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Nr. 1/2022
Die „Stimme Schlesiens“ ist wieder zu hören Am 27. Januar erklang in der Breslauer Elisabethkirche zum ersten Mal seit 46 Jahren wieder die legendäre Engler-Orgel. Das majestätische Instrument war durch einen Brand am 9. Juni 1976 vollständig zerstört worden, wurde aber im Auftrag der Stadt über viele Jahre rekonstruiert.
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Das majestätische Instrument wurde im Auftrag der Stadt jahrelang rekonstruiert.
Fotos: DSKG
er Bau der Orgel wurde 1750 von Michael Engler begonnen. Der Orgelbauer starb jedoch 1760, bevor er die Arbeit abschließen konnte. Erst sein Sohn Gottlieb Benjamin Engler und sein Schwiegersohn Gottlieb Ziegler stellten die Orgel 1761 fertig. Ihr Werk war das prachtvollste Musikinstrument in Schlesien zur damaligen Zeit, sowohl optisch als auch klanglich, mit 54 klingenden Stimmen und einem Register aus Glocken und Naturpauken ausgestattet. Besonders beeindruckend war die reich dekorierte Front: der vergoldete und farblich gefasste Prospekt, geschmückt mit Holzfiguren von Engeln und Propheten des Alten Testaments. Bis zu seiner Zerstörung im Jahre 1976 verfügte das Instrument über 91 Stimmen und nahm eine Fläche von etwa 115 m² im hinteren Teil des Kirchenschiffs ein. Eine entscheidende Rolle dabei, dass es überhaupt zur Rekonstruktion kam, spielte der inzwischen verstorbene Dirigent Kurt Masur, der in Brieg (heute Brzeg) in Niederschlesien geboren wurde. Masur überzeugte den damaligen Stadtpräsidenten Rafał Dutkiewicz davon, die aufwändige Rekonstruktion anzugehen. Er schenkte ihm auch eine CD mit dem originalen Ton der Engler-Orgel von vor 1976. Als kleiner Junge war Masur einmal aus seiner Geburtsstadt mit seiner Mutter zu einem Orgelkonzert in der Elisabethkirche gekommen. Dieses Konzert beeindruckte ihn so sehr, dass er von da an Musiker werden wollte. Die Rekonstruktion des monumentalen Barockinstruments entstand seit 2011 als polnisch-deutsch-französisches Gemeinschaftsprojekt, bei dem mehr als 200 Bildhauer, Maler und
Die Orgel befindet sich im hinteren Teil des Kirchenschiffs der Basilika St. Elisabeth.
Zimmerleute aus den drei Ländern zum Einsatz kamen. Verantwortlich für das eigentliche Instrument war ein Bonner Orgelbauunternehmen. Höchste Priorität für alle Beteiligten hatte, dass das Klangbild möglichst nahe an das Original heranreicht. Gerade zu Beginn glichen die Arbeiten jedoch einem Detektivspiel, weil Originalbaupläne fehlten und die
vorhandenen Fotos von eher schlechter Qualität waren. Dennoch gelang das Meisterstück: Die Spielelemente des Instruments wurden von Hand maßgefertigt. Die größte Pfeife der rekonstruierten Orgel ist zwölf Meter hoch, die kleinste sechs Millimeter. Die Kosten beliefen sich auf rund 20 Millionen Zloty. Am 27. Januar erklang die neue „Stimme Schlesiens“ im Rahmen einer feierlichen Liturgie zum ersten Mal. Der weltberühmte italienische Organist, Dirigent und Musikwissenschaftler Lorenzo Ghielmi spielte Werke von Nicolaus Bruhns, Dieterich Buxtehude und Johann Sebastian Bach. Das Konzert war jedoch eine geschlossene Veranstaltung für Personen, die direkt an der Restaurierung des Instruments beteiligt waren, Kirchengemeindemitglieder und Vertreter und der lokalen Behörden sowie der Armee. Warum Armeeangehörige? Die Elisabethkirche ist heute auch Garnisonskirche. Allerdings finden nun kontinuierlich Orgelkonzerte für Jedermann statt, so dass alle hören können, wenn die „Stimme Schlesiens“ in Breslau wieder erklingt. n