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Z E I T U N G

Montag, 21. Juni 2010

Nr. 141 J 25. Woche J Preis 1,40 €

HANNOVERSCHER ANZEIGER VON 1893

Mit gutem Gefühl: Vor dem letzten Vorrundenspiel gegen Ghana lässt die Nationalelf keine Zweifel am Erfolg zu / S. 13

Ergebnisse vom Wochenende

Heute

Niederlande – Japan Ghana – Australien Kamerun – Dänemark

Portugal – Nordkorea Chile – Schweiz Spanien – Honduras

1:0 1:1 1:2

Slowakei – Paraguay 0:2 Italien – Neuseeland 1:1 Brasilien – Elfenbeinküste

Lumix-Fotofestival Die Niedersachsen feiern sich selbst – diesmal in Celle endet mit Besucherrekord

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In der Pflicht VON G A BI S TIEF

Hannover (dkb). Das 2. Lumix-Fotofestival ist gestern nach fünf Tagen mit einem Besucherrekord zu Ende gegangen: Mehr als 20 000 Interessierte wollten die 60 ausgewählten Fotoreportagen mit mehr als 1400 Bildern auf dem Expo-Gelände sehen. „Das zeigt, wie einmalig dieses Festival ist“, sagte Thomas Hoepker, Mitglied der Fotoagentur Magnum und Juryvorsitzender. Am Sonnabend wurden im Atrium der Multimedia Berufsschule auf der Expo-Plaza noch mehrere junge Fotojournalisten ausgezeichnet. Den renommierten und mit 10 000 Euro dotierten FreelensAward erhielt der Italiener Davide Monteleone für seine Reportage aus dem Nordkaukasus. Über den HAZ-Publikumspreis konnte sich der Däne Thomas Lekfeldt für seine einfühlsame Fotoreportage über den Kampf eines Mädchens gegen einen Gehirntumor freuen. Seite 12

Hannover: Eine 57-jährige Hannoveranerin verklagt das Nahverkehrsunternehmen RegioBus auf Schmerzensgeld. Sie war bei einem Bremsmanöver offenbar so stark mit dem Kopf gegen das Fenster eines Linienbusses gestoßen worden, dass die Scheibe beschädigt wurde. Seite 9

Auto zu leicht für Plakette Hannover: Rathausmitarbeiter haben dem Besitzer eines elf Jahre alten, mit Partikelfilter nachgerüsteten VW-Sharans die grüne Umweltplakette abgekratzt. Sein Auto sei 100 Kilogramm zu leicht für diese Schadstoffklasse, heißt es. VW bestätigt: Seite 10 Der Vorgang ist rechtens.

Käßmann will neu anfangen Blick in die Zeit: Die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, will nach dem Rücktritt von ihren Ämtern „ohne Familie irgendwo neu anfangen“. Was sie in Zukunft mache, sei ungewiss: „Ich habe keinen Arbeitsplatz, ich habe keine Wohnung, jetzt ist auch meine jüngste Tochter ausgezogen“, sagte die ehemalige Landesbischöfin am Wochenende in Interviews. Seite 3

Stromkonzerne drohen Berlin Wirtschaft: Die schwarz-gelbe Koalition hat bis 2014 Einnahmen von fast zehn Milliarden Euro durch eine neue Brennelementesteuer eingeplant. Doch die Stromkonzerne wollen diesen Plan notfalls per Klage zu Fall bringen. Seite 21

Cherundolo bleibt 96 treu Sport: Hannover 96 kann für mindestens zwei weitere Jahre mit Steve Cherundolo planen. Der Verteidiger, derzeit mit dem USA-Team bei der WM im Einsatz, gab den „Roten“ seine Zusage. Seite 17 Lottozahlen: 13, 14, 21, 22, 41, 42 (28) Superzahl: 6 Spiel 77: 9 0 4 0 7 7 3 Super 6: 8 9 1 9 5 7 Toto: folgt am Dienstag 6 aus 45: folgt am Dienstag (Ohne Gewähr)

Familienanzeigen

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Kreuzworträtsel

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Kinder & Medien

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Täglich (fast) alles

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Verbraucher

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Finanzen

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Roman

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Leserbriefe

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Wechselnd bewölkt mit

18° Auflockerungen und trocken. Schwacher Wind aus Seite 20

8° Nord.

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dpa

HEUTE IN DER HAZ Frau verklagt Busunternehmen

Ein Land, viele Gesichter: Mit einem Trachtenumzug ist gestern in Celle der 30. Tag der Niedersachsen zu Ende gegangen.

Unter den 3400 Teilnehmern waren Frauen mit farbenprächtiger Kopfbedeckung, aber auch Männer mit imposanten Bär-

13.30 Uhr 16 Uhr 20.30 Uhr

ten. Trotz des durchwachsenen Wetters kamen rund 250 000 Besuchen zum Landesfest. Am Sonnabend stand Minister-

präsident Christian Wulff im Vordergrund: Er wurde an diesem Tag 51 Jahre alt – und viel gefeiert. Seite 6

Der Unterschied ist fein und klein – dennoch ist er erwähnenswert. In der Koalition hat man sich seit Tagen heftig lieb. Die Gesundheitspolitiker von CDU, CSU und FDP haben am ehesten wieder etwas gutzumachen; also schwärmen sie von der hervorragenden Zusammenarbeit mit einem Eifer, der fast schon peinlich ist. Und auch die Kanzlerin, die sich bislang – wie so oft – aus dem rüden Streit raushielt, schwört Besserung. An diesem Wochenende mahnte sie die CSU öffentlich, den Gesundheitsminister zu unterstützen – auch wenn er von der FDP ist. Schließlich habe Philipp Rösler eins der schwierigsten Ämter im Kabinett. Dies ist noch untertrieben. Für Rösler dürfte das Regieren in den vergangenen Monaten eine höllische Achterbahnfahrt gewesen sein; so manche scharfe Kurve drohte ihn aus der Bahn zu werfen. Der Niedersachse hat durchgehalten; aber das Abenteuer ist noch nicht beendet. In der Nacht zum Sonnabend hat eine Koalitionsrunde ein Krisenprogramm für die Not leidenden Krankenkassen aufgesetzt, das vorerst nur aus einem Kapitel besteht. Ein zweites, das weitaus schwierigere, folgt in den nächsten Tagen und Wochen.

Alle müssen sparen

Jürgen Rüttgers überlässt das Feld Rot-Grün – vorerst

Weil Geld fehlt: Bund legt sechs U-Boote still

Merkel wirft SPD wegen Minderheitsregierung in NRW Wortbruch vor

Deutsche Marine leidet unter Sparauflagen

VON E RICH R EIM ANN Düsseldorf/Berlin. Der amtierende Regierungschef Jürgen Rüttgers hat im Kampf um die Macht in Nordrhein-Westfalen die Segel gestrichen und den Weg für die SPD-Kontrahentin Hannelore Kraft frei gemacht. Rüttgers will bei der Ministerpräsidentenwahl Mitte Juli nicht gegen Kraft antreten. Rüttgers geht allerdings davon aus, dass die von Kraft geführte Minderheitsregierung von SPD und Grünen nicht lange hält und er eine gute Chance bei Neuwahlen hätte. Rüttgers will mindestens bis zum Frühjahr 2011 Vorsitzender der NRWCDU bleiben und auch sein Landtagsmandat behalten. Als Fraktionsvorsitzender stehe er aber nicht zur Verfügung, sagte er. „Ich habe mich eingesetzt für eine Große Koalition, und ich werde jetzt nicht antreten im Landtag, um als Gegenpol zu einer rot-rot-grünen Zusammenarbeit zur Verfügung zu stehen.“ Die CDU-Fraktion will am 6. Juli einen neu-

en Vorsitzenden wählen. Als Kandidaten werden Integrationsminister Armin Laschet, Arbeitsminister Karl-Josef Laumann und der Generalsekretär der NRW-CDU, Andreas Krautscheid, gehandelt. SPD-Chef Sigmar Gabriel bezeichnete Rüttgers Entscheidung als „konsequent“. Sein Verzicht auf eine Kandidatur gegen Kraft verdiene Respekt. Falls es bei der Linken Mitglieder gebe, die den „altstalinistischen und antiparlamentarischen Kurs ihrer Parteiführung in Nordrhein-Westfalen nicht mitmachen wollen, sind sie herzlich willkommen“, sagte er. Kraft setzt auch auf die Hilfe der FDP bei Abstimmungen im Landtag. „Auf mittlere Sicht schließe ich nicht aus, dass wir auch bei den Liberalen Unterstützung finden können.“ Die FDP erteilte ihr allerdings umgehend eine Absage. Landeschef Andreas Pinkwart erklärte, er wolle nicht der Hilfsmotor für RotRot-Grün sein.

Gespräche zwischen SPD und Grünen über die Bildung einer Minderheitsregierung sollen am Dienstag beginnen. Der Landesparteitag der Grünen und der Landesparteirat der SPD gaben der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen inzwischen grünes Licht. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bezichtigte die SPD unterdessen der Wahllüge. Nach Hessen erlebe man nun zum zweiten Mal, dass Versprechungen vor Landtagswahlen überhaupt keine Gültigkeit mehr hätten, sagte sie in Berlin. Kraft habe noch im März eine Tolerierung durch die Linke ausgeschlossen. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Olaf Scholz vertrat dagegen die Ansicht, dass die benötigte Duldung durch die Linke der SPD nicht schaden werde. Die Sozialdemokraten hätten nach Thüringen nun auch in Nordrhein-Westfalen ein mögliches Regierungsbündnis mit den Linken ausgeschlagen. Das sei sicher ein Beitrag zum Gewinn politischen Vertrauens. ap

Israel lockert die Gaza-Blockade

Fünf deutsche Soldaten verwundet

China gibt Bindung an Dollar auf

Jerusalem (ap). Israel will die international kritisierte Blockade des Gazastreifens weiter lockern. Ab sofort sollen wieder alle nicht-militärischen Güter in das palästinensische Gebiet eingeführt werden dürfen, sagte Regierungssprecher Mark Regev am Sonntag in Jerusalem. Herbeigeführt werden soll das mit einer Art Systemwechsel: Die bislang verwendete Liste mit erlaubten Gütern des humanitären Grundbedarfs für die 1,5 Millionen Einwohner des Gazastreifens soll von einer Verbotsliste abgelöst werden.

Kabul (dpa). Bei einer Serie von Anschlägen auf die Bundeswehr im Norden Afghanistans sind fünf deutsche Soldaten verletzt worden. Die Bundeswehr wurde am Wochenende insgesamt viermal zum Ziel von Aufständischen. Der folgenschwerste Anschlag ereignete sich, als in der Provinz Badakhschan neben einer Patrouille ein Sprengsatz explodierte. Dabei wurden drei deutsche Soldaten und ein afghanischer Übersetzer verletzt.

Peking (dpa). China bewegt sich im Währungsstreit: Eine Woche vor dem Gipfel der führenden Wirtschaftsnationen (G20) in Kanada hob die Zentralbank in Peking die Anbindung des Yuan an den US-Dollar auf. Die Ankündigung weckte Hoffnungen, mehr Ausgewogenheit im Welthandel zu erreichen. Die USA, die EU und der Internationale Währungsfonds begrüßten die Entscheidung. US-Präsident Barack Obama sprach von einem „konstruktiven Schritt“.

Niebel darf nicht einreisen

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Anschläge in Afghanistan Kommentar

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Keine schnelle Aufwertung

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VON K LAUS VON DER B RELIE Kiel. Weil kein Geld für dringend notwendige Reparaturen und Instandhaltungsarbeiten verfügbar ist, hat sich die Deutsche Marine entschlossen, mehr als die Hälfte ihrer U-Boote stillzulegen. Sechs von zehn U-Booten werden noch in diesem Sommer aus dem Verkehr gezogen. Dies wurde dieser Zeitung am Sonnabend in Kiel bestätigt. Die zur Verschrottung vorgesehenen Boote stammen aus dem siebziger Jahren. Sie wurden allerdings in den neunziger Jahren modernisiert und mit neuen Waffen ausgerüstet. Die Boote waren weltweit im Einsatz. Die verbleibenden vier U-Boote sind Neuentwicklungen, die über einen Brennstoffzellenantrieb verfügen und deshalb unabhängig von der Außenluft lange Zeit unter Wasser bleiben können. Die in Eckernförde stationierten UBoot-Besatzungen, die von der Stilllegung ihrer Fahrzeuge betroffen sind, sollen im U-Boot-Geschwader verbleiben. Nach Angaben eines Marinesprechers ist vorgesehen, dass es für jedes der vier deutschen U-Boote künftig zwei Besatzungen geben soll. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass deutsche U-Boote auch künftig an längeren Auslandseinsätzen mitwirken können. Die aktuellen Finanzprobleme der Bundeswehr haben auch zur Folge, dass Fregatten nicht mehr fristgerecht gewartet und dringende Werftaufenthalte verschoben werden. Zu Beginn des Jahres hatte sich bereits das Heer entschlossen, sämtliche Flugabwehrpanzer sowie einen Teil der Panzerhaubitzen und mehrere Dutzend Schützenpanzer außer Dienst zu stellen. Der Grund: Es sollen Betriebskosten in Höhe von 60 Millionen Euro eingespart werden.

Koalition erklärt Streit für beendet Gesundheitsexperten beraten über Milliardeneinsparungen / Kanzlerin stärkt Rösler den Rücken VON G A BI S TIEF Berlin. Die Gesundheitsexperten der Koalition haben sich nach monatelangem Streit auf Ausgabenkürzungen bei den gesetzlichen Krankenkassen verständigt. „Wir werden das Sparziel von vier Milliarden Euro erreichen“, sagte Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) am frühen Sonnabendmorgen nach rund achtstündigen Verhandlungen mit den Experten von CDU, CSU und FDP. Die Runde vertagte sich auf kommenden Mittwoch. Ein weiteres Treffen ist am 1. Juli geplant. Noch vor der Sommerpause sollen erste Eckpunkte vorliegen. Kanzlerin Angela Merkel sagte dem Minister bei einer Veranstaltung mit CDU-Kreisvorsitzenden volle Unterstützung der Koalition zu. Rösler vermied es, auf Details der Beratungen einzugehen. Er kündigte „ein vernünftiges System“ an, um das Defizit

der gesetzlichen Krankenversicherung in den Griff zu bekommen. Es gehe darum, alle an den notwendigen Sparmaßnahmen gleichmäßig und gerecht zu beteiligen. Darüber hinaus müssten sich CDU, CSU und FDP einigen, wie in Zukunft eine vernünftige Finanzierung des Gesundheitswesen aussehen könne. Rösler lobte ausdrücklich das „hervorragende Klima“ während der Gespräche. Es sei gelungen, zur Sachdebatte zurückzukehren. In den vergangenen Wochen hatten sich FDP und CSU als „Wildsau“ und „Gurkentruppe“ beschimpft. Der CSU-Gesundheitsexperte Johannes Singhammer betonte, zum 1. Januar 2011 werde es das befürchtete Defizit von elf Milliarden Euro in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht geben. „Dazu haben wir heute die Grundlagen erzielt.“ Ausgeschlossen sei, dass die Arbeitgeber zusätzlich zur Kasse gebeten würden. Vor der Klausursitzung hatte

GKV-Verband bekräftigsein CSU-Kollege Max te seine Forderung nach Straubinger versichert, Einsparungen bei niederdass man verhandlungsgelassenen Ärzten und bereit sei. „Wir blockieKliniken. ren nicht.“ Auf die Frage, Kanzlerin Merkel gab ob der CSU-Vorsitzende Rösler am Wochenende Horst Seehofer das letzte Rückendeckung. „Rösler Wort habe, sagte Straukommt von der FDP. Aber binger: „Es geht darum, er hat ein Anrecht daeine Geschäftsgrundlage rauf, von der gesamten zu vereinbaren, die dann Koalition unterstützt zu von der gesamten Partei werden“, sagte sie bei eigetragen werden muss.“ ner CDU-Veranstaltung. Seehofer versicherte am Die Aufgabe müsse bis Sonntag in Erding, man zum 1. Januar 2011 gelöst sei auf einem guten Weg. Der Spitzenverband der „Wir werden das Sparziel er- sein. Man wolle Rösler Gesetzlichen Kranken- reichen“: Gesundheitsminister nicht sitzen lassen, sonversicherung (GKV) Rösler. dpa dern noch vor der Sommerpause helfen. Der Zusprach nach den Beratungen von einem ersten Schritt „hin zur satzbeitrag müsse weiterentwickelt werStabilisierung der Finanzierung der ge- den. Dafür müsse ein Sozialausgleich insetzlichen Krankenversicherung“. Der stalliert werden.

Einvernehmen herrscht erst einmal über einen Sparkurs, der im nächsten Jahr ausnahmslos alle treffen wird, die im Gesundheitswesen ihr Geld verdienen. Den niedergelassenen Ärzten wird der übliche Honorarzuwachs zusammengestrichen, was insbesondere die niedersächsischen Mediziner, die an der Honorarverteilung derzeit verzweifeln, ärgern wird. Die Kliniken werden vor allem bei den Mehreinnahmen durch mehr Operationen verzichten müssen. Die Apotheker müssen etwas abgeben, ebenso der Großhandel und die Pharma-Hersteller. Die Krankenkassen werden bei den Verwaltungskosten auf Diät gesetzt; ein Plus soll es nicht geben. Die Kürzungen sind schmerzhaft, aber alternativlos. Die scheinbare Leichtigkeit, mit der sich die Koalition nun mit Kliniken und Ärzten anlegt, hat etwas mit der Dramatik der Lage zu tun. Die Dramatik besteht in der Größe des Problems, an der die Vorgängerregierung mit ihren Wohltaten nicht ganz unschuldig ist. Die Sparliste mindert das Defizit der Krankenkassen von voraussichtlich elf Milliarden Euro im nächsten Jahr bislang um gerade einmal vier Milliarden. Auch wenn, wie angekündigt, aus der Steuerkasse zusätzliche zwei Milliarden Euro überwiesen werden, droht AOK, BKK & Co. eine Restschuld von fünf Milliarden Euro, die sie ihren Versicherten in Rechnung stellen müssten. Bislang ist dies nur begrenzt möglich; die pauschalen Zusatzbeiträge dürfen nicht ein Prozent des Jahresverdiensts übersteigen. Erhöht man diese Grenze, wie die Koalition es erwägt, oder streicht man sie, bleibt die Frage: Wie verhindert man, dass für Geringverdiener oder Rentner der Kassenbeitrag unbezahlbar wird? Die Frage hat in der Koalition in den vergangenen Wochen zu einem absurden Streit geführt. Verbissen kämpfte die CSU gegen eine Kopfpauschale, die zwar noch mit dem Namen Gesundheitsprämie daherkam, aber längst keine mehr war. So wird demnächst das kuriose Ergebnis zu besichtigen sein, dass zwar das 30-Euro-Modell von Rösler vom Tisch ist, aber der pauschale Zusatzbeitrag möglicherweise für einige auf 30 Euro steigt.

Prämie ist Zukunftsmusik Bitter ist, dass die CSU das einzig Überzeugende an Röslers Konzept gleich mit abräumte. Ein letztes Mal sollte der Arbeitgeberbeitrag um gerade einmal 0,3 Prozentpunkte erhöht werden, bevor er eingefroren wird. Dieser Schritt hätte nicht nur die Krise der Kassen entschärft, er wäre auch gerecht gewesen, solange ein Systemwechsel Zukunftsmusik ist. Und das ist er allemal. Ein halbes Jahr brauchte die Regierung, um dies einzugestehen. Nach dem Beharren auf Steuersenkungen ist dies der zweite große Selbstbetrug, mit dem die Koalition viel Zeit vertrödelt hat. Die Gesundheitsprämie ist ein Konzept, das durchaus überzeugend ist. Doch sie ist alles andere als alltagstauglich, wenn das Geld fehlt, um zu verhindern, dass der Chefarzt und die Sekretärin das Gleiche zahlen. Dass dieses Geld fehlt, weiß man längst. Die Koalition ist in der Wirklichkeit angekommen: Sie muss Kosten sparen, Strukturen im System verändern und den Gesundheitsfonds weiterentwickeln. Am Freitag schaute man sich vor der Gesundheitsklausur das Spiel der Deutschen gegen Serbien an. Man werde so gut sein wie die deutsche Nationalmannschaft, hieß es vor dem Spiel. Am Mittwoch wird weitergespielt. In Südafrika und in Berlin. Hier wie dort ist ein Erfolg Pflicht.


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