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Was die Zukunft bringen wird
Ein Gespräch mit Benjamin Kneisl, dem Obmann des Ötztal Tourismus, und Philipp Falkner, dem Prokuristen der Bergbahnen Sölden, über gegenwärtige und zukünftige Aufgaben des Tourismus, externe und interne Kommunikation, das Mitarbeiterproblem und unerwartete Betätigungsfelder.
Die beiden jungen Männer treffen einander im neuen TVB-Haus in Sölden. Benjamin Kneisl hat im Winter 2020, an einem denkbar schwierigen Moment, von Langzeitobmann Bernhard Riml die Obmannschaft des Ötztal Tourismus übernommen. Philipp Falkner ist nach mehreren Jahren in einem Baukonzern, wo er Bauleitungen besorgte und Verantwortung für Teams und Projekte trug, zu den Seilbahnen gewechselt. Die beiden repräsentieren den Generationenwechsel in Ötztaler Leitbetrieben. „Die Wildspitze“ erörterte mit den jungen Führungskräften die großen Themen dieser Zeit: wie der Tourismus der Zukunft aussehen wird. Was sich im Ötztal ändern muss und wo sie Chancen und Herausforderungen sehen. Benjamin und Philipp kennen einander übrigens erst, seit sie ihre Funktionen bekleiden, Jack Falkner stellte den Kontakt her. „Die Chemie stimmt“, sagt Philipp Falkner. „Wir kommen aus derselben Generation, da redet man sich doch etwas leichter.“
Wo liegen derzeit die großen Problemfelder? Wo heißt es anpacken – und wo kann man von den Alten lernen?
kneisl: Für mich geht es darum, Stärken zu stärken und Schwächen auszumerzen. Das versuche ich von Anfang an zu machen – wie es auch mein Vorgänger Bernhard Riml getan hat, der mir den größten Verband des Landes einwandfrei übergeben hat. Mit Corona hat sich viel geändert. Sowohl bei den Werten der Gäste als auch bei jenen der Mitarbeiter. Meine Aufgabe ist es jetzt, den Tourismus zukunftsfit zu machen. Ich nenne mich Digitaler Obmann, weil die Digitalisierung große Chancen bringt. Im Marketing, im Finanzwesen und im Mitarbeiterwesen. Wir haben unsere Jobs in sehr herausfordernden Zeiten übernommen.
„Ich sehe nicht nur die Probleme. Ich sehe auch die Chance des schnellen Handelns.“
Philipp Falkner falkner: Ich arbeite Tür an Tür mit Jack Falkner, einem der bestimmenden Touristiker im Ötztal. Wir setzen uns Tag für Tag mit den Problemen – Krieg und Energiekrise halte ich für noch größere Herausforderungen als Corona – auseinander und diskutieren Lösungen. Wir als Junge stehen da in der Pflicht. Wir müssen Ideen einbringen, die uns gemeinsam zukunftsfit machen.
Welche neuen Aufgaben warten auf euch?
kneisl: Schauen wir uns das Beispiel Mesnerhaus an. Dort mussten wir handeln, weil sich weder ein heimischer Betrieb noch die Gemeinde bereitfand, eines der schönsten Häuser im Tal zu übernehmen (S. 56). falkner: Wir sind angehalten, möglichst viele Leute auf diesem Weg mitzunehmen – auf sie zuzugehen, sie für Veränderungen zu gewinnen. Früher war das nicht üblich, aber die nächste Generation tickt einfach so. kneisl: Wir alle – Alt und Jung – müssen erkennen, dass sich die Zeiten geändert haben. Die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Und dann handeln.
Thema Mitarbeiter: Was früher undenkbar war, ist heute ein großes Problem. Wie finden alle Betriebe die Mitarbeiter, die sie brauchen, um ihren Aufgaben nachkommen zu können?
falkner: Ich sehe nicht nur das Problem, sondern auch die Chance. Ich denke, unsere Generation hat gelernt, dass die Kreisläufe kurzlebiger werden und dass schnelleres Handeln gefragt ist. Was die Mitarbeiter betrifft, ist es unsere Aufgabe, potenzielle Mitarbeiter zu identifizieren und sie direkt anzusprechen. kneisl: Es sind in den letzten Jahren viele Jobs entstanden, die Personal abziehen. Wir können unsere Aufgaben aber nicht an Maschinen delegieren. Der Dienstleistungssektor ist auf Menschen angewiesen. Wir Gastgeber werden an unseren Dienstleistungen gemessen, also an unseren Mitarbeitern. Deshalb ist der Dialog – die interne Kommunikation – mit den Mitarbeitern auch so wichtig. Wir können den Mitarbeitern heute eine breite Infrastruktur anbieten, von der nicht nur sie, sondern auch die Einheimischen profitieren. Wir haben jahrelang den Fehler gemacht, nur an den Gast zu denken. In Zukunft müssen wir genauso an unsere Mitarbeiter und die Einheimischen denken, einen strategischen Prozess für ein noch lebenswerteres Tal in Gang setzen. Das Gute daran: Davon profitieren wir alle.
„Wir müssen nicht nur an unsere Gäste, sondern auch an die Mitarbeiter und die Einheimischen denken.“
Benjamin Kneisl
Benjamin Kneisl (r.)
35, ist Obmann des Ötztal Tourismus. Der Sölder absolvierte in Innsbruck die HTL-Elektrotechnik, übernahm 22-jährig den Betrieb seiner Eltern und brachte die Grünwald Resorts auf Wachstumskurs. Im Ortsausschuss Sölden begann er, das Gemeindegeschehen mitzugestalten, und übernahm 2020 von Langzeit- obmann Bernhard Riml die Agenden des TVBObmanns.
Philipp Falkner,
28, ist Prokurist bei den Bergbahnen Sölden. Der gebürtige Niederthaier absolvierte parallel zu seiner Tätigkeit bei einem Baukonzern sein Studium des Bauingenieurwesens und schloss es als DI ab. Dann folgte er der Einladung von Jack Falkner – keine Verwandtschaft! – und wechselte zu den Bergbahnen Sölden. Hier sieht er seine Aufgabe in der Etablierung neuer Strukturen und im Prüfen von Innovationen. Gleichzeitig schloss er sein zweites Studium mit dem MBA in Kaufmännischer und Strategischer Führung ab.
Wie werden eure Visionen von den anderen Entscheidungsträgern, z.B. in den Gemeinden, aufgenommen?
kneisl: Sagen wir so: Es haben noch immer nicht alle begriffen, dass Tourismus, Landwirtschaft, Infrastruktur, Gewerbe nicht unabhängig voneinander gedacht werden können. Es gehört alles zusammen. Wenn wir nicht alle an einem Strang ziehen, bekommen wir echte Probleme. falkner: Konkretes Beispiel. Wenn wir in Sölden endlich die Ortsumfahrung in Angriff nehmen, ein Projekt, das schon seit Ewigkeiten diskutiert wird, dann schaffen wir einen attraktiveren Ort – für die Gäste, für die Einheimischen und für die Mitarbeiter. Wir müssen begreifen, dass alles mit allem zusammenhängt, dass die Ortsentwicklung eine Voraussetzung für einen funktionierenden Tourismus ist – und umgekehrt.
Benjamin Kneisl
Viele junge Menschen möchten nicht mehr so viel arbeiten wie ihre Eltern und Großeltern aus der Gründergeneration, sie achten auf Work-Life-Balance. Wie seid Ihr dafür gerüstet?
falkner: In unseren Betrieben bieten wir längst Modelle an, die diesbezüglich sehr attraktiv sind: vier Tage Arbeit, drei Tage frei zum Beispiel. kneisl: Das bringt große Umstellungen mit sich. Vier Tage-Woche für Mitarbeiter heißt für an sieben Tagen geöffnete Saisonbetriebe noch mehr Bedarf an Mitarbeiter, Personalzimmer, etc. Im Tourismusverband hat uns Corona aber auch gezeigt, dass viele Jobs auch per Home-Office erledigt werden können und gleitende Arbeitszeit ein gangbares Modell ist. Früher konnte sich jeder Betrieb seine Mitarbeiter aussuchen. Heute ist es genau umgekehrt: Der Mitarbeiter sucht sich aus, wo er arbeiten möchte. Das ist ein Problem, das wir ausbügeln müssen. falkner: Wir werden uns kurzfristig sehr intensiv um Mitarbeiter bemühen müssen, ich nenne das ganz bewusst: Klinken putzen. Mittelfristig wird es flexiblere Arbeitszeitmodelle brauchen, daran kommen wir nicht vorbei. Ich bin aber guter Dinge, dass sich die schwierige Mitarbeitersituation langfristig bessern wird. Da ist auch die Politik gefragt. kneisl: Und wir müssen die Vorteile, die wir bieten können, besser kommunizieren: guter Verdienste, Unterkunft und Verpflegung gratis, attraktive Benefits für die Freizeit. Wir haben gute Argumente. Im Prinzip müssen wir neben der Tourismuswerbung auch Mitarbeiterwerbung betreiben.
Ihr seid jetzt an den Hebeln. Wie soll die Situation in zehn Jahren aussehen, wenn es nach euch geht? Was soll sich verändert haben?
kneisl: Zehn Jahre ist vielleicht ein zu kurzer Zeitraum. Da hat sich ein bisschen was verändert, aber noch nicht genug. Wenn wir sozial nachhaltig arbeiten, also die Einheimischen überzeugen und mitnehmen können, wird es uns gelingen, den Menschen wieder mehr in den Mittelpunkt zu stellen. Damit meine ich Einheimische, Gäste und Mitarbeiter. Es muss uns gelingen, weniger Masse und mehr Wertschöpfung zu erzielen. In meiner Vorstellung sitzen Einheimische, Gäste und Mitarbeiter dann an einem Tisch und freuen sich an der Schönheit dieses Ortes. Vom Projekt Tourismus sollen alle gleichberechtigt leben können. falkner: Unsere Aufgabe wird sein, diese Ziele unablässig zu kommunizieren. Wir müssen täglich Überzeugungsarbeit leisten. In zehn Jahren sind wir nicht mehr die, die in Zukunft verantwortlich sein werden, sondern die, die etwas zusammengebracht haben – oder nicht.
Wie bewertet ihr die Tatsache, dass lang eingesessene Betriebe an auswärtige Investoren verkauft werden?
„In zehn Jahren sind wir die, die etwas zusammengebracht haben – oder nicht.“
falkner: Das muss man einerseits pragmatisch sehen. Jeden Verkauf werden wir leider nicht verhindern können. Andererseits als Aufforderung, noch mehr in die Lebensqualität des gesamten Tals zu investieren, um es nicht so weit kommen zu lassen. Diesen Dialog werden wir führen müssen. kneisl: Natürlich wollen wir nicht, dass Leitbetriebe verkauft werden – auch wenn wir private Entscheidungen natürlich akzeptieren müssen. Es ist wichtig, dass die Zukunft des Tals – die untrennbar mit dem Tourismus verbunden ist – auch von uns Einheimischen entschieden werden kann. Investoren kommen ins Tal, um hier Geld zu verdienen. Die Familienbetriebe sind da, weil sie hier ihre Heimat haben. Das Ötztal ist kein Produkt, sondern ein Lebensraum.
Was folgt für euch daraus?
falkner: Die Leitbetriebe müssen sich auch um Angelegenheiten kümmern, die eigentlich nicht prioritär scheinen. Zum Beispiel Betriebe oder Aufgaben übernehmen, wo nicht das Geschäft entscheidet, sondern die soziale Nachhaltigkeit, um die derzeit gut laufenden Geschäfte auf demselben Niveau weiterführen zu können. kneisl: Beispiel Mesnerhaus: Ich halte es im Grunde für die Aufgabe der Gemeinde, sich um ein denkmalgeschütztes historisches Gebäude im Ortskern zu kümmern, das sonst in falsche Hände gerät. Dass wir eingesprungen sind, zeigt nur, wie sich unsere Aufgaben verändern – und wie wir diese Verantwortung leben. Die Welt verändert sich. Damit werden sich auch die Aufgaben eines Tourismusverbandes ändern – müssen. Als in Sölden die Bike Republic entstand, haben wir ökologische Nachhaltigkeitskriterien definiert, die später vom Land mehr oder weniger übernommen wurden. Vielleicht geschieht jetzt dasselbe mit dem Thema soziale Nachhaltigkeit. Wir sind jedenfalls entschlossen, diesen Weg zu gehen.