistungen zu gewähren, die den Zugang zu Behörden und das Einfordern von Rechten ermöglichen.

5. Gesellschaftliche Inklusion von Frauen mit Behinderungen 6. Einen politischen Willen und mehr finanzielle Mittel zur Umsetzung von Barrierefreiheit und Inklusion auf allen Ebenen


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Vom Selfie zum Sexting Die Digitalisierung verändert unsere Gesellschaft, und sie verändert auch die Formen von Gewalt, denen Frauen heute ausgesetzt sind. Digitale Gewalt überschreitet in vielen Fällen deutlich die Grenzen zur Straftat. 11% der Frauen haben bereits unangemessene Annäherungsversuche in sozialen Medien erlebt oder erhielten E-Mails oder SMS-Nachrichten mit eindeutig sexuellem Inhalt. Unter den jungen Frauen (18–29 Jahre) waren es 20 %, die bereits Opfer von solchen Formen der Online-Belästigung wurden – diese Zahlen liefert der 2014 veröffentlichte Bericht der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA).

virtuelle gewalt ist auch echt Cyber-Mobbing und Cyber-Bullying meinen das bewusste Beleidigen, Bedrohen, Bloßstellen oder Belästigen mit elektronischen Kommunikationsmitteln wie dem Handy oder im Internet. Im Internet werden vor allem Foto- und Videoplattformen (z. B. Flickr oder YouTube) und soziale Netzwerke (z. B. Facebook) für diese Angriffe missbraucht, die Hemmschwelle sinkt durch die Anonymität und die räumliche Distanz. Beim Cyber-Stalking werden das Internet oder andere Kommunikationstechnologien wie z. B. das Handy benutzt, um andere Personen beharrlich zu verfolgen. Beharrliche Verfolgung, das sogenannte Stalking, ist seit 1. Juli 2006 strafbar. Justizminister Brandstetter will aktuell einen neuen Tatbestand bei Cyber-Mobbing schaffen. Der vorgeschlagene Gesetzestext lautet: „Wer eine Person im Wege der Telekommunikation oder unter Verwendung eines Computersystems längere Zeit in ihrer

Privatsphäre verletzt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen.“ Brandstetter will bis Mitte 2015 im Strafrecht die gesetzliche Lücke schließen, weil virtuelles Mobbing bisher kaum verfolgbar ist. Die Frage des Stalkingzeitraums wird seiner Meinung nach letztlich die Judikatur auslegen, und das wird auch von Fall zu Fall individuell sein, unter Umständen könnten für eine Verurteilung aber schon wenige Vorfälle etwa über zwei bis drei Wochen hinweg ausreichen. Bei den Ermittlungsmöglichkeiten gegen sogenannte Hassposter und ihre verhetzenden Äußerungen wird sich nicht viel ändern. Schon jetzt kann man bei entsprechendem RichterInnen-Beschluss ja die Daten der betreffenden Personen ausheben lassen.

sexting und revenge porn Sexting, der Begriff setzt sich aus „Sex“ und „Texting“ (engl. für das Senden von SMS) zusammen, meint das Verschicken und Tauschen von eigenen Nacktaufnahmen über Internet und Handy. Revenge Porn, also Racheporno, bezeichnet das Hochladen von Nacktbildern auf öffentlich zugänglichen Websites ohne die Zustimmung und das Wissen der darauf abgebildeten Person, meist in Verbindung mit deren Kontaktdaten. Eine Studie aus England (National Society for the Prevention of Cruelty to Children, 2012) zeigt, dass der Großteil der weiblichen Jugendlichen von den männlichen Jugendlichen unter Druck gesetzt wird,


65 eigene Bilder zur Verfügung zu stellen. Eine Erhebung unter Schweizer Jugendlichen (JAMES-Studie, 2012) ergab, dass nur 6 % der Befragten Daten mit erotischem Inhalt von sich selbst versenden. 2012 lancierte die Schweizer Stiftung Pro Juventute eine Aufklärungskampagne gegen Sexting. In Deutschland kann Sexting bei Minderjährigen einen Verstoß gegen § 184b oder § 184c StGB begründen. Erstmals in Österreich hat die Initiative Saferinternet. at im Februar 2015 eine Studie zum Thema Sexting präsentiert. Bei einer repräsentativen Online-Umfrage wurden 500 Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren zu Erfahrungen und Motiven rund um das Thema Sexting befragt. Die Studienergebnisse zeigen sehr deutlich, dass Sexting eine häufige Facette des Beziehungs- und Sexuallebens von Jugendlichen geworden ist: 51% der Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren kennen jemanden, der oder die schon einmal Nacktaufnahmen von sich selbst an andere geschickt hat. Ein Drittel (33 %) hat selbst schon Fotos oder Videos erhalten, auf denen die oder der Abgebildete fast nackt oder nackt zu sehen ist. 16% der Jugendlichen gaben an, schon einmal Nacktaufnahmen von sich selbst erstellt und diese dann meistens auch verschickt zu haben.

frauen gegen gewalt

Die weite Verbreitung von Sexting im Alltag zeigt sich auch daran, dass es 31 % als „normal“ empfinden, ihren PartnerInnen Nacktaufnahmen zu schicken. Jede/r Zehnte (9 %) sagt auch, dass es „normal“ sei, Nacktaufnahmen von der besten Freundin oder vom besten Freund zu kennen. Mit der Zunahme von Sexting im Leben von Jugendlichen steigt auch die Anzahl der Probleme. Knapp die Hälfte aller Jugendlichen (46 %) kennt jemanden, die oder der schon einmal Probleme mit Sexting hatte. Sexting geht zwar in den meisten Fällen gut, wenn aber etwas passiert, dann ist das oft mit sehr unangenehmen Erfahrungen für die Betroffenen verbunden. Die häufigsten Folgen im Bekanntenkreis der Befragten: Die Aufnahmen wurden im Freundeskreis verbreitet (81 %), die Abgebildeten wurden verspottet (55%), die Aufnahmen wurden öffentlich gemacht (49 %), sie wurden Eltern oder Lehrenden gezeigt (21 %) oder man wurde damit erpresst (14 %). Die aktuelle Rechtslage in Österreich führt dazu, dass Sexting von Jugendlichen in vielen Fällen strafbar ist (zum Beispiel dann, wenn pornografische Aufnahmen weitergegeben werden). Es gelangen Bestimmungen zum Kampf gegen Kinderpornografie (§ 207a StGB) zur Anwendung.

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Formen von sexueller Online-Belästigung seit dem 15. Lebensjahr und in den 12 Monaten vor der Befragung – einschließlich ungewollter E-Mails oder SMS-Nachrichten mit eindeutig sexuellem und beleidigendem Inhalt, nach Altersgruppen, EU-28 (%) 25 % 20 %

20

15 %

11

13

11

11

10 %

6

5

5 % 0 %

18–29 Jahre

30–39 Jahre

Seit dem 15. Lebensjahr

40–49 Jahre

6 3 50–59 Jahre

3

60 Jahre und darüber

In den letzten 12 Monaten

Hinweise: Auf Grundlage aller Frauen mit gültigen Antworten auf beide Fragen zu Online-Belästigung (n=35.820). 6.084 Befragte gaben bei beiden Fragen die Kategorie „nicht zutreffend“ an; in 98 Fällen fehlte die Information zum Alter. Quelle:

FRA-Erhebung zu geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen, 2012

5 2 Gesamt


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Europa-Panorama Die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) führte in den vergangenen Jahren eine großangelegte Studie zu Gewalt gegen Frauen durch. Es handelt sich dabei um die größte repräsentative Studie, die jemals international zu diesem Thema erstellt wurde. Die Ergebnisse basieren auf Interviews mit 42.000 Frauen in den Mitgliedsstaaten der EU. Laut dieser Studie sind 62 Millionen Frauen in der EU – also jede dritte Frau – bereits Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt. Auch andere Studien zeigen, dass in der EU 20 bis 25 % aller Frauen mindestens einmal in ihrem Leben Opfer physischer Gewalt werden. Bei der Erhebung wurden Frauen zu ihren Erfahrungen mit körperlicher, sexueller und psychischer Gewalt einschließlich häuslicher Gewalt befragt. Thema der Befragung waren auch Stalking, sexuelle Belästigung und die Rolle, die neue Technologien bei Missbrauchserfahrungen spielen. Die Erhebung enthielt auch Fragen zu Gewalterfahrungen in der Kindheit. > 33 % der Frauen haben seit dem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren; eine von 20 Frauen (5 %) ist seit ihrem 15. Lebensjahr vergewaltigt worden. > Von den Frauen, die derzeit mit einem Partner/ einer Partnerin zusammenleben (oder früher mit einem Partner/einer Partnerin zusammengelebt haben), waren seit dem 15. Lebensjahr 22 % körperlicher und/oder sexueller Gewalt durch den/ die PartnerIn ausgesetzt. > 20 % der Frauen haben seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche Gewalt außerhalb der Partnerschaft erfahren.

>

Lediglich 33 % der Opfer von Gewalt in einer Partnerschaft und 26 % der Opfer von Gewalt außerhalb einer Partnerschaft wandten sich nach dem schwerwiegendsten Vorfall an die Polizei oder eine andere Organisation (z. B. eine Opferhilfe-Einrichtung).

Die Istanbul-Konvention des Europarats, die 2011 angenommen wurde und am 1. August 2014 in Kraft getreten ist, wurde bisher von 16 Ländern – darunter Österreich – ratifiziert. Das Übereinkommen sieht Maßnahmen zur Bekämpfung aller Formen von Gewalt gegen Frauen sowie zum Schutz aller anderen Opfer häuslicher Gewalt vor. Die EU-Kommission muss, so wie vom Europaparlament in einer Resolution im Februar dieses Jahres gefordert, endlich eine umfassende Strategie für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen erarbeiten. Gewalt gegen Frauen verursacht in der EU jährlich schätzungsweise 226 Milliarden Euro an direkten und indirekten Kosten, wie eine Studie der britischen Soziologinnen Sylvia Walby und Philippa Olive zeigt. Präventionsmaßnahmen kosten bedeutend weniger. Da die gesetzlichen Regelungen zu Verhinderung von Gewalt und Unterstützung von Opfern in den EU-Ländern unterschiedlich sind, ist ein umfassender gesetzlicher Rahmen notwendig.

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> Monika Vana, Grüne EU-Abgeordnete


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frauen gegen gewalt

wir grüne wo l l e n : > Ausbau der Beratungs- und Betreuungsangebote für Frauen (z. B. Gewaltschutzzentren, Notwohnungen sowie Frauen- und Mädchenberatungsstellen) >

Verstärkten Gewaltschutz für Frauen, Kinder und Jugendliche sowie einen Ausbau der Interventionsstellen durch Regionalisierung und Spezialisierung bei gleichzeitiger Sensibilisierung von Polizei, Justiz sowie PädagogInnen und im Gesundheitsbereich

>

Ausbau von Schulungen, Schulungsmaßnahmen und Seminaren bzw. Informations- und Sensibilisierungsarbeit besonders im Gesundheitsbereich, in der pflegerischen und medizinischen Ausbildung und im Justizbereich sowie die Implementierung von Opferschutzgruppen in den Spitälern

> Fixe Verankerung des Themas „Gewalt in der Familie“ in der Ausbildung aller Berufsgruppen, die täglich mit Gewalt in der Familie konfrontiert sind, sowie verpflichtende Fortbildungen >

Verbesserungen zum Schutz des Kindes: Alle Einrichtungen und Institutionen, die mit Betroffenen arbeiten, müssen über die Auswirkungen von Gewalt an Kindern Bescheid wissen und anerkennen, dass Kinder in jedem Fall von der Gewalt mitbetroffen sind

> Keine gemeinsame Obsorge für Gewalt ausübende Väter im Falle einer Scheidung/Trennung der Eltern; Kontaktverbot für einen Gewalttäter bei der Schule, beim Kindergarten, beim Hort und bei der Arbeitsstelle >

Gewaltpräventionsangebote im Bildungsbereich: flächendeckender Ausbau an Gewaltpräventionsarbeit in Schulen, um Kinder und Jugendliche vor Gewalt in der Familie zu schützen, sie zu informieren, zu stärken und zu unterstützen

> Anonymität der Opfer von Frauenhandel im Strafverfahren > Rechtsanspruch auf Aufenthalt für alle Opfer von Frauenhandel > Ausreichender Versicherungsschutz und Zugang zu Gesundheits einrichtungen in Österreich für Opfer von Frauenhandel


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e h c s i r a t pa r l a m e n arbeit Frauenpolitische Anfragen (Auszug) Förderung der Gleichstellung im Schul- und Bildungswesen: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/J/J_03400/imfname_380127.pdf Förderung von Frauenorganisationen: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/J/J_03399/imfname_380124.pdf Ausschluss von Frauen beim Techniker-Cercle: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/J/J_03635/imfname_383606.pdf Gewalt an Frauen: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/J/J_03618/imfname_383125.pdf Maßnahmen gegen Altersdiskriminierung bei Kreditvergaben: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/J/J_03402/imfname_380133.pdf Maßnahmen zum Abbau der Einkommensschere: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/J/J_03403/imfname_380136.pdf Mädchenförderung (Mädchen und Frauen in nicht traditionellen Berufen): http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/J/J_03401/imfname_380130.pdf Auslegung einer Vergewaltigungsdrohung als Unmutsäußerung: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/J/J_04210/imfname_390615.pdf

Frauenpolitische Anträge (Auszug) Frauenquoten in Aufsichtsräten: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/A/A_00998/imfname_393654.pdf Cybermobbing, Sexting: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/A/A_01003/imfname_393676.pdf Gendermedizin: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/A/A_01004/imfname_393687.pdf Genderspezifische Gesundheitsförderung: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/A/A_01005/imfname_393691.pdf Gendergesundheit und Gesundheitsbericht: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/A/A_01006/imfname_393695.pdf Stärkere Beachtung von Genderunterschieden in der medizinischen Praxis: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/A/A_01001/imfname_393668.pdf

Grüne Anträge im Pflegebereich (Auszug) Studie zur Situation pflegender Angehöriger: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/A/A_00775/index.shtml#tab-Uebersicht Selbstversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/A/A_00536/index.shtml Rechtsanspruch auf Pflegekarenz und Pflegeteilzeit (durch Novellierung des Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetzes): http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/A/A_00392/index.shtml#tab-Uebersicht


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parlamentarische arbeit

Bundespflegegeldgesetz (BPGG): http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/A/A_00243/index.shtml#tab-Uebersicht Gewerberechtliche Trennung von Vermittlungsagenturen und PersonenbetreuerInnen in der 24-Stunden-Betreuung: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/A/A_00867/index.shtml

Grüne Anfragen im Pflegebereich (Auszug) Finanzielle Unterstützung von pflegenden Angehörigen für Ersatzpflege: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/J/J_00430/index.shtml Rückstufungen Pflegegeld: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/J/J_00431/index.shtml Selbstversicherung für pflegende Angehörige: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/J/J_01264/index.shtml Selbstversicherung zur Pflege eines behinderten Kindes: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/J/J_01693/index.shtml Inanspruchnahme von Pflegekarenz und Pflegeteilzeit: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/J/J_02070/index.shtml Pflegefonds: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/J/J_02251/index.shtml 24-Stunden-Betreuung: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/J/J_02735/index.shtml Steigende Inanspruchnahme der 24-Stunden-Betreuung: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/J/J_03705/index.shtml Selbstversicherung für pflegende Angehörige: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/J/J_04518/index.shtml

Grüne Anträge und Anfragen im Bereich Soziales/Familie/Gesundheit (Auszug) Keine Verluste für ehemalige KinderbetreuungsgeldbezieherInnen im Arbeitslosenversicherungsrecht: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/A/A_00610/index.shtml Bundes-Verfassungsgesetz, Arbeitslosenversicherungsgesetz, Änderung: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/A/A_00022/index.shtml Selbstversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/A/A_00536/index.shtml Stärkere Beachtung von Genderunterschieden in der medizinischen Praxis: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/A/A_01001/index.shtml Maßnahmen gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Menschen mit Behinderungen: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/A/A_00094/index.shtml Elternteilzeit parallel zur Karenz: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/A/A_00684/fnameorig_369177.html Kinderbetreuungsgeld für Pflegeeltern: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/A/A_01002/fnameorig_393704.html Väterbeteiligung beim Kinderbetreuungsgeld: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/J/J_04148/fnameorig_389482.html Verlängerung des kostenlosen verpflichtenden Kindergartenjahrs: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/J/J_04099/fnameorig_388341.html


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ko n ta k t E Der Grüne Klub im Parlament

Die grünen frauen niederösterreich

Löwelstraße 12 1017 Wien T +43 1 40 110 6342 F +43 1 40 110 6760

Daniel-Gran-Straße 48 3100 St. Pölten T +43 2742 310 660 F +43 2742 310 660 11 E amrita.enzinger@gruene.at I www.noe.gruene.at/themen/frauen

Berîvan Aslan Abgeordnete zum Nationalrat, Frauen- und KonsumentInnenschutzsprecherin der Grünen E berivan.aslan@gruene.at I www.gruene.at/ayguel-berivan-aslan Sekretariat: Angelika Nussbaum T +43 1 40 110 6532 F +43 1 40 110 6885 E angelika.nussbaum@gruene.at

Die grünen frauen burgenland Hauptstraße 16 7000 Eisenstadt T +43 664 83 17 510 F +43 2682 66 178 E bgld@gruene.at I www.burgenland.gruene.at/themen/ frauen-gleichbehandlung

Die grünen frauen kärnten Sterneckstraße 19 9020 Klagenfurt/Celovec T +43 463 515 326 11 F +43 463 515 326 27 Barbara Lesjak Frauensprecherin E barbara.lesjak@gruene.at I www.kaernten.gruene.at/themen/frauen

Die grünen frauen oberösterreich Landgutstraße 17 4040 Linz T +43 732 739 400 430 F +43 732 739 400 99 E frauen.ooe@gruene.at I www.frauen.ooe.gruene.at

Die grünen frauen salzburg Haydnstraße 2/1 5027 Salzburg T +43 662 87 63 37 F +43 662 87 63 37 22 E frauen.salzburg@gruene.at I www.salzburg.gruene.at/themen/frauen

Die grünen frauen steiermark Kaiser-Franz-Josef-Kai 70/1 8010 Graz Regionalservicebüro T +43 664 831 74 88 E steiermark@gruene.at I www.stmk.gruene.at


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Die grünen frauen tirol Museumstraße 11/1. Stock 6020 Innsbruck T +43 512 577 109 F +43 512 577 109 10 E frauen.tirol@gruene.at I www.frauen.tirol.gruene.at Christine Baur Frauensprecherin

grüne frauenorganisationen, impressum

impressum Medieninhaber: Der Grüne Klub im Parlament, 1017 Wien ReferentInnen: Ewa Dziedzic (Frauen) Barbara Maier (Europa) Gabriele Stauffer (Gesundheit) Lukas Wurz (Soziales) Anna Schopf (Arbeitsmarkt) Anja Fellerer (Familie)

Die grünen frauen vorarlberg Bergstraße 6 6900 Bregenz T +43 5574 47 488 F +43 5574 47 488 10 Antje Wagner Frauensprecherin E antje.wagner@gruene.at I www.vorarlberg.gruene.at/frauen

Die grünen frauen wien Grünes Haus Lindengasse 40 1070 Wien T +43 521 25 234 E gruene.frauen.wien@gruene.at I www.diegruenenfrauenwien.at www.wien.gruene.at/frauen Ewa Dziedzic Frauensprecherin E ewa.dziedzic@gruene.at Liesbeth Bijl Frauenreferentin der Frauenorganisation Wien Mahsa Abdolzadeh Karenzvertretung

Redaktion: Johanna Stögmüller Fotografie: Amélie Chapalain Gestaltung: Christian Modlik Lektorat: Belinda Mautner Hersteller: Druckerei Janetschek, Gusshausstraße 24–26, 1040 Wien Verlags- und Erscheinungsort: Wien



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