Standortporträt Nagold 2009

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Politik • Standort Nagold

„Kochen ist Kunst und Kommunikation“, sagt der Nagolder Italiener Gino

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Nagoldissimo! In Nagold scheint alles rund zu laufen – nicht nur, wenn Gastronom Gino in seiner Küche mit Tomaten jongliert. Eine kleine Geschichte über Nagolder Gewerbegeist, protestantische Ethik, italienische Küche und Hobelbänke

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eute werden die Oliven­ bäume abgeholt, die seit dem Frühjahr den Eingang der Nagolder Ostaria Da Gino schmücken. Es wird Zeit; im höher gelegenen Industriegebiet Wolfs­ berg ist der erste Schnee gefallen. Seine Olivenbäume sind Gino, Besitzer, Chefkoch und Seele des kleinen Fleckchens Italien mitten im Schwarzwald, wichtig. Seit 1986 führt er – seinen vollständi­ gen Namen, Schilirò Biagio, ken­ nen nur die wenigsten – seine Ostaria in einer ehemaligen Bäcke­ rei in Nagold. Der Türgriff in Form einer Brezel zeugt noch immer von der Vergangenheit der Räume. Sol­ che Details bedeuten dem Italiener nichts. Im Da Gino geht es um gu­ tes Essen. Und Kommunikation. „Ob Künstler, Unternehmer oder Pfarrer: Zu mir kommen die Men­ schen, um ein paar Stunden Italien zu erleben“, erzählt der fröhliche Mann, der immer zu lächeln scheint. „Sie genießen es, hier bei

einem schönen Wein zu sitzen und zu diskutieren.“ Ja, die Nagolder sind Genuss­ menschen. Genussmenschen und große Freunde des Gedankenaus­ tauschs. „Bei uns werden Ideen über alle Fraktionen hinweg und ohne Standesdünkel entwickelt“, erzählt Helmut Raaf. Der Schuh­ kaufmann ist Vorsitzender des City­Vereins Nagold, der das Na­ golder City­Commitment auf die Beine gestellt hat. Diesen Kriterien haben sich die Nagolder Händler verpflichtet. Über das sogenannte Kaufhaus Innenstadt hält Raaf deutschlandweit Vorträge. Die Idee, die komplette Innenstadt mit ihren unterschiedlichsten Geschäf­ ten dem Einkäufer als ein geschlos­ senes Ganzes zu präsentieren, kommt an. Aber warum funktioniert ein solches Konzept gerade in der 22 570­Einwohner­Stadt? „Es ist die Mischung des Nagolder Gewerbegeists und der protestan­

Einwohner davon Ausländer Haushalte Kaufkraftkennziffer

Beschäftigte auf 1000 Einwohner Einpendler Auspendler Arbeitslosenquote

Beschäftigung Beschäftigte davon produz. Gewerbe Dienstleister Handel/Gastgewerbe/Verkehr

22 570 2844 9635 105 9180 3058 2852 3266

Steuern Gewerbesteuer Grundsteuer A Grundsteuer B Steuerkraft/Einw.

407 5837 4841 4,7 % 350 380 400 910

tischen Ethik“, philosophiert Raaf. „Aber natürlich sind wir auch offen für Gewerbetreibende, die neu nach Nagold kommen. Ohne frischen Wind gäbe es keine Inno­ vationen.“ Gino hat seine ganz eigene Er­ klärung für das Engagement der Nagolder. „So etwas entsteht nur, wenn Visionäre zusammensitzen. Und die benötigen die richtige At­ mosphäre.“ Natürlich beteiligt sich auch Gino als Gastronom am City Com­ mitment. „Wir Unternehmer müs­ sen uns um unser Tagesgeschäft kümmern, da bleibt manchmal keine Zeit für das Drumherum“, sagt er. „Das City Commitment sieht das große Ganze, hält uns in diesen Dingen den Rücken frei, damit wir unsere eigentliche Ar­ beit gut machen können.“ Die Idee zum Kaufhaus Innen­ stadt hatte Dr. Rainer Prewo, der von 1992 bis 2008 Oberbürger­ meister der Stadt Nagold war. „In

Gewerbeflächen freie Flächen in Planung Preis/Quadratmeter

166 Hektar 21 Hektar 46 Hektar 66-70 Euro

Gemeindeschuldenstand gesamt 5 507 000 Euro je Einwohner 243 Euro Übernachtungen

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Nagold hat der Diplom­Soziologe Prewo seinen Experimentierkas­ ten gefunden“, erinnert sich Raaf schmunzelnd. Prewos Nachfolger ist Jürgen Großmann. Auch er verfolgt wei­ ter das Ziel Kaufhaus Innenstadt. Großmann denkt weit voraus. Für ihn ist das selbstverständlich. „Ein Oberbürgermeister hat eine Führungsaufgabe. Zusammen mit seiner Stadt muss er zehn Jahre vorausdenken und sich immer fra­ gen, wo die Stadt in Zukunft ste­ hen soll.“ Seiner Meinung nach tun das jedoch die wenigsten, sind zu sehr mit aktuellen Problemen beschäftigt und verlieren darüber die nächsten Schritte aus den Au­ gen. „Sicher, die Kommunalpolitik braucht pragmatisches Handeln, aber eben auch Visionen.“ Diese Weitsicht erwartet der Oberbürgermeister ebenfalls von seinen Mitarbeitern. „Ich sage ih­ nen immer: ,Hobeln Sie!‘ Mir ist es lieber, wenn der Hobel

Verkehrsinfrastruktur Autobahnzubringer A 81, Anschlussstelle Rottenburg, Fahrzeit: 10 Minuten B 28 (Herrenberg-Freudenstadt) B 463 (Pforzheim-Horb) Nagoldtalbahn zur IC-/ICE-Anbindung in Pforzheim und Horb ÖPNV: getaktete Anbindung an ÖPNV Stuttgart Flughafen Stuttgart [40 Minuten/54 km]

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einmal herunterfällt, als dass er erst gar nicht in die Hand ge­ nommen wird.“ Und gehobelt wird in Nagold mit Leidenschaft. Zum Beispiel wenn es darum geht, den Service für an­ sässige und potenzielle Unterneh­ men in Nagold zu verbessern. Da scheuen die Verwaltungsangestell­ ten auch keine Mehr­Arbeit. Die Stadt Nagold ist seit 2007 nach dem RAL­Gütezeichen „Mit­ telstandsorientierte Kommunalver­ waltung“ zertifiziert. Im Rahmen dieses Gütezeichens gibt die Stadt­ verwaltung mittelständischen Un­ ternehmen verschiedene Service­ versprechen, unter anderem eine Antwort­Mail spätestens am nächs­ ten Arbeitstag nach einer einge­ gangenen Mail­Anfrage, eine Re­ aktion auf Beschwerden innerhalb von drei Arbeitstagen, die Bearbei­ tung von Bauanträgen innerhalb von 40 Arbeitstagen. Wirtschafts­ förderer Hagen Breitling grinst: „Dieses Versprechen hat bei einem ansiedlungsinteressierten Unter­ nehmer zumindest schon einmal für ein überraschtes Gesicht und einen kurzen Eintrag in sein No­ tizbuch gesorgt.“

Nagold ist Gründungsmitglied der Gütegemeinschaft Mittelstands­ orientierte Kommunalverwaltung. „Wir sind vom Potenzial dieser Gü­ teprüfung absolut überzeugt“, sagt Jürgen Großmann. „Daher bringen wir uns auch in der bundesweit aufgestellten RAL­Gütegemein­

verkehr. Die ersten Schritte zur Verbesserung des ÖPNV sind be­ reits getan: Spätestens zum Fahr­ planwechsel auf das Jahr 2012 soll die Kulturbahn an vier Stellen in Nagold halten. In Sachen S­Bahn­Anschluss Richtung Stuttgart ist man da in

„Ich sage meinen Mitarbeiter immer: ,Hobeln Sie!‘“ schaft sehr stark ein, um die Prüf­ kriterien stetig weiterzuentwickeln und Erfahrungen mit den ebenfalls zertifizierten Kommunen aus ganz Deutschland auszutauschen.“ Doch Nagolds Oberbürgermeis­ ter weiß, dass ein Gütezeichen allein nicht reicht, um Firmen und Fachkräfte nach Nagold zu locken. „Die Menschen ziehen dorthin, wo es Arbeitsplätze, Bildungs­ und Betreuungsangebote gibt“, ist Großmann überzeugt. Diese Ver­ bindung bezeichnet er als „Kom­ munale Wirtschaftskette“. Dazu gehört für Großmann auch der Öffentliche Personennah­

Investieren Sie in Arbeitsfreude.

Nagold noch längst nicht so weit. „Er muss kommen“, sagt Groß­ mann mit Nachdruck, wenn er hier jedoch auch Schwierigkeiten hat, sich auf einen Zeitraum fest­ zulegen. „Wenn Stuttgart europä­ ische Metropolregion werden will, muss sie das Umland eng an sich binden und die Vernetzung mit den Rändern massiv verstärken“, argumentiert der 47­Jährige. Neben der Stärkung des ÖPNV vernachlässigt man in Nagold auch die Zielgruppe der Autofahrer nicht. Der Gemeinderat hat einer Parkraumkonzeption zur Vergrö­ ßerung der Parkplatzanzahl bereits

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zugestimmt, auch im Hinblick auf die Landesgartenschau 2012. Hier rechnet die Stadt mit einem Bedarf an 800 bis 1000 Stellplätzen an Wochentagen sowie 2000 an Sonn­ und Feiertagen. Öffentliche Verkehrsmittel, Parkplätze … Nach Visionen klingt das nicht gerade. Aber das ist längst nicht alles, was den Kreati­ ven von Nagold im Kopf herum­ schwirrt. Konkret plant man ein stadtei­ gene Breitbandverbindung, das Nagold Net. Im Frühjahr soll dazu eine Entscheidung fallen. „Junge Familien fragen längst nicht mehr nach Wasser­ und Gasanschluss“, weiß Großmann. „Breitband ist die Autobahn der Zukunft.“ Großmann hat weitreichende Pläne für die Stadt an der Nagold, beispielsweise denkt er über eine autarke Energieversorgung nach. Aber das sind Pläne, die sicher noch bis übermorgen warten müs­ sen. Der Oberbürgermeister ist sicher: „Die Städte werden in Zu­ kunft die Motoren der landeswei­ ten Entwicklung sein.“ Natalie Butz nbutz@econo.de

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Mit Selbstbewusstsein Seit einem Jahr ist Jürgen Großmann Oberbürgermeister in Nagold. Wichtigstes Datum in seiner Amtszeit: die Landesgartenschau 2012

Jürgen Großmann ist seit einem Jahr Oberbürgermeister in Nagold. Zuvor war er Bürgermeister der 15 Kilometer entfernten Stadt Altensteig. Der 47-Jährige ist verheiratet und hat keine Kinder. Vor seiner politischen Karriere war der studierte Jurist als Rechtsanwalt tätig.

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ein, verstecken muss sich Nagold ganz sicher nicht, auch nicht hinter größe­ ren Städten. Schließlich hat das Schwarzwald­Städtchen mit dem Kaufhaus Innenstadt, dem RAL­ Gütezeichen und der Landesgar­ tenschau 2012 schon etwas vorzu­ weisen. Dass Nagold aber noch jede Menge Potenzial und genau­ so viele Pläne für die Zukunft hat, erzählt Oberbürgermeister Jürgen Großmann im Econo­Interview. Herr Großmann, Sie sind nun ein Jahr als Nagolds Stadtoberhaupt im Amt. Wie haben Sie dieses Jahr erlebt? ➤ Jürgen Großmann: Das Jahr war sehr arbeitsintensiv und ge­ prägt von vielen, vielen freundli­ chen und guten Begegnungen. Mein wichtigstes Anliegen war, dass der Ball nach dem Spieler­ wechsel im Feld bleibt. Und ich glaube, dass mir das gelungen ist. Die bedeutendsten Themen wur­ den nahtlos fortgeführt. Nagold liegt an der Schnittstelle der Regionen Stuttgart, Nordschwarzwald und Neckar-Alb. Ist diese Lage Fluch oder Segen? ➤ Großmann: Sie ist ganz eindeutig ein Se­

gen. Obwohl Nagold nahe an Wirt­ schaftszentren wie Böblingen/Sin­ delfingen oder Reutlingen/Tübin­ gen liegt, weist die Stadt einen Einpendlerüberschuss von 21 Pro­ zent aus. Auch wenn wir der Regi­ on Nordschwarzwald angehören und uns hier auch stark einbringen, fühlen wir uns der Metropolregion Stuttgart zugehörig. Das Industrie­ gebiet INGpark ist da der symboli­ sche Brückenkopf. Unsere Wirt­ schaft kennt diesbezüglich schon längst keine Bezirksgrenzen mehr. Die Kulturbahn stoppt ab 2012 an vier Haltepunkten in Nagold. ➤ Großmann: Ja, diese Halte­ punkte verbessern in erheblichem Maße die Anbindung des Stadt­ zentrums an den überregionalen ÖPNV. Das erhöht die Optionen für einen mobilen Stadtbesuch. Besonders der neue Haltepunkt Stadtmitte ist ein Anreiz für Men­ schen außerhalb Nagolds, unser Kaufhaus Innenstadt bequem und umweltschonend zu besuchen. Wie wichtig ist die Anbindung nach außen? ➤ Großmann: Die Anbindung ist das erste Maß, mit dem gemessen wird, wenn sich Menschen, so­ wohl Unternehmer als auch Bür­ ger, nach einem Standort mit Zu­ kunft umschauen. Nagold hat hier in den letzten Jahren sukzessive an einer Verbesserung des Ange­ bots gearbeitet. Mit Erfolg, wie der direkte Zubringer zur A 81, Anschlussstelle Rottenburg, zeigt. Es hat zwar zwanzig Jahre gedau­ ert, aber mit Hartnäckigkeit haben wir unser Ziel erreicht. Und 2011 stehen nach langem Ringen auch die Umfahrungen von Herrenberg und Jettingen, also die B 28 Rich­ tung Autobahnanschlussstelle Gärtringen, vor dem Abschluss. Ziehen die Anbindungen mehr Besucher in die Stadt oder mehr Nagolder in die Ferne? ➤ Großmann: Wir betrachten die unbegrenzten und unkompli­

Foto: Michael Bode


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zierten Anbindungsmöglichkei­ ten eindeutig als Gewinn. Da wir zudem inzwischen genü­ gend Anreize in Nagold haben, sehen wir eine optimale Verbin­ dung in andere Metropolen als Herausforderung, uns mit die­ sen Standorten zu messen. Wie rüstet sich die Stadt für den demografischen Wandel? ➤ Großmann: Die Landesgar­ tenschau 2012 bietet uns hier eine große Chance für eine um­ fassende Neuorientierung bei der Entwicklung von innen­ stadtnahen Wohnflächen. Es wird ein Angebot für altersge­ rechte Wohnungen geben, mit allen Anforderungen, die diese Zielgruppe verlangt. Durch die Landesgartenschau 2012 entwickeln sich zwei völlig neue Stadtquartiere in Nagold. Dazwischen steht die Innenstadt. Muss auch sie sich verändern? ➤ Großmann: Wir betrachten die Innenstadt mit ihren vielfäl­ tigen Reizen als drittes Ausstel­ lungsgelände, das die Besucher genießen sollen. Unser City­ Verein wird sich in Zusammen­ arbeit mit der Stadt, dem orga­ nisierten Einzelhandel und der LGS GmbH in den nächsten Monaten zusammensetzen, denn die Weiterentwicklung der Innenstadt ist auch über 2012 hinaus von großer Bedeu­ tung für Nagold. Bei Ihrem Antritt sagten Sie, „Nagold kann Mut zur Zukunft haben.“ Würden Sie das heute auch noch sagen? ➤ Großmann: Ja, das würde ich jederzeit wiederholen und das tue ich auch! Mit der Landes­ gartenschau 2012 geht die Stadt auf ein Jahrhundertereignis zu. Das ist eine einmalige Chance für Nagold. Die Marke Nagold wird weiter an Bedeutung ge­ winnen! Natalie Butz

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Politik • Standort Nagold

Mut, Teil 1: Ralf Bommer (r.) und Thomas Eisseler retteten Wagon Automotive vor der Insolvenz

Mut, Teil 2: Wolfgang Endrich gründet mit 73 Jahren noch einmal ein Unternehmen

Der Mut von Nagold Bodenschätze hat Nagold nicht zu bieten, auch keine Cluster-Ansiedlungen. Und doch: Mit einer kräftigen Portion Mut packen die Nagolder zu und sind dabei äußerst erfolgreich

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olfgang Endrich ist ent­ setzt. „Nagold verlas­ sen?“ Die Frage findet der Nagolder Unternehmer absurd. „Warum sollte ich das tun? Nagold ist doch meine Heimat.“ 1969 kommt Endrich aus Stutt­ gart nach Nagold, um hier zu ar­ beiten. Als sein Arbeitgeber Insol­ venz anmeldet und die Firma schließt, bleibt er und macht sich selbstständig. Er gründet den End­ rich Bauelemente Vertrieb. Heute vermarktet das Unternehmen elek­ tromechanische Bauteile im Be­ reich aktiver, passiver und elektro­ nischer Bauteile. Knapp 120 Ange­ stellte beschäftigt Endrich, davon neun Auszubildende sowie jeweils zwölf Außendienstmitarbeiter deutschland­ und weltweit. Gerade hat der umtriebige Ge­ schäftsführer ein weiteres Unter­ nehmen gegründet, die Euro Ligh­ ting. Endrich ist 73. „Warum denn nicht?“ Schon wieder wundert sich der Mann,

der täglich vier Zigarren raucht. „So etwas hält mich jung! Als Rent­ ner würde ich bestimmt ganz schnell trübsinnig werden. Und irgendeine Alibi­Tätigkeit im hei­ mischen Garten – das ist doch furchtbar.“

Sorgen macht sich der Ge­ schäftsmann keine. Auch nicht darum, Fachkräfte für seine beiden Betriebe nach Nagold zu locken. „Schon jetzt sind die meisten unse­ rer Arbeiter nicht von hier. Nagold ist eine aufstrebende Mittelstadt

„Irgendeine Alibi-Tätigkeit im heimischen Garten – das ist doch furchtbar“ Endrich glaubt fest an die Zu­ kunft der Euro Lighting, die sich auf den Vertrieb von LED­Lampen, unter anderem für Straßenlater­ nen, spezialisiert hat. Aktuell hat das Jungunternehmen nur zwei Mitarbeiter, Wolfgang Endrich und einen Ingenieur. Doch der 73­ Jährige ist zuversichtlich. „Da er­ wartet uns ein riesiger Markt.“ Schon in einem Jahr, ist Endrich ganz sicher, wird die Euro Lighting zehn Angestellte haben.

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mit hohem Freizeitwert und guter Anbindung nach außen. Da ist es nicht schwer, Fachleute von den Qualitäten zu überzeugen.“ Mut und Selbstbewusstsein scheint in Nagold in der Luft zu liegen, das beweisen auch Ralf Bommer und Thomas Eisseler, die beiden Geschäftsführer der Wagon Automotive Nagold. Schon im Sommer 2008 zeich­ net sich die Insolvenz des briti­ schen Mutterkonzerns Wagon

PLC ab. Beinahe ohne Zögern ent­ scheiden Bommer und Eisseler: „Wir stellen den Betrieb auf eigene Beine.“ Sie gründen die B & E Be­ sitzgesellschaft und holen sich die Tiberina­Gruppe, einen großen italienischen Automobilzulieferer, als strategischen Partner ins Boot. Der Grund für das Handeln der beiden gebürtigen Nordschwarz­ wälder: Die Verantwortung gegen­ über den derzeit 440 Mitarbeitern. Wagon Automotive Nagold ist hier der zweitgrößte Arbeitgeber. „Und nach zehn beziehungsweise zwölf Jahren Betriebszugehörigkeit ist das Unternehmen schon irgend­ wie zu unserem Kind geworden“, schmunzelt Bommer. Bommer und Eisseler sind zu­ versichtlich, dass es Wagon Auto­ motive Nagold schon bald wieder richtig gut gehen wird. Pläne für die Zukunft haben die beiden Ge­ schäftsführer jedenfalls schon: Die Unternehmenserweiterung, die aufgrund der Insolvenz der briti­ Fotos: Jigal Fichtner


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Uscil dolesequatum doloboreet prat. Sequat. ein kleiner zexter Mut, Teil 3: Dr. Christof (l.) und Oliver Muz sind fern des Medizin-Clusters erfolgreich

Industrie- und Handelskammer Nordschwarzwald

Nagold

schen Mutter 2008 auf Eis gelegt worden war, soll im kommenden Jahr fortgesetzt und abgeschlossen werden. „Ja, das kann ich mir vorstellen“, denkt sich auch Barbara Benz, als sie das Einrich­ tungshaus Architare gründet. Das Gebäude gehört ihrer Familie, darin war das Möbel­ haus Ambiente. Die Besitzer möchten das Geschäft aus Altersgründen aufgeben. Da erinnert sich Barbara Benz, Tochter von Rolf Benz, an die Ursprünge ihrer Familie. Doch Möbel verkaufen allein reicht der Frau nicht, die eigentlich BWL und Pro­ duktmanagement studiert hat. Sie möchte sich um das Gesamtkonzept eines Raumes kümmern. „Einrichten ist das Einfühlen in Lebenszusammenhänge“, schwärmt sie über ihren Beruf. Zu ihren Kunden gehö­ ren Arburg, Porsche, IBM, die BW­Bank und der Reichspräsidentenpalast in Berlin. Aber kann so ein Konzept in Nagold funk­ tionieren? Mit ausschließlich designorien­ tierten europäischen Möbelherstellern im Verkauf? Barbara Benz ist überzeugt: Es kann. „Nagold ist eine Möbelstadt. Ich kann von hier aus sehr gut deutschlandweit ar­ beiten.“ Warum auch nicht? Die Möbel von

Rolf Benz und Walter Knoll werden aus der Region in die ganze Welt geliefert. Die beiden Cousins Dr. Christof Muz und Oliver Muz haben ihre Wurzeln nicht in Nagold. Der Vater von Christof Muz war Mitbegründer des Medizintechnikzuliefe­ rers Nicolay. Die beiden anderen Gründer, Bernd und Rainer Schwarz werden Ende des Jahres das Unternehmen verlassen. Dann sind Christof und Oliver Muz alleini­ ge Geschäftsführer. Und obwohl sie nicht in Nagold leben, werden sie die Stadt mit ihrer Firma nicht verlassen. „Unser größter Kun­ de beispielsweise sitzt in Böblingen, warum sollten wir da unbedingt ins Medizintech­ nik­Mekka Tuttlingen umziehen?“, sagt Christof Muz, der in Reutlingen lebt. Und auch Oliver Muz wird weiterhin täglich von Stuttgart auf den Nagolder Wolfsberg fahren. „Von Stuttgart­Vaihingen nach Zuffenhausen brauche ich im Berufsverkehr genauso lan­ ge“, sagt Muz schulterzuckend. Vier Nagolder Unternehmen, vier Bei­ spiele für erfolgreiche Mittelständler, die ihre Betriebe trotz Wirtschaftskrise in die Zukunft führen. Aber das ist er eben, der Mut von Nagold. Natalie Butz

Dienstleistung | Handel

Tourismus

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International

Innovation | Umwelt

Standortpolitik

Starthilfe | Förderung

IHK Geschäftsstelle Nagold

IHK Zentrum für Weiterbildung Ausbildung der Ausbilder | Kaufmännische Lehrgänge | Gewerblich-technische Lehrgänge | Lehrgänge für die Gesundheitswirtschaft | Lehrgänge für die Tourismuswirtschaft | Fremdsprachen | EDV / IT | Tages- und Firmenseminare |

Hotline 07452 930112 www.nordschwarzwald.ihk24.de

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Zukunftsmacher Nagolds wichtigste Gewerbefläche ist der INGpark: interkommunal, genügend Platz für die Zukunft und mit überraschenden Details …

Die Projektmanager des INGparks: Hagen Breitling und Sonja Knapp

Foto: Jigal Fichtner

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ür Tech IT ist der INGpark auf dem Nagolder Eisberg nicht irgendein Industrie­ gebiet. Für den IT­Dienstleister ist dieser Standort einmalig. „Unsere Server sind in einem Bunker un­ tergebracht“, erklärt Ernst Stein­ graber, Vertriebsleiter des Netz­ werkers, „quasi bombensicher. Sicherer sind unsere Server defini­ tiv nirgendwo.“ Der INGpark liegt auf dem ehe­ maligen Gelände einer Fallschirm­ jägerkaserne. Seit den 1960er­ Jahren diente sie nicht nur der Stationierung von mehr als 800 deutschen Soldaten, sondern war zudem Arbeitsplatz für rund 100 Zivilangestellte. Anfang 1995 dann das Aus. Für die Große Kreisstadt ein herber Verlust, nicht nur aufgrund der Arbeitsplätze. Die kommunale Kämmerei rechnet mit einem jähr­ lichen Umsatzverlust von etwa fünf Millionen DM für die regiona­ len Wirtschaftsunternehmen. Zu­ rück bleiben auf der Hochebene 88 Hektar leere Fläche.

Doch die Nagolder stecken die Köpfe nicht in den Sand. Im Som­ mer 1996 gründen sie eine Pro­ jektgruppe, die für das Konversi­ onsgelände ein tragfähiges Zu­ kunftskonzept entwickeln soll. Anfang 1997 folgt ein öffentlicher Workshop, um möglichst viele An­ regungen für die Entwicklung des Standorts zu erhalten, Standortun­ tersuchungen und Machbarkeits­ studien zu verschiedenen Projekt­ ideen schließen sich an. Viele Ideen führen ins Leere, der Entscheidungsprozess dauert letztendlich bis 2001, doch dann steht fest: auf dem Eisberg entwi­ ckelt Nagold gemeinsam mit sechs Nachbarkommunen – Ebhausen, Haiterbach, Mötzingen, Rohrdorf, Wildberg sowie Jettingen aus dem Landkreis Böblingen – den Inter­ kommunalen Industriepark Na­ gold­Gäu, kurz INGpark. Zunächst soll nur das ehemalige Kasernenareal mit 25 Hektar ge­ nutzt werden. Die Fläche ist mit den Gebäuden der Bundeswehr neben wenigen Freiflächen nahezu

komplett verbaut. Zur besseren Vermarktung wird 2003 der Zweck­ verband INGpark gegründet. Die Fakten sprechen für das Ge­ werbe­ und Industriegebiet. Ein ebenes, weitgehend erschlossenes Gelände mit Grünraum im Innern und an den Gebietsrändern, direkt an der Nahtstelle zu den Regionen Stuttgart, Nordschwarzwald und Neckar­Alb. Mit dem Wirtschafts­ raum Stuttgart liegt zudem ein großer Absatzmarkt direkt vor der Haustür. Und mit dem Autobahn­ zubringer (Fertigstellung 2007) gibt es nun auch die nötige schnel­ le Verkehrsanbindung. Trotz der Ansammlung dieser positiven Eigenschaften: In Nagold rechnet damals niemand damit, dass innerhalb von nur sieben Jah­ ren rund 20 Unternehmen mit mehr als 200 Mitarbeitern ihren Standort auf der Hochebene fin­ den werden – ausverkauft. Nordöstlich des Kasernenareals sind inzwischen 16 Hektar Brutto­ fläche voll erschlossen und stehen für eine sofortige Bebauung zur

Verfügung. „Der INGpark ist der Zukunftsstandort der Nagolder Unternehmen“, sagt Hagen Breit­ ling vom Zweckverband. „Das Areal ist für die wirtschaftliche Entwicklung Nagolds sowie aller Mitgliedskommunen von sehr gro­ ßer Bedeutung.“ Breitlings Kolle­ gin Sonja Knapp ergänzt: „Für die Erhaltung der Wirtschaftskraft des Raums Nagold­Gäu ist der ING­ park unerlässlich.“ Einen Pluspunkt bietet das Ge­ biet auch in Sachen Natur: „Mit dem INGpark werden kleinflächige Erweiterungen in den einzelnen Kommunen vermieden und somit ein nachhaltiger und bewusster Umgang mit der Ressource Boden ermöglicht“, sagt Breitling. Wenn die derzeit noch unbe­ bauten 16 Hektar erschlossenes Gelände ebenfalls verkauft sind, stehen weiteren Unternehmen noch immer fast 50 Hektar zur Verfügung. Knapp: „Hier haben wir schon heute eine Flächenreser­ ve für die nächste Generation.“ Natalie Butz

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