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WEITE WILDNIS, FEINSTE AROMEN CHARLEVOIX, KANADA
Weite Wildnis FEINSTE AROMEN
Text: Gabrielle Attinger
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Endlose Wälder, grüne Ebenen und tiefe Schluchten prägen die Region Charlesvoix im Osten Kanadas. Das dünn besiedelte Gebiet am Sankt-Lorenz-Strom ist aber auch voller kulinarischer Überraschungen: ein Geheimtipp für Geniesser und Naturliebhaber.
Eine einzige Landstrasse führt von Quebec Stadt dem St.-Lorenz-Strom entlang Richtung Nordosten: die 138 verläuft manchmal direkt an der Küste, meist aber fadengerade über Hügel und durch Täler im Hinterland. Sie passiert Dörfer, die nicht mehr als eine Ansammlung schmucker Holzhäuser am Strassenrand sind, und durchquert gänzlich unbewohnte Weiten, bevor sie BaieSaint-Paul erreicht. Spätestens hier wird jedem Besucher bewusst, dass die Grössenverhältnisse zwischen Mensch und Natur in Charlevoix anders sind als anderswo: Die Hauptstadt der Region ist eigentlich ein grösseres Dorf und wäre in wenigen Minuten passiert, würde man sich nicht doch etwas umsehen wollen.
Es lohnt sich: Baie-Saint-Paul, Heimatort des weltberühmten Cirque du Soleil, bietet mit vielen historischen, bunten Holzbauten eine Bilderbuchkulisse für den Ferienbummel, eine fast unglaubliche Dichte an Kunstgalerien und ein tolles Museum für Gegenwartskunst. Sportlich geht es auf der nahen Isle-aux-Coudres zu. Die Insel im Sankt-Lorenz-Strom hat sich als Ausflugsziel für Fahrradfans etabliert. Ganz ohne Ehrgeiz geht es aber nicht: Die Strasse rundherum führt nicht nur dem Meer entlang, sondern auch steil bergauf über Klippen und Hügel. Insgesamt seien es 23 Kilometer, erklärt der Fahrradvermieter und gibt auch gleich das Tempo vor: «Das schaffen Sie locker in einer Stunde!»
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1 Wunderbare Weitsicht: Blick auf den St. Lorenz-Strom 2 Schmucker Ort: Die Rue St-Jean-Baptiste, in Baie-Saint-Paul lädt zum Einkaufsbummel. 3 Bunte Inselwelt: Auf der Isle-aux-Coudres wachsen neben Äpfeln auch unzählige wilde Blumen. 4 Sportlich unterwegs: Am besten lässt sich die Isle-aux-Coudres auf dem Fahrrad entdecken. 5 Ein Magnet für Genussmenschen: In der Boulangerie Bouchard schmeckt nicht nur die „Paté croche“ hervorragend.
Langsamer ist besser. Die kleinen Kunsthandwerkläden am Strassenrand warten darauf, durchstöbert zu werden. In der Cidrerie Pedneault können über 50 Obstprodukte degustiert und gekauft werden. Das Angebot reicht vom Apfelwein und Essig über Gelee, Marmeladen und Honig bis zum Glacé.
Nur ein paar Kilometer weiter liegt die beliebteste Bäckerei weit und breit: Die Boulangerie Bouchard ist mit ihren berühmten «paté croche», einer Fleischpastete, ein Muss für alle Besucher der Insel – und die Spezialität schmeckt, wie alles im altmodischen Laden, hervorragend. Beide Betriebe sind Mitglied der «Route des Saveurs», der Aromaroute von Charlevoix. Diese Gruppierung von besonders engagierten Produzenten, Köchen und Gastronomen sind über die ganze Region verteilt
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und pflegen traditionelles wie auch erfinderisches Handwerk. Champignons Charlevoix etwa züchtet mit Sägespänen, Kaffeesatz, Wasser und Stroh sowie einer selber immer wieder geklonten Pilzkultur komplett abfallfreie Chamignons – die Masse, in der die Pilze wachsen, wird nach der Ernte als Dünger auf die Felder geleert, wo dann weitere Pilze wachsen. Die Familie Migneron produziert in vierter Generation Käsespezialitäten wie den Blaukäse mit dem poetischen Namen «Le ciel de Charlevoix» – Himmel über Charlevoix. Sogar einen Wein aus Tomaten gibt es hier. Omerto heisst er, schmeckt wie Traubenwein und wird von einem eingewanderten Belgier hergestellt, der das Rezept von seinem italienischen Grossvater mitgebracht hat.
Man könnte tagelang nur von einer kulinarischen Entdeckung zur nächsten reisen, würde die grandiose Naturkulisse nicht ständig ablenken: Endlos scheinende grüne Weiten, tiefe Schluchten und markante Berge begleiten die Reisenden in Charlevoix auf Schritt und Tritt. Am allerschönsten ist der Blick auf diese Wildnis von oben – auf einem Rundflug mit dem «schwarzen Raben», dem Helikopter von Héli Charlevoix. Von den Feldern und Weiden hinter Baie-Saint Paul fliegt er ins Landesinnere und immer höher hinauf zu den höchsten Bergen der Region, wo zwischen Felsen nur noch Alpenkräuter wachsen. Er peilt einen der zentralen Gipfel an und setzt dort trotz böigem Wind punktgenau auf einem kleinen Felsen auf. Ja, man darf aussteigen und der Rundblick ist schlicht spektakulär: Ein Meer von grünen Hügeln und Gipfeln umringen eine riesige grüne Ebene mit Flüssen und Seen und in der Ferne glitzert als silbernes Band der Sankt-Lorenz-Strom.
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Die Wildnis lässt sich gut zu Fuss erkunden. Der Nationalpark des Hautes Gorges de la Rivière Malbaie bietet allen etwas: Die weniger Sportlichen fahren auf dem Ausflugsschiff auf dem Malbaie durch den schönsten Teil der Schlucht, nach welcher der Park benannt ist. Die Ehrgeizigsten erklimmen auf einem gut ausgebauten Wanderweg die Acropole des Draveurs auf 1048 Metern. Der Ausblick von dort über die Schlucht und die angrenzenden Berge ist das beliebteste Fotosujet der ganzen Region. Wie ein Held wird man danach zurück in der Schlucht von den weniger fitten Besuchern empfangen, die gerade zu Fuss Ausflugsschiffs zurück zum Parkeingang unterwegs sind. Als Regen einsetzt, steigen alle auf den gelben Schulbus um, der im verkehrsfreien Park die einzelnen Ausgangspunkte miteinander verbindet. Wir Europäer freuen uns über diese Fahrt wie kleine Kinder. Und dann Malbaie selber: Die Ortschaft am Ufer des Sankt-LorenzStroms wurde im Mai 2018 über Nacht weltbekannt, als der kanadische Premierminister Justin Trudeau dort zum G7-Gipfel lud. Das Fünfsternehotel Fairmont Le Manoir Richelieu thront hoch über dem Städtchen auf einer Sonnenterrasse. Ein leicht morbider Charme geht vom palastartigen Bau aus. Überaus herzlich werden hier auch einfache Touristen empfangen und herumgeführt. Dass man auch grosse Meerestiere vorbeischwimmen sieht, halten wir für einen netten Werbegag. Und dann passiert das Unerwartete: Beim Abendspaziergang im terrassierten Garten entdeckt jemand tatsächlich etwas im Wasser: «A seal!». Ja, da schwimmt ein Seehund seelenruhig ganz nah am Ufer vorbei – und hinter ihm werden zwei weisse, in dieselbe Richtung ziehende weisse Körper sichtbar: Belugas, Weisswale!
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Am nächsten Morgen weckt mich das Horn eines Schiffes. Dicker Nebel reicht bis unter die Hotelterrasse. Vom Frachtschiff, das gerade stromaufwärts fährt, sind nur die obersten Aufbauten zu sehen. Wie ein Geisterschiff bewegt es sich vorwärts. Seine Warnsignale verhallen gespenstisch in der Ferne. Ob die Wale dies auch hören? Ich werde wiederkommen – allein schon, um sie nochmals zu sehen.
www.tourisme-charlevoix.com
6 Beliebter Gipfel: Die Acropole des Draveurs belohnt sportliche Wanderer mit einer traumhaften Aussicht. 7 Leuchtende Touristenattraktion: Der alte Schulbus verbindet die verschiedenen Ausgangspunkte im ansonsten verkehrsfreien Nationalpark.
HINKOMMEN
Die schnellste Verbindung führt von Zürich oder Genf über Montréal nach Quebec City. Bei Air Canada (Codeshare mit Swiss) ab ca. CHF 1’000.–.
www.aircanada.com
Tipps und Must Do,s
WOHNEN
Das 120-jährige, heute zur Fairmont-Gruppe gehörende Fünfsterne-Resort Le Manoir Richelieu in La Malbaie verfügt über 405 luxuriöse Zimmer und Suiten, fünf Restaurants, einen Spa, einen spektakulären 27-Loch-Golfplatz sowie ein Casino. Zimmer mit Aussicht ab ca. CHF 200.–.
www.fairmont.com
ESSEN
Ein Muss ist das bescheiden Bistro genannte «Chez Truchon» in Malbaie: Im typischen Holzbau mit Terrasse rundherum werden aus den besten regionalen Zutaten himmlisch gute Gerichte kreiert.
www.aubergecheztruchon.com
RUNDFLÜGE
Héli Charlevoix in Baie-Saint-Paul bietet spektakuläre Rundflüge an, ab ca. CHF 55.– pro Person. Die Palette reicht vom sechsminütigen Schnupperflug bis zur 45-minütigen Entdeckungstour über den Nationalpark des Hautes-Gorges-de-laRivière-Malbaie.