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Die Zeitmaschine

Ein altes Fotoalbum aus dem Atelier K. F. Würthle enthält einen Schatz: knapp 150 Jahre alte Naturfotografien, die eine Zeitreise in die Vergangenheit des Ötztals erlauben.

Blick auf das Ramoljoch: eine kraftvolle Dokumentation der Gletscherwelt im späten 19. Jahrhundert. Bei den Menschen im Vordergrund handelt es sich mutmaßlich nicht nur um frühe Bergwanderer, sondern auch um die Mitarbeiter des Fotografen, die Kamera, Dunkelkammer und Material auf den Gletscher schleppen mussten.

Die Ortsbezeichnungen im Fotoalbum sind in französischer Sprache angegeben, die Perspektiven des Fotografen so gewählt, wie auch heute gern fotografiert wird – mit ungleich geringerem Aufwand, versteht sich. Ganz oben: Similaun, vom Marzellgletscher aus gesehen. Oben: Schalfferner zwischen Ramolkamm und Schnalskamm. Rechts: Vent vor der Talleitspitze.

Die Bilder entstanden am Beginn eines alpinen Tourismus. Sie sind wertvolle Dokumente einer nur selten so kunstvoll dokumentierten Zeit. Ganz oben: Blick in die Ortschaft Vent. Oben: Kirche von Gurgl mit umliegenden Bauernhöfen. Rechts: Kirche und Widum von Längenfeld.

Die Orte, die auf diesen Bildern vorgestellt werden, sind heute Klassiker der Tourismuswerbung. Sie sind instagramable, lange bevor es Instagram gibt.

Ein Überfluss an Eis und Schnee, der heutigen Glaziologen Tränen in die Augen treibt. Die Bilder, ursprünglich aufgenommen, um die Vorzüge des alpinen Raums darzustellen, sind heute Zeugen enormer klimatischer Veränderungen. Ganz oben: der Rotmoosferner, im Album falsch als Gaisbergferner beschriftet (rechts von der Hohen Mut). Oben: Wildspitze, vom Ramoljoch aus gesehen. Rechts: „Le Grosse Oetzthaler Ferner/Oetzthal“.

Diese Bilder führen uns direkt in die Vergangenheit. Der vertraute Blick in die Eiswelt der Ötztaler Alpen, der sich inzwischen an das rapide Abschmelzen der Gletscher gewöhnt hat, offenbart machtvolle Ferner, ausladend und üppig. Dörfer, deren Kirchtürme aussehen wie frisch renoviert, sind auf wenige Häuser reduziert. Der Blick in die Vergangenheit offenbart das bäuerliche Leben, wie es heute nur mehr in Spurenelementen existiert, als die Landschaft prägende Selbstverständlichkeit.

Die Bilder stammen aus dem Atelier von Karl Friedrich Würthle, einem 1820 in Konstanz geborenen Arztsohn, der zuerst als Maler und Kupferstecher reüssierte, bevor er sich mit der noch jungen Technik der Fotografie zu beschäftigen begann. In Salzburg gründete er 1860 eine „Fotografische Anstalt“, um sich auf die Hochgebirgsfotografie zu spezialisieren.

Das klingt einfacher, als es war. Die fotografische Ausrüstung war bis zu 250 Kilogramm schwer und sperrig. Sie musste mit der Hilfe von Trägern und Maultieren an die Aufnahmeorte geschleppt werden, wo in einem Dunkelzelt die fotografischen Platten gegossen und „im nassen Verfahren“ weiterbehandelt werden mussten. Oft war es kaum möglich, wegen der großen Kälte in der Höhe die notwendigen Chemikalien anzumischen. Expeditionen in die Gletscherwelt benötigten bis zu 17 Menschen, um alle Gerätschaften an Ort und Stelle zu schaffen.

Das Atelier war erfolgreich und beschäftigte bis zu sechs Fotografen. Vor allem der Verkauf von Ansichtskarten sorgte für gute Umsätze. Die Bilder, die auf diesen Seiten publiziert sind, stammen jedoch aus einem Album namens „Nordtirol und Nachbarn“, das auf drei Reisen in den Jahren 1872, 1874 und 1886 beruht. Das Album ist nicht weniger als neun Kilogramm schwer und enthält 136 großformatige Fotografien auf dem damals üblichen Albuminpapier.

Überraschend, aber sicher kein Zufall, dass diese 136 Fotografien im Ötztal gelandet sind. Sie waren Teil der umfassenden „Sammlung Hans Jäger“. Jäger (1937–2012) war Begründer des Turmmuseums in Oetz, das heute Teil der Ötztaler Museen GmbH ist. Dass der Inhalt jenes „massiven Albums“ erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, ist der gegenwärtigen Leiterin dieser Museen, Edith Hessenberger, zu verdanken. Die Originalbilder waren jedoch zu empfindlich, um ausgestellt zu werden. Deshalb entschied sich Hessenberger (siehe auch Seite 50) dafür, ihren außergewöhnlichen Fund zu digitalisieren und als Buch herauszugeben, aus dem „Die Wildspitze“ die Bilder auf diesen Seiten entnehmen durfte.

Würthle-Mitarbeiter Gustav Jägermayer (mit Melone) in Aktion. Seltene Aufnahme früher fotografischer Produktion, die Rückschlüsse auf die Schwierigkeiten erlaubt, mobil zu arbeiten.

Karl Friedrich Würthle, 1865: bedeutender Landschaftskünstler und Fotopionier.

Beeindruckende Publikation: Edith Hessenberger: Fotografische Zeitreise durch Tirol, 180 Seiten, StudienVerlag, 19,90 Euro. Bestellungen: oetztalermuseen.at

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