wirbiz No.7 (11/2017)

Page 1

wirbiz OFFENER BLICK – GENI˙¸S PERSPEKTI˙F

2017_Nº. 7

HERAUSGEGEBEN VOM DEUTSCH-TÜRKISCHEN FORUM STUTTGART E. V.

Stuttgarter Kinder haben das Nordbahnhofviertel erkundet.

Wertsachen – Was uns zusammenhält Deutsch-türkische brückenbauer in der wirtschaft

Warum ist der rotweg nicht rot?

Das Stadtentdecker-Projekt des Deutsch-Türkischen Forums

BENİMİST

Ein Stadtlesebuch aus und über Istanbul


ATELIER HANS ULRICH SCHOLPP BERATUNG. DESIGN. NETZWERK.

www.ulrichscholpp.de


EDITORIAL EDİTÖRLERDEN

wirbiz wirbiz – das sind „wir“, also „biz“ auf Türkisch. Du und ich, Sie und wir – wir alle gemeinsam. wirbiz – “wir”, Türkçede “biz” demek. Sen ve ben, Siz ve biz – Hepimiz, bir arada.

Liebe Leserinnen und Leser,

Sevgili okurlarımız,

die Ereignisse nach dem Verfassungsreferendum, die Verhaftungen in der Türkei und der Bundestagswahlkampf haben dazu geführt, dass sich die diplomatischen Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland auf einem neuerlichen Tiefpunkt befinden. Die Auswirkungen: Unsicherheiten in den wirtschaftlichen Beziehungen, Debatten über Loyalitäten in den Medien und in der Politik, Populismus auf allen Seiten, Rechtfertigungsdruck oder Tabuisierung in persönlichen Gesprächen. Das Deutsch-Türkische Forum Stuttgart e.V. verschließt sich diesen Debatten nicht, es geht sie aktiv an. Besonnen und sachlich greifen wir komplexe Fragestellungen auf und bieten ein Forum für den Austausch. Auch wirbiz möchte den Blick öffnen für die Vielfalt in den deutsch-türkischen Beziehungen und im interkulturellen Leben in unserer Region. In Zivilgesellschaft, Kunst, Politik und Wirtschaft finden sich zahlreiche Beispiele, wie uns wechselseitige Beziehungen bereichern können. In dieser Ausgabe von wirbiz richten wir den Blick auf die atemberaubende Metropole Istanbul, der das Stadtlesebuch BENİMİST gewidmet ist. Wir berichten über regierungskritische Stimmen in der Türkei am Beispiel des Oppositionsführers Kemal Kılıçdaroğlu. Der diesjährige Preisträger des Manfred-Rommel-Preises, der Rechtsanwalt Dr. Mehmet Daimagüler, schildert seinen Blick auf die Integrationsdebatte. Und aus dem Reigen der erfolgreichen DTF-Projekte berichten wir über die Stadtentdecker, die ihre Umgebung erkundet und eindrucksvolle Stadtpläne erstellt haben. Wir bedanken uns herzlich bei unseren ehrenamtlichen Autorinnen und Autoren, dem Lektorat, der Übersetzung, dem Layout und der Druckerei sowie bei unseren zahlreichen Werbepartnern. Wenn auch Sie einen Beitrag für wirbiz leisten möchten, freuen wir uns über Hinweise auf mögliche Werbepartner oder eine Spende auf unser Konto IBAN DE91 6009 0100 0225 7860 28. Meinungen und Anregungen zu dieser Ausgabe können Sie an uns unter wirbiz@dtf-stuttgart.de richten.

Türkiye’deki anayasa değişikliği referandumunun ardından yaşananlar ve yapılan tutuklamaların yanı sıra Almanya’daki federal meclis seçimleri sürecinde Türkiye ile Almanya arasındaki diplomatik ilişkilerdeki gelişmeler de iki ülke arasında yeni bir krizin çıkmasına yol açmıştır. Bu gelişmeler sonucunda iki ülke arasındaki ekonomik ilişkilerde bir belirsizlik oluşmuş, medya kuruluşlarının ve siyasi organların tarafsızlığı üzerine tartışmalar çıkmış, popülizm yaygınlaşmış, bireysel görüşmelerde haklı çıkmak isteği öne çıkmış, kimi insan gerçeklerden söz etmeyi kendine yasaklamak yolunu yeğlemiştir. Stuttgart Türk-Alman Forumu bu yaşananların dışında kalmak yerine içinde etkin olarak yer almak istemektedir. Sorunlara tarafsızca ve ölçülü yaklaşarak düşünce alışverişine bir forum yaratmak istiyoruz. Dergimiz wirbiz Türk-Alman ilişkilerindeki ve yöremizdeki kültürlerarası sınırsız çeşitliliğe dikkati çekmek istiyor. Sivil toplumda, sanatta, politikada ve ekonomide karşımıza çıkan ve karşılıklı ilişkileri zenginleştirebilecek örnekler sayısızdır. Wirbiz’in bu sayısında bakışlarımızı nefes kesici dev kent İstanbul’a yöneltiyoruz. Ülkeyi yönetenlere karşı seslerini yükseltenlerden söz ederken muhalefet lideri Kemal Kılıçdaroğlu’nu tanıtıyoruz. Bu yılın Manfred Rommel Ödülü sahibi avukat Dr. Mehmet Daimagüler’in uyum tartışmaları üzerine görüşlerine yer veriyoruz. Sayısız başarılı DTF çalışmalarından biri olan kentini keşfedenler projesi kapsamında içinde yaşadığı semti yeniden keşfeden çocukların oluşturduğu çok ilginç haritaları tanıtıyoruz. Wirbiz’e onursal görev yapan yazarlarımıza, okutmanımıza, çevirmenlerimize, tasarımcımıza içten teşekkür ediyoruz. Birlikte çalıştığımız matbaaya ve dergimize reklam veren sayısız kuruluşa da teşekkürlerimiz sonsuzdur. Wirbiz’e destek vermek isteyen herkesten gelecek yazı ve reklam önerilerinin ötesinde IBAN DE91 6009 0100 0225 7860 28 numaralı banka hesabımıza yapılacak bağışlar da bizi mutlu edecektir. Elinizde tuttuğunuz bu dergiyle ilgili her türlü görüş ve öneriyi wirbiz@ dtf-stuttgart.de adresine iletebilirsiniz.

Nun wünschen wir Ihnen eine spannende Lektüre! Ihr Redaktionsteam Alice Heisler Maria Tramountani

Seyhan Çalışkan-Turan Kerim Arpad

Sizlere güzel okumalar dileriz. Yayın kurulu

wirbiz

1


INHALT İçERIİK

Wertsachen – Was uns zusammenhält Değerlİ Şeyler – Bİzİ bİr arada tutanLar 4 Zwischen Nsu und Völkerverständigung

10

BENİMİST – Ein Stadtlesebuch aus und über Istanbul

12

Erfolgsfaktor: Perspektivenwechsel

16

Ein Unterstützenswertes Engagement

18

Dr. Mehmet Daimagüler erhält Manfred-Rommel-Preis

Ein Beitrag über die Agentur mehrwert

Das Ağabey-Abla-Programm sucht Paten

Der türkische Obama Türk Obama 20

Über die inhaftierte Journalistin Meşale Tolu Çorlu

Güneşlİ günler İçİn bİr umut 30

KonFliktlinieN und MachtverhältnisSE in der Türkei

25

Ein Türkischer Winzer im Rheingau

26

Ahmet Yıldırım im Portrait

Hoffnung auf sonnige Tage

Tutuklu gazeteci Meşale Tolu Çorlu hakkında

eine mentorin durch und durch

36

Heiraten im Fernsehen – Herzblatt auf Türkisch Türk İşİ “Herzblatt”la televİzyonda evlİlİk 38 Warum ist der Rotweg nicht rot? Eine Stadtteilkarte für Neugierige

42

Gesellschaftliche teilhabe von familien stärken AİLElerİn toplumsal katilimini güçlendİrmek 46

2

wirbiz


Deutsch-türkische Freundschaft der besonderen Art

48

Schreiben für den Frieden

51

deutsch-türkische brückenbauer in der wirtschaft

52

Die gereizte Migrationsgesellschaft

56

Osman Hamdi Bey und Carl Humann

Türkisch als Fremdsprache an Gymnasien LİSELERDE YABANCI DİL Türkçe 58 Die Welt braucht keine Superhelden Balkan Route Stuttgart e.V. stellt sich vor

62

Brain-Drain: Aus der Türkei nach Deutschland Türkİye’den Almanya’ya Beyİn Göçü Üzerİne 64 „Hotline für besorgte Bürger“ – Und eine bessere Welt

68

Wie die Liebe verbindet: Deutsch-Türkische Wochen in Ulm

70

Was Musik für mich bedeutet

73

Weihnachten „wie daheim“

74

Engagierte des DTF

77

Autor*innen dieser ausgabe

78

Unsere nächsten Veranstaltungen

79

Ein Einblick in die deutsche Evangelische Gemeinde in Istanbul

Impressum 80

wirbiz

3


WERTSACHEN – WAS UNS ZUSAMMENHÄLT Değerlİ Şeyler – Bİzİ bİr arada tutanlar Ein Beitrag von Gabriele Renz

Landtagspräsidentin Muhterem Aras stieß eine neue Gesprächsreihe an, die Werte und Grundlagen des Zusammenlebens beleuchtet.

D

ie Welt ist in Bewegung, und Baden-Württemberg ist ein Teil von ihr. Immer mehr Menschen verlassen ihre Heimat wegen Krieg, Verfolgung oder Naturkatastrophen, um für sich und ihre Familien Schutz und Perspektiven zu finden. Für unsere Gesellschaft bleibt dies nicht ohne Auswirkung. Es findet Zuwanderung statt, ohne dass sie so heißen darf. Was bis vor wenigen Jahren als unverrückbar galt, wirkt plötzlich zerbrechlich und angreifbar: Grundrechte und demokratische Institutionen werden angezweifelt, Grundwerte unserer Demokratie skeptisch hinterfragt. Die öffentliche Debattenkultur droht zu verrohen, im Internet grassieren Hassbotschaften und Schmähungen, die Medienlandschaft wird als „Lügenpresse“ bezeichnet. Mit Sündenbock-Rhetorik und rassistischen Anklängen lassen sich inzwischen – längst nicht nur in Deutschland – gute Ergebnisse bei freien Wahlen erzielen. Im vorpolitischen Bereich hat sich der Umgangston verschärft. Tabus, die als ungeschriebene Regeln den Umgang miteinander

4

wirbiz

in zivilisierten Bahnen hielten, bröckeln sogar in Parlamenten, den „Hohen Häusern“ der Demokratie. In dieser Gemengelage entschied die Präsidentin des Landtags von Baden-Württemberg, Muhterem Aras (Grüne), dagegenzuhalten. Wenige Monate im Amt, initiierte sie mit der Landeszentrale für politische Bildung (LpB) eine neue Gesprächsreihe, die diesen beunruhigenden Phänomenen auf den Grund gehen soll. „Reden wir darüber“, könnte die Reihe auch überschrieben sein. Aras aber nannte sie „Wertsachen – Was uns zusammenhält“. Menschen aus fast allen gesellschaftlichen Bereichen sollen dort zusammentreffen: Politiker*innen, Vertreter*innen von Kirchen und Religionsgemeinschaften, Wissenschaftler*innen, Künstler*innen und Journalist*innen bis hin zu Sportler*innen. „Es ist dringend angezeigt, sich mit der Basis unseres Zusammenlebens auseinanderzusetzen, nämlich mit Grundgesetz und Landesverfassung“, begründete die baden-württembergische Landtagspräsidentin ihr Vorhaben. Aras sieht die Spielregeln und Weltoffenheit unserer Gesellschaft bedroht. Die Idee hinter der Wertsachen-Reihe war deshalb, die

wichtigen Grundlagen unseres Zusammenlebens einmal näher zu beleuchten und eine Wertediskussion anzustoßen. „Wir wollen deutlich machen, dass Grundrechte auch Wertsachen sind – Wertsachen jenseits des Materiellen und von höchster Bedeutung“, sagt Muhterem Aras, deren Motivation nicht nur, aber natürlich auch ihrer Herkunft und ihrem persönlichen Lebensweg geschuldet ist. Als Zwölfjährige kam die heutige Landtagspräsidentin mit ihren Eltern aus einem anatolischen Dorf in die Region Stuttgart. Die Familie – Aras hat eine Schwester und drei Brüder – floh nicht nur vor den beschränkten Verdienstmöglichkeiten in die deutsche Automobilregion Nummer eins, sie floh auch aus einem türkischen Staat, der eine kurdische Identität verunmöglichte. Kurdisch sprechen – das stand in ihrer frühen Kindheit auf dem Index. Auch Alevitin zu sein, wiewohl die Familie nie streng gläubig war, war der türkischen Mehrheitsgesellschaft, vor allem aber dem Staatsapparat ein Dorn im Auge. Das geduckte Leben in Anatolien hat in Aras große Freiheitsliebe entstehen lassen, ja es hat sie mit der unschlagbar großen Idee der Demokratie angesteckt. Zum politischen Engagement kam sie, als in Deutschland Flüchtlingswohnheime brannten und Rassismus in die von

ihr als so freiheitsschützend empfundene Gesellschaft einzusickern begann. Das war Anfang der 1990er Jahre. Muhterem Aras, die mit dem Abitur in der Tasche Wirtschaftswissenschaften in Stuttgart-Hohenheim studierte, trat der Partei Bündnis 90 / Die Grünen bei. Sie begann um das weltoffene Deutschland, das ihre Familie so gut aufnahm und ihr so viele Möglichkeiten bot, zu kämpfen. Heute, in Zeiten von Hatespeech und Pegida, fühlt sich die 51-Jährige wieder herausgefordert zu kämpfen. Und sie tut es von dem Platz aus, den sie seit 2016 innehat: Dem Präsidentenstuhl im Baden-Württembergischen Landtag. „Ich hätte nie für möglich gehalten, in Baden-Württemberg noch einmal Debatten zum Thema Rassismus und Antisemitismus führen zu müssen“, sagt die Parlamentspräsidentin vor dem Hintergrund mancher durch die Alternative für Deutschland provozierten Debatte. Und doch ist die Reihe Wertsachen keine Anti-AfD-Veranstaltung. Muhterem Aras geht es um eine Rückbesinnung auf Werte, die in dieser Gesellschaft gelebt werden sollen – von Deutschen, von Zuwanderern, von Deutschen mit Migrationsgeschichte und ohne. Das Grundgesetz ist aus ihrer Sicht mehr als eine Paragrafensamm-


Politik & Gesellschaft

Erfolgreicher Abend! Von links: Silke Gmeiner, Muhterem Aras, Fatih Çevikkollu, Jagoda Marinic, Cacau. Başarılı bir akşam! Soldan sağa: Silke Gmeiner, Muhterem Aras, Fatih Çevikkollu, Jagoda Marinic, Cacau.

wirbiz

5


„ICH HÄTTE NIE FÜR MÖGLICH GEHALTEN, NOCH EINMAL DEBATTEN ZUM THEMA RASSISMUS FÜHREN ZU MÜSSEN.“

Muhterem Aras begrüßt die Besucherinnen und Besucher der Wertsachen-Veranstaltung in Mannheim. Mannheim'da düzenlenen konușma dizisinde Muhterem Aras konuklarını karşıladı.

6

wirbiz


Politik & Gesellschaft

„BIR DAHA ASLA IRKÇILIK KONULARINDA TARTIŞMALAR YÜRÜTMEK ZORUNDA KALACAĞIMI TAHMIN ETMEZDIM.“

lung. Es stellt für sie ganz persönlich das Nachschlagewerk für unsere gemeinsamen Werte dar. Was lag da näher als aus der Wertsachen-Reihe einen Exkurs durch die maßgeblichen Artikel unserer Verfassung zu machen? Die Auftaktveranstaltung Wertsachen im Januar 2017 widmete sich Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Den Impulsvortrag hielt die ZDF-Moderatorin und Journalistin Dunja Hayali, die regelmäßig Objekt von rassistischen Hassmails ist und sich entschieden hat, dagegenzuhalten – teils mit gleicher Münze heimzuzahlen. Das ist nicht die Sache aller. Aras wählt, schon aus ihrer Rolle als überparteiliche Präsidentin heraus, einen anderen Weg. Sie will durch Reden überzeugen, wählt den Dialog, das direkte Gespräch. In Mannheim ging es in der Wertsachen-Reihe um Artikel 3 des Grundgesetzes: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Artikel 3 ist Aras‘ Lebensthema, das in Mannheim der ehemalige Profi-Fußballer und DFB-Integrationsbeauftragte Cacau mit der Autorin Jagoda

Marinic und dem Kabarettisten Fatih Çevikkollu diskutierte. Die Bestandsaufnahmen klangen nüchtern. So sagte Marinic dort: „Wir haben keine Selbstverständlichkeit in der Wahrnehmung der Mehrheitsgesellschaft.“ Und Çevikkollu bestätigte: „Du lebst Normalität, aber dein Umfeld spiegelt dir ständig Anderssein.“ Cacau plädierte dafür, über Anwürfen und Ressentiments zu stehen und eine gewisse Souveränität zu entwickeln, auch wenn es einen treffe. Humor helfe, war sich die Runde in Mannheim einig. Aber auch die Beachtung der gesellschaftlichen Grundlagen, die das Grundgesetz vorgebe. „Es ist unser Land, es sind unsere Werte – ihr alle entscheidet mit!“, appellierte Präsidentin Aras dort. Die dritte Veranstaltung am 18. Oktober 2017 in Offenburg widmete sich Artikel 5 Grundgesetz: „Jeder hat das Recht, seine Meinung (…) in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern (…)“. Der frühere Nahostkorrespondent Jörg Armbruster diskutierte dort u.a. mit der Autorin Lena Gorelik. Im kommenden Jahr sind zudem Veranstaltungen zur Religionsfreiheit (Artikel 4), zur Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes sowie zur Bildungsgerechtigkeit (Artikel 11 Landesverfassung) geplant. Der Gesprächsstoff geht nicht so schnell aus. n

Eyalet Meclis Başkanı Muhterem Aras’ın başlattığı yeni konuşma dizisi, birlikte yaşamanın değerlerini ve temellerini aydınlatmayı amaçlıyor.

kullanılan dil de sertleşiyor. Yazısız kurallar olarak bizi medeni bir yolda tutan, birbirimizle geçimi sağlayan tabular bile demokrasinin “gökdelenleri” olan parlamentolarda bile parçalanıyor.

D

Baden Württemberg Eyalet Meclis Başkanı Muhterem Aras (Yeşiller), bütün bu karmaşaya karşı durmaya karar verdi. Aras, görevinin başlaması üzerinden bir iki ay geçmeden, Eyalet Politik Eğitim Merkezi (LpB) ile birlikte bu rahatsız edici durumu derinlemesine ele almayı amaçlayan bir konuşma dizisi başlattı. Konuşma dizisinin başlığı “Bunun üzerine konuşalım” olabilirdi, Aras ise bu diziye “Değerli Şeyler – Bizi bir arada tutanlar?” adını verdi. Bu konuşma dizisinde toplumun her kesiminden insan, özellikle politikacılar, kilise ve din birlikleri temsilcileri, bilim insanları, sanatçılar, gazeteciler ve hatta sporcular bile bir araya geliyor.

ünya hareket halinde, Baden Württemberg de bu hareket halindeki dünyanın bir parçası. Savaş, kovuşturma veya doğal felaketler yüzünden evlerini, ülkelerini terk eden insanlar kendileri ve aileleri için bir sığınma ve gelecek için bir çıkış yolu arıyor. İçinde yaşadığımız toplum da bundan etkileniyor, göçe şahit oluyoruz, “göç” kelimesi kullanılmasa bile. Birkaç yıl öncesine kadar sarsılmaz, değişmez olan şeyler, şimdi bize çok daha kırılgan ve üzerine saldırılabilir geliyor. Temel haklar ve demokratik kurumlar tartışmaya açılıyor, demokrasimizin temel değerlerinden şüphe ediliyor. Tartışma kültürü vahşileşiyor, internette nefret mesajları ve küfürlü konuşmalar ortalığı kasıp kavuruyor, medya ise artık “yalancı basın” olarak anılıyor. Günah keçisi retoriği ve ırkçı söylemler uzun zamandır sadece Almanya’da değil, diğer ülkelerde de seçimlerde iyi sonuçlar getiriyor. Politik alanın dışında

Aras konuşma dizisinin amacını şu sözlerle dile getiriyor: “Acilen birlikte yaşamın temelinin ne olduğunu anlamaya çalışmalıyız, özellikle de Anayasayı ve Eyalet Anayasasını.” Eyalet Meclis Başkanı, toplumumuzun kurallarını ve açık dünya görüşünü tehdit altında görüyor. Bu yüzden konuşma dizisinin arkasında yatan fikir birlikte yaşamın önemli temellerini bir kez daha

wirbiz

7


„DU LEBST NORMALITÄT, ABER DEIN UMFELD SPIEGELT DIR STÄNDIG ANDERSSEIN.“ aydınlatmak ve böylelikle bir değerler tartışması ortaya koymak olarak belirleniyor. Motivasyonu sadece kökeni ve hayat hikayesinden değil, ama elbette onlardan da kaynaklanan Muhterem Aras “Temel hakların da değerli şeyler olduğunu ve çok büyük öneme sahip olduklarını açıkça göstermek istiyoruz” diyor. Hayat hikayesinden biraz bahsedecek olursak, Eyalet Meclis Başkanı Muhterem Aras, 12 yaşında bir Anadolu köyünden Stuttgart bölgesine taşındı. Bir kız kardeş ve üç erkek kardeşe sahip Aras, ailesiyle birlikte sadece sınırlı geçim imkânlarından Almanya’nın bir numaralı araba üretim merkezine göç etmedi, aynı zamanda Kürt kimliğini imkânsız kılan bir Türk devletinden de kaçtı. Kürtçe konuşmak, Aras’ın çocukluğundan hatırladığı bir şeydi. Ailesi hiçbir zaman sıkı inançlı olmasa da sahip oldukları Alevi kimliği Türk toplumunun çoğunluğunun, özellikle de Türk hükümetinin gözüne batıyordu. Anadolu’daki bu baskı altındaki yaşam Aras’a büyük bir özgürlük ve demokrasi aşkı aşıladı. Poli-

8

wirbiz

tikaya ise 90’lı yılların başında, Almanya’da mülteci yurtlarının yakıldığı ve ırkçılığın onun özgürlükleri koruyan olarak algıladığı topluma sızdığı sırada atıldı. Muhterem Aras Abitur’dan sonra Stuttgart-Hohenheim’da İktisadi Bilimler okurken Bündnis 90 / Yeşiller Partisi’ne katıldı. Ailesini çok iyi karşılayan ve ona bir sürü olanak sağlayan dünya görüşü açık bir Almanya için mücadele etmeye başladı. Nefret söylemleri ve Pegida’nın etkili olduğu günümüzde, 51 yaşındaki Eyalet Meclis Başkanı’nın içinden yeniden mücadele etmek geliyor. Bu mücadeleyi de 2016 yılından beri sahip olduğu yerden, Baden Württemberg Eyalet Meclis Başkanlığı koltuğundan yapıyor. “Almanya İçin Alternatif ” tarafından provoke edilmiş bazı tartışmaların arka planı olarak “Baden Württem-

berg’de bir daha asla ırkçılık ve Yahudi karşıtlığı konularında tartışmalar yürütmek zorunda kalacağımı tahmin etmezdim” diyor Eyalet Meclis Başkanı Aras.

göre bir şey değil. Aras, partisiz başkanlık rolünün de etkisiyle başka bir yol seçiyor. Aras insanları konuşmayla ikna etmek istiyor, diyalog ve doğrudan konuşmayı seçiyor.

Yine de “Değerli Şeyler” konuşma dizisi Almanya İçin Alternatif (AfD) karşıtı bir etkinlik değil. Muhterem Aras’a göre bu konuşma dizisi Almanlar, göçmenler ve göç geçmişi olan veya olmayan Almanlar tarafından toplumda yaşatılması gereken değerlere geri dönülmesi hakkında olacak. Aras’a göre Anayasa da bir sürü maddenin bir araya geldiği bir metinden çok daha fazlasını simgeliyor. Aras Anayasayı, ortak değerlerimiz için bir kaynak kitap olarak görüyor.

Konuşma dizisinin Mannheim’ daki ayağı Anayasa’nın üçüncü maddesi üzerineydi: “Kimse cinsiyeti, kökeni, ırkı, dili, memleketi, inancı, dini veya siyasi görüşü yüzünden mağdur edilemez veya ayrıcalıklı tutulamaz. Kimse engeli yüzünden mağdur edilemez.” Üçüncü madde, Mannheim’da eski futbolcu ve DFB Entegrasyon Sorumlusu Cacau, yazar Jagoda Marinic ve kabare oyuncusu Fatih Çevikkollu ile tartışmaya katılan Muhterem Aras için çok önemli bir konu. Konu hakkında görüş belirtenler oldukça temkinli. Marinic “Çoğunluk toplumunu algılarken hoşgörü gösteremiyoruz” diyor. Çevikkollu da onu onaylıyor: “Normal yaşa-

Ocak 2017’de düzenlenen ilk etkinlik, Anayasa’nın ilk maddesine adandı: “İnsan onuru dokunulmazdır”. Düzenli olarak ırkçı nefret e-postalarına maruz kalan ve ona saldıranlara aynı şekilde cevap vermeyi seçen ZDF moderatörü ve gazeteci Dunja Hayali, etkinliğin ilk sunumunu gerçekleştirdi. Ancak bu herkese


Politik & Gesellschaft

„NORMAL YAŞAMAYA ÇALIŞIYORSUN AMA ÇEVREN SÜREKLI FARKLı OLDUğUNU YANSITIYOR.“

maya çalışıyorsun ama çevren sürekli farklı olduğunu yansıtıyor”. Cacau iftiralara ve garezlere karşı durulması ve bunlara karşı belirli bir egemenlik kurulması gerektiğini iddia ediyor. Mannheim’daki herkes espri anlayışının katkıda bulunduğuna hemfikir oluyor. Ama aynı zamanda Anayasa’nın belirttiği toplumsal temellerin de farkında olunması

gerekiyor. Başkan Aras oradakilere, “Burası bizim ülkemiz, bunlar bizim değerlerimiz. Hepimiz birlikte karar veriyoruz!” diye hitap ediyor. 18 Ekim 2017’de Offenburg’da yapılmış olan üçüncü etkinlik Anayasa’nın beşinci maddesi üzerine oldu: “Herkes fikrini sözle, yazıyla ve resimle özgür-

ce ifade etme hakkına sahiptir.” Etkinlikte eski Ortadoğu muhabiri Jörg Armbruster, yazar Lena Gorelik ile birlikte tartıştı. Gelecek yıl ise din özgürlüğü (Madde 4), Anayasa’nın oluşturulma süreci ve eğitimde adalet (Madde 11 Eyalet Anayasası) konularında etkinlikler planlanıyor. Üzerine konuşulacak şeyler hiç de az değil. n Anzeige

ASPENDOS

Event Catering

Mediterranes und orientalisches Flair www.aspendoscatering.de

wirbiz

9


ZWISCHEN NSU UND VÖLKERVERSTÄNDIGUNG Sibylle Thelen stellt den Manfred-Rommel-Preisträger 2017 Dr. Mehmet Gürcan Daimagüler vor

M

Dr. Mehmet Gürcan Daimagüler bei der Diskussionsveranstaltung „Der NSU-Prozess und seine Folgen“.

10 wirbiz

it dem vom Kuratorium des Deutsch-Türkischen Forums Stuttgart e.V. gestifteten Manfred-Rommel-Preis des DTF werden Persönlichkeiten ausgezeichnet, die sich um die kulturelle, wirtschaftliche und staatsbürgerschaftliche Integration von Zuwandererfamilien, insbesondere aus der Türkei, verdient gemacht haben. Ein wichtiger Beitrag dazu ist – so schwer und schmerzhaft dies auch sein mag – die Aufarbeitung der rassistisch motivierten Gewaltverbrechen der rechtsextremen Mordbande NSU: Zehn Morde, weitere Mordversuche, Sprengstoffanschläge, Raubüberfälle, Brandstiftung – die Bilanz der Täter ist furchtbar, und ihr tödlicher Hass richtete sich vor allem gegen Menschen aus der Türkei. Seit mehr als vier Jahren vertritt der Rechtsanwalt Dr. Mehmet Gürcan Daimagüler die Familien zweier türkeistämmiger Mordopfer im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München. Nicht nur vor Gericht, auch in der Öffentlichkeit setzt sich der Jurist mit großem Engagement für die Aufklärung der Straftaten und für eine Auseinandersetzung mit institutionellem Rassismus

ein. Er habe, antwortete er einmal auf die Frage nach den Folgen dieses Verfahrens für seine eigene Person, das erste Mal in seinem Leben das Gefühl, beruflich etwas Sinnvolles zu tun. Tatsächlich hat sich der 1968 in Siegen geborene Daimagüler bereits auf vielfältige Weise für Integration und Völkerverständigung, insbesondere auch für die deutsch-türkischen Beziehungen eingesetzt, so etwa als Buchautor und Gesprächspartner. Auch das Deutsch-Türkische Forum hat den inzwischen in Berlin ansässigen Juristen, der in Bonn, Kiel, Witten-Herdecke, Harvard und Yale studierte, für eine Reihe von Veranstaltungen gewinnen können. In Stuttgart stellte Mehmet Gürcan Daimagüler unter anderem sein Buch „Kein schönes Land in dieser Zeit. Das Märchen von der gescheiterten Integration“ vor. Anlässlich der Verleihung des Manfred-Rommel-Preises am 10. November 2017 im Stuttgarter Rathaus dokumentieren wir einen Auszug aus dieser biografisch und zugleich politisch angelegten Selbstverortung.


Aus dem Deutsch-Türkischen Forum

Ich will nicht jammern. Ich hatte großes Glück im Leben, und wie gesagt, ich lebe ja sehr gern in Deutschland. Es ist aber trotzdem ein schlechtes Gefühl, sich ständig wehren zu müssen, immer auf der Hut zu sein. Und es ist auch nicht nur mein eigenes privates Dilemma, dass ich mich so fühle, denn so wie mir geht es vielen Einwanderern. Wenn sich ein Einzelner so fühlt wie ich, ist es persönliches Pech. Wenn sich aber Millionen so fühlen, dann ist das ein gesellschaftliches und sozialpolitisches Problem. Dabei müsste es gar nicht so sein. Wir haben wesentlich mehr Gemeinsames als Unterschiedliches. Und unsere Differenzen müssen uns nicht zwangsläufig auf immer und ewig trennen. Im Gegenteil. Solange wir eine gemeinsame Basis haben und uns als Gemeinschaft verstehen, ist unsere Unterschiedlichkeit sogar ein Gewinn. Wer möchte schon in einem eintönigen Land leben? Ich vermute, die Nordkoreaner langweilen sich in Nordkorea zu Tode. Die Einwanderungsquote dort liegt bei Null Prozent. Vielfalt ist gut! Das wissen wir auch aus der Evolutionsbiologie. Vielfalt ist keine Gefahr für Deutschland, sondern zwingende Voraussetzung für eine erfolgreiche gesellschaftliche,

politische, wirtschaftliche, kulturelle und soziale Entwicklung unseres Landes. (…) So kann es nicht weitergehen; so kommen wir keinen Schritt weiter. Wir müssen uns einige wesentliche Dinge vor Augen führen, wenn wir unser Land zukunftsfest machen wollen. Es ist nämlich ein Irrglaube anzunehmen, wir seien als Land qua Naturgesetz wohlhabend. Die Welt dreht und entwickelt sich weiter, auch wenn wir auf der Stelle treten. Und ein weiterer banaler wie starker Fakt: Wir haben keine Alternative. Entweder bekennen wir uns zueinander oder wir sehen dabei zu, wie Deutschland sich abschafft. Wir alle tragen Verantwortung für unser Land und wir sitzen alle im selben Boot. Wir werden gemeinsam schwimmen oder gemeinsam untergehen. Es kommt nicht darauf an, woher man kommt und wie lange man schon hier gelebt hat, ob man Hans oder Ali heißt. Dieses Land ist unser gemeinsames Land.

Das Leben ist voller Wunder, aber nicht alle Wunder sind schön. Doch Wunder machen das Leben aufregend. Meine Mutter glaubt an Kismet. Widerfährt mir etwas

Gutes oder Schlechtes, sagt sie immer: „Das ist Kismet, mein Sohn.“ Kismet bedeutet, dass wir nur auf den Wellen des Lebens getrieben werden – mal an diesen, mal an jenen Ort. Wo wir landen, das bestimmen Wind, Strömungen und die Wellen. Wer aber lenkt den Wind, die Strömungen und die Wellen? Wir sind unmündig, aber haben dies nicht selbst verschuldet. Im Gegenteil: Es ist die Unmündigkeit, die uns unfrei macht, aber zugleich von aller Schuld befreit. Wer auch immer das Drehbuch für mein Leben geschrieben hat: Dieser Jemand hat Sinn für Humor. (…)

Deutschland ist meine Heimat, und es ist mein Zuhause. Ich habe diesem Land viel zu verdanken und kann nicht – wie andere – sagen, Deutschland sei eine fremde Heimat. Manche versuchen, mir meine Heimat fremd zu machen, indem sie mich zum Fremden erklären. Aber das wird nicht funktionieren. Ich kenne Deutschland gut. Ich kann sagen: Deutschland ist eine schwierige Heimat. Aber welche Heimat ist nicht schwierig? Es liegt in der Natur der Sache: Je näher man einem Menschen oder einer Idee ist, umso komplizierter werden die Dinge häufig. Wären sie nicht nah, könnte man die Probleme

einfach ausblenden und ignorieren. Aber Heimat kann niemandem egal sein. Mir jedenfalls nicht. Deswegen werden Deutschland und ich wohl immer ein schwieriges Verhältnis haben. Damit werde ich leben müssen, denn mehr Integration ist für mich nicht möglich. Ich weiß Deutschland zu schätzen. Manchmal fühle ich mich als der „bessere“ Deutsche. Denn ich musste und muss nicht für, aber um meine Heimat kämpfen. Mir wurde Heimat nicht geschenkt. Die Türkei wird mir ebenso immer wichtig bleiben. Es wird nie irgendein Ort auf der Landkarte für mich sein. Ich freue mich, dass ich mit der Türkei und seinen großartigen Menschen zwar keine zweite Heimat, aber doch ein zweites Zuhause habe. Türken wie Deutsche haben viele Gemeinsamkeiten. Ein großer Unterschied ist die Stellung der Familie. Türkische Familien sind füreinander da. Sie halten zusammen. Ich würde mir wünschen, dass die Familie auch in Deutschland wichtiger wäre. Aus der Solidarität in der Familie erwächst auch ein Gefühl für die Gemeinschaft insgesamt. n

wirbiz

11


BENİMİST – EIN STADTLESEBUCH AUS UND ÜBER ISTANBUL Ein Beitrag von Sefa İnci Suvak und Suleman Taufiq

In Mein Istanbul (Benim İstanbul'um) erzählen die Fotos einer Künstlerin und eines Fotografen sowie die Textbeiträge von 56 Autor*innen sehr persönliche Geschichten von Istanbul.

N

ach New York, Moskau, Tokio, Aleppo, São Paulo und Kairo veröffentlicht die Stuttgarter edition esefeld & traub in Kooperation mit dem Deutsch-Türkischen Forum Stuttgart e.V. im Oktober 2017 den siebten Band der Stadtlesebücher zu internationalen Metropolen. Im Zentrum des Bandes stehen die Fotos der Künstlerin Cana Yılmaz und des Fotografen İskender Muhlis Kenter. Sie zeigen das traditionelle und alltägliche Leben, aber auch Hyper-Urbanität und moderne Stadtlandschaft. Von diesen Fotos haben sich 56 Autor*innen zu einer persönlichen Geschichte inspirieren lassen. Jede*r erzählt auf eine ganz eigene Weise von seinem / ihrem Istanbul, darunter u. a. Oya Baydar, Nedim Gürsel, Ömer Zülfü Livaneli, Cem Özdemir, Edzard Reuter, Joachim Sartorius, Fazıl Say und Feridun Zaimoğlu.

12

wirbiz

Istanbul bietet bis heute sehr unterschiedlichen Menschen Schutz und Heimat und wird von ihnen immer wieder neugestaltet. Dass Istanbul den Juden Unterschlupf gewährte, dass Armenier und Griechen hier lebten (und viele von ihnen vertrieben und ermordet wurden), ist bekannt. In den letzten Jahren fanden hier zudem über eine halbe Million Menschen aus Syrien Zuflucht. Istanbul war aber auch Zufluchtsort für Menschen, die es in der restlichen Türkei nicht aushielten, die Freiheit brauchten – Musiker*innen, Filmemacher*innen, Künstler*innen. Auch die Bauern aus Anatolien, die dem Hunger, den feudalen Strukturen oder einem Bürgerkrieg entflohen, siedelten sich hier an. Ebenso Studierende, politisch Aktive, die die Welt verändern wollten. Erstaunlicherweise konnten all diese Menschen in Istanbul zusammenleben und eine eigene Istanbuler Kultur entwickeln. Das war nicht das Idyll eines Postkarten-Istanbuls, sondern das kleinteilige, schräge, kraftvolle, dynamische und kreative Istanbul. Eine Stadt mit einer Underground-Szene, einer Modeszene und einer Ausgehkultur. Die politisch aktive schwul-lesbische Community beispielsweise war ein Hoffnungsschimmer für die gesamte islamische Welt. Die Menschen fanden nicht alles gut, zuckten aber mit den Schultern und sag-

ten: Das hier ist Istanbul. Sie haben sich nicht immer gemocht, aber sie haben sich leben lassen. Seit 1994 wird Istanbul von islamisch-konservativen Politiker*innen regiert. Die Stadt befindet sich seitdem in einem ökonomischen, politischen und kulturellen Umwandlungsprozess, der das aufgeschlossene, kosmopolitische Klima bedroht. Gemeinsam mit den konservativen Einwanderern aus Anatolien haben die „Islamisten“ das Alltagsleben und die Stadtkultur verändert. Immer mehr wurde das Unangepasste, das Anarchische, das Subkulturelle aus der Stadt vertrieben. Allein die Ausschankpolitik für Alkohol hat ganze Ausgehviertel „ausgetrocknet“. Kreative verlassen die Stadt, die

Parade der Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender ist wieder verboten, Frauen in Minikleidern werden regelmäßig auf offener Straße angegriffen. Nach den Gezi-Protesten ist von einer vitalen Protestkultur keine Rede mehr. Spätestens seit dem Putschversuch sind die Menschen eingeschüchtert. Neben der „islamistisch-frommen“ Stadtregierung verändern riesige Bauprojekte die Stadt. Für eine oft oberflächliche Modernität werden alte Wohnviertel und Holzvillen abgerissen oder Parks zerstört. Die Spuren der „gewachsenen Stadt“ verschwinden mehr und mehr aus dem Stadtbild. Die Autor*innen beschreiben die Schönheit und Einzigartigkeit ihrer Stadt, thematisieren aber auch ihre Trauer über den Verlust des vertrauten Stadtbildes und der gesellschaftlichen Toleranz – und hoffen trotz allem, dass „ihr“ Istanbul nicht ganz verloren geht ... n

BENİMİST Mein Istanbul – Benim İstanbul'um – My Istanbul Hrsg. von Sefa İnci Suvak und Suleman Taufiq, Fotos von Cana YIlmaz und İskender Muhlis Kenter, Texte verschiedener Autoren DE / EN / TR, 53,00 EUR, ISBN 978-3-9818128-0-0 www.edition-et.de Das Buch kann im Buchhandel und in der DTF-Geschäftsstelle erworben werden.


Kunst & Kultur

Wir verbrachten halbe Nächte in kahlen Teehäusern, in der verrauchten „Çiçek-Bar“, wo die Filmleute verkehrten, oder in den dubiosen Gazinosus. Ich erinnere mich noch an die schwarze Mähne der feisten Hakkı Mahfuzdur. Während ihres Gesangs tanzten kleine Zigeunermädchen für blöde Touristen und für uns. Fast alle Musiker waren Zigeuner und wohnten in Sulukule, einem verfallenen Bezirk direkt an der byzantinischen Stadtmauer, einer Shantytown, die es heute nicht mehr gibt. Aber damals in den 70erund 80er-Jahren träumten die Istanbuler Männer von Sulukule und von den Lockungen, die die Zigeunerinnen dort bereithielten. Joachim Sartorius

Markaris bat mich, die Augen zu schließen. „Was riechen Sie?“, fragte er. „Lack!“, antwortete ich, weil der Wind gerade die frische Farbe vom Schreiner herübertrug. Markaris lachte und sagte, Istanbul erkenne und verstehe man am besten durch seine Gerüche. „Versuchen Sie es mal!“ Ich habe nie eine bessere Bedienungsanleitung für die riesige, unübersichtliche Stadt gefunden ... Ich konnte mich nach einer Weile blind durch unser Dorf bewegen und konnte am Geruch genau erkennen, wo ich war und wen ich grüßen musste. Ich habe mich in Istanbul über meine Nase integriert. Michael Thumann

wirbiz

13


Lange bin ich früh aufgestanden. Das war in Istanbul, am asiatischen Ufer des Bosporus, in meiner geliebten Stadt, die mir überall hin nachgefolgt ist und deren Andenken für immer wie ein glühendes Eisen in meine Erinnerung eingeprägt ist. Jeden Morgen stand ich zur Gebetsstunde auf, um zu schreiben. Nedim Gürsel

An der letzten Haltestelle in Anadoluhisar stieg ich aus und ging essen. Die ersten Male reagierten die Kellner befremdet, damals in den Siebzigern ging ein junges Mädchen nicht allein in ein Fischrestaurant und bestellte sich zum Essen einen doppelten Rakı. Ich liebte es, beim Essen zu lesen oder zu schreiben. Diese Gewohnheit mag mir geholfen haben. Sie akzeptierten mich schließlich. Es gab meinen Tisch und den Wirt, die Kellner, die mich schützten. Sie kannten meine Lieblingsspeisen, ich wurde schließlich gar nicht mehr gefragt, was ich wollte. Wenn ich eine oder gar zwei Wochen fehlte, waren sie besorgt. Arzu Toker

14

wirbiz


Kunst & Kultur

Einst die Hauptstadt des Oströmischen, Byzantinischen, Lateinischen (Kaiser-) und Osmanischen Reiches, vor 2700 Jahren von Byzas aus Megara gegründet, wurde die Stadt seither mehrmals erobert, Hunderte von Malen in Schutt und Asche gelegt. Die Stadt, die Völker, Völkerwanderungen, Armeen über sich ergehen ließ und sich doch jedes Mal aufs Neue aus Trümmern erhoben hat, wurde als Istanbul aus ihrer Asche neu geboren. Ihre tief verletzte Seele wurde jedes Mal neu belebt. Ich trage die Hoffnung in mir, dass es auch dieses Mal wieder so sein wird. Oya Baydar

Früher stiegen aber auch die irrsinnigen Absinthsäufer die Turmtreppen hoch, stießen sich von der Brüstung der Aussichtsplattform ab, schraubten sich in die Luft und fielen vor die Füße eines Gendarmen. In den Taschen der Turmspringer fand man meist einen Liebesbrief an eine junge Gazellenäugige, die den dramatischen Verehrer ab sofort in ihre Gebete aufnahm. Diese Geschichten aus einer alten Zeit rühren die Türken immer noch zu Tränen, auch wenn sie sich heute besser im Leben einzurichten wissen. Feridun Zaimoğlu

wirbiz

15


ERFOLGSFAKTOR: PERSPEKTIVENWECHSEL Seyhan Çalışkan-Turan im Gespräch mit Kathrin Vogelbacher

D

as Thema der Agentur mehrwert gGmbH ist Perspektivenwechsel. Die Idee hinter den Programmen für Führungskräfte, Auszubildende und Mitarbeiterteams ist so überzeugend wie einfach: Für kurze Zeit verlassen die Teilnehmenden ihren Arbeitsplatz und arbeiten in einem Wohnheim für ältere Menschen, einer Einrichtung für Menschen mit Behinderungen oder einer Anlaufstelle für Wohnungslose mit. Das ist Lernen im realen Leben, mit Kopf, Herz und Hand. Teilnehmende werden darin gestärkt, mit sich selbst und anderen situationsangemessen umzugehen und profitieren vom Einblick in andere soziale Realitäten. Gleichzeitig profitieren die sozialen Einrichtungen und die betreuten Menschen – die Begegnung und das voneinander Lernen stehen im Vordergrund. mehrwert ist eine gemeinnützige GmbH, die durch den Stifterverbund zur Förderung Sozialen Lernens gefördert wird. Daneben finanziert sich mehrwert über Drittmittelprojekte im Bereich Schule und Hochschule sowie aus Projekten mit Unternehmen aus der Wirtschaft.

Die stellvertretende Geschäftsführerin Kathrin Vogelbacher hat sich mit uns über die Arbeit der Agentur mehrwert unterhalten.

16

wirbiz

wirbiz Können Sie uns die Idee hinter dem Sozialen Marktplatz erläutern und wie diese zur Agentur gekommen ist? Kathrin Vogelbacher Das Konzept kommt ursprünglich aus den Niederlanden. Das bundesweit agierende Coperate Social Responsibility- und Corporate Citizenship-Netzwerk UPJ (Unternehmen: Partner der Jugend) hat gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung und einigen engagierten Unternehmen das Konzept nach Deutschland geholt und bundesweit aufgesetzt. In Stuttgart gab es den ersten Sozialen Marktplatz im Jahr 2007. Seither veranstalten wir gemeinsam mit dem Bereich Förderung Bürgerschaftliches Engagement der Stadt Stuttgart den Sozialen Marktplatz. Unterstützt werden wir dabei von unseren langjährigen Förde-

rern der Deutschen Bank und der Curacon Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Der Soziale Marktplatz gibt Unternehmen aus der Wirtschaft und gemeinnützigen Organisationen eine Plattform des Austauschs und des Kennenlernens. Alle Teilnehmenden kommen mit einem Angebot und einer Nachfrage zum Marktplatz. Dann geht es darum, den richtigen Partner zu finden und sogenannte Engagementvereinbarungen abzuschließen: Ein Betriebspraktikum gegen einen Erste-Hilfe-Kurs, ein Whiteboard für eine Beratung über seriöses Spendenmanagement – der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt, nur Geldgeschäfte sind tabu. Wir würden uns sehr freuen, wenn wir auch türkische Unternehmen für den Sozialen Marktplatz begeistern könnten. Wir wissen, dass die türkeistämmigen Unternehmen

Kathrin Vogelbacher gibt Einblicke in die Arbeit von mehrwert.

in Stuttgart sehr vielfältig und engagiert sind. Es wäre eine große Bereicherung für unser Netzwerk, wenn sie dieses Engagement auf dem Marktplatz einbringen, denn ein Netzwerk lebt immer davon, dass neue Akteure und Perspektiven dazu kommen. Also, eine herzliche Einladung an alle türkeistämmigen Unternehmen in Stuttgart am 10. Sozialen Marktplatz teilzunehmen! Übrigens: 2018, zum Zehnjährigen, soll der Marktplatz den Teilnehmenden etwas Besonderes bieten – das wird aber noch nicht verraten. Ein anderes Konzept ist das Qualifizierungsprogramm Gute Sache. Es wird bundesweit umgesetzt und aktuell auch von zwei DTF-Mitarbeiterinnen besucht. Das Projekt qualifiziert gemeinnützige Organisationen darin, gute Kooperationen mit Unternehmen einzugehen, über Spenden und Sponsoring hinausgedacht. Durch Seminare und Workshops werden die Teilnehmenden qualifiziert, ein Umdenken wird realisiert und Wissen und Erfahrung werden bereitgestellt, um Schnittmengen zwischen gemeinnützigen Organisationen und Unternehmen aus der Wirtschaft zu finden. Das Angebot trifft auf eine hohe Nachfrage, weshalb Gute Sache auch in 2018 wieder für interessierte gemeinnützige Organisationen angeboten werden soll.


Wirtschaft Auszubildende in einem Wohnheim für Jugendliche in schwierigen Situationen.

wirbiz Ein Programm, das speziell auf Auszubildende zugeschnitten ist, ist Open up!. Was sind die Projektinhalte, wie sind die Voraussetzungen? Kathrin Vogelbacher Open up! ist unser Programm für offene Herzen und starke soziale Kompetenzen in der Ausbildung. Eine Woche arbeiten die Auszubildenden in einer sozialen Einrichtung mit. Vor Ort müssen sie sich ungewohnten Situationen stellen, kommen in Kontakt mit Menschen, die Unterstützung benötigen und lernen dabei andere Lebenswelten kennen. Sie setzen sich mit Fragen wie sozialer Gerechtigkeit, Werten und eigenen Stärken und Schwächen auseinander und haben die Gelegenheit, ihre eigenen Wertvorstellungen zu reflektieren. Viele Azubis berichten, dass sie durch das Sozialprojekt ganz neue Seiten und Stärken an sich entdeckt haben. Nachdem sie mit unterschiedlichen Herausforderungen in den sozialen Einrichtungen konfrontiert wurden, trauen sie sich auch im „normalen“ Alltag mehr zu, weil sie wissen, dass sie mehr können, als sie denken. Da sie diese neu erworbenen Fähigkeiten nicht an der Unternehmenstür abgeben, sondern viel mehr auch ins Unternehmen hineintragen, bringt Open up! auch den Ausbildungsbetrieben einen Mehrwert. Viele

ehemalige Teilnehmende gehen durch ihren Gewinn an Selbstvertrauen ganz offen auf unbekannte Aufgaben in einer neuen Abteilung zu und nehmen neue berufliche Herausforderungen motiviert und selbstbewusst an. Und das ist nur ein Mehrwert unter vielen für Azubis und Unternehmen. Die Agentur mehrwert ist außerdem die fachliche Begleitung des Lea-Mittelstandspreises für soziale Verantwortung in Baden-Württemberg. Der Mittelstandspreis steht für Leistung – Engagement – Anerkennung. Ausgezeichnet werden dabei sozial engagierte, kleine bis mittelständige Unternehmen in Baden-Württemberg. Der Trägerkreis, zusammengesetzt aus Diakonie und Caritas gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium in Baden-Württemberg, verleiht die Lea einmal im Jahr. Die Unternehmen können sich mit einem Kooperationsprojekt, das sie gemeinsam mit einem Partner aus dem gemeinnützigen Bereich haben, bewerben. Auch hier sind türkeistämmige Unternehmen eingeladen, sich mit ihrem Engagement für die Lea 2018 zu bewerben. Alle Informationen zur Lea finden Interessierte auf der Lea-Homepage.

wirbiz Ein weiteres Format ist das Projekt Blickwechsel, speziell für Führungskräfte. Wie dürfen wir uns das Angebot vorstellen? Kathrin Vogelbacher Bei Blickwechsel sind Führungskräfte in all ihren menschlichen Facetten gefragt. Im Rahmen des Programms werden durch die aktive Arbeit in einer sozialen Einrichtung ein emotionales Berührtwerden und außergewöhnliche Begegnungen ermöglicht, die durch Reflexion und hoch professionelles Coaching aufgefangen werden. Soziale Einrichtungen sind besondere Lernorte – keine gewöhnlichen Seminarsettings. Werkstätten für Menschen mit Behinderung, Wohngruppen für schwierige Jugendliche, Anlaufstellen für Obdachlose sind Orte, die starke emotionale Impulse jenseits der eigenen Komfortzone bieten und garantieren dadurch nachhaltiges Lernen. Denn dort findet ein Lernen im realen Leben statt, es wird nichts arrangiert und was tatsächlich passiert, ist nicht planbar. Die Führungskräfte sind herausgefordert, auf ungewohntes Kommunikationsverhalten spontan zu reagieren, sich mit irrationalem Verhalten auseinanderzusetzen oder junge Menschen auszuhalten, die keinerlei Ambitionen haben. Die Begegnung bringt die Teilnehmenden an die Grenzen der

Kathrin Vogelbacher hat in Mannheim Betriebswirtschaftslehre mit interkultureller Qualifikation (Italienisch) studiert und ist seit 2011 bei der Agentur mehrwert gGmbH aktiv, derzeit als stellvertretende Geschäftsführerin. Seit 2017 ist sie Sprecherin des UPJ-Netzwerkes.

eigenen Handlungsmöglichkeiten: Wie soll ich mich verhalten? Wie kann ich helfen? Wie kann ich mitfühlen und mich dennoch abgrenzen? Der Kern aller unserer Projekte bleibt der Perspektivenwechsel. Bei Blickwechsel liegt der Schwerpunkt jedoch auf Führungsthemen und der Stärkung einer authentischen Führungspersönlichkeit. Nach dem aktiven Arbeiten in einer sozialen Einrichtung wird reflektiert: Was habe ich in dieser Woche erlebt? Was wird mir dadurch deutlich? Welches Business-Thema kann ich darin erkennen und was nehme ich mir für die nächsten drei Monate vor? Dies sind die Schritte, die Lernen auslösen. n

wirbiz

17


EIN UNTERSTÜTZENSWERTES ENGAGEMENT Sabine Reich über das Patenschaftsmodell des Ağabey-Abla-Mentoringprogramms

Wie Unternehmen einen aktiven Beitrag für mehr Bildungsgerechtigkeit in unserer Region leisten können

S

eit seiner Gründung engagiert sich das Deutsch-Türkische Forum Stuttgart e.V. im Bildungsbereich. Das bisher bekannteste Engagement, das hieraus hervorgegangen ist, ist das Ağabey-Abla-Mentoringprogramm. Ağabey-Abla ist türkisch und bedeutet großer Bruder – große Schwester. Das Programm fördert bereits seit 2009 durch Mentoring-Beziehungen die Bildungswege türkeistämmiger Schüler*innen und Studierender. Mit Beginn des Schuljahres 2017 / 18 sind wir somit gerade in unser achtes Programmjahr gestartet. Auch wenn der Begriff „Bildungsgerechtigkeit“ politisch schon geraume Zeit in aller Munde ist, gibt es nach wie vor viel zu tun. Das erleben wir durch unseren intensiven Kontakt mit den beteiligten Kindern, Familien und Ehrenamtlichen täglich aufs Neue. Dass sich das Konzept des Programms bewährt hat, steht außer Frage. Mit welch anhaltend hoher Qualität das Programm durchgeführt wird, hat die Ver-

18

wirbiz

Junge Türkeistämmige engagieren sich im Programm.

leihung des Stuttgarter Qualitätssiegels für Patenprogramme gerade wieder bestätigt. Unter Leitung der Abteilung Stuttgarter Bildungspartnerschaft war es allen hier ansässigen Mentoringprogrammen möglich, sich um ein solches Siegel zu bewerben. Bewertet wurden dabei die sechs Kernprozesse Öffentlichkeitsarbeit, Auswahl der Paten, Aufnahme der Kinder, Jugendlichen und Familien, das Matching (Zusammenführung der Tandems), die Startphase sowie die Begleitung der Paten, der Kinder, Jugendlichen und Familien. Bei der ersten Verleihung des Qualitätssiegels im

Juni 2017 wurde das AğabeyAbla-Programm nach dem erfolgreichen Durchlaufen einer intensiven Bewerbungsphase als eines von sieben Programmen ausgezeichnet. Dennoch steht das Ağabey-AblaProgramm keineswegs still. Es verändert sich kontinuierlich, passt sich konzeptionell den sich wandelnden Gegebenheiten der städtischen Schullandschaft und des Bildungswesens an. Das betrifft jedoch nicht nur die pädagogische Betreuung der Mentees, sondern auch

die Förderung der engagierten Mentorinnen und Mentoren. Ein besonders wichtiges Thema ist dabei die Schaffung von attraktiven Anreizfaktoren. Es ist nicht einfach, junge Menschen für ein zeitintensives ehrenamtliches Engagement zu gewinnen. Die Ausbildungswege an Schulen und Hochschule werden immer dichter, Stunden zur freien Zeiteinteilung und damit zur außerinstitutionellen Bildung immer weniger. Dennoch ist der Gewinn durch ehrenamtliches Engagement und der Gewinn von jungen Arbeitnehmern, die während ihrer Ausbil-


Aus dem Deutsch-Türkischen Forum

Ağabey-Abla wurde als eines von sieben Mentoringprogrammen von der Stadt Stuttgart ausgezeichnet.

dung die Möglichkeit erhalten, über den eigenen Tellerrand zu schauen, unbestritten. Genau diesen „Blick über den Tellerrand“ bietet das DTF seinen jungen Engagierten – nicht nur im Ağabey-Abla-Mentoringprogramm. Neben der Möglichkeit das eigene Netzwerk zu erweitern, selbst vom Wissen erfahrener Persönlichkeiten zu profitieren oder sich ECTS-Punkte an der Hochschule anrechnen zu lassen, wird jährlich ein für die Teilnehmenden individuell zugeschnittenes Fortbildungsprogramm angeboten. Hierzu gehören Seminare und Workshops in den Bereichen Persönlichkeitsentwicklung, berufliche Orientierung und natürlich Pädagogik. Abgerundet wird das Angebot mit regelmäßigen Treffen und Ausflügen in den Bereichen Kultur, Natur und Sport, die auch die am Programm

teilnehmenden Kinder und Familien miteinbeziehen. Auch im Bereich der Finanzierung ist das Ağabey-Abla-Programm „gezwungen“ immer wieder neue Wege zu gehen. Hier versuchen wir uns gesellschaftliche Veränderungen positiv zu Nutze zu machen. Aktiv Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen wird auch in Unternehmen immer wichtiger. Unter den Stichworten „Nachhaltige Unternehmensführung“ oder „Corporate Social Responsibility“ unterstützen wirtschaftliche Unternehmen gemeinnützige Ziele. Dabei geht es längst nicht mehr nur um die rein finanzielle Beteiligung, sondern auch um ideelle Unterstützung gesellschaftlicher Themen und sozialer Projekte. Das bringt auf Unternehmensseite, zusätz-

Die jungen Engagierten bilden ein starkes Netzwerk.

lich zu einem positiven Image, nicht zu unterschätzende Vorteile mit sich: Es kann erfolgreich zur Nachwuchssicherung genutzt werden und wirkt langfristig dem Fachkräftemangel entgegen. Vor diesem Hintergrund verstehen wir auch das Engagement von Wirtschaftsunternehmen im DTF. Besonders für unser Mentoringprogramm sind wir aktuell auf der Suche nach Paten aus Wirtschaft und Industrie. Es geht darum, das ehrenamtliche Engagement der Ağabeys und Ablas sowie ihre Bildungsbiografien nachhaltig zu fördern. Hierdurch werden gleichzeitig die betreuten Kinder, Eltern und Familien unterstützt. Auf diesem Wege gestalten wir gemeinsam die Zukunft in unserem Land. n

Wie eine solche Förderung aussehen kann, erläutern wir Ihnen sehr gerne persönlich. Setzen Sie sich mit uns in Verbindung, wir freuen uns über Ihre Kontaktaufnahme: Deutsch-Türkisches Forum Stuttgart e. V. Kerim Arpad Geschäftsführer info@agabey-abla.de 0711 / 248 44 41

Mit der Hilfe der Abla fallen die Hausaufgaben leichter.

wirbiz

19


DER TÜRKISCHE OBAMA

Türk Obama Ein Beitrag von Dr. Yaşar Aydın

Kemal Kılıçdaroğlu führt den Marsch für Gerechtigkeit in der Türkei an. Er ist der linke Hoffnungsträger für die Wahl 2019.

A

m 9. Juli 2017 verlangte Kemal Kılıçdaroğlu in Istanbul vor Hunderttausenden das Ende des Ein-Mann-Regimes in seinem Land. Auch mit dem Ausnahmezustand wolle man nicht länger leben: „Wir sind für die Rechte der Unterdrückten und die verhafteten Parlamentarier gelaufen.“ Bis dorthin hat der Chef der kemalistischen Oppositionspartei CHP (Republikanische Volkspartei) den mehr als 400 Kilometer langen Marsch für Gerechtigkeit angeführt, der am 15. Juni in Ankara begann. Kılıçdaroğlu wollte auf die „Rechtlosigkeit, Unrechtmäßigkeit und Ungerechtigkeit“ in der Türkei aufmerksam machen. Auslöser war die Verhaftung des CHP-Abgeordneten Enis Berberoğlu, der zu 25 Jahren Haft wegen Geheimnisverrats verurteilt worden war. Der Betreffende soll den Journalisten Can Dündar und Erdem Gül von der Zeitung Cumhuriyet Filmmaterial über Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes nach Syrien zugespielt haben.

20 wirbiz

Kılıçdaroğlu ist es gelungen, auf politische Missstände in der Türkei aufmerksam zu machen und sogar Anhänger der AKP (Partei der Gerechtigkeit und Entwicklung) anzusprechen. „Was unterscheidet die Marschierer von den Putschisten des 15. Juli vor einem Jahr?“, fragte Staatschef Erdoğan und legte nach: Kılıçdaroğlu wolle – wie bei den Gezi-Park-Protesten 2013 – Chaos und Anarchie provozieren. Die Reaktion des Präsidenten zeigt, dass Kılıçdaroğlus Bewegung Wirkung hinterlässt. Erdoğan konnte schließlich das Referendum über das Präsidialsystem nur knapp gewinnen. Und er will 2019 wieder für das Amt des Staatspräsidenten kandidieren – als Frontmann einer Autokratie. Ob Kılıçdaroğlu dies verhindern kann, scheint fraglich. Er ist bisher mehrfach daran gescheitert, Erdoğan die Macht zu entreißen. Der heute 69-Jährige machte vor Jahren mit einem Gutachten über Korruption auf sich aufmerksam, woraufhin ihn der damalige CHP-Vorsitzende Deniz Baykal bei der Parlamentswahl 2002 auf die Parteiliste setzte. Zu landesweiter Popularität kam Kılıçdaroğlu, als er nach seiner Wiederwahl im Jahr 2007 Amtsvergehen von Führungskadern der regierenden AKP aufdeckte und nach einem erfolgreichen Fernsehduell den Rücktritt des AKP-Politi-

Kemal Kılıçdaroğlu gehört der alevitischen Minderheit an. Kemal Kılıçdaroğlu Alevi azınlığına mensup.


Politik & Gesellschaft

Kemal Kılıçdaroğlu wurde 1948 in Tunceli geboren und ist seit 2010 Vorsitzender der kemalistisch-sozialdemokratischen CHP, der größten Oppositionsfraktion im türkischen Parlament.

kers Dengir Mir Fırat bewirkte. Die CHP-Führung war davon mehr als angetan und nominierte den Aufklärer bei der Kommunalwahl 2009 für das Amt des Istanbuler Oberbürgermeisters. Auch wenn sich Kılıçdaroğlu gegen den damaligen Amtsinhaber Kadir Topbaş nicht durchsetzen konnte, holte er für die CHP einen kaum für möglich gehaltenen Stimmenzuwachs.

Die Hoffnung einer moderaten Linken 2010 dann, kurz vor einem Parteikongress der CHP, tauchte im Internet ein Sex-Video des langjährigen Parteichefs Baykal auf. Dieser fühlte sich beschädigt und war zweifelsfrei diskreditiert, sodass Kılıçdaroğlu schließlich die Bitte von Generalsekretär Önder Sav erhörte. Er übernahm den Vorsitz einer Partei, die einst Koryphäen wie Kemal Atatürk, İsmet İnönü und Bülent Ecevit führten.

Die CHP ging 1919 aus der Gesellschaft zur Verteidigung der Rechte von Rumelien und Anatolien hervor, die den nationalen Widerstand gegen die armenische und griechische Besatzung Anatoliens organisierte, und formierte sich 1923 als Partei. Die säkulare Mitte-Links-Partei versteht sich als Garant der „unabhängigen, republikanischen und laizistischen Türkei“ und steht nach eigener Angabe für Menschenrechte, die Herrschaft des Rechts, Gewaltenteilung, Unabhängigkeit der Justiz und Rechtstaatlichkeit. Entgegen ihres Selbstbildes ist die CHP programmatisch, organisatorisch und rhetorisch mit einer sozialdemokratischen Partei europäischen Vorbilds nicht vergleichbar. Die CHP wird in erster Linie von säkularen, liberalen wie nationalen urbanen Bevölkerungsschichten vor allem in der Westtürkei gewählt. Die Istanbuler Stadtbezirke Beşiktaş, Kadıköy oder Bakırköy, die sich größtenteils aus der mittleren und oberen Mittelschicht zusammensetzt, sind Hochburgen der CHP. In Zentralanatolien schnitt die CHP bei den letzten Kommu-

nal- (2014) und Parlamentswahlen (Juni und November 2015) vergleichsweise schlecht ab, im Osten und Südosten der Türkei lag sie mit etwa zwei Prozent weit abgeschlagen hinter AKP, MHP (Partei der Nationalistischen Bewegung) und HDP (Demokratische Partei der Völker). Stärkste Kraft ist sie nur in Thrakien und in einigen Provinzen in den Küstenregionen. Kılıçdaroğlu bestärkte die Hoffnungen einer moderaten Linken und wurde als möglicher türkischer Obama gefeiert. Wie dieser gehörte auch er einer Minderheit an, der gesellschaftliche Anerkennung verwehrt blieb. Schließlich entstammt Kılıçdaroğlu einer alevitischen Familie aus Ballıca in der osttürkischen Provinz Tunceli, in der 1938 ein Aufstand blutig niedergeschlagen wurde. Bis heute kann in der Türkei das Bekenntnis zu einer alevitischen Identität für eine latente Diskriminierung sorgen. Kılıçdaroğlu hat vermutlich deshalb nie Fragen der Identität und kulturellen Wurzeln gestellt, sondern stets die soziale Gerechtigkeit zu seiner Priorität erklärt. Ohne die säkulare Grundierung der Partei aufzugeben, bemühte er sich um Stimmen auch konservativer Bevölkerungskreise. In der Kopftuch- und Kurdenfrage nahm er stets eine liberale Haltung ein.

Gleichwohl unterlag Kılıçdaroğlu sowohl bei einem ersten Verfassungsreferendum 2010, als auch bei der Parlamentswahl 2011 der AKP, auch wenn er den Stimmenanteil der CHP hochschrauben konnte. 2015 eröffnete sich für die CHP die Möglichkeit einer Regierungsbeteiligung, als die AKP bei der Wahl ihre absolute Parlamentsmehrheit verlor. Doch die Koalitionsgespräche mit Davutoğlu führten zu keinem Ergebnis. Auch gelang es Kılıçdaroğlu nicht, die nationalistische MHP von einer Minderheitsregierung zu überzeugen, die möglicherweise von der pro-kurdischen HDP toleriert worden wäre. Beim zweiten Parlamentsvotum im gleichen Jahr blieb es der CHP versagt, ihren Stimmenanteil weiter auszubauen. Im Unterschied dazu gewann die AKP mit knapp 50 Prozent der Stimmen wieder die absolute Mehrheit der Mandate zurück. Nun hat die knappe Mehrheit, die sich im April für eine Verfassungsrevision aussprach, die Opposition zuversichtlich gestimmt. Der Gerechtigkeitsmarsch und das große Meeting

wirbiz

21


„KILIÇDAROĞLU IST ES GELUNGEN, AUF POLITISCHE MISSSTÄNDE AUFMERKSAM ZU MACHEN.“ danach zeigen, dass Kılıçdaroğlu erneut Erwartungen weckt. Ob das für einen Machtwechsel reicht, wird davon abhängen, inwieweit der Hoffnungsträger mit seinen Anhängern den Druck auf die Regierung und Erdoğan erhöhen kann. Der Gerechtigkeitsmarsch hat jedoch auch gezeigt, dass trotz des gemeinsamen Gegners die Positionen der oppositionellen CHP, MHP und HDP weit auseinanderliegen, was die Mehrheitsfähigkeit eines Anti-AKP-Lagers massiv schwächt. Der kurdische Nationalismus, der in der HDP relativ stark vertreten ist, und deren PKK-Nähe erschweren es der CHP, ein nachhaltiges Bündnis mit der prokurdischen HDP einzugehen. Ähnlich verhält es sich mit der nationalistischen MHP, die im Herbst 2016 eine Allianz mit der AKP eingegangen ist und der AKP und Erdoğan beim Verfassungsreferendum zur Einführung des Präsidialsystems zur Seite stand. Dadurch rückte eine mögliche Zusammenarbeit mit der MHP bei der Präsidentschaftswahl 2019 in weite Ferne. Hinzu kommt, dass Meral Akşener

22 wirbiz

ihre Kandidatur für das Amt des Staatspräsidenten erklärt hat und im Oktober 2017 mit ihren Weggefährten aus der MHP eine neue Partei gründen will. Dies kann sich ebenfalls negativ auf die Erfolgsaussichten der CHP und ihren Spitzenkandidaten bei den zusammengelegten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen auswirken. Kılıçdaroğlu steht schließlich in der Kritik, erst durch seine Zustimmung die Aufhebung der Immunität von 148 Abgeordneten, darunter Enis Berberoğlu, ermöglicht zu haben. Er wird mehr an seiner Glaubwürdigkeit arbeiten müssen. Ein Triumph bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Jahr 2019 scheint nur dann realistisch, wenn Kılıçdaroğlu seine Basis mit so viel Empathie zu mobilisieren versteht wie jetzt die Teilnehmer des Marsches nach Istanbul. n Dieser Artikel wurde bereits leicht verändert in der Wochenzeitung Der Freitag veröffentlicht.

Kemal Kılıçdaroğlu Türkiye’deki Adalet Yürüyüşü’ne liderlik ediyor. O, 2019’daki seçimlerde sol kesimin umudu.

K

emal Kılıçdaroğlu 9 Temmuz 2017 tarihinde İstanbul’da yüz binlerce kişinin önünde ülkesindeki tek adam rejiminin bitmesini talep etti. Aynı zamanda artık OHAL’le yaşamak istemediğini belirtti. “Baskı altındaki insanların hakları ve tutuklu milletvekilleri için yürüdük” diyen muhalefet kemalist parti CHP’nin Başkanı, 15 Haziran’da Ankara’da başlayan 400 kilometreden fazla olan yürüyüşe liderlik etti. Kılıçdaroğlu bu yürüyüşle Türkiye’deki “hukuksuzluğa ve adaletsizliğe” dikkat çekmek istedi. Yürüyüşü başlatan olay ise CHP Milletvekili Enis Berberoğlu’nun tutuklanması oldu. Berberoğlu, Cumhuriyet Gazetesi’nden Can Dündar ve Erdem Gül’e Türkiye Milli İstihbarat Teşkilatı’nın Suriye’ye silah yardımı yaptığı görüntüleri izletmekle suçlanıyor. Kılıçdaroğlu bu yürüyüşle Türkiye’deki politik durumun ne denli kötü olduğuna dikkat çekmeyi, hatta AKP’yi destekleyen insanlara bile ulaşmayı başardı. Cumhurbaşkanı Erdoğan yürüyüşle ilgili şunu sormuştu: “Yürüyen-

lerin geçen yıl 15 Temmuz’daki darbecilerden ne farkı var?” Erdoğan’a göre Kılıçdaroğlu tıpkı 2013’teki Gezi Parkı protestolarında olduğu gibi insanları kaosa ve anarşiye sürüklemek istiyor. Cumhurbaşkanının tepkisi, Kılıçdaroğlu’nun yürüyüşünün toplu etkisini gösteriyor. Erdoğan başkanlık sistemi için yapılan referandumu çok küçük bir oy farkıyla kazanmıştı. 2019’daki seçimlerde ise Devlet Başkanlığı için adaylığını koymak istiyor, bu sefer bir otokrasinin başındaki adam olarak. Kılıçdaroğlu’nun bunu engelleyip engelleyemeyeceği merak konusu. Kılıçdaroğlu bugüne kadar Erdoğan’ın gücünü elinden alma konusunda bir çok kez başarısız oldu. 69 yaşındaki Kılıçdaroğlu, yıllar önce dikkatleri üzerine yolsuzluk hakkında verdiği soru önergeleriyle çekmiş, zamanın CHP Başkanı Deniz Baykal 2002 Genel Seçimlerinde onu parti listesine dahil etmişti. Kılıçdaroğlu’nun ülke çapında tanınması ise 2007’deki seçimlerden sonra AKP hükümetinin yönetici kademelerindeki insanların görevi suiistimal


Politik & Gesellschaft

„KILIÇDAROĞLU SIYASI

DURUMUNUN NE KADAR KÖTÜ OLDUĞUNA DIKKAT ÇEKTI.“

ettiğini ortaya çıkarması ve çıktığı bir televizyon programı sonrasında AKP’li Dengir Mir Fırat’ın görevinden geri çekilmesini sağlamasıyla gerçekleşti. CHP yönetimi bunun üzerine Kılıçdaroğlu’nu 2009 Yerel Seçimleri’nde İstanbul Büyükşehir Belediye Başkanlığı’na aday gösterdi. Kılıçdaroğlu bu seçimlerde o sırada görevde bulunan Kadir Topbaş’ın yerine geçemese de CHP’nin oy oranını beklenmedik bir şekilde artırmayı başardı.

Ilımlı Solun Umudu Sonrasında, 2010 yılında, CHP Olağan Kurultayı’nın hemen öncesinde partinin uzun yıllar Genel Başkanlığını yapmış De-

niz Baykal’ın seks kaseti internet ortamında yayınlandı. Baykal’ın itibarı bu olayın ardından fazlasıyla zarar görünce Kılıçdaroğlu Genel Sekreter Önder Sav’ın çağrısına kulak verdi. Bir zamanlar Mustafa Kemal Atatürk, İsmet İnönü ve Bülent Ecevit gibi önderlerin başkanlık ettiği partinin başına geçti. CHP 1919 yılında Anadolu’nun Ermeni ve Yunan işgaline karşı direnmek için toplanan Anadolu ve Rumeli Müdafaa-i Hukuk Cemiyeti adıyla kuruldu, 1923 yılında ise Parti şekline dönüştü. Laik bir merkez sol parti olan CHP kendini “bağımsız, cum-

huriyetçi ve laik Türkiye’nin” koruyucusu olarak görüyor, insan haklarının, hukukun üstünlüğünün, güçler ayrılığının, bağımsız adaletin ve hukuk devletinin arkasında duruyor. CHP programı, organizasyonu ve retoriği itibariyle Avrupalı sosyal demokrat partilerle karşılaştırılabilir. Parti özellikle seküler ve liberal nüfusun yoğun olduğu bölgelerde, en çok da Türkiye’nin batısında seçiliyor. İstanbul’da ise seçmenleri Beşiktaş, Kadıköy ya da Bakırköy gibi ortasınıfın orta ve üst tabakalarının en çok bulunduğu yerlerden çıkıyor. CHP Orta Anadolu’da 2014 Yerel Seçimleri ve Haziran ve Kasım 2015 Genel Seçimlerinde oldukça az bir oy oranına sahip

Hunderttausende Menschen haben sich dem Gerechtigkeitsmarsch angeschlossen. Adalet yürüyüşüne yüz binlerce kişi katıldı.

wirbiz

23


Politik & Gesellschaft

oldu, Doğuda ve Güneydoğuda ise AKP, MHP ve HDP’nin ardından geldi. CHP’nin en güçlü olduğu bölgeler Trakya ile sahil bölgelerinde bulunan bazı iller. Kılıçdaroğlu ılımlı solun umutlarını yeşertti, Türk Obama olarak görüldü. Aynı Obama gibi, o da toplum tarafından tanınmayan bir azınlığa mensuptu. Kılıçdaroğlu 1938’de kanlı bir şekilde bastırılan bir ayaklanmanın gerçekleştiği Doğu ili Tunceli’nin Ballıca köyünde yaşayan Alevi bir ailenin çocuğuydu. O zamandan bugüne, Türkiye’de Alevi kimliğini açıklamak üstü kapalı da olsa ayrımcılığa maruz kalmaya sebep olabiliyor. Kılıçdaroğlu bu yüzden hiçbir zaman kimlik ve kültürel kökenle ilgili konuları ön plana çıkarmıyor, aksine her zaman sosyal adaletin öncelik listesinde ilk sırada olduğunu belirtiyor. Partinin seküler kesimini kaybetmeden muhafazakâr kesimin de oylarını almaya uğraşıyor. Başörtüsü ve Kürt sorununda da liberal bir görüş sergilemiş biri. Kılıçdaroğlu CHP’nin oylarını 2010 Anayasa Referandumu’nda ve 2011 Genel Seçimlerinde artırmayı başarmış olsa bile iki seçimde de AKP’nin gerisinde kaldı. 2015 yılında AKP’nin meclis çoğunluğunu kaybetme-

24 wirbiz

siyle seçime katılma şansı doğdu, ancak Davutoğlu’yla yapılan koalisyon görüşmeleri sonuçsuz kaldı. Kılıçdaroğlu, Kürt yanlısı HDP tarafından desteklenecek olan bir CHP / MHP koalisyonu kurma konusunda başarısız oldu. Aynı yıl ikinci kez gerçekleşen Meclis Seçimlerinde CHP oy oranını artıramadı, buna karşın AKP yüzde 50’ye yakın oy oranıyla mutlak çokluğu geri kazandı. Referandumda evet diyenlerin dahi bir kısmısı bu muhalefeti hakklı buluyor ve Türkiyede bir adalet sorunu olduğunu kabul ediyor. Adalet Yürüyüşü ve sonrasında insanların bir araya gelmesi, Kılıçdaroğlu’nun yeniden beklentileri uyandırdığını gösteriyor. Bunun gücün el değiştirip değiştiremeyeceğine yetmesi Kılıçdaroğlu’nun umutlu destekçilerinin Erdoğan ve hükümetine karşı baskıyı ne kadar artırdığına bağlı olacak. Adalet Yürüyüşü yine de muhalif CHP, MHP ve HDP’nin görüşlerinin ortak olan tek rakibine rağmen ne kadar farklı olduğunu ortaya koydu. CHP, Kürt milliyetçiliğini

de içinde barındıran ve PKK’ya olan yakınlığıyla bilinen HDP ile uzun süreli bir birliktelik kurmakta zorlanıyor. Aynı şekilde, 2016 sonbaharında AKP ile ortak olan ve AKP ve Erdoğan’a Anayasa Referandumu süresince destek veren MHP’yle de ortaklık kurmak güç. Bu yüzden 2019 Başkanlık Seçimlerinde MHP’yle yapılacak bir iş birliği şu anda oldukça uzak gözüküyor. Bunun üzerine Meral Akşener’in Devlet Başkanlığına adaylığını koyması ve Ekim 2017’de MHP’den ayrılan diğer üyelerle birlikte yeni bir parti kurmak istemesi durumu da var. Bütün bunlar, bir arada yapılacak olan Meclis ve Başkanlık Seçimlerinde CHP’nin ve adayının başarısı üzerinde olumsuz etki yaratabilir. Kılıçdaroğlu, aralarında Enis Berberoğlu’nun da bulunduğu 148 milletvekilinin dokunulmazlığının kaldırılmasını desteklediği için eleştiriliyor. Bu yüzden artık inanılırlığını artırmak için daha çok çaba sarf etmesi gerekecek. Kılıçdaroğlu 2019 Meclis ve Başkanlık Seçimlerinde zaferi, ancak Adalet Yürüyüşü’nde yaptığı gibi insanları empati çatısı altında toplanmaya çağırarak elde edebilir. n Bu makale daha önce Der Freitag gazetesinde yayımlandı.

Kemal Kılıçdaroğlu 1948 yılında Tunceli’de doğdu. 2010 yılından beri Türkiye Büyük Millet Meclisi’nde en büyük muhalefet olan CHP’nin Genel Başkanlığını yapıyor.


KONFLIKTLINIEN UND MACHTVERHÄLTNISSE IN DER TÜRKEI Eine Buchbesprechung von Kerim Arpad

D

ie politischen Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland waren wohl schon lange nicht mehr in so einer Krise wie in diesen Zeiten. Auch wenn bei der Betrachtung manch politischer Debatten oder vieler Medienberichte der Eindruck entstehen kann, dass diese Situation plötzlich entstanden sei, so hat sie doch langfristigere Ursachen. „Die Türkei befindet sich seit dem Machtantritt der islamisch-konservativen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) im Jahr 2002 in einem Wandlungsprozess, der bereits mit deutlichen politischen, wirtschaftlichen und institutionellen Machtverschiebungen einhergegangen ist“, macht der Hamburger Sozialwissenschaftler Dr. Yaşar Aydın deutlich. Aydın hat mit dem Band „Türkei“ in der Reihe „Analyse politischer Systeme“ des Wochenschau Verlags eine profunde und vielschichtige Betrachtung der zentralen Akteure, der institutionellen Rahmenbedingungen und der Funktionsweisen von Staat und Gesellschaft in der Türkei vorgelegt. Auch die

jüngste Verfassungsänderung per Referendum, mit der die Türkei in ein Präsidialsystem umgebaut werden soll, wird darin berücksichtigt. „Die Türkei wird in der deutschen Öffentlichkeit meist im Zusammenhang mit Demokratieabbau, Menschenrechtsverletzungen, Autoritarismus, Kurdenkonflikt und ihrer Verbindung zu türkischen Migranten in Deutschland wahrgenommen“, erkennt Aydın. „In der Tat weisen die jüngeren Entwicklungen in der türkischen Gesellschaft nicht in Richtung liberale Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und EU-Integration. Die autoritären Tendenzen sind jedoch nur zu verstehen, wenn neben dem Staatsaufbau des Landes auch innergesellschaftliche Entscheidungsprozesse, Konfliktlinien und Machtverhältnisse analysiert werden.“

Und dies gelingt Aydın auf äußerst sachlich-präzise Weise. Dabei schildert er zunächst die Entstehung der modernen Türkei seit dem Ende des Osmanischen Reichs und erläutert die Verfassungstradition des Landes, bis hin zu der Verfassung, die nach dem Militärputsch von 1980 entstand. Weiter stellt Aydın Aufbau und Verhältnis der drei Gewalten, die Entwicklung der Parteienlandschaft und der außerparlamentarischen Interessenverbände vor. Nach einem Überblick über die Sozialstruktur des Landes endet seine Analyse mit einer Betrachtung des Verhältnisses zwischen Politik und Religion, der Wirtschaft und der außenpolitischen Stellung der Türkei.

Yaşar Aydın: Türkei Wochenschau Verlag, 2017 224 Seiten ISBN 978-3-7344-0466-5 14,90 EUR

Yaşar Aydın möchte mit seinem Buch einen Beitrag zum Verständnis der heutigen Türkei, zu historischen Ursachen und institutionell verankerten Gründen der aktuellen Entwicklungen leisten. Dabei führt er den Lesenden mit geschärftem Blick und distanziert kritisch durch rund 100 Jahre türkischer Geschichte bis in die politisch und gesellschaftlich verworrene Gegenwart. n

wirbiz

25


EIN TÜRKISCHER WINZER IM RHEINGAU Kerim Arpad im Gespräch mit dem Sommelier und Winzer Ahmet Yıldırım

wirbiz Ihre Eltern kamen 1967 als Gastarbeiter nach Deutschland, Sie selbst sind als jüngstes von sechs Kindern 1980 in Bad Schwalbach geboren. Da wurde Ihnen das Winzertum vermutlich nicht in die Wiege gelegt wie bei vielen alteingesessenen Winzerfamilien. Wie ist Ihre Kindheit und Jugend verlaufen? Ahmet Yıldırım Das ähnelt zunächst jeder anderen klassisch türkischen Gastarbeiterfamilie. Wir sind drei Mädels, drei Jungs, ich bin das jüngste Kind. Wir sind in einer Gegend groß geworden, wo es einen Fußballverein gab, wo alle Jungs Fußball gespielt haben. Und so dachte ich wie jeder türkische Junge bis zu meinem 19. Lebensjahr, ich werde Fußballprofi. Ich war auch eigentlich ganz gut dabei, spielte damals beim SV Wehen Wiesbaden. Auch mein Vater meinte dann, Fußballprofi sei das richtige für mich. Aber mit 19, 20 habe ich dann gemerkt, so richtig Lust habe ich eigentlich nicht darauf. Der Sport war mir nicht mehr so wichtig. Ich habe dann eine kaufmännische Ausbildung gemacht, weil ich nach dem Abitur auch etwas lernen wollte. Nach der Lehre habe ich gemerkt, dass mir das eigentlich auch nicht viel Spaß macht, da entschloss ich mich zu einer Lehre als Sommelier, danach

26 wirbiz

als Winzer und bin schließlich durch die Welt gezogen. wirbiz Wann entdeckten Sie Ihre Leidenschaft für den Wein? Ahmet Yıldırım Meine damalige Freundin kam aus einer deutschen Familie. Da war der Wein fast bei jedem Abendessen wichtig. Für uns Kinder gab es dann verschiedene Ratespiele. Der Vater hat uns in den Keller geschickt, wir haben dort Flaschen in Alufolie verpackt und dann gab es Blindproben. Diese familiäre Bindung über das Essen und Wein, das Zusammensitzen und Wohlfühlen hat mir große Freude bereitet. Ich habe mich daraufhin entschlossen, Sommelier und Winzer zu werden. wirbiz Wie verlief die Ausbildung? Ahmet Yıldırım Wenn man Sommelier werden möchte, macht man entweder eine Restaurantausbildung oder eine Hotelfachausbildung. Das hatte ich beides nicht, also habe ich mich nach verschiedenen weinbaulichen Praktika in Südtirol für eine Sommelierlehre beworben. Ich habe dort in zwei Jahren mein Diplom zum Sommelier gemacht und parallel in einem Weingut als Chefsommelier in der Kellerei gearbeitet.

wirbiz Danach waren Sie in vielen Ländern unterwegs. Gehört das zu einer guten Ausbildung, die verschiedenen Anbaustile kennen zu lernen? Ist das wie die Wanderschaft der Gesellen im Handwerk? Ahmet Yıldırım Das ist keine Voraussetzung, aber grundsätzlich gibt es sehr viele tolle Weine auf der Welt. Und egal, wo man hinkommt, ist es über den Wein relativ einfach, tolle Menschen kennen zu lernen und Kontakte zu knüpfen. Die Weinkultur kann man in jedem Land unterschiedlich kennenlernen. Ich war nach der Schweiz in Italien, ein Jahr in Frankreich, habe dort meine weinbaulichen Fähigkeiten erweitert. Es war wichtig, unterschiedliche Sichtweisen und Weinkulturen zu erfahren. Für den Riesling muss man in Deutschland sein, für den Sauvignon Blanc in Frankreich und für die schweren Weine in der „Neuen Welt“, also Australien, wo ich auch ein Jahr war. Dort war es spannend zu sehen, wie Weine wie Syrah, Cabernet oder Merlot unter völlig anderen klimatischen Bedingungen als hierzulande gemacht werden. Das ist alles für den Horizont sehr wichtig.

wirbiz Sind Sie dabei aufgrund Ihrer türkischen Herkunft Vorurteilen begegnet? Ahmet Yıldırım Oh ja, das war natürlich gar nicht so einfach. Gerade hier im Rheingau gibt es viele Familien, die seit 700-800 Jahren Weinbau betreiben. Wenn dann ein türkischer Winzer mit einer eigenen Marke kommt und versucht, das Ganze ein bisschen aufzumischen, dann ist das nicht unbedingt immer willkommen. Ich musste mir den Platz erkämpfen. wirbiz Gab es auch nützliche Erfahrungen? Ahmet Yıldırım Mein Bekanntheitswert ist dadurch enorm gewachsen, dass ich Türke bin. Das ist meine erste Wahrnehmung. Ein Türke, der im Rheingau Wein macht – das hat sich natürlich sofort rumgesprochen und war für das Marketing sehr hilfreich. Das war auch ein Running-Gag im Freundeskreis: Kennst Du den Türken aus dem Rheingau? Das hat sich dann multipliziert und brachte viele lustige Anekdoten mit sich.


Kulinarik

Ahmet Yıldırım ist der erste türkeistämmige Sommelier in Deutschland.

wirbiz Wann kam die Entscheidung, selbst Weine zu produzieren? Ahmet Yıldırım Im Grunde genommen war das von Anfang an mein Traum. Damals habe ich ein Gutsrestaurant in Johannesberg geführt. Im vierten Jahr kam mein damaliger Chef Michael Trenz auf mich zu und sagte, dass er gemerkt habe, dass ich mich weiterentwickeln möchte und auf der Karriereleiter weiter nach oben will. Da durfte ich das erste Mal einen Wein für mich machen, mich etwas austoben. Aus meinem Netzwerk habe ich einige Designer und Grafiker angesprochen. Mit Armin Stroh von der renommierten Werbeagentur ken adolph slaeter haben wir 2011 erstmals „Y“, noch in diesem Weingut, mit 10.000 Flaschen auf den Markt gebracht. Die waren in drei Monaten ausverkauft. Für mich war dann klar, wenn ich was Neues mache, muss es auf der Basis unseres eigenen Weins sein. wirbiz Was zeichnet Ihre Weine aus? Worauf legen Sie Wert?

Ahmet Yıldırım Grundsätzlich habe ich einen klassischen, traditionellen Ausbau, der sehr lagenorientiert und Terroirs-bestückt ist. Es ist mir wichtig, charakterbezogene Weine sortentypisch auszubauen. Es ist aber nicht so wichtig, damit auch die Kommunikation zu füllen, denn ich glaube nach über 15 Jahren im Weinbau, dass es den Menschen definitiv nicht mehr darum geht, hinter welchem Busch der Wein gewachsen ist oder wie lange ich den Boden beackert habe. Grundsätzlich geht es darum, eine Rebsorte zu finden mit einem sehr hohen Anspruch an Qualität, aber auch klar zu sagen, welche Aspekte der Ziel-

gruppe wichtig sind: Wie muss mein Wein schmecken? Mit welchen Speisen lässt er sich kombinieren? Wie viel Freude macht der Wein? Wir haben jetzt 28 verschiedene Weine. Unser Ziel ist es, dass einer unserer Weine den Gästen gefällt. Nach dem Konzept „Choose your colour, choose your taste“ haben wir 24 unterschiedliche Farben. Jede Farbe steht für einen gewissen Ausbau. Das mit dem „Y“ kombinierte Farbenkonzept ist global verständlich und auch einfacher zu merken: „Der orangene, der gelbe, der grüne haben mir am besten ge-

fallen“. Kurz gesagt: wir wollen Wein machen, wo man Lust auf ein zweites Glas hat. wirbiz Sie produzieren im Rheingau, in Rheinhessen und in Venetien. Begleiten Sie dabei den Wein vom Weinberg bis zur Füllung? Ahmet Yıldırım Wir haben Verträge mit drei Kellereien im Rheingau, zweien in Rheinhessen und einer in Italien, die für uns nach der Regenerationsphase ab März / April den Weinberg bis zur Lese beackern. Ab der Lese steigen wir mit unseren Teams ein. Auch die Kellereien haben wir outgesourct, nutzen dort Tanks und

wirbiz

27


Kulinarik

„WIR KÖNNEN UNS NICHT MIT 800 JAHRE ALTEN TRADITIONEN ANLEGEN.“

Das „Y“ ist das Markenzeichen von Ahmet Yıldırım.

Kapazitäten mit. Aber wir füllen dort komplett separiert ab und vinifizieren auch für uns. Als wir damals angefangen haben, mit 15.000 Euro Startgeld, hatte ich nicht das Geld dafür, die ganzen Anlagen zu kaufen. Ich wusste aus meiner Erfahrung in den Betrieben, wo die Schwierigkeiten liegen. Maschinen und Geräte sind ja immer da, die meisten haben aber Probleme im Vertrieb. Ich war viel unterwegs, habe gekämpft, wollte die besten Kellereien. Am Anfang hatte ich drei Häuser im Rheingau gefunden, die zu uns gepasst haben. Da habe ich praktisch die Weinbergsarbeit outgesourct, damit ich in dieser Zeit draußen sein kann, um mein Produkt zu vermarkten. Ich kann nicht gleichzeitig den Weinberg bestellen und noch darauf hoffen, dass jemand auf uns aufmerksam wird. Man muss heute sein Produkt nicht nur mit Vertrieb an den Mann bringen, sondern muss es auch mit einem Gesicht verbinden können. In der heutigen Zeit ist die Geschichte hinter dem Wein viel wichtiger als das Schloss Soundso auf dem Etikett. wirbiz Also sind Ihnen Prädikate für Ihre Weine gar nicht so wichtig?

28 wirbiz

Ahmet Yıldırım Wir haben die Prädikate komplett im Keller gelassen. Im Keller, beim Ausbau lehne ich mich sehr stark an die Prädikate an, weil sie ja auch eine Ausbauform darstellen. Sie sind für mich vom Mostgewicht, von der Lese und letztendlich vom Ausbau her entscheidend, aber draußen beim Gast haben wir uns davon komplett freigemacht. Da ist unser Motto: Der türkische Weinmacher bricht alle Gesetze, Farben statt Lagen, keine Prädikate. Das hat uns dahin gebracht, wo wir heute sind. wirbiz Innovation und Lifestyle sind heute der Zeitgeist im Weinbau? Ahmet Yıldırım Immer weniger trinken Bier, Wein ist immer mehr zum Lifestyle-Produkt geworden. Man sieht das auch an den neuen Lokalitäten und Veranstaltungen, die immer mehr werden. Für mich war es immer klar, dass, wenn wir erfolgreich sein wollen, wir uns nicht mit 800 Jahre alten Traditionen anlegen können. Ich bin Quereinsteiger,


Sonnenverwöhnte Reben im Rheingau.

habe es nicht in der Erbmasse gehabt. Ich will Begeisterung auslösen und die Empathie an dem, was wir machen, weitergeben. Zu Y-Sommelier gehört meine Geschäftspartnerin Kira Hüsken, die an der ESB Univer-

sität in Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Marketing promoviert hat, eine Architektin, eine Werbeagentur, ein Spezialist im Onlinemarketing und ein Jurist. Dieses Team arbeitet an Konzept und Ausbreitung. Ich betrachte „Y“ auch als ein Fashionlabel im Bereich Wein,

deswegen haben wir nicht nur Schürzen im Angebot, sondern eben auch Overalls, Mützen und Malerjacken für die Sommeliers in den Gourmet-Restaurants, die wir beliefern.

wirbiz Was gehört für Sie zu einem guten Wein? Ahmet Yıldırım Dazu gehören auf jeden Fall zwei bis drei Freunde, die diesen Wein mit mir teilen. n

Anzeige

„Meine Heimat. Meine Bank.“ Wir machen den Weg frei.

Wir sind für Sie da: Online, telefonisch und persönlich. www.volksbank-stuttgart.de


HOFFNUNG AUF SONNIGE TAGE Güneşlİ günler İçİn bİr umut Ein Beitrag von Marc Hettich

Die Hintergründe zur Verhaftung der deutschen Journalistin und Übersetzerin Meşale Tolu Çorlu aus Neu-Ulm

K

artal / Istanbul, am frühen Morgen des 30. April 2017. Vermummte Männer mit Maschinengewehren brechen mit brachialer Gewalt eine Türe auf. Sie verwüsten die Wohnung und durchwühlen Schränke. Gekommen sind sie aber wegen einer jungen Frau. Die Eindringlinge gehören einem türkischen Anti-Terror-Sonderkommando an. Sie werfen die Journalistin und Übersetzerin Meşale Tolu Çorlu zu Boden. Einer der Soldaten setzt sich auf die 33-Jährige. Die Männer stürmen das Kinderzimmer, in dem ihr zweieinhalbjähriger Sohn Serkan schläft. „Wir haben deinen Vater verhaftet. Jetzt nehmen wir deine Mutter mit. Wenn du jetzt nicht ruhig bist, wirst du auch verhaftet“, schüchtern die Beamten den Jungen ein. Sie nehmen seine Mutter mit und geben das verängstigte Kind bei unbekannten Nachbarn ab.

Der 25. Häftling Hüseyin Tolu schildert die Ereignisse mit ruhiger Stimme. Nur seine Augen verraten gelegentlich die Sorge um seine

30 wirbiz

Schwester, und die Wut über ihre Festnahme. Obwohl Meşale ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, hat die Türkei die deutschen Behörden über die Festnahme nicht in Kenntnis gesetzt. Informiert hat die türkische Polizei jedoch den Vater der Neu-Ulmerin, Ali Tolu. Am Morgen nach der Verhaftung klingelt sein Handy. „Wir haben Ihre Tochter verhaftet. Ihr Enkel ist bei Nachbarn untergebracht worden.“ Noch am selben Tag bricht Meşales älterer Bruder Hüseyin nach Istanbul auf. Vater Ali folgt, damit er sich um seinen Enkel kümmern kann. Doch der Junge ist traumatisiert. Sein Vater Suat Çorlu wurde bereits am 5. April in Ankara festgenommen. Der Journalist befindet sich bis heute ebenfalls in Haft. Inzwischen hat Meşale ihren Sohn daher zu sich in das Frauengefängnis Bakırköy-İstanbul geholt. Seit ihrer Einweisung am 6. Mai

sitzt sie hier in Untersuchungshaft. Beim Morgenapell zählen die Wärter ihren Sohn als 25. Häftling. Viel mehr als ein kleiner Ball bleibt Serkan nicht als Spielzeug.

Solidarität von Ulm über Kanada bis Japan „Ich werde bis zum Ende kämpfen, bis meine Tochter und mein Schwiegersohn wieder auf freiem Fuß sind“, bekennt Ali Tolu mit leichtem Akzent. Er ringt mit den Worten, ist dabei aber ebenso unnachgiebig wie mit den Behörden. 1990 starb seine Frau bei einem Autounfall. Seine Kinder und er leben in ständiger Angst vor seiner Verhaftung. „Ich lebe für meine Kinder. Das Risiko gehe ich ein“, gibt sich der Vater kämpferisch. Meşale lässt sich ebenfalls nicht unterkriegen. Sechs Tage soll sie im Hungerstreik zugebracht haben. Ihre Hartnäckigkeit hat sie

wohl vom Vater. Wie beschreiben Menschen aus ihrem Umfeld die 33-jährige Journalistin? „Die Lehrer des Anna-Essinger-Gymnasiums haben das in ihrer öffentlichen Erklärung sehr gut getroffen“, findet ihre Schwester. „Als ich das gelesen habe, dachte ich mir: Ja, genau, das ist Meşale“. In der öffentlichen Erklärung der Schule steht unter anderem: „Wir haben Meşale als eine nachdenkliche und engagierte Schülerin gekannt und geschätzt“, und weiter: „Ihre Zivilcourage und ihr jetziges Eintreten für Freiheit und Demokratie entspricht auch unserem Wertekanon und unseren schulischen Bildungszielen.“ Doch nicht nur ihre ehemaligen Lehrer*innen unterstützen die Neu-Ulmerin. Die Journalistenvereinigung Reporter ohne Grenzen fordert dazu auf, Meşale mit Briefen Mut zu machen. Tatsächlich bekommt sie von überall her Solidaritätspost. Aus vielen europäischen Ländern – und sogar aus Japan und Kanada.

Zusammen mit ihrem zweieinhalbjährigen Sohn sitzt Meşale Tolu Çorlu seit Mai in der Türkei im Gefängnis.

Meşale Tolu Çorlu, iki buçuk yaşındaki oğluyla birlikte Mayıs’tan beri Türkiye’de hapiste.


Politik & Gesellschaft

Der Solidaritätskreis „Freiheit für Meşale Tolu“ ruft regelmäßig zu Kundgebungen auf dem Ulmer Münsterplatz auf. “Meşale Tolu’ya Özgürlük” adındaki dayanışma grubu insanları düzenli olarak Ulm Münsterplatz’taki gösteriye çağırıyor.

wirbiz

31


„WENN DU JETZT NICHT RUHIG BIST, WIRST DU AUCH VERHAFTET.“ Ein Solidaritätskreis um den Betriebsratsvorsitzenden Baki Selçuk bemüht sich um Öffentlichkeitsarbeit für die Freilassung von Meşale. Dazu sammeln die Aktivisten Spenden und organisieren eine wöchentliche Kundgebung am Ulmer Münsterplatz. Prominente Fürsprecher wie die Bundestagsabgeordneten Sevim Dağdelen (Die Linke) und Ekin Deligöz (Bündnis 90 / Grüne) haben bei vergangenen Veranstaltungen bereits ihre Solidarität als Gastredner demonstriert. Nachdem die Geschwister Tolu bei einer dieser Kundgebungen sprechen, steht eine Handvoll Erdoğan-Anhänger jubelnd und feixend am Rand: „Richtig so!“, kommentieren die jungen Männer die Verhaftung. Kurz darauf spricht die Abgeordnete Deligöz: „Jungs, heute trifft es Meşale, morgen trifft es mich und übermorgen euch. Lasst sie uns nicht auseinanderdividieren.“

Der immer gleiche Vorwurf Lange war völlig unklar, was Meşale Tolu Çorlu konkret vorgeworfen wird. Besonders überraschend ist die nun bekannte Begründung nicht: Mitgliedschaft in einer Terrororganisation (gemeint ist die Marksist Leninist Komünist Parti, kurz MLKP) und Terrorpropaganda sind in diesen Tagen in der Türkei sehr häufige Vorwürfe,

32 wirbiz

gerade gegenüber regierungskritischen Journalisten. Meşale hat zuletzt für die pro-kurdische Nachrichtenagentur ETHA gearbeitet, die eindeutig dem linken Spektrum zuzuordnen ist. Auch bei den Solidaritätskundgebungen in Ulm schwenkt so mancher Anwesende eine Fahne der MLPD. Das mag den Anhängern Erdoğans verdächtig vorkommen – in einem demokratischen Rechtsstaat ist das aber zweifelsfrei durch das Recht auf Meinungsfreiheit abgedeckt. Auch die Tatsache, dass sie an Beerdigungen und Trauerfeiern für Kommunisten wie zum Beispiel die deutsche MLKP-Kämpferin Ivana Hoffmann teilgenommen hat, wäre hierzulande nicht strafbar. Schon gar nicht für eine Journalistin. Der Tagesspiegel schreibt dazu: „Übertragen auf Deutschland, würde das die Verhaftung von Tagesspiegel-Kollegen bedeuten, wenn sie im Januar über die Demonstrationen der Linken und versprengten Alt-DDRler zu Ehren von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg berichten.“ Ein solcher Vergleich ist jedoch nicht ganz unproblematisch, denn die türkische Justiz stuft die MLKP als Terrororganisation ein. Unabhängig davon ist sich Hüseyin Tolu sicher: „An den Vorwürfen ist überhaupt nichts

dran. Es gibt keinerlei Beweise“. Der inzwischen erhöhte Druck durch die deutsche Bundesregierung hätte seiner Meinung nach aber viel früher erfolgen müssen. Tatsächlich hat die Androhung, deutsche Direktinvestitionen in der Türkei nicht mehr mittels Hermes-Bürgschaften abzusichern, mutmaßlich gewirkt: Präsident Erdoğan hat daraufhin die Liste mit deutschen Unternehmen, die angeblich Terroristen unterstützen, zurückgezogen. Andererseits ist es auch eine Tatsache, dass die Bundesregierung im Jahr 2017 Rüstungsexporten mit der Türkei im Wert von über 25 Millionen Euro zugestimmt hat.

Ungewisse Zukunft Am 11. Oktober 2017 begann der Prozess gegen Meşale und 17 weitere Journalisten der Nachrichtenagentur ETHA. 15 Jahre Haft fordert die türkische Staatsanwaltschaft. Nach langer Zeit der Ungewissheit konnten die Verteidiger im August die 124-seitige Anklageschrift einsehen. Den Antrag auf Haftentlassung schmettern die türkischen Gerichte jedoch ab. Nicht nur Meşale, auch ihre Kollegen müssen weiter im Gefängnis bleiben. Die Begründung im Fall Tolu: die Beweisführung sei noch nicht vollständig abgeschlossen, außerdem bestünde Fluchtgefahr. Dazu Baki Selçuk, Sprecher des Solidaritätskreises:

„Sie ist inzwischen eine bekannte Persönlichkeit. So einfach könnte sie gar nicht abhauen. Außerdem wäre eine Flucht mit ihrem zweieinhalbjährigen Sohn sehr schwierig.“ Viele Menschen sitzen in türkischen Gefängnissen wegen der Worte, die sie schreiben. Das Schreiben hat auch Meşale in eine Zelle gebracht. Und doch hört sie nicht auf damit. In ihrem letzten offenen Brief aus dem Gefängnis prophezeit sie: „Ich bin mir sicher, dass bald die grauen Wolken verschwinden und die sonnigen Tage kommen werden.“ n Briefe sind wichtige moralische Unterstützung für Meşale. Ihre Postadresse: Meşale Tolu Çorlu Bakırköy Kapalı Kadın Hapishanesi Bakırköy – İstanbul www.facebook.com/ FreiheitfuerMeşale

Neben Meşale Tolu Çorlu sitzen derzeit weitere neun deutsche Staatsbürger in türkischen Gefängnissen. Zu den prominentesten Opfern zählt der Journalist Deniz Yücel. Er ist im Hochsicherheitstrakt in Silivri inhaftiert, wo auch Meşales Ehemann Suat einsitzt.


Politik & Gesellschaft

„SESSİZ OLMAZSAN SEN DE TUTUKLANIRSIN.“

Neu-Ulm’lu Alman gazeteci ve çevirmen Meşale Tolu Çorlu’nun tutuklanışının arkasında yatan sebepler

3

0 Nisan 2017, Kartal / İstanbul’da sabahın erken saatleri. Makineli tüfekleriyle maskeli adamlar kapıları vahşice kırıyor, apartman dairesini yerle bir ediyor ve dolapları altüst ediyorlar. Buraya gelme sebepleri genç bir kadın. Baskını yapanlar Türkiye’nin terörle mücadele eden özel timlerinden biri. Baskıncılar gazeteci ve çevirmen Meşale Tolu Çorlu’yu yere fırlatıyor. Askerlerden biri 33 yaşındaki Tolu’nun üzerine oturuyor. Adamlar, Tolu’nun iki buçuk yaşındaki oğlu Serkan’ın uyuduğu odaya doğru hızla ilerliyor. “Babanı tutukladık. Anneni de götürüyoruz şimdi. Sessiz olmazsan sen de tutuklanırsın.” diyerek korkutuyorlar onu. Korkmuş çocuğu da tanımadık bir komşuya verip annesini alıp götürüyorlar.

Hüseyin Tolu olanları sakin bir ses tonuyla anlatıyor. Sadece gözlerinden anlaşılıyor kız kardeşi için duyduğu endişe ve onun tutuklanışı için duyduğu öfke. Meşale Alman vatandaşlığına sahip olmasına rağmen, Türkiye Alman yetkililere tutuklama hakkında bilgi vermedi. Türk polisi gerçi Neu-Ulmlu Tolu’nun babası Ali Tolu’ya haber veriyor. Tutuklamanın sabahında “Kızınızı tutukladık. Torununuz komşuda kalıyor.” diyor Ali Tolu’yu arayan telefondaki ses. Aynı gün Meşale’nin abisi Hüseyin İstanbul’a yola çıkıyor. Babası Ali de torunuyla ilgilenmek için onun peşinden gidiyor. Küçük torunu travma geçirmiş. Babası Suat Çorlu 5 Nisan’da Ankara‘da tutuklanıyor, o zamandan beri hala tutuklu. Meşale de oğlunu 6 Mayıs’tan beri gözaltında olduğu İstanbul Bakırköy Kadın Kapalı Cezaevi’ne alıyor. Gardiyanlar sabah sayımında Tolu’nun oğ-

lunu yirmi beşinci tutuklu olarak sayıyor. Serkan’ın küçük bir toptan başka bir oyuncağı yok.

Ulm’dan Kanada’ya, Kanada’dan Japonya’ya uzanan dayanışma “Kızım ve damadım özgür olana dek mücadele edeceğim.” diyor Ali Tolu hafif aksanıyla. Bunları söylerken acı çekse de yetkililere karşı boyun eğmiyor. Karısı 1990 yılında bir araba kazasında hayatını kaybetmiş. Çocukları ve o, devamlı olarak tutuklanacağı korkusuyla yaşıyor. “Ben çocuklarım için yaşıyorum. Bu riske varım.” diyor hiddetli bir şekilde. Meşale de onu alt etmelerine izin vermiyor. Altı gün açlık grevi yapıyor. Dik başlılığını babasından aldığı belli. Peki etrafındaki insanlar 33 yaşındaki gazeteciyi nasıl anlatıyor? Kız kardeşi “Anna-Essinger-Gymnasium’daki öğretmenlerinin okul bildirisini okuduğumda “İşte Meşale bu” diye düşündüm “sözlerini

kullanıyor. Okul bildirisinde şöyle diyor: “Meşale’yi düşünceli ve istekli bir öğrenci olarak tanıdık. Cesareti ve özgürlük ve demokrasi için savaşması bizim değer kanonumuz ve okul misyonumuzla örtüşüyor.” Meşale’yi destekleyenler sadece eski öğretmenleri değil. Sınır Tanımayan Gazeteciler kuruluşu da insanları Meşale’ye mektuplar yollayarak ona cesaret vermelerine davet ediyor. Meşale birçok Avrupa ülkesinden ve hatta Japonya ve Kanada’dan bile dayanışma görüyor. İşci temsilcileri kurulu başkanlarından Baki Selçuk ve başkalarından oluşan dayanışma grubu Meşale’nin serbest bırakılması için uğraşıyor. Aktivistler bağış topluyor ve Ulm Münsterplatz’ta her hafta bir gösteri düzenliyorlar. Milletvekilleri Die Linke’den Sevim Dağdelen ve Bündnis 90 / Yeşiller’den Ekin Deligöz gibi Meşale’yi savunan ünlüler, geçmiş etkinliklere misafir konuşmacı olarak katıldı ve dayanışma gösterdi. Bu gösterilerden birinde, Tolu kardeşlerin konuşmasından sonra kenarda duran birkaç Erdoğan taraftarı alaycı bir şekilde Meşale’nin tutuklanması hakkında “İşte aynen böyle!” diye yorum yapıyor. Kısa süre sonra Milletvekili Deligöz: “Gençler, bugün Meşale’nin ba-

Die aufgebrochene Tür nach der Festnahme. Tutuklanış sırasında kırılan kapı.

wirbiz

33


„HEUTE TRIFFT ES MEŞALE, MORGEN TRIFFT ES MICH UND ÜBERMORGEN EUCH.“

şına gelen yarın benim ve sizin de başınıza gelebilir. Bizi ayırmalarına izin vermeyin.” diyor onlara.

Hep aynı suçlama Meşale Tolu Çorlu’nun neyle suçlandığı uzun süre belli değildi. Meşale’nin şu anda bir terör organizasyonu üyeliğiyle suçlanması ise çok da şaşırtıcı değil. Burada bahsedilen organizasyon Marksist Leninist Komünist Parti. Terör organizasyonu üyeliği ve terör propagandası günümüz Türkiye’sinde çok yaygın suçlamalar, özellikle hükümeti eleştiren gazeteciler için. Meşale son olarak Kürt yanlısı ve açık olarak sol görüşü benimsemiş haber ajansı ETHA için çalıştı. Ulm’daki dayanışma gösterilerinde de bazen MLKP bayraklarının havalandığı görülüyor. Bu, Erdoğan taraftarlarına biraz şüpheli gelebilir, ama elbette demokratik bir hukuk devletinde bu ifade özgürlüğü kapsamı altındadır. Meşale’nin, özellikle bir gazeteci olarak, örneğin MLKP mücadelecisi Ivana Hoffmann gibi komünist görüşü benimsemiş insanların cenazesine ve anma törenine katılması da onu suçlu kılmıyor. Tagesspiegel Gazetesi bu konu

34 wirbiz

için şöyle diyor: “Durumu Almanya’ya taşıyacak olursak, bu aynı, Tagesspiegel çalışanlarının Ocak ayında Die Linke ve eski Doğu Almanyalıların Karl Liebknecht ve Rosa Luxemburg onuruna yaptıkları gösterinin haberini yaptıkları için tutuklanmaları anlamına gelirdi.” Böyle bir karşılaştırma yapmak biraz yanlış olabilir, çünkü Türk adaleti MLKP’yi terör organizasyonu olarak kabul ediyor. Bütün bunlardan bağımsız olarak, Hüseyin Tolu kendinden emin bir şekilde şunları söylüyor: “Suçlamaların hepsi asılsız. Hiçbir suçlama için kanıt yok.” Ona göre Alman hükümeti Türkiye’ye çok daha önce baskı yapmalıydı. Gerçekten de Almanya’nın Türkiye’ye doğrudan yatırımlarını artık Hermes garantisiyle yapmayacağını söylemesi işe yaramıştı. Erdoğan bu açıklamanın üzerine teröristleri desteklediği iddia edilen Alman şirketlerinin listesini geri çekti. Bunda Almanya’nın 2017 yılı için Türkiye’ye 25 Milyon Avroluk silah ihracatı yapacağını onaylaması da etkili oldu.

Belirsiz gelecek Meşale ve ETHA’nın diğer 17 gazetecisi için dava 11 Ekim 2017’de başladı. Hepsi için 15 yıl hapis isteniyor. Aradan geçen uzun zamandan ve belirsizlikten sonra avukatlar Ağustos ayında

124 sayfalık iddianameyi görebildiler. Tutuksuz yargılanma istemi ise Türk mahkemelerinden geçmiyor. Sadece Meşale değil, iş arkadaşları da hapiste kalmak zorunda. Bunun nedeni ise kanıtların daha tamamlanmamış olması ve Tolu’nun kaçma ihtimalinin olması. Dayanışma grubunun sözcüsü Baki Selçuk bu konu hakkında şunları söylüyor: “Meşale artık tanınmış biri. Kaçması o kadar kolay değil. Ayrıca iki buçuk yaşındaki oğluyla bir yere kaçması çok zor.” Birçok insan yazdıkları yüzünden Türkiye’de hapse giriyor. Yazmak Meşale’yi de bir hücreye mahkûm etti. Ancak o vazgeçmiyor. Hapishaneden yazdığı son açık mektubunda şunları söylüyor: “Yakında gri bulutlar yok olacak ve güneşli günler gelecek.” n Mektuplar Meşale’ye moral ve destek veriyor. Posta adresi: Meşale Tolu Çorlu Bakırköy Kapalı Kadın Hapishanesi Bakırköy – İstanbul www.facebook.com/FreiheitfuerMeşale

Meşale Tolu Çorlu’nun haricinde şu anda dokuz Alman vatandaşı Türkiye’de hapiste. Tutuklanan en ünlü isim gazeteci Deniz Yücel. O da, aynı Meşale’nin eşi Suat gibi Silivri yüksek güvenlikli kapalı cezaevinde tutuluyor.


Politik & Gesellschaft

„BUGÜN MEŞALE’NİN BAŞINA GELEN YARIN BENİM VE SİZİN DE BAŞINIZA GELEBİLİR.“

Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen bei einer Kundgebung am 25. August in Ulm. 25 Ağustos’ta Ulm’da yapılan bir gösteride Milletvekili Sevim Dağdelen.

wirbiz

35


EINE MENTORIN DURCH UND DURCH Ein Bericht von Moritz Kollmer

In unserem Magazin berichten wir regelmäßig über ehemalige Ağabey-AblaMentor*innen, die heute erfolgreich im Berufsleben stehen. Eine solche Person ist Pınar Yorulmaz, die bei der JOBLINGE gAG Region Stuttgart arbeitet und sich dort mit der Integration junger Menschen in den Arbeitsmarkt befasst.

P

ınar Yorulmaz ist eine Person, die selbstbewusst über sich und ihre Geschichte erzählt. Zu den prägenden Erfahrungen in ihrem Leben zählen unter anderem ihre Identitätssuche als Deutschtürkin, die im ländlichen Raum aufwuchs, die Studienzeit, welche ihr Interesse an kulturellen, religiösen sowie vor allem auch politisch-sozialen Themen steigerte und die Zeit, die sie während ihres Studiums in Istanbul verbrachte. In Bezug auf ihre Arbeit bei der JOBLINGE gAG Region Stuttgart sieht sich Pınar heute in einer spannenden Position als Vermittlerin zentraler Kenntnisse für Jugendliche, die Schwierigkeiten bei der Suche nach einer geeigneten Karriere haben. Bundesweit sind die JOBLINGE sehr erfolgreich

36 wirbiz

Pınar im Schulungsraum der JOBLINGE gAG.

mit ihrem Unterfangen, da 70 Prozent der Teilnehmenden in den Projekten auch vermittelt werden und von den Vermittelten 80 Prozent auch langfristig in ihrem Beruf verbleiben. Somit kann die JOBLINGE gAG auf gute Bilanzen in Bezug auf Effizienz und Nachhaltigkeit verweisen. Neben der berufsorientierten Weiterbildung besteht das Programm auch aus sozialen und kulturellen Projekten. Hierdurch bekommen die Teilnehmenden die Möglichkeit, sich auch persönlich weiterzubilden. Jede Person, die teilnimmt, wird außerdem individuell betreut. Das Alleinstellungsmerkmal der JOBLINGE bildet ein intensives Programm, eine gute Vernetzung mit Unternehmen sowie kulturellen und allgemeinbildenden Organisationen. Finanziert werden die Projekte der JOBLINGE durch die öffentliche Hand sowie Stiftungen und Stipendien diverser Unternehmen. Nach dem erfolgreichen Abschluss des Programms findet man die ehemaligen Teilnehmer*innen in Bereichen wie dem Rechtswesen, der öffentlichen Verwaltung oder dem Einzelhandel. Nicht alle Teilnehmenden erreichen am Ende eines dieser Ziele, manche entscheiden sich für eine andere Laufbahn. Allerdings bezeugen auch diese Personen, dass das Projekt JOBLINGE ihnen viel mitgegeben hat für ihre persönliche und all-


Wirtschaft

Intensive Betreuung zeichnet das Angebot der JOBLINGE aus.

gemeine Entwicklung. In nächster Zeit wollen die JOBLINGE auch an weiteren Standorten in Deutschland jungen Menschen beim Einstieg in die Arbeitswelt helfen. Auf lange Sicht möchte man aber erreichen, dass niemand mehr Bedarf an einer solchen Unterstützung hat. Wie lange es dauern wird, bis dieses ehrgeizige Ziel erreicht wird, ist noch nicht vorherzusagen. Pınars eigener Weg war bisher geprägt durch verschiedene Faktoren. Während der Schulzeit fehlten ihr Kontakte zu anderen türkeistämmigen Menschen, da sie auf ihrem Gymnasium die einzige Deutschtürkin war. Diese Isolation führte dazu, dass sie lange Zeit nicht wusste, wo sie sich selbst und ihre Identität verorten sollte. Nach dem Schulabschluss entschied sich Pınar für ein Studium in Tübingen. Da sie schon immer an sozialen Themen interessiert war, begann sie zunächst ein Studium der Ethnologie und Soziologie. Sie merkte allerdings, dass sie sich besonders für die islamische Welt mitsamt ihrer facettenreichen kulturellen, religiösen und politischen Dimensionen begeisterte und wechselte ihre Fächer zu Erziehungs- und Islamwissenschaften. Die Hälfte ihrer Studienzeit verbrachte Pınar in Istanbul,

was sie als große Bereicherung empfand. So konnte sie durch die Bezugnahme auf die türkische Bevölkerung ein eigenes Selbstverständnis als türkische Muslima und Weltenbürgerin entwickeln. Die Arbeit mit Straßenkindern und Flüchtlingen half ihr außerdem, ihre Leidenschaft für soziale Arbeit im Alltag anzuwenden. Neben diesem Themenkomplex begann Pınar auch, sich mit dem Thema Extremismus zu befassen und wurde so zu einer Expertin für Salafismus sowie Rechtsextremismus. Diese Fachkenntnis ermöglichte ihr erste Kooperationen mit der Landeszentrale für politische Bildung. Im Rahmen des Projekts Team meX führte sie Weiterbildungen zu dem Themenkomplex Extremismus für Schüler, Lehrpersonal sowie weitere Multiplikatoren durch. Das Ağabey-Abla-Programm half Pınar dabei, die Fähigkeiten auszubauen, welche sie nun bei den JOBLINGEN benötigt. Als erste Mentorin des Projekts war sie sehr glücklich, zwei Kinder bei ihrem Weg in Richtung Karriere und Erwachsenenalter behilflich gewesen zu sein. Besonders das Netzwerk aus türkeistämmigen Kontakten erfreute sie sehr. Somit half das Programm auch Pınar, Gleichgesinnte zu treffen. Auf die Frage hin, was ihr Lebensmotto sei, antwortet Pınar mit dem Satz: Fata volentem ducunt, nolentem trahunt. Zu

Deutsch: Den, der will, führt das Schicksal, den, der nicht will zieht es. Man kann vieles beeinflussen, aber nicht alles. Sie will damit sagen, dass jeder Mensch ein Schicksal hat, welches sich früher oder später offenbaren wird. Manche Menschen suchen aktiv danach, andere müssen erst durch konkrete Ereignisse wachgerüttelt werden. In jedem Falle aber wird sich früher oder später zeigen, was die Bestimmung eines Menschen ist. Ihre eigene Identität als Person mit mehreren kulturellen Hintergründen sieht Pınar nicht als Einzelfall. Menschen mit Migrationshintergrund, die zu sehr an ihren kulturellen Wurzeln festhalten, kommen ihrer Ansicht nach früher oder später in ihrem Leben in eine Identitäts-

krise, bei der sie herausfinden müssen, wo sie sich verorten. Aufgrund ihrer Erfahrungen möchte sie andere allerdings dazu ermutigen, eine vielfältige kulturelle Identität nicht als Widerspruch, sondern vielmehr als Normalität in einer modernen, vielschichtigen Gesellschaft zu begreifen. Heute kann sie deshalb selbstsicher sagen, dass sie sowohl Deutschtürkin als auch Muslimin ist. Das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei sieht sie kritisch, möchte aber auch dazu anregen, sich Gedanken zu machen über die Beweggründe von türkeistämmigen Deutschen, welche die Politik Erdoğans unterstützen. In dieser Hinsicht sieht sie das DTF als wichtige Möglichkeit, über Grenzen hinweg miteinander ins Gespräch zu kommen. n

Pınar Yorulmaz ist seit 2014 bei der JOBLINGE gAG Region Stuttgart als Hauptkoordinatorin des Bereichs Jugendliche und Mentoren aktiv. Die JOBLINGE gAG sind eine Initiative, die jungen Menschen dabei helfen, sich persönlich sowie beruflich weiterzuentwickeln und eine geeignete Karriere einzuschlagen. Sie existiert seit 2009 und ist bereits bundesweit in verschiedenen Städten vertreten. Im Rahmen dieses Projekts möchte JOBLINGE die Bereiche Zivilgesellschaft, Wirtschaft sowie die öffentliche Hand zusammenbringen, um so einen möglichst effektiven Austausch aus den Bereichen zu ermöglichen und den Jugendlichen Einblicke in spannende Bereiche zu vermitteln. Interessenten können sich jederzeit telefonisch melden (Telefon: 0711 9958 5043). In Zukunft werden sowohl eine türkische Telefonsprechstunde als auch Eltern-Seminare angeboten werden. www.joblinge.de

wirbiz

37


HEIRATEN IM FERNSEHEN – HERZBLATT AUF TÜRKISCH Türk İşİ “Herzblatt”la televİzyonda evlİlİk Ein Bericht von Tuğba Yalçınkaya

„Sie haben aus der Ehe echt ein Spielzeug gemacht“, sagt meine Oma empört. „Warum wollte sie denn nicht? Dabei ist er so ein höflicher Kerl.“

G

emeinsam mit meinen Großeltern, die vor kurzem Goldene Hochzeit gefeiert haben, sitze ich in ihrem Wohnzimmer in der Kleinstadt und meiner Heimatstadt Herford. Auf dem Tisch liegt die gleiche Schokoladenauswahl, die mir schon aus Kindheitstagen vertraut ist, sowie frisch aufgebrühter ıhlamur Tee (Lindenblütentee). Und es läuft die in der Türkei sehr beliebte Esra Erol Show, eine Partnerbörsenbzw. Heiratsshow, die fünf Mal wöchentlich ausgestrahlt wird. Viele können sich sicher noch an „Herzblatt“ erinnern. Drei potentielle Interessenten wurden der Traumfrau, beziehungsweise dem Traummann, gegenübergesetzt, getrennt durch eine Wand. Schließlich kommt es auf die inneren Werte an, die durch ein Frage-Antwort-Spiel

38 wirbiz

herausgefunden werden sollten. Vergleichbar konzipiert ist auch die Show von Esra Erol, nur dass eben in einigen Fällen auch geheiratet wird. Alles mit mehr Klimbim, mehr Bewegung, mit Herzblut eben. Eine Show für Leute, die ihren Traumpartner oder ihre Traumpartnerin noch nicht gefunden haben und die Hoffnung auch nach der fünften gescheiterten Ehe nicht aufgeben. Im Falle einer oder mehrerer gescheiterter Ehen wird erst mal gründlich nachgefragt und analysiert, warum sie denn nicht funktioniert haben. Wichtig sind natürlich auch grundlegende Fragen, wie die eigenen Vorstellungen von Ehe und ob man Kinder will. Das Publikum darf mitdiskutieren. Auch das Hab und Gut muss gecheckt werden – wie viele Wohnungen, wie viele Grundstücke, wie viel Vermögen? Hitzig geht es weiter. Meine Großeltern, insbesondere meine Oma, gibt sich komplett den Geschehnissen der Show hin. Ich versuche sie zu beruhigen: „Babaanne, sie ziehen doch nur eine Show ab. Nimm’s nicht zu ernst.“ Mein Opa stimmt mir zu: „Du hast Recht, meine Süße. Hanım, das ist alles Show“, und

widmet sich dann aber wieder voll und ganz den Diskussionen auf dem Bildschirm. Alles Show, aber scheinbar doch nicht so uninteressant. Weniger den Blick auf die Ereignisse im Fernsehen, sondern mehr auf meine Großeltern gerichtet, nippe ich an meinem ıhlamur Tee und warte schon gespannt auf die nächsten Kommentare. „Die hat es faustdick hinter den Ohren. So ein gieriger Mensch!“, wirft meine Oma ein, halb sauer, halb traurig. Traurig darüber, dass es schon wieder nicht geklappt hat. Vielleicht beim nächsten Mal. Zwischendurch wird zu Seda Sayans Verkupplungsshow „Komm her, wenn du heiraten möchtest“ umgeschaltet. Für die, die es nicht wissen: Seda Sayan war eine Pop-Ikone und eroberte vor allem in den 90ern die türkischen Charts. Auch sie hat schon so einige Ehen hinter sich. Trotzdem setzt sie sich heute mit ihrer TV-Show dafür ein, dass Menschen zu ihrer einen, großen Liebe finden

Noch mehr von MAVIBLAU gibt es auf Instagram @maviblaucom, Twitter @MAVIBLAUCOM und Facebook (MAVIBLAU, MAVIBLAU Türkce). Deutsch-Türkische Organisationen werden auf der MAVI-MAP online vorgestellt.

und in einigen Fällen klappt es sogar. Meine Oma verriet mir allerdings, dass Seda Sayan die Teilnehmenden teilweise mehr gegeneinander aufhetze als sie zusammen zu bringen. Esra Erol hingegen gebe sich viel mehr Mühe, um zwischen den potentiellen Interessenten zu vermitteln. Eine wahrhaftige Verkupplungspädagogin eben. Einerseits bin ich irritiert von der Hingabe meiner Großeltern gegenüber den Geschehnissen in dieser für mich eher befremdlichen, schon fast Comedy-ähnlichen Show, andererseits irgendwie auch fasziniert von den Vorstellungen meiner Großeltern über Partnerschaft und Ehe. Nach fünfzig Jahren Ehe, unter früher schwierigen Umständen, hat man doch sicher eine ‘andere’ Vorstellung davon. Eine Vorstellung, die meine Großeltern sicherlich gerne dem Mehmet, der nach der fünften gescheiterten Ehe bei der Esra Erol Show gelandet ist, mitgeben würden, damit es wenigstens beim nächsten Eheversuch klappt. n Dieser Text wurde bereits im Onlinemagazin MAVIBLAU veröffentlicht.


Politik & Gesellschaft

„BABAANNE, SIE ZIEHEN DOCH NUR EINE SHOW AB.“

Ein Straßenverkäufer im Stadtteil Fatih. Fatih’te bir sokak satıcısı.

wirbiz

39


„BABAANNE, SHOW YAPIYORLAR. FAZLA CİDDİYE ALMA.“

Heiraten ist nach wie vor ein wichtiges Thema in türkischen Familien. Türkiyeliler için daha önce olduğu gibi evlenmek çok önemli bir konu.

40 wirbiz


Politik & Gesellschaft

“Evliliği iyicene oyuncak yaptılar” diyor babaannem kızarak. “Niye istemedi ki? Halbuki ne kadar efendi bir çocuk.”

D

oğduğum yerde, küçük bir şehir olan Herford’da, kısa süre önce ellinci evlilik yıldönümlerini kutlayan dedem ve babaannemle salonda oturuyorum. Masanın üstünde çocukluğumdan beri bildiğim çikolata çeşitleri ve taze demlenmiş ıhlamur duruyor. Televizyonda ise Esra Erol’un sunduğu, haftanın beş günü yayınlanan evlilik programı açık. “Herzblatt” programını hatırlayanlar olacaktır. Programda üç evlilik adayı, hayallerinin kadını veya erkeği karşısında oturuyor, bir duvar ise onları ayırıyor. Daha sonra iki taraf da birbirini soru cevap oyunuyla tanımaya çalışıyor. Aynı “Herzblatt”a benzeyen Esra Erol’un programında taraflar program sonunda birbiriyle evlenebiliyor da. Yapılan her şey şova yönelik, daha hareketli ve daha içten. Program, tam da hayallerindeki kadını ya da erkeği daha bulamamış veya beşinci kez boşandıktan sonra umudunu hala kaybetmemiş insanlar için. Aday geçmişte bir ya da birden fazla kez boşandıysa, bu

evliliklerin neden yürümediği programda sorgulanıyor, analiz ediliyor. Elbette adaya evlilikten beklentisinin ne olduğu ve çocuk isteyip istemediği de soruluyor. Stüdyodaki seyirciler tarafların arasındaki konuşmaya katılma hakkına sahip. Adayın kaç evi, kaç arsası var, serveti ne kadar, onlar da soruluyor haliyle. Program ateşli bir şekilde devam ediyor. Dedemle babaannem, özellikle babaannem, kendini programa kaptırmış durumda. Onu “Babaanne, şov yapıyorlar. Fazla ciddiye alma,” diyerek sakinleştirmeye çalışıyorum. Dedem de bana “Doğru söylüyorsun tatlım. Hanım, hepsi şov,” diyerek katılıyor, sonra o da kendini ekranda dönen tartışmaya gene kaptırıp gidiyor. Her şey şov evet, ama belli ki gayet ilgi çekiyor. Televizyondan ziyade dedemle babaanneme bakarak ıhlamurumu yudumluyorum ve heyecanla yapacakları yorumları bekliyorum. “O da az değil haa. Çok açgözlü, var ya!” diyor babaannem, hem kızgın, hem üzgün. Üzgün, çünkü mutlu sona yine ulaşılamadı. Neyse, bir dahaki sefere tutar belki. Babaannem-

ler şimdi de Seda Sayan’ın evlilik programı “Evleneceksen Gel”i açıyorlar televizyonda. Bilmeyenler için söyleyelim, Seda Sayan Türkiye’nin pop ikonlarından biriydi ve özellikle 90’lı yıllarda müzik listelerini altüst etmişti. Onun da başından bir sürü evlilik geçti. Ona rağmen bugün insanların gerçek aşklarını bulmaları için uğraşıyor, bunu bazen başarıyor da. Babaannemin bana söylediğine göre, Seda Sayan programa katılan adayları bir araya getirmek yerine onları daha çok birbirine düşürüyormuş. Onun aksine, Esra Erol, adaylar arasında bir aracı olmak için daha çok çaba sarf ediyormuş. Baksanıza, babaannem gerçek bir evlilik pedagogu olmuş. Bir yandan dedemle babaannemin bana tuhaf ve komedi gibi gelen bu programda olanlara kendilerini bu kadar kaptırmasından rahatsız olurken, diğer yandan ikisinin birliktelik ve evlilik hakkındaki görüşlerinden etkileniyorum da. Elli yıldır evli olsalar da, önceden zor şartlar altında yaşamış olsalar da, evlilik hakkında daha farklı bir düşünceleri var. Muhtemelen bu düşünceleri, yürümeyen beşinci evliliğinden sonra kendini Esra Erol’un programında bulan Mehmet’e, bir dahaki sefere başarıya ulaşabilsin diye vermek isterlerdi. n

MAVIBLAU’yla ilgili daha fazla bilgiye Instagram’da @maviblaucom, Twitter’de @MAVIBLAUCOM, Facebook’ta ise MAVIBLAU ve MAVIBLAU Türkçe sayfalarından ulaşabilirsiniz. Türk-Alman kurumları MAVI-MAP'den bulabilirsiniz.

Bu metin daha önce MAVIBLAU online magazininde yayımlandı.

wirbiz

41


WARUM IST DER ROTWEG NICHT ROT? Ein Beitrag von Alice Heisler und Maria Tramountani

Nach einer anstrengenden Stadtrallye gibt es ein leckeres Eis.

42 wirbiz


Aus dem Deutsch-Türkischen Forum

„UND DANN GING ES LOS: WER HATTE SCHON MAL EINE STADTKARTE IN DER HAND? WER WEISS, WO NORDEN IST?“ Jeweils ein Dutzend Stadtentdecker waren in den vergangenen Monaten in drei Stuttgarter Stadtteilen unterwegs. Sie haben ihre Umgebung erforscht, spannende Orte besucht und schließlich bunte Stadtteilkarten zusammengestellt.

E

inen Stadtplan zu lesen und sich an ihm zu orientieren, ist in Zeiten von Google Maps selbst für Erwachsene nicht gerade einfach. Auch sehen die Karten meistens nicht ansprechend oder gar schön aus – sie sind zweidimensional, meist einfarbig und sollen dabei unterstützen, sich in der Umgebung zurechtzufinden. Umso wichtiger war es uns, eine Karte zu gestalten, die auch Kinder interessant finden würden und selbst entscheiden könnten, welche Orte sie gerne auf der Karte hätten und wie diese aussehen sollten. So entstand die Idee für das Projekt Stadtentdecker. Eine Gruppe von verschiedenen Kindern sollte sich in ihren Stadtteilen kennenlernen,

ihre Umgebung gemeinsam entdecken und mit diesem Wissen ihre eigenen Karten nach ihren Wünschen zusammenbasteln. Diese Gruppe hatte sich schnell gefunden. Das Besondere an ihr: Die kleinen Stadtentdecker waren eine bunte Mischung von türkeistämmigen und geflüchteten Grundschulkindern, unterstützt von Ehrenamtlichen des Deutsch-Türkischen Forums Stuttgart e. V. Obwohl sich einige der Stadtentdecker*innen bereits aus der Unterkunft oder der Schule kannten, nahmen wir uns am Anfang viel Zeit, um uns durch gemeinsame Spiele in der Gruppe sowie beim Tischfußball oder Brettspiel gegenseitig noch besser kennenzulernen. Danach ging es los: Wer hatte schon mal eine Stadtkarte in der Hand? Wer weiß, wo Norden ist? Wer weiß, bei welchem Pünktchen auf der Karte wir gerade sind? Welche krumme Linie ist die Straße, auf der wir jeden Tag zur Schule gehen? Das Orientieren aus der Vogelperspektive war gar nicht so einfach! Da half es, sich auf einen Aussichtspunkt zu stellen und den Stadtteil von oben zu betrachten. In Stuttgart-Nord Zusammen orientieren sich die Kinder auf der Stadtkarte.

wirbiz

43


gingen wir auf die Aussichtsplattform der Stadtbibliothek und bekamen einen wunderbaren Blick über die Dächer und Straßen von Stuttgart. Von so weit oben konnten die Kinder schon vieles wiedererkennen: Dort drüben war der Lieblingsspielplatz, davor die Eisdiele mit dem weltbesten Erdbeereis und hinter den Bäumen sah man gerade noch das Dach der eigenen Wohnung. Alle Orte, die die Kinder kannten, wurden notiert und eingezeichnet. Und dann wurde es Zeit für die noch unbekannten Orte.

Eine gute Portion Spaß ist immer dabei.

Bei unseren Stadtrallyes quer durch die jeweiligen Stadtteile kamen die Entdecker*innen manchmal schon ins Staunen. So viel Neues in der direkten Umgebung! Manche Orte waren schon ein alter Hut, aber andere gaben Rätsel auf. Führte das seltsame Tor am Waldesrand vielleicht in einen verwunschenen Garten? Wurden am Milchhof früher Kühe gemolken? Und wieso ist der Rotweg nicht rot? Begeistert begannen die Kinder durch die Fragen und kleinen Aufgaben der Stadtrallye viele neue Orte zu entdecken und sich kreative Geschichten zu außergewöhnlichen Namen zu überlegen. Mit den neuen und alten Orten, ihren kleinen Theorien und Fragen besuchten die Stadtent-

44 wirbiz

decker die Jugendräte in ihren Stadtteilen. Die Jugendlichen, die selbst in den Stadtteilen aufgewachsen waren, konnten einige Geheimnisse lüften und ergänzten die Liste der Entdecker durch ihre eigenen Lieblingsorte. Nach den Rallyes ging die Arbeit los: Gemeinsam versuchten die Kinder die besuchten Orte aus dem Stadtteil auf der zweidimensionalen Karte wiederzufinden. Das war gar nicht so einfach – aber mit den Erinnerungen an einzelne Merkmale, interessante Gebäude oder lustige Namen wurde das Ganze ein Kinderspiel. Zu guter Letzt brachten unsere Grafiker, Carlos García-Sancho und Migle Melanie Kundrot, alles in Form und bastelten die Stadtteilkarten für die Stadtteile der Kinder: eine in Lila für Ostheim und Umgebung, eine in Grün für das Nordbahnhofviertel und eine in Rosa für Zuffenhausen/Rot. Die Karten werden in Unterkünften, Schulen, Bezirksrathäusern und anderen Einrichtungen der Stadtteile verteilt, damit Neuankömmlinge und Alteingesessene sich zukünftig besser zurechtfinden und die Lieblingsorte unserer Stadtentdecker zu ihren eigenen machen können. n


Aus dem Deutsch-Türkischen Forum

„DIE JUGENDLICHEN, DIE SELBST IN DEN STADTTEILEN AUFGEWACHSEN WAREN, KONNTEN EINIGE GEHEIMNISSE LÜFTEN.“ Das Projekt Stadtentdecker begann im November 2016 und wurde im Juli 2017 abgeschlossen. Gefördert wurde es durch die Renate-Lingk-Stiftung. Weitere Informationen sowie ein Film über die Entstehung und den Verlauf des Projekts finden sich unter www.dtf-stuttgart.de/stadtentdecker. Die drei Stadtteilkarten können über die DTF-Geschäftsstelle bezogen werden.

Anzeige

Çocugunuzun gelecegi ˇ ˇ için 130 fırsat. Heute Azubi, morgen Chef: Das Handwerk bietet ausgezeichnete Perspektiven. Jetzt auf azubiTV.de 130 Ausbildungsberufe entdecken! Videos

Ausbildungsplätze

Praktika

wirbiz

45


GESELLSCHAFTLICHE TEILHABE VON FAMILIEN STÄRKEN AİLELERİN TOPLUMSAL KATiLiMiNi GÜÇLENDİRMEK Ein Projektbericht von Mukaddes Steinkrüger

Das Projekt Elternbrücke wurde für Alleinerziehende und Familien in besonderen Lebenslagen konzipiert.

D

ie Idee zu diesem Projekt entstand im Rahmen der Elternarbeit im Ağabey-Abla-Mentoringprogramm. Dabei kam ich mit verschiedenen Familien, Eltern und insbesondere Müttern in Kontakt und erfuhr in den letzten Jahren viel über ihre unterschiedlichen Ansichten, Bedürfnisse und Probleme in den Bereichen Schule, Erziehung und Familie. Vor allem bei den Familien, die sich in besonderen Notlagen befanden, dazu gehören oft auch Alleinerziehende, wurde deutlich, dass sie eine andere Form von Unterstützung benötigen als unsere regulären Elternfortbildungen, die wir im Rahmen des Ağabey-Abla-Programms halbjährig anbieten. Während ich das Konzept entwickelte, zog ich in manchen Punkten einen Vergleich mit meiner eigenen Lebenssituation. Im Vergleich zu manch anderen Alleinerziehenden ist es für mich weniger schwierig bei einem Problem, Anlaufstellen zu finden und die für mich und meine Kinder nötigen Informationen und Hilfen zu holen. Gleichzeitig habe ich erfahren,

46 wirbiz

wie bedeutend die Kommunikation in der Familie und die Bildung eines Netzwerks ist. Es war für mich stets wichtig, als Familie die Teilhabemöglichkeiten der Gesellschaft zu nutzen, so dass der Bildungserfolg meiner Kinder nicht abhängig vom sozialen und finanziellen Hintergrund ist. Hier beginnt das Ziel des Projekts Elternbrücke und das Problem, das laut Statistiken noch immer viele Kinder aus Familien in besonderen Notlagen betrifft. Im Mai begann das Projekt Elternbrücke als ein gemeinsam gestaltetes Fortbildungsangebot, das sich an den Bedürfnissen von türkeistämmigen Alleinerziehenden und Familien in besonderen Lebenslagen orientiert. Gemeinsam mit einer Elterngruppe in Stuttgart-Hallschlag wurden im Vorfeld Themen für sechs Fortbildungstreffen bestimmt. Dabei ging es vor allem um die sozialen und psychischen Bedürfnisse der Familien. Weitere Themen waren Medienbildung, Grenzen setzen, Kommunikation und Konfliktstrategien in der Familie. Durch die Förderung ist es uns außerdem möglich,

Aufgabenbeschreibung in einer Fortbildung. Zu Deutsch: „Mache eine Liste mit den Dingen, die dich glücklich machen.“ Seminerden bir çalışma tanımı.

Aktivitäten in den Bereichen Kunst und Kultur durchzuführen und so unternahmen wir einen ersten gemeinsamen Ausflug nach Lindau. Außerdem ist ein Familienwochenende in der Familienbildungsstätte Haus Lutzenberg geplant. Dieses Wochenende soll einerseits den teilnehmenden Familien die Möglichkeit geben, außerhalb ihres gewohnten Umfelds Familie anders zu erfahren, andererseits sollen sich die Eltern unter Leitung einer Referentin vom Elternseminar der Stadt Stuttgart in Workshops intensiv mit einem Thema auseinandersetzen, während die Kinder betreut werden. n

Das Projekt Elternbrücke wird von der Stiftung Kinderland Baden-Württemberg unterstützt. Für die Gestaltung des Familienwochenendes im Dezember wird jedoch noch nach finanzieller Förderung gesucht. Wir hoffen auf Ihre Unterstützung und freuen uns über Ihre Kontaktaufnahme: Deutsch-Türkisches Forum Stuttgart e. V. Mukaddes Steinkrüger Projektleitung mukaddes.steinkrueger@ dtf-stuttgart.de 0711 / 24 84 74 73


Aus dem Deutsch-Türkischen Forum

Aile Köprüsü projesi gelir düzeyi düşük aileler ve tek ebeveynlerin ihtiyaçları doğrultusunda geliştirildi.

ise toplumun ve devletin olanaklarından faydalanmak ve çocuklarımın eğitim başarısının sosyal ve gelir düzeyine bağlı olan bir şey olmaması gerektiğiydi.

duruldu. Seminerler dizisinin diğer konularını ise medya eğitimi, çocuğa sınır koyma ve aile içi iletişim ve problem çözme stratejileri oluşturdu.

B

Aile Köprüsü projesinin ana hedefini de bu nokta oluşturmaktadır.

Vakfın bize vermiş olduğu olanaklarla seminerlerin sonunda kültür ve sanat alanında 3 gezi yapma imkânımız var. Bu bağlamda ilk gezimizi Bodensee-Lindau’ya yaptık. Gezilerden sonra projeyi aileler için düzenleyeceğimiz bir aile hafta sonu kampı ile noktalamak istiyoruz. Bir aile eğitim merkezi olan Haus Lutzenberg‘deki kampımızda amacımız ailelere yaşadıkları çevrenin dışında birlikte geçirebilecekleri bir hafta sonu tatili sunmak. Aynı zamanda bakıcılar çocuklarla ilgilenirken, velilere belli bir konuyu işleyen seminerler sunmak istiyoruz. n

u projenin oluşumuna yönelik ilk fikirler Ağabey-Abla Önderlik Programı bünyesinde sunulan veli eğitimi programında gelişmeye başladı. Sunulan seminerler esnasında birçok aile, veli ve bilhassa anneler ile tanıştım ve son yıllar içerisinde velilerin okul, eğitim ve aile konularında sahip oldukları farklı görüş, ihtiyaç ve problemleri ile ilgili birçok şey öğrendim. Özellikle gelir düzeyi zayıf ailelerin, bu gruba çoğu zaman tek ebeveynli aileler de dahil, işbirliği yaptığımız okullarda bir eğitim yılında sunduğumuz iki veli semineri dışında daha farklı bir desteğe ihtiyaç duydukları belli oluyordu. Yeni bir veli projesinin konsepti üzerinde çalışırken bazı noktalarda kendi yaşamım ile ilgili karşılaştırmalar yaptım. Tek ebeveyn olarak bir problem ile karşılaştığımda sahip olduğum bilgiler ile kendim ve çocuklarım için destek alabileceğim kurumları bulup bilgi ve yardım isteyebiliyorum. Aynı zamanda aile içerisindeki iletişimin ve aile, arkadaş ve tanıdıklardan oluşan bir yardımlaşma ağının ne kadar önemli olduğunu öğrendim. Daima önemli bulduğum bir nokta

Stiftung Kinderland Baden-Württemberg vakfının üç sene boyunca sürecek desteği ile gelir düzeyi düşük Türk aileleri ve tek ebeveynlere yönelik bir proje oluşturabildik. Stuttgart-Hallschlag bölgesinde başladığımız bir grup ile önceden bir araya gelerek 6 buluşmadan oluşan eğitim seminerlerimizin konusunu belirledik. Buluşmalarda ağırlıklı olarak aile ve çocukların sosyal ve psikolojik ihtiyaçları konusu üzerinde

Gelir düzeyi zayıf aileler için hazırladığımız bu hafta sonu kampını dernek olarak finanse edebilmek için maddi desteğinize ihtiyacımız var. Proje ile ilgili daha fazla bilgi edinmek ve aile hafta sonu kampımızı desteklemek istiyorsanız lütfen bizi arayınız. Deutsch-Türkisches Forum Stuttgart e. V. Mukaddes Steinkrüger, Proje Müdürü mukaddes.steinkrueger@ dtf-stuttgart.de 0711 / 24 84 74 73

Familien beim ersten Ausflug im Rahmen des Projekts. Proje çerçevesinde yapılan ilk geziye katılan aileler.

wirbiz

47


DEUTSCH-TÜRKISCHE FREUNDSCHAFT DER BESONDEREN ART Ein Beitrag von Professor Dr. Holger Sonnabend

Das bekannte Gemälde „Der Schildkrötenerzieher“ von Hamdi Bey. Es ist im Pera Museum in Istanbul ausgestellt.

48 wirbiz


Politik & Gesellschaft

I

n der Türkei ist der Name Osman Hamdi Bey bis heute ein fester Begriff, und wer ihn nicht kennt, gibt es nicht zu. Dagegen sagt der Name Carl Humann den Türken und auch den Deutschen nicht so viel. Außer, man wohnt in Essen oder besucht regelmäßig das Pergamonmuseum in Berlin. Denn in Essen (genauer: in dem damals noch selbstständigen Ort und heutigen Stadtteil Steele) wurde Carl Humann 1839 geboren. Und das Pergamonmuseum, magnetischer Anziehungspunkt für Scharen von Besuchern aus aller Welt, gäbe es ohne Humann wahrscheinlich nicht. Er war es, der 1871 auf dem Burgberg des antiken Pergamons (heute Bergama) an der Westküste der Türkei die Reste des berühmten Altars entdeckte, der zu den wichtigsten historischen Bauwerken überhaupt zählt. Im 2. Jahrhundert v. Chr. war das Monument von den Königen aus der Dynastie der Attaliden, die damals in Pergamon herrschten, als Siegesdenkmal errichtet worden. Humann war kein professioneller Archäologe, sondern Straßenbauingenieur und in dieser Eigenschaft, wie viele seiner Kollegen, für den Sultan in der Türkei und im Vorderen Orient unterwegs, mit dem Auftrag, der Infrastruktur im Reich der Osmanen auf die Sprünge zu

helfen. Doch zugleich war er auch ein Bewunderer antiker Architektur, und in dieser Hinsicht kam er in der Türkei voll auf seine Kosten. Viele Kulturen haben hier, wie man weiß, ihre Spuren hinterlassen, von den Hethitern über die Phryger und Lyder bis hin zu Griechen, Römern und Byzantinern. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Zeit der ersten planmäßigen und systematischen Ausgrabungen. Bei den damaligen Bewohnern von Bergama hielt sich, wie Humann bei einem Besuch feststellte, die Begeisterung für Geschichte und Denkmalpflege allerdings in überschaubaren Grenzen. Dafür besaßen sie ein gut entwickeltes Maß an pragmatischem Denken und bedienten sich beim Bau ihrer Häuser in einer Art Recycling-Aktion der noch üppig vorhandenen, von den antiken Baumeistern freundlicherweise bereits passend zugeschnittenen Steine aus der Antike. Humann, besorgt um das wertvolle kulturelle Erbe des Altertums, alarmierte berühmte deutsche Altertumsforscher und vergaß auch nicht, politische Prominenz wie Reichskanzler Otto von Bismarck und Kaiser Wilhelm I. einzuschalten. Damals waren die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei vorbildlich und intakt. Der Sultan stimmte einer Überführung

Osman Hamdi Bey (1842 – 1910)

Carl Humann (1839 – 1896)

erst von zwei Dritteln, später auch des restlichen Drittels des in den Grabungen zutage geförderten Fundes aus Pergamon nach Deutschland zu. Das Prunkstück, der rekonstruierte Pergamonaltar, wurde in einem neuen, 1930 endgültig fertig gestellten und eigens nach diesem Altar benannten Museum in Berlin untergebracht. Dort ist er bis heute die große Attraktion (wegen Restaurierungsarbeiten kann er allerdings voraussichtlich erst in ein paar Jahren wieder besichtigt werden). Der vom Straßenbauingenieur zum Archäologen gewandelte Humann wurde in Anbetracht seiner Verdienste mit Ehrungen überhäuft und 1884 zum Abteilungsdirektor der Königlichen Museen in Berlin ernannt. In den folgenden Jahren war er

auf vielen weiteren Grabungen in Anatolien und dem Vorderen Orient aktiv. Bei diesen Unternehmungen entstand Humanns enge Freundschaft mit Osman Hamdi Bey – einer schillernden Persönlichkeit mit einer bemerkenswerten Karriere. 1842 in Istanbul zur Welt gekommen, war er drei Jahre jünger als Humann. Seine Eltern gehörten zur gesellschaftlichen Elite der Türkei und ermöglichten dem Sohn eine standesgemäße Ausbildung, zu der nach damaligen Kategorien ein Studium in Europa gehörte. In Paris beschäftigte er sich mit Jura, entdeckte gleichzeitig seine Passion für die Kunst und wurde später zu einem berühmten Maler. Einen echten Hamdi zu besitzen, gilt in Kunstkreisen als Nachweis wirklicher Kenner-

wirbiz

49


Politik & Gesellschaft

„NICHT NUR IN DER TÜRKEI, SONDERN AUCH INTERNATIONAL GALT ER ALS EINE KORYPHÄE DES WISSENSCHAFTSMANAGEMENTS.“

Der Burgberg des antiken Pergamons (heute Bergama) an der Westküste der Türkei.

schaft und als gute Geldanlage. Gleich neben Humanns Pergamonmuseum befindet sich auf der Berliner Museumsinsel die Alte Nationalgalerie. Im Foyer hängt das 1904 entstandene Hamdi-Bild „Lesender Araber“, es zeigt den Maler selbst als Koranleser in einem orientalischen Fantasiekostüm. Das Bild lockt gerade in jüngster Zeit viele Türken ins Museum, und besonders gerne lassen sich türkische Hochzeitspaare vor ihm fotografieren. Wer das auch tun will: Das Bild befindet sich, wenn man die erste Treppe hinaufsteigt, gleich links an der Wand. Nach seiner Rückkehr in die Türkei war Hamdi als Diplomat tätig, kam im großen Reich der Osmanen weit herum und fand dabei, wie Humann, seine

50 wirbiz

Passion für Geschichte und Archäologie. Zu seinen Glanztaten zählt die Entdeckung des berühmten Alexandersarkophags von Side (Libanon). Bis heute gehört dieses Monument zu den Attraktionen des Archäologischen Museums in Istanbul. Eröffnet wurde dieses heute weltweit bekannte Museum 1891 auf Initiative von – natürlich Osman Hamdi Bey. Seine Visitenkarte konnte er danach um den respektablen Eintrag „Museumsdirektor“ erweitern. Zu diesem Zeitpunkt waren Humann und Hamdi bereits gute Freunde. Kennengelernt hatten sie sich auf einer gemeinsamen Ausgrabung in Kommagene. Nach dem Abschluss der Arbeiten in Pergamon zeichnete der Sultan Humann

auf Antrag Hamdis mit den „Kommandeur-Insignien des Osmanen-Ordens“ aus. Seine Qualitäten als Künstler und als Freund führte Hamdi zusammen, indem er Humann 1894 ein von ihm gemaltes Porträt schenkte. Häufig war Hamdi zu Gast in Humanns Haus in Smyrna, dem heutigen Izmir. Weil der Deutsche die türkische Sprache gut beherrschte, gab es auch keinerlei kommunikative Schwierigkeiten. Natürlich profitierten beide beruflich von dieser Freundschaft, die im Laufe der Zeit aber mehr und mehr auch einen persönlichen und privaten Charakter annahm. Ganz zu trennen waren diese Ebenen allerdings nicht. So war es den guten Beziehungen Humanns zu Hamdi Bey zuzuschreiben, dass trotz eines unter dessen Direktive installierten Gesetzes zum Schutz antiker Monumente und Kunstgegenstände im Osmanischen Reich die Funde aus Pergamon den Weg nach Berlin antreten konnten. Carl Humann starb am 12. April 1896 in seiner Wahlheimat Smyrna. Seit 1967 befindet sich sein Grab auf dem Burgberg von Pergamon, ganz in der Nähe des Ortes, an dem er einst den le-

gendären Altar wiederentdeckt hatte. An diese passende Stelle wurden seine sterblichen Überreste überführt, nachdem der alte Friedhof von Smyrna kurz zuvor aufgelassen worden war. Hamdi überlebte seinen Freund Humann um fast 14 Jahre. Er kümmerte sich weiter intensiv um die Archäologie und deren musealer Präsentation. Nicht nur in der Türkei, sondern auch international galt er als eine Koryphäe des Wissenschaftsmanagements. Stolz nahm er 1909 die Ehrendoktorwürde der renommierten Universität Oxford in Empfang. Gleichzeitig war er fest in den Lebensformen und der Kultur der Türkei verankert und lieferte Zeitgenossen und Nachwelt den Beweis, dass Weltoffenheit und Tradition keine Gegensätze sein müssen. Bis zu seinem Tod am 24. Februar 1910 sorgte er mit einer unermüdlichen künstlerischen Produktion außerdem dafür, dass an Hamdi-Gemälden kein Mangel besteht. Sein Grab befindet sich etwas tiefer als die luftige letzte Ruhestätte seines Freundes Human – auf dem Friedhof des Ortes Eskihisar in der Nähe von Izmit. n


Kunst & Kultur

SCHREIBEN FÜR DEN FRIEDEN Ein Beitrag von Maria Tramountani

„In meiner Vorstellung scheint mir die Sonne in Damaskus auf meinen Kopf und streicht über mein Haar. Sie sieht aus wie eine schöne Frau und ich bin nur ein kleiner, schwacher junger Mann.“

A

ls der Syrer Mustafa Aldabbas diese Worte schreibt, lebt er schon seit einiger Zeit in Berlin. Der Journalist musste seine Heimat im Jahr 2015 aufgrund des Krieges verlassen. Nun lernt er Deutsch und arbeitet für einen syrischen Radiosender. Und er schreibt. Über den Krieg, seine Erfahrungen mit ihm, über sein neues Leben in Deutschland, die Sehnsucht und das Heimweh. Aldabbas ist Teil des Projekts Literally Peace, einer Plattform für (Hobby-)Autor*innen aus Syrien und Deutschland. Genau wie die weiteren elf ehrenamtlichen Teilnehmenden des Projekts schreibt er regelmäßig Texte, die auf einem

Die erste Lesung im Kulturkabinett in Bad Cannstatt.

paganda und den sozialen Medien werden die Teilnehmende gewonnen.

Blog veröffentlicht und über die sozialen Medien verbreitet werden. Selbsterklärtes Ziel des Projekts ist es, die Stimmen von jungen Menschen in und aus Krisengebieten hörbar zu machen. Dabei soll deutlich werden, dass es sich bei ihnen nicht um wehrlose Opfer des Krieges handelt, sondern um selbstbewusste und kreative Akteur*innen, die nicht über die politischen Umstände ihres Landes definiert werden sollten. Jede*r Autor*in entscheidet selbst, wie er / sie sich in seinen / ihren Texten präsentieren möchte: optimistisch oder melancholisch, humorvoll und sarkastisch, stilisiert oder nüchtern.

In einem zweiten Schritt sollen die jungen Autor*innen aus Syrien in einen Dialog mit jungen Autor*innen aus Deutschland treten. Sie sollen ihre Lebensrealitäten vergleichen, verschiedene Weltanschauungen zusammenbringen und gemeinsam eine Art vielfältiges Wörterbuch erfinden. Eines, das jede Definition von Frieden enthalten möchte. Koordiniert wird das Projekt in Stuttgart. Über verschiedene Kontakte, Mund-zu-Mund-Pro-

Jede Woche erscheint ein neuer Text, abwechselnd von einer / einem syrischen und einer / einem deutschen Autor*in. Die Texte werden auf Arabisch und auf Deutsch verfasst und entweder von den Autor*innen selbst oder von Unterstützenden des Projekts auf Englisch übersetzt. Im Oktober 2017 wagte sich Literally Peace aus der virtuellen in die reale Welt und veranstaltete eine erste Lesung, bei der einige Projektteilnehmende ihre Texte in einem kleinen Theater präsentierten. Auch Aldabbas nahm teil, der dazu extra aus Berlin nach Stuttgart reiste. Alle weiteren syrischen Autor*innen, die in Damaskus, Beirut und London leben, hatten nicht die Möglichkeit, an der Veranstaltung teilzunehmen. Sie waren jedoch durch ihre Texte zugegen. n

Maria Tramountani ist Initiatorin und Leiterin des Blogprojekts Literally Peace. Alle Texte, Informationen und anstehende Termine werden auf literallypeace.com veröffentlicht.

wirbiz

51


DEUTSCH-TÜRKISCHE BRÜCKENBAUER IN DER WIRTSCHAFT Patricia Leßnerkraus im Gespräch mit Michael Sautter und Tarkan Şöhret

Das Unternehmen am Standort Leonberg.

Kompetenz, Verantwortung und Nachhaltigkeit sind Werte, die sich das Leonberger Unternehmen „perma-trade Wassertechnik“ auf die Fahne geschrieben hat.

W

ie man die deutsch-türkischen Verbindungen auch als Chance nutzen kann, erzählen uns heute der schwäbische Unternehmer Michael Sautter und der deutsch-türkische Unternehmensberater Tarkan Şöhret.

52 wirbiz

wirbiz Herr Sautter, wie kommt ein 18-jähriger Schüler dazu, ein Unternehmen für Wassertechnik zu gründen? Michael Sautter Mein Vater hatte mit zwei Partnern eine Handelsvertretung für Heizungssysteme. Er hätte mich gerne in seine Firma geholt, was ich aber nicht wollte. Eines Tages trat ein amerikanisches Unternehmen, das einen deutschen Vertriebspartner in

Baden-Württemberg suchte, an ihn heran. Seine Firmenpartner wollten diese zusätzliche Aufgabe jedoch nicht übernehmen, sodass mein Vater spontan mich fragte, ob ich mir vorstellen könne, diese Aufgabe zu übernehmen. Mit 5.000 D-Mark Startkapital meines Vaters habe ich dann losgelegt. wirbiz Herr Şöhret, Sie haben sich auch schon sehr früh ins Unternehmertum gewagt. Tarkan Şöhret Ich habe bereits in jungen Jahren erkannt, dass ich meine eigenen Visionen umsetzen

möchte. Nach meiner Ausbildung zum Bankkaufmann habe ich mit 21 Jahren direkt meine Finanz- und Unternehmensberatung gegründet. Seither berate und unterstütze ich sowohl deutsche als auch türkische Unternehmen dahingehend, gegenseitige Wirtschaftsverbindungen auf- bzw. auszubauen. Aktuell betreue ich das Leuchtturmprojekt Türkisch-Deutsche Universität in Istanbul und vermittle den deutschsprachigen Studenten aus der Türkei Praktikumsplätze in Deutschland. Das ist eine tolle Erfahrung für beide Seiten.


Wirtschaft

wirbiz Herr Sautter, wie groß ist Ihr Unternehmen heute? Michael Sautter Ich habe 80 Mitarbeiter, davon knapp 50 am Standort Leonberg, die im Büro, im Vertrieb, im Lager und in der Entwicklung arbeiten. Die restlichen festangestellten Mitarbeiter arbeiten im Außendienst von Hamburg bis München, sechs Mitarbeiter arbeiten an unserem Schweizer Standort. Außerdem haben wir noch einen Sitz in Straßburg, sowie jeweils eine fünfzigprozentige Beteiligung an Vertriebstöchtern in Belgien und Italien. wirbiz Herr Şöhret, was raten Sie kooperationswilligen Unternehmen? Tarkan Şöhret Herr Sautter ist mit seiner Firma ein Vorbild. Er hat sich erstmal einen persönlichen Eindruck vor Ort gemacht. Das ist der richtige Weg. Man sollte sich besser kennenlernen und austauschen. Den Dialog als Chance nutzen, denn die Vorteile aus beiden Ländern, wie die deutsche Disziplin und die türkische Kreativität, können sich prima ergänzen. Schon über 6.500

Der 53-jährige Unternehmer Michael Sautter gründete 1982 perma trade Wassertechnik, als er selbst noch Schüler war und die 12. Klasse des Gymnasiums besuchte. Seine Firma steht für umweltgerechte Produkte von hoher Qualität aus deutscher Produktion und zugleich für große soziale Verantwortung.

deutsche Unternehmen haben bereits Kooperationen in der Türkei aufgebaut. wirbiz Herr Sautter, Sie beschäftigen gerade einen Studenten der deutsch-türkischen Universität in Istanbul als Praktikanten. Was macht er bei Ihnen und was erhoffen Sie sich davon für Ihr Unternehmen? Michael Sautter Bei einer noch nicht lang zurückliegenden Delegationsreise habe ich Herrn Şöhret kennengelernt und konnte mir vor Ort einen besseren Eindruck über die Türkei verschaffen. In verschiedenen Gesprächen u.a. mit Herrn Şöhret haben wir dann Ideen entwickelt, wie ich Partnerschaften aufbauen kann. Dabei wurde mir Herr Alican Demir als Praktikant

vorgeschlagen. Er studiert Betriebswirtschaftslehre an der TDU und betrachtet nun eine mögliche Partnerschaft unseres Unternehmens mit der Türkei aus türkischer Sicht, was sehr wichtig ist. Er hat nun hier die Aufgabe, uns das bereits bestehende türkische Netzwerk in Deutschland aufzuzeigen, damit wir anschließend hier Kontakte knüpfen können. Für uns ist wichtig zu wissen, wie die wirtschaftlichen Strukturen der Türken aufgebaut sind. wirbiz Herr Şöhret, worin liegt der Vorteil für deutsche Unternehmen, wenn sie türkische Studierende als Praktikant*innen einstellen?

Tarkan Şöhret Einen Praktikanten aus der Türkei einzustellen ist die ideale Möglichkeit, die Kultur des Landes besser kennenzulernen und sich bietende Chancen schneller zu erkennen. Ohne Risiko können Sie quasi testen, ob die Gegebenheiten etwas für Ihr Unternehmen sind. Aktuell machen über 20 Studierende ein Praktikum in Deutschland. In den nächsten Jahren wird die Anzahl deutlich steigen. Wir haben toll ausgebildete Leute in der Türkei. Somit könnte dann zumindest auch ein Teil des Fachkräftemangels in Deutschland gelöst werden. Da Unternehmen in Deutschland hier oft nicht mehr das gewünschte Personal finden, werden sie künftig vermehrt auf Fachkräfte aus dem Ausland zurückgreifen müssen.

wirbiz

53


„ZIEL IST ES, EINE PLATTFORM FÜR EINEN INTENSIVEREN AUSTAUSCH ZU SCHAFFEN.“

wirbiz Herr Sautter, Ihr Praktikant betreut bei Ihnen sogar schon ein eigenes Projekt. Michael Sautter Er hat mich sehr damit überrascht und begeistert, denn ich liebe es, wenn jemand selbständig arbeitet und Verantwortung übernimmt. Schon nach wenigen Tagen in unserem Betrieb hat er mir wie selbstverständlich ein eigenes, sehr beeindruckendes Konzept vorgestellt, das wir tatsächlich umsetzen werden. Es handelt sich dabei um einen speziellen, von ihm optisch mitgestalteten Trinkwasserbrunnen im orientalischen Stil für den Außenbereich. Nach Fertigstellung würden wir ihn gerne als Pilotprojekt einer Moschee in Deutschland spenden und dort installieren. wirbiz Herr Sautter, haben Sie angesichts der politischen Lage in der Türkei keine Bedenken bezüglich einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit hier lebenden Türken und dem Land selbst? Michael Sautter Natürlich finde ich nicht alles gut und richtig, was sich derzeit in der Türkei an politischer Entwicklung abzeichnet, aber ich maße mir dennoch nicht an, ein abschließendes Urteil zu

54 wirbiz

Der türkische Praktikant Alican Demir (2. v.r.) fühlt sich wohl im Leonberger Unternehmen zwischen Prokurist Oliver Zander, Firmenchef Michael Sautter und Tarkan Şöhret, Vorstand der Stiftung zur Förderung der Deutsch-Türkischen Universität.

fällen, da ich als Außenstehender sicherlich auch nicht alles richtig erfasse. Ich bin Unternehmer und habe einen Auftrag und eine Verantwortung für das Unternehmen. Umso wichtiger erscheint es mir daher, dass ich intensivere Kontakte mit der Türkischen Gemeinde in Deutschland, den hier lebenden Türken, und auch mit der Deutsch-Türkischen Universität in Istanbul knüpfe, damit man sich besser kennenlernt und versteht. Ich sehe es schon als verpflichtend an, dass man sich objektiv miteinander aus-

einandersetzt statt nebeneinander her zu leben. Das erweitert jedermanns Sichtfenster und führt zu einem besseren gegenseitigen Verständnis.

asiatischen Markt. Auch als Produzent und Hersteller von Handelswaren bestehen zur Türkei bereits vielfältige Beziehungen mit deutschen Unternehmen.

wirbiz Herr Şöhret, warum ist die Türkei ein interessanter Markt?

wirbiz Herr Sautter, in Ihrem Leben spielt soziales Denken eine große Rolle.

Tarkan Şöhret In der Türkei leben rund 80 Millionen Menschen, das Durchschnittsalter der Bevölkerung liegt bei 30 Jahren. Das macht die Türkei als Absatzmarkt spannend. Die geografische Lage des Landes ist ein weiterer Vorteil: Die Türkei eröffnet auch Handelsbeziehungen zum

Michael Sautter Als ehemaliger Waldorfschüler hatte ich dank eines Praktikums schon früh Kontakte zu Menschen mit Behinderung, die ich durch privates Engagement weiter ausgebaut habe. Das ist aber nicht jedem vergönnt.


Wirtschaft

„DAS IST EINE TOLLE ERFAHRUNG FÜR BEIDE SEITEN.“ Viele Menschen fühlen sich im Umgang mit ihren Mitbürgern mit Handicap verunsichert, wissen nicht, wie sie sich ihnen gegenüber verhalten sollen. Ich halte es aber für ausgesprochen wichtig, dass diese Unsicherheiten beseitigt werden, damit wir Menschen mit Behinderung richtig in die Gesellschaft integrieren können. wirbiz Sie haben deshalb die Produktion Ihrer Filterartikel in die Hände von Menschen mit Behinderung gelegt. Michael Sautter Neben unserem Firmengebäude zog eine Behindertenwerkstatt mit zunächst 18 Beschäftigten ein. Die Behinderungen sind körperlicher, geistiger oder psychischer Natur. Anfangs habe ich das Sortieren und Zusammenstellen unserer Prospektmaterialien an diese Werkstatt gegeben. Irgendwann kam ich auf die Idee zu fragen, ob es von der Umsetzung möglich wäre, dass wir unsere Endproduktion über die Behindertenwerkstatt fertigen lassen. Es hat dann gute eineinhalb Jahre gebraucht, bis die logistischen Voraussetzungen in der Werkstatt geschaffen waren. Mittlerweile lassen wir rund 90 Prozent unserer Produktion von inzwischen gut 45

Beschäftigen dort fertigen. wirbiz Und das läuft reibungslos? Michael Sautter Ja, das läuft tatsächlich reibungslos, aber nur deshalb, weil wir schon bei der Planung neuer Produkte vorausdenken. Das bedeutet, dass wir während der Entwicklung eines Produktes berücksichtigen, wie es von allen Beschäftigten der Behindertenwerkstatt produziert werden kann. Natürlich ist das für mein Unternehmen mit Mehraufwand verbunden und keinesfalls eine kostengünstige Lösung. Auch kann man weder kurzfristig noch unter Druck Neuheiten oder Veränderungen einführen, was manchmal vielleicht nötig wäre. Aber zum einen habe ich als Unternehmer eine soziale Verantwortung und zum zweiten macht die Zusammenarbeit mit der Behindertenwerkstatt große Freude. Die Beschäftigten dort sind sehr stolz auf ihre Arbeit, sind nur selten krank und zeigen großes Engagement. wirbiz Herr Şöhret, welche Aktion ist als nächstes geplant? Tarkan Şöhret Gemeinsam mit Herrn Sautter werden wir ein deutsch-türkisches Business-Frühstück in-

klusive Betriebsbesichtigung für Unternehmer in Leonberg bei perma-trade organisieren. Ziel ist es, eine Plattform für einen intensiveren Austausch zu schaffen. wirbiz Herr Sautter, sind Sie ein schwieriger Chef? Michael Sautter Damit sich meine Mitarbeiter weiterentwickeln können, habe ich eine hohe Toleranzgrenze. Pflichtsoldaten bringen mir nichts. Ich gebe meinen Mitarbeitern einen großen Freiraum und erwarte, dass sie sehr selbständig arbeiten und ihrer Eigenverantwortung gerecht werden. Bei mir steht die Tür immer offen, für jeden einzelnen Mitarbeiter.

Tarkan Şöhret ist Experte für deutsch-türkische Wirtschaftsbeziehungen. Der 40-Jährige, der sich zusätzlich als Vorsitzender des Deutsch-Türkischen Wirtschaftsdialogs und im Vorstand der Türkischen Gemeinde Baden-Württemberg e. V. engagiert, weist über 20 Jahre Erfahrung als internationaler Unternehmensberater auf.

wirbiz Nach welchen Kriterien suchen Sie Ihre Mitarbeiter aus? Michael Sautter Ich schaue nicht zuerst auf gute Noten, sondern suche den Menschen, der dahintersteckt. Mir sind vor allem drei Dinge wichtig: Teamgeist, Kreativität und Querdenken. Ein hochqualifizierter Mitarbeiter mit niedriger emotionaler Intelligenz kann mir unter Umständen viel kaputtmachen. n

wirbiz

55


DIE GEREIZTE MIGRATIONSGESELLSCHAFT Gari Pavković bewertet den Bundestagswahlkampf 2017

Fluchtmigration, Islam und die Türkei sind die großen Aufregerthemen in diesem Bundestagswahlkampf.

D

ies gilt nicht nur für die Kandidat*innen der Parteien und die Medien, sondern auch für die Bevölkerung. Vor allem für die Bevölkerung ohne den sogenannten Migrationshintergrund. An den Infoständen der Wählerlisten kann man die Gereiztheit und zuweilen die Aggressivität der Passanten beobachten. Prominente Politiker*innen werden bei Kundgebungen mit Pfiffen empfangen oder mit Tomaten beworfen wie zuletzt unsere Kanzlerin. Die Wut richtet sich meistens nicht gegen ihre Klimapolitik oder ihren Umgang mit der Automobilindustrie. Gesundheit scheint Privatsache zu sein und die chancengerechte Teilhabe an Bildung, Wohnen und Kultur eine Frage der individuellen Leistungsbereitschaft. Die zentrale Gretchenfrage für das eigene Wohlempfinden ist: Wie steht die Politik zu Flüchtlingen, Muslimen und Erdoğan? Die deutsch-türkischen Beziehungen sind wahrlich an einem Tiefpunkt angelangt. Besorgniserregend sind auch die antidemokratischen Entwicklungen in vielen EU-Staaten und in den USA. Eine gemeinsame

56 wirbiz

Einstellung der Populisten ist: Wir wären eine große Nation, wenn nicht so viele kulturfremde Migranten zu uns kämen. Transnationale Verträge und Verpflichtungen schränken unser Selbstbestimmungsrecht ein. Dies gilt insbesondere für die EU-Bürokratie. Wir wollen zwar alle Vorteile der globalisierten Ökonomie haben (Vielfalt ist eine Bereicherung in den Regalen der Supermärkte), aber wir wollen nicht Menschen als Nachbarn haben, die mit ihrer Anwesenheit unsere privilegierte Lebensweise in Frage stellen. Wir wollen nicht mit Schutzsuchenden aus armen Ländern face-to-face konfrontiert werden. Die von uns Solidarität statt Barmherzigkeit erwarten (so Paul Mecheril). Der Vorwurf der Wutbürger an Angela Merkel lautet immer wieder: Wir schaffen es nicht so viele Flüchtlinge zu integrieren. Diese belasten unsere Sozialsysteme und unsere Sicherheit. Wenn Flüchtlinge sich integrieren, ist es aber auch nicht recht, weil sie dann mit uns auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt konkurrieren. Bei solchen Kritiken geht es nicht nur um Unsicherheit in Bezug auf den eigenen Wohlstand, sondern um das ungeklär-

te Selbstverständnis der eigenen Gesellschaft: Wer sind wir und wer gehört dazu? Deutschland ist nicht erst durch den großen Zuzug der Geflüchteten eine Migrationsgesellschaft geworden. Es ist legitim, darüber zu streiten, wie wir diese veränderte Gesellschaft gestalten wollen – zusammen mit den „neuen Einheimischen“, den „neuen Deutschen“, die de facto dazu-

gehören. Das ist für viele eine Zumutung und der Vorwurf an die Bundeskanzlerin und an andere Politiker*innen, die uns das eingebrockt haben. Diese Zumutung hatten wir davor in der Geschlechterfrage, die nicht nur eine Frage der Frauen war. Männer versuchen


Politik & Gesellschaft

„DIE NEUE WIR-KULTUR, DIE DEN SOZIALEN ZUSAMMENHALT IN VIELFALT STÄRKT, KANN NICHT ÜBER HERKUNFT DEFINIERT WERDEN.“ in vielen Bereichen bis heute ihre Privilegien zu verteidigen. Viele „Nichtmigranten“ wollen ihre bisherige Dominanz bei der Platzierung der „Anderen“ beibehalten. Ich bin das Volk und räume dem Neuankömmling (dem Muslim, dem Deutschtürken) ein eingeschränktes Gastrecht ein – egal, wie lange er schon hier lebt. Die einen gewähren, die anderen müssen sich erst bewähren.

Die Themen Migration und Flucht dominieren den Wahlkampf der Bundestagswahl 2017.

Auch die Befürworter der offenen Gesellschaft treibt die Frage um, was uns verbindet außer der gemeinsamen deutschen Sprache im öffentlichen Leben und dem Einhalten der Gesetze. Heimat, Gemeinschaft und Zugehörigkeit, hierzulande historisch belastete Begriffe, werden neu definiert. Das Institut für Auslandsbeziehungen veranstaltete dieser Tage eine Konferenz zu den „Kulturen des Wir“. Die neue Wir-Kultur, die den sozialen Zusammenhalt in Vielfalt stärkt, kann nicht über Herkunft definiert werden. Eine Migrationsgesellschaft muss von daher zugleich eine „postmigrantische“ sein (Naika Foroutan). Wenn die gemeinsame historische Tradition fehlt, bedarf es einer Verständigung darüber, was das gute Zusammenleben heute und in der Zukunft ausmacht. Darüber hören wir in diesen hitzigen Wahlkampfzeiten wenig. Die AfD bietet bei Migrationsfragen Alternativen

zu demokratischen Grundprinzipien und möchte ein Gesellschaftsmodell wie vor 1968 etablieren. Mit Strategien der 1950er Jahren und davor lässt sich aber die Realität von 2017 nicht produktiv gestalten, auch wenn etwa 15 Prozent der Wähler*innen dies gerne hätten. Ihre Gereiztheit ist ein Ausdruck der Sehnsucht nach einer scheinbar homogenen Nation und der wachsenden Einsicht, dass diese Zeit endgültig vorbei ist. Was bleibt? Das Grundrecht aller auf ein gesundes und glückliches Leben und der noch ausstehende gesellschaftliche Aushandlungsprozess, was dieses jenseits des ständigen materiellen Wachstums ausmacht. Es besteht eine enge Wechselwirkung zwischen persönlichem Wohlbefinden und einem solidarischen Miteinander. Wir haben die Möglichkeit, eine neue inklusive Wir-Kultur zu entwickeln, die auf dem gerechten Ausgleich von Geben und Nehmen basiert – vor Ort und global. Politik kann diesen Perspektivwechsel in vielfältiger Weise fördern, beginnend mit einer neu ausgerichteten Bildungspolitik, auch wenn wir keine fertigen Antworten haben, wie die Welt von morgen aussehen wird. n

wirbiz

57


TÜRKISCH ALS FREMDSPRACHE AN GYMNASIEN Lİselerde yabanci dİl türkÇe Ein Beitrag von Güllü Kısa

Über die Bedeutung der Muttersprache und einen gescheiterten Modellversuch des Landes

Ü

blicherweise ist die Muttersprache auch die Herkunftssprache der Eltern und damit in der familiären Umgebung die primär gesprochene Sprache. Die Muttersprache wird weniger als Sprache und mehr als Austausch von Gefühlen verstanden. Das Fundament der sprachlichen und kommunikativen, sozialen, emotionalen und kognitiven Entwicklung wird zunächst durch das Erlernen der Muttersprache erworben. Auf die neue Sprache können dann diese grundlegenden Erfahrungen übertragen werden. Kinder, die in einem Sprachraum aufwachsen, der sich von der eigenen ethnischen Abstammung unterscheidet, werden zunächst verunsichert. Dies betrifft nicht nur eine fremde Sprache, sondern auch den Wechsel von einer Dialektgruppe in eine andere. Denn die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe wird in erster Linie über die Sprache definiert. Kinder, die erkennen, dass ihre Muttersprache wichtig und allgemein gültig ist,

58 wirbiz

werden ein positives Selbstbild entwickeln. Leider werden oft Unterschiede zwischen verschiedenen Sprachen gemacht. So erfahren italienischsprachige Kinder oft eine positive Bewertung ihrer Sprachkenntnisse. Anders ist es bei Kindern mit türkischer oder albanischer Herkunftssprache. Ihnen wird signalisiert, ihre Muttersprache nicht zu nutzen. Positiv oder negativ: Kinder erfahren durch die Zustimmung bzw. Ablehnung ihrer Muttersprache auch eine persönliche Zustimmung oder Ablehnung. Die Anerkennung der eigenen Muttersprache ist aber notwendig, wenn Kinder eine neue Sprache erlernen oder in eine „fremde“ Gesellschaft integriert werden sollen. Die rot-grüne Landesregierung startete 2013 den Modellversuch, Türkisch als Fremdsprache an Gymnasien einzuführen. Das Ziel der Landesregierung war, ein integrations- sowie bildungspolitisches Signal für die türkeistämmigen Bürger*innen zu setzen und die türkische Sprache mit anderen Fremdsprachen an Gymnasien auf einer Ebene anzubieten. An der

Universität Tübingen wird das Fach Türkisch für das Lehramt an Gymnasien angeboten und seither von türkeistämmigen Studierenden als Erweiterungsfach studiert. Das Ziel dieser Studierenden ist es, zusätzlich zu ihren Hauptfächern, Türkisch als Fremdsprache zu unterrichten. Einige Studierende haben das Studium bereits absolviert und könnten theoretisch Türkisch als Fremdsprache unterrichten. Schüler*innen, egal welcher Herkunft, könnten das Angebot annehmen und das neue Schulfach auch als Prüfungsfach ablegen. Geplant war, das Fach zumindest in Ballungsräumen anzubieten. Doch wie das Statistische Landesamt Baden-Württemberg mitteilt, gibt es derzeit nur zwei Privatschulen, die Türkisch als Unterrichtsfach anbieten. An drei staatlichen Gymnasien wird die Fremdsprache als Arbeitsgemeinschaft (AG) angeboten und nicht nur von türkeistämmigen Schüler*innen angenommen. Warum die Sprache an öffentlichen Schulen nur als AG angeboten wird, wird vom Kultusministerium einerseits mit dem Konsulatsmodell begründet und andererseits damit,

dass sich keine Gymnasien für den Schulversuch gefunden hätten. Lehrkräfte, welche aus den jeweiligen Ländern entsandt werden, haben nach dem Konsulatsmodell die Aufgabe, die Unterweisung in der Muttersprache und Förderung der heimatlichen Landeskunde zu unterrichten. Die Regierungspräsidien hätten bei den Schulleitertagungen auf die Möglichkeit des neuen Unterrichtsfachs hingewiesen, doch seien die notwendigen Beschlüsse der Schulkonferenz und Gesamtlehrerkonferenz nicht zustande gekommen. Eigene Anfragen und auch die Erfahrungen meiner Kommiliton*innen haben jedoch gezeigt, dass die Schulleiter*innen keine Wahl haben, da sie am Konsulatsmodell festhalten müssen. Es wird jedoch nicht ersichtlich, warum am Konsulatsmodell festgehalten wird, wenn das Land hier vor Ort Lehrkräfte ausbildet und trotzdem an deutschen Schulen Lehrer*innen aus der Türkei mitfinanziert. Die rechtliche Grundlage für diesen muttersprachlichen Zusatzunterricht ist eine Richt-


Bildung

linie aus dem Jahr 1977. Darin heißt es, dass für die schulische Betreuung der Kinder von Wanderarbeitnehmer*innen (den sogenannten Gastarbeiter*innen) die Mitgliedsstaaten in Zusammenarbeit mit den Herkunftsstaaten verpflichtet sind, den Zusatzunterricht zu gestalten. Die Verantwortung dieses muttersprachlichen Zusatzunterrichts liegt in der alleinigen Verantwortung der diplomatischen und konsularischen Vertretung der jeweiligen Herkunftsländer. Die Kurse werden von der Schulverwaltung unterstützt, unterliegen aber nicht deren Aufsicht. Im Klartext wissen wir nicht, was in diesem Zusatzunterrichtet gelehrt wird, außerdem können nur türkeistämmige Kinder daran teilnehmen. Die Idee der rot-grünen Landesregierung ist ein wichtiger und nötiger Ansatz gewesen. Denn das Konsulatsmodell ist veraltet und zielte darauf ab, dass die sogenannten Gastarbeiter*innen irgendwann in ihre Heimat zurückkehren würden. Dies geschah aber nicht und so leben heute nicht nur diese Menschen, sondern auch ihre Kinder und Enkelkinder in Deutschland. Doch ist es nicht ausreichend, nur einen Modellversuch zu starten. Dieser muss ausgebaut und an vielen Schulen angeboten werden.

Das Unterrichtsfach muss in den Lehrplan der Schulen integriert werden. Türkçe dersi okulların müfredatına ait olması gerekli.

Hat man tatsächlich Interesse daran, dass türkeistämmige Schüler*innen die deutsche Sprache kompetent beherrschen, ihnen die gleichen Bildungs- und Lebenschancen ermöglicht werden und sie an der Gesellschaft teilhaben, so muss auch ihre Muttersprache gefördert werden. Je früher, desto besser, so die Erkenntnisse der

Zweiterwerbsforschung. Diejenigen, die ihre Muttersprache kompetent erlernt haben, eignen sich eine neue Fremdsprache nicht nur sehr viel schneller, sondern auch erfolgreicher an. Türkisch als Schulfach wäre auch eine Geste der Anerkennung für die türkeistämmigen Schüler*innen. Außerdem wäre der Türkischunterricht nicht nur für türkeistämmige Kinder, sondern für alle offen. So wie es bei allen anderen Fremdsprachen, die an staatlichen Schulen angeboten werden, Gang und Gebe ist.

Die Vorarbeit für die Einführung des neuen Unterrichtsfachs wurde schon geleistet, der Bildungsplan für das Fach ausgearbeitet und nicht umsonst studieren motivierte Bildungsinländer*innen das Fach Türkisch als Fremdsprache und stehen als zukünftige Lehrer*innen und Vorbilder zur Verfügung. n

wirbiz

59


„KINDER, DIE ERKENNEN, DASS IHRE MUTTERSPRACHE WICHTIG UND ALLGEMEIN GÜLTIG IST, WERDEN EIN POSITIVES SELBSTBILD ENTWICKELN.“

Anadilinin önemi ve eyaletin başarısız bir deneyimi hakkında

A

nadil, ailede ve yakın çevrede birincil olarak konuşulan, genellikle ebeveynlerin de konuştuğu dildir. Anadil, sadece bir dilden ziyade insanların birbirleriyle duygu aktarımı yapmaları olarak görülür. Dilsel, iletişimsel, sosyal, duygusal ve bilişsel gelişimin temelleri ilk olarak anadilin öğrenilmesiyle atılır. Yeni bir dil öğrenildiğinde ise, bu deneyimler yeni öğrenilen dile aktarılır. Kendi etnik kökenlerinden farklı bir dilin konuşulduğu ortamlarda büyüyen çocuklar kendilerini başta güvensiz hisseder. Bu güvensizlik sadece yabancı bir dilin konuşulduğu ortamda değil, aynı dilin başka bir lehçesinin konuşulduğu bir ortama geçildiğinde de hissedilir. Bunun nedeni, bir gruba olan aidiyetin öncelikle dil üzerinden belirlenmesidir. Anadillerinin önemli ve geçerli olduğunu fark eden çocukların öz algısı da pozitif olacaktır. Ancak ne yazık ki diller arasında bazı ayrımlar gözetilmektedir. Örneğin anadilleri İtalyanca olan çocuklar etraflarında dilleri hakkında pozitif bir değerlendirme görürken, anadili Türkçe veya Arnavutça olan çocuklar için durum başkadır,

60 wirbiz

Türkisch ist die Muttersprache vieler Schüler*innen in Baden-Württemberg. Baden-Württemberg'de bir çok öğrencinin anadili Türkçe.

onlara toplum içinde anadillerini kullanmamaları gerektiği sinyali verilir. Çocuklar anadillerinin diğer insanlar tarafından onaylanması veya reddedilmesi sonucunda kendilerini onaylamayı veya reddetmeyi öğrenir. Bu noktada anadilin tanınırlığı, çocukların bir dil öğrenmeleri veya “yabancı” bir topluma uyum sağlamaları gerektiğinde önem kazanır.

Kırmızı-yeşil eyalet yönetimi 2013 yılında Türkçenin yüksek dereceli liselerde yabancı dil olarak okutulması için bir model uygulama başlattı. Bu modelle birlikte, eyalet yönetimi Türk kökenli vatandaşlar için entegrasyon ve eğitim politikasında bir fark yaratmayı ve Türkçeyi liselerde diğer yabancı diller gibi

belli bir seviyede sunmayı amaçlıyor. Tübingen Üniversitesi’nde de öğrencilere “Yüksek Dereceli Liselerde Türkçe Öğretmenliği” alanında eğitim sunuluyor, üniversitede okuyan Türk kökenli öğrenciler bu alanda da yetkinlik kazabiliyor. Öğrencilerin amacı uzmanlıklarını yaptıkları alanların yanı sıra yabancı bir dil olarak Türkçe dersi de verebilmek. Bu eğitimi tamamlamış olan öğrenciler şu anda teorik olarak “Yabancı Dil Olarak Türkçe Öğretmenliği” yapabiliyor. Her


Bildung

„ANADİLLERİNİN ÖNEMLİ VE GEÇERLİ OLDUĞUNU FARK EDEN ÇOCUKLARIN ÖZ ALGISI DA POZİTİF OLACAKTIR.“ kökenden lise öğrencisi de bu dersi alıp dersin sınavlarına girebiliyor. Türkçe dersinin başta sadece metropol alanlarında sunulması planlanıyordu. Baden Württemberg Eyalet İstatistik Dairesi’nin verdiği bilgiye göre halihazırda sadece iki özel lise Türkçeyi bir okul dersi olarak sunuyor. Devlete bağlı yüksek dereceli üç lisede ise Türkçe dersi okul kulüpleri bünyesi altında veriliyor ve Türkçe dersi kulübüne Türk kökenli olmayan öğrenciler de katılabiliyor. Kültür Bakanlığı, Türkçe dersinin sadece okul kulübü olarak sunulmasını bir yandan konsolosluk modelinin hala geçerli olmasıyla, diğer yandan bu uygulama için hiçbir yüksek dereceli lise bulunamamasıyla gerekçelendiriyor. Konsolosluk modelinde yabancı ülkelerden Almanya’ya gönderilen öğretmenler burada kendi ülkelerinin dilini ve coğrafyasını öğretmekle yükümlüler. Bölge İdare Başkanlıkları, Okul Müdürleri Konferanslarında okullarda Türkçe dersi verilmesi konusunu gündeme getiriyorlar, ancak okul konferanslarında ve bütün

öğretmenleri kapsayan konferanslarda bu konuda gerekli kararlar çıkmıyor. Arkadaşlarımın Türkçe dersi için talepleri ve bu durumla ilgili yaşadıkları da okul müdürlerinin konsolosluk modeline bağlı kalmak zorunda olduğunu, bu yüzden ellerinden başka bir şey gelmediğini gösteriyor. Almanya burada, kendi içinde öğretmen yetiştirirken ve buna rağmen hala Alman okullarında Türkiye’den gelen öğretmenleri finanse ederken, konsolosluk modeline neden bağlı kalındığını anlamak gerçekten güç. Anadilde verilen ek dersin yasal temeli 1977 yılından kalma bir yönergeyle belirlenmiş. Bu yönergede, üye ülkelerin göçmen işçilerin, daha doğrusu misafir işçilerin geldiği ülkelerle işbirliği yaparak bu işçilerin çocuklarına eğitim alanında destek sağlanması adına okullara ek ders konması gerektiği belirtiliyor. Anadilde verilen ek ders ise bu ülkelerin Almanya’daki konsolosluklarının sorumluluğu altına giriyor. Kurslar okul yönetimi

tarafından destekleniyor, ancak kontrol edilmiyor. Bu derslerde ne öğretildiği tam olarak bilinmiyor, ayrıca bu derslere sadece Türk kökenli çocuklar katılabiliyor. Kırmızı-yeşil eyalet yönetiminin fikri hem önemli hem de gerekli bir noktaya parmak basıyor. Bunun nedeni ise konsolosluk modelinin eski bir model olarak kabul edilmesi ve bu modelin misafir işçilerin günün birinde kendi ülkelerine geri dönecekleri düşüncesiyle tasarlanmış olması. Günümüzdeki gerçek ise çok farklı. Misafir işçiler kendi ülkelerine geri dönmedi ve artık onlar, onların çocukları ve hatta torunları bile Almanya’da yaşıyor. Elbette başlatılan model uygulamalar yeterli değil. Bu uygulamaların geliştirilmesi ve birçok okulda sunulması gerekiyor. Eğer Türk kökenli öğrencilerin Alman diline gerçekten hâkim olması ve onların topluma katılması isteniyorsa, onlara aynı eğitim ve geçim imkanları tanınması planlanıyorsa, o halde bu öğrencilerin anadilleri de desteklenmelidir. İkinci dil öğrenimi hakkında yapılan çalışmaların ortaya koyduklarına göre bu destek ne kadar erken

verilirse öğrenciler için o kadar yararlı olur. Anadillerine hâkim olan insanlar yeni bir dili hem çok daha hızlı hem de daha başarılı şekilde öğrenir. Okullarda Türkçe öğretilmesi aynı zamanda Türk kökenli öğrencilere karşı yapılan bir jest haline gelir. Ayrıca Türkçe dersi sadece Türk kökenli çocuklara değil, aynı devlet okullarında sunulan diğer bütün yabancı diller gibi herkese açık olur. Okullarda Türkçe dersi için gerekli ön çalışmalar yapıldı, müfredat detaylı bir şekilde hazırlandı. Bununla birlikte Almanya’da okumuş, yüksek motivasyonlu Türk öğrenciler “Yabancı Dil Olarak Türkçe” alanında eğitim alıyor, böylelikle kendilerini geleceğin hem öğretmenleri hem de örnek insanları olmaya hazırlıyorlar. n

wirbiz

61


DIE WELT BRAUCHT KEINE SUPERHELDEN Ein Beitrag von Serkan Eren

A

lles begann im Oktober 2015. Ich saß auf dem Sofa vor der Tagesschau und sah Kinder, die mitten in Europa ohne Jacke und Schuhe unterwegs waren. Bei Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt mussten sie im Freien schlafen. Ich fragte mich, warum niemand etwas dagegen unternahm. Letztlich entlarvte ich meine eigene Passivität und stellte mir die Frage, warum eigentlich nicht ich (!) Initiative ergreifen konnte. Kurzerhand entschloss ich mich mit meinem guten Freund Steffen Schuldis dazu, einen Sprinter zu mieten und auf die sogenannte Balkanroute nach Griechenland zu fahren. Wir setzten einen Tag später eine Facebook-Seite auf. Der Plan war, Freunden und Familie eine Plattform zu bieten, um

auf diesem Weg an möglichst viele Sachspenden zu gelangen. Wir gaben der Seite den provisorischen Namen „Balkan Route Stuttgart“. Die Seite wurde in den ersten Stunden unzählige Male geteilt. Tags darauf kontaktierten uns die ersten Personen, die wir beide nicht kannten. Vor Ort konnten wir Hunderte von Kindern mit warmen Jacken und Decken versorgen. Unzähligen Menschen, viele noch mit Spuren von Salzwasser auf ihrer Gesichtshaut, konnten wir Schuhe und Socken anziehen. Wir standen in dieser Woche nicht selten knapp 20 Stunden täglich auf den Beinen. Auf der Rückfahrt gingen immer wieder Angebote für Sachund Geldspenden ein. Schnell

Die Ehrenamtlichen besuchen die Familien in den improvisierten Lagern.

62 wirbiz

wurde uns klar: Es ging nun nicht mehr darum, mit einer altruistischen Aktion unser schlechtes Gewissen zu beruhigen. Mittlerweile hatten wir bereits ein kleines Netzwerk und vor allem eine gewisse Verantwortung für eine erfolgreiche Facebook-Seite und damit für viele Menschen in Stuttgart, die sich positiv einbringen wollten. Es lag an uns, diese Energie zu bündeln. Das erfolgreiche und sich im Wachstum befindende Projekt nun zu beenden, war zu diesem Zeitpunkt keine Option mehr. Mittlerweile ist aus einem Gefühl der inneren Unruhe heraus die Hilfsorganisation Balkan Route Stuttgart e.V. geworden. Mit viel Mithilfe aus der Bevölkerung konnten wir mehrere Tonnen an Hilfsgütern in die Krisenregionen schicken.

Unsere Einsätze haben sich auf die griechische Insel Chios ausgedehnt. Hier konnten wir in einer einzigen Nacht 2.000 Menschen versorgen, die auf Schlauchbooten aus dem Meer gezogen wurden. Gegenwärtig sind wir in erster Linie in der Türkei tätig. Seit dem Frühjahr 2016 schicken wir nun, nachdem wir sie ausgiebig auf ihren Einsatz vorbereitet haben, freiwillige Helfer in die Türkei. Sie sollen unsere guten Kontakte zu den Einheimischen nutzen und sich vor Ort einbringen. Ihre Aufgabe: 8.000 Hilfsbedürftige mit dem Nötigsten versorgen. Bevor dies alles aber realisiert werden kann, läuft viel Arbeit im Hintergrund ab. Mit Luca Krieglstein (Zweiter Vorstand) und Manuel Kaier (Finanzvorstand) sind wir hier sehr gut aufgestellt.

Die Balkan Route Stuttgart e.V. verteilt Spenden an die geflüchteten Kinder.


Politik & Gesellschaft

„DIE BILDER VERGANGENER EINSÄTZE BEGLEITEN MICH NAHEZU TÄGLICH.“ Die Bilder vergangener Einsätze begleiten mich nahezu täglich. So lebe ich seit dem Startschuss unseres Projektes in zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. In der einen Welt die Spaßgesellschaft. In der anderen Welt Mütter, die mitten in der Nacht am Ufer ihre Kinder suchen; Menschen, die Zeugen eines unsinnigen Krieges sind; Väter, die zusehen mussten, wie ihre Kinder sterben; Waisenkinder, die alleine aus Syrien geflüchtet sind, nachdem sie ihre Eltern verloren haben. Uns sollte bewusst werden, dass wir vor unserer Geburt keinen Eignungstest bestanden haben, der uns dafür qualifiziert, in Mitteleuropa auf die Welt zu kommen. Es ist pures Glück, dass wir heute nicht in einer Wellblechhütte in Südamerika oder in einem Flüchtlingslager im Sudan leben. Was ich in den letzten zwei Jahren gelernt habe, ist, dass die Welt keine Superhelden braucht. Unsere Organisation ist bei Null gestartet, wir hatten keine Ahnung. Was die Welt also braucht, sind lediglich Menschen, die sich ihres Glückes bewusst sind und davon etwas zurückgeben möchten.

Über einen Aufruf auf der Facebook-Seite kamen unzählige Sachspenden zusammen.

Wer uns unterstützen möchte, kann dies gerne tun. Wir freuen uns über jeden Euro; denn ohne finanzielle Mittel gibt es für uns keine Grundlage, um weiterzumachen. Alle unsere Helfer finanzieren ihre Flüge und ihre Verpflegung aus eigener Tasche. Jeder gespendete Euro steht also in direktem Bezug zu den Hilfsbedürftigen. Wir versuchen mit den Geldern so effizient wie möglich umzugehen. n

Spendenkonto von Balkan Route Stuttgart e.V. IBAN: DE32 4306 0967 7001 8011 00 PayPal: BalkanRouteStuttgart@gmail.com Weitere Informationen unter www.balkanroutestuttgart.de

wirbiz

63


BRAIN-DRAIN: AUS DER TÜRKEI NACH DEUTSCHLAND Türkİye’den Almanya’ya Beyİn Göçü Üzerİne Merve Akdemir im Gespräch mit Gözde Kara

Der Begriff Migration und die Handlung selbst ist heutzutage, insbesondere durch die Vorteile der modernen Technologie, allgegenwärtig.

W

ir bewegen uns in Zeiten, in denen Menschen für bessere Lebensbedingungen nicht nur den Umzug in eine neue Stadt in Kauf nehmen, sondern selbst in fremde Länder immigrieren. In den Vordergrund rückt hier eine ganz spezielle Art der Migration, die überwiegend junge, gut ausgebildete Menschen anspricht: der BrainDrain hochqualifizierter Individuen. Aber welche Erfahrungen macht ein*e Hochqualifizierte*r bei der Migration, welche Hürden muss man überwinden? Gözde Kara, die heute in Stuttgart lebt, hat sich über diese und ähnliche Fragen Gedanken gemacht und schließlich entschieden, zusammen mit ihrer Freundin, Ekin Altan, die an der Universität Stuttgart promoviert, eine Recherche zu betreiben. Die Umfrage wurde in der Zeitschrift „Herkese Bilim Teknoloji“ (Ausgabe März 2017) und später im Juni 2017 in der Zeitschrift „Iktisat ve Toplum“ unter dem Titel „Hochqualifizierte türkische Migranten in Deutschland – Sind wir uns der Abwanderung ausreichend

64 wirbiz

Brain-Drain aus der Türkei aus Sicht des Karikaturisten Erdoğan Karayel. Karikatürcü Erdoğan Karayel'in kaleminden beyin göçü.

bewusst?“ veröffentlicht. Heute berichtet Gözde Kara über die Ergebnisse ihrer Studie. wirbiz Wieso habt ihr euch entschieden, diese Forschung zu betreiben?

Gözde Kara Ich bin im Oktober 2014 nach Deutschland gekommen. Ich lernte Ekin Altan kennen, eine meiner ersten Freundinnen hier, und wir dachten zusammen darüber nach, ob die türkischen Behörden überhaupt wussten, was wir hier in Deutschland taten. Was Ekin und ich gemeinsam hatten, war ein abgeschlossenes Studium in der Türkei und anschließend die Migration nach Deutschland.

Anfangs sammelten wir die Erfahrungen von Personen, die denselben Weg gegangen waren. Später entschieden wir uns, eine umfangreichere Nachforschung zu machen und die Situation der Migrant*innen deutschlandweit aufzuzeigen. Im Großen und Ganzen kann man sagen, dass diese Recherche aus unserer Neugier und unseren Erwartungen entstanden ist. Im weiteren Verlauf schloss


Wirtschaft

sich uns ein Freund an: Cihan Yörükoğlu. Dann haben wir die Forschungsgruppe für „hochqualifizierte türkische Migranten“ endgültig gegründet. Uns waren zwei Dinge wichtig: Die zu befragenden Personen mussten in den ersten 15 Jahren ihres Lebens in der Türkei gelebt haben, damit sie eine starke Verbindung zur Türkei hatten. Ferner sollten sie für ihre berufliche Entwicklung oder für ihre akademische Ausbildung nach Deutschland gekommen sein. In diesem Rahmen erstellten wir einen Fragebogen, an dem 249 Personen zwischen Januar und Juli 2015 teilnahmen. Die Ergebnisse zeigten uns, welche Schwierigkeiten diese Personen in Deutschland erlebt hatten, ob sie zurück in die Türkei gehen wollten, wie sie die Zukunft der Türkei sahen und ob sie einen Beitrag für die Türkei leisten wollten. Damit die Ergebnisse noch bekräftigt wurden, führten wir Interviews mit einigen herausragenden türkeistämmigen Prominenten durch: Vereinsleiter, Abgeordnete, Führungskräfte, Manager uvm. wirbiz Gibt es einige Anekdoten von diesen Interviews, die du mit uns teilen könntest?

Gözde Kara Ja, gerne. Zum Beispiel sagte Mehmet Gürcan Karakaş, Kuratoriumsmitglied des DTF, über die Bedeutung von hochqualifizierten Migranten in Deutschland Folgendes: „Deutschlands Erfolgsgeheimnis liegt daran, dass sich die Menschen zunächst auf ein bestimmtes Feld spezialisieren, sich danach auf die Forschung und Entwicklung fokussieren und schließlich das wirtschaftliche Knowhow vertiefen. Hochqualifizierte türkische Migrant*innen können dasselbe Modell nutzen.“ Da stimmen wir total zu. Die Erfahrungen hier sind sehr wichtig für die Entwicklung der Türkei, besonders in den Bereichen Wissenschaft, Technologie und Industrie. Dafür muss Wissenschaft und Politik separat gehalten werden. Ein anderer Interviewter, Dr. Yaşar Aydın (Hafen City Universität Hamburg), sprach auch das Thema an: „Bei den Goethe Instituten, die als grundlegende Wissenschaftsinstitute Deutschlands gelten, kann man Personen mit den unterschiedlichsten Ansichten sehen, unabhängig davon, wel-

che Partei die Regierung führt. Für deutsche Institutionen ist die Mitwirkung sehr wichtig und steht im Vordergrund. Leider ist die Situation in der Türkei ganz anders.“ Ein weiterer Interviewpartner, Tarkan Şöhret (Deutsch-Türkischer Wirtschaftsdialog) meinte: „Die Türkei ist einer der größten Handelspartner Deutschlands, im Import und Export. Jedoch wird die deutsche Sprache, außer an einigen wenigen Universitäten, nirgends angeboten.” Ironisch, oder? wirbiz Was kannst du uns über eure Ergebnisse berichten? Gözde Kara Da gibt es einige bemerkenswerte Ergebnisse! Fast die Hälfte der Teilnehmenden haben eine Niederlassungserlaubnis, eine Arbeitserlaubnis oder die deutsche Staatsbürgerschaft. Vielen fällt es nicht schwer, sich hier einzuleben. Die größten Problemfelder sind Sprache, Wohnsituation, der Visumsprozess und manchmal auch kulturelle Schwierigkeiten. Viele denken, dass es keine türkische Institution gibt, bei der sie Hilfe bekommen können. Eine Vielzahl der befragten Personen sind nicht in NGOs oder Vereinen aktiv. Wenn sie doch Mitglieder sind,

dann sind es eher arbeits- oder bildungsbezogene Organisationen. Ein großer Teil der Befragten will nicht mehr in die Türkei zurückkehren, meistens wegen der dortigen Arbeitskultur und der angespannten politischen Situation. Trotzdem ist ihnen die Entwicklung der Türkei wichtig und sie wollen dazu in irgendeiner Form beitragen. Die Ergebnisse zeigen, dass hochqualifizierte türkische Migrant*innen eine große Rolle bei der Entwicklung der deutsch-türkischen Beziehungen spielen – sozial und ökonomisch. Leider ist sie derzeit aufgrund der aktuellen politischen Situation in der Türkei zaghaft. Wir sind zu drei wichtigen Schlussfolgerungen gekommen: Die Zahl der in Deutschland lebenden hochqualifizierten Türkeistämmigen ist nicht bekannt, es fehlen verlässlichen Zahlen. Zweitens gibt es von Seiten der Türkei keine Programme oder Unternehmungen, diese ausgewanderten Menschen zurückzugewinnen und in der Türkei wiedereinzusetzen. An dieser Stelle könnten NGOs behilflich sein. Und drittens können hochqualifizierte türkeistämmige Migrant*innen als Vorbilder gesehen werden, insbesondere für die Entwick-

wirbiz

65


„HOCHQUALIFIZIERTE SPIELEN EINE GROSSE ROLLE BEI DER ENTWICKLUNG DER DEUTSCH-TÜRKISCHEN BEZIEHUNGEN.“

lung der Beziehungen der zwei Länder. Vorteile sind dabei das bereits mitgebrachte Wissen wie auch Sprache, Fachkräftemangel, Teilhabe am sozialen Geschehen etc. – Faktoren, die eine Integration vereinfachen. wirbiz Habt ihr vor, den Fragebogen zu erweitern und die Ergebnisse erneut zu analysieren? Gözde Kara Ja, das ist unser Plan. Vielleicht können wir mit einem Verein zusammenarbeiten statt die Forschung mit zwei oder drei Freunden durchzuführen. Wir haben uns dazu bereits erkundigt und Gedanken gemacht. Die Fortführung und Überarbeitung wird auch wichtig sein, da ich der Meinung bin, dass sich die Zahlen sehr verändern werden. Begründet durch die aktuelle Situation und den aktuellen Entwicklungen in der Türkei kann man vorausschauend ein schlechteres Ergebnis erwarten. n Unter diesem Link findet sich der Artikel: www.iktisatvetoplum.com

66 wirbiz

G

öç, günümüzde gelişen teknolojinin mesafeleri kısaltmasıyla daha sık bahsi geçen bir kavram olmaya başladı. Daha iyi yaşam şartları karşılığında artık başka şehirlere taşınmanın değil, başka bir ülkeye göç etmenin giderek normalleştiği zamanlardayız. Burada özellikle eğitimli genç nüfusun ilgisini cezbeden bir göç türünden bahsetmeye başGözde Kara forscht über die Abwanderung hochqualifizierter lıyoruz: yüksek nitelikli bireylerin beyin göçü. Peki, yüksek türkischer Migranten. Gözde Kara yüksek nitelikli Türk- nitelikli göçmen olma tecrübesi üzerinden konuşmak istediğilerin hakkında araştırıyor. mizde karşımıza neler çıkıyor? İşte, Stuttgart’ta yaşayan Gözde Kara, buraya taşınmasının ardından bu soru ve benzeri sorular üzerine düşünmeye başlamış ve Stuttgart Üniversitesi’nde doktora yapan arkadaşı Ekin Altan ile bu konuda bir araştırma yapmaya karar vermiş. Herkese Bilim Teknoloji Dergisi’nin Mart 2017 sayılarında, ve son olarak İktisat ve Toplum Dergisi’nin Haziran 2017 sayısında yayımlanan “Almanya’da Yaşayan Yüksek Nitelikli Türk Göçmenler – Beyin Göçünün Yeterince Farkında Mıyız?” başlıklı yazısı hakkında Kara ile konuştuk.

wirbiz Bu araştırmayı yapmaya nasıl karar verdiniz? Gözde Kara Stuttgart’a 2014 yılının Ekim ayında geldim. Burada tanıştığım ilk arkadaşlarımdan Ekin Altan ile Türk yetkili kurumlarının bizlerin Almanya’da ne yaptığımız konusunda fikri olup olmadığı konusunda konuşmaya başladık. Ekin ile ortak noktamız ikimizin de üniversite öğrenimini Türkiye’de tamamlayıp Almanya’ya gelmiş olmasıydı. Başlangıçta aynı profile sahip tanıdıklarımızın tecrübelerinden yararlanmaya başladık, sonrasında ise bu konuda daha detaylı bir çalışma yapmaya ve Almanya genelinde bizim gibi göçmenler için mevcut durumu ortaya koymaya karar verdik. Yani bu çalışmanın, kişisel merakımız ve beklentilerimizden kaynaklandığını söyleyebilirim. Sonradan aramıza Türkiye’den bir arkadaşımız daha katıldı: Cihan Yörükoğlu. Araştıracağımız profili “yüksek nitelikli Türk göçmenler” olarak belirledik. Bizim için önemli olan 2 nokta şuydu: bu kişilerin hayatlarının en azından ilk 15 yılında Türkiye’de yaşamış olmaları, yani Türkiye ile güçlü bağlarının olması, ikinci olarak Almanya’ya kariyer ya da yüksek öğrenim yapma amacıyla gelmiş olmaları. Bu kapsamda bir anket hazırlayıp 2015 yılı Ocak-Temmuz arasında 249 ki-


Wirtschaft

„YÜKSEK NİTELİKLİLER ALMANYATÜRKİYE İLİŞKİLERİNİ GELİŞTİRMESİNDE BÜYÜK ROLE SAHİP.“ şiye ulaştırdık. Anket aracılığıyla bu insanların Almanya’daki yaşamları süresince karşılaştıkları zorluklar, Türkiye’ye dönmek isteyip istemedikleri, Türkiye’nin geleceğini nasıl gördükleri, Türkiye’ye katkı sağlamayı isteyip istemedikleri gibi birtakım konularda sonuçlara vardık. Anket sonuçlarını desteklemesi amacı ile ayrıca birçok seçkin Türk ile söyleşiler de gerçekleştirdik; dernek yöneticileri, milletvekilleri, üst düzey Türk yöneticiler / yetkililer vb. wirbiz Bireysel görüşmelerden bizimle paylaşabileceğin 1-2 anekdot var mı? Gözde Kara Evet, var. Örneğin DTF mütevelli heyetinden Mehmet Gürcan Karakaş, yaptığımız görüşmede Almanya’da yaşayan yüksek nitelikli göçmenlerin önemini belirtmek açısından şunu vurgulamıştı: “Almanya’nın başarılı olmasının sırrı olan ‘önce bir konuda uzmanlaşma, o konuda en iyi olabilmek için Araştırma ve Geliştirme çalışmalarına odaklanma ve teşvikleri de kullanarak bilgi ve ticari birikimi derinleştirme’ yaklaşımını, yüksek nitelikli Türk göçmenler Türkiye’ye taşıyabilirler.” Biz buna kesinlikle katılıyoruz. Burada edinilen

tecrübelerin ve kazanılan bilgilerin Türkiye’nin bilim, teknoloji, sanayi odaklı gelişimine çok ciddi katkısı olacaktır. Fakat bunun sağlanabilmesi için bilim ile siyasetin kesinlikle ayrı tutulması gerekiyor. Söyleşi yaptığımız bir diğer isim Dr. Yaşar Aydın (Hafen City Üniversitesi) bu konunun altını çizerek şunu belirtmişti, “Almanya’nın köklü bilim kuruluşlarından Goethe Enstitüleri’nde hangi parti iktidarda olursa olsun her görüşten insana rastlanıyor, çünkü Alman bilim merkezleri için ‘katılımcılık’ kavramı çok önemli; ne yazık ki Türkiye’deki durum bunun tam tersi yönde seyrediyor.” Bunlara ek olarak Tarkan Şöhret (Deutsch-Türkischer Wirtschaftsdialog) ilginç başka bir bilgiye değinmişti: “Türkiye’nin hem ithalat hem de ihracat anlamında en yoğun iş birliği yaptığı ülke Almanya. Fakat birkaç üniversite dışında Türkiye’de neredeyse hiçbir üniversitede Almanca eğitim verilmiyor.” Oldukça ironik değil mi? wirbiz Çalışmanın sonuçlarına dair neler söyleyebilirsin? Gözde Kara Anketin çarpıcı birkaç sonucundan bahsetmekte fayda var. Katılımcıların yaklaşık yarısının kalıcı oturumu, çalışma

izni ve Alman vatandaşlığı var. Çoğunluğu buradaki hayata adapte olmakta ciddi sorunlar yaşamıyor; en önemli sorunları dil, konaklama, vize süreci ve bazen de kültürel sıkıntılar. Çoğu, ihtiyaçhalinde , yardım alabileceği bir Türk kurumu olduğunu düşünmüyor. Çok büyük bir kısmı sivil toplum kuruluşlarına üye değil; üye olanlar da genelde çalıştıkları ya da öğrenim gördükleri bir kurumla ilgili bir kuruluşa üye, , sosyal ya da siyasi oluşumlara değil. Son olarak ise yine büyük bir çoğunluk Türkiye’deki iş yapış kültüründeki olumsuzluklar ve siyasi ortam nedeniyle Türkiye’ye geri dönmeyi düşünmüyor. Yine de onlar için Türkiye’nin gelişmesi çok önemli, geri dönmeseler bile bir şekilde katkı sağlamak istiyorlar. Bu sonuçlara bakarak yüksek nitelikli Türk göçmenlerin Almanya-Türkiye ilişkilerinin geliştirilmesinde büyük bir role sahip olduğu, bu kişilerin Türkiye’nin sosyal ve ekonomik gelişimine büyük katkılar sağlayabileceği fakat Türkiye’deki politik sıkıntılar nedeniyle bu olanakların önünün tıkandığı sonucuna varılabilir. Bu noktadan hareketle üç çıkarım yapabiliriz: Öncelikle, yüksek nitelikli Türk göçmenlere dair yeterli veri bulunmuyor. Bu veriler bir şekilde elde edilmeli ve üzerinde çalışılmalı. İkinci olarak Türkiye’nin bahsi geçen beyin gücüne yönelik bir kazanım ya da bu gücü değerlendirme politikası görünürde yok.

Bu noktada STK’lar üzerinden faaliyete geçilebilir. Son olarak da göçmenlerin, Almanya’ya uyum için dil, mesleki nitelik ve fahri / sosyal faaliyetlere katılımı çok önemli demiştik, işte bu noktada yüksek nitelikli Türk göçmenler bu gereksinimleri daha rahat karşılayabildikleri için iki ülke ilişkilerinin gelişiminde rol model olabilir, daha fazla göz önüne çıkarılabilirler. wirbiz Anketi biraz daha kapsamlı bir şekilde yeniden yaparak sonuçları elden geçirmek gibi bir planınız var mı? Gözde Kara Evet, ama bunu iki-üç arkadaş yapmak yerine belki bir dernekle beraber çalışabiliriz. Bu konuda hazırlıklara başladık... Revizyon da önemli olacak, rakamların ciddi anlamda oynayacağını düşünüyorum. Yani Türkiye açısından baktığımızda, son yıllardaki gelişmeler de göz önünde bulundurulursa daha da olumsuz bir tablo ortaya çıkabilir bu sefer. n İktisat ve Toplum Dergisi’nde yayımlanan yazıya aşağıdaki bağlantıdan ulaşılabilir: www.iktisatvetoplum.com

wirbiz

67


„HOTLINE FÜR BESORGTE BÜRGER“ – UND EINE BESSERE WELT Ein Beitrag von Beria Barlık

Ali Can ist 23 Jahre alt und engagierte sich schon früh für ein friedliches Zusammenleben. Aus Engagement ist eine Berufung entstanden. Mit uns hat er seine Erfahrungen und Ziele geteilt.

A

ls Ali zwei Jahre alt war, beschloss seine Familie aus verschiedenen Gründen in Deutschland Asyl zu ersuchen. Lange lebte die Familie in Warendorf, im Münsterland, bis sie schließlich im Jahre 2008 nach Gießen zog. Heute pendelt er zwischen den Großstädten Köln und Berlin. Bereits in seiner Jugend fing Ali an, sich ehrenamtlich zu engagieren, unter anderem besonders bei UNICEF. Später folgten von ihm geleitete Seminare und Workshops, die sich mit dem Umgang mit kultureller Vielfalt beschäftigten und die Menschen sensibilisierten. All das geschah und geschieht heute noch unter seinem Label interkulturell leben. Mit seiner Hotline für besorgte Bürger weckte

68 wirbiz

Personen an, die einfach mal einen Rat benötigten. Darunter auch Menschen, die sich für Flüchtlinge engagieren und beispielsweise an einem gewissen Punkt nicht weiterkamen oder ein Problem nicht bewältigen konnten.

Ali Can betreut die „Hotline für besorgte Bürger“.

er schnell das Medieninteresse und trägt seitdem zu einer noch besseren Verständigung bei.

Konfrontation abgebaut werden können. Die Lösung: Eine Hotline für jene besorgten Bürger.

Die Idee zu seinem HotlineProjekt bekam Ali erst mit der Zeit. Sein Freundeskreis war schon immer gut durchmischt, weswegen er schon immer Kontakt zu verschiedenen Kulturen hatte. Er erkannte früh, dass das „Interkulturelle“ nicht immer so einfach ist. Der eigentliche Auslöser für die Hotline war jedoch das vermehrte Aufkommen populistischer Stimmen in den letzten drei Jahren. Unter anderem reiste Ali durch die ostdeutschen Bundesländer und erkannte schnell, dass Vorurteile am besten mit Begegnung und

Seither hat Ali die unterschiedlichsten Anrufe entgegengenommen. Zu Beginn des Projektes, welches er zum größten Teil selbst finanziert, war der Andrang viel größer als erwartet. Und das zu seiner Überraschung: Denn obwohl das Angebot grundsätzlich an Personen gerichtet war, die Vorurteile gegen Migrant*innen und Flüchtlinge haben, riefen auch

An eine Dame, die sich ehrenamtlich engagiert, erinnert sich Ali gerne zurück. Sie rief ihn an während er am Essen war. „Lammacun? Ah, kenn ich! Das ist doch das mit Lamm, oder?“ – und schon hatte man einen Einstieg in ein nettes Gespräch. Nach diesem Prinzip eines kurzen Smalltalks zu Beginn des Anrufs baut Ali auch seine Gespräche auf: „Der Ansatz ist zuallererst eine wertschätzende Begegnung.“ Außerdem vertritt er die Meinung, dass man bei einem Gespräch nicht sofort gegeneinander argumentieren muss. Diese Handlungsweise verstärkt er mit einem Zitat von Rumi: „Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort, dort treffen wir uns“. Er möchte in seinen Gesprächen Raum für Gedanken und Ideen schaffen. Jede*r soll sich wohl genug fühlen, um das aussprechen zu können, was vielleicht schon seit längerem in einem


Politik & Gesellschaft

der-Klischees“ aufgebaut sind, ebenfalls die Vorurteile unterstützen und somit sogar gegen toleranzschaffende Projekte und Tätigkeiten wirken, auch wenn dies nicht die Intention dieser Formate sei.

Ali Cans Buch „Hotline für besorgte Bürger“ ist erst kürzlich erschienen.

schlummert. Für Ali geht es darum, mehr offene Fragen zu stellen, um seine*n Gesprächspartner*in verstehen zu können. Zuhören, um zu verstehen und nicht „nur“ zuhören, um einfach antworten zu können. Dass toleranz-schaffende Projekte und verständnisfördernde Gespräche in Zeiten der Digitalisierung von hoher Bedeutung sind, ist eine Tatsache, allerdings kann es auch gerade durch diese öfter zu Problemen kommen, so Ali. Abgesehen davon, dass sich falsche Informationen schneller verbreiten könnten, würden beispielsweise Comedy-Formate, die auf „Auslän-

Weitere Informationen unter www.interkulturellleben.de und www.hotlinebesorgte-buerger.de oder auf Facebook „Hotline für besorgte Bürger“.

Dementsprechend laufen die Planungen für weitere Projekte bereits auf Hochtouren, denn diese sind für eine funkAnzeige 105 x 140 mm_170822.qxp_wibiz 28.09.17 07:20 Seite 1 tionierende Gesellschaft unabdingbar. Neben seinem Buch „Hotline für besorgte Bürger – Antworten vom Asylbewerber Ihres Vertrauens“, welches erst neulich erschien, möchte er den direkten Kontakt zu Menschen erweitern und sich vor Ort engagieren. Sein nächstes geplantes Projekt besteht darin, Wir bilden aus: dass man Ali zu sich nach n Bachelor of Arts in BWL– öffentliche Wirtschaft Hause einladen und ein n Elektroniker/-in für Betriebstechnik direktes Gespräch „mit einem Migranten“ führen n Fachangestellte(r) für Bäderbetriebe kann.

Bewirb dich jetzt!

Außerdem sollen die bestehenden Workshops und Seminare weitergeführt und Vorträge gehalten werden, alles im Auftrag für eine bessere und friedlichere Welt. n

n Fachangestellte(r) für Medien- und Informationsdienste

n Fachkraft für Rohr-, Kanal- und Industrieservice n Gärtner/-in, Garten- und Landschaftsbau n Kfz-Mechatroniker/-in n Vermessungstechniker/-in und viele weitere Berufe. Alle Ausbildungsberufe und Studiengänge bei der Landeshauptstadt Stuttgart findest du unter www.stuttgart.de/ausbildung.

wirbiz

69


WIE DIE LIEBE VERBINDET: DEUTSCH-TÜRKISCHE WOCHEN IN ULM Ein Beitrag von Marc Hettich

Wie der Verein Halkçı Dernekler Birliği (HDB, Verband der Volksvereine) und die Deutsch-Türkischen Wochen in Ulm entstanden sind – und wer den Anstoß dazu gegeben hat

U

lm in den siebziger Jahren. Zwei Herren in einem Flur in der Sedanstraße. Wild gestikulierend verhandeln sie über den Verkaufspreis eines Gebrauchtwagens. Ein junger Mann kommt dazu und deutet auf den Verkäufer: „Er hat das Auto für 1.000 Mark weniger eingekauft“. Die Entrüstung des bloßgestellten Hobbyhändlers ist groß, denn derjenige, der da seine Geschäftstüchtigkeit untergräbt, ist sein eigener Sohn: Şükrü Durdu. „Şükrü hatte einen sehr stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn“, erinnert sich Muharrem Kelleş lächelnd. In den Augen aller Vereinsmitglieder flackern Bewunderung und Respekt auf, wenn dieser Name fällt. Das gilt auch für Eberhard Lorenz. Neben seiner Arbeit im Ulmer Gemeinderat und als Landtagsabgeordneter steckt der Rentner ebenfalls sehr viel Zeit in den HDB. „Ich erinnere mich noch, wie Nuray Durdu – die Frau von Şükrüs Bruder Halis – abgeschoben werden

70 wirbiz

Ein Symbol deutsch-türkischer Freundschaft: Margit Rothenbacher und Şükrü Durdu. Diese Fotos erinnern in den Räumlichkeiten des HDB an ihr Vermächtnis.

sollte“. Die junge Frau ist damals hochschwanger. Die Stadt Ulm unterstellt, dass sie sich ein Aufenthaltsrecht erschleichen wolle. Am Ende darf sie bleiben – nicht zuletzt dank Lorenz’ Unterstützung. Auch Şükrü lebt weiter in Ulm – und macht Jugendarbeit im Büchsenstadel. Durch die enge Zusammenar-

beit mit der Volkshochschule lernt er die Sekretärin Margit Rothenbacher kennen – und verliebt sich prompt. HDB-Vorsitzender Haydar Süslü erläutert: „Das war für die damalige Zeit noch sehr ungewöhnlich“. Eine Liaison zwischen Deutschen und Gastarbeitern ruft bei den durchschnittlichen Eltern in jenen Tagen bestenfalls ein missgünstiges Naserümpfen hervor. Doch Margit und Şükrü sind

ihrer Zeit weit voraus und besiegeln die Deutsch-Türkische Freundschaft mit ihrer Liebe. Süslüs Blick schweift ab. „Şükrü war ein wichtiger Mittler zwischen Deutschen und Türken“. Die Hände des Arztes sind nahezu andächtig gefaltet, als er hinzufügt: „Sein Anliegen war,


Kunst & Kultur

„DER KREATIVE AUSSTOSS WAR IN DIESER ZEIT ENORM.“ mit dem HDB eine Austauschplattform zu schaffen“. Damals reifen die ersten Gedanken zu den Türkeiwochen. Margit und Şükrü sollten deren Geburt jedoch nicht mehr erleben.

Der beste Käsetoast der Stadt „Da gab es den besten Käsetoast der Stadt“, erinnert sich Ekin Deligöz. Die Bundestagsabgeordnete spricht in ihrer Rede beim 40-jährigen Vereinsjubiläum von der Bedeutung des HDB für Stadt und Gesellschaft. Besonders haften geblieben ist ihr aber jenes Detail. Im Gründungsjahr 1977 treffen sich die Neuzugewanderten noch in einer privaten Garage – die Jubiläumsfeier findet im Stadthaus statt. „Alles, was gut ist, fängt irgendwie in der Garage an“, kommentiert Muharrem Kelleş augenzwinkernd mit dem Verweis auf Microsoft und Apple. Auch Ekin Deligöz‘ Mutter war damals in der Garage dabei. Einige Zeit später war sie Mitarbeiterin des Ausländerbeauftragten Gerhard Wörner. „Herr Wörner hat damals sehr viel für die Verständigung getan und war uns eine große Hilfe“, stellt Eberhard Lorenz fest. „Der kreative Ausstoß war in dieser Zeit enorm“, freut sich Dr. Süslü. Lorenz, Kelleş und er überschlagen sich in den Erinnerungen an all die Projek-

te: „Jedes Wochenende gab es Livemusik. Es entstanden Chöre und Folkloregruppen“, fasst der amtierende Vorsitzende zusammen. „Nicht zu vergessen der Fußballverein Umutspor, aus dem später der FC Birumut hervorging“, schaltet Kelleş sich mit ausladender Gestik ein. Mit am erfolgreichsten war jedoch das Projekt „Elele Compagnie“. „Das war das erste deutsch-türkische Laientheater – mit Işık Aydın und Şinasi Dikmen“, schildert Süslü. Seine aufrechte Haltung deutet den Stolz an, der auch in Lorenz‘ Ergänzung mitschwingt: „Später hat Şinasi Dikmen mit einem anderen Partner das Knobi-Bonbon-Duo ins Leben gerufen. Das erste türkische Kabarett in deutscher Sprache“.

Kampf für die Meinungsfreiheit Neben all diesen kreativen Köpfen stammt aus dem Umfeld des HDB auch der Gründer der ersten türkischsprachigen Zeitschrift „Merhaba“ in der Region: Hüseyin Şenol. Mitte der 80er setzen türkische Behörden den Journalisten fest. „Die haben damals in einem Verhör Bezug auf Protokolle des Arbeitskreises Ausländer-Partner-Mitbürger genommen“, kommentiert Eberhard Lorenz. „Es muss also

„Klasik Müzik“ mit Sängerinnen der Staatsoper Istanbul.

einen Denunzianten oder Agenten gegeben haben“. Repressalien gegen Journalisten gab es auch in jener Zeit nach dem Militärputsch. Meinungsfreiheit ist für den HDB ein wichtiges Thema. Innerhalb des Vereines gibt es oft hitzige Debatten zwischen strammen Kemalisten und sozialdemokratischen Kräften. Der Auftakt der Deutsch-Türkischen Wochen findet jedes Jahr am Todestag des 1993 ermordeten Journalisten Uğur Mumcu statt.

Geboren aus der Trauer

kischen und deutschen Wurzeln (darunter auch viele offizielle Gäste der Stadt) versammeln sich auf einem Friedhof. Margit (21) und Şükrü (25) verlieren ihre jungen Leben bei einem Autounfall. „Das war ein herber Verlust für uns“, sind sich die drei HDBler einig. „Aber aus dieser Trauer heraus sind dann die Türkeiwochen zum Leben erwacht, für die Şükrü die Grundlagen geschaffen hatte“. Die drei Herren kramen in ihrem Gedächtnis und kommen

Ulm, 1983. Eine große Traube von Menschen. Die Zusammensetzung der Menge ist ungewöhnlich: Menschen mit tür-

wirbiz

71


Kunst & Kultur

„ALLES, WAS GUT IST, FÄNGT IRGENDWIE IN DER GARAGE AN.“ zum Schluss: 1983 hieß die Reihe noch „Türkeiwoche“. Erst später weitet sich das Konzept auf die „Türkeiwochen“ aus. Die letzte Namensänderung gibt es 2007: Bis heute nennt sich die Reihe Deutsch-Türkische Wochen und läuft jedes Jahr von Januar bis Juli. Im Laufe der Jahrzehnte ist es dem HDB gelungen, immer wieder ein sehr vielseitiges kulturelles und politisches Programm auf die Beine zu stellen. Neben vielen überregional bekannten Gästen (siehe Kasten) gehören auch Veranstaltungen lokaler Färbung zum Konzept. Filmvorführungen, Podiumsdiskussionen, Ausstellungen und Konzerte sind nur ein Auszug der Darbietungsformen, die in den eigenen Räumlichkeiten, aber auch bei Kooperationspartnern wie dem Roxy, der Volkshochschule oder dem traditionsreichen Jazzkeller „Sauschdall“ auf die Bühne kommen. Der Verein ist offenbar endgültig in Deutschland angekommen. Die Frage nach den Problemen der heutigen Zeit beantwortet das Trio nämlich

72 wirbiz

wie die meisten anderen Vereine auch: „Wir könnten noch Verstärkung gebrauchen. Vor allem im Jugendbereich.“ Doch auch wenn die Mitgliederzahl schrumpft: Der HDB mischt sich bis heute ein. Vorstandsvorsitzender Dr. Haydar Süslü sitzt seit 2009 für die SPD im Ulmer Gemeinderat. Die Vorstandsmitglieder Banu Öner und Kemal Ülker sind Mitglieder im Internationalen Ausschuss. Als Ulmer Verein ist der HDB seit 2014 auch beim traditionellen Schwörmontag dabei und zeichnet sich federführend für die „Bühne international“ auf dem Judenhof verantwortlich. Den jungen Mann, der damals seinem Vater das Geschäft verdarb, könnte der Verein auch in den heutigen Tagen sicher gut gebrauchen. n

Viele prominente Gäste aus verschiedensten Bereichen waren schon im Rahmen der Deutsch-Türkischen Wochen in Ulm zu Gast: Renan Demirkan (Schriftstellerin), Selda Bağcan (Musikerin), Dieter Hildebrandt (Kabarettist), Cem Özdemir (Politiker), Fatma Girik (Politikerin), Ceza (Rapper), Halil Ergün (Schauspieler) …

Plakat zu den Deutsch-Türkischen Wochen 2015.


Kunst & Kultur

WAS MUSIK FÜR MICH BEDEUTET Ein Beitrag von Sadri Okumuş

W

as ist es, das in uns tönt und erklingt? Musik ist menschlich und sie ist in uns. Es handelt sich dabei keinesfalls nur um ein physikalisches Phänomen von Schwingungen und Frequenzen. Dahinter steckt so viel mehr. Musik ist zumindest ein Handwerk, und zwar eines, das sehr viel Leidenschaft und Fleiß erfordert. Wie viele Stunden muss ein Musiker damit verbringen, immer und immer wieder die gleichen Töne und Akkorde zu greifen, bis die Gelenke und Hände sich der Musik genauso hemmungslos hingeben können wie unsere Ohren und Herzen beim Zuhören? Und wer zählt die Atemzüge, die geopfert werden, um der Ney ihren Klang geben zu können, der wiederum uns den Atem raubt? Musik vermittelt nicht nur den Fleiß und die Leidenschaft derer, die sich ihr verschreiben. Sie ist auch ein Medium für die Geschichten der Menschen, die vor uns gelebt haben. Wie ein verliebter Historiker erzählt sie mir von den Eroberungen und Kriegen in vergangenen Zeiten und die gebrochenen Herzen und das bittersüße Leid der Poeten und Dichter werden durch sie zeitlos.

Mit Musik verbindet jeder Mensch eigene Erfahrungen und Emotionen.

Ein bisschen fordernd ist sie schon, die Musik, aber das kann und will ich ihr nicht übelnehmen. Denn das Geforderte ist gerade heute, in unserer jetzigen Zeit, ganz besonders von Bedeutung: das Zuhören. Ganz häufig wird es als passive Tätigkeit abgetan, wahrgenommen wird es wie ein leidliches Stillsitzen, das Abwarten nur um des eigenen Sprechens willen. Was passiert aber, wenn wir der Musik, die unsere Herzen anspricht – das ist zum Glück für jeden Menschen ein anderes Genre, eine andere Art der Musik – unsere gesamte Auf-

merksamkeit schenken, sei es auch nur für eine halbe Stunde? Ein ganzer Ozean von Gefühlen und Stimmungen setzt sich in Bewegung. Es folgen Versuche des Zu- und Einordnens, des Erinnerns an vergangene Zeiten, wir geben den Wörtern und Klängen Namen, messen ihnen Bedeutungen bei und bringen sie in Einklang mit den Erfahrungen, die wir selbst gemacht haben. Ich denke es ist kein Zufall, dass Musik für viele Menschen und Völker ein fester und nicht wegzudenkender Bestandteil

von Kulturen, Riten und Gottesdiensten ist. Ja, sie ist in uns. Ist es nicht unser Herz, das unermüdlich vom Anfang bis zum Ende unseres Daseins uns unseren Rhythmus vorgibt? n Sadri Okumuş studiert Mediapublishing an der Hochschule der Medien in Stuttgart und engagiert sich als Ağabey beim DTF. In seiner Freizeit spielt er das Musikinstrument Saz, schreibt Kurzgeschichten und Gedichte und ist Teil der Poetry Slam Gruppe i,Slam.

wirbiz

73


WEIHNACHTEN „WIE DAHEIM“ Ein Beitrag von Simon Feyrer

Weihnachtssterne in Istanbul – ein eher ungewohntes Bild.

Z

wei Adventskränze, ein Regal mit Mess- und Liederbüchern, Weihnachtsstollen – kaum am Tisch angekommen fühlen sich Adrian und Leonie wieder „wie in Deutschland“. Am vierten Advent hat es die beiden Erasmusstudierenden in die Kreuzkirche in Beyoğlu gezogen. Hier feiert Pfarrerin Ursula August mit der deutschen Gemeinde Gottesdienst. Seit sieben Jahren leitet sie die derzeit aus 320 Mitgliedern bestehende deutsche Evangelische Gemeinde am Bosporus. Bevor sie 2011 hier ihr Pfarramt antrat, hat-

74 wirbiz

te sie bereits mehrere Jahre in Deutschland als Islambeauftragte ihrer westfälischen Gemeinde interreligiöse Erfahrung gesammelt. Bei einem gemütlichen Adventsbrunch im Dezember letzten Jahres haben wir mehr über den Hintergrund der Kreuzkirche und das Leben der deutschen Evangelischen Gemeinde in Istanbul erfahren. Die deutsche Evangelische Gemeinde ist eine Auslandsgemeinde der Evangelischen Kirche in Deutschland. Die evangelische Auslandsbischöfin ist Ansprechpartnerin für die Istanbuler Gemeinde und über 100 weitere Gemeinden weltweit. Die Mitglieder wechseln wesentlich häufiger als es in Ge-

meinden in Deutschland üblich ist; etwa 20 Prozent Zu- und Abwanderung verzeichnet die Gemeinde jährlich. Darunter sind Mitarbeitende deutscher Behörden, Generalkonsulate, Firmen und Institute, Geschäftsleute, gelegentlich Tourist*innen und in den letzten Jahren auch zunehmend Studierende. Ein fester Teil der Gemeinde sind einige deutsche Familien, die bereits seit mehreren Generationen, teilweise seit Gründung der Gemeinde, in Istanbul leben und hier die Traditionen aus Deutschland fortführen, sowie

in der Türkei verheiratete evangelische Männer und Frauen. Sie bilden gewissermaßen eine Konstante in der Geschichte der Gemeinde. Deutsche Auswanderer gründeten bereits im Jahre 1843 die Gemeinde, die mit einigen weiteren deutschen Institutionen in Istanbul verbunden war. Auch das Alman Lisesi und das inzwischen geschlossene Alman Hastanesi lassen sich auf Gemeindemitglieder zurückführen. Die heutige Kreuzkirche wurde im Jahre 1861 fertiggestellt. Nach den beiden Weltkriegen wurde sie zwar vorübergehend von den jeweiligen


Politik & Gesellschaft

Nahen Osten – über all die Jahre hinweg war für sie alle auch die deutschsprachige Gemeinde ein wichtiger Anlaufpunkt.

Siegern beschlagnahmt, nach wenigen Jahren aber wieder freigegeben. Mehrmals musste die Kirche seit der Gründung renoviert werden, zuletzt nach den Anschlägen auf das britische Konsulat, die 2003 auch die Fenster der nahgelegenen Kreuzkirche zerstörten. Die Tätigkeiten der Gemeinde heute sind ähnlich wie die einer Gemeinde in Deutschland. Neben der üblichen seelsorgerischen Arbeit unterstützt sie auch mal gestrandete Tourist*innen oder Frauen, die nach einer Trennung bis zur Rückkehr nach Deutschland langwierige Sorgerechtsprozesse führen müssen. Ökumenisch, also konfessionsübergreifend, ist unter anderem das Flüchtlingsprojekt, an dem sich die Gemeinde beteiligt. Das Thema Flucht zieht sich wie ein roter Faden durch die Jahrzehnte. Ob während der Naziherrschaft, als die Chemikerin Lotte Löwe vor rassistischer Verfolgung nach Istanbul flüchten musste und bis in die 50er Jahre die Gemeinde prägte, während des Kalten Krieges, als nur einem Familienteil aus Deutschland die Flucht über Bulgarien nach Istanbul gelang und dieser für 25 Jahre von den Verwandten im Ostblock getrennt lebte, oder heute mit den Kriegsflüchtlingen aus dem

Oben: Die heutige Kreuzkirche in Istanbul. Unten: Simon Freyer im Gespräch mit Pfarrerin Ursula August.

Die Schutzsuchenden in Istanbul müssen dabei meist nicht nur ums tägliche Überleben kämpfen, sondern auch um einen Rechtsstatus, um nicht als Illegale leben zu müssen. Letzteres trifft gewissermaßen auch auf die Evangelische Gemeinde zu. Die Evangelische Gemeinde deutscher Sprache ist in der Türkei offiziell nicht als Religion anerkannt und hat somit auch keinen Rechtsstatus. Auf den bis heute gültigen Vertrag von Lausanne aus dem Jahr 1923 gehen neben den heutigen Grenzen der Türkei auch die Rechte religiöser Minderheiten zurück. Er schließt aber neben dem Judentum nur die griechisch-orthodoxe und die armenisch-apostolische Kirche ein. Weil die Gemeinde auch nicht, wie Muslime in Deutschland, einen Verein gründen kann, sind sogar die Besitzverhältnisse an der Kirche selbst bis heute ungeklärt. Diesen Zustand der Ungewissheit zu beseitigen ist der Gemeinde ein stetes Anliegen, auch wenn sie in Beyoğlu auf breite Akzeptanz stößt und ein fester Teil des Viertels ist. „Wir sind hier nicht mehr wegzudenken, nach über 170 Jahren“, da ist sich Ursula August sicher. Neben den wöchentlichen Gottesdiensten in

wirbiz

75


Politik & Gesellschaft

„BIS HEUTE ÜBERBRINGT DER BÜRGERMEISTER VON BEYOĞLU ZU WEIHNACHTEN UND OSTERN SEINE GLÜCKWÜNSCHE.“

Istanbul ist die Pfarrerin auch für den zweimonatlichen Gottesdienst in Ankara zuständig. Nach sieben Jahren als Pfarrerin ist Ursula August beeindruckt von der breiten Anerkennung, die sie in Beyoğlu erfährt. Schon unmittelbar nach ihrer Ankunft statteten ihr ausnahmslos alle Parteien einen Willkommensbesuch ab, und bis heute überbringt der Bürgermeister von Beyoğlu zu Weihnachten und Ostern seine Glückwünsche. Sie ist froh über die alltäglichen Kleinigkeiten im Gemeindeleben, die ihr gerade in diesen Zeiten wie ein Lichtblick vorkommen. Wie zum Beispiel auch die fünfjährige Darstellerin des Erzengels Gabriel bei der Krippenspielprobe. „Fast schon trotzig klang das, mit den jüngsten Ereignissen im Hinterkopf, als sie aufstampfte und uns textsicher ihr ‘Fürchtet euch nicht!’ entgegenrief “, erzählt Ursula August lächelnd. Und nicht zuletzt ist die Pfarrerin sehr glücklich über die enge Zusammenarbeit mit der Vielzahl an anderen christlichen Gemeinden in Istanbul. Möglichkeiten sich einzubringen gibt es in der Gemeinde, trotz ihrer überschaubaren

76 wirbiz

Größe, einige. Diakonin Melanie Henke beispielsweise ist selbst noch kein ganzes Jahr in Istanbul und leitet den Treff für Studierende. Darüber hinaus ist von der Kinderkirche über den Projektchor bis zum Frauenkreis für fast jede Zielgruppe etwas geboten. Und so hatte ich nach spannenden und herzlichen Stunden in der lebendigen Gemeinde keine Zweifel mehr an der Entscheidung, auch über die Feiertage Istanbul nicht den Rücken zu kehren. n Dieser Text wurde bereits im Onlinemagazin MAVIBLAU veröffentlicht.

Die Gemeinde beim Adventsbrunch.

Noch mehr von MAVIBLAU gibt es auf Instagram @maviblaucom, Twitter @MAVIBLAUCOM und Facebook (MAVIBLAU, MAVIBLAU Türkce). Deutsch-Türkische Organisationen werden auf der MAVI-MAP online vorgestellt.


Aus dem Deutsch-Türkischen Forum

ENGAGIERTE IM DEUTSCH-TÜRKISCHEN FORUM STUTTGART

Dr. Mehmet Varlık Kuratoriumsvorsitzender

Susanne Offenbach Stellvertretende Kuratoriumsvorsitzende

Gülten Aysel Vorstandsvorsitzende

Dr. Wolfgang Kunze Stellvertretender Vorstandsvorsitzender

Johannes Hay Schatzmeister

Kerim Arpad Geschäftsführer

Seyhan Çalışkan-Turan Assistentin der Geschäftsführung Redaktion wirbiz

Sabine Reich Bereichsleiterin Bildung, Leiterin Ağabey-AblaProgramm

Katrin Brandeis Vorstandsmitglied

Mukaddes Steinkrüger Pädagogische Referentin Ağabey-AblaProgramm, Leiterin Elternprojekte

Berkay Yılmaz Vorstandsmitglied

Maria Tramountani Pädagogische Referentin Ağabey-AblaProgramm, Leiterin Merhaba in Stuttgart, Redaktion wirbiz

Christina Metke Kooptiertes Vorstandsmitglied

Alice Heisler Redaktion wirbiz

Kenan Er Kooptiertes Vorstandsmitglied

Moritz Kollmer Praktikant

wirbiz

77


Aus dem Deutsch-Türkischen Forum

AUTOR*INNEN DIESER AUSGABE

Merve Akdemir war Praktikantin beim DTF. Derzeit macht sie in Budapest ein Masterstudium der angewandten Sprachwissenschaften.

Simon Feyrer studiert Politikwissenschaften an der Universität Mannheim, war für zwei Auslandssemester in Istanbul und ist seitdem Autor beim Onlinemagazin MAVIBLAU.

Sadri Okumuş studiert Mediapublishing an der Hochschule der Medien in Stuttgart und engagiert sich als Ağabey beim DTF.

Suleman Taufiq arbeitet als Autor, Übersetzer und Kulturjournalist in Aachen. Zusammen mit Sefa İnci Suvak hat er das Buch „Mein Istanbul“ herausgegeben.

Kerim Arpad ist Geschäftsführer des DTF. Er ist außerdem beratendes Mitglied des Landesschulbeirates und des Internationalen Ausschusses des Stuttgarter Gemeinderats.

Alice Heisler ist Mitarbeiterin des DTF. Sie hat Anglistik, Ethnologie und Sozialwissenschaften studiert.

Gari Pavković war nach seinem Studium der Psychologie in psychosozialen Diensten tätig. Seit 2001 ist er Integrationsbeauftragter der Stadt Stuttgart.

Sibylle Thelen ist Bereichsleiterin in der Landeszentrale für politische Bildung BadenWürttemberg und Mitglied im DTFKuratorium.

Dr. Yaşar Aydın ist Lehrbeauftragter an der HafenCity Universität Hamburg. Er studierte Soziologie und Volkswirtschaftslehre. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u.a. Türkei- und Migrationsforschung.

Marc Hettich ist gelernter Mediengestalter und arbeitet als freier Journalist. In seiner Heimatstadt Krumbach ist er ehrenamtlich in der Kulturarbeit aktiv.

Sabine Reich ist Mitarbeiterin beim DTF. Als Leiterin des Bildungsbereichs koordiniert sie das Ağabey-Abla-Mentoringprogramm.

Maria Tramountani ist Mitarbeiterin des DTF und leitet das Projekt Merhaba in Stuttgart. Sie ist Gründerin des literarischen Friedensprojekts Literally Peace.

Beria BarlIk ist 22 Jahre alt und studiert Journalismus.

Güllü Kisa ist ehemalige Mitarbeiterin des DTF und studiert an der Universität Tübingen Deutsch, Geographie und im Nebenfach Türkisch.

Gabriele Renz ist Pressesprecherin des Landtages Baden-Württemberg. Zuvor war sie als Journalistin tätig.

Seyhan ÇalışkanTuran ist Mitarbeiterin des DTF. Sie hat Sozialwissenschaften mit Schwerpunkt interkulturelle Beziehungen in Fulda studiert.

Moritz Kollmer ist Praktikant beim DTF. Er studiert Ethnologie und Soziologie an der RuprechtKarls-Universität Heidelberg.

Prof. Dr. Holger Sonnabend studierte Geschichte und Germanistik in Hannover. Er lehrt Alte Geschichte an der Universität Stuttgart und ist Mitglied im DTF-Kuratorium.

Serkan Eren ist Lehrer an einer Stuttgarter Schule. Gemeinsam mit Steffen Schuldis gründete er die Hilfsorganisation Balkan Route Stuttgart e.V.

Patricia Leßnerkraus arbeitet selbstständig als Autorin, Journalistin und Medienberaterin.

Sefa İnci Suvak arbeitet als Journalistin, Autorin und Redakteurin. Zusammen mit Suleman Taufiq hat sie das Buch „Mein Istanbul“ herausgegeben.

78 wirbiz

Tuğba Yalçınkaya bewegt sich seit 2012 zwischen Istanbul und Deutschland und studiert Migration und Diversität in Kiel. Sie ist Mitbegründerin des Onlinemagazins MAVIBLAU. Mukaddes Steinkrüger ist Mitarbeiterin im DTF. Als Pädagogische Referentin leitet sie die Elternprojekte.


Aus dem Deutsch-Türkischen Forum

UNSERE NÄCHSTEN VERANSTALTUNGEN

NOVEMBER 20. – 21.

08.

Literaturhaus

Messe Stuttgart Bei der Messe „Die besten Jahre: Die Messe für aktive Menschen ab 50“ ist das DTF auf dem Marktplatz Ehrenamt vertreten.

NOVEMBER / DEZEMBER 26. – 03. Delphi Arthaus Kino

SiNEMA – die deutsch-türkischen Filmtage zeigen neue Produktionen sowie Highlights aus dem türkischen Programmkino, eine facettenreiche Auswahl von Spielfilmen, darunter zahlreiche Festivalgewinner.

29.

27.

Der DTF-Literaturkreis liest und diskutiert Romane aus aller Welt.

FEBRUAR

DTF-Geschäftsstelle

Bei LITERATÜR stellen Hasan Çobanlı und Stephan Reichenberger ihr Buch „Der halbe Mond“ vor.

DEZEMBER

DTF-Geschäftsstelle

Der DTF-Literaturkreis liest und diskutiert Romane aus aller Welt.

19.

Hospitalhof

JANUAR

Amjahid Mohamed liest aus seinem Buch „Unter Weißen – Was es heißt, privilegiert zu sein“.

NOVEMBER 31.

DTF-Geschäftsstelle

DEZEMBER 28.

DTF-Geschäftsstelle

Der DTF-Literaturkreis liest und diskutiert Romane aus aller Welt.

23. – 01.

MÄRZ / APRIL

Renitenztheater Stuttgart Bei der deutsch-türkischen Kabarettwoche präsentieren Kabarettisten und Comedians ihre neuesten Programme – unter anderem mit Özcan Coşar, Idil Baydar, Fatih Çevikkollu, Tan Cağlar, dem Comedy Orient Express und dem Zuckerfest für Diabetiker.

28.

DTF-Geschäftsstelle

JANUAR

Der DTF-Literaturkreis liest und diskutiert Romane aus aller Welt.

MÄRZ

Der DTF-Literaturkreis liest und diskutiert Romane aus aller Welt

Weitere Informationen und Anmeldung zum Newsletter unter www.dtf-stuttgart.de

wirbiz

79


Dankeschön Teşekkürler „Ich weiß wohl, dass man dem das Mögliche nicht dankt, von dem man das Unmögliche gefordert hat.“ Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832) Wir bedanken uns ganz herzlich für die Mitwirkung und großartige Unterstützung bei unserem gesamten Redaktionsteam, allen Anzeigekund*innen, unseren Spender*innen und insbesondere geht ein großer Dank an alle ehrenamtlichen Autor*innen und den Gesprächspartner*innen, die dazu beigetragen haben, unser Magazin wirbiz zu realisieren. Dergimiz wirbiz‘in gerçekleşmesinde katkıda bulunup, bağış, reklam, yazı ve repörtaj ile bize destek veren herkese çok teşekkür ederiz. Deutsch-Türkisches Forum Stuttgart e. V. Unser Spendenkonto: Deutsch-Türkisches Forum Stuttgart IBAN DE91 6009 0100 0225 7860 28 BIC VOBA DESS XXX (Volksbank Stuttgart)

Impressum Künye Deutsch-Türkisches Forum Stuttgart e. V. Stuttgart Türk-Alman Forumu Hirschstraße 36, 70173 Stuttgart Telefon: 0711 / 248 44 41 E-Mail: info@dtf-stuttgart.de www.dtf-stuttgart.de Redaktionsteam Kerim Arpad, Gülten Aysel, Katrin Brandeis, Seyhan Çalışkan-Turan, Alice Heisler, Marc Hettich, Maria Tramountani Bildnachweise Titel: Carlos García-Sancho / Migle Melanie Kundrot Landtag Baden-Württemberg (2, 5 - 6), İskender Muhlis Kenter / Cana Yılmaz (2, 13 - 15), Navid Linnemann (3), Agentur mehrwert (17), picture alliance / AA Onur Çoban (20), picture alliance / Depo Photos / ABACA (23), Wochenschau Verlag (25), Michael Ehresmann (27 - 28), Familie Tolu / Baki Selçuk (30, 33), Marc Hettich (31, 35), Joblinge (36 - 37), Maximilian Wittek (39), Maviblau (40), Carlos GarcíaSancho / Migle Melanie Kundrot (42 - 45), Wikimedia Commons (48 - 49), Prof. Dr. Holger Sonnabend (50), Maria Tramountani (51), Tarkan Şöhret (52 - 54), Serkan Eren (62 - 63), Erdoğan Karayel (64), Gözde Kara (66), Manfred Esser (68 - 69), Archiv des HDB (70 - 71), Gestaltet von Hakan Dağistanlı (72), unsplash / Valentino Funghi (73), Navid Linnemann (74 - 76) Alle weiteren Fotos: Deutsch-Türkisches Forum Stuttgart e. V. Textübersetzungen Cemre Özer Lektorat Alessa Heisler, Merve Akdemir Gestaltung und Konzeption Atelier Hans Ulrich Scholpp www.ulrichscholpp.de Layout Sheela Rübenach Druck Druckhaus Stil, Tränkestraße 7, 70597 Stuttgart Auflage 2.500 Stück Namentlich gekennzeichnete Artikel müssen nicht mit der Meinung der gesamten wirbiz-Redation und des Deutsch-Türkischen Forums Stuttgart e.V. übereinstimmen.

80 wirbiz


Vielseitig und flexibel im Druck. Seit über 20 Jahren. Kompetenter Partner der Kreativen in Stuttgart.

Stil druckt für Marken wie: Allianz, AMG, Bosch, Boss, Bürger, Clariant, EnBW, Ernst & Young, Holy, Kärcher, Mercedes-Benz, Outletcity Metzingen, Phonak, Porsche, Sandvik, Siemens, SüdLeasing und auch für das Deutsch-Türkische Forum Stuttgart. Erfahren Sie mehr über uns unter: www.druckhaus-stil.de Und vor allem nicht anonym, sondern sehr persönlich.


Politik & Gesellschaft Gesundheit Bildung

Lesung von Orhan Pamuk im Hospitalhof Ω Kolektif Istanbul beim Sommerfestival der Kulturen auf dem Marktplatz Ω Gesprächsforum BAKIŞ mit Edzard Reuter im Literaturhaus Ω Özcan Coşar bei der Kabarettwoche im Renitenztheater Ω Abla (Mentorin) und Kardeş (Mentee) beim gemeinsamen Lernen Ω Tombolastand beim Interkulturellen Kinderfest Ω Lauf-Team beim 24-Stunden-Lauf für Kinderrechte Ω Kulturelle Bildung im Rahmen des Ağabey-Abla-Programms Ω Zülfü Livaneli bei LITERATÜR im Literaturhaus Ω Ağabey-Abla-Wochenende auf Burg Liebenzell

AUF IHRE UNTERSTÜTZUNG KOMMT ES AN! Mit Kabarett und Musik, Literatur- und Filmtagen, Gesprächsforen und Kinderfesten ermöglicht das Deutsch-Türkische Forum Stuttgart vielfältige Begegnungen und fördert zugleich das Verständnis für die kulturellen Wurzeln der aus der Türkei stammenden Bürgerinnen und Bürger in der Region Stuttgart.

Auch Sie können uns – materiell und ideell – unterstützen: • Als Mitglied oder Fördermitglied des Vereins • Durch Ihre einmalige oder regelmäßige Spende • Als Fürsprecher bei Unternehmen und Stiftungen • Durch ehrenamtliche Mitarbeit bei Projekten und Veranstaltungen

Mit unseren Bildungsprogrammen setzen wir uns aktiv für gerechte Bildungschancen sowie ein gutes Miteinander in unserer Einwanderungsgesellschaft ein und heißen auch geflüchtete Menschen in Stuttgart willkommen.

Sprechen Sie uns an! Gerne finden wir mit Ihnen gemeinsam den passenden Weg, wie Ihre Unterstützung am wirksamsten zum Einsatz kommt.

Als bürgerschaftlicher, gemeinnütziger Verein sind wir auf Ihre Unterstützung angewiesen. Unsere Veranstaltungen und Programme können wir nur dank der Hilfe zahlreicher Mitglieder, Spender und Sponsoren verwirklichen.

Kontakt Kerim Arpad, Geschäftsführer Telefon: 0711 / 248 44 41 E-Mail: info@dtf-stuttgart.de


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.