Jochen Roller, Berlin Choreograf Ich habe mich nie für Tanzrekonstruktion interessiert. Unter allen Kunstformen habe ich den zeitgenössischen Tanz gewählt, weil in seiner Flüchtigkeit ein so zauberhaftes Potenzial liegt, offen für Erneuerung zu sein. Wenn ich will, kann ich eine Choreografie von einer Aufführung zur anderen einfach verändern. Mit einem gemalten Bild, das in einer Galerie ausgestellt wird, ist das schwierig, genauso wie mit dem gedruckten Buch, das im Buchladen steht. Ich habe deshalb nie verstanden, warum man archäologisch Choreografien ausgraben sollte. Eine Choreografie ist kein gemaltes Bild und auch kein gedrucktes Buch. Als der ‚Fonds Tanzerbe‘ aufgelegt wurde, habe ich mich dann aber doch für Tanzrekonstruktion interessiert. Für sechsstellige Fördersummen kann sich ein Künstler für so ziemlich alles interessieren. So bin ich zu meinem Tanzerbe gekommen. Mein Tanzerbe ist das Werk von Gertrud Bodenwieser. Der australische Teil ihres Werkes, wohlgemerkt. Denn bei meiner Suche nach einem zu erbenden Tanzerbe mußte ich feststellen, daß das Tanzerbe ein hart umkämpfter Kapitalmarkt ist, auf dem Künstler und Wissenschaftler Besitzansprüche anmelden, auf ein Tanzerbe, das sich nicht dagegen wehren kann, vereinnahmt zu werden. Auch ich habe mir ein solches Erbe erschlichen. Zeitzeugenbefragung, Bibliotheksrecherche, Ortsbesuche. Plötzlich war ich ‚Experte‘, wurde zu Konferenzen eingeladen, obwohl ich mein Erbe doch gerade erst erlernt hatte. Es ist merkwürdig, als ‚Experte‘ über eine Choreografie zu sprechen, deren Bewegungen noch nicht richtig im Körper sitzen. Der Markt verlangt nach solchen Experten. Experten vermitteln die Gewissheit, dass Tanzerbe tatsächlich konserviert werden könnte. Fragen zur Bodenwieser? Fragen Sie doch den Roller. Ich weiß natürlich eigentlich fast gar nichts über Gertrud Bodenwieser. Ich habe ihr Werk 6 Monate lang studiert, sie hat 35 Jahre lang choreografiert und über 200 Stücke geschaffen. Wenn ich etwas über Gertud Bodenwieser weiß, ist es, dass sie sich ständig verändert hat. Denn für sie war die Flüchtigkeit des Tanzes sein größtes Kapital. Sie hat sich nie für Tanzerbe interessiert. Und wollte nicht, dass ihre Werke einmal rekonstruiert werden. Mein Tanzerbe ist deshalb keine Rekonstruktion, die ich auf Festivals toure. Mein Tanzerbe ist ein Gefühl. Es sind Grundsätze wie, dass Improvisation in eine Technikklasse gehört oder dass Missverstehen die schönsten Tänze kreiert. Es ist der Austausch und die Verbundenheit zu den Zeitzeugen, die man nie wieder los wird. So bin ich vom Erbschleicher zum Tanzerben geworden.
Carena Schlewitt Intendantin/ Hellerau Europäisches Zentrum der Künste, Dresden André Schallenberg Programmleiter Tanz und Theater/ Hellerau Europäisches Zentrum der Künste, Dresden Für unsere Arbeit in HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste interessiert uns der viel genutzte Begriff des Erbes in seiner Doppeldeutigkeit: als komplexes Konglomerat der Begriffe Tradition, Identität und Heimat, als progressive und beflügelnde Grundlage verschiedener Kulturen, aber auch als Machtstruktur, als belastendes, einengendes Übel. HELLERAU lebt von und mit einem komplexen historischen Erbe: als Teil der Residenzstadt Dresden ebenso wie der utopischen Gartenstadt Hellerau, als architektonische Vision in Form des von Heinrich Tessenow erbauten Festspielhauses, als Geburtsort der frühen europäischen Tanz-Moderne und Theateravantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts sowie nach dem Mauerfall 1989 als Ort der Wiederbelebung der Freien Darstellenden Künste und der Zeitgenössischen Musik. Das Festspielhaus trägt aber auch das Erbe seiner langjährigen militärischen Nutzung in sich – im 2. Weltkrieg als Polizeiund SS-Kaserne und nach 1945 als Kaserne und Turnhalle der Roten Armee der Sowjetunion. Über all diesen historischen Schichten liegt gegenwärtig eine hochaktuelle, brisante gesellschaftliche Entwicklung, die auch in Dresden und Sachsen stark verankert ist: rechtspopulistische Bewegungen wie Pegida reklamieren für sich exklusiv die Bewahrung eines „deutschen Erbes“, das es gegen eine vermeintliche „Überfremdung“ zu schützen gilt. HELLERAU als Dresdner Institution ist also in vielerlei Hinsicht ein „Erbeträger“ – mit positiven wie auch problematischen Konnotationen. Uns bedeutet dieses Erbe vor allem eine Verpflichtung zur weiteren Auseinandersetzung im Rahmen unseres künstlerischen Programms: als Koproduktions- und Residenzpartner für zahlreiche Choreograf*innen und Companies regional, national und weltweit, als aktiver Partner im Bündnis der Internationalen Produktionshäuser, als Gastgeber für große utopische Unternehmungen wie den Tanzkongress 2019 oder als Mitstreiter des Tanzpaktes Dresden, gemeinsam mit Villa Wigman für TANZ e.V. Der Begriff des Erbes interessiert uns weniger als rein historische Dimension, sondern als Seismograf unserer Zeit. Der Tanzfonds Erbe hat mit seiner Förderung von Rekonstruktionen unschätzbare Arbeit für das kulturelle Gedächtnis und die Wertschätzung des Tanzes als Kunstform geleistet. Auf der Basis dieser Grundlagenarbeit gilt es heute, das (Tanz-) Erbe als Material, als Katalysator zu verstehen, um über die Gegenwart und Zukunft zu reden. Dafür haben wir 2019 das Festival „Erbstücke“ ins Leben gerufen. Das Erbe muss immer wieder neu von allen Seiten angeschaut, untersucht werden, nur so kann das Erbe „mit der Zeit gehen“. Diese Maxime gilt für unsere Auseinandersetzung mit dem Hellerau-Erbe genauso wie mit dem Tanz-Erbe.
Susanne Traub Stellvertretende Bereichsleiterin Tanz und Theater/ Goethe Institut, München Der Philosoph Friedrich Nietzsche hat mit seiner Vorstellung vom dionysischen und apollinischen Prinzip einen dynamischen Vorschlag gemacht, wie der Mensch und die Welt und darin Tanzen und Denken zusammenhängen könnten. Dem gegenüber steht ein historisch weiter zurückliegender Vorschlag von René Descartes, der an einer gewissen Statik festhält: Ich denke, also bin ich. – Nimmt man allein diese zwei philosophischen Positionen, entsteht bereits ein Dilemma, ein Mittendrin in einer Auseinandersetzung mit Subjekt und Objekt, mit Historie und Gegenwart, mit Körper und Geist. Die Auseinandersetzung mit Aktivitäten des Tanzens und Aktivitäten des Denkens hat meine Annäherung an Tanz und meine Verwicklung mit dem Tanz geprägt. Produktiv wurde dieses Verhältnis immer dann, wenn ich der Geschichte und dem Erbe des Tanzes nicht entkommen konnte: Inmitten von Quellen, Notationen und Dokumenten, von Körpereinschreibungen, Zeichen, Bildern, Codes und Narrativen, von Analyse, Evaluation, Interpretation, objektiver, subjektiver Betrachtungen durch verschiedene Linsen, von Dispositiven, von Abstraktion, Distanz und Reflexion, von Involvieren und Experimentieren – in einem Drunter und Drüber entstanden Vermutungen, Spekulationen, Setzungen, Gewissheiten, Unsicherheit, ein Verwerfen von Fragen und Antworten, im gleichzeitigen Aufgreifen. Beobachtung, Wahrnehmung, Bewegung. Austausch und Zugang. Mich im und mit dem Komplex Tanz zu bewegen, bedeutet für mich, mich in der Geschichte zu bewegen. Es bedeutet ein Erbe zu verwalten (um es etwas technischer auszudrücken), und das ganz unabhängig davon, ob ich künstlerisch oder wissenschaftlich recherchiere, ob ich Projekte entwickle, kuratiere, lehre oder den Kulturaustausch pflege. Tanz ist eine der Gegenwart verpflichtete somatische Tätigkeit, die die Vergangenheit nicht auslässt, sondern sie in die Gesellschaft bringt und das gesellschaftliche Bewusstsein prägt, Erfahrung ermöglicht und sogar fundamentale Zusammenhänge der Welt zu erklären hilft. Der Gebrauch des erweiterten Begriffs von Tanz, Choreografie und Philosophie schafft Teilhabe an einer gemeinsamen Geschichte des Körpers und des Subjektes. Für ein Denken in Körpern sind die unterschiedlichsten Auseinandersetzungen mit den Tanzerbe unbedingt und dringend nötig, damit die Geschichte uns mit Verdrängungen nicht heimsuchen kann.
Andrea Amort, Wien Tanzhistorikerin und Dramaturgin Das Erinnern und Bewahren von Tanzerbe in Wien und Weiterführen in eine Zukunft hat maßgeblich mit dem leidenschaftlichen Interesse zu tun, über den Mangel an Ressourcen hinaus, mit extremer Zuwendung Projekte unterschiedlicher Art zu stemmen: darunter die Herausgabe der ersten österreichischen Tanzgeschichte österreich tanzt. Geschichte und Gegenwart (Böhlau, 2001), der Veranstaltungs-Serie Tanz im Exil seit 1998 mit Ausstellung (Theatermuseum Wien, 2000) und Tanzschwerpunkt beim Festival tanz. 2000.at, dem Festival Berührungen. Tanz vor 1938 – Tanz von heute (Odeon Wien, 2008), der Erstpublikation der Monografie Hanna Berger. Spuren einer Tänzerin im Widerstand (Brandstätter, 2010) und 2015 schließlich der Gründung des Tanz-Archivs Wien an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien (MUK). Meine Beschäftigung mit dem Tanzerbe oszilliert somit zwischen angewandter und theoretischer Forschung, kuratorischer und veranstalterischer Tätigkeit. Was mich bewegt, war von Anfang an, damals noch als Journalistin, die soziale Frage: Wie kann ich die Sparte Tanz unterstützen und deren Protagonistinnen sichtbar machen? Tanz in Wien war aus meiner Sicht stets die Sparte, für die gekämpft werden musste und muss: um Anerkennung, um Sichtbarmachung, um Wertschätzung und – um ein Wahrnehmen der eigenen Geschichte und damit auch der Vorfahren. Dass sich mein Forschungsschwerpunkt zunehmend in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts verschob, hat maßgeblich mit Persönlichkeiten zu tun, die in dieser Zeit aktiv waren und die ich selber noch gut kannte. Dazu gehörten Rosalia Chladek und Andrei Jerschik, dann auch zunehmend Persönlichkeiten, die durch den Nationalsozialismus verfemt worden waren, wie etwa Wera Goldman, Stella Mann, Yehudit Arnon, die Tanzkritiker Walter Sorell, George Jackson und Giora Manor. Damit verbunden entstanden die Versuche zur „Spurensicherung“. Mir ist wichtig, Alt und Jung in einen Austausch zu bringen und damit einen Informations-Fluss von zweifellos (re-) konstruierter Tanz-Geschichte zu aktivieren. Dieser Gedanke beförderte zuletzt auch mein Konzept zur Ausstellung Alles tanzt. Kosmos Wiener Tanzmoderne (Theatermuseum Wien, 20.3.2019 – 10.2.2020), die eine Kooperation mit der Musik und Kunst Privatuniversität ist. Die dicht gepackte Veranschaulichung zeigt mit Dokumenten, darunter rare historische und neue Filme, die von Frauen geprägte frühe Wiener Tanz-Bewegung unter Einbeziehung des Austrofaschismus, der NS-Politik, des Exils. In einem weiteren Raum wird anhand zeitgenössischer Film-Beispiele versucht, eine der Zwischenkriegszeit verwandte, künstlerische Nachfolge darzustellen, sowohl Tanztechniken als auch Inhalte betreffend. Ausgestellt ist Filmmaterial u. a. von Carol Brown, Thomas Kampe, Amanda Piña, Doris Uhlich, Simon Wachsmuth. Ergänzend dazu kuratierte ich ein mehrteiliges Tanz-Programm, das unter dem Titel Rosalia Chladek Reenacted junge KünstlerInnen in der Auseinandersetzung mit überlieferten Chladek-Soli, aber auch Arbeiten von Hanna Berger zeigte. Regelmäßig laufen außerdem kleine Performances direkt in der Ausstellung. Auch das 384 Seiten starke Begleitbuch mit Lexikon Alles tanzt. Kosmos Wiener Tanzmoderne (Hatje Cantz, 2019) repräsentiert die Idee, ein Gestern aus heutiger Anschauung unter Einbeziehung von Autor*innen verschiedener Wissenschaftssparten und Künstlerinnen zu verlebendigen.
Britta Wirthmüller, Berlin Choreografin Man erbt ja entweder unvermutet oder nach langgehegter Hoffnung. Manchmal ist das Erbe eine Offenbarung, manchmal eine Bürde und manchmal ist es einfach ganz anders als erwartet. Als Tänzerin, Choreographin und Dozentin beschäftigt mich Tanzerbe auf zwei Weisen. Zum einen gibt es die Tanzgeschichte, die in meinem eigenen Körper steckt und die sich meist ungefragt dort hineingeschlichen hat. Zum anderen faszinieren mich die Tanzgeschichten, die verschollen zu sein scheinen und die damit verbundene Spurensuche in den Archiven, Bibliotheken oder im Wohnzimmer von Zeitzeug*innen. Kürzlich, an der Westküste Kanadas, sagte mir jemand nachdem sie mich tanzen gesehen hatte, sie sähe gleich den Einfluss Mary Wigmans in meiner Nutzung des Raumes und meiner Klarheit im Körper. Wenn wir dieser Beobachtung Glauben schenken, dann ist die Frage, was ist das, was dort über mindestens vier Generationen an mich weitergereicht wurde? Eine Technik, ein motorisches Muster, ein Körperkonzept? Es ist auf jeden Fall ein Tanzerbe, nach dem ich nicht gefragt und für das ich mich nicht bewusst entschieden habe. Denn als ich mit 19 Jahren anfing an der Palucca Schule Tanz zu studieren, wollte ich vor allem eins: Tänzerin werden. In welcher Tradition diese Tanzausbildung stand, war mir damals weder bewusst noch wichtig. Heute – 18 Jahre später – ist Mary Wigman immer noch da, zusammen mit all den anderen. Und langsam wird mir klar, was ich hier geerbt habe, denn diese Form von Tanzerbe erweist sich als hartnäckig. Sie ist alles andere als flüchtig, sie ist fast nicht mehr loszukriegen. Sie ist das Tanzerbe, was meist keine Spuren in den Tanzarchiven hinterlässt, dafür aber in den Körpern umso präsenter bleibt. Dies ist der eine Bezug zu Tanzerbe. Der andere sind die Geschichten, über die niemand spricht und die Frage, was uns dieses Schweigen über die Gegenwart erzählt. Was hat sich verändert, was kehrt immer wieder? Was geht verloren, was bleibt erhalten? In den Diskursen, in den Körpern? Wie kommt es, dass eine in Vergessenheit gerät und das Werk einer anderen die Archive und die Dissertationen füllt? Eine der vergessenen Geschichten ist die, der deutsch-jüdischen Tänzerin und Choreographin Ruth Abramowitsch Sorel. Sie lebte ab 1933 im Exil, zunächst in Polen, dann in Brasilien und später in Kanada. In meinem Projekt „Tracing Ruth Sorel“ verfolge ich ein Jahr lang ihre Lebensgeschichte und lebe selbst an den Orten ihres Exils. Dies ist das Tanzerbe, um das ich mich aktiv bemühe; die historische Spurensuche angetrieben von der Hoffnung, doch noch die letzte lebende Zeitzeugin zu finden oder die verstaubte Filmrolle auf dem Dachboden eines Theaters. Dieses Unterfangen gleicht zuweilen einer forensischen Untersuchung und nicht selten ist die Suche selbst eindrucksvoller als der Fund. Die Beschäftigung mit dieser Form von Tanzerbe wirft für mich daher auch die Frage auf: Was tun wir, wenn wir nichts finden? Wenn es nichts zu erben gibt? Oder wenn wir uns etwas anderes erhofft hatten? Vielleicht ist diese Enttäuschung der Moment, in dem sich die Vergangenheit am eindrücklichsten mit dem Jetzt verbindet. Sie ist Spiegel unserer Voreingenommenheit und unserer Erwartungen und zugleich Aufforderung, umzugehen, mit den gefundenen Leerstellen. Sie offenzuhalten, sie auszustellen, ihnen Raum zu geben.
Dieter Heitkamp Professor und Direktor des Ausbildungsbereiches Zeitgenössischer und Klassischer Tanz an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main KULTURERBE TANZ war das Thema der 3. Biennale Tanzausbildung 2012 Frankfurt am Main, deren künstlerischer Leiter ich war. Dieses Thema knüpfte direkt an „Methoden der Rekonstruktion“ an, dem Thema der 2. Biennale Tanzausbildung 2010 Essen. Daran ist deutlich zu erkennen, dass für die Mitgliedsinstitutionen der Ausbildungskonferenz Tanz, der AK|T, das Tanzerbe eine wichtige Rolle spielt. Kultur, Erbe, Tanz – welche Verbindungen bestehen zwischen diesen drei Begriffen? Was wird von wem als tänzerisches Erbe betrachtet? Was macht Kultur aus? Wie sähe eine Kultur der Tanzvermittlung, des Kommunizierens im und über Tanz aus? Wie wird Tanz-, wie Körperwissen generiert, und wie werden Zugänge zu diesem Wissen ermöglicht? Was und wie wird heute dokumentiert, um tänzerisches Erbe für die Zukunft zugänglich zu machen? Wie ist in der Vergangenheit tänzerisches Schaffen und Gedankengut dokumentiert worden, und wie gehen wir mit diesen Dokumenten heute um? Das waren die Fragen, mit denen sich Studierende, Ausbildungsinstitutionen und Gastdozent*innen in Performances, Workshops, Trainings und einer öffentlichen Fachtagung zum Thema „KörperWissen“ eine Woche lang in Frankfurt intensiv auseinandergesetzt haben. Ausführliche Informationen lassen sich auf http://2012.biennale-tanzausbildung.de und in der Buchdokumentation pARTnering documentation: approaching dance-heritage-culture von Edith Boxberger und Gabriele Wittman finden. Das 50-jährige Jubiläum der Tanzabteilung an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main im Jahre 2011 war für das ZuKT-Team Anlass, einen „Blick zurück nach vorn“ zu werfen. ZuKT steht für Zeitgenössischer und Klassischer Tanz. „ZuKT verbindet Tradition mit Innovation“ – das ist keine leere Worthülse, sondern eine Aufgabe und eine Herausforderung. Es ging und geht um die Notwendigkeit, eine Aufarbeitung des tänzerischen Erbes der Tanzabteilung und des Tanzes allgemein vorzunehmen. Dazu gehörte bisher z. B. die Auseinandersetzung mit dem Repertoire des Ballett Frankfurt, der S.O.A.P. Dance Company von Rui Horta, mit Stücken, die ich in der Tanzfabrik in den 80er Jahren in Berlin choreographiert habe, aber auch Katharine Sehnerts Einstudierung von Mary Wigmans „Totentanz“ oder die Choreographie „Rötlicher Himmel“ von Claudia Jeschke, in der Aspekte der künstlerischen Arbeit von Alexander Sacharoff und seiner Partnerin Clotilde von Derp in das interdisziplinäre Konzept des Projektes Russian Roulette transferiert wurden.
Thomas Thorausch Stellvertretender Archivleiter Deutsches Tanzarchiv Köln Es ist die Arbeit der Archive, die im Bereich der flüchtigen Kunstform Tanz essentiell ist, um das kulturelle Erbe und die Vielfalt des Tanzschaffens für nachfolgende Generationen zu erhalten und weiterzugeben. Soweit die Selbsteinschätzung der im Verbund Deutsche Tanzarchive (VDT) zusammengeschlossenen Institutionen. So weit, so gut, so schlecht! Der aktuelle Blick auf Archive und Sammlungen zur Geschichte der Tanzkunst in Deutschland wird bestimmt vom allgegenwärtigen Diskurs über deren Nutzen. In diesem mittlerweile auch tanzpolitischen Diskurs haben Begrifflichkeiten wie Erbe, Erbstücke, Erbeträger ihren festen Platz gefunden. Termini, die entgegen bester Absicht auch dazu geeignet sind, den Archiven der Tanzkunst und dem Umgang mit ihren Beständen den letzten Rest von Fantasie und Kreativität auszutreiben. Eine neue Generation von Nutzern wächst heran und formuliert offensiv den Wunsch, nicht mehr ehrfürchtig-anbetungsvoll sondern spielerisch-kreativ mit Tanzwissen, das eben auch das Wissen der Archive ist, umzugehen und dieses Wissen ebenso spielerisch-kreativ in den Kontext von Ausbildung, Lehre, Forschung und künstlerischer Kreation einzubringen. Angesichts der oft hilf- und verständnislosen Reaktionen von heutigen Archivar*innen (aber auch Tanzwissenschaftler*innen) auf diesen „Turn“ scheint es notwendig, an die frühen Begründer und damit auch den Ursprung von Archiven und Sammlungen der Tanzkunst zu erinnern – an Persönlichkeiten, die ihre Liebe zum Tanz im wahrsten Sinne des Wortes in ihre Sammlungen einschrieben und damit wahre Wunderkammern geist- und phantasievoller Auseinandersetzung mit Tanz in Geschichte, Gegenwart und Zukunft schufen; und diese Liebe und Begeisterung auf ihre Nutzer übertrugen. Der Schlüssel zu den Träumen vom Tanz liegt in den Archiven. Man muss nur den Mut haben, ihn zu finden und zu benutzen.