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ie Treuhandanstalt ist eine Projektionsfläche für enttäuschte Hoffnungen und für politische Interessen. So wurde die Behörde in jüngster Zeit als »Hass-Behörde», »Symbol der Zerschlagung« bzw. als »Kolonialbehörde« bezeichnet. Kritiker haben die Privatisierungspolitik der Treuhandanstalt sogar als »Fortsetzung des Kalten Krieges mit anderen Mitteln» beschrieben. Sogar der Aufstieg der Alternative für Deutschland (AfD) und die Ministerpräsidentenwahl in Erfurt am 5. Februar 2020 werden mit ihr in Verbindung gebracht. Zu Beginn des Lockdowns im Frühjahr 2020 warnte der CDU-Wirtschaftsrat im Zusammenhang mit der Diskussion über Staatsbeteiligungen vor einer Treuhandanstalt 2.0. Die negativen Deutungen haben sich tief ins kollektive Gedächtnis vor allem in Ostdeutschland eingebrannt und sind nicht neu, sondern gehen bis in die 1990er Jahren zurück, als die Treuhandanstalt mit der Privatisierung der volkseigenen Betriebe der ehemaligen DDR beauftragt war. Damit sind die erfahrungsgeschichtliche Dimension der Transformation von der Plan- zur Marktwirtschaft und die damit verbundene Massenarbeitslosigkeit umrissen.
Die Treuhandanstalt
Exkurs
und der Strukturwandel in Ostdeutschland – ein umkämpftes Erbe Ein Essay von Dierk Hoffmann
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Kalikumpel in Bischofferode streiken gegen die Stilllegungspläne der Treuhand
Als die Privatisierung der volkseigenen Betriebe Mitte der 1990er Jahre weitgehend abgeschlossen war, sah die Schlussbilanz niederschmetternd aus: Von den ca. 12.000 Treuhandunternehmen waren rund 30 Prozent liquidiert worden; von den
ursprünglich vier Millionen Arbeitsplätzen blieb letztlich nur etwa ein Drittel übrig. Die kollektive Erfahrung von Massenarbeitslosigkeit schuf nicht nur neue soziale Ungleichheiten, sondern prägte auch die politischen und mentalen Einstellungen vieler Menschen in den ostdeutschen Bundesländern nachhaltig. Denn mit den Betriebsschließungen gingen nicht nur sicher geglaubte Arbeitsplätze verloren, sondern auch die betriebszentrierte sozialistische Arbeitswelt, die für die Bevölkerung bis 1989 eine Rundumversorgung von den Kitas und Ferienheimen bis hin zu Feierabendheimen, Polikliniken sowie kulturellen Einrichtungen bereitgehalten hatte. Mit dem Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft fielen diese sozialpolitischen, DDR-spezifischen Angebote nahezu komplett weg. Diese Verlusterfahrung erhöhte die Anpassungsanforderung an die ostdeutsche Bevölkerung. Die Geschichte der Nachwendezeit ist aber nicht nur eine Geschichte der Enttäuschungen, sondern auch der Selbsttäuschungen. Zu den zählebigen Mythen, die bis heute nachwirken, zählt die von Erich Honecker 1967 im Neuen Deutschland aufgestellte Behauptung, die DDR zähle zu den zehn größten Industrieländern der Erde. Zu den Selbsttäuschungen gehört aber auch das Versprechen von den »blühenden Landschaften», das nicht nur auf Bundeskanzler Helmut Kohl zurückzuführen ist. Obwohl es zahlreiche Experten gab, die frühzeitig vor den Risiken der Währungsumstellung für die ostdeutschen Betriebe gewarnt hatten, verbreiteten aus Westdeutschland stammende Politiker und Wirtschaftsvertreter im Herbst 1990 ungebremsten Optimismus. Vor diesem Hintergrund des weit verbreiteten kommunikativen Verschweigens der sozioökonomischen Folgelasten der Einheit war die Treuhandanstalt eine überforderte Behörde, die von der Politik innerhalb kurzer Zeit mit einer Vielzahl von Aufgaben betraut wurde. Sie erfüllte schon zeitgenössisch die Funktion eines Blitzableiters und dient bis heute als negativ konnotierter Erinnerungsort im vereinten Deutschland.
Geschichte der Selbsttäuschung