Cool und Klug Broschuere 0808

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Ausgabe 2

Viele Begriffe, ein Thema

Berühmt trotz ADHS/Dyslexie

Charles M. Schulz – mit Beharrlichkeit zum Erfolg Auf der Liste berühmter Persönlichkeiten mit ADHS stehen John F. Kennedy, Jack Nicholson, Mozart, Elvis Presley und auch der wohl berühmteste ComicZeichner des 20. Jahrhunderts, Charles Monroe Schulz. Der Vater von Snoopy und Charlie Brown lehrt uns vor allem eines: Lebe deine Stärken! Schon als kleiner Junge malte Charles mit Begeisterung, bereits im Kindergarten fiel diese Begabung seiner Lehrerin auf. Doch dabei blieb es vorerst. Obwohl Charles M. Schulz sein Talent in der Schulzeit verbesserte, nahm niemand davon Notiz. Charles Schulz blieb ein unscheinbarer Schüler. Oft wurde er beim Spielen von seinen Schulkameraden übergangen und ausgegrenzt. Als er zum College-Abschluss seine Karikaturen der renommierten Jahrgangszeitung anbot, wurden sie abgelehnt. Auch seine Bewerbung bei den Walt-DisneyStudios blieb ohne Erfolg.

Fähigkeiten verkümmern. Der familiäre und schulische Fokus liegt bei den meisten ADHS-Kindern auf ihren Defiziten. Die individuellen Fähigkeiten bleiben oft im Verborgenen, wo sie schlafen oder gar verkümmern. Charles M. Schulz konnte vieles nicht so gut wie seine Schulkollegen. Aber er konnte zeichnen. Und wie. Er glaubte an sich und ging beharrlich seinen Weg. Vielleicht hätte er sich manchmal einen Begleiter und Beistand gewünscht.

ADHS • • •

Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätssyndrom Hyperkinetische Störung (HKS)

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| Technoparkstrasse 1 | 8005 Zürich | magazin@coolundklug.info

Alle diese Ausdrücke beschreiben eine bereits im Kindesalter beginnende Verhaltensauffälligkeit, die sich primär durch leichte Ablenkbarkeit und geringes Durchhaltevermögen sowie ein leicht aufbrausendes Wesen mit der Neigung zum un­ überlegten Handeln, häufig auch in Kom- bination mit Hyperaktivität auszeichnet. Es existieren weiterhin alternative Bezeichnungen und Abkürzungen, welche teilweise übereinstimmende Krankheitsbilder beschreiben, teilweise spezielle Ausprägungen bezeichnen. Verbreitet ist: Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ADS). Veraltete Begriffe • Minimale Cerebrale Dysfunktion (MCD) • Psychoorganisches Syndrom (POS) Internationale Bezeichnungen • Attention Deficit/Hyperactivity Disorder (ADHD) • Attention Deficit Disorder (ADD)

Niemals aufgeben. Aber Charles M. Schulz gab nicht auf. Er kehrte aus dem 2. Weltkrieg zurück und eroberte mit seinen Comic-Figuren, den Peanuts, die Herzen der Amerikaner. Bei Charlie Brown, Lucy, Linus, Snoopy & Co. geht es um alltägliche Peanuts, also um Kleinigkeiten. Genau daran zeigt Schulz die Widersprüche des gesamten menschlichen Lebens auf, obwohl nie ein Erwachsener als handelnde Figur in seinen Peanuts auftritt.

Eine Leseschwäche kann alleine oder in Kombination mit ADS/ADHS auftreten. Dyslexie Darunter versteht man Probleme mit dem Lesen und Verstehen von Wörtern oder Texten bei normalem Seh- und Hörvermögen. Oft tritt sie das erste Mal im Rahmen einer sogenannten Lese-Rechtschreib-Schwäche (Legasthenie) in den ersten Schuljahren auf.

Ausgrenzung und Mobbing. Charles M. Schulz zeichnete in seinen Comic-Strips nicht zuletzt das gesamte Kindertheater der Grausamkeit und zeigte damit, wie gemein Kinder zu einander sein können. Gerade ADHS-Kinder werden schon in frühester Jugend mit Ausgrenzung und Mobbing konfrontiert. Wie Charlie Brown war auch Charles M. Schulz ein ernsthaftes und unglückliches Kind. Und wie bei vielen ADHS-Kindern kann auch in der Welt der Peanuts die Psychiaterin Lucy ihrem Freund Charlie Brown nicht helfen.

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Pharmaka Pharmaka sind laut Arzneimittelgesetz Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die zur Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen.

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Ausgrenzung Ist mein Kind normal? Schule

| Mehr Freiraum und Struktur

Gesellschaft | Wahn nach Norm Therapie

| Je schneller, desto besser

Ratgeber

| Der Fünf-Punkte-Plan

&


Schüler brauchen eine Struktur

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Tipps für den Unterricht

| 5

Schuldig durch Ausgrenzung

| 6

Leben mit ADHS

|7

Fünf-Punkte-Plan

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Über den Vater von Snoopy

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Cool&Klug | Technoparkstrasse 1 | 8005 Zürich | magazin@coolundklug.info Herausgeber Marc Gantenbein, Chur, Verlag Printmedia Company Chur Auflage 120 000, Gestaltung diebündner Zürich AG, Redaktion Katja Stauffacher. Mit freundlicher Unterstützung von Vifor Pharma, Villars-sur-Glâne. Die in Cool&Klug publizierten Inhalte dienen lediglich der Information und Unterstützung. Sie ersetzen in keinem Fall eine persönliche Beratung, Untersuchung oder Diagnose durch einen Facharzt, Apotheker und/oder Drogisten. Cool&Klug sowie die mit dem Magazin verbundenen Personen und Gesellschaften leisten keine Gewähr für die Richtigkeit und Vollständigkeit der publizierten Informationen. Jegliche Haftung für Schäden, welche direkt oder indirekt aus der Verwendung der publizierten Informationen entstehen, wird abgelehnt. Die vollständige oder teilweise Reproduktion von Inhalten aus Cool&Klug ist nur nach vorgängig eingeholter Zustimmung zulässig.

Liebe Leserinnen und Leser Zu Tausenden spielen sich nun wieder die kleinen und grossen Dramen ab, seit die Schule nach den langen Sommerferien begonnen hat. Die Schüler stöhnen unter der Last der vielen Hausaufgaben und schwierigen Prüfungen. Die Eltern machen sich Sorgen, ob ihr Kind ihre hohen Erwartungen erfüllt und dem Leistungsdruck standhalten kann. Der «Ernst des Lebens» ist für viele Kinder jedoch so ernst, dass sie schon früh aus dem Rennen fliegen. Das gilt besonders für jene, die anders sind. Sei es verträumt, unruhig oder aufbrausend. Oder sei es, weil sie nicht stillsitzen und sich kaum konzentrieren können. Cool&Klug nimmt sich genau diesem Schulstoff an. Ein Stoff, der sonst so gern unter den Tisch beziehungsweise unter die Schulbank fällt. «Es gibt gar keine schwierigen Kinder, sondern nur Kinder mit schwierigem Verhalten», lautet die coole These des Heilpädagogen Walter Egli.

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Lesen Sie auf den Seiten 3 bis 5, was er bei der Erziehung für klug hält und was nicht. Ist mein Kind normal? Überraschende Antworten auf diese tausendfach gestellte Frage und ein Plädoyer für mehr Verständnis und weniger Aufregung und Ausgrenzung auf Seite 6. Was der 14-jährige Cédric über ein Leben mit ADHS ab Seite 7 erzählt, ist echt cool: «Wenn in meinem Kopf wieder mal alles drunter und drüber geht, versuche ich, meine Gedanken freizulassen.» Und auch seine Mutter steht ihm in Sachen Klugheit nicht nach, wenn sie zum Schluss kommt: «Mit Erklären erreiche ich am meisten.» Einen Fünf-Punkte-Plan für den besseren Umgang mit dem ADHS, dem ZappelphilippSyndrom, finden Sie ab Seite 10. Er reicht von gesunder Ernährung über gezielte Bewegung bis zu ganz unorthodoxen Massnahmen. Cool, dass Sie sich für diesen Stoff interessieren. Herzlich, das Cool&Klug Redaktionsteam

Cool&Klug das ADHS–Infomagazin

& Schreiben Sie uns Wenn Sie selber Erfahrungen mit ADHS gemacht oder Fragen zu diesem Thema haben, kontaktieren Sie uns auf dem Postweg oder per E-Mail: Cool&Klug Technoparkstrasse 1 | 8005 Zürich magazin@coolundklug.info

Heilpädagoge Walter Egli

Es gibt keine schwierigen Kinder Es gibt nur Kinder mit schwierigem Verhalten. Heilpädagoge Walter Egli über Gelassenheit, Vertrauen und Respekt in der Erziehung. Erziehung ist keine Einbahnstrasse. In der Erziehung erträgt es immer wieder auch Fehler und Fehleinschätzungen. Wichtig sind eine wohlwollende Grundhaltung und der grosse Erziehungsbogen, der stimmig sein muss. Finden Sie Ihren ganz persönlichen Weg, bleiben Sie ganz sich selbst. Seien Sie offen und flexibel, so dass Sie sich im erzieherischen Kontakt mit den Kindern auch immer ein wenig selber mit verändern lassen. Ich wehre mich immer wieder, wenn von schwierigen Kindern gesprochen wird. Das ist so endgültig und unveränderlich. Ich spreche lieber von Kindern mit schwierigem Verhalten. Alle Formen davon sind bei uns allen in anderer Dosierung oder wenigstens als Anlage vorhanden. Erst diese Erkenntnis ermöglicht ein einfühlendes Verstehen. Kinder mit schwierigem Verhalten sind auch keine Monster oder Psychos, sondern Menschen wie Sie und ich, auch wenn ihr Verhalten unter den gegebenen Umständen aus Sicht von Lehrern und Erziehungspersonen auffällig und störend sein kann. Ich bin der festen Überzeugung, dass ich jedem Kind – habe es eine noch so schwere Behinderung oder Störung – als Mensch

begegnen muss. Ich muss es kennenlernen und versuchen, auf seine ganz individuellen Besonderheiten einzugehen. In meiner langen Tätigkeit mit den verschiedensten Kindern ist mir noch keines begegnet, das nicht positiv auf eine respektvolle, einfühlsame und aufbauende Haltung reagiert hätte. Natürlich gibt es viele Kinder, die schon nach kurzer Zeit diese aufbauende Haltung extrem auf die Probe stellen. Oft sind die Ursachen von schwierigem Verhalten in der Familie auszumachen. Dennoch bin ich nicht so schnell bereit, über die Familien den Stab zu brechen, wie ich das bei einigen Kollegen sehen kann. Ich habe selbst Kinder aufgezogen und weiss, welche Gratwanderung wir als Eltern eingehen. Bewährt hat sich ein respektvoller und partnerschaftlicher Umgang mit den Eltern. Wenn dieser Weg nicht überheblich und möglichst einfühlsam gegangen wird, akzeptieren die meisten Eltern auch klare Worte und Abmachungen. Erziehung erträgt weder Lieblosigkeit noch Gewalt Wichtig ist, dass die Kinder in dieser bestimmten Umgebung unter den hier gegebenen Umständen ein auffälliges Verhalten zeigen. Einige Schulkinder würden vielleicht in einer anderen Umgebung überhaupt nicht anecken. Manche könnten ganz friedlich in der Natur arbeiten oder wären fasziniert von Tieren oder Maschinen. In der Schule

Cool&Klug für Kinder, Eltern und Lehrer

mit ihren vielen Regeln, beim Arbeiten in der Gruppe hebt es ihnen den Deckel, sie werden unruhig, passiv oder bekommen Kopfweh. Manches Verhalten, das wir auffällig nennen, ist in anderem Zusammenhang geduldet oder sogar erwünscht. Wenn wir uns bewusst sind, dass bei diesen Situationen die Kinder (und ehrlicherweise wir selbst auch ein bisschen) ohne schlechte Absichten schwierig und unkonzentriert werden, und wenn wir allenfalls das Niveau oder die Art der Tätigkeit den Voraussetzungen anpassen, leben wir gesünder und werden gelassener, was sich sofort auch im Verhalten der Kinder widerspiegelt. Bestimmte Haltungen von Eltern und Lehrern können schwieriges Verhalten auslösen oder begünstigen. Erziehung erträgt einiges Zur Person

Walter Egli Heilpädagoge In der Kindheit mit Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ADS) konfrontriert. Befasst sich intensiv mit den Themen Aufmerksamkeit, Hyperaktivität und Schule. Noch lässt der passionierte Trekking-Tourengänger offen, wie er seine berufliche Zukunft nach der Aufhebung des Kleinklassensys­ tems gestalten wird.

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Schüler brauchen eine Struktur

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Tipps für den Unterricht

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Schuldig durch Ausgrenzung

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Leben mit ADHS

|7

Fünf-Punkte-Plan

| 10

Über den Vater von Snoopy

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Cool&Klug | Technoparkstrasse 1 | 8005 Zürich | magazin@coolundklug.info Herausgeber Marc Gantenbein, Chur, Verlag Printmedia Company Chur Auflage 120 000, Gestaltung diebündner Zürich AG, Redaktion Katja Stauffacher. Mit freundlicher Unterstützung von Vifor Pharma, Villars-sur-Glâne. Die in Cool&Klug publizierten Inhalte dienen lediglich der Information und Unterstützung. Sie ersetzen in keinem Fall eine persönliche Beratung, Untersuchung oder Diagnose durch einen Facharzt, Apotheker und/oder Drogisten. Cool&Klug sowie die mit dem Magazin verbundenen Personen und Gesellschaften leisten keine Gewähr für die Richtigkeit und Vollständigkeit der publizierten Informationen. Jegliche Haftung für Schäden, welche direkt oder indirekt aus der Verwendung der publizierten Informationen entstehen, wird abgelehnt. Die vollständige oder teilweise Reproduktion von Inhalten aus Cool&Klug ist nur nach vorgängig eingeholter Zustimmung zulässig.

Liebe Leserinnen und Leser Zu Tausenden spielen sich nun wieder die kleinen und grossen Dramen ab, seit die Schule nach den langen Sommerferien begonnen hat. Die Schüler stöhnen unter der Last der vielen Hausaufgaben und schwierigen Prüfungen. Die Eltern machen sich Sorgen, ob ihr Kind ihre hohen Erwartungen erfüllt und dem Leistungsdruck standhalten kann. Der «Ernst des Lebens» ist für viele Kinder jedoch so ernst, dass sie schon früh aus dem Rennen fliegen. Das gilt besonders für jene, die anders sind. Sei es verträumt, unruhig oder aufbrausend. Oder sei es, weil sie nicht stillsitzen und sich kaum konzentrieren können. Cool&Klug nimmt sich genau diesem Schulstoff an. Ein Stoff, der sonst so gern unter den Tisch beziehungsweise unter die Schulbank fällt. «Es gibt gar keine schwierigen Kinder, sondern nur Kinder mit schwierigem Verhalten», lautet die coole These des Heilpädagogen Walter Egli.

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Lesen Sie auf den Seiten 3 bis 5, was er bei der Erziehung für klug hält und was nicht. Ist mein Kind normal? Überraschende Antworten auf diese tausendfach gestellte Frage und ein Plädoyer für mehr Verständnis und weniger Aufregung und Ausgrenzung auf Seite 6. Was der 14-jährige Cédric über ein Leben mit ADHS ab Seite 7 erzählt, ist echt cool: «Wenn in meinem Kopf wieder mal alles drunter und drüber geht, versuche ich, meine Gedanken freizulassen.» Und auch seine Mutter steht ihm in Sachen Klugheit nicht nach, wenn sie zum Schluss kommt: «Mit Erklären erreiche ich am meisten.» Einen Fünf-Punkte-Plan für den besseren Umgang mit dem ADHS, dem ZappelphilippSyndrom, finden Sie ab Seite 10. Er reicht von gesunder Ernährung über gezielte Bewegung bis zu ganz unorthodoxen Massnahmen. Cool, dass Sie sich für diesen Stoff interessieren. Herzlich, das Cool&Klug Redaktionsteam

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Heilpädagoge Walter Egli

Es gibt keine schwierigen Kinder Es gibt nur Kinder mit schwierigem Verhalten. Heilpädagoge Walter Egli über Gelassenheit, Vertrauen und Respekt in der Erziehung. Erziehung ist keine Einbahnstrasse. In der Erziehung erträgt es immer wieder auch Fehler und Fehleinschätzungen. Wichtig sind eine wohlwollende Grundhaltung und der grosse Erziehungsbogen, der stimmig sein muss. Finden Sie Ihren ganz persönlichen Weg, bleiben Sie ganz sich selbst. Seien Sie offen und flexibel, so dass Sie sich im erzieherischen Kontakt mit den Kindern auch immer ein wenig selber mit verändern lassen. Ich wehre mich immer wieder, wenn von schwierigen Kindern gesprochen wird. Das ist so endgültig und unveränderlich. Ich spreche lieber von Kindern mit schwierigem Verhalten. Alle Formen davon sind bei uns allen in anderer Dosierung oder wenigstens als Anlage vorhanden. Erst diese Erkenntnis ermöglicht ein einfühlendes Verstehen. Kinder mit schwierigem Verhalten sind auch keine Monster oder Psychos, sondern Menschen wie Sie und ich, auch wenn ihr Verhalten unter den gegebenen Umständen aus Sicht von Lehrern und Erziehungspersonen auffällig und störend sein kann. Ich bin der festen Überzeugung, dass ich jedem Kind – habe es eine noch so schwere Behinderung oder Störung – als Mensch

begegnen muss. Ich muss es kennenlernen und versuchen, auf seine ganz individuellen Besonderheiten einzugehen. In meiner langen Tätigkeit mit den verschiedensten Kindern ist mir noch keines begegnet, das nicht positiv auf eine respektvolle, einfühlsame und aufbauende Haltung reagiert hätte. Natürlich gibt es viele Kinder, die schon nach kurzer Zeit diese aufbauende Haltung extrem auf die Probe stellen. Oft sind die Ursachen von schwierigem Verhalten in der Familie auszumachen. Dennoch bin ich nicht so schnell bereit, über die Familien den Stab zu brechen, wie ich das bei einigen Kollegen sehen kann. Ich habe selbst Kinder aufgezogen und weiss, welche Gratwanderung wir als Eltern eingehen. Bewährt hat sich ein respektvoller und partnerschaftlicher Umgang mit den Eltern. Wenn dieser Weg nicht überheblich und möglichst einfühlsam gegangen wird, akzeptieren die meisten Eltern auch klare Worte und Abmachungen. Erziehung erträgt weder Lieblosigkeit noch Gewalt Wichtig ist, dass die Kinder in dieser bestimmten Umgebung unter den hier gegebenen Umständen ein auffälliges Verhalten zeigen. Einige Schulkinder würden vielleicht in einer anderen Umgebung überhaupt nicht anecken. Manche könnten ganz friedlich in der Natur arbeiten oder wären fasziniert von Tieren oder Maschinen. In der Schule

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mit ihren vielen Regeln, beim Arbeiten in der Gruppe hebt es ihnen den Deckel, sie werden unruhig, passiv oder bekommen Kopfweh. Manches Verhalten, das wir auffällig nennen, ist in anderem Zusammenhang geduldet oder sogar erwünscht. Wenn wir uns bewusst sind, dass bei diesen Situationen die Kinder (und ehrlicherweise wir selbst auch ein bisschen) ohne schlechte Absichten schwierig und unkonzentriert werden, und wenn wir allenfalls das Niveau oder die Art der Tätigkeit den Voraussetzungen anpassen, leben wir gesünder und werden gelassener, was sich sofort auch im Verhalten der Kinder widerspiegelt. Bestimmte Haltungen von Eltern und Lehrern können schwieriges Verhalten auslösen oder begünstigen. Erziehung erträgt einiges Zur Person

Walter Egli Heilpädagoge In der Kindheit mit Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ADS) konfrontriert. Befasst sich intensiv mit den Themen Aufmerksamkeit, Hyperaktivität und Schule. Noch lässt der passionierte Trekking-Tourengänger offen, wie er seine berufliche Zukunft nach der Aufhebung des Kleinklassensys­ tems gestalten wird.

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wendend, sehr konsequent, überdeutlich und ohne ein Auge zuzudrücken, vielleicht sogar eine Spur zu forsch zu reagieren. So weiss das neue Kind haargenau, was gilt, ohne selbst schon auf Anordnungen oder Massnahmen reagieren zu müssen. Wenn es mir wirklich ernst ist, mit dem Kind eine Beziehung aufzubauen, muss ich auch bereit sein, mich selbst zu öffnen und die Kinder daran teilhaben zu lassen, was mich bewegt, und sie vielleicht in einem begrenzten Rahmen auch in private Inhalte einzuweihen. Das Kind muss sich meiner Zuneigung sicher sein. Es muss wissen oder spüren: «Ich kann mich benehmen, wie ich will, wir können Streit haben deswegen, Massnahmen gemeinsam durchstehen und vielleicht sogar Tränen darüber vergiessen. Ich werde es aber niemals schaffen, dass der Lehrer mich nicht mehr gerne mag.» Erziehung heisst auch Sühne und Versöhnung Gelegenheit zur Sühne: Dieser Punkt klingt für Sie vielleicht sehr altmodisch und ver-

an Fehlern und Fehlhaltungen. Nur eines erträgt sie nicht: Lieblosigkeit, Zynismus sowie Gewalt. Oft sind die drei Haltungen Zeichen von Verbitterung, Verzweiflung und Burnout. Wenn wir an uns solche Tendenzen feststellen, müssen wir externe Hilfe organisieren.

Verzeihen und nochmals Verzeihen. Schrauben Sie die Erwartungen nicht zu hoch, aber verzichten Sie dennoch nicht gänzlich auf Forderungen.

Eine weitere Haltung, die auf längere Zeit das Verhalten der Kinder ungünstig beeinflusst, ist Inkonsequenz. Es geht auch mir so, dass ich manchmal bei einem unerwünschten Verhalten eines Kindes Gnade vor Recht walten lasse und eine angekündigte Massnahme nicht durchführe. Früher oder später lässt es sich aber nicht verhindern, dass ich reagiere, sonst glauben mir die Kinder meine Ankündigungen nicht mehr. Im Umgang mit meinen Kindern habe ich übrigens die magische Wirkung des bis drei Zählens kennengelernt, um ein bestimmtes Verhalten einzufordern.

Die Erziehung eines Kindes beginnt damit, sich auf eine Beziehung mit ihm einzulassen; als Erziehender mit der nötigen Distanz und der Bewusstheit des bestehenden Machtgefälles, aber auch schlicht als Mensch. Wie baut man eine Beziehung zu einem Kind auf, das einem schon mit einem schlechten Ruf angekündigt wird? In einem ersten Schritt erkläre ich mich bereit, mich auf eine Beziehung einzulassen und seine Geschichte für diesen Prozess beiseitezustellen. Ich beginne das Kind kennenzulernen – eigentlich nicht viel anders, als wenn mir ein Mensch besonders gut gefällt. Ich schaue das Kind erst einmal richtig an und lasse seine Persönlichkeit, ohne zu werten, auf mich wirken: Was für Augen hat es, wie schaut es

Behutsames Vorgehen schliesst Konsequenz nicht aus. Verstehen heisst nicht einfach

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Erziehung heisst, sich auf eine Beziehung einlassen

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mir Arbeitseinsätze bewährt. Ich begleite das Kind und arbeite mit ihm zusammen. So kann ich genau sehen, ob die Massnahme ihre Wirkung hat und ich dem Kind im Sinne eines mündlichen Vertrags ein Versprechen abringen kann. Ausserdem hat das Mitarbeiten etwas mit Respekt zu tun: Ich missbrauche es nicht als Arbeitstier, sondern bin bereit, die Sache mit ihm durchzustehen. Einige der Kinder mit schwierigem Verhalten sind häufig verstimmt. Ich versuche jeweils mit meiner Stimmung einen Gegenpol zu schaffen. Es beginnt schon am frühen Morgen. Wichtig ist oft, in welcher Stimmung ich selbst das Zimmer betrete. Ich begrüsse die Kinder immer bewusst mit einem freundlichen, beschwingten «guete Morge». Manchmal eignen sich auch bei besonders auffälligen Kindern besinnliche Augen­ blicke, um etwas zu bewegen. Johnny war auch so ein happiges und überaus skurriles ADHS-Kind, das mir sehr viel Geduld und Flexibilität abverlangt hat. Als sich sein Ver­­

Viel effizienter ist es jedoch, auch bei kleinen Regelverstössen der anderen Kinder, post-

In kritischen Situationen empfiehlt es sich, Ruhe zu bewahren und überlegt zu handeln, auch oder besonders dann, wenn ein Verhalten uns besonders ärgerlich macht. Bei vielen Störungen genügen kleine Signale an das Kind, um die Situation wieder aufzufangen. Ein Blick, ein Kopfschütteln oder Nicken (liebevoll, streng, fordernd) zeigt dem Kind, welches Verhalten ich erwarte oder was ich missbillige. Manchmal genügt ein Schnippen der Finger oder eine Berührung, bei hohem Lärmpegel vielleicht auch einmal ein Stampfen oder Pfeifen. Manchmal rufe ich dem Kind auch kurz pantomimisch die möglichen Folgen seines Verhaltens in Erinnerung. Manchmal korrigiere ich bei einem Kind stellvertretend die Sitzhaltung, um nicht immer wieder sein Verhalten rügen zu müssen. Ich begebe mich kurz in die Nähe des Kindes, um nicht durchs ganze Zimmer rufen zu müssen, und spreche mit ihm in ruhigem, privatem Ton. Ausserdem nützt es manchmal, wenn ich das Kind in einem Gespräch mit überraschendem Inhalt vom eigentlichen Thema ablenke, in das sich das Kind verbissen hat.

mich an, wie redet es, wie ist seine Mimik, seine Bewegungen, sein Auftreten, was strahlt es aus meiner Sicht aus, wie ist es gekleidet usw. Ich versuche möglichst viel darüber zu erfahren, was es bewegt, woran es Freude hat, womit es spielt, was seine Pläne sind, seine Ängste, wer seine Freunde sind, was es besonders gut kann, auch welche Fernsehsendungen es gerne sieht und mit welchen Helden es sich identifiziert. Es gibt viele Lehrer und Erziehungspersonen, die den Grundsatz vertreten, dass wir den Kindern gleich von Beginn weg den Tarif durchgeben müssen. Ich bin nicht grundsätzlich gegen diese These. Aber zu Beginn stehen andere Werte im Mittelpunkt. Ich finde es wichtig, dass das neue Kind herzlich empfangen wird. Kinder, die schon von Beginn weg die Grenzen überschreiten, weise ich ganz ruhig darauf hin, dass dies bei uns nicht üblich sei.

Praktische Tipps für den Unterricht

Manchmal braucht das Kind auch eine gewisse Isolation, um in einer reizärmeren Umgebung arbeiten zu können, und ist sogar froh darum. Es ist wichtig, dass mit dem Kind nachträglich über die ergriffene Massnahme gesprochen wird. In manchen Fällen kann der Wutausbruch auch durch Humor aufgefangen werden. Wichtig ist, dass ich versuche, ruhig zu reagieren und dem Kind Alternativen im Verhalten aufzuzeigen. staubt. Es ist aber schon so, dass die Kinder sehr wohl wissen, was sie dürfen und was nicht. Die Kinder brauchen auch wieder einmal einen reinen Tisch. Es ist für sie sehr belastend, wenn ich zwar keine Massnahme ausspreche, aber jeden Tag wieder auf die Missetat zurückkomme und sie anprangere. Für gravierende Taten haben sich bei

halten einmal ein wenig verbessert hatte, nutzte ich die Adventszeit und sagte ihm im Kerzenschein, dass ich deswegen sehr stolz auf ihn sei. Johnny kullerten darauf zwei Tränen über die Backen. Wir haben danach noch viel Kummer zusammen aushalten müssen, jedoch hat dieser kleine Moment unsere Freundschaft besiegelt.

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wendend, sehr konsequent, überdeutlich und ohne ein Auge zuzudrücken, vielleicht sogar eine Spur zu forsch zu reagieren. So weiss das neue Kind haargenau, was gilt, ohne selbst schon auf Anordnungen oder Massnahmen reagieren zu müssen. Wenn es mir wirklich ernst ist, mit dem Kind eine Beziehung aufzubauen, muss ich auch bereit sein, mich selbst zu öffnen und die Kinder daran teilhaben zu lassen, was mich bewegt, und sie vielleicht in einem begrenzten Rahmen auch in private Inhalte einzuweihen. Das Kind muss sich meiner Zuneigung sicher sein. Es muss wissen oder spüren: «Ich kann mich benehmen, wie ich will, wir können Streit haben deswegen, Massnahmen gemeinsam durchstehen und vielleicht sogar Tränen darüber vergiessen. Ich werde es aber niemals schaffen, dass der Lehrer mich nicht mehr gerne mag.» Erziehung heisst auch Sühne und Versöhnung Gelegenheit zur Sühne: Dieser Punkt klingt für Sie vielleicht sehr altmodisch und ver-

an Fehlern und Fehlhaltungen. Nur eines erträgt sie nicht: Lieblosigkeit, Zynismus sowie Gewalt. Oft sind die drei Haltungen Zeichen von Verbitterung, Verzweiflung und Burnout. Wenn wir an uns solche Tendenzen feststellen, müssen wir externe Hilfe organisieren.

Verzeihen und nochmals Verzeihen. Schrauben Sie die Erwartungen nicht zu hoch, aber verzichten Sie dennoch nicht gänzlich auf Forderungen.

Eine weitere Haltung, die auf längere Zeit das Verhalten der Kinder ungünstig beeinflusst, ist Inkonsequenz. Es geht auch mir so, dass ich manchmal bei einem unerwünschten Verhalten eines Kindes Gnade vor Recht walten lasse und eine angekündigte Massnahme nicht durchführe. Früher oder später lässt es sich aber nicht verhindern, dass ich reagiere, sonst glauben mir die Kinder meine Ankündigungen nicht mehr. Im Umgang mit meinen Kindern habe ich übrigens die magische Wirkung des bis drei Zählens kennengelernt, um ein bestimmtes Verhalten einzufordern.

Die Erziehung eines Kindes beginnt damit, sich auf eine Beziehung mit ihm einzulassen; als Erziehender mit der nötigen Distanz und der Bewusstheit des bestehenden Machtgefälles, aber auch schlicht als Mensch. Wie baut man eine Beziehung zu einem Kind auf, das einem schon mit einem schlechten Ruf angekündigt wird? In einem ersten Schritt erkläre ich mich bereit, mich auf eine Beziehung einzulassen und seine Geschichte für diesen Prozess beiseitezustellen. Ich beginne das Kind kennenzulernen – eigentlich nicht viel anders, als wenn mir ein Mensch besonders gut gefällt. Ich schaue das Kind erst einmal richtig an und lasse seine Persönlichkeit, ohne zu werten, auf mich wirken: Was für Augen hat es, wie schaut es

Behutsames Vorgehen schliesst Konsequenz nicht aus. Verstehen heisst nicht einfach

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Erziehung heisst, sich auf eine Beziehung einlassen

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mir Arbeitseinsätze bewährt. Ich begleite das Kind und arbeite mit ihm zusammen. So kann ich genau sehen, ob die Massnahme ihre Wirkung hat und ich dem Kind im Sinne eines mündlichen Vertrags ein Versprechen abringen kann. Ausserdem hat das Mitarbeiten etwas mit Respekt zu tun: Ich missbrauche es nicht als Arbeitstier, sondern bin bereit, die Sache mit ihm durchzustehen. Einige der Kinder mit schwierigem Verhalten sind häufig verstimmt. Ich versuche jeweils mit meiner Stimmung einen Gegenpol zu schaffen. Es beginnt schon am frühen Morgen. Wichtig ist oft, in welcher Stimmung ich selbst das Zimmer betrete. Ich begrüsse die Kinder immer bewusst mit einem freundlichen, beschwingten «guete Morge». Manchmal eignen sich auch bei besonders auffälligen Kindern besinnliche Augen­ blicke, um etwas zu bewegen. Johnny war auch so ein happiges und überaus skurriles ADHS-Kind, das mir sehr viel Geduld und Flexibilität abverlangt hat. Als sich sein Ver­­

Viel effizienter ist es jedoch, auch bei kleinen Regelverstössen der anderen Kinder, post-

In kritischen Situationen empfiehlt es sich, Ruhe zu bewahren und überlegt zu handeln, auch oder besonders dann, wenn ein Verhalten uns besonders ärgerlich macht. Bei vielen Störungen genügen kleine Signale an das Kind, um die Situation wieder aufzufangen. Ein Blick, ein Kopfschütteln oder Nicken (liebevoll, streng, fordernd) zeigt dem Kind, welches Verhalten ich erwarte oder was ich missbillige. Manchmal genügt ein Schnippen der Finger oder eine Berührung, bei hohem Lärmpegel vielleicht auch einmal ein Stampfen oder Pfeifen. Manchmal rufe ich dem Kind auch kurz pantomimisch die möglichen Folgen seines Verhaltens in Erinnerung. Manchmal korrigiere ich bei einem Kind stellvertretend die Sitzhaltung, um nicht immer wieder sein Verhalten rügen zu müssen. Ich begebe mich kurz in die Nähe des Kindes, um nicht durchs ganze Zimmer rufen zu müssen, und spreche mit ihm in ruhigem, privatem Ton. Ausserdem nützt es manchmal, wenn ich das Kind in einem Gespräch mit überraschendem Inhalt vom eigentlichen Thema ablenke, in das sich das Kind verbissen hat.

mich an, wie redet es, wie ist seine Mimik, seine Bewegungen, sein Auftreten, was strahlt es aus meiner Sicht aus, wie ist es gekleidet usw. Ich versuche möglichst viel darüber zu erfahren, was es bewegt, woran es Freude hat, womit es spielt, was seine Pläne sind, seine Ängste, wer seine Freunde sind, was es besonders gut kann, auch welche Fernsehsendungen es gerne sieht und mit welchen Helden es sich identifiziert. Es gibt viele Lehrer und Erziehungspersonen, die den Grundsatz vertreten, dass wir den Kindern gleich von Beginn weg den Tarif durchgeben müssen. Ich bin nicht grundsätzlich gegen diese These. Aber zu Beginn stehen andere Werte im Mittelpunkt. Ich finde es wichtig, dass das neue Kind herzlich empfangen wird. Kinder, die schon von Beginn weg die Grenzen überschreiten, weise ich ganz ruhig darauf hin, dass dies bei uns nicht üblich sei.

Praktische Tipps für den Unterricht

Manchmal braucht das Kind auch eine gewisse Isolation, um in einer reizärmeren Umgebung arbeiten zu können, und ist sogar froh darum. Es ist wichtig, dass mit dem Kind nachträglich über die ergriffene Massnahme gesprochen wird. In manchen Fällen kann der Wutausbruch auch durch Humor aufgefangen werden. Wichtig ist, dass ich versuche, ruhig zu reagieren und dem Kind Alternativen im Verhalten aufzuzeigen. staubt. Es ist aber schon so, dass die Kinder sehr wohl wissen, was sie dürfen und was nicht. Die Kinder brauchen auch wieder einmal einen reinen Tisch. Es ist für sie sehr belastend, wenn ich zwar keine Massnahme ausspreche, aber jeden Tag wieder auf die Missetat zurückkomme und sie anprangere. Für gravierende Taten haben sich bei

halten einmal ein wenig verbessert hatte, nutzte ich die Adventszeit und sagte ihm im Kerzenschein, dass ich deswegen sehr stolz auf ihn sei. Johnny kullerten darauf zwei Tränen über die Backen. Wir haben danach noch viel Kummer zusammen aushalten müssen, jedoch hat dieser kleine Moment unsere Freundschaft besiegelt.

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Gesellschaft muss toleranter werden In einer Gesellschaft von Jägern und Sammlern wäre dieses auffällige Kind überhaupt nicht auffällig geworden. Wahrscheinlich wäre es sogar zum besten Jäger herangewachsen oder zum eifrigsten und gewissenhaftesten Sammler. In einer solchen Urgesellschaft hätte dagegen ein Kind versagt, das heute als Musterschüler gelobt wird. Wir lernen: Normal ist sehr relativ. Seien wir also bitte vorsichtig, was oder wen wir als normal bezeichnen. Zappelphilippe haben unendlich viele Eigenschaften, die über das normale, alltägliche Mass hinausgehen. Viele von ihnen sind sehr empfindsam, haben ganz feine Antennen für Dinge, die uns gewöhnlich verborgen bleiben. In vielen Dingen sind sie wahre Meister. Im zwischenmenschlichen Umgang verfügen sie oft über Eigenschaften, die in einer rein leistungs- und gewinnorientierten Welt gerne unter den Tisch fallen.

Gesellschaftlicher Wandel

Wer ist schon normal?

Kinder mit ADHS sind viel normaler, als wir denken. Ein Plädoyer für mehr Verständnis und weniger Ausgrenzung. Haben Sie schon einmal einen Zappelphilipp beobachtet, wenn er in seinem Element ist? Und haben Sie in einer solchen Situation auch einmal ganz genau hingeschaut, wie seine Eltern oder zufällig anwesende Passanten reagieren? Was haben Sie in einem solchen Moment empfunden? Wurden Sie unsicher? Hat Sie das Verhalten des Kindes befremdet? Oder jenes der Eltern oder der herumstehenden Leute? Haben Sie sich vielleicht sogar für deren Reaktion geschämt? Tatsache ist: Die Reaktion auf das Verhalten des Kindes entscheidet, ob die Situation zum Problem wird oder nicht. Fällt sie behutsam und verständnisvoll aus und ist sie darauf ausgerichtet, der frei werdenden Energie des Kindes einen für alle erträglichen Freiraum zu geben, wird sich die Situation sofort beruhigen. Fällt die Reaktion hinge-

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gen heftig und zurechtweisend aus, kann die Lage schnell eskalieren. Ein Kind gilt dann als normal, wenn es ruhig und angepasst ist, und vor allem, wenn es stillsitzen kann, besonders in der Schule. Doch ist das wirklich normal? Ist es normal, wenn ein Kind seinen angeborenen Bewegungstrieb mit der Einschulung verliert, weil es von einem Tag auf den anderen zu stundenlanger Bewegungslosigkeit verdammt wird, nur weil es einen gesellschaftlichen Konsens gibt, dass Stillsitzen normal ist? Ein Kind, das sich diesem Zwang zum Stillsitzen aus irgendwelchen Gründen nicht unterordnen will oder kann, gilt als abnormal oder sogar krank. Oft wird es sogar gehänselt und ausgegrenzt. Die Lehrer verlangen eine Unterredung mit den Eltern und den Beizug eines Schulpsychologen. Eine ganze Maschinerie kommt in Gang. Mit dem Resultat, dass das Kind schon bald das schwarze Schaf ist und von nun an niemandem mehr etwas recht machen kann.

Cool&Klug das ADHS–Infomagazin

Wenn man ADHS-Kinder ausgrenzt und öffentlich brandmarkt, tut man ihnen in höchstem Masse unrecht. Viel schlimmer, man nimmt ihnen und ihren Familien jegliche Chancen, sich «normal» zu entwickeln. «Normal» im Sinne von teilhaben am normalen Leben. Man nimmt ihnen die Chance, in der normalen Klasse zu bleiben. Man nimmt ihnen die Chance, einen normalen Beruf erlernen zu können. Wer ADHS-Kinder ausgrenzt, macht sich schuldig, den betroffenen Kindern und ihren Eltern, aber auch sich selber gegenüber. Diese letzte Aussage mag Sie vielleicht erstaunen. Doch überlegen Sie einmal genau: Waren Sie selber zu jeder Zeit Ihres Lebens «normal»? Oder waren Sie vielleicht auch einmal froh, wenn man irgendeine Eigenschaft von Ihnen, irgendeine Auffälligkeit ohne Aufsehen akzeptiert hat? Wenn Sie ein ADHS-Kind ausgrenzen, grenzen Sie auch einen Teil von sich selbst aus und verleugnen diesen. Machen Sie einmal einen Versuch: Wenn Sie einem ADHS-Kind begegnen, gehen Sie mit ihm so um, als wären Sie selbst in seiner Haut.

Danke für Ihr Verständnis.

Mein Leben mit ADHS

Tornado im Kopf

«Ich versuche, meine Gedanken freizulassen.» Cédric, 14, erzählt, was passiert, wenn in seinem Kopf alles drunter und drüber geht.

Cédric, wo hast Du am meisten Mühe?

Was empfindest Du, wenn Du dich nicht konzentrieren kannst?

Im Schulunterricht. Ich habe Probleme, mich zu konzentrieren. Ich komme nicht vorwärts. Vor allem bei Prüfungen. Da

In meinem Kopf, da kommen einfach alle Gedanken auf einmal; Gedanken, die ich gerne habe, und solche, die ich nicht gerne

habe. Dinge, die passiert sind und die mir ... ja, wie soll ich sagen, es ist wie ein Tornado. All meine Gedanken, die sich dann vermischen. Ich will dann wissen, was wie funktioniert. Dann kommen zum Beispiel Gedanken an meine Lieblingssendungen und ich denke: «Nein, das will ich nicht denken. Ich muss mich darauf konzentrieren, wie viel diese Rechnung ergibt.» So etwas regt mich auf, und es ist seltsam.

Cool&Klug für Kinder, Eltern und Lehrer

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vergesse ich, was ich gelernt habe, und gerate in Stress. Doch inzwischen komme ich mit solchen Situationen gut zurecht.


Gesellschaft muss toleranter werden In einer Gesellschaft von Jägern und Sammlern wäre dieses auffällige Kind überhaupt nicht auffällig geworden. Wahrscheinlich wäre es sogar zum besten Jäger herangewachsen oder zum eifrigsten und gewissenhaftesten Sammler. In einer solchen Urgesellschaft hätte dagegen ein Kind versagt, das heute als Musterschüler gelobt wird. Wir lernen: Normal ist sehr relativ. Seien wir also bitte vorsichtig, was oder wen wir als normal bezeichnen. Zappelphilippe haben unendlich viele Eigenschaften, die über das normale, alltägliche Mass hinausgehen. Viele von ihnen sind sehr empfindsam, haben ganz feine Antennen für Dinge, die uns gewöhnlich verborgen bleiben. In vielen Dingen sind sie wahre Meister. Im zwischenmenschlichen Umgang verfügen sie oft über Eigenschaften, die in einer rein leistungs- und gewinnorientierten Welt gerne unter den Tisch fallen.

Gesellschaftlicher Wandel

Wer ist schon normal?

Kinder mit ADHS sind viel normaler, als wir denken. Ein Plädoyer für mehr Verständnis und weniger Ausgrenzung. Haben Sie schon einmal einen Zappelphilipp beobachtet, wenn er in seinem Element ist? Und haben Sie in einer solchen Situation auch einmal ganz genau hingeschaut, wie seine Eltern oder zufällig anwesende Passanten reagieren? Was haben Sie in einem solchen Moment empfunden? Wurden Sie unsicher? Hat Sie das Verhalten des Kindes befremdet? Oder jenes der Eltern oder der herumstehenden Leute? Haben Sie sich vielleicht sogar für deren Reaktion geschämt? Tatsache ist: Die Reaktion auf das Verhalten des Kindes entscheidet, ob die Situation zum Problem wird oder nicht. Fällt sie behutsam und verständnisvoll aus und ist sie darauf ausgerichtet, der frei werdenden Energie des Kindes einen für alle erträglichen Freiraum zu geben, wird sich die Situation sofort beruhigen. Fällt die Reaktion hinge-

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gen heftig und zurechtweisend aus, kann die Lage schnell eskalieren. Ein Kind gilt dann als normal, wenn es ruhig und angepasst ist, und vor allem, wenn es stillsitzen kann, besonders in der Schule. Doch ist das wirklich normal? Ist es normal, wenn ein Kind seinen angeborenen Bewegungstrieb mit der Einschulung verliert, weil es von einem Tag auf den anderen zu stundenlanger Bewegungslosigkeit verdammt wird, nur weil es einen gesellschaftlichen Konsens gibt, dass Stillsitzen normal ist? Ein Kind, das sich diesem Zwang zum Stillsitzen aus irgendwelchen Gründen nicht unterordnen will oder kann, gilt als abnormal oder sogar krank. Oft wird es sogar gehänselt und ausgegrenzt. Die Lehrer verlangen eine Unterredung mit den Eltern und den Beizug eines Schulpsychologen. Eine ganze Maschinerie kommt in Gang. Mit dem Resultat, dass das Kind schon bald das schwarze Schaf ist und von nun an niemandem mehr etwas recht machen kann.

Cool&Klug das ADHS–Infomagazin

Wenn man ADHS-Kinder ausgrenzt und öffentlich brandmarkt, tut man ihnen in höchstem Masse unrecht. Viel schlimmer, man nimmt ihnen und ihren Familien jegliche Chancen, sich «normal» zu entwickeln. «Normal» im Sinne von teilhaben am normalen Leben. Man nimmt ihnen die Chance, in der normalen Klasse zu bleiben. Man nimmt ihnen die Chance, einen normalen Beruf erlernen zu können. Wer ADHS-Kinder ausgrenzt, macht sich schuldig, den betroffenen Kindern und ihren Eltern, aber auch sich selber gegenüber. Diese letzte Aussage mag Sie vielleicht erstaunen. Doch überlegen Sie einmal genau: Waren Sie selber zu jeder Zeit Ihres Lebens «normal»? Oder waren Sie vielleicht auch einmal froh, wenn man irgendeine Eigenschaft von Ihnen, irgendeine Auffälligkeit ohne Aufsehen akzeptiert hat? Wenn Sie ein ADHS-Kind ausgrenzen, grenzen Sie auch einen Teil von sich selbst aus und verleugnen diesen. Machen Sie einmal einen Versuch: Wenn Sie einem ADHS-Kind begegnen, gehen Sie mit ihm so um, als wären Sie selbst in seiner Haut.

Danke für Ihr Verständnis.

Mein Leben mit ADHS

Tornado im Kopf

«Ich versuche, meine Gedanken freizulassen.» Cédric, 14, erzählt, was passiert, wenn in seinem Kopf alles drunter und drüber geht.

Cédric, wo hast Du am meisten Mühe?

Was empfindest Du, wenn Du dich nicht konzentrieren kannst?

Im Schulunterricht. Ich habe Probleme, mich zu konzentrieren. Ich komme nicht vorwärts. Vor allem bei Prüfungen. Da

In meinem Kopf, da kommen einfach alle Gedanken auf einmal; Gedanken, die ich gerne habe, und solche, die ich nicht gerne

habe. Dinge, die passiert sind und die mir ... ja, wie soll ich sagen, es ist wie ein Tornado. All meine Gedanken, die sich dann vermischen. Ich will dann wissen, was wie funktioniert. Dann kommen zum Beispiel Gedanken an meine Lieblingssendungen und ich denke: «Nein, das will ich nicht denken. Ich muss mich darauf konzentrieren, wie viel diese Rechnung ergibt.» So etwas regt mich auf, und es ist seltsam.

Cool&Klug für Kinder, Eltern und Lehrer

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vergesse ich, was ich gelernt habe, und gerate in Stress. Doch inzwischen komme ich mit solchen Situationen gut zurecht.


Jahr hat er mit Hip-Hop-Tanzen angefangen. Er hat ein Flair, sich gut bewegen zu können. Das ist ein sehr guter Ausgleich zur Schule.

Cédrics Steckbrief • Geboren am 10. November 1994 • Grösse 158 cm • Besucht derzeit die achte Klasse in der Sekundarschule

Hat er gute Freunde? Freunde sind ihm extrem wichtig. Es kann schon mal vorkommen, dass er dafür alles liegen und stehen lässt. Er ist ein richtiger Zigeuner und kann sich nicht oft genug mit seinen Freunden treffen. Bevor er jedoch sein Zuhause verlässt, müssen die Hausaufgaben erledigt sein. Übernachtet wird sowieso nur ab und zu am Freitag oder in den Ferien.

Hobbies • Tennis • Hip-Hop-Tanzen – mit einem öffentlichen Auftritt • Kollegen treffen, mit ihnen gamen oder abhängen Lieblingsspeise • Asiatische Nudelsuppe mit Curry und Poulet

Cédric sagt selber, er habe einen starken Willen. Stimmt das? Ja, das stimmt. Manchmal kann er aber auch richtig stur sein.

Wie gehen Sie als Mutter damit um? Ich bin froh, dass es in diesem Jahr besser geworden ist.

Und was tust Du in einem solchen Moment? Ich versuche mich zu konzentrieren. Ich probiere, die Gedanken freizulassen. Dann beruhigen sich meine Gedanken, ich kann wieder an andere Dinge denken. Manchmal habe ich danach allerdings keine Zeit mehr, die Prüfung zu Ende zu schreiben.

Ist es Dir unangenehm, wenn Deine Mitschüler etwas merken? Ich hab es mal erwähnt, aber ich glaube, sie haben es wieder vergessen. Ich bin von ihnen jedenfalls nie als «gestört» bezeichnet worden.

Hast Du Angst, gehänselt zu werden? Ja. Aber ich weiss, wer ich bin. Zwar empfinde ich mich selbst manchmal als speziell. Ab und zu werde ich unruhig und kann mich nicht konzentrieren. Aber es gehört nun mal zum Leben, dass man sich ab und zu aufregt.

Was macht Dich wütend? Beleidigungen, die ernst gemeint sind, und zu viele Hausaufgaben.

Wie stellst Du Dir einen guten Klassenkameraden vor?

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Er soll nett sein, nicht negativ auffallen. Dann muss er ehrlich sein und darf mich nicht für dumm verkaufen.

Was erwartest Du von einem Lehrer? Er soll hilfsbereit sein und Verständnis für die Schüler und ihre Situation haben.

Welches sind Deine Lieblingsfächer? Englisch und Turnen. Sport mache ich unheimlich gerne, weil ich mich dann vom langen Stillsitzen erholen kann. Aber auch den Hauswirtschaftsunterricht mit Kochen finde ich lustig.

Hast Du einen starken Willen?

Weisst Du schon, was Du einmal werden willst?

Auf jeden Fall. Wenn ich etwas will, kann ich es auch durchsetzen. In den meisten Fällen wenigstens.

Ich will Schauspieler oder Moderator werden. Es macht mir grossen Spass, in verschiedene Rollen zu schlüpfen.

Cédrics Geschichte Cédric ist 14 Jahre alt. Er hat Schwierigkeiten, längere Zeit stillzusitzen und sich zu konzentrieren. Bereits im Alter von vier Jahren – noch vor dem Eintritt in den Kindergarten – wurden die ersten ADHS-Symptome festgestellt. Zwar fiel es den Eltern nicht leicht, die Diagnose zu akzeptieren. Dennoch handelten sie schnell. Cédric machte einmal pro Woche Ergotherapie, um die Feinmotorik zu verbessern. Die Primarschule ging anfänglich problemlos. Auch die Noten waren sehr gut. Als aber in der dritten Klasse der Leistungsdruck stieg, akzentuierten sich die Symptome. Cédric erhielt auf Druck der Lehrer ein Psychopharmakon. Zuerst hatte die Behandlung Erfolg, dann liess die Wirkung nach. Als die Dosis bereits nach einer Woche erhöht werden sollte, stellte sich Cédrics Mutter quer und setzte die Behandlung ab.

Cécrics Mutter

Verhandlungsbereitschaft signalisieren Mit Erklären erreiche ich am meisten.

Wo ist er noch gut?

Nicht auf den Schwächen herumreiten, dafür die Begabungen fördern, eine klare Linie – und dennoch viel Verhandlungsbereitschaft: Mit diesem Rezept hat Cédrics Mutter die besten Erfahrungen gemacht.

Er ist sehr kreativ und setzt seine Fantasie gerne beim Basteln um. Seine letzte Er­ findung ist ein Handy aus Karton, das mit verschiedenen praktischen Zusatzfunktionen ausgerüstet ist. Das Erstaunliche: Wenn ihn etwas interessiert, ist er extrem ausdauernd.

Wo liegen Cédrics Stärken? Und wenn ihn etwas nicht interessiert? Wenn ihn etwas interessiert, hat er eine rasche Auffassungsgabe. Er ist schlau und weiss genau, was er will. Er vermag sich gut durchzusetzen. Wenn jemandem Unrecht geschieht, setzt er sich für ihn ein.

Und sprachlich? Die Situation verbesserte sich erst wieder, als Cédric als eines der ersten Kinder in der Schweiz Anfang 2008 ein Nahrungsergänzungspräparat auf Basis von Omega- 3-Fettsäuren erhielt. Inzwischen besucht Cédric die zweite Sekundarschulklasse. Er kann sich besser konzentrieren, ist ruhiger geworden und stellt sich in kritischen Situationen weniger oft quer. Er möchte in die Kanti und ist zuversichtlich, dass er das schafft.

Cool&Klug das ADHS–Infomagazin

Lesen hat er sich vor der Einschulung selber beigebracht. Er sagte immer, es gamet sich einfacher, wenn man auch den Text lesen kann. Da er aber leider selten Bücher liest, hat er Mühe, einen «interessanten» Aufsatz zu schreiben. Auch mit dem Text- und Hörverständnis hapert es.

Dann ist er das pure Gegenteil. Besonders, wenn er stillsitzen muss. Dann lässt er sich von tausend Dingen ablenken. In der Schule vom Gummi, der auf den Boden fällt, von Kameraden, welche den Unterricht stören, oder von Dingen, die draussen passieren. Dinge, die ihm wichtig sind, kann er sich problemlos merken. Den Rest will er sich nicht merken.

Es ist nicht immer einfach, damit umzugehen. Wenn er etwas will, ist er extrem hartnäckig. Er kann dann einfach kein «Nein» akzeptieren. Es ist schwierig, ihm begreiflich zu machen, dass man als Kind einer Autoritätsperson zu gehorchen hat. Seine Reaktionen lassen dann schon mal den Puls höher schlagen. Am einfachsten ist es für mich, mit ihm Kompromisse einzugehen. Dies ist jedoch nicht immer die beste Lösung. Das ist mir sehr wohl bewusst. Aber er ist eben stur, und ich möchte nicht in endlose Diskussionen geraten. Wenn man mit Cédric Abmachungen trifft, hält er sich dann meistens auch daran.

Was ist, wenn Sie zu stark nachgeben? Wenn ich in einem schwachen Moment nachgebe, büsse ich das nächste Mal. Es braucht eine klare Linie, bei den Hausaufgaben, bei den Treffen mit seinen Kollegen und so weiter. Das ist ganz wichtig.

Wie setzen Sie Ihre Linie durch?

Sport hilft ihm sehr und tut ihm enorm gut. Seit ein paar Jahren spielt er Tennis. Dieses

Eben nicht mit Durchsetzen, sondern mit Erklären. Ich kann ihm nicht einfach etwas ohne Kommentar verbieten. Wenn ich mit ihm rede, erreiche ich am meisten. Stellt er jedoch etwas an, gibt es eine Strafe. Die besten Strafen sind die, welche ihn am meisten treffen. Zum Beispiel Fernsehoder Gameverbot oder kein Treffen mit seinen Freunden.

Cool&Klug für Kinder, Eltern und Lehrer

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Hilft ihm Bewegung?


Jahr hat er mit Hip-Hop-Tanzen angefangen. Er hat ein Flair, sich gut bewegen zu können. Das ist ein sehr guter Ausgleich zur Schule.

Cédrics Steckbrief • Geboren am 10. November 1994 • Grösse 158 cm • Besucht derzeit die achte Klasse in der Sekundarschule

Hat er gute Freunde? Freunde sind ihm extrem wichtig. Es kann schon mal vorkommen, dass er dafür alles liegen und stehen lässt. Er ist ein richtiger Zigeuner und kann sich nicht oft genug mit seinen Freunden treffen. Bevor er jedoch sein Zuhause verlässt, müssen die Hausaufgaben erledigt sein. Übernachtet wird sowieso nur ab und zu am Freitag oder in den Ferien.

Hobbies • Tennis • Hip-Hop-Tanzen – mit einem öffentlichen Auftritt • Kollegen treffen, mit ihnen gamen oder abhängen Lieblingsspeise • Asiatische Nudelsuppe mit Curry und Poulet

Cédric sagt selber, er habe einen starken Willen. Stimmt das? Ja, das stimmt. Manchmal kann er aber auch richtig stur sein.

Wie gehen Sie als Mutter damit um? Ich bin froh, dass es in diesem Jahr besser geworden ist.

Und was tust Du in einem solchen Moment? Ich versuche mich zu konzentrieren. Ich probiere, die Gedanken freizulassen. Dann beruhigen sich meine Gedanken, ich kann wieder an andere Dinge denken. Manchmal habe ich danach allerdings keine Zeit mehr, die Prüfung zu Ende zu schreiben.

Ist es Dir unangenehm, wenn Deine Mitschüler etwas merken? Ich hab es mal erwähnt, aber ich glaube, sie haben es wieder vergessen. Ich bin von ihnen jedenfalls nie als «gestört» bezeichnet worden.

Hast Du Angst, gehänselt zu werden? Ja. Aber ich weiss, wer ich bin. Zwar empfinde ich mich selbst manchmal als speziell. Ab und zu werde ich unruhig und kann mich nicht konzentrieren. Aber es gehört nun mal zum Leben, dass man sich ab und zu aufregt.

Was macht Dich wütend? Beleidigungen, die ernst gemeint sind, und zu viele Hausaufgaben.

Wie stellst Du Dir einen guten Klassenkameraden vor?

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Er soll nett sein, nicht negativ auffallen. Dann muss er ehrlich sein und darf mich nicht für dumm verkaufen.

Was erwartest Du von einem Lehrer? Er soll hilfsbereit sein und Verständnis für die Schüler und ihre Situation haben.

Welches sind Deine Lieblingsfächer? Englisch und Turnen. Sport mache ich unheimlich gerne, weil ich mich dann vom langen Stillsitzen erholen kann. Aber auch den Hauswirtschaftsunterricht mit Kochen finde ich lustig.

Hast Du einen starken Willen?

Weisst Du schon, was Du einmal werden willst?

Auf jeden Fall. Wenn ich etwas will, kann ich es auch durchsetzen. In den meisten Fällen wenigstens.

Ich will Schauspieler oder Moderator werden. Es macht mir grossen Spass, in verschiedene Rollen zu schlüpfen.

Cédrics Geschichte Cédric ist 14 Jahre alt. Er hat Schwierigkeiten, längere Zeit stillzusitzen und sich zu konzentrieren. Bereits im Alter von vier Jahren – noch vor dem Eintritt in den Kindergarten – wurden die ersten ADHS-Symptome festgestellt. Zwar fiel es den Eltern nicht leicht, die Diagnose zu akzeptieren. Dennoch handelten sie schnell. Cédric machte einmal pro Woche Ergotherapie, um die Feinmotorik zu verbessern. Die Primarschule ging anfänglich problemlos. Auch die Noten waren sehr gut. Als aber in der dritten Klasse der Leistungsdruck stieg, akzentuierten sich die Symptome. Cédric erhielt auf Druck der Lehrer ein Psychopharmakon. Zuerst hatte die Behandlung Erfolg, dann liess die Wirkung nach. Als die Dosis bereits nach einer Woche erhöht werden sollte, stellte sich Cédrics Mutter quer und setzte die Behandlung ab.

Cécrics Mutter

Verhandlungsbereitschaft signalisieren Mit Erklären erreiche ich am meisten.

Wo ist er noch gut?

Nicht auf den Schwächen herumreiten, dafür die Begabungen fördern, eine klare Linie – und dennoch viel Verhandlungsbereitschaft: Mit diesem Rezept hat Cédrics Mutter die besten Erfahrungen gemacht.

Er ist sehr kreativ und setzt seine Fantasie gerne beim Basteln um. Seine letzte Er­ findung ist ein Handy aus Karton, das mit verschiedenen praktischen Zusatzfunktionen ausgerüstet ist. Das Erstaunliche: Wenn ihn etwas interessiert, ist er extrem ausdauernd.

Wo liegen Cédrics Stärken? Und wenn ihn etwas nicht interessiert? Wenn ihn etwas interessiert, hat er eine rasche Auffassungsgabe. Er ist schlau und weiss genau, was er will. Er vermag sich gut durchzusetzen. Wenn jemandem Unrecht geschieht, setzt er sich für ihn ein.

Und sprachlich? Die Situation verbesserte sich erst wieder, als Cédric als eines der ersten Kinder in der Schweiz Anfang 2008 ein Nahrungsergänzungspräparat auf Basis von Omega- 3-Fettsäuren erhielt. Inzwischen besucht Cédric die zweite Sekundarschulklasse. Er kann sich besser konzentrieren, ist ruhiger geworden und stellt sich in kritischen Situationen weniger oft quer. Er möchte in die Kanti und ist zuversichtlich, dass er das schafft.

Cool&Klug das ADHS–Infomagazin

Lesen hat er sich vor der Einschulung selber beigebracht. Er sagte immer, es gamet sich einfacher, wenn man auch den Text lesen kann. Da er aber leider selten Bücher liest, hat er Mühe, einen «interessanten» Aufsatz zu schreiben. Auch mit dem Text- und Hörverständnis hapert es.

Dann ist er das pure Gegenteil. Besonders, wenn er stillsitzen muss. Dann lässt er sich von tausend Dingen ablenken. In der Schule vom Gummi, der auf den Boden fällt, von Kameraden, welche den Unterricht stören, oder von Dingen, die draussen passieren. Dinge, die ihm wichtig sind, kann er sich problemlos merken. Den Rest will er sich nicht merken.

Es ist nicht immer einfach, damit umzugehen. Wenn er etwas will, ist er extrem hartnäckig. Er kann dann einfach kein «Nein» akzeptieren. Es ist schwierig, ihm begreiflich zu machen, dass man als Kind einer Autoritätsperson zu gehorchen hat. Seine Reaktionen lassen dann schon mal den Puls höher schlagen. Am einfachsten ist es für mich, mit ihm Kompromisse einzugehen. Dies ist jedoch nicht immer die beste Lösung. Das ist mir sehr wohl bewusst. Aber er ist eben stur, und ich möchte nicht in endlose Diskussionen geraten. Wenn man mit Cédric Abmachungen trifft, hält er sich dann meistens auch daran.

Was ist, wenn Sie zu stark nachgeben? Wenn ich in einem schwachen Moment nachgebe, büsse ich das nächste Mal. Es braucht eine klare Linie, bei den Hausaufgaben, bei den Treffen mit seinen Kollegen und so weiter. Das ist ganz wichtig.

Wie setzen Sie Ihre Linie durch?

Sport hilft ihm sehr und tut ihm enorm gut. Seit ein paar Jahren spielt er Tennis. Dieses

Eben nicht mit Durchsetzen, sondern mit Erklären. Ich kann ihm nicht einfach etwas ohne Kommentar verbieten. Wenn ich mit ihm rede, erreiche ich am meisten. Stellt er jedoch etwas an, gibt es eine Strafe. Die besten Strafen sind die, welche ihn am meisten treffen. Zum Beispiel Fernsehoder Gameverbot oder kein Treffen mit seinen Freunden.

Cool&Klug für Kinder, Eltern und Lehrer

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Hilft ihm Bewegung?


ADHS-Kinder brauchen viel mehr als nur Medikamente: Freiraum und Struktur, Bewegung, die richtige Ernährung – und hin und wieder sogar ziemlich unorthodoxe Massnahmen.

Der Fünf-Punkte-Plan

4. Medikamente

1. Struktur und Freiraum

In der Hand von erfahrenen Ärzten haben Psychostimulantien und seine Abkömmlinge ihren Platz. Die Standardtherapie mit stimulierenden Medikamente ist eine bewährte Methode – und oft die erste Wahl bei schweren Formen von ADHS. Gewarnt werden muss hingegen vor einer leichtfertigen Verschreibung ohne umfassendes Therapiekonzept.

Am wichtigsten für die meist hochsensiblen Kinder und Jugendlichen sind Bezugspersonen, welche den jungen Menschen mit all seinen Schwierigkeiten und Stärken respektieren. Viel Verständnis, ein klares, gut strukturiertes Umfeld, aber auch viel Motivation und Freiraum helfen, die Probleme auf ein Minimum zu reduzieren.

Vier Buchstaben erregen die Gemüter: ADHS – Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätssyndrom. Die einen sprechen von einer Modediagnose, die anderen von einer fast epidemieartigen Verbreitung. Die einen

Der Fünf-Punkte-Plan

Keine leichtfertige Verschreibung schwören auf stimulierende Medikamente. Die anderen brandmarken sie als Teufelsdroge. Fakt ist: Immer mehr Schüler leiden unter Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen. Und die Psychostimulantien verzeichnen Rekordumsätze. Besteht bei einem Kind Verdacht auf ADHS, braucht es in jedem Fall eine sorgfältige und umfassende Abklärung. Die Diagnose sollte nur von erfahrenen Kinderärzten und Kinderpsychiatern gestellt werden. Fatal auswirken kann sich jedoch auch das andere Extrem, nämlich eine Verschleppung der Diagnose. Wird eine ADHS-Problematik nicht erkannt und das Kind weder verstanden noch unterstützt, wird das Selbstvertrauen massiv angegriffen, und es besteht die Gefahr einer späteren seelischen und körperlichen Erkrankung bis weit ins Erwachsenenalter hinein. Je früher eine ADHS-Problematik diagnostiziert wird, desto grösser sind die Chancen, eine Negativspirale zu verhindern, wie sie für die betroffenen Kinder und ihr privates sowie schulisches Umfeld typisch ist. Mit einer einzigen Massnahme allein wird das nie gelingen. Was es in jedem Fall braucht, ist ein ganzes Massnahmenbündel. Es reicht von Information über Verhaltensansätze bis hin zu gezielter Ernährung und Bewegung. Diese Interventionen sind so wirkungsvoll, dass sie nicht nur bei ausgeprägter ADHS-Symptomatik, sondern generell bei Konzentrations- und Lernschwierigkeiten zur Anwendung kommen sollten.

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2. Bewegung und Sport

5. Unorthodoxe Wege

Es gibt klare wissenschaftliche Beweise, dass Bewegungsarmut bei Kindern das Auftreten einer ADHS-Problematik begünstigt. Aktive Kinder sind bessere Schüler: So lautet die vereinfachte Kurzformel. Kinder, die drei Stunden Sport pro Woche auf dem Lehrplan haben, lösen schneller eine Mathematikaufgabe als solche mit nur zwei wöchentlichen Turnlektionen. Am besten geeignet sind Sportarten, welche die Koordination und das Sozialverhalten von alleine fördern. So beanspruchen beispielsweise Tischtennis, Tischfussball, alle Arten von Tanzen und Volleyball automatisch die Konzentration und Koordination, wozu im normalen Schulalltag sonst eine grosse Willensleistung erforderlich ist.

3. Ernährung Die Hinweise mehren sich, dass ein Mangel oder Ungleichgewicht von mehrfach ungesättigten Fettsäuren für die Zunahme von Lern- und Verhaltensschwierigkeiten wesentlich mitverantwortlich ist. Omega-3-Fettsäuren sind für die normale Gehirnentwicklung und -funktion essentiell, das heisst, sie müssen durch die Nahrung aufgenommen werden. Im angelsächsischen Raum ist die Nahrungsergänzung mit Omega-3-Fettsäuren längst eine anerkannte Behandlung, nachdem die «Oxford-Durham Study», die erste aussagekräftige wissenschaftliche Studie zu diesem Thema, klar gezeigt hatte, dass eine Nahrungsergänzung mit ungesättigten Fettsäuren im richtigen Verhältnis eine wirksame und sichere Behandlung für Kinder mit schulischen und pädagogischen Schwierigkeiten ist. Vermutlich beginnt sich dieser einfache, aber erfolgversprechende Therapieansatz nun auch in der Schweiz durchzusetzen, nachdem die britische Wissenschaftlerin Dr. Madeleine Portwood am diesjährigen Pädiatriekongress in Lugano die Studienergebnisse vorgestellt hatte.

Cool&Klug das ADHS–Infomagazin

Die Schulzeit ist die grosse Herausforderung für Kinder mit ADHS. Ihre niedrige Frustrationstoleranz und fehlenden Konfliktstrategien machen ihnen oft das Leben schwer und übertragen sich leicht auf Eltern und Lehrer, ohne dass die involvierten Bezugspersonen dies realisieren. Kommt dazu, dass der Irrglaube weit verbreitet ist, eine ADHS-Problematik entstehe durch Erziehungsfehler oder ungünstige Familienverhältnisse. Wichtig ist, dass alle beteiligten Bezugspersonen den verhängnisvollen Teufelskreis von Reaktion und Gegenreaktion – von Druck und Gegendruck – erkennen und den Befreiungsschlag wagen, im Kleinen wie im Grossen. Das kann einmal heissen, warten und auf drei zählen, schweigen anstatt schimpfen, eine beruhigende körperliche Geste, anstatt zurückzuschlagen, ein paar Schulstunden pro Woche weniger als im normalen Stundenplan vorgesehen, ein Haustier statt die neuste Spielkonsole oder sogar die Versetzung in ein besseres, verständnisvolleres schulisches Umfeld. Aussergewöhnliche Kinder erfordern aussergewöhnliche Reaktionen. Dann wird sich der Erfolg von selbst einstellen, im Kleinen wie im Grossen.

Cool&Klug für Kinder, Eltern und Lehrer

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ADHS-Kinder brauchen viel mehr als nur Medikamente: Freiraum und Struktur, Bewegung, die richtige Ernährung – und hin und wieder sogar ziemlich unorthodoxe Massnahmen.

Der Fünf-Punkte-Plan

4. Medikamente

1. Struktur und Freiraum

In der Hand von erfahrenen Ärzten haben Psychostimulantien und seine Abkömmlinge ihren Platz. Die Standardtherapie mit stimulierenden Medikamente ist eine bewährte Methode – und oft die erste Wahl bei schweren Formen von ADHS. Gewarnt werden muss hingegen vor einer leichtfertigen Verschreibung ohne umfassendes Therapiekonzept.

Am wichtigsten für die meist hochsensiblen Kinder und Jugendlichen sind Bezugspersonen, welche den jungen Menschen mit all seinen Schwierigkeiten und Stärken respektieren. Viel Verständnis, ein klares, gut strukturiertes Umfeld, aber auch viel Motivation und Freiraum helfen, die Probleme auf ein Minimum zu reduzieren.

Vier Buchstaben erregen die Gemüter: ADHS – Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätssyndrom. Die einen sprechen von einer Modediagnose, die anderen von einer fast epidemieartigen Verbreitung. Die einen

Der Fünf-Punkte-Plan

Keine leichtfertige Verschreibung schwören auf stimulierende Medikamente. Die anderen brandmarken sie als Teufelsdroge. Fakt ist: Immer mehr Schüler leiden unter Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen. Und die Psychostimulantien verzeichnen Rekordumsätze. Besteht bei einem Kind Verdacht auf ADHS, braucht es in jedem Fall eine sorgfältige und umfassende Abklärung. Die Diagnose sollte nur von erfahrenen Kinderärzten und Kinderpsychiatern gestellt werden. Fatal auswirken kann sich jedoch auch das andere Extrem, nämlich eine Verschleppung der Diagnose. Wird eine ADHS-Problematik nicht erkannt und das Kind weder verstanden noch unterstützt, wird das Selbstvertrauen massiv angegriffen, und es besteht die Gefahr einer späteren seelischen und körperlichen Erkrankung bis weit ins Erwachsenenalter hinein. Je früher eine ADHS-Problematik diagnostiziert wird, desto grösser sind die Chancen, eine Negativspirale zu verhindern, wie sie für die betroffenen Kinder und ihr privates sowie schulisches Umfeld typisch ist. Mit einer einzigen Massnahme allein wird das nie gelingen. Was es in jedem Fall braucht, ist ein ganzes Massnahmenbündel. Es reicht von Information über Verhaltensansätze bis hin zu gezielter Ernährung und Bewegung. Diese Interventionen sind so wirkungsvoll, dass sie nicht nur bei ausgeprägter ADHS-Symptomatik, sondern generell bei Konzentrations- und Lernschwierigkeiten zur Anwendung kommen sollten.

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2. Bewegung und Sport

5. Unorthodoxe Wege

Es gibt klare wissenschaftliche Beweise, dass Bewegungsarmut bei Kindern das Auftreten einer ADHS-Problematik begünstigt. Aktive Kinder sind bessere Schüler: So lautet die vereinfachte Kurzformel. Kinder, die drei Stunden Sport pro Woche auf dem Lehrplan haben, lösen schneller eine Mathematikaufgabe als solche mit nur zwei wöchentlichen Turnlektionen. Am besten geeignet sind Sportarten, welche die Koordination und das Sozialverhalten von alleine fördern. So beanspruchen beispielsweise Tischtennis, Tischfussball, alle Arten von Tanzen und Volleyball automatisch die Konzentration und Koordination, wozu im normalen Schulalltag sonst eine grosse Willensleistung erforderlich ist.

3. Ernährung Die Hinweise mehren sich, dass ein Mangel oder Ungleichgewicht von mehrfach ungesättigten Fettsäuren für die Zunahme von Lern- und Verhaltensschwierigkeiten wesentlich mitverantwortlich ist. Omega-3-Fettsäuren sind für die normale Gehirnentwicklung und -funktion essentiell, das heisst, sie müssen durch die Nahrung aufgenommen werden. Im angelsächsischen Raum ist die Nahrungsergänzung mit Omega-3-Fettsäuren längst eine anerkannte Behandlung, nachdem die «Oxford-Durham Study», die erste aussagekräftige wissenschaftliche Studie zu diesem Thema, klar gezeigt hatte, dass eine Nahrungsergänzung mit ungesättigten Fettsäuren im richtigen Verhältnis eine wirksame und sichere Behandlung für Kinder mit schulischen und pädagogischen Schwierigkeiten ist. Vermutlich beginnt sich dieser einfache, aber erfolgversprechende Therapieansatz nun auch in der Schweiz durchzusetzen, nachdem die britische Wissenschaftlerin Dr. Madeleine Portwood am diesjährigen Pädiatriekongress in Lugano die Studienergebnisse vorgestellt hatte.

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Die Schulzeit ist die grosse Herausforderung für Kinder mit ADHS. Ihre niedrige Frustrationstoleranz und fehlenden Konfliktstrategien machen ihnen oft das Leben schwer und übertragen sich leicht auf Eltern und Lehrer, ohne dass die involvierten Bezugspersonen dies realisieren. Kommt dazu, dass der Irrglaube weit verbreitet ist, eine ADHS-Problematik entstehe durch Erziehungsfehler oder ungünstige Familienverhältnisse. Wichtig ist, dass alle beteiligten Bezugspersonen den verhängnisvollen Teufelskreis von Reaktion und Gegenreaktion – von Druck und Gegendruck – erkennen und den Befreiungsschlag wagen, im Kleinen wie im Grossen. Das kann einmal heissen, warten und auf drei zählen, schweigen anstatt schimpfen, eine beruhigende körperliche Geste, anstatt zurückzuschlagen, ein paar Schulstunden pro Woche weniger als im normalen Stundenplan vorgesehen, ein Haustier statt die neuste Spielkonsole oder sogar die Versetzung in ein besseres, verständnisvolleres schulisches Umfeld. Aussergewöhnliche Kinder erfordern aussergewöhnliche Reaktionen. Dann wird sich der Erfolg von selbst einstellen, im Kleinen wie im Grossen.

Cool&Klug für Kinder, Eltern und Lehrer

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Ausgabe 2

Viele Begriffe, ein Thema

Berühmt trotz ADHS/Dyslexie

Charles M. Schulz – mit Beharrlichkeit zum Erfolg Auf der Liste berühmter Persönlichkeiten mit ADHS stehen John F. Kennedy, Jack Nicholson, Mozart, Elvis Presley und auch der wohl berühmteste ComicZeichner des 20. Jahrhunderts, Charles Monroe Schulz. Der Vater von Snoopy und Charlie Brown lehrt uns vor allem eines: Lebe deine Stärken! Schon als kleiner Junge malte Charles mit Begeisterung, bereits im Kindergarten fiel diese Begabung seiner Lehrerin auf. Doch dabei blieb es vorerst. Obwohl Charles M. Schulz sein Talent in der Schulzeit verbesserte, nahm niemand davon Notiz. Charles Schulz blieb ein unscheinbarer Schüler. Oft wurde er beim Spielen von seinen Schulkameraden übergangen und ausgegrenzt. Als er zum College-Abschluss seine Karikaturen der renommierten Jahrgangszeitung anbot, wurden sie abgelehnt. Auch seine Bewerbung bei den Walt-DisneyStudios blieb ohne Erfolg.

Fähigkeiten verkümmern. Der familiäre und schulische Fokus liegt bei den meisten ADHS-Kindern auf ihren Defiziten. Die individuellen Fähigkeiten bleiben oft im Verborgenen, wo sie schlafen oder gar verkümmern. Charles M. Schulz konnte vieles nicht so gut wie seine Schulkollegen. Aber er konnte zeichnen. Und wie. Er glaubte an sich und ging beharrlich seinen Weg. Vielleicht hätte er sich manchmal einen Begleiter und Beistand gewünscht.

ADHS • • •

Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätssyndrom Hyperkinetische Störung (HKS)

ADHS-Infomagazin für Kinder, Eltern und Lehrer Cool&Klug

| Technoparkstrasse 1 | 8005 Zürich | magazin@coolundklug.info

Alle diese Ausdrücke beschreiben eine bereits im Kindesalter beginnende Verhaltensauffälligkeit, die sich primär durch leichte Ablenkbarkeit und geringes Durchhaltevermögen sowie ein leicht aufbrausendes Wesen mit der Neigung zum un­ überlegten Handeln, häufig auch in Kom- bination mit Hyperaktivität auszeichnet. Es existieren weiterhin alternative Bezeichnungen und Abkürzungen, welche teilweise übereinstimmende Krankheitsbilder beschreiben, teilweise spezielle Ausprägungen bezeichnen. Verbreitet ist: Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ADS). Veraltete Begriffe • Minimale Cerebrale Dysfunktion (MCD) • Psychoorganisches Syndrom (POS) Internationale Bezeichnungen • Attention Deficit/Hyperactivity Disorder (ADHD) • Attention Deficit Disorder (ADD)

Niemals aufgeben. Aber Charles M. Schulz gab nicht auf. Er kehrte aus dem 2. Weltkrieg zurück und eroberte mit seinen Comic-Figuren, den Peanuts, die Herzen der Amerikaner. Bei Charlie Brown, Lucy, Linus, Snoopy & Co. geht es um alltägliche Peanuts, also um Kleinigkeiten. Genau daran zeigt Schulz die Widersprüche des gesamten menschlichen Lebens auf, obwohl nie ein Erwachsener als handelnde Figur in seinen Peanuts auftritt.

Eine Leseschwäche kann alleine oder in Kombination mit ADS/ADHS auftreten. Dyslexie Darunter versteht man Probleme mit dem Lesen und Verstehen von Wörtern oder Texten bei normalem Seh- und Hörvermögen. Oft tritt sie das erste Mal im Rahmen einer sogenannten Lese-Rechtschreib-Schwäche (Legasthenie) in den ersten Schuljahren auf.

Ausgrenzung und Mobbing. Charles M. Schulz zeichnete in seinen Comic-Strips nicht zuletzt das gesamte Kindertheater der Grausamkeit und zeigte damit, wie gemein Kinder zu einander sein können. Gerade ADHS-Kinder werden schon in frühester Jugend mit Ausgrenzung und Mobbing konfrontiert. Wie Charlie Brown war auch Charles M. Schulz ein ernsthaftes und unglückliches Kind. Und wie bei vielen ADHS-Kindern kann auch in der Welt der Peanuts die Psychiaterin Lucy ihrem Freund Charlie Brown nicht helfen.

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Pharmaka Pharmaka sind laut Arzneimittelgesetz Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die zur Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen.

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Ausgrenzung Ist mein Kind normal? Schule

| Mehr Freiraum und Struktur

Gesellschaft | Wahn nach Norm Therapie

| Je schneller, desto besser

Ratgeber

| Der Fünf-Punkte-Plan

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