Maria Paola Mari
Literaturwelt Fokus auf neue Perspektiven
PERCORSI DIGITALI CON VIDEO Educazione civica e Agenda 2030 verso il 2050 Figure femminili Dibattiti e Thinking routine Mappe e raccordi interdisciplinari
INHALT
Literaturwelt PENSIERO CRITICO
RISORSE DIGITALI
Denkroutine
Hauptinfos im Video Zeitlinie
Debatte
Zusätzliche Literaturtexte
Capolavoro
Zur Durchsicht
Einige literarische Begriffe Phraseologie zur Literatur
Kapitel
1
La risorsa Deascuola dedicata a studenti e docenti: un nuovo modo di apprendere gli argomenti fondamentali di letteratura tedesca grazie a 20 percorsi digitali interattivi con video.
A2 A7
Von der Frühzeit bis zum Spätmittelalter (9.-13. Jahrhundert)
Blick auf die Zeit GESCHICHTE UND GESELLSCHAFT Frühzeit und Mittelalter Ursprung der deutschen Sprache Perspektiven LANDESKUNDE Deutsche Sprache, schwere Sprache LITERATUR Das Mittelalter T1 Hildebrandslied, Vater gegen Sohn T2 Nibelungenlied, Der verborgene Schatz
Perspektiven LANDESKUNDE Die Hanse Walther von der Vogelweide T3 Under der linden an der heide
2
Hauptinfos im Video
4
Zeitlinie
6 7 8 9 12 14 16
Gottfried von Straßburg T4 Tristan und Isolt, Zur Unterhaltung meines Publikums
19
Wolfram von Eschenbach T5 Parzival, Gurnemanz’ Lehre
Frauenfiguren Hildegard von Bingen Perspektiven KUNST Die Romanik Die Gotik Sozialkunde Nachhaltigkeit und Mehrsprachigkeit Wiederholen wir! Memo Map Richtung Esame di Stato Heldentum und Liebe
X
21
Eschenbach und Parzival 23 24 25 26 27 28 29
Zur Durchsicht
INHALT
Kapitel
2
Humanismus, Reformation, Barock (14.-17. Jahrhundert)
Blick auf die Zeit GESCHICHTE UND GESELLSCHAFT Humanismus und Reformation Barock Perspektiven KUNST Albrecht Dürer LITERATUR Die Literatur des 15.-17. Jahrhunderts Martin Luther T6 Löwe, Fuchs und Esel
Perspektiven LANDESKUNDE Religionen in Deutschland Sozialkunde Religionen als Partner zur Umsetzung der Agenda 2030 Frauenfiguren Das Frauenbild in der Renaissance und im Barockzeitalter Andreas Gryphius T7 Es ist alles eitel
H. J. C. von Grimmelshausen T8 Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch, Die Begegnung mit dem Einsiedler
Perspektiven KUNST Barock in Deutschland und in Österreich Perspektiven MUSIK Die Musik des Barocks: Bach und Händel Wiederholen wir! Memo Map Richtung Esame di Stato Das Individuum als Zentrum des Universums
Kapitel
3
30
Hauptinfos im Video
32
Zeitlinie
34 35 36 38 38 40 42 43 44 44 46 47
Grimmelshausen und Simplicissimus
50 52 53
Zur Durchsicht
54 55
Von der Aufklärung zur Klassik (1700-1832)
Blick auf die Zeit GESCHICHTE UND GESELLSCHAFT Aufklärung Frauenfiguren Maria Theresia: die aufgeklärte Monarchin LITERATUR Literatur des 18. Jahrhunderts Gotthold Ephraim Lessing T9 Nathan der Weise, Die Ringparabel
Perspektiven PHILOSOPHIE Die Aufklärung in England und in Deutschland Perspektiven KUNST Das Rokoko Johann Wolfgang von Goethe
56
Hauptinfos im Video
58
Zeitlinie
60 61
Joseph II. Zwei Frauen der Weimarer Klassik
64 66
G. E. Lessing
70
G. E. Lessing, Emilia Galotti, Schwere Entscheidung
71 72
T10 Prometheus T11 Erlkönig
77
T12 Die Leiden des jungen Werthers, Am 10� Mai
79
74
J. W. von Goethe
XI
T13 Die Leiden des jungen Werthers, Am 18� August
80
Perspektiven WELTLITERATUR Der Briefroman am Beispiel von Werther und Ortis
82
T14 Wandrers Nachtlied T15 Wilhelm Meisters Lehrjahre, Mignon
83
T16 Faust, Prolog im Himmel
86
Friedrich von Schiller T17 Kabale und Liebe, Die Lüge von Luise T18 An die Freude
Perspektiven MUSIK Die Wiener Klassik Sozialkunde Die Europäische Union Wiederholen wir! Memo Map Richtung Esame di Stato Vernunft und Toleranz
Kapitel
4
89 90 93 95 96 99
Zur Durchsicht
100 101
Romantik und Biedermeier (1789-1848)
Blick auf die Zeit GESCHICHTE UND GESELLSCHAFT Romantik Zeitgeist der Romantik LITERATUR Literatur der Romantik und des Biedermeier Novalis T19 Hymnen an die Nacht, Erste Hymne
Gebrüder Grimm T20 Kinder- und Hausmärchen, Die Sterntaler
Perspektiven LANDESKUNDE Die deutsche Märchenstraße Joseph F. von Eichendorff T21 Aus dem Leben eines Taugenichts, Der letzte Abend im Schloss
Perspektiven MUSIK Die Musik der Romantik Perspektiven KUNST Die Kunst der Romantik E. T. A. Hoffmann T22 Kreisleriana, Der Kapellmeister Johannes Kreisler T23 Der Sandmann, Nathanael an Lothar
Frauenfiguren Frauen der Romantik Perspektiven WELTLITERATUR Die Romantik in Europa Adalbert Stifter T24 Bunte Steine, Vorrede
Sozialkunde Die Entstehung eines Klimabewusstseins, eine lange Geschichte Wiederholen wir! Memo Map Richtung Esame di Stato Das Reich der Nacht und der Fantasie
XII
84
102
Hauptinfos im Video
104
Zeitlinie
106 107
Romantik
110
Novalis, Heinrich von Ofterdingen, Die blaue Blume
111 114 114 115
Die romantische Straße
116 117 121 122 124 126
E. T. A. Hoffmann
128 131 132 134 134 136 137 138 139
Zur Durchsicht
INHALT
Kapitel
5
Vormärz, Realismus und Naturalismus (1815-1890)
Blick auf die Zeit GESCHICHTE UND GESELLSCHAFT 1815-1890 Zeitgeist: Realismus Perspektiven PHILOSOPHIE Der Positivismus LITERATUR Literatur im 19. Jahrhundert Georg Büchner T25 Woyzeck, Woyzeck und der Hauptmann T26 Woyzeck, Das Märchen der Großmutter
Perspektiven MUSIK Richard Wagner Heinrich Heine T27 Ein Fichtenbaum steht einsam T28 Loreley T29 Das Fräulein stand am Meere T30 Die schlesischen Weber
Perspektiven KUNST Die Kunst des Realismus Gottfried Keller T31 Kleider machen Leute, Der Radmantel
Frauenfiguren Die Pionierinnen der Frauenemanzipation Theodor Fontane T32 Effi Briest, Das Gespräch mit Ministerialrat Wüllersdorf
KINOPORTAL Effi Briest Perspektiven WELTLITERATUR Realistische Tendenzen in Europa Gerhart Hauptmann T33 Die Weber, Die Revolte bricht aus
Sozialkunde Geschlechtergleichheit Wiederholen wir! Memo Map Richtung Esame di Stato Die Industrialisierung: neue gesellschaftliche Schichten
140
Hauptinfos im Video
142
Zeitlinie
144 145 146 150 152
Realismus und Naturalismus
155 157 158 160
Georg Büchner Heinrich Heine
161 163 164
H. Heine, Im wunderschönen Monat Mai
166 168 169 171 172 173
Theodor Fontane
175 176 178 179 182 183
Zur Durchsicht
184 185
XIII
Kapitel
6
Die Jahrhundertwende (1890-1918)
Blick auf die Zeit GESCHICHTE UND GESELLSCHAFT Die Jahrhundertwende Das Ende der „Welt von gestern“ LITERATUR Die Jahrhundertwende Arthur Schnitzler T34 Anatol, Weihnachtseinkäufe
Rainer Maria Rilke T35 Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort T36 Der Panther
Perspektiven KUNST Der Jugendstil Hugo von Hofmannsthal T37 Ballade des äußeren Lebens
Thomas Mann T38 Buddenbrooks. Verfall einer Familie, Hanno am Klavier
KINOPORTAL Buddenbrooks T39 Tonio Kröger, Tonios Liebe zu Hans Hansen T40 Der Tod in Venedig, Das unerwartete Lächeln von Tadzio
Perspektiven MUSIK Die Musik der Jahrhundertwende Perspektiven WELTLITERATUR Die Jahrhundertwende in Europa Georg Heym T41 Der Gott der Stadt
Georg Trakl T42 Grodek
Sozialkunde Fokus auf Nachhaltigkeit Perspektiven DARSTELLENDE KÜNSTE Der deutsche Film des Expressionismus Franz Kafka T43 Brief an den Vater T44 Die Verwandlung, Ein ungewöhnlicher Morgen T45 Der Prozess, Vor dem Gesetz
Perspektiven MUSIK Die Neue Musik Perspektiven KUNST Der Expressionismus Frauenfiguren Gabriele Münter Wiederholen wir! Memo Map Richtung Esame di Stato Die Wende des neuen Jahrhunderts
XIV
186
Hauptinfos im Video
188
Zeitlinie
190 192 196
Expressionismus
197 200 201 203
Arthur Schnitzler A. Schnitzler, Fräulein Else, Else empfängt den Brief ihrer Mutter
204 207 208
Rainer Maria Rilke
210 213
Thomas Mann
215 216 219 221 222 224 224 226 227 229 230 232 234
Franz Kafka
236 240 243 244 248 249 250 251
Zur Durchsicht
INHALT
Kapitel
7
Die Weimarer Republik (1918-1933)
Blick auf die Zeit GESCHICHTE UND GESELLSCHAFT Die Weimarer Republik LITERATUR Die Literatur in der Weimarer Republik Erich Maria Remarque T46 Im Westen nichts Neues, Der Klassenlehrer Kantorek
KINOPORTAL Im Westen nichts Neues Perspektiven WELTLITERATUR Kriegsdichtung Alfred Döblin T47 Berlin Alexanderplatz, Alexanderplatz
Kurt Tucholsky T48 Augen in der Großstadt
Perspektiven KUNST Neue Sachlichkeit Bauhaus Hermann Hesse T49 Siddhartha, Siddhartha am Flussufer
Frauenfiguren Die Neue Frau in der Weimarer Republik Sozialkunde Der lange Weg zur Geschlechtergleichheit Erich Kästner T50 Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn?
Perspektiven WELTLITERATUR Der neue Roman im 20� Jahrhundert Wiederholen wir! Memo Map Richtung Esame di Stato Weltwirtschaftskrise und Totalitarismus
252
Hauptinfos im Video
254
Zeitlinie
257 259 260 263 264 265 266 269 270 272 274 276 278
Hermann Hesse
280
H. Hesse, Narziss und Goldmund, Der Künstler und der Denker
282 284 285
E. Kästner, Ansprache zum Schulbeginn
287 289
Zur Durchsicht
290 291
XV
Kapitel
8
Literatur im Dritten Reich und im Exil (1933-1945)
Blick auf die Zeit GESCHICHTE UND GESELLSCHAFT Das Dritte Reich Zeitgeist: Ideologie des Nationalsozialismus KINOPORTAL Der Untergang Perspektiven KUNST Die Kunst im Dritten Reich LITERATUR Die Literatur im Dritten Reich und im Exil Bertolt Brecht
292
Hauptinfos im Video
294
Zeitlinie
296 297 298 299 300
T51 Mein Bruder war ein Flieger T52 Der Krieg, der kommen wird
303
T53 Die Bücherverbrennung T54 Fragen eines lesenden Arbeiters
305
T55 Maßnahmen gegen die Gewalt T56 Leben des Galilei, Die Sonn steht still
308
304
310 313
T57 Zwei Denkmäler
315
314 317
T58 Mein blaues Klavier
318
Frauenfiguren Die Frauen im Dritten Reich Paul Celan
320
T59 Todesfuge
Sozialkunde Die Weiße Rose KINOPORTAL Sophie Scholl – Die letzten Tage Wiederholen wir! Memo Map Richtung Esame di Stato Krieg und Diktatur
Bertolt Brecht
306
Sozialkunde Schule früher und heute Anna Seghers Elsa Lasker-Schüler
Ödön von Horváth, Ein Kind unserer Zeit
322 323 326 328 329 330 331
Zur Durchsicht
INHALT
Kapitel
9
Nach dem Zweiten Weltkrieg (1945-1989)
Blick auf die Zeit GESCHICHTE UND GESELLSCHAFT Deutschland nach dem Krieg Die Schweiz nach dem Krieg Österreich nach dem Krieg LITERATUR Trümmerliteratur Wolfgang Borchert T60 Draußen vor der Tür, Wo sind meine Eltern?
Heinrich Böll
332
Hauptinfos im Video
334
Zeitlinie
337 338 339 340 344
T61 Bekenntnis zur Trümmerliteratur T62 Ansichten eines Clowns, Ich bin ein Clown
347
T63 Die verlorene Ehre der Katharina Blum, Katharinas Geständnis
350
Sozialkunde Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) LITERATUR Literatur im Übergang zur Gegenwart Perspektiven LANDESKUNDE Die Siebzigerjahre: Bleierne Zeit und Deutscher Herbst KINOPORTAL Die bleierne Zeit Elias Canetti T64 Die gerettete Zunge, Meine früheste Erinnerung
Hans Magnus Enzensberger T65 ins lesebuch für die oberstufe
Günter Grass T66 Die Blechtrommel, Glas, Glas, Gläschen
Günter Wallraff T67 Ganz unten, Not-Brause
Friedrich Dürrenmatt T68 Die Physiker, Für die Rettung der Menschheit
Perspektiven WELTLITERATUR Protestliteratur Max Frisch T69 Homo Faber, Das Bedürfnis nach Nähe
346
354 356
359 360 362 363
E. Canetti, Die gerettete Zunge, Familienstolz H.M. Enzensberger, weiterung
365 366 369 370 373 374
F. Dürrenmatt, Der Besuch der alten Dame, Eine großzügige Stiftung
378 380 380 383 384
Frauenfiguren Die Trümmerfrauen – Ikonen einer Frauengeneration Thomas Bernhard
387
T71 Frost, Alles ist nur eine Ausrede (fünfter Tag)
388
Wiederholen wir! Memo Map Richtung Esame di Stato Zwischen Zerstörung und neuen Perspektiven
Literatur in der Schweiz und in Österreich
358
T70 Entfremdung
T72 Wunschloses Unglück, Ein unerfüllter Wunsch
Heinrich Böll
353
Ingeborg Bachmann
Peter Handke
W. Borchert, Das Brot
341
M. Frisch, Der andorranische Jude, Ein Opfer von Vorurteil I. Bachmann, Undine geht
386
391 392 395
Zur Durchsicht
396 397
XVII
Kapitel
10
Die Literatur der DDR (1949-1989)
Blick auf die Zeit GESCHICHTE UND GESELLSCHAFT Die DDR: 1949-1989 Perspektiven LANDESKUNDE Die DDR im Überblick LITERATUR Die Literatur in der DDR Wolf Biermann T73 Berlin, du deutsche deutsche Frau T74 Es senkt das deutsche Dunkel
Frauenfiguren Die Gleichberechtigung der Frauen in der DDR Eine bekannte Frau der DDR: Sarah Kirsch Christa Wolf T75 Der geteilte Himmel, Wiedersehen in Westberlin
Reiner Kunze T76 Die wunderbaren Jahre, Sechsjähriger T77 Die wunderbaren Jahre, Ordnung
Thomas Brussig T78 Am kürzeren Ende der Sonnenallee, Ein Liebesbrief
KINOPORTAL Good Bye, Lenin! Das Leben der Anderen Sozialkunde Die Umweltbilanz der deutschen Einheit Wiederholen wir! Memo Map Richtung Esame di Stato Utopie eines menschlichen Sozialismus
XVIII
398
Hauptinfos im Video
400
Zeitlinie
403 406 407
Von der DDR bis heute
408 409 410 411 412 414 417 418 419 421 422 424 425 426 427 428 429
Zur Durchsicht
INHALT
Kapitel
11
Literatur der Gegenwart (1989 bis heute)
Blick auf die Zeit GESCHICHTE UND GESELLSCHAFT Vom Mauerfall bis heute LITERATUR Die Literatur ab 1990 Bernhard Schlink T79 Der Vorleser, Eine ermüdete Seele T80 Abschiedsfarben, Künstliche Intelligenz
Herta Müller T81 Atemschaukel, Ich weiß du kommst wieder
Barbara Frischmuth T82 Die Schrift des Freundes, Die Schönschrift
Robert Schneider T83 Dreck, Ich heiße Sad� Ich verkaufe Rosen�
Ingo Schulze T84 Simple Storys, Neues Geld
Jana Hensel T85 Zonenkinder, Das schöne warme Wir-Gefühl
Jenny Erpenbeck T86 Gehen, ging, gegangen, Der Professor und die schwarzen Männer
Wilhelm Genazino T87 Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman, Ein enttäuschendes Bewerbungsgespräch
Feridun Zaimoğlu T88 Leyla, Der Herr des Hauses
Hatice Akyün T89 Einmal Hans mit scharfer Soße, Mein Name ist Hatice
KINOPORTAL Almanya – Willkommen in Deutschland Perspektiven LANDESKUNDE Immer bunter: Deutschland als Ein- und Auswanderungsland Sozialkunde Agenda 2030 und Migration Frauenfiguren Frauenfiguren heute in Deutschland Wiederholen wir! Memo Map Richtung Esame di Stato Eine neue, bunte Welt
Thematische Leitmotive
430
Hauptinfos im Video
432
Zeitlinie
434
A. Pehnt, Mobbing, Fristlos enlassen
436 437 440 442 443 446 447 450 451 454 455 457 457 460 461 464
J. Erpenbeck, Heimsuchung, Die Schriftstellerin
465 468 469 471 472 476 477 481 482 484
Zur Durchsicht
485 486 487
XIX
Kapitel
5
Vormärz, Realismus und Naturalismus (1815-1890)
• Georg Büchner • Heinrich Heine • Gottfried Keller • Theodor Fontane • Gerhart Hauptmann
Ereignisblatt aus den revolutionären Märztagen (18.-19. März) 1848 mit einer Barrikadenszene aus der Breiten Straße, Berlin.
140
Stichwörter
Perspektiven
Expansionen
• Wiener Kongress
• Musik: Richard Wagner
• Vormärz • Bürgerliche Revolutionen
• Kunst: Die Kunst des Realismus und des Naturalismus
• Frauenfiguren: Die Pionierinnen der Frauenemanzipation
• Bürgerlich-poetischer Realismus
• Weltliteratur: Realistische Tendenzen in Europa
• Kinoportal: Effi Briest (2009)
• Industrialisierung
• Sozialkunde: Geschlechtergleichheit
• Naturalismus
Denkroutine BEOBACHTEN – NACHDENKEN – VERBINDUNGEN HERSTELLEN BEOBACHTEN 1 Beschreibe die Szene mit Hilfe der folgenden Fragen: 1 Wo befinden sich die Leute?
3 Was steht in der Mitte des Bildes?
2 Was machen sie?
4 Wie ist die Stimmung der dargestellten Szene?
NACHDENKEN 2 Wogegen protestieren diese Leute? 3 Welche Bedeutung hat die deutsche Flagge?
VERBINDUNGEN HERSTELLEN 4 Warum waren die Leute nach der Französischen Revolution nochmals unzufrieden? 5 Wie charakterisiert sich deiner Meinung nach die Literatur dieser Zeit? Welche Themen können die Autoren des Vormärz behandeln?
Eine Epoche in einigen Worten Hauptinfos im Video Ergänze den Text mit den angegebenen Elementen. verboten • Zensur • hässlichsten • Vertreter • wenig Geld • Absolutismus • materialistische • Protesten • Kongress • Gedankenfreiheit • schönen Seiten • Industrialisierung Der Vormärz ist die Epoche zwischen dem Wiener 1815 und der Märzrevolution 1848. Einige junge Schriftsteller waren vom Wiener Kongress enttäuscht, der den der europäischen Machthaber restauriert hat. Ein anderer Aspekt der Zeit war die : Die Menschen mussten in den überfüllten Städten unter schlechten Umständen leben und für hart arbeiten. Hungersnot und Elend waren die Folgen für die untersten sozialen Schichten. All das führte zu und Demonstrationen. Darauf reagierten die Herrscher mit Repression und . Die Autoren des Vormärz kritisieren die Herrscher und verlangen Demokratie, und Frauenemanzipation. Die wichtigsten Vertreter sind Georg Büchner und Heinrich Heine. Viele ihrer Texte wurden natürlich zensiert und . Mit dem Scheitern der bürgerlichen Revolution 1848 beginnt die Epoche des Realismus. Der literarische Realismus, dessen wichtigster Theodor Fontane ist, ist ein bürgerlich-poetischer Realismus, der einen dichterischen Charakter hat und fast nur die der Wirklichkeit ins Auge fasst. Erst in den Jahren des europäischen Hochkapitalismus verbreitet sich eine Lebensauffassung, die die Literatur des Naturalismus prägt: Im Unterschied zu den Realisten fassen die Naturalisten die Seiten der Wirklichkeit ins Auge. Der Naturalismus erreicht mit Gerhart Hauptmann seinen Höhepunkt.
Digitale Ressourcen Hauptinfos im Video
GEORG BÜCHNER
Audio Zeitlinie Zusätzliche Literaturtexte
HEINRICH HEINE
AUTOREN THEMA
THEODOR FONTANE
REALISMUS UND NATURALISMUS
Zur Durchsicht
141
GESCHICHTE UND GESELLSCHAFT
1815-1890
Zeitlinie
1815-1848
Die Jungdeutschen
Die Zensur
1848
Metternichs Ende
1871-1890 Bismarck und die Realpolitik
Die imperialistische Außenpolitik von Wilhelm II.
1 2 3 4 5 6
e Burschenschaft, -en: associazione studentesca r Beschluss, -̈e: decreto e Überwachung, -en: sorveglianza, vigilanza r Aufstand, -̈e: rivolta e Nationalversammlung, -en: assemblea nazionale r Sturz, -̈e: caduta
142
Der Vormärz Der Begriff „Vormärz“ als Epochenbezeichnung definiert den Zeitraum von der Restauration (1815) über die Julirevolution in Paris (1830) bis zur Märzrevolution in Berlin und Wien (1848). Auf dem Wiener Kongress wurde die Gründung des Deutschen Bundes beschlossen, der aus 39 Einzelstaaten bestand und das Gleichgewicht in Europa nicht bedrohen sollte. Nach der Wiederherstellung des Ancien Régime auf dem Wiener Kongress [S. 104] kennzeichnet sich die Zeit 1815-1848 durch den Konflikt zwischen den deutschen Fürsten, die für die Restauration waren, und den Jungdeutschen, meistens Studenten und Professoren, die nach Freiheit und politischer Einheit strebten. So entstanden die Burschenschaften1, zuerst in Jena, dann auch in anderen deutschen Städten. 1819 kam es aber zu den Karlsbader Beschlüssen2, welche die Burschenschaften verboten und die Überwachung3 der Universitäten und eine Buch- und Pressezensur legitimierten. Die Zensur betraf alle Texte unter 320 Seiten, und zwar alle Schriften wie Zeitungen, Zeitschriften und viele Bücher. Verboten war vor allem die Kritik an der Regierung und am Adel.
Die Märzrevolution Die allgemeine Enttäuschung und das noch mittelalterliche System deutscher Fürsten führte 1848 schließlich zur Märzrevolution. Anders als die Mehrheit des Volkes rebellierten liberales Bürgertum und Studenten gegen die unterdrückenden politischen Verhältnisse der Restaurationszeit. Während sich Wirtschaft, Technik und Industrie rasant weiterentwickelten, blieben das Bürgertum und die niedrigsten Schichten der Bevölkerung von der Politik ausgeschlossen. Soziale Not und Unzufriedenheit über die politische Unterdrückung wurden im Laufe der Zeit immer größer, bis es zu Aufständen4 kam (Hambacher Fest im Jahre 1832) und schließlich 1848 – infolge der Pariser Revolution im Februar – zur Märzrevolution, die zu liberalen Reformen und zur Wahl der Frankfurter Nationalversammlung5 führte. In Wien ereignete sich der Sturz6 Metternichs.
Das Zweite Deutsche Reich Das Zweite Deutsche Reich wurde am 18. Januar 1871 im Schloss von Versailles proklamiert. Der König Preußens, Wilhelm I., wurde Kaiser des Deutschen Reiches. Der Ministerpräsident Otto von Bismarck (1815-1898) wurde zum Reichskanzler ernannt. In der Historiografie wird Bismarck dank der sogenannten Realpolitik auch der „Eiserne Kanzler“ genannt. Die Realpolitik orientiert sich jenseits aller moralischen Schranken an den realen Bedingungen. Sie trifft schnelle Entscheidungen und zielt auf eine breite Akzeptanz in der öffentlichen Meinung ab. Otto von Bismarck setzte den Begriff in praktische Politik um. Innenpolitisch engagierte sich Bismarck für die Verabschiedung von sozialen Gesetzen, wie die Krankenversicherung und die Altersversicherung. Außenpolitisch bemühte er sich um friedliche Beziehungen zu anderen Ländern, aber gleichzeitig um die Isolation von Frankreich. Nach dem Rücktritt von Bismarck (1890) bestimmte der neue Kaiser Wilhelm II. die deutsche Außenpolitik. Es gab einen tiefen Wechsel, keine friedlichen Beziehungen mehr, sondern Kolonial- und Aufrüstungspolitik. Der neu gegründete deutsche Nationalstaat bestand aus 25 Bundesstaaten – 22 Monarchien und 3 Freien Städten – unter der Hegemonie
Vormärz, Realismus und Naturalismus
Schweden
Ostsee
Dänemark
Ost-
Nordsee
SchleswigHolstein
1
Cuxhaven Bremerhaven 2 Kgr. Niederlande
Lübeck
Hamburg
3
Preußen
4
Bremen
Warschau
Posen
Berlin
Prov. Hannover
Kr. Russland
Brandenburg
Den Haag
5
Westfalen
8
Brüssel Kgr. Belgien
West-
Pommern
RheinProvinz
Grhzm. Luxemburg
6
7
Prov. Hessen
Prov. Sachsen
Nassau
Thüring. Staaten
Schlesien
Kgr. Sachsen
Grhzm. Hessen
Pfalz
9 Frankreich
10
Kgr. Württemberg
Kgr. Bayern
11
Österreichisch-
Wien Ungarische Monarchie
Schweiz
1 Oldenburg 2 Grhzm. Oldenburg 3 Grhzm. Mecklenburg-Schwerin 4 Grhzm. Mecklenburg-Strelitz 5 Fsm. Lippe 6 Hzm. Braunschweig Kgr. Ungarn 7 Hzm. Anhalt 8 Fsm. Waldeck 9 Reichsland Elsass-Lothringen 1871 10 Grhzm. Baden 11 Fsm. Hohenzollern (zu Preußen)
Das Deutsche Reich Preußens. Schon bei der Gründung war das Zweite Deutsche Reich seinen Nachbarn (Frankreich und Österreich-Ungarn) an Bevölkerungszahl, Fläche, wirtschaftlicher Kraft und militärischer Stärke überlegen. Während der Herrschaft von Kaiser Wilhelm II. (ab 1888) erreichte die Industrialisierung in Deutschland ihren Höhepunkt. Diese Zeit nennt man wilhelminische Ära.
1871-1918.
Textverständnis 1 Beantworte folgende Fragen. 1 Welchen Zeitraum bezeichnet der Begriff „Vormärz“? 2 Wer waren die Jungdeutschen und welche Ziele hatten sie? 3 Was für Texte waren von der Zensur betroffen? 4 Was ist mit Märzrevolution gemeint? 5 Wann entstand das Zweite Deutsche Reich und wer waren die Protagonisten dieser geschichtlichen Zeit? 6 Wie wird Bismarcks Politik definiert? Was bedeutet diese Bezeichnung? 7 Was war die wilhelminische Ära und wodurch war sie gekennzeichnet?
143
5
GESCHICHTE UND GESELLSCHAFT
Zeitgeist: Realismus Das Scheitern der bürgerlichen Revolution 1848
Große technische Erfindungen
Die Epoche des Realismus beginnt nach dem Ende des Vormärz. Obwohl 1848 das Manifest der kommunistischen Partei von Karl Marx und Friedrich Engels herausgegeben wurde, hatte die Märzrevolution 1848 nur teilweise ihre Ziele erreicht: Es fehlten noch sowohl die staatliche Einheit als auch die politische Freiheit. Gerade mit dem Scheitern der bürgerlichen Revolution 1848 beginnt die Epoche des Realismus. Es war eine Zeit großer, technischer Erfindungen, hier nur einige Beispiele: • 1864 Erfindung des Siemens-Martin-Ofens zur Gewinnung von Stahl. • 1867 erfand Alfred Nobel das Dynamit. • 1871 erfand Zénobe Théophile Gramme den industriellen Dynamo. • 1876 erfand Alexander Graham Bell das Telefon. • 1877 erfand Thomas Alva Edison den Phonographen. • 1879 erfand Thomas Alva Edison die Glühbirne. • 1895 erfanden die Brüder Auguste und Louis-Jean Lumière das Kino.
Der mitteleuropäische Hochkapitalismus Nach der Einigung des Deutschen Reiches erlebte Mitteleuropa innerhalb von wenigen Jahrzehnten jene industrielle und wirtschaftliche Revolution, die in England und Frankreich bereits in der ersten Jahrhunderthälfte angefangen hatte. Das waren die Jahre des sogenannten mitteleuropäischen Hochkapitalismus. Deutschland wurde, wie andere Staaten auch, allmählich zu einem kapitalistischen Industriestaat, wo neben dem Bürgerstand eine große Unternehmerklasse und der neue sogenannte vierte Stand der Lohnarbeiter – das Proletariat – entstanden. Niedrige Löhne1 zwangen die Arbeiter zu langen Arbeitszeiten. Sonntags-, Frauen- und Kinderarbeit wurden zur Regel. Das Proletariat war das neue Phänomen, mit dem die deutsche Gesellschaft nun zu tun hatte.
Die Industrialisierung und ihre Folgen
Textverständnis 1 Beantworte folgende Fragen. 1 Wann beginnt der Realismus? 2 Wann war die Einigung Deutschlands? 3 Wie lebte das Proletariat?
144
In diesem historischen und sozialen Kontext entwickelte sich stufenweise aus der Romantik, besonders durch das Biedermeier, eine realistische Tendenz, die durch die Entwicklung der Technik und durch eine neue philosophische Haltung beeinflusst wurde. Diese Wende hängt von dem Untergang der Landwirtschaft zugunsten der Industrialisierung ab. Insbesondere die Erfindung der Dampfmaschine (1769) und des mechanischen Webstuhls (1822) trugen wesentlich zur Industrialisierung und damit auch zur Ausbeutung2 der Arbeiterschaft bei. Die Eisenverarbeitung3 erfuhr im 19. Jahrhundert einen raschen Aufschwung und es entstanden Großkonzerne wie Krupp und Siemens. In den Fabriken arbeiteten täglich Menschenmassen. Durch das rasche Wachstum von Industrie und Kapital konnte das deutsche Bürgertum die verfehlte politische Emanzipation wenigstens im ökonomischen Bereich kompensieren. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebten also die deutschen Bürger in wirtschaftlichem Wohlstand, obwohl ihre kulturelle Bildung noch einen engen, provinziellen Charakter zeigte. 1 2 3
r Lohn, -̈e: salario e Ausbeutung, -en: sfruttamento e Eisenverarbeitung, -en: industria siderurgica
Vormärz, Realismus und Naturalismus
Perspektiven PHILOSOPHIE Der Positivismus Kuriosität
Auguste Comte Der Realismus entwickelte sich in Europa unter dem Einfluss des Positivismus. Der wichtigste Vertreter des philosophischen Positivismus war der französische Philosoph Auguste Comte (1798-1857). Seiner Auffassung nach hat sich die menschliche Gesellschaft in drei Etappen entwickelt. 1. In der ersten theologischen Phase griff die primitive Gesellschaft zu den Göttern, um die Naturphänomene zu erklären. 2. In der zweiten metaphysischen Phase wurden die alten theologischen Erklärungen durch eine kritische Haltung ersetzt. 3. In der dritten wissenschaftlichen Phase wurden die mythologische Fantasie der ersten Phase und die Abstraktion der zweiten durch die empirische Untersuchung der Geschehnisse überwunden.
Auguste Comte.
Es war Darwins fünfjährige Reise an Bord der Beagle (27x8 Meter), die seine Evolutionstheorie inspirierte. Diese abenteuerliche Reise führte Darwin nicht nur nach Südamerika, sondern auch nach Haiti, Australien, Neuseeland, auf den afrikanischen Kontinent und zu verschiedenen Inseln im Atlantik und im Pazifik.
Charles Darwin und die Evolutionslehre Unter dem Einfluss des Positivismus versteht sich auch die Evolutionstheorie des englischen Naturalisten Charles Darwin (1809-1882). Nach einer fünfjährigen Forschungsreise per Schiff kam Darwin zur Schlussfolgerung, dass die verschiedenen Tier- und Pflanzenarten mit der Zeit Veränderungen erfahren. Im Laufe solcher Veränderungen können nur Individuen überleben, die geeignete Merkmale für das Leben haben. Auf diese Weise bewahrt jede Spezies durch die Vererbung nur die Charakteristika der geeignetsten Individuen.
Charles Darwin.
Die Theoretiker des Kommunismus Im Mittelpunkt der sozialistischen Theorien des 20. Jahrhunderts steht die Lehre von Karl Marx (1818-1883). In Zusammenarbeit mit dem Philosophen Friedrich Engels (1820-1895) verfasste er 1848 das Manifest der kommunistischen Partei. Für Marx endet der ewige Konflikt zwischen herrschenden und ausgebeuteten Klassen im Konflikt zwischen dem Proletariat und dem Bürgertum. Die Arbeiter sollen klassenbewusst werden und eine Revolution gegen das kapitalistische Produktionssystem verwirklichen. Sie sollen in den Besitz der Produktionsmittel kommen und dann den Reichtum gerecht verteilen. Das sind die Grundsätze des Kommunismus, die Marx in Das Kapital (1867) darlegte.
Karl Marx.
Textverständnis 1 Beantworte folgende Fragen. 1 Wer ist der wichtigste Vertreter des Positivismus in Europa? 2 Wie kann man Darwins Evolutionstheorie erklären? 3 Erkläre die Grundsätze des Kommunismus, die Marx im Kapital darlegte.
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5
LITERATUR
Literatur im 19. Jahrhundert LITERATUR IM 19. JAHRHUNDERT Vormärz
Theater
Lyrik
G. Büchner Woyzeck
H. Heine • Ein Fichtenbaum steht einsam • Loreley • Das Fräulein stand am Meere • Die schlesischen Weber
Realismus
Naturalismus
Prosa
Theater
G. Keller Die Leute von Seldwyla (Kleider machen Leute)
G. Hauptmann Die Weber
T. Fontane Effi Briest
WIR ENTDECKEN DAS THEMA Video
REALISMUS UND NATURALISMUS
GESCHICHTE UND WERKE WIR UNTERSUCHEN DAS THEMA ENDBEWERTUNG
Literarische Tendenzen der Restauration Literatur mit revolutionären Tendenzen
Unterschiede zwischen Biedermeier und Vormärz
In der Epoche der Restauration und der Aufstände von 1830 und 1848 bestehen in der Literatur eine restaurative Tendenz, die im Biedermeier [S. 109] ihren Ausdruck findet, und eine Tendenz mit liberalen und sozialpolitischen Zielen. Unterteilt wird diese revolutionäre Tendenz in Junges Deutschland (von circa 1830 bis zum Verbot dieser Schriften 1835) und Vormärz. Biedermeier und Vormärz entwickelten sich in denselben Jahren, also in der Zeitspanne 1815-1848. Die zwei Bewegungen weisen aber radikal gegensätzliche Standpunkte auf. Während das Biedermeier kein Interesse an der Politik, eine konservative und resignierte Haltung, Akzeptanz der Rückstände zeigte und das Private, das Heim, die Familie als Rückzugsort pries, zeichnete sich die Literatur des Vormärz durch ihre progressive und kämpferische Haltung, die Kritik an der Politik und an den Ungerechtigkeiten, die Forderung nach demokratischen Rechten (Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung) aus.
Junges Deutschland Eine Bewegung infolge der Pariser Julirevolution 1830
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Infolge der Pariser Julirevolution 1830 entstand in Deutschland eine neue literarische Bewegung namens „Junges Deutschland“. Der Name knüpft deutlich an das italienische Pendant „Giovine Italia“ von Giuseppe Mazzini an. Als Vorläufer gelten zwei Autoren, Heinrich Heine (1797-1856) [S. 158] und Ludwig Börne (1786-1837), die kurz nach der Revolution von 1830 nach Paris übersiedelt waren. Die Ideale der Jungdeutschen waren die Regeneration des Gesamtlebens, die Ablehnung des restaurativen Systems, die Gedankenfreiheit, die Emanzipation der Frau und die Verwerfung der Privilegien von Adel und Kirche.
Vormärz, Realismus und Naturalismus
Postkarte vom Hambacher Fest am 27. Mai 1832.
Zu den Jungdeutschen gehörten, neben Börne und Heine, auch Karl Gutzkow, Theodor Mundt, Heinrich Laube, Rudolf Wienbarg und Gustav Kühne. Ihre Schriften litten ständig unter der Kontrolle der Zensur und wurden 1835 schließlich verboten. Der wichtigste Dramatiker des Restaurationszeitalters war Georg Büchner (1813-1837) [S. 150]. In all seinen Schriften spiegelt sich die Enttäuschung über das Scheitern des politischen Handelns wider. Seine entschieden materialistische Position unterscheidet ihn deutlich von den liberal-idealisierenden Jungdeutschen.
Der literarische Vormärz Die politischen Lyriker des Vormärz hatten die gleichen politischen und sozialen Ideale des Jungen Deutschland. Im Unterschied zum Jungen Deutschland, das infolge der Pariser Revolution entstanden war, war aber der literarische Vormärz jene Literatur, die den Ausbruch der Märzrevolution 1848 in Deutschland vorbereitete. Die Hauptvertreter dieser Bewegung waren die Lyriker Georg Herwegh (1817-1875) und Georg Weerth (1822-1856). Mit ihnen, tief beeinflusst von der Philosophie von Karl Marx und Friedrich Engels, entstand eine politische Lyrik mit kämpferischem Charakter. Da die Autoren zur Rebellion aufriefen und den Adel und die Ständegesellschaft kritisierten, wurden viele von ihnen mit einem Publikationsverbot bestraft.
Der bürgerlich-poetische Realismus Im kulturellen Bereich protestiert der Mensch radikal gegen die Metaphysik und konzentriert sich nur auf die Wirklichkeit. Er will durch objektive Beobachtungsmethoden die Naturgesetze entdecken. Die Dichtung wird realistisch und die Natur wird durch die Augen des Forschers wissenschaftlich beobachtet. Nun gilt nur noch, was durch die Sinne fassbar ist. Trotzdem war der deutsche, literarische Realismus ein bürgerlich-poetischer Realismus, der einen dichterischen Charakter und nicht die materialistische Perspektive von Marx hatte. Die deutschen Realisten fassten fast ausschließlich die positiven und schönen Seiten der Wirklichkeit ins Auge. Das gesellschaftlich-politische Interesse blieb ihnen meistens fremd. Sie beschäftigten sich vielmehr mit dem Landleben und mit der Schönheit der heimatlichen Landschaft. Es geht um eine bürgerliche Kunst: Bürgerlich waren die gesellschaftliche Herkunft der Autoren, die Inhalte und die meisten Hauptpersonen ihrer Werke und zuletzt auch das Publikum, für das sie schrieben. Wegen der starken Gebundenheit an die eigene Heimat hatte diese Bewegung keine Resonanz in Europa. Die wichtigsten Vertreter des deutschen Realismus waren Theodor Storm (1817-1888), Gottfried Keller (1819-1890) [S. 168], Theodor Fontane (1819-1898) [S. 172] und Christian Friedrich Hebbel (1813-1863). Eine Ausnahme stellt Fontane dar: Seine Romane spielen in der Großstadt und seine Frauen fallen dem Ehrenkodex der aristokratischen Gesellschaft zum Opfer.
Die Epoche der schönen Wirklichkeit (1848-1890)
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5
LITERATUR
Max Liebermann, Flachsscheuer in Laren, 1887.
Der Naturalismus
Émile Zola und Arno Holz
Der Mensch als determiniertes Wesen
Das naturalistische Drama
1
e Vererbung: ereditarietà
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Bis 1880 hatte die deutsche Literatur einen stark provinziellen Charakter. Erst nach 1880 gewann Deutschland seine wichtige Rolle innerhalb der europäischen Kultur zurück. Man bemerkt eine Verstärkung der materialistischen Lebensauffassung. Der französische Romanschriftsteller Émile Zola begründete theoretisch das Bedürfnis nach einer neuen Literatur, wo der Schriftsteller so exakt wie ein Naturwissenschaftler arbeiten soll. Der Roman wird auf der Basis des gesammelten Materials von Fakten und konkreten Elementen als „Experiment“ konstruiert. Die Materie wird als das einzig Reale betrachtet; sogar psychische Prozesse, Geist und Seele werden für materielle Prozesse gehalten. In seinem Aufsatz Le roman expérimental (1879) hatte Émile Zola die Formel Kunst = Natur + Y verarbeitet, wobei Y die künstlerische Subjektivität darstellte. Für Arno Holz (1863-1929), Haupttheoretiker des deutschen Naturalismus, hatte Zolas Grundsatz keine wissenschaftliche Konsequenz. Für Holz soll die Kunst die Wirklichkeit nicht interpretieren, sondern exakt reproduzieren, und zwar jenseits aller Subjektivität. Der Formel Zolas stellte Holz 1891 die Formel Kunst = Natur – X entgegen, wobei die Variable X für die negativen Faktoren steht, die eine perfekte Nachahmung der Natur verhindern. Die übernatürliche Welt wird insgesamt abgelehnt. Der Mensch wird als eine Pflanze oder als ein Tier betrachtet. Er gilt als Resultat biologischer und chemischer Kräfte. Er ist ein determiniertes Wesen, dessen Haltungen durch Vererbung1 und Umwelt bestimmt werden. Körperlich und psychisch wird er durch die Vererbung, sozial durch das Milieu bestimmt. Diese Theorie der Naturalisten wurde besonders durch die Evolutionstheorie von Charles Darwin und durch die Vererbungslehre beeinflusst. Der Mensch ist ein Teil des Mechanismus der Natur und kann keinen freien Willen haben. Im Unterschied zu den Realisten fassten die Naturalisten die hässlichsten und unangenehmsten Seiten der Wirklichkeit ins Auge. Der deutsche Naturalismus erreichte seinen Höhepunkt im Bereich des Dramas mit den Werken von Gerhart Hauptmann (1862-1946) [S. 178]. Der Protagonist des naturalistischen Dramas ist immer ein einfacher Mensch, ein unbedeutendes Wesen, das unfähig ist zu handeln, weil es erblich belastet, unterernährt und alkoholsüchtig ist. Die Darstellung ist statisch. Es gibt eigentlich keine Handlung, die Struktur des Dramas selbst
Vormärz, Realismus und Naturalismus
ist nicht mehr erkennbar. Die klassischen Einheiten von Ort, Handlung und Zeit werden durch eine Reihe von Szenen ersetzt. Der Naturalismus stimmt in Deutschland mit der letzten Phase des Realismus überein und ist auf den Zeitraum 1880-1900 begrenzt. Mehr als eine Reaktion auf den Idealismus will er eine Integration des Realismus sein. Die Unterschiede zwischen den zwei Bewegungen sind aber wirklich relevant: Realismus
Naturalismus
• Poetische und verklärte Wiedergabe der Wirklichkeit.
• Fotografische und objektive Wiedergabe der Wirklichkeit.
• Die Realität ist schön. • Die Helden sind Bürger und Bauern, Durchschnittsmenschen von Stadt und Land. • Stadtbejahende Haltung. • Bürgerliches, aktives Leben, Handeln und Dynamik. • Der Mensch ist aktiver Teil der Gesellschaft.
• Die Realität ist hässlich: Das Schmutzige, Verbrecherische und Triebhafte stehen im Mittelpunkt. • Die Helden sind Arbeiter aus den niedrigsten Schichten, Proletarier aus den Elendsvierteln der Großstadt. • Gesellschaftskritik an dem großen Bürgertum. • Kein Handeln, Passivität und Resignation. • Der Mensch wird durch Naturgesetze (Rasse, Milieu, soziale Lage) bestimmt. • Eine neue Sprache: Nicht das Proletariat sollte sich der literarischen Hochsprache anpassen, sondern diese, die literarische Sprache selbst, stellte sich zum ersten Mal auf sein Niveau. Gerade in der Sprache, die sowohl Dialekt als auch erlebte Rede einschließt, besteht die wichtigste formale Erneuerung des Naturalismus.
Textverständnis 1 Beantworte folgende Fragen. 1 Wie lange dauerte die literarische Bewegung des Jungen Deutschland? Wer waren die wichtigsten Vertreter? 2 Was befürworteten die Jungdeutschen in ihren Schriften? 3 Was unterscheidet den literarischen Vormärz von der Bewegung des Jungen Deutschland? 4 Wer waren die bekanntesten Vertreter des literarischen Vormärz? 5 Warum wird der deutsche Realismus als bürgerlich-poetischer Realismus definiert? 6 Mit welcher Formel begründet Zola das Bedürfnis nach einer neuen Literatur? Was soll sie bedeuten? 7 Wer ist der wichtigste Theoretiker des deutschen Naturalismus? Welche Formel stellt er Zola entgegen? 8 Welche Auffassung des Menschen haben die Naturalisten? 9 Welche Aspekte der Wirklichkeit fassen die Naturalisten ins Auge? 10 Welche literarische Gattung erreicht im Naturalismus ihren Höhepunkt? Wodurch kennzeichnet sie sich?
2 Fülle die Tabelle mit den wichtigsten Merkmalen des Naturalismus aus. Zeitraum Einordnung Geschichtlicher Hintergrund Weltbild Themen Literarische Gattungen Vertreter
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5
Georg BÜCHNER (1813-1837) WIR ENTDECKEN DEN AUTOR
GEORG BÜCHNER
Realismus
Naturalismus
Theater
Lyrik
G. Büchner Woyzeck
H. Heine • Ein Fichtenbaum steht einsam • Loreley • Das Fräulein stand am Meere • Die schlesischen Weber
Literatur als Mittel zur Aktivierung der Volksmassen
1 2
e Flugschrift, -en: volantino ausgebeutet: sfruttato
LEBEN UND WERKE FOKUS AUF DANTONS TOD ENDBEWERTUNG
LITERATUR IM 19. JAHRHUNDERT
Vormärz
Video
Leben und Werke In Verbindung mit sozialrevolutionären Kreisen stand Georg Büchner. Er war Sohn eines Mediziners und studierte selbst Medizin in Straßburg, wo er sich der Gesellschaft der Menschenrechte anschloss, die die demokratischen Ideale der Französischen Revolution verbreiten wollte. Als Mediziner wurde er vom anthropologischen Determinismus tief beeinflusst. Das ist die Lehre von der Bestimmtheit des ganzen Weltgeschehens und natürlich auch des menschlichen Lebens. Im Jahre 1834 ließ Büchner die sozialkritische Flugschrift1 Der Hessische Landbote in 300 Exemplaren illegal in Offenbach drucken. Unter dem bekannten Motto „Friede den Hütten. Krieg den Palästen“ zeichnet die Flugschrift Der Hessische Landbote eine radikale Gegenüberstellung von der besitzenden und der ausgebeuteten2 Klasse. Es handelt sich um eine sehr scharfe Antithese: „Das Leben der Vornehmen ist ein langer Sonntag: sie wohnen in schönen Häusern, sie tragen zierliche Kleider […] und reden eine eigene Sprache […]. Das Leben des Bauern ist ein langer Werktag […], sein Schweiß ist das Salz auf dem Tische der Vornehmen.“ Büchner wollte durch die Literatur die Volksmassen politisch aktivieren. Durch die Flugschrift Der Hessische Landbote wollte er auch verstehen, inwieweit das deutsche Volk zu einer Revolution bereit sei. Symptomatisch war in dieser Hinsicht die Rezeption der Flugschrift selbst: Die Bauern brachten sie der Polizei und der Landbote wurde als Produkt des frechsten Republikanismus konfisziert. Das Scheitern seines revolutionären Versuchs traf ihn schwer und er wurde daraufhin gezwungen, die Stadt zu verlassen.
1835 Flucht nach Straßburg 1833 Gründung der Gesellschaft für Menschenrechte
Leben 1813 Geburt in Goddelau
Werke 150
1816 Umzug nach Darmstadt
1821 Einschulung in Privatschule 1831 Einschreibung für Medizin
1832 Vortrag über die politische Situation in Deutschland
1834 • Der Hessische Landbote (sozialkritische Flugschrift)
1835 • Dantons Tod (revolutionäres Drama) • Leonce und Lena (Lustspiel) • Lenz (Novelle, posthum)
1837 Tod durch Typhus in Zürich 1836 Doktor der Philosophie in Zürich, Ernennung als Privatdozent
1836 • Woyzeck (Drama-Fragment, posthum)
Vormärz, Realismus und Naturalismus
Zwischen Januar und Februar 1835 entstand Büchners Hauptwerk Dantons Tod. Dieses sogenannte „Drama des Thermidors3“ sollte in Wahrheit den Tod der gesamten Revolution schildern. Dantons Tod ist die Tragödie des Determinismus. Das politische Handeln des Menschen bleibt ein hoffnungsloser Versuch. Polizeilich verfolgt musste Büchner im März 1835 nach Straßburg fliehen und während des Straßburger Exils verfasste er die Novelle Lenz und das Lustspiel Leonce und Lena. 1836 promovierte er in Zürich mit einer Doktorarbeit unter dem Titel Über das Nervensystem der Barben und schrieb auch sein letztes, Fragment gebliebenes, Werk Woyzeck. Das ist eines der wichtigsten Dramen der Moderne und der Literaturepoche des Vormärz. Der Dichter war damals erst 23 Jahre alt. Im Alter von 24 Jahren starb Büchner infolge einer Typhusepidemie: Vermutlich infizierte er sich bei seiner Forschung an Präparaten mit Bakterien. Der Dichter wurde in Zürich beigesetzt, wo sein Grab auch heute noch ist.
Dantons Tod
Dantons Tod, Titelblatt der ersten Ausgabe.
Themen In seinem Schaffen war Büchner politisch motiviert und ein Gegner von wirklichkeitsferner oder romantischer Literatur. Seine politische Einstellung kann innerhalb des Frühkommunismus verortet werden. Unermüdlich klagte er die Ungerechtigkeit zwischen Arm und Reich an. Sein höchstes Ideal war eine demokratische Republik, weil er an die Gleichheit aller Menschen in Rechten und Pflichten glaubte. Da er als Schriftsteller die Verhältnisse innerhalb des Deutschen Bundes verändern wollte, redete er oft über die politischen Verhältnisse in Deutschland, die er scharf kritisierte. Er nahm sogar die Flucht und ein Leben im Exil in Kauf. Mehrmals hat er über psychische Erkrankungen geschrieben und dabei eine verständnisvolle Sicht auf die Erkrankten gezeigt. Das war damals, als die Psychiatrie noch keine medizinische Disziplin war, eine Besonderheit. Vor allem im Dramenfragment Woyzeck wird eine psychische Erkrankung als Folge von schlechten Umständen und wiederholten Demütigungen dargestellt. Zum ersten Mal haben wir als Hauptfigur einen mittellosen Soldaten aus der niedrigsten sozialen Schicht. Diesem Dramenfragment fehlt eine klassische Abfolge der Szenen. Die Einheiten der Zeit und des Ortes sind nicht vorhanden. Wie zuvor im Landboten und in Danton geht es noch einmal um die bestimmenden Faktoren des menschlichen Handelns. Es geht um die Frage des Determinismus, der Freiheit menschlichen Handelns. Büchner stellt sich die Frage: Was treibt Woyzeck ins Verbrechen?
Das Drama Woyzeck
3
r Thermidor: termidoro (undicesimo mese del calendario dell’epoca rivoluzionaria francese, dal 19 luglio al 17 agosto)
Textverständnis 1 Beantworte folgende Fragen. 1 Welchen Einfluss hatte die Französische Revolution auf Büchners Bildung? 2 Was bedeutet anthropologischer Determinismus? 3 Welche Aufgabe schreibt Büchner der Literatur zu? 4 Was war das Zentralthema der Flugschrift Der Hessische Landbote? 5 Welche Themen charakterisieren seine Werke?
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5
GEoRG BÜCHNER
Woyzeck Am 21. Juni 1821 ersticht der 41-jährige Friseur Johann Christian Woyzeck seine Geliebte, die 46-jährige Witwe des Chirurgen Woost. Ein klarer Fall: Mord aus Eifersucht. Eine ärztliche Kommission erhält den Auftrag, den Geisteszustand Woyzecks zu beurteilen, um die Ursache eines solchen Verbrechens zu verstehen. Man stellt die volle Verantwortlichkeit des Täters für seine Tat fest: Woyzeck wird am 27. August auf dem Marktplatz zu Leipzig hingerichtet. Dieser Kriminalfall erschütterte Büchner so tief, dass er 1835 das Drama Woyzeck schrieb.
T25
Woyzeck und der Hauptmann aus: Szene 1
T25
In der ersten Szene finden wir Woyzeck, der den Hauptmann rasiert. Die beiden sprechen im folgenden Dialog über schwierige Themen wie Moral und Tugend.
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1 schwindlig machen: far venire i capogiri 2 sich einteilen: organizzarsi 3 schaudern: rabbrividire 4 e Zeitverschwendung: perdita di tempo 5 s Mühlrad, -̈er: ruota del mulino 6 verhetzt: su di giri 7 pfiffig: furbescamente 8 abscheulich: schifosamente 9 gerührt: commosso 10 hochehrwürdig: onoratissimo 11 drum ansehen: tener conto di
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Hauptmann auf einem Stuhl; Woyzeck rasiert ihn. Hauptmann: Langsam, Woyzeck, langsam; eins nach dem andern! Er macht mir ganz schwindlig1. Was soll ich dann mit den zehn Minuten anfangen, die Er heut zu früh fertig wird? Woyzeck, bedenk Er: Er hat noch seine schöne dreißig Jahr zu leben, dreißig Jahr! Macht dreihundertsechzig Monate! und Tage! Stunden! Minuten! Was will Er denn mit der ungeheuren Zeit all anfangen? Teil Er sich ein2, Woyzeck! Woyzeck: Jawohl, Herr Hauptmann. Hauptmann: Es wird mir ganz angst um die Welt, wenn ich an die Ewigkeit denke. Beschäftigung, Woyzeck, Beschäftigung! Ewig: das ist ewig, das ist ewig – das siehst du ein; nun ist es aber wieder nicht ewig, und das ist ein Augenblick, ja ein Augenblick – Woyzeck, es schaudert3 mich, wenn ich denke, dass sich die Welt in einem Tag herumdreht! Was ’n Zeitverschwendung4! Wo soll das hinaus? Woyzeck, ich kann kein Mühlrad5 mehr sehn, oder ich werd melancholisch. Woyzeck: Jawohl, Herr Hauptmann. Hauptmann: Woyzeck, Er sieht immer so verhetzt6 aus! Ein guter Mensch tut das nicht, ein guter Mensch, der sein gutes Gewissen hat. – Red Er doch was, Woyzeck! Was ist heut für Wetter? Woyzeck: Schlimm, Herr Hauptmann, schlimm: Wind! Hauptmann: Ich spür’s schon, ’s ist so was Geschwindes draußen; so ein Wind macht mir den Effekt wie eine Maus. Pfiffig7: Ich glaub, wir haben so was aus Süd-Nord? Woyzeck: Jawohl, Herr Hauptmann. Hauptmann: Ha! ha! ha! Süd-Nord! Ha! ha! ha! Oh, Er ist dumm, ganz abscheulich8 dumm! – Gerührt9: – Woyzeck, Er ist ein guter Mensch – aber mit Würde: Woyzeck, Er hat keine Moral! Moral, das ist, wenn man moralisch ist, versteht Er. Es ist ein gutes Wort. Er hat ein Kind ohne den Segen der Kirche, wie unser hochehrwürdiger10 Herr Garnisonsprediger sagt, – ohne den Segen der Kirche, es ist nicht von mir. Woyzeck: Herr Hauptmann, der liebe Gott wird den armen Wurm nicht drum ansehen11, ob das Amen drüber gesagt ist, eh er gemacht wurde. Der Herr sprach: Lasset die Kleinen zu mir kommen. Hauptmann: Was sagt Er da? Was ist das für eine kuriose Antwort? Er macht mich ganz konfus mit seiner Antwort. Wenn ich sag’: Er, so mein’ ich Ihn, Ihn – Woyzeck: Wir arme Leut – Sehn Sie, Herr Hauptmann: Geld, Geld! Wer kein Geld hat – Da setz einmal eines seinesgleichen auf die Moral in die Welt! Man hat auch sein
Vormärz, Realismus und Naturalismus
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Fleisch und Blut. Unsereins ist doch einmal unselig12 in der und der andern Welt. Ich glaub, wenn wir in Himmel kämen, so müssten wir donnern helfen. Hauptmann: Woyzeck, Er hat keine Tugend! Er ist kein tugendhafter Mensch! Fleisch und Blut? Wenn ich am Fenster lieg, wenn’s geregnet hat, und den weißen Strümpfen so nachseh, wie sie über die Gassen springen – verdammt, Woyzeck, da kommt mir die Liebe! Ich hab auch Fleisch und Blut. Aber, Woyzeck, die Tugend! die Tugend! Wie sollte ich dann die Zeit herumbringen? Ich sag mir immer: du bist ein tugendhafter Mensch – gerührt: –, ein guter Mensch, ein guter Mensch. Woyzeck: Ja, Herr Hauptmann, die Tugend, – ich hab’s noch nit so aus. Sehn Sie: wir gemeine Leut, das hat keine Tugend, es kommt einem nur so die Natur; aber wenn ich ein Herr wär und hätt ein’ Hut und eine Uhr und eine Anglaise13 und könnt vornehm14 reden, ich wollt schon tugendhaft sein. Es muss was Schönes sein um die Tugend, Herr Hauptmann. Aber ich bin ein armer Kerl! Hauptmann: Gut, Woyzeck. Du bist ein guter Mensch, ein guter Mensch. Aber du denkst zuviel, das zehrt15; du siehst immer so verhetzt aus. –
12 unselig: infelice 13 e Anglaise: tipo di cappotto
14 vornehm: perbene 15 zehren: consumare
Textverständnis 1 Worüber spricht der Hauptmann am Anfang des Gesprächs? Kreuze an. a
Über die Zeit.
b
Über das Wetter.
c
Über die Welt.
2 Welche anderen Themen betrachtet der Hauptmann im Laufe des Gesprächs? 3 Welche Worte spricht Woyzeck immer wieder aus? Nimmt er wirklich teil am Dialog? 4 Wie verhalten sich die beiden Gesprächspartner zueinander? Kreuze das Zutreffende an. Hauptmann
Woyzeck
a arrogant b demütig c kategorisch d oberflächlich e resigniert f selbstsicher
5 Im Laufe dieses Dialogs äußert der Hauptmann verschiedene Urteile über Woyzeck. Welche? Der Hauptmann sagt, dass Woyzeck .
6 Welchen Grund gibt der Hauptmann für sein Urteil an? 7 Wie reagiert Woyzeck auf dieses Urteil? 8 In welchem Verhältnis stehen Geld und Moral zueinander? 1 Nach Woyzeck: 2 Nach dem Hauptmann:
9 Unter welchen Umständen könnte Woyzeck tugendhaft sein? Was braucht die Tugend um sich herum?
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5
GEoRG BÜCHNER
Interpretation 10 Was zeigt dieses Gespräch? Kreuze an. a
Woyzecks Rebellion gegen die Reichen.
b
Den Gegensatz zwischen zwei gesellschaftlichen Schichten.
c
Woyzecks Stellungnahme zu Leben und Schicksal.
d
Mitleid des Hauptmanns mit den armen Leuten wie Woyzeck.
e
Zwei gegensätzliche Seins- und Denkweisen.
DEBATTE Thema: Moral und ökonomische Lage. Bildet zwei Gruppen und nehmt Stellung zur folgenden Aussage: Für wohlhabende Leute ist es einfacher, moralisch zu handeln.
PRO
KONTRA
• Wenn ein Mensch keine ökonomischen Probleme hat, dann kann er sich auch den Luxus leisten, moralisch zu handeln. • Mit dem Geld kann man alles kaufen, sogar die Moral. • Andere Meinungen.
• Die Moral hängt nicht von der ökonomischen Situation eines Individuums ab. • Das moralische Handeln einer Person wird von ihrer Seele bestimmt und nicht von ihrem Geld. • Andere Meinungen.
Fokus
Das Verbrechen als Folge der Armut
Gibt es als Reaktion nur das Verbrechen? Woyzeck als revolutionäres Drama
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Im Gespräch zwischen Woyzeck und dem Hauptmann kollidieren zwei Denkweisen. Es entsteht eine sehr enge Beziehung zwischen sozialer Lage und Moral. Die unterschiedliche soziale Lage bestimmt eine verschiedene Moral. Der Hauptmann, für den das menschliche Handeln frei ist, sagt: „Er hat keine Moral“, aber Woyzeck erwidert ihm vom Gesichtspunkt der Enterbten aus: „Wir arme Leut ... Wer kein Geld hat ...“ und zeigt, dass er die Moral als Privileg empfindet: „Ich wollt schon tugendhaft sein. Es muss was Schönes sein um die Tugend, Herr Hauptmann. Aber ich bin ein armer Kerl!“ Woyzeck besitzt nichts, weder Geld noch Geist, und das macht ihn zum Menschen, der nach dem Moralkodex der Besitzenden unmoralisch handelt. Die Frage, was Woyzeck ins Verbrechen treibt, findet eine sehr direkte Antwort: die Armut. Das Verbrechen entsteht aus den äußeren Umständen, die uns bestimmen. Woyzeck, der jenseits aller Ethik sogar als Versuchsobjekt medizinischer Experimente betrachtet wird, wird auch in jener Sphäre der Liebe zu Marie und seinem Kind getroffen. Als ein strahlender Tambourmajor, Symbol der Macht und einer sicheren Existenz, seine Frau gewinnt, greift Woyzeck zum Messer. Woyzeck ist die Gegenfigur eines dramatischen Helden. Er ist ein Elender, Schwacher, von allen Erniedrigter: Der Hauptmann behandelt ihn als schlechten Menschen, der Arzt missbraucht ihn als Versuchsobjekt, der Tambourmajor und Marie betrügen ihn. So bleibt aber die letzte Frage: Gibt es nur die Reaktion des Verbrechers? Gibt es keine andere Möglichkeit? Büchner findet keine Antwort. Es bleibt der Fatalismus der Geschichte. Wegen seiner offenen Form gilt das Drama als revolutionär. Vor dem Erscheinen von Woyzeck waren Dramen immer in der geschlossenen Form verfasst, die vom griechischen Philosophen Aristoteles theorisiert worden war. Woyzeck hat dagegen eine offene Form, weil die Szenen des Fragmentes in unterschiedlicher Reihenfolge angeordnet werden können und das Drama ein offenes Ende hat. Im Gegensatz zu einem geschlossenen Drama, das nur eine Haupthandlung hat und wo die Akte logisch miteinander verknüpft sind, können die Akte bei einem offenen Drama auch ohne logischen Zusammenhang aufeinanderfolgen.
Vormärz, Realismus und Naturalismus
T26
Das Märchen der Großmutter aus: 19. Szene
T26
In der 19. Szene von Woyzeck erzählt die Großmutter ein Märchen, dessen Hauptmotiv die Einsamkeit ist. Für dieses Märchen hat das Grimm’sche Märchen Die Sterntaler [S. 114] zweifellos als Vorlage gedient. Statt des kleinen Mädchens spricht Büchner direkt vom „arm Kind“ und erinnert damit an den armen Woyzeck, an dessen Sohn, an Marie und an die anderen Armen des Stückes.
5 1 2 3 4 5 6 7
faul: marcio verwelkt: appassito e Mücke, -n: zanzara r Neuntöter, -: falconcello e Schlehe, -n: prugna selvatica umgestürzt: rovesciato r Hafen, -̈: (qui) pentolone
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Es war einmal ein arm Kind und hatt’ kein Vater und keine Mutter, war alles tot, und war niemand mehr auf der Welt. Alles tot, und es is hingangen und hat gesucht Tag und Nacht. Und weil auf der Erde niemand mehr war, wollt’s in Himmel gehn, und der Mond guckt es so freundlich an; und wie es endlich zum Mond kam, war’s ein Stück faul1 Holz. Und da is es zur Sonn gangen, und wie’s zur Sonn kam, war’s ein verwelkt2 Sonneblum. Und wie’s zu den Sternen kam, waren’s kleine goldne Mücken3, die waren angesteckt, wie der Neuntöter4 sie auf die Schlehen5 steckt. Und wie’s wieder auf die Erde wollt, war die Erde ein umgestürzter6 Hafen7. Und es war ganz allein. Und da hat sich’s hingesetzt und geweint, und da sitzt es noch und is ganz allein.
Textverständnis 1 Beantworte folgende Fragen. 1 Was erfährt man über das Kind und dessen Familie? 2 Wem wendet es sich zu, um Rettung zu bekommen? 3 Wie ändert sich seine Situation im Laufe der Geschichte? Fülle die Tabelle aus. Am Anfang
Am Ende
Wer? Was? Mit wem? Wie?
Interpretation 2 Wofür stehen der Mond, die Sonne und die Sterne? 3 Ist der Schluss des Büchner’schen Märchens das typische Ende eines Märchens? Begründe deine Antwort. 4 Welche Funktion spielt dieses Märchen innerhalb des Dramas Woyzeck? 5 Vergleiche nun diesen Text mit dem Märchen Die Sterntaler der Gebrüder Grimm. Die Sterntaler (Grimm)
Büchners Märchen
1 Wer ist der Protagonist? 2 Wer / was ist tot? 3 Wer begegnet ihm? 4 Was sind die Folgen des Vertrauens auf übermenschliche Wesen? 5 Was geschieht am Ende? 6 Hat eine Entwicklung in der Geschichte stattgefunden? 7 Ist die Hoffnung auf Erlösung möglich? 8 Wer wird am Ende belohnt? 9 Ist das ein Erlösungsmärchen?
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GEoRG BÜCHNER
Fokus Ein Antimärchen
Die unerlöste Welt
Wie im Grimm’schen Märchen sind auch hier dem Kind Vater und Mutter gestorben, aber Büchner betont dann noch zweimal das Leitmotiv seines Dramas, dass alles tot ist. In der Märchenversion hat das Kind wenigstens noch von einem mitleidigen Herzen ein Stück Brot erhalten. Solche Hilfe fehlt in Büchners Antimärchen. Im Grimm’schen Märchen wird vom Kind gesagt, es sei gut und fromm, habe „Vertrauen auf den lieben Gott“. So erhält es die Sterne, die als „harte, blanke Taler“ auf die Erde fallen, als Belohnung für sein frommes Verhalten. Am Ende wird es aus seiner Armut erlöst („war reich für sein Lebtag“). Bei Büchners Kind erfolgt diese Erlösung nicht, es sitzt am Ende da, weint und „ist ganz allein“. Bei Büchner wird eine Welt dargestellt, wo das arme Kind zu endloser Einsamkeit verurteilt ist und wo sich jede Hoffnung als große Illusion erweist. Die unerlöste Welt bleibt unerlöst.
Szene aus dem Film Woyzeck (1979), Regie Werner Herzog.
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Vormärz, Realismus und Naturalismus
Perspektiven MUSIK Richard Wagner In der Epoche des Realismus gibt es keinen neuen Musikstil. Man spricht vielmehr von Spätromantik. Unter den neuen Komponisten ragt Richard Wagner (1813-1883) hervor. Seine Musik trägt Züge einer verspäteten Romantik ebenso wie asketisch-dekadente Merkmale. Wagner war eine widersprüchliche Persönlichkeit. Seine Kunstauffassung strebt nach einer Ästhetisierung der Geschichte und die Instrumente dazu sind mythologische Verkleidung und legendäre Vergangenheit. Wagner schrieb die Textbücher für seine opern selbst. Fast alle Themen seiner Werke stammen aus der germanischen Mythologie (Tannhäuser, Lohengrin, Tristan und Isolde, Parsifal, Der fliegende Holländer, Der Ring des Nibelungen). Ganz neu ist seine Auffassung des Musikdramas als Gesamtkunstwerk. In dem sogenannten Worttondrama sollten alle Künste verschmelzen: Musik, Drama, Malerei, Philosophie und Sprache. 1864 gewann Wagner die Gunst des bayrischen Königs Ludwig II., der dessen Schulden bezahlte und ihn unterstützte. Dank Ludwig konnte er 1872 in Bayreuth das Festspielhaus für seine Worttondramen realisieren. Das Bayreuther Festspielhaus zählt heute zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten der Stadt und zu den größten opernbühnen der Welt. Neben der einzigartigen Architektur ist die einmalige, weltbekannte Akustik das besondere Merkmal des Festspielhauses. Sie basiert vor allem auf dem mit Holz verkleideten Innenraum und darauf, dass es keine Logen gibt. Außerdem sind die Sitze der Zuschauer ungepolstert, sodass sich der Klang im ganzen Raum verbreiten kann. Im Festspielhaus werden nur Wagner-opern aufgeführt. obwohl Wagners Werke in der ganzen Welt gespielt werden, wollen viele Menschen sie in Bayreuth sehen: Wer eine Eintrittskarte bestellt, muss etwa zehn Jahre und länger warten, bis er eine bekommt. Der absolute Höhepunkt in Wagners unendlicher Musik ist die gigantische oper Der Ring des Nibelungen. Wenn man dieses aus vier Einzelteilen bestehende Werk auf einmal zeigen würde, so säßen die Zuschauer fast 16 Stunden im Theater. Aus diesem Grund wird die oper auch immer an vier Abenden gezeigt. In Bayreuth fand Wagner auch eine Heimat. In der Villa Wahnfried lebte er mit seiner Frau Cosima, fünf Kindern und Hunden. Zum ersten Mal hatte Richard Wagner ein eigenes Haus, wo er in aller Ruhe arbeiten konnte. Er starb 1883 im Alter von 69 Jahren in Venedig in den Armen seiner Frau Cosima.
Textverständnis 1 Beantworte folgende Fragen. 1 Was ist für Wagners Kunstauffassung typisch? 2 Was bedeutet Gesamtkunstwerk als Musikdrama?
SPUNTI PER IL CAPOLAVORO 2 Suche im Internet Informationen über die Bayreuther Festspiele im laufenden Jahr. Organisiere für deine Klasse einen dreitägigen Aufenthalt in Bayreuth und berücksichtige dabei: • Verkehrsmittel
• gewählte Konzerte (aus dem Programm)
• Hotel
• eventuelle Ausflüge in die Umgebung
Erstelle eine Multimedia-Präsentation mit Hilfe einer Ideentafel.
157
5
Heinrich HEINE (1797-1856) WIR ENTDECKEN DEN AUTOR
HEINRICH HEINE
Realismus
Naturalismus
Theater
Lyrik
G. Büchner Woyzeck
H. Heine • Ein Fichtenbaum steht einsam • Loreley • Das Fräulein stand am Meere • Die schlesischen Weber
LEBEN UND WERK FOKUS AUF DEUTSCHLAND, EIN WINTERMÄRCHEN ENDBEWERTUNG
LITERATUR IM 19. JAHRHUNDERT
Vormärz
Leben und Werke Heinrich Heine wurde 1797 in Düsseldorf als Sohn einer jüdischen Familie geboren. Auf Wunsch seines Vaters besuchte er die Handelsschule, war aber am Handelsberuf nicht interessiert: Von seinem Onkel (dem Bankier Salomon Heine) unterstützt, eröffnete er ein Geschäft, das nach wenigen Monaten Bankrott machte. Dank einer Rente, die er vom Onkel bekam, konnte er Jura studieren. Nach der Promotion zum Doktor ließ er sich protestantisch taufen, weil er meinte, die Taufe sei eine Eintrittskarte in die europäische Kultur. In Wirklichkeit hätte ihm diese Taufe erlaubt, leichter eine staatliche Stellung zu finden. Heine trat zum Christentum über, weil der jüdische Glaube Benachteiligungen mit sich brachte: Damals wurden die Juden in vielen Bereichen ausgegrenzt. Kietz Ernst Benedikt, Heinrich Heine und So nahm er die Vornamen Christian Johann Heinrich an. Sein seine Frau Mathilde, tiefstes Interesse galt von Anfang an der Literatur. Er war ein 1851. berühmter deutscher Dichter, auch wenn er in seinen Schriften die Deutschen immer kritisch behandelt hat. Er wurde geliebt, verehrt, aber auch gefürchtet, weil er auch als politischer Schriftsteller und kritischer Geist wirkte, dessen Meinung oft unbequem war. Da seine Schriften in Deutschland verboten wurden, zog er 1831 nach Paris. In Frankreich blieb er bis zu seinem Tod 1856. 1831–1856 Paris
Leben 1797 Geburt in Düsseldorf
1816 Hamburg: Lehrling im Bankhaus des onkels Salomon Heine
1825 • Juristisches Examen • Protestantische Taufe in Heiligenstadt 1819 Beginn eines Studiums in Bonn
1823 • Lyrisches Intermezzo (Gedichte)
Werke 158
Video
1824 • Dreiunddreißig Gedichte (Gedichte)
1826-1831 • Reisebilder (Reiseschilderung)
1828 • Außerordentlicher Professor an der Universität München • Reise nach Italien • Tod des Vaters. Rückkehr nach München
1827 • Buch der Lieder (Gedichte)
1844 Verschlechterung seines Gesundheitszustands 1835 Gesamtverbot der literarischen Avantgarde des Jungen Deutschland
1844 • Deutschland, ein Wintermärchen (Versepos) • Neue Gedichte (Gedichte)
1856 Tod am 17. Februar
1851 • Romanzero (Gedichte)
Vormärz, Realismus und Naturalismus
Heine als Romantiker Anfangs verfasste Heine Gedichte und später vor allem Prosawerke. Seine ersten Gedichtzyklen stehen im Zeichen der Romantik: In Bonn hatte er an den Vorlesungen von August Wilhelm von Schlegel teilgenommen. Er beschrieb sich gerne mit den Worten: „Ich bin der letzte Fabelkönig.“ Zu den Gedichten im reinen romantischen Stil zählen die bekannten Im wunderschönen Monat Mai und Ein Fichtenbaum steht einsam, die zur Sammlung Lyrisches Intermezzo (1823) gehören. Romantische Elemente dieser Sammlung sind die Musikalität von Sprache und Rhythmus, das Bild der Blume, die Themen des Orients, des Traums, der Nacht, des Mondes, die unerwiderte Liebe, das Sehnen und Verlangen, die Symmetrie zwischen der Natur und der Seele des Dichters.
Heinrich Heine Im wunderschönen Monat Mai
Lyrisches Intermezzo
Heines Überwindung der Romantik Nach einer ersten Phase kommt Heine zu der Erkenntnis, dass die Romantik zu einer Mode geworden ist. Von der Romantik schreibt er, sie sei die Schule, wo „ich meine angenehmsten Jugendjahre verlebt und zuletzt den Schulmeister geprügelt habe“, denn Romantik bedeutet vor allem Flucht in den Traum, in die Fantasie, in die Vergangenheit, während Heine nicht weltflüchtig, sondern weltzugewandt war. Nicht selten schafft Heine eine romantische Stimmung, um sie später durch die plötzliche Einführung realistischer Elemente zu zerstören. Schöne Beispiele sind die Gedichte Loreley und Das Fräulein stand am Meere.
Heines sozialengagierte Lyrik Die späteren Gedichte von Heine beweisen sein überzeugtes politisches Engagement: Für Heine hat die Poesie nun die Aufgabe eines revolutionären Handelns. Im Jahre 1844 schrieb Heine eines der schönsten Gedichte der sozialengagierten Lyrik des Vormärz, Die schlesischen Weber.
Themen Als Kritiker, Satiriker und Journalist übte Heinrich Heine scharfe Kritik an den politischen Verhältnissen in Deutschland. Sein dichterisches Schaffen ist Spiegel einer Persönlichkeit voller Widersprüche und gleichzeitig Synthese einer Zeit, die durch Unruhe und Unsicherheit gekennzeichnet war. Am Anfang war Heine ausschließlich Dichter, später widmete er sich der Prosa und war als Journalist, Erzähler und Kritiker tätig. Ein Schwanken zwischen Alt und Neu, Lyrik und Prosa, Romantik und Entlarvung der Romantik begleitete Heine lebenslang. Käthe Kollwitz, Ein Weberaufstand, 1893-1897. Textverständnis 1 Beantworte folgende Fragen. 1 Wie betrachtete Heine Deutschland in seinen Schriften? 2 Warum zog er 1831 nach Paris? 3 Inwiefern gilt Heine als Brücke zwischen Romantik und Realismus? 4 Was sind die Lieblingsthemen seiner ersten lyrischen Sammlungen? 5 Warum kommt Heine zu einer Überwindung der Romantik?
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5
HEINRICH HEINE T27
Ein Fichtenbaum steht einsam aus: Lyrisches Intermezzo
T27
Im folgenden Gedicht aus dem Jahr 1823 kommt der Natursymbolismus am besten zum Ausdruck, mit dem Bild vom Fichtenbaum, der einsam zwischen Eis und Schnee steht und von der Palme des Südens träumt. Der Fichtenbaum verkörpert den Liebenden, der sich vergeblich nach der unerreichbaren Geliebten sehnt. Seine Liebe zu dem Palmenbaum ist die Erhebung der Sehnsucht.
VOR DEM LESEN Welche natürlichen Elemente lösen bei dir Gefühle der Einsamkeit aus?
Ein Fichtenbaum1 steht einsam Im Norden auf kahler Höh’2. Ihn schläfert3; mit weißer Decke Umhüllen4 ihn Eis und Schnee. 5
1 2 3 4 5 6
Er träumt von einer Palme, Die, fern im Morgenland, Einsam und schweigend trauert5 Auf brennender Felsenwand6.
r Fichtenbaum, -̈e: abete auf kahler Höh’: su una nuda altura ihn schläfert: ha sonno umhüllen: avvolgere trauern: essere triste auf brennender Felsenwand: su un’ardente parete di roccia
Textverständnis 1 Wer sind die zwei Protagonisten dieser Liebesgeschichte?
2 Kann das eine glückliche Liebesgeschichte werden? Begründe deine Antwort.
Interpretation 3 Welches Gefühl erregt in dir dieses kurze Gedicht?
Fokus Die Einsamkeit und die unerreichbare Liebe
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Das Lied wurde als Liebes- und Naturlyrik interpretiert. In märchenhaftem Ton wird die Unerreichbarkeit zweier Pflanzen geschildert, die symbolisch für den Norden (Fichte) und für den orient (Palme) stehen. Zum Norden passen die kahle Höhe (V. 2), aber auch Eis und Schnee (V. 4), die den Fichtenbaum umhüllen. Die Tatsache, dass „ihn schläfert“ (V. 3) ist die Voraussetzung für das Träumen. In ihrer Einsamkeit ist die Palme sein Gegenbild. Die Einsamkeit und die unerreichbare Liebe sind das Zentralthema dieses kurzen Gedichtes. Das Gedicht umfasst 35 Wörter. Es ist in 2 Strophen gegliedert und besteht aus 8 Versen. Von diesem Gedicht sollen insgesamt 146 Vertonungen, hauptsächlich von romantischen Komponisten, vorliegen: Franz Liszt vertonte z.B. das Gedicht um 1848.
Vormärz, Realismus und Naturalismus
T28
Loreley aus: Dreiunddreißig Gedichte
T28
Das Gedicht erschien 1824 in der Sammlung Dreiunddreißig Gedichte und ist Heines heute in Deutschland wohl bekanntestes Werk. Im 19. Jahrhundert entstanden über vierzig musizierte Versionen des Textes von Heine, aber die Vertonung des Komponisten und Musikdirektors Friedrich Silcher hat die größte Popularität erreicht. Theodor W. Adorno behauptete, das Lied sei so populär gewesen, dass es selbst die Nationalsozialisten im Dritten Reich nicht aus den Lyrik-Anthologien entfernt hatten, obwohl Heinrich Heine als Jude zu den Dichtern gehörte, deren Werke verboten und verbrannt wurden. Der Autor ist jedoch offiziell meistens „ein unbekannter deutscher Dichter“. In diesem Gedicht erzählt ein trauriges Ich „ein Märchen aus uralten Zeiten“, das Märchen der Loreley.
Ich weiß nicht was soll es bedeuten, Dass ich so traurig bin; Ein Märchen aus uralten Zeiten, Das kommt mir nicht aus dem Sinn1. 5
10
15
1 2 3 4 5
jmdm. aus dem Sinn kommen: andarsene dalla testa s Geschmeide, -: monile s Weh, -e: pena, dolore s Felsenriff, -e: scogliera r Kahn, -̈e: barca
Die Luft ist kühl und es dunkelt, Und ruhig fließt der Rhein; Der Gipfel des Berges funkelt, Im Abendsonnenschein. Die schönste Jungfrau sitzet Dort oben wunderbar, Ihr goldnes Geschmeide2 blitzet, Sie kämmt ihr goldenes Haar. Sie kämmt es mit goldenem Kamme, Und singt ein Lied dabei; Das hat eine wundersame, Gewaltige Melodei.
20
Den Schiffer im kleinen Schiffe, Ergreift es mit wildem Weh3 Er schaut nicht die Felsenriffe4, Er schaut nur hinauf in die Höh.
25
Ich glaube, die Wellen verschlingen Am Ende Schiffer und Kahn5; Und das hat mit ihrem Singen Die Loreley getan.
Karl Herrmann, Loreley, 1835.
Textverständnis 1 Beantworte folgende Fragen. 1 Wer erzählt die Geschichte? Woher stammt sie? 2 Welche Figuren treten auf? 3 Welche Stimmung löst das Erzählte aus?
2 Fasse den Inhalt dieser Geschichte kurz zusammen.
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5
HEINRICH HEINE
Interpretation 3 Erkennst du reale und fantastische Elemente? reale Elemente
fantastische Elemente
4 Was können deiner Meinung nach die Loreley und deren Gesang symbolisieren? 5 Und wer ist der Schiffer, der ihrer Schönheit zum Opfer fällt?
Sprache und Stil 6 Welche der folgenden Stilmittel erkennst du im Gedicht? Belege mit Textstellen. a
Syntaktischer Bruch und Enjambement
Zeile/n (
)
b
Personifikation
Zeile/n (
)
c
Hyperbel
Zeile/n (
)
d
Alliteration
Zeile/n (
)
e
Anapher
Zeile/n (
)
Fokus
Ironische Kritik an der Romantik
Nationalgefühl
Die Rationalität zerstört das Märchenhafte
Die Romantik ist schon weit entfernt
162
Inhaltlich geht es in diesem Gedicht um ein altes Märchen, in dem „die schönste Jungfrau“ auf einem Felsen am Rhein sitzt, ihr Haar kämmt und dabei ein geheimnisvolles Lied singt. Die Schiffer auf dem Rhein werden von ihrem wunderschönen Gesang angezogen und in den Tod gelockt. Das Lied wirkt sehr melancholisch. Einerseits spiegelt der Text das autobiografische Motiv der enttäuschten Liebe Heines zur Cousine Amalie wider, andererseits taucht der Versuch einer ironischen Überwindung der schwärmerischen Romantik auf. Viele sehen in dem Gedicht eine Kritik Heines an der romantischen Poesie, die in der Loreley-Gestalt verkörpert sei. Der Autor benutzt Motive der Romantik und des Volkslieds, um sie durch übertriebenes Pathos zu ironisieren und sich von der romantischen Stimmung zu distanzieren. Die Romantik trug sehr zum Nationalgefühl der Deutschen bei. Das erscheint auch klar in diesem Lied. Deutlich dafür spricht die erste Strophe: „Ich weiß nicht was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin; ein Märchen aus uralten Zeiten, das kommt mir nicht aus dem Sinn.“ Der Bezug auf die „uralten Zeiten“ schafft ein Gefühl der Verbundenheit unter den Menschen durch ihre gemeinsame Geschichte, Sprache, aber auch durch ihre Märchen und Sagen. Das Lied besteht aus sechs Strophen, die in einer veralteten, aber trotzdem gut verständlichen Sprache geschrieben sind. Bei dem Reimschema handelt es sich um einen Kreuzreim. Das lyrische Ich wirkt unsicher: „Ich weiß nicht was soll es bedeuten“; „Ich glaube, die Wellen verschlingen ...“. Zahlreiche optische und akustische Synästhesien wie „kühl“, „dunkelt“, „ruhig“, „funkelt“ helfen dem Leser, sich Situation, Zeit und ort des Geschehens vorzustellen. Die Loreley selbst tritt erst in der dritten Strophe des Gedichtes auf. Schon der Gebrauch des Superlativs „die schönste ...“ und die wiederholte Verwendung des Adjektivs „goldenes / goldenem“ unterstreichen die unglaubliche Schönheit der Loreley. Die letzten beiden Verse des Gedichtes verdeutlichen, dass es sich bei der Loreley um eine gefährliche Frau handelt, die sich ihrer Macht bewusst ist. Besonders der syntaktische Bruch zu Beginn („Ich weiß nicht ...“, wird nicht fortgesetzt mit „was es bedeuten soll“, sondern mit „was soll es bedeuten“) verdeutlicht die Unsicherheit des erzählenden Ichs. Bereits hier zeigt sich, dass Heine von der romantischen Welt weit entfernt ist: Der Schiffer, den es „mit wildem Weh“ ergreift, ist nicht mehr Heine, sein lyrisches Ich sucht vielmehr nach einer rationalen Erklärung für das Geschehen. Erst am Ende des Gedichtes wird die Ursache seiner Wehmut erklärt: „Und das hat mit ihrem Singen die Loreley getan.“
Vormärz, Realismus und Naturalismus
T29
Das Fräulein stand am Meere aus: Neue Gedichte
T29
In diesem kurzen Gedicht von 1832 beschreibt Heine eine typisch romantische Situation: Ein gerührtes Mädchen betrachtet den Sonnenuntergang am Meer. Auch hier taucht Heines Absicht auf, die romantische Welt aus der Distanz zu betrachten.
Das Fräulein stand am Meere Und seufzte1 lang und bang, Es rührte2 sie so sehre Der Sonnenuntergang. 5 1 2 3
seufzen: sospirare rühren: toccare, nel senso di commuovere munter: sveglio, allegro
Mein Fräulein! sein Sie munter3, Das ist ein altes Stück; Hier vorne geht sie unter Und kehrt von hinten zurück.
Textverständnis 1 Beantworte folgende Fragen. 1 Wer? • Wann? • Wo? • Wie?
4 Wer spricht in der zweiten Strophe?
2 Kennst du ein anderes Wort für „Fräulein“?
5 Was wird als altes Stück bezeichnet?
3 Warum seufzt das Fräulein?
Interpretation 2 Wie würdest du die Stimmung in den beiden Strophen definieren? Kreuze an. 1. Strophe
2. Strophe
1. Strophe
a ironisch
d schwärmerisch
b realistisch
e unecht
c romantisch
f anderes
2. Strophe
3 Was kann dieses seufzende Fräulein darstellen? 4 Was für eine Haltung hat der Autor? Was zeigt der Autor damit?
Sprache und Stil 5 Welches Reimschema (Endreime) hat das Gedicht? Erkennst du auch Binnenreime?
Fokus Das Gedicht erschien 1832 und besteht aus zwei vierzeiligen Strophen. • In der ersten Strophe finden wir eine romantische Szene und selbst die Stimmung ist romantisch. Von Anfang an finden wir jedoch leise Andeutungen auf die Unechtheit der dargestellten Situation. Bereits in den ersten Versen hat man den Eindruck, dass das Gefühl des Mädchens falsch ist. Heine spricht nicht direkt von einem Mädchen, das echte Gefühle der Liebe und der Sehnsucht empfindet, sondern von einem „Fräulein“, das die Gefühle aus zweiter Hand empfängt, das seufzt und schwärmt, weil romantische Schwärmerei Mode ist. Der Binnenreim in der zweiten Zeile („lang und bang“) übertreibt den Seufzer. Daran erkennt man auch, dass die Stimmung nicht echt ist. Dieses Seufzen ist etwas Künstliches, es ist zu sentimental. In der dritten Zeile ist der Endbuchstabe „e“ in „sehre“ etwas Veraltetes; dieser überladene Stil betont die Unechtheit des Gefühls dieses Fräuleins. • In der zweiten Strophe entzaubert Heine fast brutal die gerade geschaffene romantische Stimmung. Scheinbar versucht er höflich das seufzende Fräulein zu trösten, aber in Wirklichkeit handelt er ironisch, indem er die banalste Erklärung des Phänomens des Sonnenuntergangs gibt. Was er sagt, ist richtig, aber es ist die Wahrheit einer realistischen Betrachtung, die gleichzeitig das Reich der Gefühle und der Fantasie als Scheinwelt entlarvt. Die Poesie erscheint als bloße Illusion, die sich auflöst, sobald sie mit der Wirklichkeit konfrontiert wird.
163
5
HEINRICH HEINE T30
Die schlesischen Weber
T30
Dieses Gedicht entstand infolge des Weberaufstandes im Jahre 1844. Es bezieht sich auf den spontanen Aufstand der Weber, die von ihren Arbeitgebern ausgebeutet wurden. Der Aufstand hatte aber keinen Erfolg und wurde mit militärischer Gewalt niedergeschlagen.
1 düster: buio, depresso 2 r Webstuhl, -̈e: telaio 3 fletschen: digrignare 4 s Leichentuch, -̈er: sudario 5 r Fluch, -̈e: maledizione 6 e Hungersnot, -̈e: carestia 7 harren: attendere 8 äffen: prendere in giro 9 foppen: deridere 10 narren: ingannare 11 erweichen: impietosire 12 r Groschen, -: moneta 13 gedeihen: fiorire 14 e Schmach: onta 15 knicken: spezzare 16 e Fäulnis: marciume 17 r Moder: muffa 18 s Schiffchen, -: navetta (del telaio) 19 krachen: scricchiolare 20 emsig: diligentemente
Carl Wilhelm Hübner, Die schlesischen Weber, 1846.
164
5
Im düstern1 Auge keine Träne, Sie sitzen am Webstuhl2 und fletschen3 die Zähne: Deutschland, wir weben dein Leichentuch4, Wir weben hinein den dreifachen Fluch5 – Wir weben, wir weben!
10
Ein Fluch dem Gotte, zu dem wir gebeten In Winterskälte und Hungersnöten6; Wir haben vergebens gehofft und geharrt7, Er hat uns geäfft8 und gefoppt9 und genarrt10 – Wir weben, wir weben!
15
Ein Fluch dem König, dem König der Reichen, Den unser Elend nicht konnte erweichen11, Der den letzten Groschen12 von uns erpresst Und uns wie Hunde erschießen lässt – Wir weben, wir weben!
20
Ein Fluch dem falschen Vaterlande, Wo nur gedeihen13 Schmach14 und Schande, Wo jede Blume früh geknickt15, Wo Fäulnis16 und Moder17 den Wurm erquickt – Wir weben, wir weben!
25
Das Schiffchen18 fliegt, der Webstuhl kracht19, Wir weben emsig20 Tag und Nacht – Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch, Wir weben hinein den dreifachen Fluch, Wir weben, wir weben!
Vormärz, Realismus und Naturalismus
Textverständnis
Sprache und Stil
1 Beantworte folgende Fragen.
4 Hat deiner Meinung nach dieses Gedicht einen starken oder
1 Welche Wörter werden mehrmals wiederholt? 2 Was weben diese Weber? 3 Was verfluchen sie und warum? a b c
Interpretation 2 Erkläre mit deinen eigenen Worten die Zeilen 23 und 24. Was wünschen sich die Weber für Deutschland?
3 Wie erscheinen die Weber in diesem Gedicht? Kreuze an.
einen schwachen Rhythmus? Durch welche sprachlichen Mittel kommt er zum Ausdruck? Kreuze an und belege mit Textstellen. a
Wortwiederholungen
Zeile/n (
)
b
Satzwiederholungen
Zeile/n (
)
c
Verswiederholungen
Zeile/n (
)
d
Anapher
Zeile/n (
)
e
Binnenreim
Zeile/n (
)
f
Endreim
Zeile/n (
)
g
Refrain
Zeile/n (
)
5 Die Struktur des Gedichtes. Beantworte folgende Fragen. 1 Wie viele Strophen hat das Gedicht? 2 Wie viele Verse sind in jeder Strophe? 3 Wie sind die Reime?
Denkroutine
a
Als klassenbewusste Masse.
b
Als Individuen.
WORT, WORTGRUPPE, SATZ
c
Als psychologisch charakterisierte Menschen.
d
Als drohende Macht.
e
Als ausgebeutete Arbeitermasse.
Indem du Heines Gedicht Die schlesischen Weber liest, unterstreiche drei Elemente, die du für wesentlich für die Bedeutung des Gedichtes hältst. Konzentriere dich auf:
f
Als organisierte Arbeitergruppe.
g
Als Rachemenge.
h
Als unordentliche Menge.
i
Als resignierte Arbeitergruppe.
1 ein Wort 2 eine Wortgruppe 3 einen Satz Nachdem du diese drei Elemente gewählt hast, versuche deine Entscheidung zu erklären. Deine Klassenkameraden können dir natürlich eine Rückmeldung geben.
Fokus Heine konnte Armut und Elend der Massen, die zu einem unmenschlichen Leben verurteilt waren, nicht ertragen. In dieser Hinsicht basiert der Aufstand der Weber auf dem Recht jedes Menschen, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Deswegen richtet sich der „Fluch“ der Weber gegen die drei höchsten Werte der damaligen Gesellschaftsordnung: Gott, auf dessen Hilfe die Armen vergebens gehofft hatten und der sie zuletzt getäuscht hat; den König, der immer auf der Seite der Reichen war; das Vaterland, das ein falsches Vaterland ist, wo nur Korruption und Unrecht herrschen. Diesem Altdeutschland weben die Weber unermüdlich („Tag und Nacht“) ein Leichentuch. Sie wünschen also, dass Deutschland, so wie es ist, untergeht. Im Gedicht erscheinen die Weber als klassenbewusste Masse, die einen einheitlichen Zweck verfolgt, wie der obsessiv wiederholte Refrain „Wir weben, wir weben“ beweist. Ihre drohende Macht wird weiterhin vom starken Rhythmus des Gedichtes betont, das von der Wiederholung von Worten und ganzen Zeilen gekennzeichnet ist: z.B. „Fluch“ (fünfmal wiederholt); „Wir weben“ (fünfzehnmal wiederholt). Gleichzeitig unterstreichen diese Wiederholungen die Monotonie bei der stundenlangen Arbeit dieser Menschen am Webstuhl. Dieses Gedicht von Heine wurde sofort als Flugblatt gedruckt, aber gleich darauf polizeilich verboten, weil es als einer der bedeutendsten Angriffe gegen das restaurative Altdeutschland eine gefährliche Resonanz haben konnte.
Die Armut der Weber
Ein Leichentuch für Deutschland
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5
Perspektiven KUNST Die Kunst des Realismus Die Kunst des Realismus (bedeutendster Vertreter war der Franzose Gustave Courbet, 1819-1877) ist in Deutschland durch folgende Merkmale gekennzeichnet: die Vorliebe für das bäuerliche Milieu, später für Szenen aus der Arbeiterwelt in den Fabriken; die anatomische Genauigkeit der Figuren; die fotografische Wiedergabe der Wirklichkeit; die genaue Perspektive; Porträts von Leuten aus den niedrigsten Schichten der Bevölkerung.
Bauernleben Ein beliebtes Thema des Malers Wilhelm Leibl (1844-1900) waren Porträts von Leuten aus dem Volk. In allen Werken erkennt man eine außerordentliche optische Treue. Das Gemälde Drei Frauen in der Kirche gilt als Leibls Meisterwerk. Er arbeitete lange Zeit daran, und zwar in einer alten, kalten Kirche. Er verlangte von seinen drei Modellen (drei Frauen bäuerlicher Herkunft), jeden Tag in die Kirche zu kommen und unbeweglich vor ihm zu sitzen. Das Bild gilt als ein einziger, konzentrierter Blick, es ist sehr reich an Details und gibt die Szene mit außerordentlicher Exaktheit wieder. Es zeigt einen typischen Teil der fixierten ordnung bäuerlichen Lebens: drei Bäuerinnen beim Gebet in der Kirche. Ihre Hände sprechen vom harten bäuerlichen Alltag. Gleichzeitig sieht man drei Lebensalter nebeneinander in einer Kirchenbank; vorne die Junge, neben ihr die Greisin, dahinter die reife Frau. Während die Junge das Gebetbuch locker in den Händen hält, muss die alte Frau ihr Buch nahe vor die schwachen Augen bringen. In den verschlungenen Händen hat die reife Frau einen Rosenkranz. Die Gebete kennt sie auswendig.
Wilhelm Leibl, Drei Frauen in der Kirche, 1878-1881.
Arbeiterwelt Die Eisenverarbeitung erfuhr im 19. Jahrhundert einen raschen Aufschwung und es entstanden Großkonzerne wie Krupp und Siemens. In den Fabriken arbeiteten täglich Menschenmassen. In den Stahlwerken war die Arbeit am Hochofen eine sehr gefährliche und anstrengende Tätigkeit. Die Künstler wurden bald von der Welt der Arbeit und von der raschen Entwicklung der Technologie beeinflusst. Sie widmeten sich neuen Themen, wie z.B. dem harten Leben der Arbeiter in der Fabrik. Von 1872 bis 1875 arbeitete Adolph von Menzel an seinem Bild Das Eisenwalzwerk (Moderne Cyklopen). Als Vorlage diente ihm das Walzwerk im oberschlesischen Königshütte.
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Vormärz, Realismus und Naturalismus
Dieses große Gemälde war für die damalige Zeit außergewöhnlich: Kein anderer Künstler hat die Arbeitswelt zu Beginn der Industrialisierung so eindrucksvoll gemalt. Wir sehen eine Fabrikhalle, in der viele Männer auf engem Raum arbeiten, eine Atmosphäre gewaltiger Kraft. Unser Blick trifft schnell das Zentrum des Bildes, wo sich die Walzstraße befindet. Menzel präsentiert einen bestimmten Moment des Arbeitsprozesses: Ein weiß glühendes Eisenstück wird von zwei Männern gehalten, damit das Stück in die Walze gleiten kann. Die anderen drei Arbeiter bemühen sich, mit Zangen das Eisenstück in die richtige Position zu bringen. Hinter der Walze warten schon andere, um das gewalzte Stück in Empfang zu nehmen. Menzel zeigt uns nicht nur den Produktionsprozess, sondern auch die damit verbundene soziale organisation. Das ist der Moment des Schichtwechsels: Links wäscht sich eine Gruppe. Rechts vorne hockt eine kleine Gruppe, die isst. Das junge Mädchen vorne rechts hat das Essen in einem Korb gebracht. Als Ergebnis wird der Betrachter des Bildes von der Hitze, der Mühe und dem Lärm bei der Arbeit am Hochofen förmlich gefangen genommen. Der Maler will nicht den technischen Fortschritt loben. Er stellt das Zusammenspiel der Arbeiter, ihre Kraft und Konzentration bei der harten Walzarbeit dar.
Adolph von Menzel, Das Eisenwalzwerk, (Moderne Cyklopen) 1872-1875.
Textverständnis 1 Beantworte folgende Fragen. 1 Welche Merkmale wies die Malerei des Realismus in Deutschland auf? 2 Was für Leute portraitierte Leibl in seinen Gemälden?
Digitale Kompetenz 2 Bildet kleine Gruppen und sucht im Internet ein Foto und Informationen zum Gemälde Bauern im Gespräch von Wilhelm Leibl, um es euren Klassenkameraden vorzustellen.
DEBATTE Viele Autoren und Künstler des Naturalismus und Realismus waren an der Fotografie interessiert, weil dieses damals neue Medium in der Lage war, die Wirklichkeit authentisch nachzubilden. Bildet zwei Gruppen in der Klasse und nehmt Stellung zu der folgenden Frage: Ist die Fotografie eine Kunstform?
PRO
KONTRA
• Das Foto kann unser Sehen erweitern.
• Das Foto drückt keine Subjektivität aus.
• Fotos werden in Galerien und Museen ausgestellt.
• Das Foto präsentiert etwas, was in der Natur schon existiert.
• Andere Meinungen.
• Andere Meinungen.
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5
Gottfried KELLER (1819-1890) Leben und Werke
LITERATUR IM 19. JAHRHUNDERT
Vormärz
Realismus
Naturalismus Theater
Prosa G. Keller Die Leute von Seldwyla (Kleider machen Leute) T. Fontane Effi Briest
G. Hauptmann Die Weber
Gottfried Keller wurde 1819 in Zürich geboren. An der Kunstakademie in München studierte er Malkunst, weil er Landschaftsmaler werden wollte, aber kurz danach verstand er, dass seine Begabung zur Malerei nicht ausreichte: Er musste auf seinen Traum verzichten. In Heidelberg konnte er an den Vorlesungen des Philosophen Ludwig Feuerbach teilnehmen. Er selbst behauptete, dass ihm die Welt klarer und sinnlicher erschien, nachdem er Feuerbach kennengelernt hatte. Keller war ein politisch aktiver Lyriker, der im Jahr 1848 mit seinem Engagement auch zur staatlichen Neuordnung der Schweiz beitrug. Zwischen 1850 und 1855 lebte Keller in Berlin. 1855 kehrte er nach Zürich zurück, wo er 1890 starb. Erst nach seinem Tod und nachdem Friedrich Nietzsche Kellers Leute von Seldwyla zum Schatz der deutschen Prosa erklärt hatte, wurde Keller als Schriftsteller von europäischem Rang anerkannt. Hauptwerke 1854-80 1856-74 1878 1886
Der grüne Heinrich (Roman) Die Leute von Seldwyla (Novellen) Züricher Novellen (Novellen) Martin Salander (Roman)
Themen Die schwierige Überwindung des romantischen Erbes
Keller vertritt die bürgerlich-realistische Dichtung am deutlichsten. In seinem Werk kommt die schwierige Überwindung des romantischen Erbes sehr klar zum Ausdruck. Nach Kellers Meinung musste der damalige Mensch erst zwei typische romantische Fehler bekämpfen, um die Realität akzeptieren zu können: das Lügen und das Schmollen1. • Das Lügen bezeichnet die abstrakte Fantasie, eine weltabgewandte Haltung. • Das Schmollen ist die Folge des Lügens. Aus dem Bewusstsein der Spaltung zwischen Traum und Wirklichkeit ergibt sich die Unzufriedenheit des Menschen und folglich das Schmollen. Ein Schmollender ist immer schlecht gelaunt. Der Mensch, der diese zwei Fehler überwinden kann, wird tüchtig, d.h. er ist für das Leben geeignet. Solche Themen stehen im Mittelpunkt der Novellensammlung Die Leute von Seldwyla. Die Handlung spielt in Seldwyla, einem Städtchen in der Schweiz. Die schönsten Novellen sind Romeo und Julia auf dem Dorfe, Kleider machen Leute und Pankraz, der Schmoller. Textverständnis 1 Beantworte folgende Fragen. 1 Welcher Philosoph beeinflusste Kellers Weltanschauung? 2 Wie war Kellers Stellungnahme zur Politik? 3 Welche literarische Bewegung vertritt Keller? 4 Welche Fehler musste der damalige Mensch bekämpfen, um sich vom romantischen Erbe zu befreien und die Realität zu akzeptieren? 5 Was bedeutet bei Keller „tüchtig“?
1
s Schmollen (v. sost.): tenere il broncio
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6 Beschreibe die Novellensammlung Die Leute von Seldwyla.
Vormärz, Realismus und Naturalismus
Kleider machen Leute Die Novelle Kleider machen Leute aus der Sammlung Die Leute von Seldwyla (1856-1874) berichtet über den Ertüchtigungsprozess eines armen Schneiders namens Wenzel Strapinski.
T31
Der Radmantel2
T31
Wenzel hat durch den Konkurs eines Schneidermeisters seine Arbeit in Seldwyla verloren. Aus diesem Grund wandert er nach Goldach, um eine neue Arbeitsstelle zu suchen. Er ist nun sehr arm und besitzt nichts anderes als einen Fingerhut .
5
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1 r Ertüchtigungsprozess: (qui) processo di irrobustimento per saper affrontare la vita 2 r Radmantel, -̈: mantello ampio 3 r Fingerhut, -̈e: ditale 4 in Ermangelung: in mancanza di 5 unablässig: continuamente 6 s Reiben (v. sost.): lo sfregare 7 herwachsen: saltar fuori, sbucare 8 s Fechten (v. sost.): combattere per la sopravvivenza 9 mit schwarzem Sammet ausgeschlagen: foderato di velluto nero 10 s Schnurrbärtchen: baffetti 11 im Schilde führen: avere intenzioni nascoste 12 betteln: chiedere l’elemosina 13 überdies: inoltre 14 ablauschen: carpire (origliando) 15 vergnüglich: piacevole 16 erbauliche Anregung: stimolo edificante
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An einem unfreundlichen Novembertage wanderte ein armes Schneiderlein auf der Landstraße nach Goldach, einer kleinen reichen Stadt, die nur wenige Stunden von Seldwyla entfernt ist. Der Schneider trug in seiner Tasche nichts als einen Fingerhut, welchen er, in Ermangelung4 irgendeiner Münze, unablässig5 zwischen den Fingern drehte, wenn er der Kälte wegen die Hände in die Hosen steckte, und die Finger schmerzten ihm ordentlich von diesem Drehen und Reiben6; denn er hatte wegen des Fallimentes irgendeines Seldwyler Schneidermeisters seinen Arbeitslohn mit der Arbeit zugleich verlieren und auswandern müssen. Er hatte noch nichts gefrühstückt als einige Schneeflocken, die ihm in den Mund geflogen, und er sah noch weniger ab, wo das geringste Mittagbrot herwachsen7 sollte. Das Fechten8 fiel ihm äußerst schwer, ja schien ihm gänzlich unmöglich, weil er über seinem schwarzen Sonntagskleide, welches sein einziges war, einen weiten dunkelgrauen Radmantel trug, mit schwarzem Sammet ausgeschlagen9, der seinem Träger ein edles und romantisches Aussehen verlieh, zumal dessen lange schwarze Haare und Schnurrbärtchen10 sorgfältig gepflegt waren und er sich blasser, aber regelmäßiger Gesichtszüge erfreute. Solcher Habitus war ihm zum Bedürfnis geworden, ohne dass er etwas Schlimmes oder Betrügerisches dabei im Schilde führte11; vielmehr war er zufrieden, wenn man ihn nur gewähren und im Stillen seine Arbeit verrichten ließ; aber lieber wäre er verhungert, als dass er sich von seinem Radmantel und von seiner polnischen Pelzmütze getrennt hätte, die er ebenfalls mit großem Anstand zu tragen wusste. Er konnte deshalb nur in größeren Städten arbeiten, wo solches nicht zu sehr auffiel; wenn er wanderte und keine Ersparnisse mitführte, geriet er in die größte Not. Näherte er sich einem Hause, so betrachteten ihn die Leute mit Verwunderung und Neugierde und erwarteten eher alles andere, als dass er betteln12 würde; so erstarben ihm, da er überdies13 nicht beredt war, die Worte im Munde, also dass er der Märtyrer seines Mantels war und Hunger litt, so schwarz wie des letzteren Sammetfutter. […] Er beachtete wohl die Sitten seiner Gastfreunde und bildete sie während des Beobachtens zu einem Neuen und Fremdartigen um; besonders suchte er abzulauschen14, was sie sich eigentlich unter ihm dächten und was für ein Bild sie sich von ihm gemacht. Dies Bild arbeitete er weiter aus nach seinem eigenen Geschmacke, zur vergnüglichen15 Unterhaltung der einen, welche gern etwas Neues sehen wollten, und zur Bewunderung der anderen, besonders der Frauen, welche nach erbaulicher Anregung16 dürsteten. So ward er rasch zum Helden eines artigen Romanes, an welchem er gemeinsam mit der Stadt und liebevoll arbeitete, dessen Hauptbestandteil aber immer noch das Geheimnis war.
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GoTTFRIED KELLER
Textverständnis
und eine polnische
1 Antworte stichwortartig. Wer? • Wann? • Woher? • Wohin? • Warum?
2 Sammle nun alle Elemente zur Charakterisierung der Hauptfigur. 1 Bekleidung:
, die ihm ein und Aussehen verleihen. Auch seine langen, schwarzen und sein sind sorgfältig . Strapinski hat das Aussehen eines Adeligen, sodass die nicht glauben wollen, dass er in Wahrheit nichts zu hat.
Interpretation
2 Physische Merkmale:
3 Was verleihen ihm solche körperlichen Eigenschaften und Kleider?
4 Wie betrachten ihn die Leute und warum? 5 Ergänze die Zusammenfassung mit den fehlenden Worten. Wegen des eines Schneidermeisters hat Strapinski seine Arbeit als in Seldwyla Aus diesem Grund wandert er nach , um eine neue zu finden. Er ist sehr und besitzt nichts anderes als einen , den er in seiner Tasche hält. Er trägt einen dunkelgrauen
6 Warum war das Schneiderlein Märtyrer seines Mantels? 7 Konzentriere dich jetzt auf die letzten drei Zeilen des Textes. Es wird hier von einem literarischen Werk gesprochen. Beschreib es kurz. Welche rhetorische Figur hat der Autor hier benutzt? Autor Gattung Protagonist Hauptbestandteil
DEBATTE Bildet zwei Gruppen und nehmt Stellung zum folgenden Sprichwort: Kleider machen Leute.
PRO • Ein schönes Aussehen macht das Leben einfacher.
KONTRA
• Das schöne Äußere spiegelt eine schöne Innerlichkeit wider.
• Die Kleidung eines Menschen ordnet ihn in eine bestimmte Kategorie, die falsch sein könnte.
• Andere Meinungen.
• Man darf Menschen nicht nach ihrer Kleidung bewerten. • Andere Meinungen.
Fokus Der arme Schneider wird am Anfang der Novelle als romantische Figur dargestellt, die noch an die Träume der Jugend gebunden ist. Er ist hungrig und ohne Arbeit, aber er träumt von möglichem Glück. Trotz seiner Armut trägt Strapinski einen eleganten, dunkelgrauen Mantel und ist so gepflegt, dass er das Aussehen eines Adligen hat. Die Handlung dieser Novelle entwickelt sich aus der Spannung zwischen der Wirklichkeit, die Strapinski noch nicht für schön halten kann, und dem Schein, der von seiner Kleidung und seinem Aussehen ausgeht. Wegen seiner eleganten Kleidung halten ihn die Einwohner von Goldach für einen polnischen Grafen. Das träumerische Schneiderlein erzählt keine Lüge über sich selbst, hat aber auch nicht den Mut, die Wahrheit zu gestehen. Nicht nur Strapinski lebt von dieser trügerischen Welt, sondern auch die Einwohner Goldachs, die diese falsche romantische Stimmung zum Leben brauchen: „So ward er rasch zum Helden eines artigen Romanes, an welchem er gemeinsam mit der Stadt arbeitete, dessen Hauptbestandteil aber immer das Geheimnis war.“ Im weiteren Verlauf der Geschichte verliebt er sich in Nettchen, die Tochter des Amtmanns. Er ist glücklich und glaubt, dass seine Sehnsucht nach Größe endlich erfüllt ist. Bald gibt es aber einen Wendepunkt, der beweist, wie falsch diese Scheinwelt ist: Anlässlich des Verlobungsfestes von Strapinski und Nettchen werden auch die Einwohner von Seldwyla eingeladen, die Strapinski als Schneider kennen und somit den falschen Grafen demaskieren. Der verzweifelte Strapinski muss noch einmal fliehen. Aber Nettchen, die ihn wirklich liebt, kann endlich den armen Schneider retten. Sie lehrt ihn, die Realität zu akzeptieren. Sie erkennt auch, dass man auf das Lügen, auf die Scheinwelt des Traums verzichten soll, um glücklich zu werden. Strapinski äußert noch einmal die Absicht, in eine unbekannte Stadt auszuwandern, um dort seinen Traum zu verwirklichen. „Keine Romane mehr“ ist die Antwort Nettchens darauf. Das ist das Urteil Kellers über die falsche romantische Welt. Keller kritisiert in der Figur von Strapinski die Romantik, die typische romantische Stimmung und das Bedürfnis der damaligen Menschen nach Romantik und Schein.
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Vormärz, Realismus und Naturalismus
Frauenfiguren Die Pionierinnen der Frauenemanzipation Zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs stellten die Frauen ihre bisherige Rolle immer stärker infrage und sehnten sich nach mehr Rechten. Es kam zu sogenannten Frauenbewegungen, an deren Spitze starke Frauen standen, die sich gegen steife ordnungen in Familie und Gesellschaft, für eine Gleichberechtigung der Frau und für den Mutter- und Arbeitsschutz einsetzten. Diese Frauen waren Pionierinnen der Emanzipation. Bedeutende Wegbereiterinnen waren die Sozialistin Clara Zetkin, die Schriftstellerin Hedwig Dohm sowie die engagierte Frauenrechtlerin Louise Otto. In der deutschen Kaiserzeit war die Rolle der Frau noch klar umrissen: Im Idealbild der bürgerlichen Familie war sie für Heim, Kindererziehung und den Empfang von Gästen zuständig. Im Großbürgertum führte sie ein behütetes und privilegiertes Leben. Zwischen 1900 und 1909 erhielten Frauen das Immatrikulationsrecht, 1920 das Habilitationsrecht, ab 1924 die Möglichkeit, Richterinnen zu werden und 1908 die Vereinsfreiheit, die es Frauen ermöglichte, Mitglieder einer Partei zu werden. Für die Fabrikarbeiterinnen standen aber wirtschaftliche und soziale Probleme im Vordergrund. Die Interessen der Fabrikarbeiterinnen wurden von der proletarischen Frauenbewegung mit ihrer Anführerin Clara Zetkin vertreten. Im Rahmen der internationalen sozialistischen Arbeiterbewegung wollte die proletarische Frauenbewegung daher die volle Frauenemanzipation durch eine Revolution erreichen: Die Verbesserung der harten Arbeitsbedingungen und die im Vergleich zu den männlichen Kollegen schlechtere Bezahlung sowie Mutterschutz standen auf dem Programm. Zur Vernetzung der vielen unterschiedlichen Frauenvereine wurde 1894 der Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) gegründet, der sich außerdem dem „International Council of Women“ (ICW) anschloss.
Kuriosität Das Korsett Über Generationen galt die Wespentaille als weibliches Ideal. Seit der Jahrhundertwende bekämpften nun neben Ärzten auch Frauenrechtlerinnen das traditionelle Korsett als Gefahr für die Gesundheit, aber auch als Symbol der Unfreiheit der Frauen.
Hedwig Dohm.
Hedwig Dohm (1831-1919) Eine der wortgewaltigsten Verteidigerinnen des Feminismus im 19. Jahrhundert war die Schriftstellerin und Publizistin Hedwig Dohm. Sie zählt zu den bedeutendsten Stimmen der alten Frauenbewegung. Sie verfasste politische Essays, Romane, Novellen und sogar einige Märchen. Bekannt geworden ist sie vor allem für ihre scharfzüngige Literatur, in der sie sich massiv mit den Antifeministen ihrer Zeit auseinandersetzte. Viele misogyne Theorien stammten von Nervenärzten, Anatomen und Gynäkologen, die versucht hatten, die Inferiorität der Frau wissenschaftlich zu beweisen. Gegen diese naturwissenschaftlichen Beweise argumentierte Dohm, dass Frauen – wie Männer auch – Produkte ihrer Erziehung und der Gesellschaft seien. Von körperlichen Merkmalen darf man nicht auf geistige Fähigkeiten schließen. Dohm wörtlich: „‚Der Mann hat längere Beine als die Frau‘, bemerkt sehr richtig Herr von Bischof [sic!]. Ein Schlusssüchtiger könnte daraus schließen, dass der Mann sich mehr zum Briefträger eigne als die Frau.“ Bereits 1873 forderte Hedwig Dohm als Erste in Deutschland das Stimmrecht für Frauen und die völlige rechtliche, soziale und ökonomische Gleichberechtigung von Männern und Frauen.
Textverständnis 1 Worin besteht der größte Verdienst von Hedwig Dohm?
Digitale Kompetenz 2 Sucht im Internet Informationen über Clara Zetkin und Louise Otto und macht vor euren Klassenkameraden eine kurze Präsentation mit Fotos und den wichtigsten Daten zum Leben und zur Bedeutung dieser Frauen.
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Theodor FONTANE (1819-1898) WIR ENTDECKEN DEN AUTOR
THEODOR FONTANE
Realismus
Naturalismus
Prosa
Theater
G. Keller Die Leute von Seldwyla (Kleider machen Leute) T. Fontane Effi Briest
G. Hauptmann Die Weber
LEBEN UND WERK FOKUS AUF EFFI BRIEST ENDBEWERTUNG
LITERATUR IM 19. JAHRHUNDERT
Vormärz
Video
Leben und Werke Theodor Fontane wurde in der Nähe von Berlin als Sohn einer französischen Familie geboren. Er war zuerst Apotheker und begann erst später zu publizieren. In den Jahren 1855-1859 arbeitete er in den Diensten der preußischen Regierung als Berichterstatter in England, danach war er als Redakteur bei der „Kreuz-Zeitung“ und schließlich als Theaterkritiker tätig. In seinem Leben unternahm er verschiedene Europareisen. Ab 1876 lebte er bis zu seinem Tode als freier Schriftsteller in Berlin. Fontane war fast 60 Jahre alt, als er 1878 den Roman Vor dem Sturm veröffentlichte. Vorher hatte er Balladen, Reiseberichte und Artikel verfasst. Er entdeckte erst im Alter die literarische Gattung, die seiner Persönlichkeit am besten angemessen war, und zwar den gesellschaftlichen Roman. Hauptwerke 1862-82 1878 1888 1894-95
Wanderungen durch die Mark Brandenburg (Reiseschilderungen) Vor dem Sturm (Roman) Irrungen, Wirrungen (Roman) Effi Briest (Roman)
Themen
Textverständnis 1 Beantworte folgende Fragen. 1 Mit welcher Stadt ist das literarische Schaffen von Fontane verbunden? 2 Welche literarische Gattung pflegte Fontane besonders? 3 Was charakterisiert seine Figuren? 4 Was war Fontanes beliebtestes Kunstmittel?
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Fast alle Werke von Fontane spielen in Berlin unter Vertretern der untergehenden preußischen Aristokratie und des aufsteigenden Bürgertums. Im Mittelpunkt seiner Romane stehen die Fragen: Was ist eigentlich die Gesellschaft? Welche Rolle spielt sie im Leben des Individuums? Wie kann man in der Gesellschaft würdig leben? Das Gespräch wird bei Fontane zum beliebtesten Kunstmittel, sodass sein Gesellschaftsroman oft aus einer Salonunterhaltung der hohen Aristokratie besteht. Es gibt kaum eine Handlung, weil sich die Protagonisten darauf beschränken, miteinander Konversation zu machen. Mit dem Gespräch verfolgt Fontane verschiedene Zwecke: Jedes Problem kann von verschiedenen Perspektiven aus betrachtet werden und die Einzelfiguren können besser charakterisiert werden. Die Salonunterhaltung seiner Ehebruchromane gehört einer Welt an, wo der Ehrenkodex das Leben des Individuums bestimmt. Die Hauptfigur des Salons ist bei Fontane eine junge, unreife Frau, die immer wohlerzogen ist, auch wenn sie manchmal keine gute Bildung besitzt. Ihr Mangel an Kultur betont ihre Schönheit und zeigt zugleich ihre Unreife. Sie ist ein ewiges Kind und soll es bleiben: Sie lebt fernab von der Wirklichkeit. Eine solche weibliche Figur und das Thema des Ehebruchs stehen im Mittelpunkt von Effi Briest. In diesem Roman, der 1894-1895 verfasst wurde, gestaltete Fontane seine vollkommene weibliche Figur, die den Vorurteilen der preußischen Gesellschaft zum Opfer fällt.
Vormärz, Realismus und Naturalismus
Effi Briest Die junge Effi heiratet auf Wunsch ihrer Eltern den 38-jährigen Baron von Innstetten. Effi hat keinen starken Charakter und wird zuerst von den Eltern und dann von ihrem Mann wie ein Kind behandelt. Das Ehepaar von Innstetten führt im Städtchen Kessin ein eintöniges Leben ohne Liebe. Auch nachdem Effi ein Kind bekommen hat, fühlt sie sich einsam. Als sie aber den jungen offizier Crampas kennenlernt, erfährt sie, was Liebe und Leidenschaft sind. Im Laufe der Zeit wird diese Leidenschaft gefährlich und daher ist Effi glücklich, als sie mit ihrem Mann nach Berlin ziehen und den offizier vergessen kann. Sechs Jahre später findet Innstetten zufällig die Liebesbriefe, die sie von Crampas bekommen hatte.
T32
Das Gespräch mit Ministerialrat Wüllersdorf
Im folgenden Auszug bespricht Innstetten mit Ministerialrat Wüllersdorf den Verrat seiner Frau. Schließlich sieht Innstetten nur eine mögliche Lösung: Er fordert Crampas zu einem Duell.
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1 r Galan, -e: spasimante 2 r Nähtisch, -e: tavolino da cucito 3 durchaus: assolutamente 4 verletzt: ferito 5 beleidigt: offeso 6 empört: indignato 7 schändlich hintergangen: vergognosamente raggirato 8 r Bann, -e: potere magico 9 mir selbst zum Trotz: a dispetto di me stesso 10 r Herzenswinkel, -: cantuccio del cuore
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T32
VOR DEM LESEN Was erwartest du von einem gemeinsamen Leben mit der Person, die du liebst?
Wüllersdorf trat ein und sah auf den ersten Blick, dass etwas vorgefallen sein müsse. […] „Aber nun sagen Sie, was ist es?“ „Es handelt sich um einen Galan1 meiner Frau, der zugleich mein Freund war oder doch beinah.“ Wüllersdorf sah Innstetten an. „Innstetten, das ist nicht möglich.“ „Es ist mehr als möglich, es ist gewiss. Lesen Sie.“ Wüllersdorf flog drüber hin. „Die sind an Ihre Frau gerichtet?“ „Ja. Ich fand sie heut’ in ihrem Nähtisch2.“ „Und wer hat sie geschrieben?“ „Major Crampas.“ „Also Dinge, die sich abgespielt, als Sie noch in Kessin waren?“ Innstetten nickte. „Liegt also sechs Jahre zurück oder noch ein halb Jahr länger.“ „Ja. […] Ich bin neugierig, wie Sie das meinen. Sagen Sie mir offen, wie stehen Sie dazu?“ „Innstetten, Ihre Lage ist furchtbar, und Ihr Lebensglück ist hin. Aber wenn Sie den Liebhaber totschießen, ist Ihr Lebensglück sozusagen doppelt hin, und zu dem Schmerz über empfangenes Leid kommt noch der Schmerz über getanes Leid. Alles dreht sich um die Frage, müssen Sie’s durchaus3 tun? Fühlen Sie sich so verletzt4, beleidigt5, empört6, dass einer weg muss, er oder Sie? Steht es so?“ „Ich weiß es nicht.“ „Sie müssen es wissen.“ […] „Es steht so, dass ich unendlich unglücklich bin; ich bin gekränkt, schändlich hintergangen7, aber trotzdem, ich bin ohne jedes Gefühl von Hass oder gar von Durst nach Rache. […] Ich liebe meine Frau, ja, seltsam zu sagen, ich liebe sie noch, und so furchtbar ich alles finde, was geschehen, ich bin so sehr im Bann8 ihrer Liebenswürdigkeit, eines ihr eignen heiteren Charmes, dass ich mich, mir selbst zum Trotz9, in meinem letzten Herzenswinkel10 zum Verzeihen geneigt fühle.“ Wüllersdorf nickte: „[…] Aber wenn Sie so zu der Sache stehen und mir sagen – Ich liebe diese Frau so sehr, dass ich ihr alles verzeihen kann – und wenn wir dann das andere hinzunehmen, dass alles weit, weit zurückliegt, wie ein Geschehnis auf einem andern Stern, ja, wenn es so liegt, Innstetten, so frage ich, wozu die ganze Geschichte?“ „Weil es trotzdem sein muss. Ich habe mir’s hin und her überlegt. Man ist nicht
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THEoDoR FONTANE 35
11 Rücksicht nehmen auf: aver riguardo per
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bloß ein einzelner Mensch, man gehört einem Ganzen an, und auf das Ganze haben wir beständig Rücksicht zu nehmen11, wir sind durchaus abhängig von ihm. Ging es, in Einsamkeit zu leben, so könnt’ ich es gehen lassen. […] Aber im Zusammenleben mit den Menschen hat sich ein Etwas ausgebildet, das nun mal da ist und nach dessen Paragrafen wir uns gewöhnt haben, alles zu beurteilen, die andern und uns selbst. Und dagegen zu verstoßen geht nicht; die Gesellschaft verachtet uns […]. Ich habe keine Wahl. Ich muss.“
Textverständnis 1 Beantworte folgende Fragen.
3 Was treibt Innstetten zum Duell? Warum handelt er so?
1 Was zeigt Innstetten dem Ministerialrat Wüllersdorf?
Kreuze an.
2 Auf welche Zeit geht das Gezeigte zurück?
a
Aus Rachedurst.
3 Wüllersdorf sagt: „Alles dreht sich um die Frage ...“ Könntest du die Frage und Innstettens Antwort darauf mit deinen Worten formulieren?
b
Aus Hass.
c
Aus Stolz.
d
Weil er den Ehrenkodex respektieren muss.
4 In welchem Verhältnis steht jetzt Innstetten zu seiner Frau?
4 Was meint Innstetten mit „das Ganze“ und „ein Etwas“?
5 Wie rechtfertigt Innstetten seine Entscheidung für ein Duell mit Crampas?
Diskussion im Plenum
Interpretation 2 Welche Begriffe passen zu Innstetten? Kreuze an. a
an die Konventionen gebunden
5 Die Geschichte einer Frau als Opfer gesellschaftlicher Vorurteile. Ein Thema der Vergangenheit oder noch heute aktuell?
f
hartnäckig
Digitale Kompetenz
g
heuchlerisch
6 Bildet kleine Gruppen und sucht im Internet einige aktuelle
h
innerlich verletzt
b
auf das Scheinbare gerichtet
i
selbstsicher
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bereit zu verzeihen
j
sensibel
d
fühlt sich verraten
k
unglücklich
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glücklich
l
verliebt
Geschichten von jungen Frauen, die auf Wunsch ihrer Eltern einen Mann haben heiraten müssen, den sie sich nicht frei gewählt haben. Was waren die Folgen? Jede Gruppe berichtet dann der Klasse über eine wahre Geschichte der Gegenwart (2 Minuten lang).
Fokus An dem Unglück von Effi sind ihre Eltern, aber besonders ihr reifer Mann schuld: Er will die erzieherische Aufgabe ihrer Eltern weiterführen. Auf dem Weg zur Erziehung unterzieht er manchmal seine junge Frau gefährlichen, pädagogischen Experimenten, wodurch Effi (und nicht ihr Mann!) verstehen kann, wie sie in der Tat kein Kind mehr ist. Seinem Freund Wüllersdorf, mit dem er den Betrug seiner Frau bespricht, sagt er: „Ich liebe meine Frau, ja, seltsam zu sagen, ich liebe sie noch […] Aber im Zusammenleben mit den Menschen hat sich ein Etwas ausgebildet, das nun mal da ist und nach dessen Paragrafen wir uns gewöhnt haben, alles zu beurteilen, die anderen und uns selbst. Und dagegen zu verstoßen, geht nicht. […] Ich habe keine Wahl. Ich muss.“ Der Ehrenkodex seiner Klasse zwingt Innstetten zu einem Duell mit Crampas, bei dem der junge offizier stirbt. obwohl Baron von Innstetten seine Frau noch immer liebt, muss er sie verlassen. Es ist nicht der Betrug selbst, der ihn zur Rache bewegt und zur Scheidung führt, sondern der abstrakte Ehren- und Sittenkodex der Gesellschaft, der zu einer zweiten, mächtigeren Natur geworden ist. Die Ehescheidung wird unvermeidlich. Baron von Innstetten zerstört das Leben seiner Frau, aber er hat keine andere Wahl. Effi wird von ihrem Mann weggeschickt und ihr Kind wird natürlich dem Vater zugesprochen. Selbst von ihren eigenen Eltern wird Effi abgelehnt. Erst nach vielen Jahren darf sie ihre Tochter wiedersehen und muss leider feststellen, dass das Mädchen ganz die Kreatur ihres Vaters geworden ist. Während ihrer Begegnung wiederholt die Tochter auf jeden Vorschlag ihrer Mutter mechanische Antworten („o gewiss, wenn ich darf!“), die Ausdruck der totalen Beherrschung ihrer Natur durch die gesellschaftlichen Konventionen sind. Die Tragödie von Effi besteht darin, dass sie um ihrer Mutter willen verurteilt ist, ein ewiges Kind zu bleiben, das von den Händen ihres Vaters in die Hände eines Mannes gerät, der der Ehemann ihrer Mutter hätte werden sollen. Von ihrer Mutter wird Effi als Mittel benutzt, um deren Jugendtraum zu verwirklichen. Effi fällt den Vorurteilen der Gesellschaft zum Opfer und stirbt wenige Jahre später ganz allein. Bis zur letzten Stunde
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Vormärz, Realismus und Naturalismus
ihres Lebens ist sie tief überzeugt, opfer der wilden Regeln einer unmenschlichen Gesellschaft gewesen zu sein. („o gewiss, wenn ich darf! […] ich will nicht mehr, ich hass’ euch, auch mein eigen Kind. […] Ein Streber war er, weiter nichts – Ehre, Ehre, Ehre […] Und dann hat er den armen Kerl totgeschossen, den ich nicht einmal liebte und den ich vergessen hatte, weil ich ihn nicht liebte. Dummheit war alles, und nun Blut und Mord. […] Mich ekelt, was ich getan; aber was mich noch mehr ekelt, das ist eure Tugend.“) Fontane verurteilt nicht Effi, die zum opfer erstarrter Konventionen wird, sondern die Unnatürlichkeit, die Herzlosigkeit und den heuchlerischen Ehrenkodex der aristokratischen Gesellschaft.
KINOPORTAL Effi Briest (2009) von Hermine Huntgeburth 1 Sucht im Internet den deutschen Kino-Trailer zum Film Effi Briest (2009) und beantwortet folgende Fragen. 1 Wann spielt die Geschichte? 2 In welchem gesellschaftlichen Milieu? 3 Es kommen verschiedene Hauptpersonen zu Wort. Wer sind sie? 4 Drei Männer kreisen um Effi. Welche Rolle spielen sie in ihrem Leben? 5 Ergänze: Was sagt Effis Vater, als Innstetten um die Hand seiner Tochter bittet? „Ich habe
dagegen.“
6 Mit welchem Mann erlebt Effi die Leidenschaft? 7 Ergänze: Effi ist eine junge Frau, die dem Konflikt zwischen Leidenschaft und
erliegen soll.
8 Was passiert in einer Szene, wo Effis zwei Männer (Innstetten und Crampas) zusammen sind? 9 Wie würdest du die Stimmung des Films definieren?
2 Beobachte nun die zwei Fotos hier unten und ergänze die Lücken mit den angegebenen Elementen. Beide Szenen spielen am , am . Auf dem ersten sehen wir Effi mit ihrem , dem von Innstetten. Er sieht aus als sie. Beide tragen Kleidung und die Atmosphäre ist . Effi scheint und besorgt zu sein. Auf dem zweiten sehen wir Effi mit einem offizier, der heißt. Er trägt . eine und sie hat Kleider an. Die Stimmung ist heiter: Beide
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Perspektiven WELTLITERATUR Realistische Tendenzen in Europa Gustave Flaubert.
Frankreich Die realistischen Tendenzen verwirklichten sich in der französischen Literatur mit Autoren wie Gustave Flaubert (1821-1880) und Émile Zola (1840-1902). Der erste war ein Vorläufer, der zweite der Hauptvertreter des Naturalismus. Der Naturalismus proklamierte die Kunst als objektive, wissenschaftliche und unpersönliche Wiedergabe der Wirklichkeit. Zu diesem Zweck bedienten sich die Naturalisten der Beschreibungsmethoden der Naturwissenschaften und schilderten die Lebensumstände der niedrigsten Schichten der Bevölkerung. Die Veröffentlichung des Romans Madame Bovary (1857) von Gustave Flaubert löste einen Skandal in der damaligen französischen Gesellschaft aus. Durch die Beschreibung der ehebrecherischen Beziehungen der Protagonistin konnte Flaubert die Heuchelei der bürgerlichen Gesellschaft entlarven und angreifen.
Italien
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e Heuchelei: ipocrisia entlarven: mettere a nudo
Charles Dickens.
Der italienische Verismo entstand wie der französische Naturalismus in enger Verbindung zum Positivismus. Vom Positivismus übernahm der Verismo die wissenschaftliche Methode, nicht aber das optimistische Vertrauen in eine Verbesserung der Lebensumstände. Während Zola die Lebensumstände des Pariser Proletariats schilderte, beschrieb der Sizilianer Giovanni Verga (1840-1922) die schwierigen Lebensumstände der Bauern und Fischer in Süditalien. Der Roman I Malavoglia (1881) zeigt die Verelendung einer sizilianischen Fischerfamilie, die nach sozialem Aufstieg strebt. Unter dem Einfluss der Theorien von Darwin verstand Verga den menschlichen Fortschritt als Resultat des Kampfes ums Überleben. Verga fühlt es als seine Aufgabe, die menschliche Gesellschaft auf objektive und wissenschaftliche Weise zu beobachten und zu beschreiben, ohne am Dargestellten teilzunehmen. Der Verzicht auf persönliche Stellungnahme und Kommentare ist in Verga so wichtig, dass der Schriftsteller hinter der dargestellten Wirklichkeit verschwindet. Dieses sogenannte artificio della regressione erreicht in der freien indirekten Rede seinen Höhepunkt. Der Autor gibt Gedanken oder Worte der Gestalten wieder, ohne sie durch Formeln wie disse che, oder pensò che einzuführen und ohne Anführungszeichen wie in der direkten Rede. Die Grenze zwischen den Gedanken des Autors und denen seiner Gestalten ist sehr vage. Giovanni Verga.
England In England gilt Charles Dickens (1812-1870) mit seinen Romanen Oliver Twist (1837-1838), David Copperfield (1850) und Hard Times (1854) als Vertreter einer Literatur der Wirklichkeit. Dickens’ Helden stammen aus den niedrigsten Klassen, sie sind Vertreter des Großstadtproletariats. Dickens beschrieb die vielfältigen Aspekte der neuen, industriellen und bürgerlichen Gesellschaft mit einer grundlegend optimistischen Haltung. Trotzdem kritisiert er die moralische Verworfenheit dieser Gesellschaft. Dickens gilt als Meister des Humors, viele seiner Gestalten sind Verkörperungen einer übertriebenen menschlichen Eigenschaft.
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Vormärz, Realismus und Naturalismus
Russland Die russische Literatur wird erst mit den Romanen von Lew Tolstoi (1828-1910) und Fjodor Dostojewski (1821-1881) weltberühmt. In seinem Roman Krieg und Frieden (1863-1869) zeichnet Tolstoi ein grandioses Fresko der russischen Gesellschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Tolstoi beschreibt das Leben der Aristokratie, den Krieg gegen Napoleon und den darauffolgenden Wiederbeginn. Eine besondere Sympathie zeigt Tolstoi für die einfachen Leute, Diener und Bauern, die oft die einzigen Vertreter echter Gefühle sind. In seinem berühmtesten Roman Schuld und Sühne (1866) erzählt Dostojewski die Geschichte eines fast perfekten Mordes. Der Jurastudent Raskolnikow glaubt, gewissenlos zu sein. Er plant zwar den perfekten Mord und führt ihn durch, hat aber danach tiefe Schuldgefühle. Er gesteht den Mord und wird zu acht Jahren in einem sibirischen Straflager verurteilt. Erst dank seiner Liebe zu Sonja bereut er sein Verbrechen.
Fjodor Dostojewski.
Textverständnis 1 Ergänze die Tabelle mit den wichtigsten Informationen über die realistischen Tendenzen in Europa. Land
Autoren und Werke
Themen
SPUNTI PER IL CAPOLAVORO 2 Während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts werden drei Meisterwerke veröffentlicht, in deren Mittelpunkt drei weibliche Figuren stehen: Madame Bovary von Gustave Flaubert, Effi Briest von Theodor Fontane und Anna Karenina von Lew Tolstoi. Suche Informationen über diese drei wichtigen Romane und schreib eine kurze Charakterisierung der drei weiblichen Gestalten (max. 50 Wörter pro Figur). Effi Briest (Theodor Fontane)
Madame Bovary (Gustave Flaubert)
Anna Karenina (Lew Tolstoi)
3 Wähle aus den zitierten Quellen der internationalen Literatur ein Werk aus und erstelle daraus eine Webseite mit den Informationen aus dem Internet.
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Gerhart HAUPTMANN (1862-1946) Leben und Werke
LITERATUR IM 19. JAHRHUNDERT
Vormärz
Realismus
Naturalismus
Prosa
Theater
G. Keller Die Leute von Seldwyla (Kleider machen Leute) T. Fontane Effi Briest
G. Hauptmann Die Weber
Hauptmann stammte aus einer schlesischen Weberfamilie. Sein Großvater war ein Weber und dessen Erzählungen über den Weberaufstand 1844 bilden zweifellos die bedeutendste Quelle für das Meisterwerk Die Weber (1892), das Hauptmann nach einer Reise nach Schlesien schrieb. Entscheidend war seine Freundschaft mit dem Naturalisten Arno Holz. Bald wurde Hauptmann, neben Ibsen und Tschechow, in ganz Europa als einer der bedeutendsten Dramatiker des modernen Theaters betrachtet. 1912 bekam Hauptmann den Nobelpreis für Literatur. Er starb 1946 in Agnetendorf (Schlesien). 1892 verfasste Hauptmann sein Meisterwerk, das Sozialdrama Die Weber. Die Uraufführung des Stücks (1893) rief einen Skandal hervor. Stoff des Dramas ist der Weberaufstand 1844. Fabrikarbeiter gab es damals in Deutschland noch nicht sehr viele. Man schätzt, dass es weniger als 5 % aller Beschäftigten waren. Weit mehr Arbeiter verdienten ihr Geld in Heimarbeit. Diesen ging es sehr schlecht. Sie erhielten Garn oder Wolle von einem Großhändler und webten zu Hause an ihrem Handwebstuhl Leinwand oder Wollstoffe. Sie wurden sehr schlecht bezahlt. Die Gebrüder Zwanziger z.B. zahlten im Jahre 1844 in Peterswaldau (Niederschlesien) für ein Stück Leinwand, an dem ein Weber acht Tage zu arbeiten hatte, zwölf Silbergroschen. Der Unternehmer verdiente dagegen das Fünfhundert- bis Tausendfache. Als bei einer Lohnverkürzung die Weber erklärten, dass sie so nicht mehr leben konnten, ja, nicht einmal mehr Kartoffeln kaufen konnten, sollen die Zwanziger gesagt haben, die Weber könnten ja, wenn sie nichts anderes hätten, Gras fressen, davon gebe es reichlich. Die Reaktion der Unternehmer trieb die Weber zum Aufstand gegen ihre Arbeitgeber, der vom Militär blutig niedergeschlagen wurde. Fünfzig Jahre später war der Weberaufstand fast zu einer Legende geworden. Im Drama fehlen sowohl die klassischen Einheiten als auch ein klassischer Held. Das Elend der Weber ist der einzige Held. Hauptfigur ist die namenlose Webermasse, die gegen den Kapitalismus rebelliert. Hauptwerke 1888 1889
Bahnwärter Thiel (Novelle) Vor Sonnenaufgang (Drama)
1892 1932
Die Weber (Drama) Vor Sonnenuntergang (Drama)
Themen Hauptmanns literarisches Schaffen unterscheidet sich von dem der Berliner Naturalisten, die sich fast ausschließlich für das großstädtische Proletariat interessierten. Lebenslang zeigte Hauptmann eine spontane Vorliebe für die kleinen Leute auf dem Lande oder in der Kleinstadt. Volk, Dialekt, familiäre Konflikte, Angst- und Schulderlebnisse, Religiosität und fatalistische Schicksalsgläubigkeit einfacher Menschen bilden immer den Stoff seiner Werke. Textverständnis 1 Beantworte folgende Fragen. 1 Welche autobiografischen Elemente bestimmten thematisch Hauptmanns Meisterwerk Die Weber? 2 Wodurch wurde seine naturalistische Schaffensphase beeinflusst? 3 Welche Themen behandelt Hauptmann in seinen Werken?
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Vormärz, Realismus und Naturalismus
Die Weber Das 1892 verfasste Drama besteht aus fünf Akten, die in Wirklichkeit fünf Einzelbilder sind. Jede Szene führt den Zuschauer in eine neue Umgebung: ins Büro der Fabrik, in eine Kneipe, in das Haus des Fabrikbesitzers. Da dieses Drama in schlesischem Dialekt geschrieben und daher sehr schwer zu verstehen ist, wird hier ein Auszug wiedergegeben, der ins Hochdeutsche übersetzt worden ist.
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Die Revolte bricht aus aus: Szene fünf
Ein revolutionäres Lied verleitet die Weber zu einem Aufstand ohne Organisation und ohne einen Führer. In der fünften Szene zerstören die Weber das Haus des Fabrikanten Dreißiger.
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15 1 hereinstürzen: irrompere 2 r Pferdeeimer, -: secchio da cavallo 3 s Gebrüll: ruggito, grida 4 r Expedient, -en: impiegato (addetto alle spedizioni) 5 wimmern: piagnucolare 6 winseln: frignare 7 überhäufen mit + D.: ricoprire di qualcosa 8 e Liebkosung, -en: carezza 9 streicheln: accarezzare 10 hemmen: frenare 11 allergnädig: grazioso, gentile, clemente 12 drängeln: spingere 13 hereinstoßen: spingere dentro 14 e Schüchternheit: timidezza 15 zerlumpt: cencioso 16 geflickt: rattoppato 17 e Jammergestalt, -en: immagine della disperazione 18 zugrunde richten: rovinare, distruggere 19 einen hellen Kopf behalten: mantenere la mente lucida
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VOR DEM LESEN Wie stellst du dir die ideale menschliche Beziehung zwischen Arbeitnehmern und Unternehmer vor?
pfeifer (stürzt herein1): Herr Dreißiger, am Hintertor stehen auch schon Leute. Die Haustüre hält keine drei Minuten mehr. Der Wittigschmied schlägt mit einem Pferdeeimer2 daran, wie ein Verrückter. (von unten Gebrüll3): ... Expedient4 Pfeifer soll herauskommen – Expedient Pfeifer soll herauskommen. […] pfeifer (horcht auf, wechselt die Farbe, versteht den Ruf und ist im nächsten Moment von wahnsinniger Angst erfasst. Das Folgende weint, wimmert5, bettelt, winselt6 er in rasender Schnelligkeit durcheinander. Dabei überhäuft7 er Dreißiger mit kindischen Liebkosungen8, streichelt9 ihm Wangen und Arme, küsst seine Hände und umklammert ihn schließlich wie ein Ertrinkender, ihn dadurch hemmend10 und fesselnd und nicht von ihm loslassend): Ach liebster, schönster, allergnädigster11 Herr Dreißiger, lassen Sie mich nicht zurück, ich habe Ihnen treu gedient, ich habe auch die Leute immer gut behandelt. Mehr Lohn als der, der festgesetzt war, konnte ich ihnen doch nicht geben. Verlassen sie mich nicht, sonst machen sie mich kalt. Wenn sie mich finden, schlagen sie mich tot. Ach Gott im Himmel, ach Gott im Himmel. Meine Frau, meine Kinder ... Dreissiger (indem er geht, vergeblich bemüht, sich von Pfeifer loszumachen): Lassen Sie mich doch wenigstens los, Mensch. Das wird sich ja finden; das wird sich ja alles finden. (Ab mit Pfeifer.) ausrufe: Links. – oben hinauf. – psst – langsam. langsam. – nicht drängeln12 – oh, ich hab ein Ding. – Weg von hier. – Wir gehen zur Hochzeit. – Geh du hinein. Oh, geh du. (Es erscheinen nun junge Weber und Webermädchen in der Flurtür, die nicht wagen einzutreten und eines das andere hereinzustoßen13 suchen. Nach einigen Sekunden ist die Schüchternheit14 überwunden, und die ärmlichen, magern, teils kränklichen, zerlumpten15 oder geflickten16 Gestalten verteilen sich in Dreißigers Zimmer und im Salon, alles zunächst neugierig und scheu betrachtend, dann betastend. Mädchen versuchen die Sofas; es bilden sich Gruppen, die ihr Bild im Spiegel bewundern. Es steigen einzelne auf Stühle, um die Bilder zu betrachten und herabzunehmen, und dazwischen strömen immer neue Jammergestalten17 vom Flur herein.) ein alter Weber: Nein, nein, da lasst mich aber aus dem Spiel. Unten fangen sie schon an und richten die Sachen zugrunde18. Was für eine Tollheit. Das hat doch keinen Sinn. Am Ende kommt noch etwas sehr Böses dabei heraus. Wer hier einen hellen Kopf behält19, der macht nicht mit. Ich werde vorsichtig sein und mich nicht
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GERHART HAUPTMANN 20 heiser: rauco 21 r Menschenschinder, -: aguzzino 22 r Sägespan, -̈e: segatura 23 aushungern: far morire di fame 24 s Dreißigervieh: bestia di Dreißiger
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an solchen Untaten beteiligen. (Jäger, Bäcker, Wittig mit einem hölzernen Eimer, der alte Baumert und eine Anzahl junger und alter Weber kommen wie auf der Jagd nach etwas hereingestürmt, mit heiseren20 Stimmen durcheinanderrufend.) Jäger: Wohin ist er geflohen? bäcker: Wo ist der Menschenschinder21? Der alte baumert: Wenn wir Gras fressen sollen, so friss du Sägespäne22. Wittig: Wenn wir ihn kriegen, hängen wir ihn auf. 1. Junger Weber: Wir nehmen ihn an den Beinen und werfen ihn zum Fenster hinaus, auf die Steine, dass er für immer liegenbleibt. 2. Junger Weber: Er ist fort über alle Berge. bäcker: Pfeifer auch? stimmen: Sucht Pfeifer. Sucht Pfeifer. Der alte baumert: Such, such, Pfeiferchen, es ist ein Webersmann auszuhungern23. Jäger: Wenn wir es auch nicht kriegen, das Dreißigervieh24... arm soll er werden. 50 bäcker: Halt, hört auf mich. Wenn wir hier fertig sind, dann fangen wir erst recht an. Von hier aus gehen wir nach Bielau hinunter, zu Dietrich, der die 55 mechanischen Webstühle hat. Das ganze Elend kommt von den Fabriken. ansorge: ... Wer bin ich? Der Weber Ansorge. […] Geht weg, geht weg, ihr Rebellen.
Emil orlik, Die Weber, 1897. Textverständnis 1 Hier stehen sich zwei Gruppen gegenüber. Ordne die Namen der Sprechenden zu. Erste Gruppe
Zweite Gruppe
2 Charakterisiere Pfeifers Haltung. Kreuze an. a
ängstlich
c
feige
e
großherzig
g
opportunistisch
b
erschrocken
d
gleichgültig
f
mutig
h
schmeichlerisch
3 Die Weber stürmen nun ins Haus des Fabrikanten Dreißiger. Wie werden sie beschrieben? 1 Aussehen:
2 Benehmen:
4 Sind die Weber eine homogene Gruppe? Wer vertritt welche Position? Wer? 1. Position 2. Position 3. Position 4. Position
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Was?
Vormärz, Realismus und Naturalismus
Interpretation 5 Wer ist deiner Meinung nach die echte Hauptfigur des Dramas? a
b
Pfeifer.
c
Dreißiger.
Die Weber.
6 Warum benutzt Hauptmann den schlesischen Dialekt? 7 Welchen Zweck verfolgt Hauptmann mit seiner Sprachdifferenzierung?
Diskussion im Plenum 8 Die Rolle des Dialekts in der heutigen Gesellschaft. Beantwortet folgende Fragen. 1 Wer spricht heute noch Dialekt? 2 Soll Dialekt bleiben oder verschwinden? 3 Dialekt in der Literatur: ja oder nein?
DEBATTE Bildet zwei Gruppen und diskutiert über Pro und Kontra von Dialekt.
PRO • Der Dialekt stärkt das Gemeinschaftsgefühl. • Das Sprechen von Mundarten kommt der Zweisprachigkeit sehr nahe. • Dialekt ist das Ergebnis der Geschichte einer Region. • Andere Meinungen.
KONTRA • Kindern, die immer Mundarten sprechen, fällt es schwerer, das Lesen und Schreiben zu erlernen. • Es kann Gruppierungen innerhalb einer Klasse verursachen: Schüler, die Dialekt sprechen, und Schüler, die Hochdeutsch sprechen. • Es ist für Ausländer schwieriger, eine neue Sprache zu erlernen, wenn sie ständig Dialekt hören. • Andere Meinungen.
Fokus In der fünften Szene bricht die offene Revolte der Weber aus. Sie stürmen das Haus des Fabrikanten Dreißiger. • Die Gestalt, die in dieser Szene am besten charakterisiert wird, ist Pfeifer. Er, der Expedient Dreißigers, der lange Zeit die Weber ausgenützt hat, erscheint hier erschrocken, denn er fürchtet sich vor der Rache der verzweifelten Weber. Pfeifer ist in allem von Dreißiger abhängig, er ist unterwürfig und schmeichelt ihm auf kindische Weise. Dreißiger will sich aber Pfeifers entledigen, als wäre er eine Last. • In der Zwischenzeit stürmen die Weber ins Haus. Sie werden als schüchtern, ärmlich, zerlumpt, mager, kränklich und neugierig beschrieben. Sie handeln nicht nach einem bestimmten Plan und sie haben auch keinen Anführer, der sie leitet. Sie erscheinen als eine formlose Masse, die alles zerstört. Es gibt Meinungsverschiedenheiten und Kontraste zwischen alten und jungen Webern. Die ersten, pietistisch erzogen, sind davon überzeugt, dass es ihre Pflicht sei, immer treu am Webstuhl zu sitzen und zu arbeiten, während die zweiten revolutionäre Ideen haben. Ein alter Weber spricht z.B. von Untat und möchte nicht mitmachen. Er sieht etwas Böses voraus und hat Angst vor einer Strafe. Andere wieder sind rachedurstig und konfus. Das Einschreiten der Polizei zerstreut am Ende die Demonstranten. • In diesem Drama charakterisieren Sprachniveau und Sprechweise die einzelnen Personen. Dreißiger spricht z.B. ein korrektes Hochdeutsch, Pfeifer hingegen eine Mischung aus wenig Hochdeutsch und viel Dialekt, mit Fehlern und unvollständigen Sätzen. Die Sprache der Weber besteht aus Dialekt, Grammatikfehlern und Satzfetzen. Durch diese Differenzierung des Sprachstils erreicht Hauptmann eine bessere Charakterisierung der Personen und zeigt die enge Beziehung zwischen Bildung und sozialer Lage.
Pfeifer
Die Webermasse
Sprachdifferenzierung
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Sozialkunde Geschlechtergleichheit Wenn wir an die traurige Geschichte von Effi Briest denken, fällt uns das Ziel 5 der Agenda 2030 ein: Geschlechtergleichstellung erreichen und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen – insbesondere der Punkt 5.3: Alle schädlichen Praktiken wie Kinderheirat, Frühverheiratung und Zwangsheirat sowie die Genitalverstümmelung bei Frauen und Mädchen beseitigen.
Kinderheirat heute
Textverständnis 1 Beantworte folgende Fragen. 1 Ist Kinderheirat auch heute noch ein aktuelles Thema? 2 Wo und warum kommt Kinderheirat noch vor? 3 Welche Folgen kann Kinderheirat für das Mädchen haben?
Kinderheiraten gibt es leider immer noch in vielen Ländern der Welt, besonders in Teilen Afrikas und Südasien. Das Wort bedeutet, dass ein Kind unter 18 Jahren, aber oft leider sehr viel jünger, (in den meisten Fällen ein Mädchen) einen deutlich älteren Mann heiratet. Zurzeit gibt es ungefähr 650 Millionen Mädchen und Frauen, die verheiratet wurden, bevor sie 18 Jahre alt geworden sind. Es gibt viele Gründe, warum Mädchen, aber auch Jungen, als Kinder verheiratet werden. An erster Stelle steht die Armut: Viele Familien in ärmeren Regionen haben nicht genug Geld, um ein menschenwürdiges Leben zu führen. Aus diesem Grund verheiraten die Eltern ihre Töchter an reiche, ältere Männer, um ihren Kindern eine bessere Zukunft zu bieten. An zweiter Stelle stehen Traditionen: Mädchen müssen früh heiraten, weil sie erst dann als erwachsene Frauen anerkannt werden. Natürlich müssen sie möglichst rein heiraten, damit das Ansehen der Familie darunter nicht leidet. Verheiratete Mädchen können ihre Familie und Freunde selten sehen, wenn sie mit ihrem Mann zusammenleben. Nach der Heirat spielen die Mädchen in vielen Ländern ausschließlich die Rolle der Hausfrau und Mutter. Wegen der Aufgaben im Haushalt können sie nicht mehr die Schule besuchen. So haben sie keine Möglichkeit zu lernen und sich zu bilden. In vielen Fällen erleben sie sogar Gewalt durch ihren Mann. Zu den Rechten der Kinder zählt auch, dass die Kinder selbst bestimmen können, ob sie heiraten, aber auch, wen oder wann sie heiraten möchten. Laut dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, UNICEF, hat Niger eine der höchsten Raten von Kinderheirat in der Welt. 24 Prozent der Mädchen werden bereits vor ihrem 15. Geburtstag verheiratet, 80 Prozent der jungen Frauen werden vor ihrem 18. Geburtstag aus ökonomischen oder traditionellen Gründen zu einer Eheschließung gezwungen. Die 18-jährige Aktivistin Mariatou engagiert sich im Südosten von Niger für den Schutz von Mädchen vor Kinderheirat und gegen geschlechtsspezifische Gewalt. „Ich glaube, dass ich das Richtige tue. Deshalb machen wir weiter. So lange, bis alle verstanden haben, wie verstörend und schädlich eine frühe Verheiratung für jedes einzelne Mädchen ist, das zu einer solchen Ehe gezwungen wird.“ Bearbeitet aus einem Artikel von Verena Gresz im „Magazin Plan International“ (04.01.2021)
DEBATTE Die Zahl der Eheschließungen ist heute in den westlichen Ländern stark rückläufig. Bildet zwei Gruppen und nehmt Stellung zum Thema Heirat: Welche Argumente sprechen für das Heiraten, welche dagegen?
PRO • Wir wollen für immer zusammen bleiben. • Ich kann mich um meinen Partner kümmern, wenn er ernsthaft erkrankt, und umgekehrt. • Andere Meinungen.
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KONTRA • Unsere Liebe braucht kein Zertifikat. • Ich will unabhängig bleiben. • Andere Meinungen.
Vormärz, Realismus und Naturalismus
Wiederholen wir!
zur Durchsicht
Die Worte der Zeit 1 Schreib zu jedem der folgenden Stichwörter in diesem Kapitel wenigstens einen vollständigen Erklärungssatz. 1 Wiener Kongress 2 Vormärz 3 bürgerliche Revolutionen 4 bürgerlich-poetischer Realismus 5 Industrialisierung 6 Naturalismus
Geschichte und Gesellschaft 2
Vormärz und Junges Deutschland Schreibe die Sätze entweder dem Vormärz (V) oder dem Jungen Deutschland (J) oder beiden (J+V) zu. 1 Es bezeichnet den Zeitraum 1815-1848. (
)
2 Diese Strömung bereitete den Ausbruch der Märzrevolution 1848 in Deutschland vor. ( 3 Es entstand 1830 infolge der Pariser Julirevolution. (
)
)
4 Seine Vorläufer waren L. Börne und H. Heine. (
)
5 Die Ideale waren die Gedankenfreiheit, die Ablehnung der Restauration, die Verwerfung der Privilegien von Adel und Kirche, die Emanzipation der Frau. ( )
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Realismus und Naturalismus Beantworte folgende Fragen. 1 Wann wurde die Einheit des Zweiten Deutschen Reichs erreicht? 2 Führe einige Beispiele der technischen Errungenschaften in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an. 3 Wer herrschte in Deutschland nach der Reichsproklamation? 4 Wie wird Bismarcks Politik definiert? Erkläre den Begriff. 5 Was passiert in den Jahren des mitteleuropäischen Hochkapitalismus? 6 Welche neuen gesellschaftlichen Schichten entstehen? 7 Welche gesellschaftlichen Phänomene verwirklichen sich um 1900 in Deutschland?
Literatur 4
Vormärz Beantworte folgende Fragen. 1 Beschreibe Georg Büchners politische Haltung anhand der Werke, die du kennst. 2 Warum gilt Heinrich Heine als ideale Brücke zwischen der Romantik und dem Realismus? 3 Erkläre die paradigmatische Bedeutung des Gedichtes Das Fräulein stand am Meere. 4 Welche politische Haltung zeigt Heine in seinen realistischen Werken?
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Realismus und Naturalismus Schreibe die Sätze dem Realismus (R) oder dem Naturalismus (N) zu. 1 Er beschreibt die hässlichsten Seiten der Wirklichkeit. ( ) 2 Er hat einen bürgerlich-poetischen Charakter. (
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3 Er beschreibt die positiven Aspekte der Wirklichkeit. (
)
4 Der Mensch kann keinen freien Willen haben. ( 5 Die Realität ist schön und darstellenswert. (
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) )
Realismus und Naturalismus Beantworte die Fragen zu den deutschen Autoren des Realismus und Naturalismus. 1 Was sind für Gottfried Keller die typischen romantischen Fehler? 2 Welche Themen behandelte Theodor Fontane in seinen Romanen? 3 Welches geschichtliche Ereignis steht im Mittelpunkt des bekanntesten Dramas von Gerhart Hauptmann? 4 Welche Sprachrevolution vollzieht sich in Hauptmanns Hauptwerk? 5 Welchen Unterschied gibt es zwischen den Webern von Heine und denen von Hauptmann?
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Memo Map: Vormärz, Realismus und Naturalismus 1 Ergänze den Text mit den angegebenen Wörtern. Masse • Industrialisierung • Restauration • heuchlerischen • Zensur • Gedankenfreiheit • liberale Reformen • engagierte • Moral • Metternich • hässliche • Dialekt • Realpolitik • Gesellschaftsroman • wilhelminische Ära • Ertüchtigung • Determinismus • Motive
Geschichte und Gesellschaft
1815 Der Wiener Kongress und die
1848 Märzrevolution: Aufstand des liberalen Bürgertums für ; Sturz von
1815-1848 Wiederherstellung des Ancient Regime und
1890 Rücktritt von Bismarck; Kaiser Wilhelm II. und die Kolonial- und Aufrüstungspolitik und
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1871 Wilhelm I. und das Zweite Deutsche Reich; der Eiserne Kanzler otto von Bismarck und die
Georg Büchner (1813-1837)
Vormärz Abschaffung der Klassenprivilegien und
Politisch engagierter Autor Wozyeck (1836): revolutionäres Drama, Fatalismus der Geschichte, und Beziehung zwischen sozialer Lage und
Heinrich Heine (1797-1856) Anfänglich romantische Ein Fichtenbaum steht einsam (1823) Loreley (1824) Das Fräulein stand am Meere (1832) dann sozial Dichtung Die schlesischen Weber (1844): Kampf einer klassenbewussten für ein menschenwürdigeres Leben
Gottfried Keller (1819-1890)
Realismus bürgerlich-poetische Bewegung, nur die schönen Seiten der Wirklichkeit
als Überwindung der romantischen Fehler Kleider machen Leute (1856-1874): Ein Mensch wird durch die Überwindung der Spaltung zwischen Wirklichkeit und Schein tüchtig
Theodor Fontane (1819-1898) Der und die preußische Aristokratie Effi Briest (1894-1895): Ehebruchroman, Effi als opfer des Ehrenkodex der preußischen Gesellschaft
Naturalismus Materialismus, Determinismus, Aspekte der Wirklichkeit
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Gerhart Hauptmann (1862-1946) kleine Leute, Schulderlebnisse Die Weber (1892): Revolte der verzweifelten Weber als formlose Masse : Beziehung zwischen Bildung und sozialer Lage
Vormärz, Realismus und Naturalismus
Richtung Esame di Stato Die Industrialisierung: neue gesellschaftliche Schichten Im Laufe des 19. Jahrhunderts gab es große soziale und wirtschaftliche Veränderungen. Die Industrialisierung führte zu einem rasanten Bevölkerungszuwachs und einem schnellen Urbanisierungsprozess: Tausende Menschen wanderten vom Land zur Arbeit in Fabriken ab. Die Städte expandierten schnell. Geld und sozialer Aufstieg wurden zu den Hauptzielen in der bürgerlichen Mentalität und der Utilitarismus wurde zur dominierenden Philosophie. Um 1900 avancierte Deutschland zur ersten europäischen Industrienation. Hinter diesem Erfolg versteckt sich aber das soziale Elend ganzer Bevölkerungsgruppen. Während die bürgerliche Klasse durch das rasche Wachstum von Industrie und Kapital die verfehlte politische Emanzipation wenigstens im ökonomischen Bereich kompensieren konnte und immer mehr an Bedeutung gewann, vergrößerte sich die wirtschaftliche und soziale Kluft zur Arbeiterklasse. Tatsächlich lebten die Proletarier in Armut: Sie wurden von den Unternehmern ausgebeutet, waren unmenschlichen Arbeitsbedingungen ausgeliefert und bekamen sehr niedrige Löhne.
Storia • La seconda Rivoluzione industriale
Storia dell’arte • Gustave Courbet, Gli spaccapietre
• L’affermazione della borghesia e la nascita della classe operaia • L’affermazione del socialismo
• Jean-François Millet, Le spigolatrici
• Theodor Fontane, Effi Briest
• Giuseppe Pellizza da Volpedo, Il quarto stato
Cittadinanza e Costituzione • Il diritto al lavoro: l’Articolo 4 della Costituzione italiana • Agenda 2030, obiettivo 8: Lavoro dignitoso e crescita economica
Letteratura tedesca • Gottfried Keller, Kleider machen Leute • Gerhart Hauptmann, Die Weber
Letteratura inglese
Die Industrialisierung: neue gesellschaftliche Schichten
• Charles Dickens, Oliver Twist • George Eliot, The Mill on the Floss • Anthony Trollope, The Way We Live Now
Letteratura francese • Gustave Flaubert, Madame Bovary
Letteratura italiana
• Émile Zola, Les Rougon-Macquart
• Il Verismo • Giovanni Verga, I Malavoglia
Filosofia • Karl Marx e Friedrich Engels, Manifesto del partito comunista
Letteratura spagnola • Benito Pérez Galdós, Fortunata y Jacinta • Leopoldo Alas “Clarín”, La Regenta
• Filippo Turati e il socialismo italiano
Projekt Erstellen Sie eine mentale Landkarte zum vorgeschlagenen Thema und stellen Sie Verbindungen zur Literatur und zu mindestens vier anderen Schulfächern her. Bereiten Sie dann einzeln oder in Gruppen eine Präsentation für die Klasse vor, um die von Ihnen identifizierten Zusammenhänge zu veranschaulichen.
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