Standortporträt Villingen-Schwenningen

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Politik • Standort Villingen-Schwenningen

Aufbruchstimmung! Die Gartenschau beschert VillingenSchwenningen mehr als Blumen. Unternehmer und Bürger tanken Selbstbewusstsein

GARTENSCHAU: Von Blumen und einem Turm – die Chancen der LGS für die Stadt S. 120

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MENSCHEN: Fünf Personen, die mit der Gartenschau besonders verbunden sind S. 130

TECHNIK: Insekten machen es vor. Mikromountains macht es nach. Wie, das steht ab S. 136

INTERVIEW: OB Kubon und LGSChef Martin über Dynamik und Haushaltsplan S. 138

Foto: Michael Bode


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ie Zukunft von Villingen-Schwenningen hat einen Knick. Doch der bringt erst den Kick: Die Architektur des geplanten „Neckar-Tower“ am Rand des Landesgartenschaugeländes besticht durch eine leichte Drehung. Das wirkt elegant. Und hat die meisten Einwohner von VS geradezu elektrisiert: „Das Projekt Turm entwickelt eine Eigendynamik, die ich so nicht erwartet habe“, sagt Walter K. Grim-

minger, Geschäftsführer der Wohnungsbaugesellschaft Villingen-Schwenningen WBAG. Die WBAG wird den Turm finanzieren. Und gibt damit der Gartenschau im Jahr 2010 ein Symbol. Für den Aufbruch. OB Dr. Rupert Kubon: „Ohne den Schub durch die Gartenschau hätte sich manche Entwicklungschance nicht ergeben.“ Denn eines ist klar: VS blüht durch die LGS auf. Erlebt einen zweiten Frühling.

Das hat kaum mit den 68 000 Blumen in 1000 Farbnuancen zu tun, die in weniger als 500 Tagen auf dem Gartenschaugelände (jedenfalls laut Plan) blühen werden. Es sind die Entwicklungsmöglichkeiten jenseits der Blümchenschau, die faszinieren. Auch wenn dort, wo die Zukunft blühen wird, derzeit noch alles im Matsch versinkt. Der Hauptteil des Geländes, im Bahnhofsbereich von Schwenningen, war eben

Vermesungstrupp auf dem LGS-Gelände in VS-Schwenningen

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nichts weniger als ein Ruinenfeld. Ein ehemaliger Güterbahnhof, der einen traurigen Rekord hält: „Ich habe noch kein kontaminierteres Gartenschaugelände erlebt. Allein die Bahn AG gibt sechs Millionen Euro für die Sanierung aus“, sagt Michael Martin, Geschäftsführer der Landesgartenschaugesellschaft. Er muss es wissen: Seit Jahrzehnten verfolgt er aufgrund seiner Tätigkeit bei der Fördergesellschaft für Landesgartenschauen jede LGS. Diese Altlasten überzeugten im Jahr 2003 die Juroren bei der Vergabe der Landesgartenschau. Eine solche Belastung inmitten der Stadt? Da muss geholfen werden. Die Stadt VS legte ein Konzept vor: Mit einem 33-MillionenEuro-Budget werden die Neugestaltung des Güterbahnhofs und angrenzender Bereiche sowie flankierende Maßnahmen in Villingen bezahlt. Die Stadt allein stemmt 13 Millionen Euro. Der Rest sind Zuschüsse. Gelder, mit denen im Bahnhofsbereich kein Stein auf dem anderen bleibt: 65 000 Kubikmeter Erde sind bereits abgegraben. Das Niveau des Geländes liegt nun bis zu sechs Meter tiefer. Auch weil dort zugleich der Neckar ein neues Bett erhält, das ebenfalls bis 2010 wie ein grünes Rückgrat die gesamte Stadt durchzieht. Bislang fließt der Landesfluss in einer unterirdischen Betonröhre. Die Höhe der Förderung beweist, hinter einer LGS versteckt sich heute vor allem eines: ein Stadtentwicklungsprogramm erster Güte. Die Blümchenschau steht zwar in der Wahrnehmung in der ersten Reihe. Doch Insider achten auf das Drumherum. Martin: „Die Dynamik, die eine LGS auslöst, hat manch einen in der Stadt sicherlich überrascht.“ Das Potenzial vergleichen Aufmerksame mit der Aufbruchstim-

Der„Neckar-Tower“ wird mit seiner eleganten Architektur zum Wahrzeichen für VS

mung zu Beginn der Uhrenindustrie. Im Jahr 1858 gründet Johannes Bürk die erste Uhrenfabrik. Was folgt, ist eine Entwicklung, die kaum einen Vergleich kennt. Mag die Historie Villingens durch das Zähringer-Geschlecht auch glanzvoller sein. Doch mit der wirtschaftlichen Dynamik Schwenningens kann Villingen kaum mithalten. 1907 wird das „größte Dorf Württembergs“ zur Stadt erhoben. Es folgt der inoffizielle Titel der „weltgrößten Uhrenstadt“. Und im Lauf der 1970er- und 1980er-Jahre der wirt-

schaftliche Zusammenbruch, Uhren werden in Fernost nun eben günstiger hergestellt. Phono-Geräte ebenso, weshalb die Wirtschaftskrise auch Villingen trifft. Marken wie SABA und Junghans, Kienzle und Mauthe genießen heute Liebhaberstatus. Doch die Firmen hinter den Geräten sucht man vergebens. Die Stadt hat sich von der Depression befreien können. Aus den Überresten der alten Unternehmen sind neue entstanden: Kienzle ging als Technologieschmiede in Siemens VDO über und gehört nun zu Continental. Bürk gibt

heute als Bürk Mobatime beispielsweise auf Bahnhöfen und Flughäfen die Zeit an. Saba ging nach Wirrungen im Thomson-Konzern auf. Heute betreibt das Unternehmen in Villingen eine Forschungsabteilung. Und der Stempeluhrenhersteller Benzing lebt als Kaba Benzing weiter: Als Spezialist für Zutrittskontrollen und Zeiterfassungen. Daneben nimmt VS als Logistikstandort mit Unternehmen wie Emons, DPD und der Post einen zentralen Standpunkt ein. Neu angesiedelt hat sich zudem

Foto: Wohnbaugesellschaft Villingen-Schwennigen

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Standort Villingen-Schwenningen • Politik

Einwohner davon weiblich Ausländer Kinder/Jugendliche (bis 18 Jahre) Haushalte

81 073 42 103 11 549 14 471 40 790

Beschäftigung sozialvers. Beschäftigte Produz. Gewerbe Dienstleister Handel/Verkehr

35 714 37,2 % 44 % 18,3 %

Einpendler Auspendler Arbeitslosenquote

17 404 10 250 3,9 %

Steuern Gewerbesteuer Grundsteuer A Grundsteuer B

Steuerkraft/Einw. Gewerbesteuer Freie Gewerbeflächen Vockenhausen Vorderer Eckweg Herdenen

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761 42,5 Mio. (2007) 3 ha. 8 ha. 11,7 ha.

Verkehrsinfrastruktur Autobahn Abfahrt A81 Bundesstraßen B27/B33 Bahnhöfe in Villingen und Schwenningen, diverse Ringzug-Haltestellen Flughafen international: Zürich, Stuttgart regional: Donaueschingen, VS-Schwenningen

360 v. H. 375 v. H. 375 v. H.

Besonderheiten Schüler/Studierende 20 000 Sportvereine 95/27 000 Mitglieder

die Spedition Bächle. Die zentrale Lage an der Ost-WestQuerverbindung B27/B33 sowie an der Nord-Süd-Autobahn A81 klingt gut in Logistiker-Ohren. Doch die größte Entwicklung verdankt VS dem Gehirn, genauer dem Lernen: Die Doppelstadt wird von 20 000 Schülern und Studenten bevölkert. Die Hotelfachschule genießt ebenso wie die Feintechnikschule Ansehen über die Grenzen der Region hinaus. Dazu kommen die Polizei-Fachhochschule, die Außenstelle der Hochschule Furtwangen sowie die Berufsakademie VS. „Die Existenz der Hochschule ist für die Stadt ein entscheidender Standortfaktor“, sagt Wirtschaftsförderer Rudolf Topp: „Bei uns ist der Begriff ‚Hochschul-Standort‘ kein Schlagwort, sondern eine gelebte Realität.“ Das sehen die Träger der Hochschulen ähnlich. Immerhin treiben sie den Ausbau der Standorte kräftig voran. Erst im Oktober nahm die BA zwei Erweiterungsbauten in Betrieb. Kostenpunkt laut Finanzministerium: zehn Millionen Euro. Dazu gesellt sich eine fünf Millionen Euro teure Mensa für die Studenten von BA und FH. Doch die Mittagspausen auf dem parkähnlichen Campus fallen nicht allzu ausgedehnt aus. Die Studenten sind begehrt, Schaffen statt Studentenleben lautet die

Devise. Wirtschaftsförderer Topp: „Die hiesigen Unternehmen haben die Potenziale der Hochschulen erkannt. Es besteht eine ausgezeichnete Zusammenarbeit beispielsweise bei Praktika und Diplomarbeiten.“ Doch das geschieht nicht ganz uneigennützig: „Natürlich ist es das Ziel, die qualifizierten Kräfte in den Unternehmen zu halten“, so Topp. Denn der Mangel an Fachkräften ist auch in VS ausgeprägt. Ebenso wie der Mangel an Existenzgründern. Da will die IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg im Schulterschluss mit der Stadt VS Anreize schaffen: „Hightech-Atrium“ nennt sich das Projekt, das Weiterbildung und Existenzgründung unter einem Dach vereinen wird. Die IHK bündelt in dem Bau ihre Fortbildungsaktivitäten. So wird dort ein neuer Studiengang angeboten: der studierte Industriemeister. Eine Art Ingenieur, der stärker in der Praxis der Unternehmen beheimatet ist, als in wissenschaftlichen Theorien. Räumlichkeiten für Gründer runden das von der EU-geförderte Atrium-Konzept ab. Wobei Räume allein einen Innovativen kaum glücklich machen. Meist fehlt das Geld: „Um gute Startbedingungen zu schaffen, wird die IHK zusammen mit Partnern einen Beteiligungsfonds auflegen“, erläutert Egon Warfia, vom Fachbe-

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reich Innovation der IHK. Dieser Seed-Fonds soll dann eine Anschubfinanzierung bieten, um Innovationen zur Marktreife voranzutreiben. In Kürze soll die nötige Beteiligungsgesellschaft gegründet werden. Bis zum Ende des Jahres 2011 wird das „Hightech-Atrium“ stehen, erläutert Warfia den Zeitplan. Rund sieben Millionen Euro sind als Budget vorgesehen. Mit dem Abriss der ehemaligen JäckleMetallwaren-Fabrik direkt neben dem Landesgartenschaugelände wird in Kürze begonnen. Dann ist der Platz frei fürs Atrium. Derzeit bereitet die IHK den Architektenwettbewerb vor. „Natürlich soll das Gebäude in seiner Gestaltung zum Namen passen“, so Warfia. Den Architekten für den Neckar-Tower fand WBAG-Chef Grimminger beinahe zufällig: „Ich habe in einem Buch der JSK International Architekten und Ingenieure geblättert. Und da fiel mir auf, dass der Gesellschafter Gunter P. J. Bürk gebürtiger Schwenninger ist.“ Das Büro baut weltweit Hochhäuser und Flughäfen, überhaupt Großprojekte. Grimminger ruft dennoch spontan an. Und bekommt Bürk sofort ans Telefon. Kurz drauf sitzt man beieinander, Skizzen entstehen. Bereits mit diesen Bleistift-Strichen erhält der 45 Meter hohe Turm mit 2000 Quadratmetern Nutzfläche die elegant geknickte Drehung. Sechs Millionen Euro sind laut Grimminger vonseiten der WBAG für das Projekt vorgesehen. Baubeginn ist im Frühjahr, damit bis zur

Der Campus VS: 15 Millionen Euro wurden in die Zukunftsfähigkeit der Stadt investiert

Gartenschau wenigstens die Aufzüge funktionieren, die Treppen installiert sind. Und das oberste Stockwerk als Aussichtsplattform samt Cafeteria genutzt werden kann. Nach der Gartenschau sollen dann Studenten im Turm wohnen und Unternehmen Büros anmieten. Grimminger: „Wir werden mit dem Projekt eine gute Rentabilität haben.“ Doch beinahe wichtiger ist dem WBAG-Geschäftsführer eine Dimension jenseits der Zahlen: „Ich habe selten bei einem Projekt eine solche Euphorie erlebt.“ Es habe beinahe den Anschein, als öffne der Turm vielen die Augen: Was nun alles möglich ist…“ Immerhin bilden Turm und

„Hightech-Atrium“ ein zukunftsweisendes Ensemble, in dem junge Leute an neuen Technologien arbeiten. Das Landesgartenschaugelände steht am Ende für Erweiterungen der Hochschulen zur Verfügung. Dazuhin wird in Schwenningen der Bahnhof, und dessen Vorplatz neu gestaltet. Eventuell auch noch Teile der Innenstadt. In Villingen lädt das Brigachufer wieder zum Verweilen, der Bereich Hubenloch ist bereits attraktiv für Familien. Ganze Straßenzüge in der Stadt verändern derzeit ihr Gesicht. Keine Frage: Im Vorfeld der LGS fließt viel Geld nach VS. Das lässt sich auch an der Architektur ablesen: Der Erweiterungsbau der

Feintechnikschule ist eine Perle. Die Hochschulerweiterungen prägen positiv das Stadtbild. Der Bau der Krankenkasse Schwenninger BKK ist preiswürdig. Selbst der Neubau des Altenheims Bürgerheim taugt für Architekturzeitschriften. All das zeugt von neuem Selbstbewusstein, von Aufbruchstimmung. Auch durch die Gartenschau. Rudolf Topp: „Diese positive Stimmung spüre ich auch in den Unternehmen. Der Standort wird eben deutlich attraktiver.“ Dirk Werner

www.villingen-schwenningen.de

Foto: Michael Bode

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