de'ignis Magazin 43

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Ausgabe Nr. 43/2012

magazin Kompetenz. Und Gottvertrauen.

Jubil채umsausgabe 1


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EDITORIAL

Liebe Leserinnen, lieber Leser, als Herausgeber und Redaktionsteam blicken wir auf eine lange Wegstrecke zurück. Über nunmehr zwei Jahrzehnte bringen wir regelmäßig zweimal im Jahr das de’ignis-Magazin heraus. Viel ist passiert in dieser Zeit. Wir selbst gingen durch Höhen und Tiefen, Freud und Leid, aber immer mit der inneren Gewissheit: Es ist nicht unser Werk, wir sind geschützt und beauftragt von höherer Stelle. Damals vor über 20 Jahren, die de’ignis-Klinik hatte erst kurze Zeit vorher ihre Pforten geöffnet, das de’ignis-Wohnheim war in Vorbereitung, erkannten wir die Notwendigkeit, unsere Gedanken und Pläne einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. So erinnern wir uns noch sehr gut an einen folgenschweren Spaziergang zwischen den Wiesen und Feldern von Engelswies. Claus J. Hartmann und ich erörterten miteinander, wie wir es bewerkstelligen könnten, dass draußen im Land bekannt wird: Es gibt eine christliche Klinik in Egenhausen und Altensteig sowie ein Haus für Langzeitbegleitung psychisch kranker Menschen, das de’ignisWohnheim in Engelswies bei Inzigkofen, in denen Menschen, denen der christliche Glaube wichtig ist, fachliche und geistliche Hilfe erfahren können. Schnell stand der Gedanke an eine Zeitschrift im Raum. Darin sollten sowohl psychotherapeutisch und psychiatrisch fundierte Artikel als auch gesellschaftlich relevante Themen behandelt werden. Dies aus einer überkonfessionellen, jedoch klar an den Aussagen der Bibel orientierten und damit theologisch reflektierten Perspektive. Dies ist bis heute die inhaltliche Ausrichtung des de’ignis-Magazins: Fachlich fundiert, nah an den aktuellen Themen

der Zeit und der christlichen Welt, mit biblisch und theologisch reflektierten Schlussfolgerungen. Stets von großer Bedeutung war und ist es dabei für uns, auch über die verschiedenen Arbeitsbereiche von de’ignis zu informieren. Bei all dem halten wir uns an die Gemeinsamkeit aller christlichen Kirchen, die nicht Sekten sind. Wir verfolgen also eine überkonfessionelle Ausrichtung. Breit und bunt ist die Palette der Themen, die wir in den vielen Jahren behandelt haben. Einen Querschnitt und bunten Strauß aus den letzten 10 Jahren haben wir in dieser Jubiläumsausgabe zusammengestellt, eben fachlich, aktuell, theologisch pointiert aber ausgewogen. Besonders freuen wir uns über die Beiträge des ehemaligen Landesbischofs der Evangelischen Württembergischen Landeskirche Dr. Gerhard Maier, und von Weihbischof Thomas Maria Renz aus der katholischen Kirche. In unserer Arbeit an psychisch kranken Menschen ist uns das gemeinsame christliche Zeugnis besonders wichtig. Uns geht es vor allem darum, dass Menschen erkennen: in aller Not, in allem Schmerz, in allen Herausforderungen des Lebens gibt es Gott, den Vater, der es gut mit uns meint, Jesus, den Freund, der uns hilft, den Heiligen Geist, der uns Kraft und Hoffnung gibt. Das bedeutet ein inneres Zuhause finden und Geborgenheit erleben. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen beim Lesen viel Gewinn und neue Perspektiven. Im Namen der Herausgeber Ihr Winfried Hahn

Die Herausgeber:

Claus Jürgen Hartmann Geschäftsführer, de’ignis-Fachklinik und de’ignis-Institut

Winfried Hahn Geschäftsführender Heimleiter, de’ignis-Wohnheim Vorstandsvorsitzender Christliche Stiftung de’ignis-Polen 3


INHALTSVERZEICHNIS

S. 6

S. 19

Titelthema: 20 Jahre de’ignis-Magazin Jubiläumsausgabe S. 6

Dr. med. Samuel Pfeifer

Wege aus der Depression Dr. med. Johannes Strauß

S. 11 S. 17

Die Un-Lust am Essen Das breite Spektrum der Essstörungen aus ärztlicher und psychotherapeutischer Praxis Anonym (Name der Redaktion bekannt)

Erfahrungsbericht einer Betroffenen mit einer Essstörung (Bulimie) Dipl.-Psych. Rainer Oberbillig

S. 19

Zwangserkrankungen: Ein fehlgeleiteter Versuch, Bedrohliches abzuwehren – Ein Fallbericht Prof. Dr. med. Andreas Broocks

S. 28 S. 33 4

Neurobiologische und bewegungstherapeutische Aspekte bei der Behandlung von Angststörungen Winfried Hahn

Angstbewältigung und christlicher Glaube


IMPRESSUM

Redaktion: Rainer Oberbillig, Winfried Hahn, Claus J. Hartmann Layout, Gestaltung & Druckvorstufe: AD Dipl.-Ing. Rainer Haas Tel. 07 11 48 23 31 · info@artdesign-stuttgart.de Druck: Gedruckt auf LuxoArt Samt New von Henkel GmbH Druckerei, Stuttgart

S. 33

S. 52

Auflage 18.000 Herausgeber:

Weihbischof Thomas Maria Renz

Amatus sum, ergo sum!

S. 38

Das Wissen um die grenzenlose Liebe Gottes als Universalschlüssel zur eigenen Identität Dr. Gerhard Maier, Landesbischof i.R.

S. 40 S. 42

Vergebung – eine vergessene Tugend in einer Kultur der Anklage Peter Hahne

Holt Gott zurück! THERAPIEGRUNDLAGEN

S. 44

Dr. med. Rolf Senst

Neuropsychotherapie und christlicher Glaube Dr. Phil. Matthias Richard

S. 52

Ist die Gottesbeziehung eine psychologische Bindung? DE’IGNIS AKTUELL

S. 58

Termine · Berichte · Neues aus den Einrichtungen

de’ignis-Fachklinik gGmbH auf christlicher Basis für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik Walddorfer Straße 23 72227 Egenhausen Telefon: 07453 9391-0 Telefax: 07453 9391-193 E-Mail: info@deignis.de Volksbank Nordschwarzwald eG Konto 62 168 002 · BLZ 642 618 53 de’ignis-Wohnheim gGmbH – Haus Tabor zur außerklinischen psychiatrischen Betreuung Fred-Hahn-Straße 30 72514 Engelswies Telefon: 07575 92507-0 Telefax: 07575 92507-30 E-Mail: wohnheim@deignis.de Sparkasse Pfullendorf-Meßkirch Konto 105 338 · BLZ 690 516 20 de’ignis-Institut gGmbH für Psychotherapie und christlichen Glauben Markgrafenweg 17 72213 Altensteig Telefon: 07453 9494-0 Telefax: 07453 9494-396 E-Mail: institut@deignis.de Volksbank Nordschwarzwald eG Konto 66 624 002 · BLZ 642 618 53 Christliche Stiftung de’ignis-Polen Fred-Hahn-Straße 30 72514 Engelswies Telefon: 07575 92507-0 Telefax: 07575 92507-30 E-Mail: wohnheim@deignis.de Sparkasse Pforzheim Konto 7 26 05 12 · BLZ 666 500 85 Alle de’ignis Einrichtungen sind gemeinnützig und arbeiten überkonfessionell. Spendenbescheinigungen werden auf Wunsch gerne ausgestellt.

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WEGE AUS DER DEPRESSION

Wege aus der Depression 6

VON DR . MED. SAMUEL PFEIFER


20 JAHRE DE‘IGNIS-MAGAZIN – JUBILÄUMSAUSGABE

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epressionen müssen kein unabänderliches Schicksal sein. Arzt und Seelsorger haben auch dem schwer Depressiven Hoffnung anzubieten. Selbst wenn der Depressive im Schatten des dunklen Tales keinen Ausweg aus seiner Lage sieht, so darf man ihm mit fester Überzeugung zusagen, dass es gangbare Wege aus der Depression gibt, ja dass auch der Weg durch die Dunkelheit für ihn zum Segen und zum persönlichen Wachstum dienen kann. Die Therapie der Depression kann in vier Gruppen unterteilt werden:

1. Nehmen Sie den depressiven Menschen in seiner Krankheit und Not an und zeigen Sie ihm Ihre Bereitschaft, ihn in dieser schwierigen Zeit zu begleiten.

2. Besprechen Sie die auslösenden Ereignisse und die Lebensgeschichte mit dem Patienten. Geben Sie ihm die Gelegenheit, sein Herz auszuschütten.

3. Betonen Sie den günstigen Verlauf des Leidens: die allermeisten Depressionen klingen nach einer gewissen Zeit wieder ab.

4. Erklären Sie ihm die verschiedenen Behandlungsmög1. Gespräch

lichkeiten und schicken Sie den Patienten bei einer schweren Depression zum Arzt.

2. praktische Hilfe und Entlastung 5. Ermutigen Sie den Ratsuchenden und sprechen Sie 3. allgemeine Aktivierung und Behandlung körperlicher Leiden

4. Medikamente Diese therapeutischen Zugänge ergänzen sich gegenseitig. Kein Weg sollte ohne die anderen beschritten werden. Bei leichten Depressionen kann auf Medikamente verzichtet werden, bei schweren Zustandsbildern sollte man immer den Arzt konsultieren. Depressionen sind aber nicht nur Gefühlskrisen, sondern oft auch Glaubenskrisen. Eine seelsorgerliche Begleitung ist deshalb neben der ärztlichen Behandlung unerlässlich und zugleich erfolgversprechend, wenn der Betreuer weiß, auf welche Punkte er dabei achten muss und wo die Grenzen seiner Möglichkeiten liegen.

Fotos: Alex-/photocase.com, sonne fleckl/Fotolia.com

Hilfen zur Gesprächsführung Die Begleitung schwer depressiver Menschen stellt hohe Anforderungen an die Geduld und an unser Einfühlungsvermögen. Diese Eigenschaften sind für Gespräche mit Depressiven unerlässlich. Im folgenden habe ich sieben Punkte zusammengestellt, auf die es im Gespräch zu achten gilt.

ihm die Liebe Gottes zu, auch wenn er im Moment wenig davon spürt. Mit der Aufhellung der Depression wird auch sein Glaube wieder erstarken. Hilfreiche Bibelstellen finden sich in den Psalmen, aber auch in vielen biblischen Verheißungen.

6. Bereiten Sie den Ratsuchenden auf zeitweise Stimmungsschwankungen vor. Ich sage meinen Patienten oft: „Der Weg aus der Depression ist mit vielen Schlaglöchern übersät und doch führt er nach oben, hinaus ans Licht.“

7. Haben Sie Geduld: Setzen Sie ein Therapieziel nach dem andern, damit der Patient immer wieder kleine Erfolge erlebt. Verlangen Sie nicht zuviel auf einmal! Denken Sie daran, dass gerade schwer depressive Menschen oft so eingeengt sind, dass sie seelsorgerlichen Zuspruch kaum wahrnehmen können.

Vermeidbare Fehler Das Gespräch mit Depressiven birgt auch Versuchungen und Fallen, die es zu vermeiden gilt. Zu den häufigsten Fehlern gehören die folgenden Punkte:

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WEGE AUS DER DEPRESSION

Aufforderung, Depressive Menschen stellen sich ohnesich zusammen- hin schon selbst unter massiven Leiszureißen tungsdruck und leiden an ihrem Versagen. Es bringt ihnen daher wenig, wenn sie auch noch vom Seelsorger, vielleicht sogar mit Bibelversen, unter Druck gesetzt werden. Freude kann man nicht einfach befehlen.

In die Ferien oder zur Kur schicken

Schon in seiner gewohnten Umgebung ist es für den Patienten schwer, Kontakt mit andern aufzunehmen, das Schöne zu genießen und seinen Tag aus eigener Initiative zu füllen. Gerade das aber wird bei einem Ferienaufenthalt von ihm verlangt und gerät dem Kranken zur Überforderung.

Wichtige Entscheidungen In einer Depression kann der Patient seine Lebenssituation oft nicht angetreffen messen bewerten. Er blickt ja durch die lassen „schwarze Brille“. Seine Probleme werden ihm zum Berg, und er unterschätzt seine Fähigkeiten. Entscheidungen während einer depressiven Phase werden nachher oft als falsch erkannt und bereut.

Behaupten, Für den Betreuer ist es oft schwer zu es gehe schon ertragen, dass es einem Depressiven besser von Woche zu Woche etwa gleich geht. Oft ist man dann in der Versuchung, ihn mit billigen Worten aufzumuntern. Doch gerade dann fühlt sich der Depressive nicht ernst genommen. Es ist besser, anzuerkennen, dass er noch immer durchs „dunkle Tal“ geht und ihm inmitten seiner Dunkelheit die Gegenwart Gottes zuzusprechen.

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Manche Menschen leiden unter schwersten Schuld und Versagensideen. Kein Argument kann sie davon abbringen. Jeder Versuch, das Gegenteil zu beweisen, führt zu neuen „Bestätigungen“ des Wahns. Hier gilt es, Geduld zu haben und dem Leidenden mit Überzeugung die persönliche Wertschätzung durch den Seelsorger und die Gnade Gottes zuzusprechen. Oft gebe ich meinen Patienten das Wort mit: „Auch wenn unser Gewissen uns anklagt und schuldig spricht, dürfen wir darauf vertrauen, dass Gott größer ist als unser Gewissen. Er kennt uns ganz genau.“ Dann schließe ich das Gespräch ohne weitere Diskussion ab und gebe einen neuen Gesprächstermin. Der Kranke braucht Zeit, um das Gehörte zu verdauen, auch wenn er noch viele „Wenn und Aber“ mit sich trägt.

Wahnideen anzweifeln

Zu starkes Eingehen auf Der depressive Mensch ist oft völlig gedie depressive fangen von seinen Sorgen und Ängsten. Befindlichkeit Die Gefahr ist groß, dass man sich von ihm in diese düstere Welt hineinziehen lässt und ganz vergisst, auch danach zu fragen, was er noch kann und was ihm Halt gibt. Gerade in den Psalmen finden wir den rechten Ausgleich. Immer wieder bricht das göttlichen „Dennoch“ herein in die persönliche Not des Beters und richtet seinen Blick nach oben.

Das Wort Gottes soll im Gespräch wie Salz in einer schmackhaften Speise sein. Ohne den Hinweis auf Gottes Zusagen wird Seelsorge zum faden Allerwelts Geplauder. Wo aber in der Fülle der Bibelworte der Bezug zum Alltag und zum Leiden des Depressiven fehlt, da wird sie zum versalzenen Konzentrat. Ja, sie kann sogar beitragen zum Gefühl des Kranken, dass er Gottes Wort ja gar nicht mehr aufnehmen könne und deshalb verworfen sei.

Geistliche Überforderung


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Der schwer Depressive neigt dazu, im intensiven Bibelstudium nur diejenigen Gedanken herauszulesen, die seine schwarze Sicht bestätigen. Die schönsten Verheißungen können in ihm nur noch den Gedanken wachrufen: „Für einen Sünder wie mich gilt dieses Wort nicht mehr!“ Und die Verzweiflung wächst. Deshalb rate ich schwer Depressiven bewusst, sie sollten sich nicht zu sehr in die Bibel vertiefen, sondern täglich nur einen Vers, vorzugsweise mit einer Auslegung in einem Andachtsbuch, lesen. Gottes Liebe ist nicht abhängig davon, wie viele Kapitel sie gelesen und wie viele Stunden sie im Gebet verbracht haben. Gott hält uns in seiner Hand, auch wenn uns die Kraft fehlt, uns an ihm festzuklammern.

Praktische Hilfen und Aktivierung Oftmals genügen Gespräche allein nicht. Der Seelsorger muss bereit sein, von den Höhen geistlichen Zuspruchs in die „Niederungen“ des Alltags herunterzusteigen und ganz praktische Hilfen zu vermitteln. Es gilt vielleicht, eine überforderte Hausfrau zu entlasten und einen Ferienaufenthalt für ihre Kinder zu arrangieren. Oder ein depressiver Mann muss dazu ermutigt werden, seine Vereinsaufgaben an andere abzugeben, bis er wiederhergestellt ist. Oft ist es wichtig, die Angehörigen einzuladen und mit ihnen zu besprechen, wie der oder die Kranke entlastet werden kann. Da kommt beispielsweise die Mutter einer Patientin zwei Tage in der Woche, um die Wäsche zu waschen und zu bügeln. Und der Ehemann packt etwas mehr im Haushalt an. So wird die Last auf mehrere Schultern verteilt. Auf seinem Weg zur Genesung muss der Depressive langsam wieder aktiviert werden. Arbeiten Sie mit ihm einen Tagesplan aus und ermutigen Sie ihn zu kleineren Aktivitäten. Regelmäßige Spaziergänge und etwas Sport regen den Kreislauf an und haben damit auch eine positive Auswirkung auf die Depression. Mit der Zeit beginnt der Depressive von selbst, wieder neue Aufgaben in Angriff zu

nehmen. Je mehr sich die depressive Erstarrung löst, desto freier wird er, wie früher aktiv zu sein und sich an dem zu freuen, was er erreicht hat.

Hilfe durch Medikamente Seit rund 40 Jahren verfügt die Medizin über Medikamente, die eine Depression gezielt beeinflussen können. Man nimmt an, dass sie auf die Nervenübertragungsstellen einwirken und zu einem neuen Gleichgewicht der Biochemie des Gehirns führen. Doch viele Fragen sind noch offen und bedürfen weiterer Forschung. Nicht jeder Depressive braucht unbedingt Medikamente. Bei leichteren bis mäßigen Depressionen kann man auf Medikamente verzichten, wenn die Betroffenen regelmäßig durch Gespräche begleitet werden. Bei schweren Depressionen hingegen sind die modernen Mittel eine enorme Hilfe zur Unterstützung der Gespräche mit dem Kranken. Oft werden die Patienten erst durch die Medikamente wieder soweit hergestellt, dass sie für ärztlichen und seelsorgerlichen Zuspruch offen sind. Mit den antidepressiven Medikamenten versucht der Arzt folgende Ziele zu erreichen: die Lösung innerer Nervosität und Verkrampfung die Verminderung lähmender Angstgefühle die Aufhellung der traurigen Stimmung die Wiederherstellung eines ausreichenden Schlafes die Erhöhung der Widerstandskraft gegenüber den Belastungen des Alltags die Verhinderung eines Rückfalls bei wiederkehrenden endogenen Depressionen und manisch depressiven Psychosen Persönlich bin ich davon überzeugt, dass die modernen Psychopharmaka auch für Christen eine wertvolle Hilfe zur Bewältigung der Depression sein können, wenn sie durch regelmäßige Gespräche und praktische Hilfen ergänzt werden.

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WEGE AUS DER DEPRESSION

Hilfe für den Seelsorger Die Depression eines Ratsuchenden bleibt nicht ohne Einfluss auf den Seelsorger. Er möchte dem Depressiven helfen und fühlt sich zum Teil für ihn verantwortlich. Wenn sich dann – wie so oft – kein sofortiger Erfolg einstellt, kann der Seelsorger von der Hoffnungs- und Hilflosigkeit des Ratsuchenden angesteckt werden. Die Gespräche werden zunehmend zu einer Belastung für ihn. Ich möchte deshalb am Schluss dieses Kapitels einige Hinweise geben, wie man dieser Entwicklung gegensteuern kann. 1. Behalten Sie die Fakten über die Depression im Auge! Lassen Sie sich nicht von der momentanen Hoffnungslosigkeit des Patienten mitreißen!

2. Achten Sie nicht nur beim Patienten, sondern auch bei sich selbst auf depressive Denkfehler. Stimmen Ihre Gedanken mit der Bibel und mit der Wirklichkeit überein?

7. Nehmen Sie sich genug Zeit für persönliche Gemeinschaft mit Gott und mit ihrer Familie. Pflegen Sie Kontakt mit Freunden, und gönnen Sie sich die Zeit für Hobby, Sport oder Musik. Wohl die größte Ermutigung für jeden Arzt und Seelsorger ist es, wenn er von früheren Patienten hört, wie sie ihre Depression erlebt haben. Der innere Zerbruch durch eine schwere Depression führt oft zu einer vertieften Beziehung zu Gott und zum Wiederaufbau eines auch in der Not bewährten Glaubens. Eine Frau mit einer langdauernden Depression sagte mir vor kurzem: „Ich möchte diese Zeit nicht missen. Gott hat meine alte, stolze Natur zerbrochen und meinen Blick neu auf ihn ausgerichtet. In dieser Welt habe ich nichts, auf das ich mich verlassen kann, doch er bleibt fest. Manchmal habe ich Angst vor einer neuen Phase, Angst davor, dass mir meine Glaubensgewissheit wieder verdunkelt wird. Doch ich weiß, dass Gott mitkommt, auch wenn mein Weg wieder durch ein dunkles Tal führt.“

3. Lernen Sie dem Leiden des Ratsuchenden mit einer gesunden Sachlichkeit begegnen. Akzeptieren Sie beispielsweise Tränen als Zeichen für die innere Not. Begrenzen Sie bewusst die Zeit für ein Gespräch, sonst wird es für den Kranken und für Sie selbst zur Überforderung.

4. Übernehmen Sie nicht die Verantwortung für Gedanken, Gefühle und Handlungen eines Patienten, die dieser selbst zu tragen hat. Sie können wohl Anstöße geben, aber eine Veränderung muss durch Gottes Gnade (und nach seinem Zeitplan) im Patienten vorgehen.

5. Setzen Sie sich nicht zu hohe Therapieziele. Denken Sie daran: die Begleitung depressiver Menschen braucht viel Geduld und ist mit Rückschlägen verbunden.

6. Haben Sie den Mut, Ihre eigene Hilflosigkeit einzugestehen, und besprechen Sie ihre Schwierigkeiten in der Begleitung eines depressiven Menschen mit einem anderen Seelsorger. 10

ÜBER DEN AUTOR Dr. med. Samuel Pfeifer, Studium der Medizin in Zürich sowie ergänzende Studien in Psychologie und Theologie in Kalifornien (USA). Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Chefarzt der Psychiatrischen Klinik Sonnenhalde in Riehen bei Basel. Autor mehrerer Bücher, die bisher in zehn Sprachen übersetzt wurden; bekannt durch vielfältige Artikel, Vorträge und Seminare. Sein besonderes Anliegen ist es, seelische Krankheiten allgemein verständlich zu machen und Hoffnung für Menschen zu vermitteln, die unter ihren psychischen Problemen leiden. Dabei ist für ihn das Zusammenwirken zwischen Medizin und Glaube, zwischen Arzt, Therapeut und Seelsorger von besonderer Wichtigkeit. Er ist verheiratet und hat drei Söhne.


20 JAHRE DE‘IGNIS-MAGAZIN – JUBILÄUMSAUSGABE

„Mir geht es gut. Ich habe eigentlich keine Probleme, bin gut verheiratet, habe Spaß an meinem Beruf ... Wenn nur nicht mein Übergewicht (110 kg bei 165 cm Körpergröße) wäre. Ich muss immer wieder 1-2 Tafeln Schokolade, Pralinen oder andere Süßigkeiten essen.“ Britta S., 38 Jahre

Die Un-Lust am Essen Das breite Spektrum der Essstörungen aus ärztlicher und psychotherapeutischer Praxis

Fotos: iStockphoto/thinkstockphotos.de, Fotofermer/Fotolia.com

VON DR . MED. JOHANNES STRAUSS

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n der stationären Therapie erkennt die Patientin, dass sie bisher bei Ärger, Spannung oder Stress sofort zum Essen griff, ihre Gefühle runterschluckte, bzw. „weg-aß“ und daher nicht wahrnahm. Eine Gesprächspsychotherapie bei solchen essgestörten Patienten ist kaum möglich, da sie ja keine Probleme haben, weil sie sie nicht bemerken, da sie sie wegessen. Unsere esssüchtigen Patienten hatten regelmäßig nach der stationären Therapie „mehr Probleme“ als vorher, mit denen sie dann meist in einer anschließenden ambulanten Psychotherapie lernen mussten, umzugehen. Ziel der stationären

Therapie war, dass die Patienten Zugang zu ihren bisher verdrängten, „weggegessenen“ Gefühlen bekamen. Viele Patienten mit Esssucht erkannten durch die Therapie, dass sie essen müssen, wenn sie alleine sind, wenn sie traurig und niedergeschlagen sind, wenn sie etwas nicht bekommen haben was sie wollten, wenn sie Streit im Betrieb oder zu Hause hatten, wenn sie eigentlich hätten wütend sein müssen, es sich aber nicht gestatteten. Also: Essen statt Streit, Essen, weil sie Einsamkeit nicht anders bewältigen können, Essen weil sie mit Frust nicht umgehen konnten. 11


DIE UN-LUST AM ESSEN

Essstörungen sind weit verbreitet. Wer hat heutzutage nicht ein gestörtes Essverhalten? Wer schlingt alltäglich sein Essen nicht hinunter? Wer isst nicht fast täglich Dinge, die er eigentlich nicht essen möchte, oder wenigstens nicht so viel davon? Übergewicht ist für viele zu einem (teilweise auch medizinischen) Problem geworden! Die Esssucht ist eine Zeiterscheinung und (wie die meisten Süchte) weiter am zunehmen. Esssucht muss aber nicht zwangsläufig mit Übergewicht einhergehen. Es gibt Menschen, die können essen, so viel sie wollen. Andere essen normale Mengen und nehmen massiv zu.

dern die Sucht bestimmt bei diesen Menschen das Essverhalten. Seit ca. 30 Jahren wird das Essverhalten vieler (vor allem von Frauen) von der Angst, zuzunehmen bestimmt. In unserer Überflussgesellschaft gibt es Nahrungsmittel im Überfluss. Die Industrie entwickelt seit Jahrzehnten immer mehr Produkte, die suchterzeugend sein können. (Zucker, Kakao, Fette, Gewürze, Geschmacksverstärker regen Appetit und Stoff wechsel, aber auch Suchtzentren im Gehirn an, so dass ein Aufhören schwierig wird.)

Die Esssucht ist weitest verbreitet. Der Esssucht liegen (wie jeder Sucht) persönliche Probleme zugrunde. Es gibt SuchtpersönlichÜbergewicht keiten. Andererseits hat fast hat häufig nichts mit Essjeder von uns Suchtanteile. sucht sondern mit einer unWer von uns ist in seinem Vorsicht: guten Anlage zu tun. Aus Umgang mit NahrungsmitDiäten führen häufig zu der Forschung wissen wir: teln, mit Getränken/AlkoEs gibt eine genetische Anhol, mit der Zeit (Arbeitsletztlicher Gewichtszunahme lage, in einem bestimmten sucht, Fernsehsucht, ComAlter in einer bestimmten puter-, Internetsucht, Spiel(„Jojo-Effekt“) Form (Fettverteilungsmussucht) vollständig frei und ter) dick zu werden: Mandamit wirklich zufrieden?) che werden im BauchbeMir ist wichtig, dass jereich dick, was mit einem der von uns sieht und weiß, erhöhten Risiko für Erdass auch er Suchtanteile krankungen der Herzkranzhat und dass „die Kranken“ gefäße einhergeht, andere im nicht völlig anders, sonBereich von Hüfte, Gesäß dern nur schwerer betroffen und Oberschenkeln, wieder sind. Die Grenzen zwischen andere setzen am ganzen „krank“ und „gesund“ sind Körper normal proportiofließend. Andererseits gibt niert Fett an. Mit der Anes Menschen, die eindeutig lage, dick zu werden, muss leiden, deren Alltag durch entsprechend umgegangen ihre Krankheit schwer beeinwerden mit einer lebenslanträchtigt ist, die ihrer Arbeit gen Ernährungsumstellung nicht mehr nachkommen (niedrigkalorische Vollwerkönnen: ternährung). Eine Ess-/Brechsüchtige: „Von morgens früh muss ich Vorsicht: Diäten führen häufig zu letztlicher Gewichts- ans Essen denken, kann kein Buch oder nicht mal einen zunahme („Jojo-Effekt“). Viele der massiv übergewichti- Artikel mehr lesen (medizinisch ausgedrückt: Die Patiengen Patientinnen/-ten (häufig über 100 kg) hatten durch tin leidet unter einer massiven Konzentrationsstörung), Diäten jeweils 5 kg abgenommen und im nächsten halben da ich nur noch ans Essen und den nächsten Fressanfall Jahr 10 kg wieder zugenommen. denken muss. Mein Tag besteht nur noch aus „Fressen und Kotzen“ (übliche Sprache der Ess-/Brechsüchtigen). Von Essstörung 30 Ess-/Brechanfälle pro Tag sind keine Seltenheit. Die spricht man, wenn unser Essverhalten nicht von unserem Sucht kann so weit gehen, dass die Betroffenen alles, was Hunger und unserem freien Willen geregelt wird. Nicht sie an Essbarem finden, wahllos durcheinander oder auch der Hunger, der Appetit, die Freude (Lust) am Essen (dies aus dem Abfalleimer essen (müssen). alles kennen essgestörte Patienten meist nicht mehr), sonArbeitsunfähigkeit, Arbeitsplatzverlust oder Studien-

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20 JAHRE DE‘IGNIS-MAGAZIN – JUBILÄUMSAUSGABE

Fotos: Thomas Jansa/Fotolia.com, abcmedia/Fotolia.com, Artur Shevel/Fotolia.com

abbruch, sozialer Abstieg, Schulden von mehreren tausend Euro (Nahrungsmittel müssen in oft extrem großen Mengen erworben – leider auch zum Teil gestohlen – werden) sind oft die Folgen. Therapeutische Hilfe ist in solchen Fällen dringend angezeigt.

„psychosomatisches Erbrechen“, d. h. mit der Nahrung wird auch der Druck des Elternhauses, der eigene Leistungsdruck und aller Ärger „ausgekotzt“). Kennzeichnend für bulimisch Kranke ist, dass sie im Alltagsleben überangepasst sind, es allen recht machen wollen, um irgendwie positive Aufmerksamkeit und Die Ess-/Brechsucht Liebe zu bekommen. Psychologisch gesehen steht letzt(in der medizinischen Fachsprache „Bulimie“ genannt) ist lich hinter der Krankheit häufig die Suche nach der Aneine Zeitkrankheit (im Gegensatz zur Magersucht), d. h. erkennung und Liebe vom Vater, die nicht selten in vielen sie ist in den letzten 3 – 4 Jahrzehnten eigentlich erst ent- Männerbeziehungen gesucht, aber natürlich im Sex nicht standen und weiter im Zunehmen. gefunden wird. Die Patienten haben größte Probleme, Sie ist gekennzeichnet durch wiederholte Essanfälle, ein sich als liebenswert zu sehen. Sie stehen unter einer perAufhören im Essanfall ist meist nicht mehr möglich, mit manenten Anspannung. Nur im Ess-/Brechanfall können anschließendem Erbrechen. Üblich ist eine übertriebene sie sich gehen lassen. Tragischerweise geht es den PatienBeschäftigung mit der Figur, ten jedoch nach dem Anfall dem Aussehen und mit der nicht gut: Schuldgefühle, ein Kontrolle des Körpergewichschlechtes Gewissen, SelbstOft wird alles gegessen tes. Leistungssport, Fitness, ablehnung und Selbstverurwas erreichbar ist, zum Teil Joggen werden ebenso einteilung sind die Regel, die gesetzt, um eine gute Figur die Schwierigkeit, sich als in Unmengen, zum Teil zu haben, wie Abführmittel, liebenswert zu erleben noch Tabletten zur Entwässerung verstärken. Die Patienten bedurcheinander oder auch Appetitzügler. trachten ihr Verhalten selbst Bei den meisten der Patials abstoßend, teilweise ekelenten steht der Heißhunger erregend, können ihr Verhalund das anfallsartige Essenten jedoch nicht mehr mit Müssen im Vordergrund. dem Willen steuern. Hier gibt es keinen freien Der Beginn der bulimiWillen mehr, nur noch ein schen Symptomatik kann eine rauschartiges Schlingen: der Magen-Darmerkrankung, eine Mensch ist nur noch „Einverallgemeine Übelkeit sein, wo leiben“, ein Schlingen. Der sie das erstemal erbrechen ganze Tag ist oft beherrscht müssen. Oder die Mädchen von dem Gedanken an den erfahren über Freundinnen, nächsten Anfall: Sie leben einen Bericht im Fernsehen auf den Augenblick hin, wo oder durch eine Zeitschrift sie alleine sind und ihren Essvon der Möglichkeit des proanfall starten können, kauvozierten Erbrechens. Leider fen darauf hin ein. Oft wird erfahren sie dabei nicht oder alles gegessen, was erreichbar ist, zum Teil in Unmengen, zu wenig, wie gefährlich dieses Verhalten ist und dass sehr zum Teil durcheinander: Schokolade, Hering, Spaghetti, schnell eine Sucht daraus wird. Wie nach wenigen ZigaPommes ... Diese Essanfälle werden oft orgiastisch, also retten tritt auch bei der Bulimie nach wenigen Brechanangenehm erlebt. fällen eine Gewohnheit und eine Sucht ein, die nur noch Das provozierte Erbrechen (bei vielen anfangs noch sehr schwer und mit viel Willensanstrengung (häufig auch schwierig und schmerzhaft, später eher spontan) dient nur noch mit fremder Hilfe) abgelegt werden kann. (Die meist dazu, dass der Bauch wieder leer wird (ggf. für den Rückfallquote ist hoch!). nächsten Essanfall) und keine Gewichtszunahme erfolgt. Daher: Fangen Sie bitte gar nie erst mit dem Erbrechen Bei wenigen Patienten ist auch das Erbrechen („allen an, hören Sie so bald wie möglich damit auf ! Suchen Sie Scheiß rauskotzen“) das Wesentliche, der Essanfall nur die eine Selbsthilfegruppe, einen mit der Bulimie vertrauten Ermöglichung des dann befreiend erlebten Erbrechens. Therapeuten auf. Um so häufiger die Ess-/Brechsympto(Natürlich geht es bei dieser Art von Bulimie um ein matik gelebt wird, umso stärker entwickelt sich eine Sucht 13


DIE UN-LUST AM ESSEN

mit all ihren (auch körperlichen) Folgen – und umso ist. Selbsthilfegruppen, ambulante und ggf. stationäre Psyschwieriger und länger wird die Therapie. chotherapie können den Patienten bei dem Weg aus der Da die Patienten meist sehr auf ihr Aussehen bedacht Krankheit helfen. In der Behandlung ist die Kombination sind und meist auch sehr hübsch aussehen – schließlich einer tiefenpsychologisch orientierten mit einer verhalversuchen sie mit allen Mitteln dem Ideal der Männer tensorientierten Psychotherapie angezeigt. Ein wichtiges nachzustreben – brauchen sie eine Methode, trotz Ess- Ziel der Therapie ist, dass die Betroffenen lernen, genussanfällen nicht dick zu werden. Nicht selten greifen buli- voll zu essen: „Essen mit Lust“. mische Patienten daher auch zu Abführmitteln oder Die stationäre Therapie sollte meines Erachtens nur in Schlankheitspillen, die bald zu zusätzlichen körperlichen einer Klinik stattfinden, in der es eine Spezial-Abteilung Schädigungen führen. für Essgestörte gibt, da zur Heilung ein speziell auf das Ess-/brechsüchtige Patienten stammen häufig aus Essverhalten ausgerichtetes Therapieprogramm mit mögFamilien, wo die Eltern zerstritten, oft geschieden sind. lichst täglicher Kontrolle und Besprechung des EssverDie Eltern kommen oft mit ihrem eigenen Leben (z. B. haltens und der Essproblematik notwendig ist, was eine Alkoholismus der Mutter) oder der Ehe nicht zurecht und allgemeine psychotherapeutische Klinik (z. B. mit Frühkönnen sich daher auch nicht stücksbüffet, wo sich die Essausreichend um das Kind gestörten mehrmals vollessen Die Angehörigen können den kümmern. Typisch für die können) in der Regel nicht Bulimie ist, dass die Patienten leisten kann. Betroffenen helfen, indem sie sich verantwortlich fühlen Die Ess-/Brechsucht kann Toleranz zeigen, die Betroffenen für das Wohlergehen ihrer mit Übergewicht, NormalEltern. (Hier ist die für eine gewicht oder auch Unterannehmen, aber vor allem auch gesunde Entwicklung notgewicht einhergehen. Eine wendige Familiensituation, Kombination von Ess-/ Beziehung anbieten. dass Eltern (oder zumindest Brechsucht mit Magersucht ein Elternteil) sich für das ist keine Seltenheit. Wohlergehen der Kinder Die Magersucht (in der verantwortlich fühlen und Fachsprache „Annorexia nerfür sie sorgen, auf den Kopf vosa“ genannt) ist eine völlig gestellt.) andere Erkrankung als die Bulimie. Viele Magersuchterkrankungen gehen später Chronische Schäden: zusätzlich in eine Bulimie Fast allen bulimischen Patiüber, was eine Komplizieentinnen ist gemeinsam, dass rung bedeutet. Betroffene sie ihre Essprobleme bis zu Magersüchtige sollten dies 10 Jahre lang verheimlichen. wissen, dass der Heilungsweg Häufig ist es ihnen sehr lange viel schwieriger wird, wenn nicht möglich, Hilfe anzuzur Magersucht auch noch nehmen. Es passt nicht in ihr die Ess-/Brechsucht hinzuBild, das sie meinen, zeigen zu müssen: die ideale, pflege- kommt. Am Anfang ist die Willensentscheidung oft noch leichte Tochter, die nur positiv auffallen möchte. möglich, später meist nicht mehr. Hilfe: Die Angehörigen können den Betroffenen helDie Magersucht gibt es schon seit Jahrhunderten. Die fen, indem sie Toleranz zeigen, die Betroffenen annehmen, Häufigkeit ist fast gleichbleibend. aber vor allem auch Beziehung anbieten. Die Bereitschaft, Sie ist nach den medizinischen Kriterien gekennzeichfür den anderen da zu sein, offen für ein Gespräch zu sein, net von anfänglich (meist willentlicher) Gewichtsabist wichtig. (Ratschläge – vor allem Verantwortungs- nahme über Diät oder Fasten. Diese Gewichtsabnahme abnahme oder Bevormundung sind weniger hilfreich verselbständigt sich, sodass die Magersüchtige (nur 5 % oder gar schädlich). Gespräche und das Fragen, wie wir als der Magersüchtigen sind Männer) mit der GewichtsabAngehörige der Betroffenen helfen können, holen sie aus nahme nicht mehr aufhören kann. der Einsamkeit und schaffen den Anfang einer wirklichen „Am Anfang wollte ich so schlank sein wie meine CouBeziehung, die ein wichtiger Grundstein für die Heilung sine, dann wollte ich 40 kg wiegen, dann 35 kg. Dann ging 14


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20 JAHRE DE‘IGNIS-MAGAZIN – JUBILÄUMSAUSGABE

es von alleine weiter: 33 kg, 31 kg, bis ich in die Klinik zu sich genommen. Auch wird Fleisch und Wurst meist (Innere Abteilung) gebracht wurde. Dort wurde ich mit gemieden: „Ich bin es nicht wert, dass für mich ein Tier Infusionen und Psychopharmaka auf 42 kg aufgepäppelt. geschlachtet wird“. Diese Haltung ist jedoch meist hinter Zu Hause ging das Gewicht gleich wieder runter. Bisher einer weltanschaulichen Fassade mit Argumenten für den war ich schon 4 mal zu einer solchen Behandlung in der Vegetarismus versteckt. Klinik.“ Häufig bereiten Magersüchtige mit viel Liebe für Die Magersucht ist eine lebensgefährliche Erkrankung Familienangehörige größere Speisen zu, d. h. sie meiden und kann auch zum Tode führen. Magersucht ist gekenn- den Umgang mit Nahrungsmitteln nicht. Nur dass diese zeichnet durch einen Gewichtsverlust von mehr als 15 % für andere – und nicht für sie selbst sind. unter dem Idealgewicht (bei 160 cm Körpergröße z. B. Zu der Askese, dem Selbstverzicht kommt ein hoher von 51 kg auf 43 kg und weniger). Die Patienten haben Leistungsanspruch: schulisch und sportlich: schulisch ständig Angst, dick zu werden. Sie klagen (trotz massivem gehören sie meist (über Fleiß) zu den Klassenbesten, der Untergewicht) über ihren „dicken Bauch“, der in der Regel Sport wird in den Dienst der Gewichtsabnahme gestellt eine kleine Vorwölbung des Magens nach einer kleinen und der Selbstbestätigung: Ich kann was, bin stark und Mahlzeit ist. Sie empfinden kräftig, schaffe 2 Stunden sich als dick, obwohl sie von Joggen noch mit 35 kg ... Beim klassischen Bild der allen anderen als zu mager Entsprechend fehlt meist betrachtet werden (in der jede Krankheitseinsicht: Magersucht besteht hinsichtlich Fachsprache spricht man von Die Magersucht ist u. a. des Essens eine ausgesprochene „Körperschemastörung“). auch eine Erkrankung mit Sie sind unzufrieden (selten einer AutonomieproblemaAskese, eine fast unmenschliche auch gleichgültig) mit der eitik: Es geht um die Abgrengenen äußeren Erscheinung, zung von der Mutter (wie Disziplin. mit dem Aussehen. Die übdiese lebt) und/oder vom lichen Normgewichte sehen Vater (wie dieser lebt) und sie für sich nicht als gültig an. vor allem „wie Vater und Die Patienten beschäftigen Mutter zusammen“ leben. sich ständig mit dem Kör(Es findet sich in Magerpergewicht (eine bestimmte suchtsfamilien regelmäßig Kilo-Zahl steht ihnen immer eine eheliche Beziehungsprovor Augen), mit dem Kaloblematik, die für das Krankriengehalt des Essens. Nicht heitsgeschehen wesentlich die Schmackhaftigkeit eines mit verantwortlich ist, wesEssens ist interessant, sonhalb für die Behandlung der dern allein die Kalorienzahl, Magersucht eine Familien-/ der Kaloriengehalt. Ehetherapie bei noch in der (Untypisch für MagerFamilie lebenden Patienten sucht, aber nicht so selten anmeines Erachtens absolut zutreffen ist eine Gewichtsnotwendig ist. (Leider wird abnahme trotz Zunahmewillen.) Die Regelblutung ist Familien-/Ehetherapie von den meisten Krankenkassen zumeist für lange Zeit ausgefallen. Die Betroffenen sehen nicht bezahlt!) sich nicht als krank an und lehnen eine Behandlung meist Schuldgefühle – vor allem bei den Müttern – sind die ab. Regel. Den Schuldgefühlen liegt ein fehlendes eigenstänBeim klassischen Bild der Magersucht besteht hinsicht- diges Lebensrecht der Mutter zugrunde, die eigentlich ein lich des Essens eine ausgesprochene Askese, eine fast un- gutes Vorbild für die Patienten sein sollte. Entsprechend menschliche Disziplin. Sie schaffen es (oft im Gegensatz kann die Magersucht auch als Ablehnung des Frauseins zu einem eher esssüchtigen Elternteil), anfänglich mit (Frau – wie die Mutter) verstanden werden. eisernem Willen auf Essen zu verzichten. Sie essen teilIch selbst sehe (abweichend von der gängigen Klassiweise nichts, oder nur ein Brötchen am Tag. Vor allem fikation) als Zentralproblem der Magersucht, dass die warme Speisen werden gemieden. So hatten viele unserer Betroffenen sich selbst nichts nehmen, sich selbst nichts Magersüchtigen seit Jahren keine warme Mahlzeit mehr gönnen können, ja dass sie sogar nicht mehr leben dürfen. 15


DIE UN-LUST AM ESSEN

Dieses Leiden ist den Betroffenen meist nicht bewusst, wird meist (auch von den Ärzten) nicht gesehen, ist jedoch massiv als Krankheitsproblem wirksam: Die Patienten nehmen immer weiter ab, ob sie essen oder nicht, in 5 % der Fälle bis zum Tod! In ihrer Autonomieproblematik stehen die Patienten trotz ihres sehr starken Willens ihrer Krankheit ohnmächtig gegenüber: Trotz willentlichem Essenwollen und tatsächlichem Essen erfolgt nicht selten keine Gewichtszunahme, was meines Erachtens zum Teil auf eine Aufnahmestörung des Darmes (Resorptionsstörung) zurückzuführen ist. Für Angehörige und Ärzte ist das größte Problem im Umgang mit dieser Krankheit die Ohnmacht! Viele Angehörige und Behandler umgehen dieses Problem, zwingen die Patienten zur Nahrungsaufnahme oder Gewichtszunahme, was für die Patienten eine Vergewaltigung bedeutet. Für das Krankheitsbild fast typisch ist eine fehlende Krankheitseinsicht der Betroffenen, was für die Angehörigen und für uns Mediziner extrem problematisch ist: Die Betroffenen sehen sich nicht als krank, nicht als zu dünn, verkennen den oft lebensbedrohlichen Zustand und sind daher oft wenig oder gar nicht für eine Behandlung motiviert, lehnen sie oft ab. Sie spielen für sich und andere den Schweregrad der Erkrankung herunter, täuschen sich und andere. Fast üblich sind Gewichtsmanipulationen beim Wiegen in der Klinik: vorher viel Trinken, volle Blase, voller Darm, eventuell Gewichte in der Kleidung, am, im Körper usw.. Die Magersucht ist ein schwieriges Krankheitsbild, das viele Eltern (und Behandler) in große Not bis Verzweiflung bringen kann. Appelle bringen hier nichts! Es gilt die Not der Betroffenen zu sehen, aber auch die Gefahren! Die Folgen der Magersucht sind neben der Gefahr des Todes, Konzentrationsstörungen, im chronischen Verlauf Knochenschwund (Osteoporose) mit der Gefahr von Wirbelbrüchen, weshalb bei langjähriger Magersucht (über 10 Jahre) eine Hormonbehandlung dringend angeraten ist. Im Anfangsstadium sehe ich die Hormonbehandlung als vergewaltigenden Eingriff in die Autonomie der Patienten an: Sie lehnt (unbewusst) ihr Frausein ab. Das Ausbleiben der Regel ist ein natürlicher Energiesparvorgang der Natur, in den nur bei klarer medizinischer Indikation eingegriffen werden sollte. Für die Therapie sind auch hier Selbsthilfegruppen, ambulante und ggf. stationäre Psychotherapie hilfreich und notwendig. Ich selbst halte von verhaltenstherapeutischen 16

Gewichtszunahmeprogrammen (wie sie in manchen ambulanten und vor allem stationären Therapien praktiziert werden) nichts. Sie bedeuten eine Vergewaltigung der eigentlich auf Autonomie bedachten Patienten, die in der Regel zu keinem langfristigen Erfolg führt. Natürlich müssen Gewichtsuntergrenzen mit den Patienten vereinbart werden, ab denen eine Psychotherapie nicht mehr möglich ist und eine künstliche Ernährung (in der Regel über eine Nasensonde, selten über Infusionen) erfolgen muss, notfalls – falls die Patienten keine Bereitschaft zu einer Behandlung zeigen – auch über eine Zwangseinweisung in eine psychiatrische Klinik. Wie oben beschrieben, sehe ich in der Magersucht die Unfähigkeit der Patienten wirklich zu leben (eigenständig und in Beziehung), wozu natürlich auch die Unfähigkeit gehört, das Essen zu genießen, Lust zum Essen zu haben, was jedoch meines Erachtens nur das vordergründige Problem der Patienten ist. Diese Problematik, der Unfähigkeit zu leben, sollte - am besten zusammen mit der Herkunftsfamilie – therapeutisch aufgearbeitet werden. Weitere Informationen (über Literatur, Selbsthilfegruppen, Therapieeinrichtungen) finden Sie im Internet z. B. unter: www.hungrig-online.de www.bzga-essstoerungen.de www.praevention-von-essstoerungen.de www.essprobleme.de

ÜBER DEN AUTOR Dr. med. Johannes Strauß, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Studium der evang. Theologie in Heidelberg und Tübingen. Studium der Medizin in Tübingen mit Examen und Promotion 1983 in Tübingen. Weiterbildung zum Allgemeinarzt in Tuttlingen und Pfullendorf, Naturheilverfahren und Psychotherapie im Raum Calw. 1989 bis 1993 Oberarzt in der Klinik am Korso, Bad Oeynhausen, einer Fachklinik für gestörtes Essverhalten. Danach ärztlicher Leiter einer AlkoholSuchtklinik. Von 1994 bis 2006 niedergelassen in Freudenstadt als ärztlicher Psychotherapeut, Facharzt für psychotherapeutische Medizin. Seit 1.9.2006 niedergelassen als Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Rheinstetten.


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Erfahrungsbericht einer Betroffenen mit einer Essstörung (Bulimie) Redaktion: Seit längerer Zeit behandeln wir in der de’ignisFachklinik Patientinnen (auch Männer) mit Essstörungen mit einem auf diese Problematik spezialisierten Behandlungskonzept.

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n dem folgenden Therapiebericht einer betroffenen ehemaligen Patientin unserer Fachklinik handelt es sich um eine chronifizierte (mehr als 30 Jahre verfestigte) Essstörung – Bulimie –, die ein eigenständiges Krankheitsbild darstellt. So gesehen zählt diese Erkrankung nicht zu den eigentlichen Persönlichkeitsstörungen. Bei Essstörungen ist allerdings in charakteristischer Weise besonders das Körperbild und die Körperidentität gestört; da die Beziehung zu sich selbst, die zuerst körpernah wahrgenommen wird, nicht annehmender Natur ist, kann in diesem Verständnis auch von einer Störung der Persönlichkeit oder Selbstablehnung gesprochen werden. Der Behandlungsweg ist gewöhnlich langwierig und von einem wellenförmigen Verlauf von Besserung und Rückfällen gekennzeichnet, bis eine gelungene psychosomatische Balance erreicht ist. Der Selbsterfahrungsbericht wird bewusst im O-Ton weitergegeben und spiegelt so etwas wieder vom inneren Konfliktgeschehen, der enormen seelischen Spannung bei Menschen mit einer Essstörung. Dr. med. J. Strauß, Arzt für Psychotherapeutische

Medizin, stellt dazu fest. „Kennzeichnend für bulimisch Kranke ist, dass sie im Alltagsleben überangepasst sind, es allen recht machen wollen, um irgendwie positive Aufmerksamkeit und Liebe zu bekommen. Psychologisch gesehen steht letztlich hinter der Krankheit häufig die Suche nach der Anerkennung und Liebe vom Vater, die nicht selten in vielen Männerbeziehungen gesucht, aber natürlich im Sex nicht gefunden wird. Die Patienten haben größte Probleme, sich als liebenswert zu sehen. Sie stehen unter einer permanenten Anspannung. Nur im Ess-/Brechanfall können sie sich gehen lassen. Tragischerweise geht es den Patienten jedoch nach dem Anfall nicht gut: Schuldgefühle, ein schlechtes Gewissen, Selbstablehnung und Selbstverurteilung sind die Regel, die die Schwierigkeit, sich als liebenswert zu erleben noch verstärken. Die Patienten betrachten ihr Verhalten selbst als abstoßend, teilweise ekelerregend, können ihr Verhalten jedoch nicht mehr mit dem Willen steuern. Als meine Essstörung anfing, war ich gerade mal 17 Jahre alt. Ich weiß noch wie heute, wie ich mir zum ersten Mal den Finger in den Hals steckte um zu erbrechen. Da ich damals genau 87 kg auf die Waage brachte, war mir klar, ich bin viel zu „fett“. Alles an meinem Körper hasste ich. Wenn ich mich im Spiegel sah, kam mir das „große Kotzen“. Was tat ich also: Hungern! Die Gelegenheit dazu bot sich dann auch gleich an, ich hatte zum ersten Mal Notdienst. Bevor ich zum Dienst ging, 17


ERFAHRUNGSBERICHT EINER BETROFFENEN

nahm ich eine halbe Scheibe Brot zu mir, sonst nichts. Am andern Morgen ging ich schlafen, denn dann merkte ich den Hunger nicht. So ging es viele, viele Wochen, bis mein Gewicht bei 50 kg war. Jedes kg Gewicht, das ich verloren hatte, machte mich glücklich, denn dick sein wollte ich nicht mehr. Mein Essverhalten wurde immer schlimmer, aber von aufhören war nicht die Rede. Ich konnte essen und erbrechen in einem, denn damit hatte ich ja mittlerweile schon gute Erfahrung. Viele bewunderten mich, dass ich essen konnte und nicht zunahm. Was aber wirklich los war, wusste niemand, denn es gelang mir sehr gut, meine Sucht zu verheimlichen. Um meine Sucht ausleben zu können, war mein Kühlschrank immer voll. In meinem Kopf drehte sich alles nur noch ums Essen: z. B. „Wie stelle ich es an, wenn ich zum Essen eingeladen bin, dass ich erbrechen kann ohne dass es jemand merkt?“ So ging das über 30 Jahre weiter. Mal hatte ich zu viel, mal zu wenig Gewicht. Weniger war mir aber lieber, denn dann fühlte ich mich wohl. Mit meiner körperlichen Gesundheit ging es abwärts. Depressionen kamen hinzu: Dass das etwas mit meinem Essverhalten zu tun haben könnte, wollte ich nicht glauben. Dann kamen mein Rücken, der eine Versteifung brauchte, dann der Magen und der Darm, ganz besonders die Zähne mussten natürlich auch darunter leiden. Meine Kinder konnte ich nicht richtig austragen, da die Sucht auch dort ihre Spuren hinterließ. Doch zu der Zeit konnte und wollte ich mit niemand darüber reden, da ich mich dafür schämte. Die Angst wurde immer schlimmer.

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Therapeuten über mein „Geheimnis“ sprechen. Einerseits war eine Last von mir gefallen und endlich hörten die Lügen auf, andererseits aber schämte ich mich sehr dafür. 14 Tage lang musste ich Buch führen, was ich über den Tag verteilt so esse und ihm schildern, wie mein Essverhalten aussieht. Dann der große Schock: Mein Therapeut riet mir, da die Essstörung schon 30 Jahre vorliege, eine stationäre Therapie zu machen. So kam es, dass ich in die de’ignis-Fachklinik kam, deren Therapie auf dem christlichen Glauben aufbaut. Ich ging dorthin, und meinte, wenn ich mich dort an den Tisch setze, ist mein Problem gelöst. Doch dem war nicht so, für mich begann ein hartes Stück Arbeit. Ich vergoss viele Tränen und große Wut wegen vieler erlittener Demütigungen kam in mir hoch. Doch ich konnte schließlich vergeben und mich auch von meinen Irrwegen „reinwaschen“ lassen. Mein Leben in die Freiheit hatte begonnen. In der Klinik – in der Essgruppe und Kochgruppe – durfte ich lernen, dass man das Essen langsam zu sich nimmt, wie es schmeckt, was ich esse, wie meine Tätigkeit vor dem Essen war und was für Gefühle ich nach dem Essen hatte. All das kannte und konnte ich nicht. Es fiel mir sehr schwer, da ich es wirklich nicht konnte. Durch die vielen Jahre der Fressattacken, sowie das Erbrechen hatte ich keinen Geschmack mehr. Heute kann ich sagen, wann ich Hunger habe, kann sagen, wie es mir schmeckt.

Vor zwei Jahren, als ich wieder einmal in eine Lebenskrise kam – die bis dahin übrigens nicht die erste war –, wollte und konnte ich nichts mehr essen. Alles was ich zu mir nahm, musste ich ungewollt wieder erbrechen, auch Flüssigkeit nahm ich nicht mehr auf. Innerhalb von 6 Wochen hatte ich 20 kg abgenommen. Nach 5 Monaten stellte dann endlich ein Gastrologe in Frankreich fest, dass ich mir aufgrund meiner Schwäche einen Parasiten eingefangen hatte. Die Ärzte in Deutschland waren bis dahin der Meinung gewesen, es sei die Psyche, die natürlich auch eine große Rolle spielte.

Es ist nicht leicht, diese Sucht in den Griff zu bekommen. Es kommt schon noch mal vor, dass ich mich erbreche, aber es sind keine 17 oder 18 Mal am Tag, sondern höchstens 1 bis 2 Mal die Woche oder 1 Mal am Tag (und dann nur, wenn ich im Stress bin). Bei 1,70 m liegt mein Gewicht jetzt bei 68 kg. Ich bin jetzt zufrieden mit mir.

Als ich bei meiner Friseurin war, riet diese mir, ich solle doch einen Therapeuten aufsuchen. Sie empfahl mir ihren, der zugleich auch Seelsorger ist. Nachdem ich ihm meine Geschichte erzählt hatte, bekam ich relativ schnell einen Termin. In mir und um mich herum befand sich eine dicke Mauer, doch allmählich lernte ich, ihm zu vertrauen, und konnte mich öffnen. In dieser Zeit las ich sehr viele Bücher, die sich alle mit dem Thema Jesus Christus beschäftigten. Mein Leben nahm eine Wendung. Ich fand einen Hauskreis, den ich einmal in der Woche besuchte, und langsam konnte ich auch während der Gespräche mit meinem

Deshalb möchte ich jedem, der unter einer Essstörung leidet – egal ob Jung oder Alt – Mut machen, sich nicht zu schämen, sondern sich jemandem mit therapeutischer Erfahrung anzuvertrauen. Mit Gottes Hilfe kann man es schaffen, seinen Körper wieder anzunehmen.

Alle Tränen, alle harte Arbeit haben sich gelohnt, denn so kam ich mit Gott in Verbindung, der mir den Weg dorthin zeigte. Ihn will ich loben und ehren, denn er hat mir das „Leben in Freiheit“ geschenkt.

Vielen Dank möchte ich dem de’ignis-Personal sagen, für alles was ich erfahren durfte und ich wünsche Ihnen, dass Sie noch vielen Menschen diese Hilfe mit Gottes Segen geben können.


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Zwangserkrankungen: Ein fehlgeleiteter Versuch, Bedrohliches abzuwehren – Ein Fallbericht VON DIPL.-PSYCH. RAINER OBERBILLIG

Im Folgenden möchte ich in einen Dialog mit einer Patientin (Vera 1) aus der de’ignis-Beratungsstelle treten, die seit Jahrzehnten an einer Zwangserkrankung gelitten hat. Sie war so freundlich, ihre Erfahrungen mit ihrer Krankheit für andere Betroffene mittels dieses Artikels weiterzugeben. Ergänzend füge ich aus der psychotherapeutischen Perspektive Erkenntnisse über Zwangsstörungen

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und deren Behandlung – auch im hier skizzierten Beispiel hinzu.

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ZWANGSERKRANKUNGEN – EIN FALLBERICHT

1. Was waren Ihre ersten Erkundungen, Hilfe zu suchen: Lektüre, welche? Vera 1: Ein richtiger Anstoß, meiner schmerzvollen Vergangenheit auf die Spur zu kommen, geschah bei einem Frühstückstreffen für Frauen mit dem Thema: „Der tägliche Kleinkrieg und die Sehnsucht nach Frieden“. Danach las ich weiterführende seelsorgerliche Literatur zu dieser Thematik, zum Beispiel: „Heilung der Gefühle“ (D. Seamands) – „Der sensible Mensch“ (S. Pfeifer) – „Wenn Zwänge das Leben beherrschen“ (R. Ruthe). Auch standen mir in dieser schwierigen Zeit zwei Freundinnen bei. Bei ihnen lernte ich Schritt für Schritt das Reden über mein belastetes und unfreies Leben. Ich suchte auch, so oft als möglich, das Gespräch mit meinen Eltern, um unsere belastete Familiensituation aufzuarbeiten; dabei, und allein in meiner Wohnung, weinte ich sehr viel. Eine ganz wichtige Station auf dem Weg zu meiner äußeren und inneren Heilung war ein Gebet um „innere Freisetzung“, das ein Seelsorger über mir sprach. Zwar ging es mit meiner seelischen Gesundheit und meiner Arbeitskraft weiter bergab, aber dennoch in die richtige Richtung. So musste ich im Sommer 2004 krankheitsbedingt meine Berufstätigkeit als Lehrerin zunächst beenden, durfte mich aber nun (endlich) in ärztliche und psychotherapeutische Behandlung begeben. Nach Beratung und Erkundigungen in der psychiatrischen Klinik „Sonnenhalde“ in Riehen/Basel (Dr. med. S. Pfeifer) und bei der Informationsstelle der de’ignisFachklinik durfte ich im Herbst 2004 eine ambulante psychotherapeutische Behandlung an der de’ignis-Beratungsstelle beginnen.« RO: Zwänge werden von den Betroffenen meist sehr spät als etwas „Krankhaftes“ oder als ein von der Norm abweichendes Verhalten erkannt, da unser soziales Leben von einer Fülle von sogenannten Alltagszwängen geprägt ist. Unter die Rubrik „zwanghaftes Verhalten im alltäglichen Sinne“ kann man z. B. Rituale „immer denselben Weg gehen“ oder „Verabschiedungszeremonien mit mehrmaligem

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Vera: der richtige Name ist der Redaktion bekannt

Händeschütteln“ zählen. Verbreitet ist die Neigung wiederholt genau zu überprüfen oder zu kontrollieren: ist die Haustür wirklich abgeschlossen, sind alle Fenster zu? Vielleicht denken wir hier auch an den verbreiteten „Sammelzwang“ in der Überzeugung „das könnte ich ja irgendwann noch mal brauchen“? Darunter fallen etwa zahllose Artikel aus Zeitschriften oder Gebrauchsgegenstände, die den beschränkten Speicherplatz in der Wohnung zum überquellen bringen können. Je stärker allerdings das zwanghafte Verhalten von dem sonst üblichen Verhalten abweicht und je mehr es den Betroffenen in seinem alltäglichen Leben behindert und einengt, um so eher wird man von einer Störung oder Erkrankung sprechen. Ist das Ritual dem Betroffenen peinlich – wie bei Vera – wird es schambehaftet verschwiegen; das Leiden kann sich jahrelang hinziehen. So „testete“ sie beispielsweise meine „christlich-seelsorgerliche Kompetenz“ mit der klaren Anfrage, ob ich die oben genannte Bücher gelesen habe oder zumindest die Autoren bekannt seien. Indem ich dies bejahen konnte, war zunächst ein religiös vermittelter Vertrauensraum geschaffen.«

2. Wie kamen Sie auf den Gedanken, dass es sich um eine Krankheit handeln könnte und nicht um eine charakterliche Fehlentwicklung? Vera: Dass ich sehr krank war, das wusste ich schon lange: Ich fühlte, dass ich anders war als die anderen Menschen. Gesunde Menschen waren freier, lockerer, schneller … Ich fühlte mich überfordert, krank, unglücklich … Die Symptome waren sehr belastend. Immer weniger war ich in der Lage, meinen beruflichen und privaten Anforderungen gerecht zu werden.« RO: Ängste und Zwänge werden anfangs als eine Art „persönlichen Aberglauben“ betrachtet: „Ich bekomme mehr Schutz vor Verunreinigung – kann unangenehme Berührungen abstreifen, wenn ich die Hände genau fünf mal wasche nach vorgeschriebenem Muster.“ Wenn massives Leiden an Ängsten und Zwängen einsetzt – wenn ein


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Patient sein Verhalten als unsinnig empfindet, sich aber nicht dagegen wehren kann – sobald die Ausführung der Zwangsrituale erheblich zeitaufwändig wird … dann ist der Verdacht einer Zwangserkrankung nahe liegend. Wenn gedankliche Zwangsimpulse für die Person erschreckend „einschießen“ oder sich dem Bewusstsein „mit Vehemenz“ ungewollt „aufdrängen“, ist die Person in der Regel über sich selbst erschreckt: „Typischerweise nehmen die Zwangsgedanken inhaltlich eine außerordentlich extreme Form an. Es geht nicht darum, ob ich ein Sünder bin, sondern ob ich ein solch verrottetes und abgrundschlechtes Wesen bin, dass ich unwiederbringlich der Verdammnis verfallen werde.“ 2 Die Häufigkeit von Zwangserkrankungen wird in der Regel unterschätzt, sodass die Einschätzung des Abnormen eher einer persönlichen (Fehl-)Veranlagung zugeschrieben wird; dabei erkrankt 1 – 2 % der Bevölkerung in der BRD statistisch im Verlauf ihres Lebens. Als geschlechtsspezifische Unterschiede kann man beobachten, dass Männer gehäuft Kontrollzwänge, Frauen im Vergleich gehäuft Reinigungszwänge entwickeln.«

3. In welchem(r) Lebensabschnitt/familiären Konfliktsituation traten zum ersten Mal Zwangsimpulse auf? Wie muss man sich das Zwanghafte vorstellen? Vera: Nachdem ich zwischen dem 15. und 17. Lebensjahr einige Zeit an einem Waschzwang der Hände litt, verlagerten sich die Zwänge in späteren Jahren auf die Gedanken. Ganz schreckliche Gedanken quälten mich Tag und Nacht, „drehten sich im Kreis“ und ließen mir keine Ruhe. Da ich in einer sehr strengen religiösen Erziehung gelernt hatte, dass man solche schlimmen Gedanken nicht haben darf, fühlte ich mich immer schuldig. Ich versuchte die Gedanken „gutzumachen“, zu neutralisieren, bat Gott um Vergebung, aber sofort tauchten weitere schlimme Gedanken auf. Oft war mein Kopf so „voll“, dass ich das Gefühl hatte, dass er bald platzen würde. Natürlich brauchten diese Vorgänge viel Zeit, sie störten meinen Arbeitsablauf, und meine Konzentration litt erheblich darunter.« RO: Die verschiedenen Gesichter der Zwangsstörung müssen beachtet werden und das Gemeinsame in dem Bemühen, das Bedrohliche zu „bannen“. Was Zwänge allgemein charakterisiert ist: Ein Gefühl „erzwingen“ wollen, dass wirklich alles in Ordnung ist – ein ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis bei allen Zwangskranken – „abergläubische“ Elemente im Verständnis der Handlungskompetenz bis zu „magischen“ Vorstellungen im Weltbild.«

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Zu unterscheiden wären: Berührungsvermeidungszwänge (Reinigungs- und Waschzwänge): „Bei dieser Gruppe von Störungen handelt es sich um Zustände, bei denen der potentielle oder effektiv erfolgte Kontakt, meist in Form einer Berührung mit bestimmten Substanzen als Inbegriff des Übels erlebt wird … Das Gefühl, dass Ekliges an Dingen, aber vor allem auch an unserem Körper und besonders an den Händen kleben bleibt, bietet Nahrung für die „Gesetzmäßigkeiten“ zwanghaften Denkens: Die „Ekelmaterie“ ist durch Berührung endlos übertragbar und verliert auch in „endloser Verdünnung“ nicht ihr Ekelpotential. Damit werden auch die für den Zwangskranken „naturgegebenen“ Mittel deutlich, die geeignet sind, um Ekliges zu eliminieren. Es sind Waschen und Wischen.“ 3 Kommentar: Vera „ekelte“ sich in der Adoleszenz – in dieser Phase der Zwangserkrankung – vor Verunreinigung. Anlass waren vermutlich die überhöhten religiösen Anforderungen in moralisch-ethischer Hinsicht. „Du sollst aufs Wort folgen!“ Diese wurden vor allem durch den streng religiös gesetzlich orientierten Vater vermittelt. Möglicherweise waren auch Vorstellungen von „Stellvertretertum“ für die „unreinen Eltern“ (ungelöste Partnerkonflikte) mit gegenwärtig bei der Entwicklung des Waschzwangs, im Sinne von „Sünde abwaschen“.

Kontrollzwänge Im Hintergrund können Ängste stehen, durch Unachtsamkeit und Versäumnisse eine Katastrophe auszulösen. Kontrollen sind nun für jede Handlung unabdingbar; sie werden in unserem Gehirn quasi automatisch vollzogen als „Qualitätsprüfung“ mittels eines „Fehlernachweis-

Nicolaus Hoffmann/Birgit Hofmann (2004): Expositionen bei Ängsten und Zwängen. Praxishandbuch. Beltz Verlag, PVU. S. 194 Hoffmann/Hofmann (2004) S. 152/156

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ZWANGSERKRANKUNGEN – EIN FALLBERICHT

reglers“. Zwangserkrankte Menschen erweisen sich allerdings als unfähig, nach einer Kontrolle Halt zu machen, sie zu beenden und sich davon abzulösen. Sie fühlen sich gezwungen, jeweils noch „etwas“ hinzuzufügen …. Die Handlungen sind diffus und unorganisiert oder aber starr unflexibel. Vor allem mangelt es an Beendigungskriterien.“ 4 Das Gefühl bleibt: „Es war unvollständig, irgendwas fehlt noch“. Beim Abschließen einer Tür bleibt das Gefühl „zu“ in der Wahrnehmung aus. Nichts wird als abgeschlossen erlebt, das „Unvollständigkeitsgefühl“ bleibt. Angehörige werden darum oft in das System der Kontrolle einbezogen. Auch Wiederhol- und Zählzwänge (gedanklich und/ oder als Verhalten nach außen sichtbar) können darunter eingeordnet werden – in gewissem Sinne ist auch die Zwanghafte Langsamkeit einer Person Ausdruck eines Kontrollzwangs.

Zwanghaftes Sammeln und Horten Meist handelt es sich hier um Gegenstände, die angeschafft und aufbewahrt werden, die in den Augen anderer eher als geringwertig gelten. Die Wohnräume tendieren dazu, so voll gestopft zu sein über die Zeit, dass sie für ihren jeweiligen Zweck nicht mehr brauchbar sind. Es besteht eine übermäßige emotionale Beziehung zu vielen gehorteten Gegenständen, sodass ihnen gleichsam eine Seele zugeschrieben wird: Die Lieblingstasse könnte „weinen“, wenn sie „lieblos“ weggeworfen würde. Die Betroffenen wenden sich nach ihrem Selbstbild oft gegen die „allgemein herrschende Verschwendungssucht“, sie fühlen sich ggf. als Bewahrer von Werten oder vergangener Traditionen.

Zwangsgedanken ohne Zwangshandlungen Alle Zwangsgedanken betreffen die eigene Person, die möglichen negativen Auswirkungen eigener Handlungen oder Einstellungen. Sie tauchen oft im Bewusstsein als Fragen auf: „Könnte es sein, dass ich die Dinge beim Arzt nicht richtig dargestellt habe und er jetzt einen falschen Eindruck von mir bekommen hat? Hat er mich deshalb krank geschrieben und bekommt auch noch Probleme mit der Krankenkasse?“ Bei gewaltvollen gedanklichen Vorstellungen („Ich könnte meinen Partner mit dem Küchenmesser angreifen“) ist die größte Angst sicher die, jemanden durch Ausführen der Gedanken zu schädigen („Bin ich nicht dazu fähig, so was zu tun?“). Auch „magische Beeinflussungsideen“. („Er merkt das bestimmt, was mit mir los ist und könnte einen Herzinfarkt bekommen“) können panische Ängste auslösen. Kommentar: Die von Vera beschriebene innere Qual und

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Hoffmann/Hofmann S. 130 Hoffmann/Hofmann S. 110

der religiöse Wiedergutmachungsversuch – Bitte an Gott um Vergebung – gibt uns einen wichtigen Hinweis auf die zwei Anteile eines Zwangssystems: Die Bedrohungsseite und die Abwehrseite. „Auf der einen Seite treten neben Fragen, Gedanken und Erwartungen auch Gefühle auf, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass der Betroffene sich bedroht fühlt“ … Auf der anderen Seite liefert ihm die Erkrankung aber auch gleich die „Mittel“ mit, die angewandt werden „müssen“, damit das Bedrohliche erst gar nicht eintritt oder in seinen Auswirkungen neutralisiert werden kann … Bestimmte Situationen und Anlässe werden vermieden, weil angenommen wird, dass dort die befürchteten Momente mit hoher Wahrscheinlichkeit auftreten könnten. Andererseits verfügt der Zwangskranke aber zusätzlich über zahlreiche Maßnahmen, die eine aktive Abwehr, d. h. Bannung oder Eliminierung der Bedrohung versprechen … Sie bestehen aus Reaktionen, die auf einer symbolischen Ebene zu der Bedrohung „passen“. So wird z. B. Unreines abgewaschen oder die negativen Auswirkungen von „bösen“ Gedanken werden durch „positive“ Gegengedanken neutralisiert.“ 5

4. Wie haben Sie das Jahrzehntelange „Zwangsgefängnis/Gefängnis von Vorschriften“ erlebt? Inwiefern war die Zwangsstörung bei Ihnen mit der Religiosität verknüpft? Vera: Vorschriften einhalten, ja das war für mich auch ganz wichtig, hatte ich in meiner strengen religiösen Erziehung doch so viele Gesetze und Regeln gelernt. Die galt es nun alle einzuhalten! Wehe, wenn ich es nicht tat! Dann bestrafte mich mein Gewissen so sehr, dass ich erneut unter den schrecklichen Zwängen litt. Und Gott – ja, er war auch nicht mit mir zufrieden, und er half mir nicht mehr, er bestrafte mich jetzt auch. Und schämen – ja, schämen musste ich mich auch so sehr. Wenn das jemand wüsste, was in meinem Kopf vorgeht!


20 JAHRE DE‘IGNIS-MAGAZIN – JUBILÄUMSAUSGABE

„Der Zwangsgedanke ist immer so angelegt, dass das, was einem das Heiligste und Teuerste ist, durch eigenes Versagen verletzt oder vernichtet zu werden droht.“

Natürlich konnte ich es niemandem sagen. So lebte ich Jahrzehnte lang in einem äußeren und inneren Gefängnis. Die Angst war mein ständiger Begleiter. Ich hatte Angst, im Beruf zu versagen, dass ich durchdrehe, dass ich etwas ganz schlimmes mache, dass ich die Kontrolle über mich verliere, dass ich nicht in den Himmel komme. Oft ergriffen mich auch Gedanken, dass ich meinem Leben ein Ende setze. Was war mein Leben noch wert in solch einem Gefängnis? Ich hätte gerne neue Aufbrüche gewagt: meinen Arbeitsplatz (Schule) wechseln – eventuell den Wohnort wechseln – heiraten, ja, das war immer schon mein Wunsch gewesen, aber all das ging nicht, es wäre mit zu vielen Risiken verbunden gewesen. So musste ich dort bleiben, wo ich war, immer weiter, immer länger. Diese Wegstrecke schien kein Ende zu nehmen, da war kein Land in Sicht. Ich musste weiter in einem Gefängnis aus Zwängen, religiösem Leistungsdruck, Ängsten und Vorschriften bleiben.« RO: Wie Vera so treffend beschreibt hat die Welt, in der Zwangskranke leben, jede Harmlosigkeit verloren: „Angst einflößendes, Widerwärtiges, Gefährliches und Unheimliches kann in jeder Lebenssituation plötzlich auftauchen und das Bewusstsein überschwemmen“ … Dadurch verändert sich auch radikal das „In-der-Welt-Sein“. Es gibt kaum noch längere Momente der Ruhe oder der friedvollen Gelassenheit. Zwangskranke sind in einem permanenten Zustand der Alarmbereitschaft, immer auf das Schlimmste gefasst.“ 6 Die in Zwangssystemen dafür vorgesehenen Abwehrmaßnahmen nutzen sich in der Wiederholung ab, die Abwehrsysteme und/oder Neutralisierungsversuche „müssen“ umfangreicher gestaltet werden. So war Vera nach dem Schulunterricht an den Nachmittagen immer zeitintensiver beschäftigt, die „bösen“ Gedanken vom Vormittag zu bannen durch z. B. „stundenlanges“ Gebet um Vergebung („Sündenbekenntnis Ritual“), ohne indes wirklichen „Inneren Frieden“ zu finden, dass jetzt alles in der Beziehung zu Gott bereinigt wäre.

Das bereits vor der Erkrankung eher strenge leistungsorientierte Gottesbild mit „hypertrophierter“ Gewissensfunktion nahm nun beinahe „sadistisch kalte“ Züge an; die Religiosität der Patientin wurde ihr neben der immer noch haltenden Funktion andererseits mehr und mehr zur Last. Die Phänomene der Zwangsgedanken werden in ihrer Bedeutung für eine sehr gewissenhafte, in ihrer christlichen Religiosität am Gutsein und Gutes tun orientierte Person (wie Vera) verständlich, wenn wir allgemein Inhalte solcher Gedanken betrachten.«

Es gibt nur ganz wenige fundamentale Ideen, die sich in Zwangsgedanken niederschlagen: 7 • Gedanken an Gotteslästerung und andere „Sünden“ wie Suizid • Gedanken, die eigenes Versagen und schwere eigene Vergehen betreffen • Scham über die eigene Person • Scham über den eigenen Körper … • Zwanghafte Gedanken an eigene Erkrankungen, auch die möglichen Folgen von Verschmutzung und Kontamination betreffend

Ganz typisch für Zwangsgedanken ist auch, dass sie inhaltlich eine außerordentlich extreme Form annehmen: 8 „Der Zwangsgedanke ist immer so angelegt, dass das, was einem das Heiligste und Teuerste ist, durch eigenes Versagen verletzt oder vernichtet zu werden droht.“ Kommentar: Im Fall von Vera fiel ihr Blick beispielsweise auf die Seifenschale im Badezimmer, der Gedanke „Seifengott“ bedrängte sie unvermittelt und ängstigte sie in Richtung einer möglichen religiösen Gotteslästerung. Oder sie befand sich unter Menschen und wurde von dem plötzlichen Gedanken „Stell dir alle Menschen nackt vor“ beschämt. Zu ganz besonderen Selbstzweifeln an ihrer moralischen Integrität trugen aggressiv-sexuelle

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ZWANGSERKRANKUNGEN – EIN FALLBERICHT

gedankliche Intrusionen (= Eindringen/ Bedrängungen/Einschießungen) mit perversem Inhalt bei. So wurde sie etwa während einer gottesdienstlichen Veranstaltung von dem Gedanken „überfallen“ „Schneide den Penis des Predigers ab“. Man kann sich dieses Gefängnis von Scham und Selbstzweifel bei den Betroffenen vorstellen!

5. Wie haben Sie die „Neutralisierungsversuche“ durchlebt/durchlitten – auch während der Berufstätigkeit/Unterricht? Vera: Auch bei Begegnungen mit Menschen war ich sehr verkrampft. Am meisten fürchtete ich die Frage: „Wie geht es dir/ihnen?“ Wie gerne hätte ich auf diese Frage ehrlich geantwortet. Aber dies ging nicht. Ich konnte doch niemandem sagen, wie schlecht es mir geht, bspw. woran ich leide. Es war für mich einfach unmöglich, über meinen Zustand meinen Mitmenschen zu berichten. So war ich auch bei meinen Kollegen in der Schule und in meiner Kirchengemeinde sehr, sehr einsam. Vor der Erledigung vieler, auch einfacher Tätigkeiten hatte ich oft Angst, da ich nicht wusste, wie ich diese Aufgaben erledigen sollte. Ich wusste, es würden mich wieder so viele Gedanken plagen, dass ich sehr lange Zeit für diese Arbeiten benötigen würde. Viel zu viel Zeit! Viel Kraft und Anstrengung würde ich benötigen und anschließend wenig Freizeit haben. So schwand meine Kraft physisch und psychisch immer mehr.« RO: Über sich selbst oder familiäre Angelegenheiten offen zu sprechen war für Vera seit der elterlichen Konfliktsituation in ihrer Herkunftsfamilie mit einem Tabu belegt: Die implizite (nicht laut kommunizierte, unbewusste) „Familienregel“ lautete etwa: „Sprich nicht mit Fremden über private Dinge“. So hatte Vera in ihrer Therapie Mühe, belastende Dinge überhaupt anzusprechen; andererseits stand sie unter dem „Zwang“, alles wortgetreu und vollständig erzählen zu „müssen“. Hatte sie

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Vorkommnisse „nicht richtig“ oder in ihrem Gewissenssystem nicht wahrhaftig wiedergegeben, musste sie auch diesen „Fehler“ wieder neutralisieren. Daher benötigte sie viel Zeit, um die Geschehnisse zu überprüfen, rekonstruieren zu wollen, was abgelaufen ist, keine „Erinnerungslücken“ zu riskieren. Gelegentlich kam es in den Sitzungen – zu Beginn der Therapie die Regel – zu Vergewisserungsreaktionen, ob sie „alles richtig“ dargestellt hätte in der vorangegangenen Gesprächseinheit. Als Therapeut wurde ich so „in das Zwangssystem einzubauen“ versucht.«

6. Wie war die Art Ihrer Behandlung? Was hat Ihnen am meisten geholfen in der Behandlung (allgemein)? Vera: Gott fügte es nun so gut für mich, dass ich sowohl in meiner ambulanten Behandlung, als auch in der teilstationären/ambulanten medizinischen Rehabilitation in sehr gute Hände kam. Insgesamt benötigte ich eineinhalb Jahre, um wieder dienstfähig zu werden. Meine Behandlungszeit gliederte sich in zwei Abschnitte: Ein Jahr lang ambulante Psychotherapie (Verhaltenstherapie), ergänzt von regelmäßigen Terminen bei meinem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie. Ab Januar 2005 war ich bereit, zur Unterstützung auch Psychopharmaka einzunehmen. Im zweiten Abschnitt der Behandlung (insgesamt fünf Monate) nahm ich an einer Tagesklinischen Behandlung im Gesundheitszentrum der de’ignis-Fachklinik teil. Ab Ende März 2006 wurde ich schrittweise wieder in den Beruf eingegliedert. Diese eineinhalb Jahre intensive Behandlung- und Genesungszeit waren für mich die bisher schönsten Jahre in meinem Leben: Endlich ging es um mich, endlich wurde ich ernst genommen, war bei Fachleuten, die mich verstanden und mir helfen konnten. In der medizinischen Rehabilitation war ich unter „gleich gesinnten“ Menschen, wir verstanden uns, es sind Freundschaften entstanden. Ich konnte mich fallen lassen, musste nichts


20 JAHRE DE‘IGNIS-MAGAZIN – JUBILÄUMSAUSGABE

leisten, brauchte mich nicht mehr zu verstecken. Langsam aber sicher durfte ich wieder Fuß fassen, sah wieder „Licht am Ende des Tunnels“. Obwohl die Krankheit noch nicht ganz besiegt ist, habe ich jetzt wieder viel Freude am Leben, freue mich auf jeden neuen Tag, nehme gerne wieder Herausforderungen an und kann jetzt das Leben auch genießen. Meinen Eltern habe ich vergeben, so dass auch hier Beziehungen heil werden durften. Ja, ich durfte genesen, heil werden an Leib, Seele und Geist! Ja, ich spüre Freude und Leichtigkeit in mir! Gott sei Dank für alles!« RO: Die ungeheure Erleichterung des Zwangskranken, ein „Coming-out“ gewagt zu haben und sich als krank wahrnehmen zu können, ohne sich dafür wieder selbst verurteilen zu „müssen“, wird an Veras euphorischem Beispiel deutlich. Ebenso wird spürbar, welche psycho-physischen und sozialen Belastungen die Zwangserkrankung für sie mit sich gebracht hatte bis zur erheblichen Gefährdung der Erwerbsfähigkeit. Deshalb erschien es uns angebracht, eine tagesklinische Behandlung in Kombination mit der ambulanten Therapie zu organisieren. Damit beabsichtigten wir, Vera mithilfe einer Milieu-Veränderung korrigierende Beziehungserfahrungen zu ermöglichen und psychophysische Stabilisierung hinsichtlich der zusätzlich eingetretenen depressiven Entwicklung zu erreichen. Als

eine korrigierende Erfahrung wird von psychisch Kranken die enorme Entlastung erwähnt, über die Krankheitssymptome sprechen zu können als etwas zum Leben Zugehöriges (nicht Absonderliches) und von anderen Betroffenen verstanden zu werden. Als mittelfristiges Ziel sollte natürlich die Dienstfähigkeit wiederhergestellt bzw. in der med. Rehabilitation eine diesbezügliche Wiedereingliederungsperspektive erarbeitet werden. Auch ein verhaltenstherapeutisches Expositionstraining – d. i. Aussetzung der Gefahr/Angst oder Konfrontation mit den Zwangsgedanken statt Abwehrmaßnahmen – konnte sie sich unter diesen stützenden Rahmenbedingungen vorstellen.« Kommentar: Ein Merkmal der Zwangserkrankung kann die „abergläubische“ Scheu sein, über die Rituale nicht sprechen zu sollen: Das Bedrohliche muss schließlich abgewehrt werden. So dauerte es mindestens 20 Stunden der ambulanten Verhaltenstherapie, bis Vera sich in der Lage fühlte, eine Auswahlliste der Zwangsgedanken im „O-Ton“ zu erstellen. Danach sollte eine Skalierung der Zwangsgedanken vorgenommen werden nach ihrer Bedrohlichkeit für sie; zunächst „durften“ diese wieder nicht von ihr selbst ausgesprochen werden, sondern nur von mir gelesen.

Der Umgang mit den Zwangsgedanken in den Übungen und Expositionen, die wir mit Vera durchführten, lässt sich so schematisieren:

Identifizieren als bedrohliches Gedankengebilde

In seiner Bedeutung einordnen als Zwangsgedanke oder Produkt des Gehirns

„Aussteigen“ aus dem Gedanken oder die „Gangschaltung manuell betätigen“

Absicherungsverzicht oder Beendigung der Episode Aufmerksamkeitsumlenkung

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ZWANGSERKRANKUNGEN – EIN FALLBERICHT

Expositionstraining

Eine medikamentöse Unterstützung mit SSRI („Serotonin“ Wiederaufnahmehemmer) anzunehmen erforderte einiges an Überzeugungsarbeit. Hier stand unter anderem die Furcht entgegen, mit einer Medikamenteneinnahme eine Gewichtszunahme zu riskieren. Mit wachsendem Leidensdruck wurde sie schließlich bereit für die psychopharmakologische Behandlung. Entlastend wurde von Vera erlebt, die Zwangsgedanken einer „Fehlproduktion“ ihres Gehirns zuordnen zu können und in ihrer Bedeutung einzuordnen „das bin nicht ich, das ist mein Gehirn; der „wahnsinnige“ quälende Gedanke ist Ausdruck meiner Zwangskrankheit“. Jeffrey M. Schwarz 9 stellt dazu fest: „Unsere Forschungsarbeiten mit Zwangsstörungspatienten haben uns

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zu dem Ergebnis geführt, dass diese Störungen fraglos eine neuropsychiatrische Erkrankung darstellen, die von einer Funktionsstörung in den Gehirnabläufen herrührt.“ Von den Autoren wird das hilfreiche Bild einer „blockierten Gangschaltung“ verwendet, indem die automatische Kraftübertragungsanlage – Übertragungsanlage für das Denken im Nucleus Caudatus – außer Funktion ist; es wird ein schleifenförmiger Regelkreis zwischen dem „Fehlernachweisregler“ und dem „Regler für tief sitzende Ängste und Schrecken“ in den entsprechenden Hirnregionen des Orbitalen Kortex und des Gyrus Cinguli gebildet. Es kommt nicht zu einem beruhigenden Ergebnis der Prüfung; es geht nicht weiter zur nächsten Aktion im Denken und Handeln.

Jeffrey M. Schwartz (2000): Zwangshandlungen und wie man sich davon befreit. Fischer TB Verlag. S. 110


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Wahnsinniger „Tyrannosaurus Rex“ (6) • „ ... Hast du auch alles ...

... richtig gemacht...??!“

Z Zwanghafte L Lästergedanken (1) • „ Sage Gott ab ......“

PC-Präsentation auf Videoscreen

Das Expositionstraining, das die religiöse Orientierung der Patientin und deren Verquickung mit der Zwangsproblematik berücksichtigte, war folgendermaßen aufgebaut (siehe Illustration „Expositionstraining“):

Vera wurde an einem Tisch platziert, auf dem Brot und Wein als Symbol des Abendmahls sowie der 7-armige Leuchter als „Zeichen der Gegenwart Gottes“ aufgestellt waren; sie saß also im Angesicht des für sie „Heiligen“, hatte mit ihren Sinnen Anteil daran, realisierte aus Psalm 23 die von mir rezitierte Einladung Gottes: „Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde.“ In ihrem Blickfeld dahinter befand sich der Videoscreen, auf den ihre Zwangsgedanken per PCPräsentation (siehe oben) projiziert wurden, darüber ein Holzkreuz. Es sollte symbolisieren, dass ihre Zwangsgedanken Platz haben in der Erlösung durch Christus am Kreuz. Um besser aussteigen zu können aus jedem projizierten Zwangsgedanken, gab es einen Papierkorb neben ihrem Stuhl, in den sie als gedankliches Symbol ein zerrissenes Blatt Papier zum Ende jeder Episode als „Zwangsmüll“ werfen konnte. Der Aufmerksamkeitsumlenkung diente ein Igelball, den sie während des „Habituations Trainings“ in die Hand nahm. Die hier vorgestellten Poster von Zwangsgedanken entstammen der verwendeten Präsentation. Sie wurden von Vera vorgelesen und nach dem oben beschriebenen Schema bearbeitet. Dabei wurde sie ange-

Illustration: Udo Buffler, Cvijun/shutterstock.com

„Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde.“

leitet, sich zu entspannen mittels Atmung. Ebenso wurde ihre Wahrnehmung geschult für die Abnahme der inneren Unruhe und Angst mit zunehmender Dauer jeder einzelnen Exposition und Habituation an die Serie. Die gedanklichen Intrusionen wurden als allgemeine Zwangsbomben eingeteilt, die religiöse Unterabteilung bildeten die Lästergedanken. Zwangsgrübeln wurde als Zwanghaftes Gewissenssyndrom mit dem Symbol Tyrannosaurus Rex – beißender aggressiv quälender Vergewisserungszwang – chiffriert. Wir danken Vera herzlich, dass sie sich für diesen Bericht aus der Praxis bereit erklärte.

Literatur Nicolaus Hoffmann/Birgit Hofmann (2004): Expositionen bei Ängsten und Zwängen. Praxishandbuch. Beltz Verlag, PVU Jeffrey M. Schwartz (2000): Zwangshandlungen und wie man sich davon befreit. Fischer TB Verlag.

ÜBER DEN AUTOR Rainer Oberbillig ist Dipl. Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut, er ist als Supervisor für Verhaltenstherapie an der Landespsychotherapeutenkammer akkreditiert und Leitender Psychologe an der de’ignis-Fachklinik.

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BEHANDLUNG VON ANGSTSTÖRUNGEN

Neurobiologische und bewegungstherapeutische Aspekte bei der Behandlung von Angststörungen VON PROF. DR . MED. ANDREAS BROOCKS

Mögliche Ursachen von Angststörungen Im Hinblick auf die Ursache von Angststörungen werden eine Vielzahl von Faktoren diskutiert. Ausgangspunkt bildet mit großer Wahrscheinlichkeit eine ererbte oder erworbene Veranlagung für das Auftreten von Angst, die schon in der Kindheit als erhöhte Trennungsangst zum Ausdruck kommen kann (Bandelow et al 2002). Bei der Panikstörung treten die ersten Panikattacken im jungen Erwachsenenalter häufig in Zusammenhang mit Stressereignissen oder aktuellen Konflikten auf. Eine gesteigerte Wahrnehmung für körperliche Symptome und eine ängst28

lich-hypochondrische Selbstbeobachtung führen dann zur Entstehung eines psychophysiologischen Teufelskreises, der innerhalb von Sekunden zu einem Panikzustand führen kann. Die konsekutive Erwartungsangst erhöht die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten weiterer Panikattacken. Sekundär kommt es zur Vermeidung von Situationen, in denen das Auftreten einer Panikattacke als besonders problematisch empfunden wird. Das Vermeiden solcher Situationen trägt zur Chronifizierung der Erkrankung bei. Im Rahmen einer Generalisierung des Vermeidungsverhaltens ziehen sich die Patienten auch von sportlichen Aktivitäten zurück (Broocks et al 1997). Dadurch


20 JAHRE DE‘IGNIS-MAGAZIN – JUBILÄUMSAUSGABE

entwickelt sich eine deutlich reduzierte kardiopulmonale Leistungsfähigkeit, die zusammen mit der Erwartungsangst zur Entwicklung eines erhöhten Sympathikotonus beiträgt. Selbst geringfügige körperliche oder psychische Belastungen führen nun zu einer sympathikotonen Reaktion, wobei die von den Patienten als bedrohlich wahrgenommene Tachykardie im Sinne des oben geschilderten Teufelskreises in eine Panikattacke mündet.

Fotos: Eskemar/shutterstock.com, Zoonar/thinkstockphotos.de

Neurobiologische Faktoren für die Entstehung von Angststörungen Neurobiologische Befunde weisen bei der am besten untersuchten Panikstörung unter anderem auf eine Überempfindlichkeit von noradrenergen Rezeptoren im Gehirn und eine erhöhte Aktivität der „Streßachse“ (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse) hin. Außerdem findet sich eine pathologisch erhöhte Empfindlichkeit für Substanzen, die eine Stimulation zentraler serotonerger Rezeptoren bewirken (Broocks et al 2000). In den entsprechenden Experimenten reagierten Patienten mit Panikstörung/Agoraphobie auf bestimmte Substanzen bereits in einer sehr geringen Dosis, die von Gesunden kaum oder gar nicht wahrgenommen werden. Diese Auffälligkeiten könnten genetisch bedingt sein oder sich als Folge frühkindlicher Traumata oder anderer Umwelteinflüsse später entwickeln. Tierexperimentell konnte gezeigt werden, dass intensive Stressbelastungen in den

frühen Entwicklungsphasen zu einer gestörten Ausreifung des serotonergen Systems führen. Eine verminderte Verfügbarkeit von Serotonin in bestimmten Hirnarealen würde als Folge eine erhöhte Empfindlichkeit serotonerger Rezeptoren bewirken (um den vorhanden Mangel auszugleichen). Da auch nach Gabe von anderen Testsubstanzen wie Yohimbin, Coffein, CCK oder Laktat bei Patienten vermehrt Panikattacken auftraten, könnten außer dem Serotonin-System andere Neurotransmittersysteme für die neurobiologische Entstehung und Verarbeitung von Angst bedeutsam sein. Eigene klinische Beobachtungen ergaben, dass Patienten mit Panikstörung neben den typischen agoraphoben Situationen auch körperliche Belastungen aller Art vermeiden. Im Vergleich zu gesunden, untrainierten Kontrollpersonen fand sich in einer Untersuchung von Panikpatienten eine signifikant verminderte Tretleistung (Pmax) und ein signifikant niedrigerer maximaler Sauerstoff verbrauch (VO2max) (Broocks et al 1997). Eine strukturierte Befragung der Patienten ergab, dass nur drei von insgesamt 46 Patienten ein regelmäßiges Ausdauertraining bis zum Beginn der Erkrankung ausgeübt hatten. Die Unterschiede zwischen Patienten und Gesunden lassen sich damit auf einen isolierten Mangel an körperlicher Aktivität als Ursache des niedrigen Trainingszustandes zurückführen; Anhaltspunkte für Funktionsstörungen der beteiligten Organsysteme fanden sich in den genannten Untersuchungen nicht (Broocks et al 1997). 29


BEHANDLUNG VON ANGSTSTÖRUNGEN

Medikamentöse Behandlung Die therapeutische Wirksamkeit von Antidepressiva, insbesondere aus der Gruppe der sogenannten selektiven Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI) wurde in einer Vielzahl von plazebokontrollierten Studien nicht nur bei depressiven Störungen, sondern auch bei verschiedenen Angsterkrankungen bestätigt. Zur Therapie der Panikstörung existieren mittlerweile eine Vielzahl von positiven Studien zu Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin, in geringerer Anzahl auch zu Citalopram und Fluoxetin (Übersicht bei Bandelow und Broocks 2003). Im Vergleich zu den früheren trizyklischen Antidepressiva haben SSRI ein vergleichsweise günstigeres Nebenwirkungsprofil. Allerdings kommt es bei den meisten Patienten mit einer Panikstörung in den ersten 1 – 2 Wochen der Behandlung zu einer vorübergehenden Zunahme der Symptome. Dies führt häufig zum Absetzen des Medikamentes, da der Patient und eventuell auch der unerfahrene Arzt der Meinung sind, das Medikament werde „schlecht vertragen“. Dies ist unrichtig, das verstärkte Auftreten von Symptomen in den ersten Tagen der Behandlung ist im Gegenteil ein Zeichen für ein gutes Ansprechen auf das Medikament und ist durch eine entsprechende Bedarfsmedikation leicht zu überbrücken. Ein häufiger Einwand gegen eine medikamentöse Behandlung besteht in der irrigen Annahme des Patienten, er müsse nun lebenslänglich Psychopharmaka einnehmen. Medikamente würden ja „nur die Symptome unterdrücken“, die nach Absetzen zwangsläufig wieder auftreten müssten. Dabei wird übersehen, dass eine fachgerecht durchgeführte Pharmakotherapie über den rasch einsetzenden symptomreduzierenden Effekt hinaus andere Auswirkungen hat. So kann es dem Patienten gelingen, eine 30

besonders stressbelastete Phase seines Lebens ohne berufliche und private Rückschläge zu überstehen. Die durch die akute Symptomatik eingeschränkte offensive Bearbeitung von Problemen wird wieder möglich. Die Erfahrung, dass eine wirksame Behandlung der Störung möglich ist, führt dazu, dass spätere Exazerbationen der Symptomatik weniger bedrohlich und mit weniger katastrophalisierenden Gedanken erlebt wird. Eine umfangreiche klinische Studie hat nachdrücklich belegen können, dass die längerfristige Einnahme des Antidepressivums einerseits einen sehr hohen rückfallverhinderten Effekt hatte, andererseits wird deutlich, dass es im Rahmen einer einjährigen Plazeboeinnahme nur bei knapp 40 % der Patienten zu einem Wiederauftreten der Panikstörung kam (Mavissakalian and Perel 1999). In einer Befragung von 73 international anerkannten Experten für Angststörungen ergab sich, dass 55 % der Befragten initial eine medikamentöse Behandlung mit kognitiv-verhaltenstherapeutischen Sitzungen kombinierten (Uhlenhuth et al 1998). Da mit längerer Behandlungsdauer die Rückfallraten geringer werden, sollte die medikamentöse Behandlung über mindestens 12 – 18 Monate durchgeführt werden. Grundsätzlich sollte das Medikament langsam über mehrere Wochen oder Monate ausgeschlichen werden. Hierbei ist wichtig, dass der Patient beim Wiederauftreten von bestimmten Symptomen oder Befürchtungen die Möglichkeit hat, mit anderen therapeutischen Verfahren von vornherein dagegen anzugehen. Sämtliche Möglichkeiten medikamentöser Behandlungsstrategien bei verschiedenen Angststörungen sind in einem aktuell erschienenen Buch ausführlich beschrieben (Bandelow und Broocks 2003).


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Therapeutische Effekte von Ausdauertraining

Wie wirkt Ausdauertraining bei Panikstörung?

Einzelfallberichte hatten schon früher auf die Wirksamkeit von Sport bei Patienten mit Angststörungen hingewiesen. In der ersten größeren kontrollierten Studie wurden 46 Patienten mit der Diagnose einer Panikstörung und/oder Agoraphobie in randomisierter Weise einer von drei Behandlungsgruppen zugewiesen (Broocks et al 1998). Eine Gruppe nahm an einem zehnwöchigen Ausdauertrainingsprogramm (5 – 6 km Joggen, 3 – 4 mal pro Woche) teil. Die zwei anderen Gruppen wurden mit einem bewährten Medikament (Clomipramin) oder mit Plazebokapseln behandelt. Im Vergleich zur Plazebobehandlung führten sowohl Clomipramin als auch Ausdauertraining zu einer deutlichen und signifikanten Besserung der Angstsymptomatik. Der therapeutische Effekt von Clomipramin ließ sich bereits etwas früher nachweisen und war im Vergleich zum Ausdauertraining hinsichtlich einiger Skalen signifikant stärker ausgeprägt. In beiden Behandlungsgruppen kam es außerdem zu einer deutlichen Besserung depressiver Symptome. 10 von 15 Patienten in der Sportgruppe beurteilten ihren Zustand als „viel oder sehr viel gebessert“ (PGI-Skala). In der Clomipramin-Gruppe teilten ebenfalls 10 von 15 Patienten diese Einschätzung, während sich in der Plazebogruppe nur 3 von 15 Patienten „viel oder sehr viel gebessert“ sahen. Die im Rahmen der Sportbehandlung erreichte Besserung ist also nicht nur statistisch, sondern auch klinisch bedeutsam (Broocks et al 1998). Gleichzeitig zeigten die Patienten der Sportgruppe einen deutlichen Anstieg der Ausdauerleistung, die spiroergometrisch objektiviert werden konnte. Das verwendete Trainingsprogramm ist bei entsprechender Anleitung für die Mehrheit von Patienten mit Panikstörung/Agoraphobie gut zu bewältigen.

Tierexperimentelle Befunde haben gezeigt, dass eine akute motorische Aktivität zu einem erhöhten Umsatz von Serotonin in verschiedenen Gehirnarealen führt (Broocks et al 1991). Es ist daher vorstellbar, dass regelmäßiges sportliches Training zu einer Verbesserung des zentralen Serotonin-Angebotes führt und damit im Laufe von Wochen adaptive Rezeptor-Veränderungen bewirkt. Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse deuten jetzt darauf hin, dass Ausdauertraining zu einer Normalisierung derjenigen Serotonin-Rezeptoren führt, die bei Patienten mit Panikstörung eine pathologisch gesteigerte Empfindlichkeit aufweisen (Broocks et al 1999 und 2000). Im Hinblick auf den bei Panikpatienten häufig erhöhten Sympathikotonus führt regelmäßiges Ausdauertraining zu einer Abnahme der vegetativen Übererregbarkeit. Für den Patienten stellt es zudem eine aktive Bewältigungsstrategie dar: Er lernt, dass er den Symptomen nicht hilflos gegenübersteht. Das Ausmaß an wahrgenommener Kontrolle über die Symptome hat einen erheblichen Einfluss auf die Entstehung von Panikattacken. Aus verhaltenstherapeutischer Sicht könnte die Reattributierung angstbesetzter Körpersensationen einen entscheidenden therapeutischen Wirkfaktor darstellen: die Tatsache, dass parallele Wahrnehmungen bei sportlicher Aktivität und Angstzuständen auftreten, führte zu der Vermutung, dass Ausdauertraining eine Form der systematischen Desensibilisierung gegenüber Symptomen darstellen könnte, die zu Panikattacken führen. Während der Ausdauerbelastung erlebt der Patient die mit den Angstzuständen assoziierten Symptome wie Herzrasen, Schwitzen, schnelles Atmen und leichten Schwindel als völlig normale physiologische Reaktionen, die nach kurzer Zeit von selbst verschwinden. Die Notwendigkeit, die häusliche Umgebung zu verlassen und im 31


BEHANDLUNG VON ANGSTSTÖRUNGEN

Rahmen des Trainings auf eine ausreichende kardiale Belastbarkeit zu vertrauen, bedeutet für einen Großteil der Angstpatienten zudem eine echte Exposition. Die wissenschaftliche Evaluation verhaltenstherapeutischer Methoden hat ergeben, dass Expositionsübungen von ausreichender Dauer die Effektivität der Behandlung entscheidend mitbestimmen.

Medizinische Untersuchungen vor Beginn des Trainings Panikähnliche Zustände und Angstgefühle kommen auch bei einigen internistischen und neurologischen Erkrankungen vor wie z. B. Hyperthyreose, Hypoglykämie, Elektrolytstörungen unterschiedlicher Genese, Phäochromozytom, kardiale Arrhythmie, Angina pectoris, Myokardinfarkt, periphere oder zentrale Vestibularisstörung, Entzugssyndrome oder komplex-partiale epileptische Anfälle. Es ist zu bedenken, dass Angstsymptome zunächst ein unspezifisches Symptom darstellen, das auch bei anderen psychiatrischen Erkrankungen, z. B. bei affektiven oder schizophrenen Psychosen, vorkommen kann. Deshalb sollen vor Trainingsbeginn eine Routine-LaborUntersuchung (einschließlich Schilddrüse), ein EKG und gegebenenfalls ein EEG durchgeführt werden. Bei untrainierten Patienten über 40 Jahre wird außerdem ein Belastungs-EKG empfohlen, insbesondere wenn Gefäßrisikofaktoren vorliegen. Die Durchführung bewegungstherapeutischer Maßnahmen bei verschiedenen neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen ist in einem aktuell erschienenen Buch ausführlich beschrieben (Reimers und Broocks 2003).

Fällen harmloser und vorübergehender Natur sind. Ein intensives und regelmäßiges Ausdauertraining ist offenbar ebenso in der Lage, den Serotonin-Stoff wechsel im Gehirn zu beeinflussen und eine Abnahme ängstlicher oder depressiver Symptome zu bewirken.

Literatur 1. Broocks A., Bandelow B.: Panikstörung und Agoraphobie – Pathogenese im Überblick. In: Bandelow B. (Hrsg.): Angst- und Panikerkrankungen – Ätiologie, Diagnostik und Therapie, Unimed Verlag, Bremen, S. 24 – 29, 2003. 2. Reimers C. D., Broocks A. (Hrsg.): Neurologie, Psychiatrie und Sport. Thieme-Verlag, Stuttgart – New York, 226 Seiten, 2003. 3. Bandelow B., Broocks A.: Panikstörung und Agoraphobie – Medikamentöse Behandlung. In: Bandelow B. (Hrsg.): Angst- und Panikerkrankungen, Unimed-Verlag, Bremen, S. 71 – 77, 2003 4. Broocks A., Bandelow B., Pekrun G., George A., Meyer T., Bartmann U., Hillmer-Vogel U., Rüther E.: A comparison of aerobic exercise, clomipramine and placebo in the treatment of panic disorder. American Journal of Psychiatry, 155: 603 – 609, 1998. 5. Mavissakalian M. R., Perel J. M. (1999): Long-term maintanence and discontinuation of imipramine therapy in panic disorder with agoraphobia. Arch Gen Psychiatry 56: 821 – 827. 6. Uhlenhuth E. H., Balter M. B., Ban TA, Yang K (1998): International Study of Expert Judgement on Therapeutic Use of Benzodiazepines and Other Psychotherapeutic Medications: V. Treatment strategies in panic disorder, 1992 – 1997. J Clin Psychopharmacol: S. 27 – 31. 7. Broocks A., Schweiger U., Pirke K. M.: The influence of semistarvation-induced hyperactivity on hypothalamic serotonin metabolism. Physiol. Behav., 50(2): 385 – 388, 1991. 8. Broocks A., Meyer T., George A., Hillmer-Vogel U., Meyer D., Bandelow B., Hajak G., Bartmann U., Gleiter C. H., Rüther E.: Decreased neuroendocrine responses to meta-chlorophenyl-piperazine (m-CPP) but normal responses to ipsapirone in marathon runners. Neuropsychopharmacology 20: 150 – 161, 1999 9. Broocks A., Jestrabeck C., George A., Bartmann U., Bandelow B., Hajak G., Gleiter C. H., Roed I. S., Rüther E.: Increased psychobehavioral sensitivity for m-CPP and ipsapirone in patients with panic disorder. Int Clin Psychopharmacol 15: 153 – 161, 2000 10. Broocks A., Meyer T., Bandelow B., Pekrun G., George A., Bartmann U., Hillmer-Vogel U., Rüther E.: Reduced aerobic fitness and exercise avoidance in patients with panic disorder. Neuropsychobiology 36: 182 – 187, 1997. 11. Bandelow B., Späth C., Tichauer G. A., Broocks A., Hajak G., Rüther E.: Early traumatic life events, parental attitudes, family history, and birth risk factors in patients with panic disorder. Comprehensive Psychiatry, 2002.

Zusammenfassung Für die Entstehung von Angsterkrankungen spielen auch neurobiologische Faktoren eine wichtige Rolle. Das Wissen um diese Zusammenhänge führt zu einer besseren Nutzung biologischer Behandlungsmöglichkeiten. Obgleich viele Patienten von psychotherapeutischen und seelsorgerlichen Interventionen großen Nutzen ziehen, leidet ein Teil der Betroffenen weiterhin unter erheblichen Symptomen, die zu sozialen und beruflichen Einschränkungen führen. In solchen Fällen wäre eine fachgerechte medikamentöse Behandlung sinnvoll. Besonders bewährt haben sich hier die sogenannten selektiven SerotoninReuptake-Inhibitoren (SSRI), die nicht zu Abhängigkeit, Sedierung oder Persönlichkeitsveränderungen führen. Voraussetzung für den erfolgreichen Beginn einer medikamentösen Therapie ist die ausführliche Aufklärung über die zu erwartenden Nebenwirkungen und der Hinweis, dass diese unerwünschten Symptome in den allermeisten 32

ÜBER DEN AUTOR Prof. Dr. Andreas Brooks geb. 1960 in Soltau, lebt mit seiner Ehefrau und den gemeinsamen fünf Kindern in Lübeck. Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie und Leitender Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Lübeck. Forschungstätigkeiten am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München sowie am National Institute of Mental Health (Bethesda, USA). Mitglied zahlreicher Fachgesellschaften und Träger verschiedener Auszeichnungen. Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Christliche Psychologie, der Arbeitsgemeinschaft „Christen im Gesundheitswesen“ und aktives Mitglied einer ev.-freikirchlichen Gemeinde.


20 JAHRE DE‘IGNIS-MAGAZIN – JUBILÄUMSAUSGABE

Angstbewältigung und christlicher Glaube VON WINFRIED HAHN

Foto: Yurii Bezrukov/123rf.com

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ngst: Jeder kennt sie, keiner will sie. Und dennoch: Jeder hat sie. Sie ist so weit verbreitet, dass sie als Grundbefindlichkeit des Menschen bezeichnet werden kann. Sie gehört anscheinend unvermeidlich zum Leben des Menschen. Für den einen mehr, für den anderen weniger. Existenzangst begleitet den Menschen von der Wiege bis zur Bahre: Angst vor dem Alleinsein, Angst, nicht akzeptiert zu werden, Angst vor inneren und äußeren Verletzungen, Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, Angst, ein Versager zu sein. Ja, letztlich steht hinter allen Ängsten die Angst vor dem Verlust der eigenen Existenz, die Angst vor dem Tod. Wie ein roter Faden zieht sie sich durch alle Lebensalter und Lebensbereiche. Typisch ist die Angst vor dem Unbekannten, dem Unerwarteten. So machen viele Menschen besonders dann, wenn Ver-

änderungen im Leben anstehen, die Erfahrung der Angst. Das kleine Kind fürchtet sich vor fremden Menschen, vor dem Neuen, das zum Beispiel beim Eintritt in den Kindergarten oder die Schule auf es zukommt. Der heranwachsende Mensch erlebt die Herausforderung, erwachsen zu werden, oft besonders bedrohlich, weil er aus dem Schutzraum der Familie mehr und mehr herauswächst und damit allein im Leben stehen muss. Das Sich-bewähren-müssen im Berufsleben, die Rolle als Ehemann und Familienvater: All das sind Verantwortlichkeiten, die Angst einflößen können. Aber auch die Angst vor dem Älterwerden ist schon bei jungen Leuten weit verbreitet. Angst, nicht mehr so schön zu sein, Falten oder Haarausfall zu bekommen, nicht mehr gebraucht zu werden, nicht mehr mitreden zu können. Mit zunehmendem Alter spielt dann die Angst vor Krankheiten eine wichtige Rolle. 33


ANGSTBEWÄLTIGUNG UND CHRISTLICHER GLAUBE

So schreibt der Psychologe Fritz Riemann in seinem Buch „Grundformen der Angst“ folgendes: „Wenn nun Angst unausweichlich zu unserem Leben gehört, will das nicht heißen, dass wir uns dauernd ihrer bewusst wären. Doch sie ist gleichsam immer gegenwärtig und kann jeden Augenblick ins Bewusstsein treten, wenn sie innen oder außen durch ein Erlebnis konstelliert wird. Wir haben dann meist die Neigung, ihr auszuweichen, sie zu vermeiden, und wir haben mancherlei Techniken und Methoden entwickelt, um sie zu verdrängen, sie zu betäuben oder zu überspielen und zu leugnen. Aber wie der Tod nicht aufhört zu existieren, wenn wir nicht an ihn denken, so auch nicht die Angst.“

oder auf freien Plätzen aufhalten. Wieder ein anderer hat Angst vor harmlosen Tieren. Die Aufzählung verschiedener Ängste ließe sich beliebig fortsetzen. Millionen von Menschen, man spricht von 15 Prozent der Bevölkerung, werden von ihr befallen. Dann ist da noch die Angst nach schlimmen Erfahrungen. Tiefe Kränkungen, wie zum Beispiel Mobbingerfahrungen, Schockerlebnisse, wie zum Beispiel bei Vergewaltigungen oder Unfällen, erzeugen oft jahrelang anhaltende Angstzustände. Es handelt sich dabei oftmals um Zustände unbeschreiblicher Qual. Der Mensch fühlt sich ausgeliefert, entwürdigt, verletzt, preisgegeben. Dunkelheit bemächtigt sich seiner. Eine kalte Hand legt sich ihm ins Genick und drückt ihn zu Boden. Dabei können Atemnot, Beklemmungsgefühle, Schwindel, BenommenAngst auch im 21. Jahrhundert heit, Herzrasen, Zittern und Beben, Schwitzen, Übelkeit, Es scheint wohl normal zu sein, dass jeder Mensch Angst Hitzewallungen oder Kälteschauer und vieles andere hat, auch wenn er es nicht zugibt. Zu bedroht, zu zerbrech- mehr empfunden werden. lich ist das körperliche, aber auch das psychische Leben Besonders quälend ist das Empfinden, all diesem ausdes Menschen. Auch der stolze Mensch des einundzwan- geliefert zu sein, keine Chance zu haben, vielleicht sogar zigsten Jahrhunderts muss sich selbst eingestehen, die verrückt zu werden. Tiefe Kränkungen, wie zum Beispiel Angst nicht besiegt zu haben. Denn bei Vergewaltigungen oder sexuelAngst ist die psychische Reaktion auf lem Missbrauch können so starke Bedrohung. Empfindungen der Entwürdigung Gerade der moderne Mensch empund des Grauens hervorrufen, dass findet trotz aller Fortschritte eine der Mensch es in seiner Person nicht Woher komme ich? Vielzahl an Bedrohungen: Übermehr aushält und er das Gefühl beforderung im Beruf durch ständige kommt, nicht mehr er selbst zu sein Innovation und steigenden Leisund gleichsam neben sich zu stehen, Wozu lebe ich? tungsdruck, psychischer Stress durch sich wie von außerhalb beobachtet, zunehmenden Egoismus im Umgang als wäre er ein Fremder gegenüber sich miteinander, Bedrohung durch Masselbst. Zustände, bei denen der EinWohin gehe ich? senvernichtungswaffen und weltweizelne den Eindruck hat, nicht mehr ten Terrorismus. Vor allem aber das sich selbst zu sein, sich nicht mehr erRingen um die eigene Identität, weil leben, nicht mehr spüren, nicht mehr die zentralen Fragen des Lebens unkontrollieren und steuern zu können, beantwortet bleiben: erzeugen Angst und Hilflosigkeit. Woher komme ich? Wozu lebe ich? Wohin gehe ich? Auch wenn nicht jeder Ängste dieser Ausprägung und Die Sinnentleerung, das heißt der Verlust an Orientie- Intensität erlebt, so beschäftigt doch jeden denkenden rung, macht den modernen Menschen anfällig für Ängste und bewusst lebenden Menschen die Frage: Wer bin ich jeder Art. Statt Ängste zu verringern, leidet der moderne eigentlich? Warum handle ich so, wie ich es tue, was ist Mensch trotz Fortschritte in Medizin und Technik, trotz meine Identität? Nur wer eine Standortbestimmung vollaufgeklärtem und emanzipiertem Bewusstsein an einer zogen hat, nur wer die Frage nach dem Sinn und Ziel seiständigen Zunahme der Angstbereitschaft – sehr zur nen Lebens beantworten kann, hat das Stehvermögen, die Freude der Pharmaindustrie, die mit Beruhigungsmitteln Herausforderungen des Lebens so zu bewältigen, dass er und Tranquilizern riesige Gewinne einfährt. seine Angst in den Griff bekommt. Bei allen gesellschaftlichen und entwicklungspsychologischen Gegebenheiten ist Angst jedoch ein sehr persön- Hilfreiche innere Einstellungen liches und individuelles Problem. Jeder hat seine ganz persönliche Angst und ist mit ihr allein. Der eine hat Angst Um die unterschiedlichen Bedrohungen, Herausfordevor Einsamkeit. Der andere hat Angst vor Menschen oder rungen und Ängste unseres Lebens bewältigen zu können, Menschenansammlungen. Ein anderer bekommt Angst- brauchen wir die richtige innere Einstellung. Einige dieser anfälle, wenn er mit dem Lift oder einer Seilbahn fahren Einstellungen möchte ich an dieser Stelle (in Anlehnung will. Ein anderer kann sich nicht in geschlossenen Räumen an Fritz Riemann, Grundformen der Angst) kurz ausführen:

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1.

Wir brauchen ein gesundes Maß an Öffnung und Hingabebereitschaft, um mit anderen in Kommunikation, Freundschaft und Partnerschaft treten zu können.

2.

Wir brauchen andererseits auch die Fähigkeit, uns gegenüber anderen Personen abgrenzen zu können, um sich selbst nicht zu verlieren, aber nur in dem Maße, dass man sich nicht isoliert oder zum Einzelgänger und Rechthaber wird.

3.

Wir benötigen, um unser Leben meistern zu können, Zielstrebigkeit, Stetigkeit, Verlässlichkeit, Kontinuität und ein gewisses Maß an Beharrungsvermögen, um Verantwortung für uns selbst und andere Menschen übernehmen zu können.

4.

Im Gegensatz dazu steht die Notwendigkeit und Bereitschaft, das Erreichte, Gewohnte und Vertraute immer wieder loszulassen und seine Angst vor Veränderung zu überwinden. Nur wer loslassen kann, ist in der Lage, seine Existenzangst, ein Vorbote oder in uns allen schlummernden Todesangst, zu bewältigen.

Diese vier in manchen Bereichen gegensätzlichen Einstellungen, befähigen uns, Ängste unterschiedlichster Art in den Griff zu bekommen und damit umzugehen. Allerdings ist dies ein Weg, der dem Einzelnen oftmals nicht leicht fällt, vor allem, wenn sein Innerstes getrieben und von Unsicherheit erfüllt ist. Hier die Balance zu finden zwischen Hingabebereitschaft und der Fähigkeit, sich abzugrenzen, ist für den verunsicherten Menschen nicht leicht. Dasselbe gilt für den Balanceakt zwischen Zielstrebigkeit, Stetigkeit und Verantwortungsbewusstsein auf der einen Seite und andererseits die Fähigkeit, alles loszulassen, um immer wieder flexibel reagieren zu können. So bewegt sich unser Leben einerseits zwischen den Gegensätzen von Hingabebereitschaft und der Fähigkeit, sich abzugrenzen, andererseits zwischen Zielstrebigkeit und Loslassen. Auch wenn dies hohe Anforderungen an den Einzelnen, vor allem an den schwachen und ängst-

lichen Menschen stellt, so ist es dennoch möglich. Hier bietet sich Jesus als Helfer und Zufluchtsort an. Er ruft dem ängstlichen Menschen zu: „In der Welt habt ihr Angst, aber fürchtet euch nicht: Ich habe die Welt überwunden.“ Es gibt jedoch auch berechtigte Ängste, die uns wie ein Warnsignal auf Gefahren aufmerksam machen und eine wichtige Schutzfunktion haben. Andererseits gibt es quälende, überzogene und situationsunangemessene Ängste, bei deren Bewältigung uns die Bibel Wege zeigt und Jesus uns helfen will. Viele Menschen leiden unter religiösen Ängsten. Dabei spielt die Angst vor Gott eine entscheidende Rolle: Angst verdammt zu werden, weil man ein Sünder ist, und erkennt, dass man versagt hat. Diese Angst macht uns auf einen wichtigen Aspekt der göttlichen Wahrheit aufmerksam und hat durchaus ihre Berechtigung. Der natürliche Mensch ist erlösungsbedürftig und geht, auch wenn das 35


ANGSTBEWÄLTIGUNG UND CHRISTLICHER GLAUBE

heute unmodern klingt, in die ewige Verdammnis, wenn er nicht Jesus als seinen Heiland und Retter annimmt. Somit ist diese Angst für selbstgerechte Menschen ein durchaus ernstzunehmendes Alarmsignal.

Wege des Glaubens Allerdings gibt es auch dafür eine Lösung. Jesus bietet uns Vergebung für unsere Schuld an, und jeder, der an Ihn glaubt, seine Sünden bekennt und mit Ihm lebt, darf die Gewissheit haben, dass ihm alles vergeben und Gott ihm zum Vater und Jesus zum Freund geworden ist. Wenn dann noch Verdammungsängste auftreten, darf und soll der Mensch diesen in Glaubenszuversicht und Entschlossenheit entgegentreten und für sich die Erlösung in Anspruch nehmen. Hier sind wir bei einem wichtigen Punkt der Angstbewältigung. Die Botschaft der Angst lautet oftmals: Du schaffst es nicht; du hast keine Chance; alles ist sinnlos. Diese Botschaften müssen entkräftet werden. Gott ruft uns in Seinem Wort zu, dass wir mutig und entschlossen sein dürfen im Vertrauen auf Ihn. Gott ermutigt uns und verspricht uns Hilfe. Die Angst lähmt, ist bedrohlich und pessimistisch. Die Botschaft Gottes und die Botschaft der Angst sind einander entgegengesetzt. Nun geht es darum, dass die göttliche Wahrheit das Innere des Menschen erreicht und die Lügen der Angst entkräftet. Wie kann dies geschehen? Der angsterfüllte Mensch ist ja zutiefst von der Wahrheit der Angstbotschaften überzeugt: Du schaffst es nicht; du wirst niemals herauskommen; die Sache geht ganz bestimmt schief; ich mache ja immer alles falsch; der Schmerz ist zu groß; ich werde mich nie mehr freuen können; ich bin zu schwach und zu unbegabt, um leben zu können; und und und. Nun, wie gesagt, der angsterfüllte Mensch sollte die Zusagen Gottes trotz des inneren Widerspruchs ernst nehmen und sich sagen: Wenn ich in Jesus Christus eine neue Schöpfung, ein neuer Mensch geworden bin, dann gibt es einen Weg für mich. Vielleicht spüre oder erkenne ich diesen Weg noch nicht, aber er ist da und ich will lernen, ihn zu entdecken.

STETIG SEIN

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Hier geht es um die Herausforderung des Glaubens. Es ist nicht leicht, an das Licht zu glauben, wenn man es nicht sieht und nur von Dunkelheit umgeben ist. Hier ist es wichtig, den angsterfüllten Menschen behutsam zu ermutigen, er braucht Verständnis in seiner Not. Er braucht unsere ermutigende, geduldige Begleitung. Es sind zwei Gefahren, die es zu beachten gilt: Der angsterfüllte Mensch darf nicht überfordert werden, denn wenn er bei dem Versuch, seine Situation zu ändern, scheitert, ist die Verzweiflung und Resignation größer als zuvor. Dennoch muss die Herausforderung bleiben, damit der Mensch nicht in seiner Angst hängen bleibt. Niemand kommt aus seiner Angst heraus, wenn er sich ihr nicht stellt. Angst muss bewältigt werden, in kleinen Schritten und geschützter Atmosphäre. Man muss sich seiner Angst stellen, sie anschauen. Wird sie beim Anschauen übermächtig, dann besser wegschauen und sich nicht mit etwas anderem beschäftigen, aber nicht verdrängen. Zu gegebener Zeit wieder hinschauen, bis die Angst, der Schmerz, das bevorstehende Ereignis, die Angst erzeugende Situation ihren Schrecken verliert.

1.

2.

Das Ungeheuer Angst wird oftmals in Etappen besiegt. Wichtig ist, dass man dran bleibt. Hier spielt das Vertrauen eine entscheidende Rolle. Ein Mensch hat es leichter, wenn er weiß: Ich bin nicht allein, meine Familie steht hinter mir, mein Seelsorger versteht mich, mein Therapeut begleitet mich. Entscheidend ist jedoch das Wissen: Jesus geht mit mir, Er ist bei mir in der Angst, Er geht mit mir durch die Angst, ich brauche nicht zu fliehen. Oftmals übertragen sich Autoritätsängste, zum Beispiel Probleme mit dem Vater oder das Gefühl, von der Familie oder von Freunden allein gelassen worden zu sein, auf Gott: Unterdrückt der mich auch? Lässt Er mich auch im Stich? Da dürfen wir voller Hoffnung sein in dem Wissen: Gott ist anders, Er steht zu uns; Er ist unser sicherer Ort, eine Burg der Zuflucht und des Schutzes.

FLEXIBEL SEIN


NEUES

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GEWOHNTES Angst als Herausforderung Allerdings nimmt Er uns aus der Herausforderung, uns den Dingen des Lebens, auch unseren Ängsten zu stellen, nicht heraus, weil Er uns zu mündigen Menschen und Persönlichkeiten formen will. Er ersparte es dem Volk Israel nach dem Auszug aus Ägypten nicht, die Feinde selbst zu vertreiben. Dieses Volk, das nur Schläge und Unterdrückung kannte, forderte Er heraus, selbst zu kämpfen, selbst das Schwert in die Hand zu nehmen, auch wenn die Feinde übermächtig waren. So wurde aus diesem unterdrückten Sklavenvolk ein kämpfendes Volk. Er will auch uns aus der Sklavenmentalität gegenüber unseren Ängsten befreien. Und so wie Er damals dem Volk Israel auf Schritt und Tritt zeigte: Ich bin bei euch in der Nacht als Feuersäule, am Tag als Wolkensäule, ich versorge euch mit Speise mitten in der Wüste, so ruft Er heute noch jedem ängstlichen Menschen zu: Ich bin dein Trost, fürchte dich nicht vor mir, ich helfe dir in deiner Angst, vertraue mir, ich stehe dir bei, wenn es um die Bewältigung von Bedrohung und Überforderung geht. Durch die sanfte Berührung meines Geistes will ich dich heilen von deinem Schmerz. Ich will die Wunden der Kränkung, der Entwürdigung, der Respektlosigkeit gegenüber deiner Person heilen. Öffne dich mir und meinem Heiligen Geist. Aber Er fordert uns auch heraus, indem Er uns aufruft, Seinem Wort und Seinen Verheißungen zu glauben. Er möchte nicht, dass wir durch Unglauben der Resignation die Oberhand lassen. Er zeigt uns deutlich, dass Angst letztendlich Misstrauen und mangelnder Glaube ist. Aber Er verurteilt uns deswegen nicht, sondern Er erweist sich als der gute Hirte, der seinen Schafen nachgeht und sich für sie aufopfert.

Wiederherstellung der zerbrochenen Vertrauensfähigkeit So stellt Er die zerbrochene Vertrauensfähigkeit auf eine zweifache Weise wieder her. In Seiner Gnade begegnet Er uns geduldig und liebevoll durch Seinen Geist, durch Zuwendung und Trost. Durch Seinen Geist fordert Er uns auf, der Wahrheit zu glauben und die Lügen der Angst

zu entlarven und zurückzuweisen. So entwickelt sich im angsterfüllten Menschen eine neue geistliche Identität, die nach und nach auch mit dem Herzen die Worte begreift: In Christus bin ich wirklich eine neue Schöpfung. Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden. Christus in mir ist größer als alles Zerstörerische, Negative und Dunkle. Auch ich bin dazu berufen, im Leben mit Christus zu herrschen und brauche mich nicht beherrschen zu lassen. Es ist die alles überragende Botschaft: Weil Gott mich liebt, darf ich sein. Nichts kann mich scheiden von Seiner Liebe, weder Hohes, noch Tiefes, noch Mächtiges. Weil Er „Ja“ zu mir sagt, darf ich leben. Wenn diese Botschaft das Innere eines Menschen erreicht, schmilzt die Angst wie ein Eisberg oder wie Wachs in der Sonne. Die durch die Angst zerstörte Vertrauensfähigkeit wird wieder hergestellt und er wird heil im Vertrauen zu Gott.

Weiterführende Inhalte in dem Buch „Psychische Erkrankungen im Licht der Bibel“. SCM Hänssler, 2. Auflage 2009

ÜBER DEN AUTOR Winfried Hahn, ist Pastor und Pädagoge. Der Vater von zwei erwachsenen Kindern, Damaris und Daniel, war Pastor in mehreren freikirchlichen Gemeinden, studierte Pädagogik und machte eine Ausbildung zum Christlichen Therapeuten. Heute leitet er das de’ignis-Wohnheim – Haus Tabor zur außerklinischen psychiatrischen Betreuung und ist Vorsitzender der Christlichen Stiftung de’ignis-Polen. Als Pastor im übergemeindlichen Dienst und Buchautor hält er Predigten, Vorträge und Seminare im In- und Ausland.

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AMATUS SUM, ERGO SUM!

Amatus sum, ergo sum! Das Wissen um die grenzenlose Liebe Gottes als Universalschlüssel zur eigenen Identität VON THOMAS MARIA RENZ, WEIHBISCHOF

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err, ich nehme nun alles freudig an aus Deiner Hand: alle Traurigkeit, Leiden, Ängste, ja sogar den Tod. Ich bin glücklich in dieser Zelle, wo auf der vermoderten Strohmatte weiße Pilze wachsen, denn Du bist bei mir, denn Du willst, dass ich hier mit Dir lebe. Ich habe viel im Leben geredet, jetzt spreche ich nicht mehr. Jetzt magst Du zu mir sprechen, o mein Jesus. Du sprichst nicht von meinen Leiden und Ängsten. Du sprichst von Deinen Plänen und meiner Sendung. Also singe ich Deine Barmherzigkeit in meiner Dunkelheit, in meiner Schwäche, in meiner Ohnmacht. Ich nehme mein Kreuz auf die Schulter und errichte es mit meinen Händen in meinem Herzen. Dieses Gebet schrieb der vietnamesische Gefangene Franz Xaver Nguyên van Thuân am 7. Oktober 1976 in seiner Einzelzelle auf ein Kalenderblatt. Der damals 38

48-jährige katholische Bischof von Nhatrang wurde sofort nach der kommunistischen Machtübernahme 1975 verhaftet und verbrachte 13 Jahre in einem Umerziehungslager, davon 9 Jahre in Isolationshaft, die ihn zermürben sollten. Als er endlich wieder frei kam, sprach er zur Überraschung vieler nicht über seine Leidenszeit, sondern gab freudestrahlend Zeugnis von der Liebe Gottes und seiner grenzenlosen Barmherzigkeit. Das Beispiel von Nguyên van Thuân macht deutlich, dass es ein tiefes, inneres Wissen um die Liebe Gottes gibt, das auch durch die jahrelange, zermürbende Erfahrung seines Gegenteils nicht verloren gehen muss. „Wie soll ich an die Liebe Gottes glauben, wenn ich sie gar nie erfahre?“ so fragen sich wohl manche. Sie setzen allein auf das subjektiv, emotional Erfahrbare: wirklich ist für sie nur, was sie auch tatsächlich erfahren haben. Aber nicht nur das


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Erfahrbare ist real, sondern auch das Gewusste! Wissen und Erfahrung müssen keine Gegensätze sein, sondern sie können und dürfen sich gegenseitig ergänzen und stützen. Wer zum Beispiel in einer Ehe allein auf die Erfahrbarkeit der Liebe des anderen setzt, wird spätestens dann an dieser Liebe zu zweifeln beginnen, wenn deren subjektive Erfahrbarkeit einmal partiell oder dauerhaft ausfällt. Bei seiner Kreuzigung hat Jesus von der Liebe des Vaters nicht mehr viel verspürt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mt 27,46). Weil er aber am Wissen um diese Liebe des Vaters festgehalten hat, war er auch fähig zur Lebenshingabe: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“ (Lk 23,46). So wichtig es für jeden Liebenden ist, um die Liebe des Geliebten nicht nur theoretisch zu wissen, sondern sie auch immer wieder praktisch zu erfahren, so gilt dennoch: das Wissen um die Liebe ist wichtiger als ihre Erfahrung, weil das Wissen auch dann bleibt, wenn die Erfahrung einmal ausbleibt. Diese Unterscheidung ist vor allem hinsichtlich der Liebe Gottes wichtig, insofern sie für den gläubigen Menschen identitätsstiftend ist. Die Zusage Gottes, „Mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt“ ( Jer 31,3), gilt immer, grundsätzlich und ewig und sie gilt für jeden Menschen, unabhängig ob er davon etwas emotional spürt oder nicht. Das kann und darf ich wissen, auch wenn ich kaum etwas von dieser Liebe erfahre. Ich kann und darf es sogar mit Gewissheit wissen, weil der nicht lügen kann, der mir das sagt. Er kann nicht lügen, weil er die Wahrheit selbst ist! So wunderschön es ist, wenn ein Mensch die Liebe Gottes erfahren darf, so wenig ist diese Erfahrung notwendig dafür, dass er an sie glauben kann. Nachdem sich der Auferstandene vom Zweifler Thomas hat berühren lassen, sagt er zu ihm: „Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ ( Joh 20,29). Selig sind, die von der Gegenwart des liebenden Gottes nichts spüren, nichts erfahren, nichts merken – und doch an sie glauben!

Dieser Glaube an die grund-, grenzen- und bedingungslose Liebe Gottes zu uns Menschen, der erfahrungsunabhängig zum Glaubens-Wissen wird, ist für Christen identitätsstiftend. Weil der Mensch als Abbild des lebendigen Gottes erschaffen ist (vgl. Gen 1,27), spiegelt jeder Mensch etwas wider von der Fülle, Schönheit, Güte, Liebe oder Barmherzigkeit Gottes: „Wir alle spiegeln mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wider und werden so in sein eigenes Bild verwandelt, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, durch den Geist des Herrn“ (2. Kor 3,18). Das Wissen um die Gottebenbildlichkeit des Menschen ist wie ein Türschloss und das Wissen um die Liebe Gottes wie der passende Schlüssel dazu. Wer mit dem Schlüssel „Gottesliebe“ das Schloss „Gottebenbildlichkeit“ öffnet, der wird hineinfinden in seine Identität als Christ, als Kind Gottes, als von Gott Erwählter und Geliebter. Dann kann ihm dieses Wissen auch zu einer tiefen Erfahrung werden: Amatus sum, ergo sum! Ich bin geliebt, also bin ich!

ÜBER DEN AUTOR Thomas Maria Renz ist Weihbischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Renz wurde 1984 in Rom für die Diözese RottenburgStuttgart zum Priester geweiht. Am 29. April 1997 ernannte ihn Papst Johannes Paul II. zum Titularbischof von Rucuma und zum Weihbischof in Rottenburg-Stuttgart. Er war bis zu seiner Ernennung zum Weihbischof 1997 in Bad Saulgau tätig. Mit 39 Jahren war er das jüngste Mitglied der Deutschen Bischofskonferenz. Auf Grund seiner unkomplizierten Art gilt er als Bischof der Jugend. Er ist als Leiter der Hauptabteilung Jugend des Bischöflichen Ordinariats in Rottenburg Vorstand der Jugendstiftung just. Seit 2005 ist Renz Familiare im Deutschen Orden.

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VERGEBUNG

Vergebung – eine vergessene Tugend in einer Kultur der Anklage VON DR . GERHARD MAIER , LANDESBISCHOF I.R .

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nsere Zeit ist eine Zeit der Hochkonjunktur verschiedenster „Kulturen“. Weil wir keine allgemeine Kultur mehr haben, sind unzählige Einzelkulturen entstanden: „Kultur des Streitens“, „Kultur des Friedens“, „Kultur des Gesprächs“, „Kultur des Hinsehens“ usw. In unserer Zeit gibt es tatsächlich auch so etwas wie eine „Kultur der Anklage“. Meines Erachtens beginnt sie im pädagogischen Bereich. Die Erziehung hat sich jahrzehntelang auf die Rechte des Einzelnen, aber weniger auf seine Pflichten und die notwendige Solidarität der Gemeinschaft konzentriert. Ich-Stärke und oppositionelles Verhalten waren Leitsterne der Erziehung, Individualisierung und Egozentrik ihr Ergebnis. Zu den Ergebnissen zählt leider auch die Annahme eines Rechts, die Schuld zuerst bei anderen zu suchen, und sie unter Anklage stellen zu dürfen. Die Gesellschaft befindet sich auf dem Weg einer ständigen Suche nach Sündenböcken. Passiert irgendwo ein Amoklauf, geschieht irgendwo eine Überflutung oder ein Erdbeben, kommt unweigerlich die Frage: Wer, welcher Mensch und welche menschliche Institution trägt daran Schuld oder Mitschuld? Im gesellschaftlichen Bereich verfestigt sich diese „Kul-

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tur der Anklage“. Wie andere moralische Instanzen sind etwa die Kirchen unter Dauerfeuer. Ihr Recht auf die Entwicklung eigener, glaubensgemässer Ordnungen wird in Zweifel gezogen, obwohl es im Grundgesetz und in der Landesverfassung garantiert ist. Das Kruzifix, zugleich Symbol einer Jahrtausende alten Geschichte und Kultur, wird aus dem Raum der Öffentlichkeit hinausgedrängt. Das eigene Fehlverhalten der Kirchen fordert allerdings solche Reaktionen und Anklagen geradezu heraus. Eine Verfestigung der „Kultur der Anklage“ kann man auch im gesamten politischen Bereich beobachten. In der jüngeren Vergangenheit ist das am Umgang mit Thilo Sarrazin besonders anschaulich geworden. In wenigen Tagen vermischten sich berechtigte und unberechtigte Anklagen zu einem erdrückenden Konglomerat. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung fühlte sich veranlasst, die Frage nach der Meinungsfreiheit in unserem Staat zu stellen. Umso auffälliger ist das Fehlen einer „Kultur der Vergebung“. Das letzte größere Ereignis, in dem die Vergebung eine Rolle spielte, war meiner Erinnerung nach die Ermordung dreier Christen unter scheußlichen Umständen im türkischen Malatiya. Dort sprach die Frau eines der Ermordeten öffentlich aus, dass sie den Mördern vergebe.


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20 JAHRE DE‘IGNIS-MAGAZIN – JUBILÄUMSAUSGABE

Aber wo wird Vergebung im öffentlichen Leben unseres Landes ausgesprochen und praktiziert? Und wo geschieht sie unter uns im persönlichen Bereich? Insofern legt es sich nahe, von einer vergessenen Tugend zu sprechen. Der christliche Ausgangspunkt der Vergebung liegt bei der Vergebung, die Gott dem sündigen Menschen schenkt. Bei ihm allein ist die Vergebung aus reiner Liebe, ohne den Gedanken der Kompensation oder des menschlichen Verdienstes. Diese göttliche Vergebung soll unser Leben so tief verändern, dass es wieder neu beginnen kann. Zugleich hat diese göttliche Vergebung eine feste Basis, von der aus sie in unser Menschenleben hineinwirkt. Sie ist nicht nur ein punktuelles oder gar „zufälliges“ Ereignis. Die feste Basis besteht in der Erlösung, die Jesus Christus gebracht hat und die unsere Sünden wieder beseitigte: „In ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden“, sagt eine Kernstelle im Neuen Testament (Epheser 1,7). Es ist nach dem Zusammenhang des Neuen Testaments, aber auch vom Charakter der Vergebung her klar, dass sie niemandem aufgedrängt wird. Sie kann nur im Vertrauen auf Gottes Zusage gesucht und angenommen werden. Klar ist dann auch, dass in dieser christlichen Sicht die Vergebung beim Einzelnen ansetzt. Sie kann nicht einfach kollektiv ausgesprochen werden. Auch dort, wo einer ganzen Gemeinde oder einer Gruppe von Menschen Vergebung zugesprochen wird, bleibt immer noch die Frage, wie der Einzelne in der Gemeinde oder Gruppe damit umgeht. Höchst anschaulich kommt dies in der Abendmahls-Liturgie zum Ausdruck. Obwohl die ganze Gemeinde am Abendmahl teilnimmt, spricht doch jeder für sich das Schuldbekenntnis. Jeder geht für seine Person, um Brot und Wein, gleich Leib und Blut Christi zu empfangen, und jeder empfängt von diesen Elementen etwas, was keiner in der Welt jemals empfangen hat oder empfangen wird. Die Vergebung wird ferner charakterisiert durch eine besondere Gewissheit. Zitiert sei noch einmal das alte Konfirmandenbuch der Württembergischen Kirche (Nr. 54): „Durch sein Wort ruft der Heiland uns Sünder in sein Reich und schenkt uns die Vergebung. Allen Verlorenen hat er versprochen: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinaus stoßen ( Joh. 6,37). Unter Umständen kann die von Gott geschenkte Vergebung auf den gesellschaftlichen und politischen Bereich übergreifen. Zwar wird sie dadurch keine „Tugend“ im Sinn der antiken Tugendlehre, aber ein Gegenpol zu einer Kultur der Anklage, und damit zum möglichen Ansatzpunkt einer „Kultur der Vergebung“. Dabei werden einige

Punkte relevant sein: Vergebung, die eventuell einer Kultur der Vergebung entspricht, wird niemals ihren religiösen Ausgangspunkt vergessen. Sie bleibt insofern ein Ausrufezeichen im öffentlichen Leben, das uns an die Existenz Gottes erinnert und zugleich unsere Verantwortung vor Gott bewusst macht. Jeder Einzelne, der unter den gegenwärtigen Verhältnissen lebt, ist auf allen Gebieten herausgefordert, selbst Vergebung zu üben. Das macht eine ökonomisch und ökologisch, ja insgesamt rational durchdachte Handlungsweise keineswegs überflüssig. Vergebung geschieht ja gerade mitten in diesen Lebensverhältnissen und nicht außerhalb auf einem exotischen Kontinent. Derselbe Mensch, der Vergebung üben kann, muss ja ständig die Kosten seines „Turmbaus“ (seines Verhaltens) verantwortungsbewusst kalkulieren (Lukas 14,27 – 29). Dennoch muss sich der Einzelne auch immer wieder der Frage stellen: Wann habe ich das letzte Mal vergeben? Vergebung eignet sich nicht dazu, ununterbrochen ausgesprochen und „gewährt“ zu werden. Bitte keine Inflation der Vergebung! Eine letzte Erwägung: Wo man Vergebung auch in das wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Verhalten einbezieht, ist dies Ausdruck eines ganz bestimmten Menschenbildes. Hier wird dann ernst gemacht mit der Erkenntnis, dass wir alle Sünder sind. „Der gute Mensch“ als Idealbild einer Ideologie oder Weltanschauung muss hier der menschlichen Realität weichen, die sich in den Worten zusammenfassen lässt: Wir sind im höchsten Maß geliebte Menschen – nämlich von Gott geliebt – aber nach unserer Erkenntnis zugleich sündige Menschen, die auf Vergebung angewiesen sind.

ÜBER DEN AUTOR Dr. Gerhard Maier war von 2001 bis 2005 Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Er war Prälat in Ulm und Studienleiter des Albrecht-Bengel-Haus in Tübingen. Außerdem ist er ist Autor vieler wegweisender Bücher und einschlägiger theologischer Fachliteratur. Derzeit Gastprofessor an der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel und an der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Heverlee/Leuven (Belgien).

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HOLT GOTT ZURÜCK!

Holt Gott zurück! VON PETER HAHNE

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ls beim Prager „Forum 2000“ führende Persönlichkeiten aus aller Welt über Zukunftsfragen diskutierten, meinte Tschechiens damaliger Staatspräsident Václav Havel: „Zunehmende Gottlosigkeit ist mitverantwortlich für die derzeitigen globalen Krisen.“ Besonders dramatisch sei der daraus resultierende „weltweite Mangel an Verantwortung“. Die Moral wird privatisiert, gesellschaftliche Maßstäbe und allgemein verbindliche Sinnorientierungen gehen verloren. Als Resultat bleibt der Verlust sozialer Lebensqualität. Halten wir uns den Spiegel vor: Kneipen und Kinos sind voller als Kirchen. Nächstenliebe leidet an Magersucht. Minister schwören nicht zu Gott. Das Goldene Kalb ist populärer als die Zehn Gebote. Nicht Religion und Glaube, sondern Wissenschaft und Fortschritt, Konsum und Kommerz sind die stärksten Schubkräfte der Geschichte. Doch schon Goethe analysierte messerscharf:

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„Alle Epochen, in denen der Unglaube einen kümmerlichen Sieg behauptet, verschwinden vor der Nachwelt, weil sich niemand gern mit der Erkenntnis des Unfruchtbaren abquälen mag.“ Deshalb der Appell von Alexander Solschenizyn, der im Juni 1994 zur Titelschlagzeile der „Welt“ wurde: „Holt Gott zurück in die Politik!“ Der russische Dichter und Denker, Dissident und Nobelpreisträger hat die düstere Prophezeiung seines Autorenkollegen Dostojewski am eigenen Leib im eigenen Land erlebt: „Ein Volk ohne Bindung an Gott geht kaputt. Wenn Gott nicht existierte, wäre alles erlaubt.“ Wir bezahlen bitter, was der Mathematiker-Philosoph Blaise Pascal schon im 17. Jahrhundert beschrieb: „Die Mitte verlassen heißt die Menschlichkeit verlassen.“ Humanität ohne Divinität führt zur Bestialität. Die Abschaffung Gottes führt nicht ins Vakuum. „Die verlassenen Altäre werden von Dämonen bewohnt“ (Ernst Jünger). Der Thron ist leer, aber alle wollen drauf.


20 JAHRE DE‘IGNIS-MAGAZIN – JUBILÄUMSAUSGABE

Illustration: Michaela Steininger/Fotolia.com

In der schrecklichen Nazizeit hat sich der arische Wundermensch zu seinem eigenen Gott gemacht. Das Ende kennen wir. Im Mai 1936 schrieb die vorläufige Leitung der evangelischen Kirche an Hitler: „Unser Volk droht die ihm von Gott gesetzten Schranken zu zerbrechen: Es will sich selbst zum Maß aller Dinge machen. Das ist menschliche Überheblichkeit, die sich gegen Gott empört.“ Das darf sich nie wiederholen! Der katholische Religionsphilosoph Romano Guardini fragt uns im Blick auf die Wissenschaftsethik ironischbesorgt: „Wird der Mensch der Technik nachwachsen?“ Die Erkenntnis, von Novalis hat sich heute ins Gegenteil verkehrt: „Ein Schritt in der Technik erfordert drei Schritte in der Ethik.“ Wie rückschrittlich wir da heute sind, zeigt die Debatte um Lebensschutz und Bioethik. Als gäbe es weder mitmenschliche noch moralische Maßstäbe, werden die Fragen der reinen Zweckmäßigkeit geopfert. Dabei liefert gerade hier die Frage nach Gott und dem Glauben den eigentlichen Fort-Schritt der Humanität. Ein Beweis für seine gesellschaftliche Relevanz und dafür, welch hohen Preis wir für dessen Verlust bezahlen. Die wichtigste Unterscheidung, die der Glaube macht, ist nämlich die zwischen Gott und Mensch. Wenn der Glaube von Gott spricht, meint er den Schöpfer. Und damit weist er dem Menschen seinen Platz zu: als Geschöpf. Das hat fundamentale Wirkung für alle gesellschaftlichen Bezüge. Wenn der Glaube den Menschen in ein Verhältnis setzt, dann verhindert er, dass der Mensch Maß aller Dinge ist. Dass dies alles andere als theoretisches Philosophieren ist und es dabei um alles oder nichts geht, zeigt die aktuelle Diskussion um die Neudefinition des Begriffes Menschenwürde mit dem fatalen Konzept einer „abgestuften Menschenwürde“. Dabei wird der vom Grundgesetz geschützte Wert immer häufiger mit Freiheit, Handlungsfähigkeit, Bewusstsein oder Jugendlichkeit in Verbindung gebracht. Sind diese Kriterien nicht mehr erfüllt, wird schnell statt von einem menschenwürdigen Leben von einem menschenwürdigen Sterben gesprochen. Wohin das führt, erleben wir in Holland hautnah: Während wir in Deutschland noch für Patientenverfügungen werben, geben die Niederländer notariell „Lebenswunsch-Erklärungen“ ab. Bereits drei Jahre nach dem bejubelten liberalen Sterbehilfe-Gesetz haben sich die schlimmsten Befürchtungen der Konservativen dramatisch bewahrheitet: Immer mehr alte Menschen sterben durch die Hand des Arztes nicht auf eigenen, sondern ihrer Verwandten (und Erben!) Wunsch. Die Meldepflichten werden einfach ignoriert und die Kriterien der Euthanasie großzügig ausgelegt. In diesem Klima kann es nicht verwundern, wenn die ohnehin unbestimmten Begriffe „unerträgliches und aussichtsloses Leiden“ inzwi-

schen auch dazu dienen, die Tötung eines Alzheimerpatienten im Frühstadium(!) der Krankheit zu rechtfertigen. So makaber es klingt: In Holland ist man seines Lebens nicht mehr sicher. Und das gilt für jede Gesetzgebung, die den Menschen zum Maß aller Dinge macht. Holt Gott zurück in die Politik – das heißt dann: Holt das Maß zurück. Den Maßstab, an dem sich alles messen lassen muss. Denn wenn Gott weichen muss und der Mensch an die erste Stelle tritt, sind Extremismus und Fanatismus die Folge. Der atheistische Fundamentalismus ist die größte Bedrohung unserer Gesellschaft. Unter dem Minuszeichen der Gottlosigkeit gerät alles auf die schiefe Bahn. Wo immer in der Welt einer nicht mehr weiß, dass er höchstens der Zweite ist, da ist bald der Teufel los. Der Philosoph Max Scheler nennt es „metaphysischen Leichtsinn“ zu meinen, der Mensch könne alles selbst und brauche Gott nicht. Christus oder Chaos – so lautete die provozierende, aber messerscharfe These hellsichtiger Christen nach dem Zweiten Weltkrieg und der barbarischen Nazidiktatur. Zum Beispiel Wilhelm Busch mit seinem noch heute aktuellen Bestseller „Jesus unser Schicksal“. Man kann nämlich den, der zur Rechten Gottes sitzt, nicht einfach links liegen lassen. Und wer vor Gott knien kann, der kann vor Menschen gerade stehen. Es gibt keine Ethik ohne Religion. Ich kann nach keiner Orientierungsmarke segeln, die ich mir selbst an den Bug meines Schiffes genagelt habe. Letzte Ausrichtung, der es kompassgenau zu folgen gilt, kann nur außerhalb von mir sein. Die tapferen Christen der Bekennenden Kirche während des Dritten Reiches hatten das Motto: „Teneo quia teneor“ – ich halte stand, weil ich gehalten werde.

Genehmigter Abdruck aus dem Buch von Peter Hahne: Schluss mit lustig – Das Ende der Spaßgesellschaft, Johannis-Verlag, Lahr, 2004

ÜBER DEN AUTOR Peter Hahne ist Diplomtheologe, mtheologe, Hörfunkmoderator, Fernseh- und Buchautor. Arbeitet in der Hauptredaktion „Aktuelles“ des ZDF, wo er als Moderator und Redakteur des „heute-journal“ und der Nachrichtensendung „heute“ tätig ist. Hahne ist stellvertretender Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios in Berlin, außerdem Kolumnist der Bild am Sonntag. Bis Oktober 2009 Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

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Therapiegrundlagen

Neuropsychotherapie und christlicher Glaube VON DR . ROLF SENST

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n den letzten 10 Jahren hat eine Forschungsrichtung in der Medizin, aber auch in der Psychologie und darüber hinaus in Philosophie und – das ist eher neu – Theologie eine enorme Aufwertung erfahren: die Neurowissenschaften. Einige Aspekte dieses Themas, die sich auf theologische Fragestellungen beziehen, hatten wir bereits behandelt. In dem hier vorliegenden Artikel möchte ich mich auf die Auswirkungen der neurowissen-

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schaftlichen Befunde für die Planung und Durchführung von Psychotherapie konzentrieren. Ein Stichwort bringt diese Thematik am besten auf den Punkt: Neuropsychotherapie. Dieses Wort wurde von Prof. Klaus Grawe „erfunden“ oder zumindest einem größeren Publikum nahe gebracht. Prof. Grawe ist kürzlich völlig überraschend einem Herz-


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infarkt erlegen, er war erst 63 Jahre alt. Über mehr als 25 Jahre hatte er einen Lehrstuhl an der Universität Bern inne und ist einer der international bekanntesten und renommiertesten Psychotherapieforscher. Die Frage, die ihn immer wieder bewegt hat, lautet: Was wirkt eigentlich in der Psychotherapie? Und wie lässt sich vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse/Antworten auf die erste Frage eine zweite am besten beantworten: Wie gestalten wir Psychotherapie so, dass sie noch besser wirkt?

Foto: Bangkokhappiness/shutterstock.com

In der Medizin ist insgesamt ein Trend zu verzeichnen, sich bei seinen Therapieentscheidungen auf möglichst breit abgestütztes empirisches Wissen zu verlassen. Das heißt, es werden für die Behandlungen von Krankheitsbildern umfangreiche Studien verfasst, die statistisch auswerten, welche Behandlung insgesamt am besten wirkt. Selbstverständlich muss dennoch die je spezielle Situation eines einzelnen Patienten gewürdigt werden. Und dennoch: gewisse Trends lassen sich aus großen Untersuchungen eben doch ableiten, und die Erfahrung von Zehntausenden von Ärzten bringt mehr an Wissen zustande als die Erfahrung eines einzelnen Arztes. Entsprechendes gilt auch für die Psychologie bzw. – hier haben wir ein Überschneidungsfeld – die Klinische Psychotherapie. Evidenzbasierte Daten lassen sich nun am besten aus möglichst „harten“ Fakten gewinnen. Also sind Untersuchungen über Körperzustände, die sich durch Messungen darstellen lassen, direkter nachvollziehbar als eher „weiche“ Kriterien wie Aussagen von der Qualität „Ich fühle mich sehr wohl, ich fühle mich einigermaßen wohl, ich fühle mich unwohl“. Genau das liefert nun die neurowissenschaftliche Forschung. Messbare Veränderungen an Hormonkonzentrationen, Herzfrequenz, Blutdruck, Schweißsekretion, Atemfrequenz (all das gibt es schon viele Jahre) und – und das ist eine Neuentwicklung der vergangenen 10 bis 20 Jahre – bildgebende Verfahren von Vorgängen, die sich im Hirn abspielen. Hier ist insbesondere die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT), die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und die Single Photon Emission Tomography (SPECT) zu nennen. Es würde zu weit führen, diese Verfahren im Einzelnen zu erläutern. Grundprinzip ist jedenfalls, dass Hirngebiete, die gerade besonders aktiv sind, mehr Sauerstoff und Zucker verbrauchen als solche Gebiete, die gerade eher inaktiv sind. Das lässt sich mit diesen Methoden darstellen. Man kann also beobachten, bei welchen Aufgabenstellungen sich welche Hirnteile aktiv „anstrengen“. Und man kann feststellen, wie bei einem psychisch erkrankten Menschen sich die Hirnaktivität im Vergleich zu einem gesunden Mitmenschen darstellt. Einige Fakten zu den organischen Grundlagen der „Neuropsychotherapie“: Unser Gehirn hat etwa 100 Mil-

liarden Nervenzellen, genannt Neurone. Jedes dieser Neurone ist mit bis zu 10.000 anderen Neuronen verbunden. Sie alle leiten elektrische Erregung weiter. Die Übertragung von elektrischer Erregung zwischen zwei Nervenzellen erfolgt dabei auf chemischer Basis über Synapsen. Die Zahl der Synapsen geht in die Trillionen. In einem Stecknadelkopf Gehirnmasse sind etwa 1 Milliarde Synapsen. Von den verschiedenen Sinnesorganen ziehen 2 bis 3 Millionen Nervenfasern ins Zentralnervensystem (ZNS). Jede davon „befeuert“ das Gehirn mit bis zu 300 Impulsen pro Sekunde. Allein von den Sinnesorganen gehen also etwa 500 Millionen Signale pro Sekunde im Gehirn ein. Jedes Neuron hat verschiedene Eingangsstellen, genannt Rezeptoren, und Kanäle für elektrische Ladung, genannt Ionenkanäle. Die Rezeptoren haben entweder erregende oder hemmende Wirkung. Die Erregungsübertragung geschieht durch chemische Substanzen, genannt Neurotransmitter oder Neuromodulatoren und Neuropeptide.

Und nun einige für die Psychotherapie wichtige Aussagen: Die Erregungsbereitschaft der Synapsen, das heißt ihre Fähigkeit und Schnelligkeit, bestimmte Informationen rasch weiter zu leiten, hängt von Bahnungen ab. Wenn Verbindungen zwischen zwei Neuronen viel benutzt werden, werden sie stabilisiert und erweitert. Längerfristige Veränderungen erfordern möglichst intensive langdauernde Aktivierung der entsprechenden Synapsen. Man spricht von Bahnungen. Eine gleichzeitige Aktivierung von Dopamin-Rezeptoren (Dopamin ist einer der Neurotransmitter) bewirkt ausgesprochene Unterstützung für die Herstellung neuer Bahnungen und Intensivierung vorhandener Bahnungen. Mit Dopamin ist ein körpereigenes „Belohnungssystem“ verbunden. Dies ist insbesondere dann aktiv, wenn mit der (Lern-)Aktivität die Erreichung eines wichtigen motivationalen Zieles verbunden ist. Man spricht hier von Annäherungszielen. Bei entsprechender Nachhaltigkeit dieser Aktivierung entstehen neue Bahnungen und zusätzliche Synapsen. Das innere Erleben und das äußerlich erkennbare Verhalten in die jetzt neu gebahnte Richtung werden gefördert. Wichtig in diesem Kontext: Diese Ereignisse im Gehirn spielen sich als Folge realer Lebenserfahrungen ab. Es sind ja gerade problematische Lebenserfahrungen, die zu problematischen Funktionsstörungen im Gehirn geführt haben. In der Psychotherapie geht es darum, durch das Herbeiführen neuer, positiver Lebenserfahrungen auch die Strukturen und Abläufe im Gehirn zu beeinflussen. Diese in der Psychotherapie vorbereiteten neuen Erregungsmuster müssen sich auch im realen Leben der Betroffenen bewähren. Daher ist der konkrete Bezug zur 45


THERAPIEGRUNDLAGEN

Limbisches System

Amygdala (Mandelkern) Präfrontaler Cortex

Hippocampus

jeweiligen Lebenssituation auch aus neurobiologischer Sicht zentral. Eine sowohl von tierexperimentellen Befunden als auch von vielfältiger klinischer Erfahrung getragene Erfahrung hat sich dabei auch auf neurobiologischer Ebene bestätigt: Was im Gehirn gleichzeitig aktiviert ist und in einem funktionalen Zusammenhang steht, wächst zusammen (sogenannte Hebb‘sche Regel: „Cells that fire together wire together.“) Auf diesem Prinzip beruht auch die Wirksamkeit der bekannten klassischen Konditionierung. Von zentraler Bedeutung für emotionale Vorgänge, die letztlich darüber entscheiden, wie wir uns fühlen und auch wie (psychisch) gesund wir sind, ist das sogenannte Limbische System. Hierzu gehört unter anderem der Mandelkern (Amygdala). Hier werden in Sekundenbruchteilen Kampf-/Fluchtreaktionen entschieden. Ebenso wichtig ist der Hippocampus, hier werden Langzeiterinnerungen gespeichert und ein Kontextgedächtnis vorgehalten. Für bewusste Entscheidungen ist der präfrontale Cortex (Cortex = Hirnrinde) zuständig, der mit den beiden oben genannten Strukturen enge Verbindungen unterhält. An dieser Stelle verlassen wir den Ausflug in die neurobiologischen Grundlagen und wenden uns konkret einer psychologisch-psychotherapeutischen Perspektive zu. Prof. Grawe hat in den letzten Jahren sich immer mehr darum bemüht, eine allgemeine Psychotherapie – möglichst unabhängig von jahrzehntelangen Prägungen verschiedener Psychotherapieschulen – zu entwerfen und weiter zu entwickeln. Ein wichtiger Teil dieser allgemeinen Psychotherapie ist die Konsistenztheorie, auf die ich jetzt zu sprechen kommen möchte. Beginnen möchte ich mit den sogenannten Grundbedürfnissen. Es gibt eine Fülle von Beschreibungen und Systemen, die menschliche Bedürfnisse formulieren und in Kategorien einteilen. Vergleichbar viele Systeme beschäftigen sich 46

mit der Frage, was Menschen zu Verhalten verschiedenster Art motiviert. Die hier dargelegte Betrachtungsweise beschränkt sich bewusst auf solche Bedürfnisse, deren Vorliegen zum einen empirisch gut abgesichert ist und deren Nichtbefriedigung über einen längeren Zeitraum zu Erkrankungen führt – psychisch oder auch körperlich. Folgende vier Grundbedürfnisse sind am besten nachgewiesen: das Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle, das Bedürfnis nach Bindung/menschlicher Nähe, das Bedürfnis nach Lustvermehrung und Unlustvermeidung, sowie das Bedürfnis nach Selbstwertschutz und Selbstwerterhöhung.

Hierzu einige Erläuterungen: Orientierung und Kontrolle: Je nach individueller Erfahrung (vor allem in der frühen Kindheit) entwickelt der Mensch Grundüberzeugungen darüber, inwieweit das Leben Sinn macht, ob Voraussehbarkeit und Kontrollmöglichkeiten bestehen, ob es sich lohnt, sich einzusetzen und zu engagieren und Ähnliches. Das Kontrollbedürfnis wird befriedigt durch möglichst viele Handlungsalternativen (großer Handlungsspielraum). Bindung: Hiermit ist das Bedürfnis nach Nähe zu einer Bezugsperson gemeint, das Angewiesensein des Menschen auf Mitmenschen. Je nach Erfahrungen mit den sogenannten primären Bezugspersonen, das Ausmaß ihrer Verfügbarkeit und die Qualität ihres Einfühlungsvermögens entwickelt ein Mensch ein bestimmtes Bindungsmuster. Wir unterscheiden „sicher gebundene“ von „unsicher gebundenen“ Menschen. Letztere „Bindungstypen“ werden noch einmal in drei weitere Subtypen aufgeteilt: In einer guten Bindung sind die Bezugspersonen ein immer erreichbarer Zufluchtsort, sie bieten


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Schutz, Sicherheit und Trost, es entwickelt sich ein gutes „Urvertrauen“. Lustgewinn/Unlustvermeidung: Hierunter verstehen wir das Bestreben, erfreuliche, lustvolle Erfahrungen herbeizuführen und schmerzhafte, unangenehme Erfahrungen zu vermeiden (positive Lust-/Unlustbilanz). Je nach Erfahrungen in der Kindheit wird ein Mensch die Umgebung eher als Quelle von positiven oder von negativen Erfahrungen sehen, es entwickelt sich eher eine optimistische oder eher eine pessimistische Lebenseinstellung. Mit Lust ist nicht nur sexuelle Lust gemeint, sondern die grundsätzliche automatische Bewertung von Erfahrungen als angenehm oder unangenehm. Erstere werden aufgesucht, letztere gemieden. Selbstwertschutz und Selbstwerterhöhung: Das Bedürfnis, sich selber als gut, kompetent, wertvoll und von Anderen geliebt zu fühlen. Zur Bildung eines guten Selbstwertgefühles braucht es eine entsprechende Umgebung, die wertschätzend ist und dem Anderen etwas zutraut, ihn unterstützt. Zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse entwickelt jeder Mensch bestimmte Schemata. Darunter verstehen wir die grundlegende Organisationseinheit psychischer

Prozesse. Entweder werden Umgebungsinformationen in bestehende Schemata eingefügt, dann sprechen wir von Assimilation. Oder Schemata werden durch Umgebungsinformation verändert, dann sprechen wir von Akkommodation. Wenn ein Schema aktiviert wird, ist die psychische Aktivität darauf ausgerichtet, Wahrnehmungen im Sinne des Schemas herbeizuführen. Annäherungsschemata sind auf die Herbeiführung oder Erhaltung von Wahrnehmungen im Sinne der wichtigsten Wünsche und Bedürfnisse des Patienten ausgerichtet – seien sie bewusst oder unbewusst. Anders ausgedrückt: Vermeidungs-/Konfliktschemata hingegen sind bei ihrer Aktivierung darauf ausgerichtet, die betreffende Person vor dem Erleben bestimmter aversiver Emotionen zu schützen. Das ursprünglich verletzte Grundbedürfnis ist aber im Hintergrund immer noch aktiv. So wird z. B. ein Mensch, der im Hinblick auf sein Bindungsbedürfnis schlechte Erfahrungen gemacht hat, sich vor zwischenmenschlicher Nähe schützen, um Verletzungen zu vermeiden. Sein grundlegendes Bedürfnis nach Bindung bleibt dadurch aber unbefriedigt und führt zu weiterer Spannung/Inkongruenz/Inkonsistenz im psychischen System. (Die Abbildung 1 veranschaulicht diese Zusammenhänge grafisch.)

Systemebene

Rückmeldung über Inkonsistenz

Streben nach Konsistenz

Grundbedürfnisse Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle

Lustgewinn/ Unlustvermeidung

Selbstwerterhöhung

Bindungsbedürfnis

Streben nach Bedürfnisbefriedigung Rückmeldung über Bedürfnisbefriedigung

Motivationale Schemata AnnäherungsSchemata

Inkongruenzsignale

VermeidungsSchemata

Erleben und Verhalten

Bottom-up Aktivierung motivationaler Schemata

Abb. 1: Konsistenztheoretisches Grundmodell 47


THERAPIEGRUNDLAGEN

Der Mensch strebt nach Befriedigung und Schutz seiner Grundbedürfnisse. Unter dem Einfluss seiner konkreten Lebensbedingungen entwickelt er der Befriedigung dienende Annäherungsziele und dem Schutz dienende Vermeidungsziele. Außerdem entwickelt er Mittel zur Realisierung dieser Ziele. Beides zusammen, also Ziele und Mittel, bezeichnet man als motivationale Schemata. Diese prägen das Erleben und Verhalten eines einzelnen Menschen. Auf neurobiologischer Ebene strebt das „System Mensch“ nach Konsistenz: damit ist gemeint, dass alle parallel ablaufenden psychischen und körperlichen Prozesse möglichst gut miteinander vereinbar sind, also keine gegensätzlichen Prozesse sich gegenseitig behindern. Bezogen auf Bedürfnisbefriedigung heißt dies, dass ein Mensch die positive Erfahrung macht, seine Annäherungsziele (das, was er gern erleben möchte) zu erreichen. Und ebenso die positive Erfahrung macht, dass er seine Vermeidungsziele (das, was er möglichst nicht erleben möchte) erreichen kann. Ein kleines Alltagsbeispiel: Ein Musikschüler übt für einen öffentlichen Auftritt. Sein Annäherungsziel ist eine gelungene Vorführung mit viel Anerkennung, das befriedigt sein Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung. Sein Vermeidungsziel ist eine öffentliche Blamage und die Enttäuschung seines Musiklehrers und seiner Freunde und Angehörigen. Gelingt der Auftritt, hat er beide Ziele erreicht.

Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell: Wie entsteht nun eine psychische Störung? Vereinfacht ausgedrückt, lässt sich Folgendes sagen (siehe Abbildung 2): Das Auftreten einer Störung hängt vom Produkt zweier Faktoren ab: Vulnerabilität (Verletzlichkeit) und Stress. Im neuropsychotherapeutischen Modell lässt sich Stress als Inkonsistenz definieren. Inkonsistenz meint die Unvereinbarkeit gleichzeitig ablaufender psychischer Prozesse. Man wird sozusagen innerlich aufgerieben, weil man gleichzeitig verschiedene Ziele verfolgt, die jedes für sich wichtig sind, aber einander widersprechen. Eine andere, für Burnout typische Konstellation ist, dass verfolgte Ziele sich als unerreichbar herausstellen, aber auch nicht aufgegeben werden können. Bei entsprechender Anfälligkeit/Vulnerabilität entsteht daraus eine psychische Störung, die, einmal entstanden, eine Eigendynamik entfaltet und sich so häufig selber aufrecht erhält. Faktoren für Vulnerabilität sind z. B. ein unsicheres Bindungsmuster, starke Vermeidungstendenzen, geringe Erwartungen an selbst kontrolliertes Leben, schlechte Emotionsregulation, starke Bereitschaft zu negativen Emotionen. Wenn dann akute Belastungen hinzukommen, die ein vermehrtes Level von Stress/Inkonsistenz erzeugen, entsteht die genannte Störung. In einem lebensgeschichtlichen Modell abgebildet, zeigt dies hier die Abbildung 2.

Bedürfnisverletzende Lebenserfahrungen

Genetische Voraussetzungen

Unkontrollierbare Inkongruenz

Vulnerabilitäten

Ungünstige belastende Lebenserfahrungen

Aktuelle Inkonsistenz

Abb. 2: Lebensgeschichtliche Entstehung psychischer Störungen 48

Psychische Störung


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Wirkfaktoren in der Psychotherapie: Auf Grund umfangreicher weltweiter Untersuchungen haben sich folgende fünf hauptsächliche Faktoren herauskristallisieren lassen:

Foto: lisegagne/istockphoto.com

1. Ressourcenaktivierung (Welche Fähigkeiten/Möglichkeiten/Kompetenzen hat der Patient? Welche soziale Unterstützung?): Für eine erfolgreiche Psychotherapie müssen möglichst viele Ressourcen aktiviert werden. 2. Problemaktivierung: Nur ein heißes Eisen lässt sich schmieden, insofern muss das Problem, das in der Psychotherapie bearbeitet werden soll, auch aktiviert werden. 3. Problembewältigung: Eine aktive Hilfestellung ist erforderlich, um nicht nur Problembewusstsein zu schaffen, sondern auch Problemlösungen zu erzielen. Hierfür ist die oben genannte Aktivierung von Ressourcen von zentraler Bedeutung. 4. Motivationale Klärung: Ein besseres Verständnis für die eigenen intrapsychischen Zusammenhänge, bewusste und unbewusste Motivationen für bestimmtes Verhalten kann sich sehr entspannend und klärend auswirken und somit die psychische Aktivität besser ordnen. Dadurch wird Inkonsistenzspannung (gleichzeitiges Ablaufen miteinander unvereinbarer neuronaler Prozesse) reduziert und die Gesundheit gebessert. 5. Die Beziehungsgestaltung schließlich ist der am besten untersuchte Einzelfaktor für die Wirksamkeit von Psychotherapien. Nur in einer guten Therapiebeziehung sind gute Fortschritte möglich.

Für eine konsistenztheoretische Therapieplanung ergeben sich hieraus zwei Leitfragen: 1. Welche Ressourcen des Patienten kann ich am besten nutzen/aktivieren, und wie kann ich das bei diesem konkreten Patienten am besten tun?

2. Für welche Probleme/Inkongruenzquellen sollte ich vordringlich Klärungs- und/oder Bewältigungserfahrungen herbeiführen und wie kann ich das bei diesem konkreten Patienten am besten erreichen? Therapeutische Veränderung lässt sich dabei auf zwei Wegen erzielen, die einander nicht ausschließen, sondern im Gegenteil ergänzen: Der eine ist die oben schon erwähnte Ressourcenaktivierung: eine verbesserte Bedürfnisbefriedigung in den realen Lebenserfahrungen, auf neurobiologischer Ebene durch Aktivierung existierender neuronaler Erregungsmuster. Die Ressourcenaktivierung geschieht nicht zuletzt durch eine gezielte Aufmerksamkeitslenkung des Patienten auf vorhandene Stärken. Das zweite ist die korrektive Erfahrung: Einer Problemaktivierung folgt eine Bewältigungs- und/oder Klärungserfahrung, dadurch werden neue Ressourcen für eine bessere Bedürfnisbefriedigung geschaffen.

Querverbindungen zum christlichen Glauben: Was hat das Ganze nun mit christlichem Glauben zu tun? Ein ganz zentraler Aspekt ist der der Ressourcenaktivierung. Ich gehe davon aus, dass jeder Mensch nicht nur von seiner natürlichen Grundausstattung im Prinzip alles mit auf den Weg bekommen hat, was er für eine erfolgreiche Lebensbewältigung benötigt (auf die Sonderproblematik von Behinderungen gehe ich hier nicht ein), sondern dass darüber hinaus einem gläubigen Christen konkrete Zusagen an Beistand, Hilfestellung und Befähigung gegeben sind. Hierzu einige Zitate aus dem Neuen Testament: „Seine göttliche Kraft hat uns nun alles, was zum Leben und zur Gottseligkeit dient, geschenkt ...“ (2. Petrus 1,3)

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THERAPIEGRUNDLAGEN

„Wir sind gesegnet mit jedem geistlichen Segen in der Himmelswelt ...“ (Epheser 1,3)

Dafür bestehen aus neuropsychotherapeutischer Perspektive durchaus günstige Voraussetzungen:

„Gott wird all unseren Bedarf ausfüllen nach seinem Reichtum in Herrlichkeit in Christus.“ (Philipper 4,19)

Menschen, die unsere Klinik speziell deswegen aufsuchen, weil sie sich hier von Seiten des christlichen Glaubens eine gleichsinnige Orientierung erhoffen, sind in einem ihrer wichtigen Annäherungsziele „aktiviert“: Sie wollen ihr Leben mit der Hilfe Gottes besser in den Griff bekommen. Auch wenn hier manchmal problematische Vorstellungen vorliegen, wie dieses geschehen könnte (passive Heilungserwartung), und auch wenn manchmal ausgesprochen negative Vorerfahrungen aus verschiedensten christlichen Umfeldern – sei es herkunftsgeschichtlich in der Kindheit und Jugend, sei es aktuell – vorliegen, ist dennoch dieses Bedürfnis aktiviert. In einer vergleichenden Studie mit zwanzig anderen psychosomatischen Kliniken haben wir in den letzten Jahren eine Untersuchung von Therapiezielen vorgenommen. Unsere Patienten unterschieden sich in ihren wichtigsten Therapiezielen überhaupt nicht von der Gesamtheit der Patienten aller Kliniken – mit einer Ausnahme: Der „Umgang mit religiösen Überzeugungen“ war die wichtigste Kategorie in den von Patienten frei formulierten Therapiezielen. (siehe Abb. 3)

„Jesus ist uns in allen Dingen gleich geworden, damit er barmherzig und ein treuer Hoherpriester vor Gott werde, um unsere Sünden zu sühnen. Denn worin er selbst gelitten hat als er versucht worden ist kann er denen helfen, die versucht werden.“ (Hebräer 2,17-18) „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln ... Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang ...“ (Psalm 23) Wir machen die Erfahrung, dass sich diese Texte nicht „automatisch“ erschließen, nur indem man sie liest oder in einer Andacht zitiert hört. Oft ist der Alltag sogar weit davon entfernt. Es bedarf also einer auf den Einzelnen zugeschnittenen Konkretisierung und Operationalisierung.

Gesamtpool aller Kliniken Kategorie

Ziffer

Häufigkeit

Prozent

1

Selbstsicherheit

111

481

9,5

2

Ängste

103

390

7,7

3

Selbstwerterleben und Kränkungen

110

315

6,2

4

Schwierigkeit, Erholung und Entspannung finden

118

239

4,7

5

Einsamkeit und Kontaktstörung

206

184

3,6

Kategorie

Ziffer

Häufigkeit

Prozent

1

Umgang mit religiösen Überzeugungen

140

91

10,7

2

Selbstwerterleben und Kränkungen

110

61

7,2

3

Selbstsicherheit, Selbstwirksamkeit

111

60

7,0

4

Ängste

103

41

4,8

3

Einsamkeit und Kontaktstörung

206

37

4,3

de’ignis-Fachklinik

Abb. 3: Individuelle Therapieziele 50


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Wenn wir also in der psychotherapeutischen Behandlung den Glauben aktiv einbeziehen, so nutzen wir damit ein wichtiges Motivationssystem. Nach den neurobiologischen Befunden ist damit zu rechnen, dass dies mit einer verstärkten Dopamin-Ausschüttung einhergeht und von daher gesehen die diesbezügliche Chance für Veränderung relativ groß ist. Auch unter ethischen Gesichtspunkten empfiehlt es sich sehr, einen Patienten dort abzuholen, wo er ist, und Ziele für die Psychotherapie konkret mit ihm zu vereinbaren. Dies entspricht der Maxime des „informed consent“, die in der Medizin allgemein gilt. Wenn ein Patient bei seiner Aufnahme in unserer Klinik die Erfahrung macht, dass er sowohl als Person angenommen ist als auch sein Glaube wohlwollend zur Kenntnis genommen wird, werden gleich mehrere seiner Grundbedürfnisse einer besseren Befriedigung zugeführt: Das Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle („Ich weiß, dass ich hier meinen Glauben nicht verteidigen muss, er wird mir nicht für krankhaft oder krank machend ausgelegt“) ist hier an vorderster Stelle zu nennen. Bei entsprechender Gestaltung der therapeutischen Beziehungen auf den verschiedenen Ebenen werden auch Bindungsbedürfnisse, das Bedürfnis nach Selbstwertschutz und Selbstwerterhöhung sowie das Lustgewinn-/ Unlustvermeidungsbedürfnis befriedigt. Das geistliche Rahmenprogramm mit morgendlichen Andachten und psychotherapierelevanten Auslegungen von biblischen Texten sowie allgemein-psychoedukativen Vorträgen ist hier ebenso geeignet, bei der Ressourcenaktivierung und auch Problembewältigung zu helfen, wie bei gegebener Indikation der gezielte Gebrauch biblischer Texte in der Einzel- oder Gruppentherapie. Ich zitiere aus dem Artikel „Ressourcenaktivierung“ von Klaus Grawe: „bei einem religiösen Menschen kann der Therapeut Bezug auf Inhalte der Bibel nehmen...“ sowie aus dem Manual des „Fragebogens zur Erfassung motivationaler Schemata“ von Klaus Grawe und Martin Grosse Holtforth: (FAMOS) „Wenn ein Patient auf das Skala Glauben/Sinn sehr hohe Werte angibt, kann der Therapeut dieses zur Ressourcenaktivierung nutzen ... zur prozessualen Aktivierung dieser Ressource kann der Therapeut, wenn der Patient es wünscht, Gebete als Bewältigungsmöglichkeiten praktizieren lassen... (FAMOS-Manual, Seite 49) Zwei Punkte zum Abschluss: Neben diesen neuropsychotherapeutisch relevanten, auf der Ebene der Psychologie des Einzelnen und des sozialen Kontextes angesiedelten positiven Wirkfaktoren, in die sich auch wichtige Aspekte der Religiosität einordnen lassen, gibt es noch einen ganz anderen „Faktor“: Wir verstehen uns als Menschen, die nicht nur eine Art Bezugssystem im religiösen Bereich gefunden haben, das ihnen bei der Entwicklung einer kongruenten Weltsicht hilft. Vielmehr sind wir

Menschen, die konkrete Erfahrungen mit dem Gott gemacht haben, der sich in der Bibel offenbart. Die Person Jesu Christi ist für uns real. Diese Erfahrungen lassen sich nicht auf neurobiologischer Ebene erklären – auch wenn es in den letzten Jahren Ansätze zu einer sogenannten Neurotheologie gibt. Sie sind subjektiv und erschließen sich nicht einem materialistischem Zugang durch bildgebende Verfahren, Messung von Hirnströmen, Hormonkonzentrationen oder Ähnliches. Diese können immer nur Strukturen und Prozesse abbilden, nie jedoch Inhalte dieser Prozesse. Wir glauben und erleben eine Begegnung von Person zu Person auf transzendenter Ebene. Das ist das Kernstück des christlichen Glaubens. Ein zweiter Punkt ist mir genauso wichtig: Persönlicher Glaube ist Gnade und Geschenk. Er kann sehr wohl eine wichtige Ressource zur Überwindung psychischer Schwierigkeit und Krankheit sein. Das alleine reicht bei Vorliegen einer relevanten psychischen Störung – und nur unter dieser Voraussetzung kommen Patienten zu uns in die Klinik – nicht aus, um eine relevante Besserung zu erzielen. Gut gemeinte Ratschläge von Freunden, Bekannten und Pastoren und oft auch allerlei an Gebet haben nicht ausgereicht, um das psychische Leiden unter Kontrolle zu bringen. Es bedarf einer qualifizierten Ausbildung, permanenten Fort- und Weiterbildung und Supervision durch erfahrene Fachleute, gegebenenfalls in Kombination mit psychopharmakologischer Behandlung, um hier wirklich helfen zu können. Fachliche Kompetenz ist auf keinen Fall durch Glaubenspraxis zu ersetzen. Gesundheitliche Fragen sind Fragen der Heilung – religiöse Fragen sind Fragen des Heils. Unser Auftrag ist ein Auftrag der Heilung. Das Heil kann nur von höherer Seite kommen.

ÜBER DEN AUTOR Dr. med. Rolf Senst, Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychotherapeutische Medizin, Rehabilitationswesen, Kinder- und Jugendlichen Psychotherapeut, ist Chefarzt der de’ignis-Fachklinik.

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THERAPIEGRUNDLAGEN

Ist die Gottesbeziehung eine psychologische Bindung? VON DR . PHIL. MATTHIAS RICHARD

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n der christlichen Literatur wird viel von der Wichtigkeit einer personalen Beziehung zu Gott bzw. Jesus Christus gesprochen. Teilweise wird sogar das Vorhandensein einer solchen „lebendigen“ Beziehung zu dem Kriterium erhoben, ob jemand „richtig gläubig“ ist oder nicht. Was bedeutet jetzt aber „lebendige Beziehung“? Wie sieht so eine Beziehung aus? Wie lässt sie sich beschreiben? Wie funktioniert sie? Was beeinflusst sie? Diese Fragen stellen sich mir als neugierigem Psychologen, und da liegt es nahe, den Blick auf die bereits bestehende Literatur und entsprechende Theorien über menschliche Beziehungen zu werfen. Bei diesem Ausflug in die Fachliteratur stößt man schnell auf die so genannte „Bindungstheorie“, die sich (in ihrem Ursprung) speziell mit der Beziehung zwischen Eltern und Kindern beschäftigt – eine Beziehung, die auch in der Bibel häufig als Beispiel oder Bild für die Beziehung zwischen Gott und Mensch genannt wird (z. B. Ps. 103,13; Jes. 66,13; Matth. 18,3). Dieser Beitrag will die Grundgedanken der Bindungstheorie und seine Übertragung auf die Beziehung zwischen Gott und Mensch darlegen, da sie fruchtbare Gedankenanstöße für die Arbeit in Beratung und Therapie liefern kann.

Bindungstheorie Die Bindungstheorie entstand in der Mitte des zurückliegenden Jahrhunderts. Ihr wichtigster Begründer, der englische Psychiater J. Bowlby, beschreibt darin zunächst Unterschiede im kindlichen Verhalten, wie sie sich aus der Interaktion von Kindern mit ihren primären Bezugspersonen (meist den Eltern) entwickeln. Sie verbindet biologische, soziale, kognitive und emotionale Elemente miteinander, versucht also, sehr viele Aspekte des Menschen 52

zu berücksichtigen. Sie geht davon aus, dass das Kind ein Bedürfnis nach Sicherheit, Geborgenheit und Kontakt hat. Zwischen Eltern und Kindern entsteht ein emotionales Band (Bindung), innerhalb dessen das Kind durch die Nähe zur Bezugsperson Schutz vor Gefahren und Möglichkeiten zum Lernen erhält. Das Kind kann von Geburt an Kontakt und Nähe zur Bezugsperson herstellen, entweder durch aktives Aufsuchen der Bezugsperson (Suchen, Krabbeln etc.) oder indem es die Bindungsperson veranlasst, sich um es zu kümmern (Weinen, Schreien, Mimik etc.). Die Bezugsperson ihrerseits reagiert auf solche Signale in der Regel fürsorglich und geht auf die Bedürfnisse des Kindes ein. Die Bezugspersonen – in der Sprache der Bindungstheorie werden sie „Bindungsfigur“ genannt – haben für die Kinder eine überlebenswichtige Funktion: einerseits sind sie der Ort, an dem die Kinder Geborgenheit und Schutz erfahren und zu dem sie bei Gefahr fliehen können („sicherer Hafen“), andererseits bilden die Bindungsfiguren einen sicheren Ausgangspunkt („sichere Basis“), die es dem Nachwuchs ermöglicht, die Umgebung zu explorieren. Sie sind der Drehund Angelpunkt, zu dem die Kinder Nähe suchen und zu dem sie immer wieder Kontakt aufnehmen, um sich der Sicherheit zu vergewissern. Im Laufe der Zeit merken sich die Kinder, wie die Beziehung zu den Eltern beschaffen ist und was sie unternehmen müssen, um sich sicher und geborgen zu fühlen – die Bindung an die Eltern nimmt bestimmte Formen an, so genannte Bindungsstile. Entgegen früherer Meinungen ist der Bindungsstil zur wichtigsten Bindungsfigur nicht so prägend, dass alle weiteren Bindungen den gleichen Bindungsstil aufweisen würden; vielmehr belegen Studien, dass schon 1-jährige Kinder zu Mutter und Vater unterschiedliche Bindungsmuster aufweisen können. Schließlich ist noch wichtig zu


Foto: Wavebreakmediamicrro/veer.com

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THERAPIEGRUNDLAGEN

erwähnen, dass auch im Erwachsenenalter Bindungen zu anderen Erwachsenen bestehen können, insbesondere in engen freundschaftlichen Beziehungen und in der Partnerschaft. Es ist jedoch notwendig zwischen Beziehungen und Bindungen zu unterscheiden, da Beziehungen nicht gleichwertig sind. Es gibt oberflächliche, deren Verlust eine Person kalt lässt, aber auch tiefe Beziehungen, die mit deutlich mehr Empfindungen einhergehen. Aber auch eine tiefe Beziehung ist noch nicht unbedingt eine Bindung! Von einer tiefen und gefühlsmäßig geprägten Beziehung – einem „emotionalen Band“ – kann nur gesprochen werden, wenn die Beziehung lange andauert, die Bezugsperson nicht einfach austauschbar ist, zu ihr eine gewisse Nähe besteht und die Beziehung „emotionale Wertigkeit“ besitzt; aber erst wenn bei der Bezugsperson zusätzlich noch Geborgenheit und Sicherheit gesucht werden, handelt es sich um eine echte Bindung.

Gibt es eine Bindung an Gott? Können nun Menschen zu Gott eine psychische Bindung aufbauen, so dass Gott für sie – aus psychologischer Perspektive – die Funktion einer Bindungsfigur innehat? In der Fachliteratur wird dies als sehr plausibel angenommen, wenn auch die klaren wissenschaftlichen Belege dafür (noch) fehlen. Es sprechen allerdings eine ganze Reihe von Argumenten dafür: Man kann argumentieren, Gott könne eine geradezu ideale Bindungsfigur darstellen, wenn er als immer erreichbar und absolut verlässlich wahrgenommen werde. Gläubige Menschen schöpfen aus der Beziehung zu Gott Trost und Kraft und erleben intensive Gefühle des Angenommen- und Geliebt-Seins, Gefühle der Ehrfurcht oder auch der Angst. Das Wissen um die Allgegenwart, Allmacht und Fürsorge Gottes lässt sie ihre alltäglichen Aufgaben vertrauensvoll angehen (sichere Basis). Gläubige Menschen vertrauen darauf, dass Gott sie in gefährlichen oder schwierigen Zeiten beschützt und tröstet (sicherer Hafen). Geraten Menschen in Krisen, suchen sie vermehrt Hilfe bei Gott, indem sie beten oder sich zur Besinnung in eine Kirche zurückziehen. Auch Konversionen treten gehäuft in persönlichen Krisenzeiten auf. Die regelmäßige Teilnahme an Gottesdiensten und anderen Veranstaltungen lässt sich als Nähesuchen und Kontaktaufnahme verstehen, um sich der Sicherheit bei Gott wieder neu zu vergewissern. Ausgehend von diesen Beobachtungen sollte es folglich Personen geben, für die die Gottesbeziehung zentral ist, 54

und diese Beziehung kann möglicherweise Qualitäten einer psychologischen Bindung aufweisen. Ebenso ist es plausibel anzunehmen, dass anhand der Erfahrungen mit Gott – ähnlich wie aus den elterlichen Bindungserfahrungen – die Bindung an ihn Gestalt gewinnt und eine bestimmte Form bzw. einen bestimmten Stil annimmt. Zugleich muss auf zwei grundlegende Unterschiede zwischen rein menschlichen Bindungen und einer möglichen Bindung zwischen Gott und Mensch hingewiesen werden, da ein Mensch – im Gegensatz zu Gott – mit allen Sinnen unmittelbar erlebbar ist. Beziehungen von Mensch zu Mensch unterscheiden sich hinsichtlich der körperlichen Nähe und der direkten beidseitigen Kommunikation von der Beziehung zwischen Mensch und Gott. Wir sagen zwar häufig, dass wir uns Gott nahe fühlen (oder gerade nicht), jedoch kommt dieses Empfinden ohne direkten körperlichen Kontakt zustande. Ebenso reden wir im Gebet mit Gott, jedoch ist Gottes Reaktion darauf nicht in akustisch hörbaren Worten bzw. sichtbarer Gestik und Mimik direkt erkennbar. Gerade dieser Aspekt bringt eine mit Unsicherheit behaftete Facette mit sich: wenn ich Gottes Reden an mich nicht direkt, wie damals zu Lebzeiten Jesu, wahrnehmen kann, muss ich es aus anderen Dingen (z. B. Aussagen anderer, einem Gedanken und/oder Eindruck, einer gerade gelesenen Textpassage, etc...) herleiten und interpretieren. Bei solchen Interpretationen spielen dann wiederum eigene Vorerfahrungen und Erwartungen (also die berühmte rosa oder graue Brille) eine Rolle. Als Ergebnis bleibt also vorläufig, dass es durchaus sinnvoll ist, die Gottesbeziehung als mögliche Bindung aufzufassen, wenn auch die gerade genannten Unterschiede zu beachten bleiben.

Bindungsstile Bereits im Alter von einem Jahr sind bei Kindern verschiedene Bindungsstile in Bezug auf die Eltern zu unterscheiden: der sichere, der ambivalente, der vermeidende und der desorganisierte Stil. Auch bei Erwachsenen lassen sich unterschiedliche dieser Bindungsstile (zu den Eltern wie auch zum Partner) beobachten. In den farbigen Kreisen


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stehen Statements, wie Personen eines bestimmten Bindungsstiles ihre Beziehung zu einer anderen Person X ideal-typisch charakterisieren würden. Der sichere Bindungsstil ist durch das Wissen charakterisiert, von der Bezugsperson akzeptiert zu sein und sich auf sie verlassen zu können. Gefühlsmäßige Nähe zur Bezugsperson wie auch das Alleinsein fallen sicher gebundenen Personen leicht. Ängstlich-vemeidende Personen empfinden die Nähe zur Bezugsperson als unangenehm. Obwohl sie sich eine enge Beziehung wünschen, fällt es ihnen aus Furcht verletzt zu werden schwer, der Bezugspersonen zu vertrauen oder von ihr abhängig zu sein. Präokkupierte (was so viel bedeutet wie „ständig damit beschäftigt“) Personen möchten sich der Bezugsperson dauerhaft sehr nahe fühlen, oftmals mehr, als der Bezugsperson recht ist. Sie signalisieren häufig

sicher:

den Wunsch nach Nähe, und es scheint ihnen ohne enge Beziehung nicht gut zu gehen. Es besteht Angst, von der Bezugsperson abgelehnt zu werden. Vermeidenddistanzierte Personen meiden gefühlsmäßig enge Beziehungen. Ihnen ist es wichtig, sich unabhängig und selbstständig zu fühlen und auch niemanden von sich abhängig zu wissen. Die Bindung enthält eine ganze Reihe von Elementen, die insgesamt die Bindung ausmachen. Sie umfasst für jeden Stil bestimmte Erfahrungen mit und Erwartungen an die Bindungsfigur; sie hat Auswirkungen auf das Selbstbild einer Person, bestimmt die emotionalen Ziele für die Beziehung und enthält die Handlungsstrategien, um diese Ziele zu erreichen. Zwei (frei erdachte) Beispiele für eine sichere und eine distanziert-vermeidende Bindung sollen dies erläutern.

präokkupiert:

Es fällt mir leicht, X* Ich möchte X gefühlsmäßig sehr gefühlsmäßig nahe zu kommen. nahe sein, aber merke oft, dass X Es geht mir gut, wenn ich mich mir nicht so nahe sein möchte, wie auf X verlassen kann und X sich ich ihm/ihr. Ohne enge Beziehung auf mich verlässt. Ich mache mir geht es mir nicht gut. Ich denke keine Sorgen, dass ich alleine sein manchmal, dass X mich nicht könnte oder dass X mich so sehr schätzt, wie distanziertnicht akzeptieren ich ihn/sie. vermeidend: könnte. Es geht mir auch ohne enge ängstlichgefühlsmäßige Bindung gut. vermeidend: Es ist sehr wichtig für mich, mich unabhängig und selbstständig Ich empfinde es manchmal als zu fühlen. Ich ziehe es vor, wenn ziemlich unangenehm, X nahe zu sein. ich nicht von X abhängig bin Ich möchte eine Beziehung, in der ich und X nicht von mir X nahe bin, aber finde es schwierig, abhängig ist. ihm/ihr vollständig zu vertrauen oder von ihm/ihr abhängig zu sein. Ich fürchte manchmal, dass ich verletzt werde, wenn ich mir erlaube, X nahe zu kommen.

* Für „X“ kann eine nahe stehende Person oder Gott bzw. Jesus eingesetzt werden. 55


THERAPIEGRUNDLAGEN

Eine sichere Bindung an Gott wäre demzufolge durch folgende Punkte charakterisiert:

1. vorwiegend positive Erinnerungen an Situationen, in denen Gott als schützend oder fürsorglich erlebt wurde. (z. B. wenn jemand trotz Autounfall keine ernsthafte Verletzung erlitten hat oder wenn eine im Gebet vorgebrachte Bitte in Erfüllung gegangen ist). 2. Darauf basieren Erwartungen an das wahrgenommene Verhalten Gottes, z. B. das Vertrauen, dass Gott auch in gefährlichen Situationen beschützt. Diese beiden Punkte beeinflussen wiederum das Selbstbild; etwa in der Aussage: „Ich bin so wertgeschätzt, dass Gott mich beschützt bzw. auf meine Bitten eingeht“. 3. In der Beziehung zu Gott hat die Person das Ziel, sich ihm nahe (weil sicher) zu fühlen und eigenständig Ziele zu verfolgen, weil man den Schutz Gottes im Rücken weiß. 4. Um diese Ziele zu erreichen wird häufig auf Gebet, Stille Zeit oder Gottesdienstbesuch zurückgegriffen bzw. wird eine Person mit viel Eigen-Engagement aktiv seine Alltagsaufgaben angehen. Was den Kontakt mit Gott angeht, so wäre laut Bindungstheorie bei sicher gebundenen Personen zu erwarten, dass sie sowohl positive (Dank und Bitten) als auch negative Dinge (Enttäuschung oder Ärger) vor Gott bringen.

Eine distanziert-vermeidende Bindung an Gott, könnte ungefähr so aussehen:

1. Einigen positiven Gotteserlebnissen stehen mehr (oder intensivere) negative entgegen (z. B. wenn eine Partnerschaft trotz innerer Gewissheit, die „Richtige“ gefunden zu haben – auch vor Gott –, wieder zerbricht). 2. Dadurch erwartet eine Person nicht nur Positives, sondern fürchtet auch, von ihm enttäuscht zu werden und sich nicht voll auf ihn verlassen zu können. Um sich sicher und geborgen zu fühlen und keine bösen Über56

raschungen zu erleben, mag die Person es vorziehen, sich eher auf sich selbst zu verlassen, was ein durchaus positives Selbstbild zur Folge haben kann („Ich kann für mich selber sorgen“). 3. Als emotionales Ziel in der Beziehung steht der Wunsch im Vordergrund, unabhängig zu sein und die Beziehung ohne engen Kontakt zu gestalten. 4. Um dieses Ziel zu erreichen mag die Person Gott gegenüber zwar prinzipiell offen sein, aber wird sich kaum an ihn wenden, auch nicht intensiver wenn sie Hilfe braucht. Die Suche nach Kontakt mit Gott ist deutlich seltener als bei sicher gebundenen Personen. Die Person beschäftigt sich weniger mit Gott und verwandten Themen und geht innerlich auf Distanz. Das Besondere daran, die Gottesbeziehung als Bindung aufzufassen, liegt in der Reichweite der psychischen Konsequenzen. Wie oben bereits erwähnt, zeichnet Bindungen ein starkes „emotionales Band“ und die „Suche nach Geborgenheit“ bei der Bezugsperson aus. Beides sind Aspekte mit starker emotionaler Beteiligung, die für die unterschiedlichen Bindungsstile sehr unterschiedliche Gefühlsmuster annehmen können. Wie sie im Einzelnen aussehen, kann aus Platzgründen an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. Für die Elternbindungen ist diese starke Beteiligung des Gefühls nachvollziehbar (und in vielen Studien auch nachgewiesen), wenn man bedenkt, dass es sich um existenziell wichtige und seit frühester Kindheit bestehende Beziehungen handelt. Ob diese starke emotionale Beteiligung auch in der Gottesbeziehung bzw. -bindung besteht, ist noch unklar. Schließlich entwickelt sich eine Beziehung zu Gott erst deutlich später.

Gottesbeziehung und Elternbindung Gerade weil sich die Gottesbeziehung später als die Elternbeziehung entwickelt und die Bindungsfigur (also Gott) keine körperlich anwesende Person ist, vermutet


20 JAHRE DE‘IGNIS-MAGAZIN – JUBILÄUMSAUSGABE

man, dass bei der Entwicklung der Gottesbeziehung die Elternbindung als „Vorlage“ dient. Solange also noch keine eigenen Gotteserfahrungen in bestimmten Punkten vorliegen, werden hier möglicherweise die Muster der Elternbindung auf die Gottesbeziehung übertragen, zumal der Vergleich Gott und Vater sehr nahe liegt. In Seelsorgeschulungen und Seminaren wird dieser Zusammenhang häufig erwähnt, weil er in der Beratung eine wichtige Rolle spielt; die Bindungstheorie könnte hierfür den theoretischen Hintergrund liefern. Über die Stärke dieses Zusammenhangs weiß man jedoch wenig. Einige Forscher vermuten, dass es Personen mit sicheren Elternbindungen auch leicht fällt, zu Gott eine sichere Beziehung aufzubauen. Für diese Menschen sollten also Eltern- und Gottesbindung sehr ähnlich ausfallen. Andererseits gibt es auch viele Menschen, die es trotz unsicherer Elternbindungen geschafft haben, zu Gott eine sichere Beziehung zu entwickeln. Für sie stellt die vertrauensvolle Gottesbeziehung eine heilsame Erfahrung (zur Kompensation) von den schwierigen Elternbeziehungen dar; entsprechend gering dürfte die Übereinstimmung zwischen Eltern- und Gottesbeziehung ausfallen. Bei Personen mit einer unsicheren Beziehung zu Gott kann eine unsichere Elternbeziehung vorliegen oder auch eigene negative Gotteserfahrungen (wie im oben genannten Beispiel der distanziert-vermeidenden Gottesbeziehung).

Foto: Vasaleks/shutterstock.com

Bedeutung für Beratung und Therapie Die Bedeutung der Bindungsstile für Beratung und Therapie ist (mindestens) zweifach. Zum einen bieten sie den Beratenden Schemen an, die ein Verständnis der (Beziehungs-) Probleme erleichtern. Dabei ist es natürlich wichtig sicherzustellen, dass ein bestimmter Stil für einen Ratsuchenden auch tatsächlich zutrifft. Folglich müssen die Erfahrungen mit den Bezugspersonen (Eltern und Gott) gründlich und genau erfragt werden. Ein Zusammenhang zwischen Eltern- und Gottesbeziehung muss, wie oben erwähnt, nicht in jedem Fall vorliegen. Wenn jedoch dieser Zusammenhang besteht – und dies ist die zweite Bedeutung für die Beratung – so ist gerade die gefühlsmäßige Verwurzelung der Bindung für die Beratungssituation wichtig. Dann nämlich sind im Erleben der Gottesbeziehung tiefe emotionale Muster beteiligt, die sich nicht so schnell und nicht so einfach verändern lassen. Wenn also ein Ratsuchender Schwierigkeiten wegen eines zu strengen Gottesbildes hat, das aus einer distanziertvermeidenden Bindung zum Vater erklärbar ist, so werden in der Beziehung grundlegende emotionalen Muster wirksam, die den Ratsuchenden zu Misstrauen und Rückzug veranlassen. Wie sollte sich der Ratsuchende denn auch Gott plötzlich offen und uneingeschränkt anvertrauen

können, wenn er Geborgenheit und Sicherheit von Kindheit an nur dann erfahren hat, wenn er sich möglichst ruhig verhalten und die Dinge selber in die Hand genommen hat? Ein Verweis auf entsprechende Bibelstellen oder angemessene Lehre über positive Gottesbilder wären für diese Person eine Überforderung bzw. wären auch wenig empathisch. Solchen Personen hilft insbesondere die Erfahrung, dass es in Beziehungen auch anders laufen kann. Die Person braucht folglich eigene Gotteserfahrungen, um die Beziehung zwischen ihm und Gott von der Überlagerung der Elternbindungen mehr und mehr abzukoppeln. Dazu kann eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung zum Berater den Boden bereiten. Die bindungstheoretische Sicht betont also den Erfahrungscharakter der Beziehung zwischen Mensch und Gott. Eine Beziehung zu Gott von der Qualität einer Bindung ist sehr stark durch eigene Erfahrungen und den damit verbundenen Gefühlen geprägt. Da aber Gott keine körperlich anwesende Person ist, mit der man ganz einfach wie mit anderen Personen in Kontakt tritt, stellt sich die Frage, wie und wo diese Erfahrungen möglich sind. Neben den Beratungs- oder Therapiegesprächen kann und sollte mit Einschränkung dieser Ort die Gemeinde und die Mitchristen sein, wo Gott gegenwärtig ist ( Joh. 13,34f; 1. Kor. 12,12). Ein Mensch sollte etwas von Gottes schützendem und fürsorglichem „Wesen“ erfahren können, wenn er in Gemeindeveranstaltungen und Gottesdienste geht bzw. mit den Gemeindemitgliedern in Kontakt kommt. Wenn ein Mensch erfährt, wie Christen füreinander sorgen, sich unterstützen und trotz unterschiedlichen Meinungen und Ansichten zueinander halten und sich wertschätzen, besteht die Chance, dass die Person dies alles auch selbst am eigenen Leib erleben kann. Dies mag dann für ihn zu einer Gotteserfahrung werden, die die Beziehung zu Gott stärkt. So erinnert uns die Übertragung der Bindungstheorie auf die Beziehung zwischen Gott und Mensch daran, dass es mit in unserer Verantwortung liegt, ob und wie eine andere Person durch unser Verhalten eine heilsame Gotteserfahrung macht – unabhängig davon, ob wir dies selbst mitbekommen oder nicht. Auch so können wir „Botschafter an Christi statt“ sein.

ÜBER DEN AUTOR Dr. phil. Matthias Richard ist von Beruf Diplom-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut (Verhaltenstherapie). Er arbeitet seit 2002 am Institut für Psychotherapie und Medizinische Psychologie der Universität Würzburg.

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de'ignis aktuell Termine · Berichte · Neues aus den Einrichtungen

FACHKLINIK AKTUELL

de'ignis gehört zu besten Arbeitgebern

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taatssekretär Fuchtel gratuliert Claus J. Hartmann und Marko Jüttner persönlich in Berlin – Platz 1 bei den Kliniken Egenhausen/Berlin. Die de’ignisFachklinik in Egenhausen zählt zu den 100 besten Arbeitgebern in Deutschland. Trotz seines vollen Terminkalenders ließ es sich der Parlamentarische Staatssekretär HansJoachim Fuchtel nicht nehmen, dem Unternehmen aus seinem Wahlkreis bei der Auszeichnung in Berlin zu gratulieren. Zugleich freute er sich mit Geschäftsführer Claus J. Hartmann und Verwaltungsleiter Marko Jüttner über den ersten Platz in der Kategorie „Kliniken“. Im ersten Durchgang hatte das Great Place to Work® Institut die de’ignis-Fachklinik schon im Januar als bester Arbeitgeber im Gesundheitswesen gekürt. Damit verbunden war eine Platzierung im branchenübergreifenden Wettbewerb „Deutschlands Beste Arbeitgeber 2012“. Gemeinsam mit 100 weiteren Unter-

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Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel (links) gratulierte in Berlin Geschäftsführer Claus J. Hartmann und Verwaltungsleiter Marko Jüttner von der de’ignisFachklinik in Egenhausen zur Auszeichnung „Deutschlands Beste Arbeitgeber 2012“. nehmen aller Branchen, Regionen und Größen wurde das Unternehmen jetzt für seine besonderen Leistungen bei der Entwicklung vertrauensvoller Arbeitsbeziehungen und der Gestaltung attraktiver Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten gewürdigt.

Die de’ignis-Fachklinik hatte sich im letzten Jahr erstmals an der Ausschreibung beteiligt. Im Rahmen ihres Qualitätsmanagements ist ohnehin mindestens alle zwei Jahre eine Mitarbeiterbefragung erforderlich. Umso größer war die Freude über das sehr


DE’IGNIS AKTUELL

gute Ergebnis. Zur Teilnahme am Wettbewerb gehört eine ausführliche Befragung der Mitarbeiter zu zentralen Arbeitsplatzthemen wie Führung, Zusammenarbeit, Anerkennung, Bezahlung, berufliche Entwicklung und Gesundheit. Darüber hinaus wurde eine differenzierte Analyse unternehmensspezifischer Maßnahmen bei der Personal- und Führungsarbeit vorgenommen. Bundesweit beteiligten sich über 400 Unternehmen an den Benchmark-Untersuchungen zur Qualität und Attraktivität der Arbeitsplatzkultur und stellten sich der unabhängigen Prüfung durch das Great Place to Work® Institut. Mehr als 100.000 Beschäftigte nahmen an den Befragungen teil. „Die Auszeichnung steht für eine

Arbeitsplatzkultur, die in besonderer Weise von Vertrauen, Stolz und Teamgeist geprägt ist“, sagte Frank Hauser, Leiter des Great Place to Work® Instituts Deutschland bei der Preisverleihung. „Vertrauensvolle Beziehungen am Arbeitsplatz und attraktive Arbeitsbedingungen sind der zentrale Schlüssel für die Motivation und Bindung qualifizierter Mitarbeiter sowie für den wirtschaftlichen Erfolg und die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen“, betonte Hauser. Partner des Great Place to Work® Wettbewerbs „Deutschlands Beste Arbeitgeber“ sind die Universität Köln, das „Handelsblatt“, das „Personalmagazin“ sowie „Das Demographie Netzwerk“ (ddn). Unterstützt wird der Wettbewerb zudem von der Jobbörse StepStone.

Umbau im de‘ignis-Gesundheitszentrum

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ür die Erweiterung unseres Angebotes in der Tagesklinik benötigten wir dringend einen zusätzlichen Gruppenraum und ein weiteres Büro. Um das realisieren zu können wurde in die Mehrzweckhalle eine Wand eingezogen, so dass dort jetzt zwei Gruppenräume zur Verfügung stehen. Bei der Gelegenheit wurden die Räume repräsentativ gestaltet und mit Präsentationstechnik ausgestattet, weil sie auch für Seminare (z. B. die Fortbildung in Christlichintegrativer Beratung & Therapie und die Fortbildung Traumatherapie mit IRRT) und öffentliche Veranstaltungen (z. B. Gesundheitsvorträge) genutzt werden. Die bisherige Bühne wurde mit einer Wand geschlos-

INSTITUT AKTUELL

sen, so dass dort jetzt der Fitnessraum eingerichtet werden konnte. Der frei werdende Raum im Dachgeschoss wurde als Therapeutenbüro eingerichtet. Die Erweiterung war erforderlich, weil es für die in Zusammenarbeit mit der AOK Nordschwarzwald angebotenen Programme „Assessment“ (5-tägige intensive Diagnostik und Probebehandlung für AOK-Versicherte mit einer depressiven Erkrankung) und PAkT (Psychotherapeutische Akut Tagesklinik für Versicherte der AOK Nordschwarzwald) zu lange Wartezeiten gab. Natürlich ist für eine Ausweitung des Angebots auch zusätzliches Personal erforderlich. Zum 01.04.2012 wurde deshalb ein zusätzlicher Arzt angestellt.

VII. Lehrgang in „Christlich-integrativer Beratung & Therapie“ Start im Herbst 2013! Termine für Auswahlseminare auf Anfrage. 59


FACHKLINIK AKTUELL

Angebot für Kinder, Jugendliche, Familien

Mr. Nico/photocase.com

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chon lange beschäftigen wir uns damit, von de’ignis ein Angebot für Kinder und Jugendliche mit psychischen Fehlentwicklungen „ins Leben zu rufen“, um ihnen zu einer positiven Zukunftsperspektive zu verhelfen. Leider gestaltet sich das schwieriger als erhofft. Bisher sind wir mit unseren Plänen aufgrund fehlender Finanzen und fehlender Mitarbeiter nicht vorangekommen. Gerne möchten wir Sie, liebe Leserin, lieber Leser, über unsere Fortschritte informieren. Vor einigen Monaten lernten wir eine Diplom-Sozialpädagogin kennen, die in der Region wohnt und über langjährige Erfahrung und hohe

Kompetenz in der Beratung und Therapie von Kindern und Jugendlichen verfügt. Außerdem hat eine Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin in Ausbildung Interesse, bei de’ignis mitzuarbeiten. Wir freuen uns, zunächst ambulante Beratung für Kinder, Jugendliche und Eltern unabhängig von ihren religiösen, politischen und weltanschaulichen Auffassungen anbieten zu können. Eltern sollen dabei in ihrer Kompetenz gestärkt und die Kinder und Jugendlichen in ihrer psychischen Entwicklung gefordert und gefördert werden. Sobald ausreichend Teilnehmer für unterschiedliche pädagogische und therapeutische Gruppen zusammenkommen, wollen wir mit Gruppenangeboten starten. Eine AD(H)SGruppe ist bereits in Vorbereitung. Voraussichtlich ist aufgrund einer Kooperation mit einem Arzt für Kinder- und Jugendpsychotherapie auch die Übernahme der Kosten von verschiedenen BKKn und der DAK Gesundheit im Rahmen des AD(H)SVertrags mit der KVBW (Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg) möglich.

Unser langfristiges Ziel ist auch weiterhin ein stationäres Angebot. Neben finanziellen Mitteln brauchen wir auch weiterhin dringend Menschen, die durch ihre Mitarbeit, sei es ehrenamtlich oder auch als Arzt, Psychotherapeut oder Sozialarbeiter im Anstellungsverhältnis, uns dabei unterstützen wollen, Kindern und Jugendlichen in ihren diversen Nöten zu helfen und ihnen so eine positive Zukunftsperspektive zu bieten. Bitte setzen Sie sich mit uns in Verbindung, wenn Sie Interesse an unseren ambulanten Angeboten haben oder gerne bei der Weiterentwicklung unseres Angebots mitarbeiten möchten. Ansprechpartner ist Marko Jüttner, Walddorfer Straße 23, 72227 Egenhausen, Telefon 07453 9391-0, E-Mail info@deignis.de. Derzeit ist die Veröffentlichung unseres Konzeptes, mit dem wir einen Einblick in die Grundlagen unserer Arbeit geben, in Vorbereitung. Bei Interesse senden wir es Ihnen nach Fertigstellung gerne zu. Das Konzept können Sie dann auch von unserer Homepage downloaden.

Beim Einkaufen Spenden und dabei keinen Cent mehr bezahlen

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ür unser Projekt „Hilfe für Kinder und Jugendliche“ können Sie uns unterstützen, ohne dass es Sie etwas kostet. Und so geht’s: Sie wählen unter www.bildungsspender.de/deignis einen der über 1.000 Online-Shops aus und werden automatisch auf dessen Homepage weitergeleitet. Eine Registrierung bei „bildungsspender.de“ ist dafür nicht erforderlich. Das war es schon. Durch diesen Klick, wird registriert, dass Sie mit Ihrem Einkauf de’ignis durch eine

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Spende unterstützten wollen. So einfach können auch versandkostenfrei Geschenkgutscheine gekauft werden. Damit die Versandkosten entfallen, tragen Sie als Gutscheincode bitte den Code „Bildungsspender2012“ ein. Das Gute für Sie ist, dass Sie keinen Cent mehr für Ihren Einkauf bezahlen im Vergleich zum direkten Besuch auf der Homepage des Online-Shops. Das Gute für uns ist, dass uns ein geringer Teil des Umsatzes als Spende

überwiesen wird und wir Kindern und Jugendlichen durch Ihre Unterstützung neben fachlich qualifizierter Hilfe auch Halt geben, christliche Werte vermitteln sowie ihnen zeigen können, dass es einen Gott gibt, der sie liebt und der Interesse an Ihnen hat. Wir bitten Sie daher, an uns zu denken, und Ihre zukünftigen Onlineeinkäufe mit einem kleinen Klick über www.bildungsspender.de/ deignis zu tätigen.


DE’IGNIS AKTUELL

Spenden leicht gemacht. Die einfache Art zur Unterstützung. Spende über Online-Shops: Und so geht’s: Sie wählen unter

www.bildungsspender.de/ deignis einen der über 1.000 Online-Shops aus und werden automatisch auf dessen Homepage weitergeleitet. Eine Registrierung ist dafür nicht erforderlich.

Direkte Spende: Sie können auch direkt über die Seite www.bildungsspender.de/ deignis an uns spenden und dieses Projekt unterstützen. Bitte wählen Sie hierzu den Punkt „Mit einer Spende helfen – jetzt spenden“ aus. Hier geben Sie Ihre Daten in das Formular ein und schon ist die Spende registriert. Wenn Sie eine Spendenbescheinigung wünschen, vermerken Sie dies bitte in dem dafür vorgesehenen Feld.

Spenden schnell und einfach per SMS:

SMS Geben Sie einfach in die SMS einen der folgenden Texte ein und senden diesen an die unten stehende Kurzwahl. GIB5 472227001 an die Kurzwahl 81190, Euro Hilfe! um mit 5,- Euro zu helfen.

5,-

GIB9 472227001 an die Kurzwahl 81190, Euro Hilfe! um mit 9,- Euro zu helfen.

9,-

Die Kosten der SMS betragen 5,17 Euro bzw. 9,17 Euro zzgl. der SMSKosten, die Ihnen Ihr Mobilfunkanbieter für eine normale SMS berechnet. Der Eingang Ihrer SMS wird Ihnen innerhalb weniger Minuten per SMS bestätigt. Bitte beachten Sie, dass für Ihre Hilfe per SMS keine Zuwendungsbescheinigung (Spendenquittung) ausgestellt werden kann und der Betrag steuerrechtlich nicht als Spende gilt.

Auf Ihrer Handyrechnung erscheint der Vorgang als „Premium-SMS“ der Burda Wireless GmbH, die diesen Dienst zum Selbstkostenpreis von 17 Cent pro SMS zur Verfügung stellt. Probieren Sie es doch einfach mal aus. Jeder Cent hilft, dieses Projekt weiter voranzubringen. Wir freuen uns, wenn Sie viele Freunde und Bekannte über diese Möglichkeit informieren. Vielen Dank. Infomaterial zu diesem Projekt können Sie gerne unter info@deignis.de anfordern. Oder Sie besuchen unsere Homepage www.deignis.de.

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de’ignisWohnheim – Haus Tabor

Neubau des de‘ignis-Wohnheims nähert sich der Fertigstellung

An den Außenanlagen wird noch intensiv gearbeitet.

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eit Herbst letzten Jahres wurde der Neubau des de’ignis-Wohnheims bezogen. Vor kurzem wurden die Küchen in den einzelnen Wohngruppen eingebaut. Dort wird sich in den nächsten Wochen und Monaten unser spezielles Wohntraining weiter

entwickeln. Da dieser Erweiterungsbau unsere finanziellen Ressourcen sehr belastet, sind wir weiterhin auf Spenden angewiesen. Wie sehr sich die Wohnqualität im de’ignis-Wohnheim verbessert hat, zeigen die nachfolgenden Berichte

zweier Bewohner. Da unsere Bewohner sich zum Teil längere Zeit bei uns aufhalten, trägt eine angenehme Wohnsituation wesentlich zur Verbesserung der seelischen Gesundungsprozesse bei.

Erfahrungsberichte über das Leben im Neubau des de‘ignis -Wohnheims Mein Leben im Neubau Ich wohne seit dem Oktober letzten Jahres im Neubau des de’ignis-Wohnheims. Mein Zimmer befindet sich im Untergeschoss neben einem weiteren Einzelzimmer. Die Zimmer sind sehr hell, geschmackvoll und modern eingerichtet. Jedes Zimmer im Neubau hat ein eigenes kleines Bad, was ich als sehr bereichernd empfinde. Was ich persönlich an meinem Zimmer so

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genieße, ist die schöne Fensterfront mit einer Tür, die zu einer Terrasse in den Garten führt. Die Aussicht in den Garten ist wunderschön, vor allem im Frühjahr, wenn alles blüht und auch im Herbst, wenn die Blätter der Bäume sich golden verfärben. Das kann ich alles durch die schöne Fensterfront betrachten, wenn ich in meinem Zimmer bin. Wenn es warm ist, sitze ich sehr oft auf der Terrasse. Das Wohnheim hat den beiden unteren Zimmern eine Sitzgruppe für die Terrasse zur Verfügung gestellt. Dort sitze ich oft, genieße in der Mittagspause einen Cappuccino, tanke Kraft für die Aufgaben, die ich hier im Wohn-

heim übernommen habe. Meine beiden Katzen freuen sich auch ihres Lebens in der schönen Wiese mit den Bäumen. An meine Terrasse grenzt ein kleiner Hügel, auf dem ich ein kleines Stück Land für meinen Garten bekommen habe. Dort habe ich bunte Sommerblumen, Sonnenblumen und Radieschen gesät. Ich entdecke, wie viel Freude ich an einem kleinen Garten habe. Ich beobachte, wie die kleinen Pflanzen wachsen und gedeihen, und freue mich. Ich habe noch einige Ideen, wie ich meinen Garten und meine Terrasse noch weiter schön gestalte. Das macht mir Spaß. Was ich auch sehr in dem Neubau genieße, sind die sehr ruhigen Zimmer. Man hört seine Zimmernachbarn kaum, was an der guten schalldichten Isolierung der Zimmerwände liegt. Also kann man wirklich gut abschalten, wenn man es braucht.


DE’IGNIS AKTUELL

Auch der sehr große, helle neue Saal im Neubau lädt zum Verweilen und Schmökern in den Bücherregalen ein und durch die modernen Fitnessgeräte bleibt man „permanent jung und dynamisch“☺.

Ich wohne gerne im Neubau Seit ein paar Monaten wohne ich jetzt im Neubau des Wohnheimes. Zuerst wollte ich vom Gästezimmer gar nicht ausziehen, da ich mich während des Probewohnens an das Gästezimmer schon gewöhnt hatte. Jetzt bin ich sehr froh, dass ich im Neubau sein darf und dort ein Einzelzimmer habe. Hier habe ich den Luxus eines eigenen Badezimmers. Im Badezimmer befinden sich Dusche,

WC und Waschbecken mit Spiegel. Eine Badewanne mit Quitscheente war wohl nicht vorgesehen. Im Neubau ist es meist schön ruhig (wenn der Nachbar nicht gerade die Wiese mäht oder jemand Holz sägt). Andererseits hoffe ich, dass ich die Mitbewohner des Neubaus nicht mit meiner Gitarre störe. Gibt es für die Gitarre auch einen Schalldämpfer? Im IT Training habe ich eine Fotomontage erstellen dürfen, die in meinem neuen Zimmer aufgehängt wurde. Ich finde es schön, dass ich einen Schreibtisch, ein Regal, einen großen Spiegel, einen Nachttisch und eine Pinnwand bekommen habe. Jetzt bin ich neugierig, was wir

Der neue Mehrzweckraum des de’ignis-Wohnheimes.

noch an Gardinen bekommen (Ich persönlich bevorzuge schwarze mit orangenen Punkten…) Aber glücklicherweise kommen in jedes Zimmer ja die gleichen Gardinen. Wenn ich aus meinem Fenster schaue, dann sehe ich nicht etwa die nächste Hauswand, sondern habe den Blick auf eine grosse Wiese mit Bäumen. Besonders bei der Frühjahrsblüte sahen die Obstbäume einfach fantastisch aus. Inzwischen steht im Flur eine neue Küche. Ich bin gespannt, wie sich das mit dem „Selber Kochen“ entwickelt. Wie man sieht wohne ich also sehr gerne im Neubau und fühle mich dort wohl.

In die neuen Zimmer ist das blühende Leben eingezogen.

Unser Spendenbarometer

50.000 40.000

35.000

30.000 20.000 10.000 0

Der Neubau wird mit Inventar ca. 700.000 Euro kosten. Für uns eine gewaltige Summe. In unserer Finanzierung haben wir einen Betrag von 50.000 Euro über Spenden vorgesehen. Ca. 35.000 Euro sind bisher eingegangen. Wir sind zuversichtlich, dass wir diese Summe über unseren bisher sehr treuen Kreis von Unterstützern zusammen bekommen. Allerdings spüren wir den finanziellen Engpass sehr deutlich, denn wir

haben durch den Bau wesentlich erhöhte Ausgaben. Aber wir vertrauen auch in dieser Situation darauf, dass unser Herr, in dessen Dienst wir stehen, uns weiterhin treu versorgt. Bisher hat er uns nie im Stich gelassen.

Unterstützerverein Haus Tabor e.V. Kto. 8 317 232 · BLZ 693 620 32 Volksbank Messkirch de’ignis-Wohnheim Kto. 105 338 · BLZ 690 516 20 Sparkasse Pfullendorf-Messkirch

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de’ignisWohnheim – Haus Tabor

Erfahrungsbericht über den de‘ignis -Seelsorgekurs

Gemeinsam als Ehepaar Seit Februar 2011 nehmen wir an der de’ignis Schulung für Seelsorge teil. Das hat eine Vorgeschichte: Vor einigen Jahren machten mein Mann und ich eine schwere Ehekrise durch. Nur durch Gottes Hilfe konnte jeder von uns seine Verletzungen und Fehlhaltungen bearbeiten und Heilung erfahren. Gott stellte unsere Ehe wieder vollkommen her, und wir begannen neu danach zu fragen, wie wir als Ehepaar Gott dienen könnten. Gott rief uns nach einiger Zeit gemeinsam in einen Dienst an jungen Menschen. Daraus wurde eine Missionsreise nach Rumänien. Die Erfahrungen bei diesem Einsatz weckten in meinem Mann den Wunsch nach mehr Wissen im Bereich Seelsorge. Von einer Freundin hatten wir schon von der Seelsorgeschulung von de’ignis gehört. Nach ihren Informationen war meinem Mann sofort klar, dass er diesen Kurs komplett absolvieren wollte. Ich zögerte noch, weil

ich meine Begabungen irgendwie in allen Jahren meines Christseins nie in der Seelsorge gesehen hatte. Aber unter dem Aspekt eines gemeinsamen Dienstes entschloss ich mich, zusammen mit meinem Mann im Februar 2011 am ersten Seminar teilzunehmen – mit der konkreten Frage an Gott, ob ich diesen Seelsorgekurs besuchen sollte und ob er mich dazu berufen hat. Und Gott antwortete unmissverständlich! An diesem Wochenende gab es Seelsorge-Übungsgespräche in Kleingruppen, wo ich die Rolle der Seelsorgerin übertragen bekam – und das, wo ich doch nur schnuppern wollte! Die Feedbacks, die ich erhielt, waren sehr positiv und ermutigend, ja noch viel mehr: bei persönlichem Gebet schenkte Gott durch Personen, die mich und meine Gedanken überhaupt nicht kannten, solch konkrete Eindrücke, die mir alle Zweifel nahmen. So stark habe ich Gottes Reden und Interesse an mir selten erlebt.

Schulung für Seelsorge in Langenhart

Nun haben wir schon über die Hälfte der Schulung hinter uns und können sagen, dass wir nicht nur reichlich Wissen empfangen haben. Das besondere sind die Zeiten in der Gegenwart Gottes sowie die Übungsgespräche, die herausfordern und Erfahrungen vermitteln, die kein noch so brillanter Vortrag liefern kann. Und nicht zuletzt sind diese Wochenenden für uns als Ehepaar eine gute Möglichkeit, gemeinsame Zeit miteinander und mit Gott zu verbringen, was uns für unseren gemeinsamen Dienst sehr zugute kommt. Zumal unsere Kinder inzwischen auch in dem Alter sind, dass sie die Zeit ohne uns problemlos überstehen. Wir profitieren schon jetzt von den verschiedenen Themen und erleben immer mehr, wie wir uns in unserer Verschiedenheit als Ehepartner auch bei Gesprächen ergänzen. Als besonders wohltuend empfinden wir die offene, entspannte Haltung der Mitarbeiter im Hören und

Seelsorge mit allen Sinnen erleben in Langenhart

06. – 07.07.2012 19. – 20.10.2012 07. – 08.12.2012

Identitätsentwicklung und -störungen

09. – 11. November 2012

Persönlichkeit des Seelsorgers

Gott gibt mir Wert und Würde

Umgang mit Leid

Ein Seminar für Frauen

Einstieg Eingeladen sind Christen, jederzeit die einen inneren Ruf zur Seelsorge verspüren. Inter- möglich! essierte sind ebenfalls eingeladen. Gerade in unserer Zeit suchen immer mehr Menschen mit psychischen Problemen in christlichen Gemeinden Hilfe. Veranstaltungsort: Heu-Hotel Brigel-Hof, Meßkirch-Langenhart mit dem Angebot von Seminarräumen, freundlichen Zimmern, Heu-Hotel und Verpflegung vom eigenen Hof. de’ignis-Wohnheim gGmbH – Haus Tabor zur außerklinischen psychiatrischen Betreuung Tel.: 07575 92507-0 oder 07570 951967; E-Mail: seelsorgekurs@deignis.de

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Der Titel spricht für sich! Ein sehr wichtiges, aktuelles und immer wiederkehrendes Thema. Durch ressourcenorientierte Seelsorge werden die Teilnehmerinnen gestärkt und ermutigt.

Seminarleitung: Dagmar Göhring und Alexandra Pfeifer mit Team

www.deignis.de


DE’IGNIS AKTUELL

Warten auf Gottes Reden oder Handeln. Auch der Rhythmus der einzelnen Seminarteile (10 Termine verteilt auf 2 Jahre) ist gut gewählt, so kann das Erlebte in der Zwischenzeit „verdaut“ werden. Und das Engagement in der Gemeinde oder Ähnliches leidet auch nicht.

Gudrun und Peter Leidemann, Februar 2012 Vom Umgang mit Krisen „Das Leben ist der beste Lehrmeister“ – dieses Zitat fiel mir zum Referat von Dr. Viktor Tiederle ein. Im Rahmen des 7. Seeelsorgekurses in Langenhart referierte Dr. Viktor Tiederle am Samstagvormittag zu diesem Thema. Wer, wie er selbst, Krisen, Krankheit oder Tod erlebt hat, kann nachempfinden, welche Hilfestellungen in

der Begleitung wichtig sein können. Einführend in das Thema beschrieb er die unterschiedlichen Krisen, positive und negative Veränderungen sowie die Konsequenzen, die eine Krise mit sich bringen. In einer kurzen Einheit, konnte jeder für sich selbst nachdenken, was ihm Schwierigkeiten im Umgang mit Leid und Tod macht. Und wie er solche Situationen durch eigenes Erleben oder im Bekannten- und Familienkreis erlebt hat. Rückzug, Sprachlosigkeit auf Seiten vom Betroffenen, Hilflosigkeit und Sprachlosigkeit auch auf Seiten des Nahestehenden oder Begleitenden – das macht es nicht einfach. Doch Dr. Viktor Tiederle machte uns Mut, z. B. die Sprachlosigkeit auszudrücken, sich nicht vom Betroffenen zurückzuziehen, sondern sich Zeit zu nehmen. Zuhören würde als Wohltuend

empfunden. Vertiefend tauschten wir uns anschließend in der Kleingruppe zu einem Fallbeispiel aus, wie wir Hilfestellung geben können und wer welche Hilfe benötigt. Es war eine lehrreiche Einheit, entstanden durch den Mut des Referenten, andere an seinen Erfahrungen teil haben zu lassen.

Linda Lutz, Mai 2012

Christliche Stiftung de‘ignis-Polen – Mit vollen Segeln in großen Herausforderungen

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olen erlebt zwar einen gewissen wirtschaftlichen Aufschwung, aber große Teile der Bevölkerung leben nach wie vor in bitterer Armut. Es gibt aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung im Land Gewinner und Verlierer. Viele Gemeinden sind finanziell damit ausgelastet, ihre Armen und Bedürftigen zu versorgen. So sind wir auch weiterhin auf Eure Unterstützung angewiesen. Im ganzen Land halten wir Schulungen und Vorträge im Bereich Seelsorge, aber auch über andere wichtige geistliche Themen. Die Christen in Polen kommen zum großen Teil aus einem gesetzlichen, angstbesetzten und leistungsorientierten Gottesbild. Nach der Wende und mit der Öffnung zum Westen hin haben sie dann mit der Hoffnung auf Erweckung jeden geistlichen Trend im Sinne einer Methodenorientierung mitvollzogen. Im Moment macht sich Ernüchterung

breit und sie sind auf der Suche nach einem ehrlichen geistlichen Weg, der ihrer Mentalität entspricht. Deshalb sind sie sehr offen für unsere Akzente, die geprägt sind von der liebevollen freundlichen Begegnung mit Gott und einer daraus resultierenden prozesshaften Veränderung. Sie haben bemerkt, dass die zum Teil vollmundigen Versprechungen zur sofortigen Befreiung, Heilung und Erweckung sich nicht wie erwartet erfüllen. Deshalb sind sie auf der Suche nach ehrlichen und tragfähigen Konzepten und Wegen. Unsere Botschaft von Gnade, Liebe und Barmherzigkeit gepaart mit Glaube und Hoffnung mit dem Ergebnis einer, wie oben schon gesagt, prozesshaften Entwicklung, scheint wie eine göttliche Antwort für dieses Land zu sein. Geistliche Erfahrungen und Erweckung können nicht gemacht, sondern nur empfangen werden. So öffnen sich für unse-

POLEN AKTUELL

ren Verkündigungsdienst viele Türen mit dankbaren Zuhörern. Unser Seelsorgekurs im Theologischen Seminar in Warschau ist sehr gut besucht, der Aufbau eines Seelsorgenetzwerkes mit qualifizierten Seelsorgern entwickelt sich ständig weiter. An der Eröffnung unseres stationären Therapiezentrums in Pomysk arbeiten wir mit Hochdruck. All dies ist für uns mit hohem finanziellem Aufwand verbunden, den wir nur mit Hilfe von vielen Spenden bewältigen können. Winfried Hahn Vorstandsvorsitzender der Christlichen Stiftung de’ignis-Polen Spendenkonto: Christliche Stiftung de’ignis-Polen Konto 7 260 512 BLZ 666 500 85 Sparkasse Pforzheim

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ADRESSEN

Ambulante Therapie und Beratungsstellen (de’ignis) de’ignis-Gesundheitszentrum Sommerstraße 1 72227 Egenhausen Telefon 07453 9391-0 info@deignis.de de’ignis-Wohnheim Fred-Hahn-Straße 32 72514 Engelswies Telefon 07575 92507-0 wohnheim@deignis.de de’ignis-Institut Beratungsstelle Lerchenstraße 40 72213 Altensteig Telefon 07453 9494-310 institut@deignis.de

Gillian Flügel Beratungsstelle Am Bauschbergle 45 72108 Rottenburg Telefon 07472 7833 gillfluegel@hotmail.de Magdalena Schnabel Beratungsstelle Max-Liebermann-Straße 9 73257 Köngen/N. Telefon 07024 8689169 info@jahwe-rapha.de Dorothea Reuther Beratungsstelle Dillweißensteiner Straße 9 75180 Pforzheim Telefon 07231 784088-0 dorothea.reuther@gmx.net

Dagmar Göhring Ulmenweg 22 88605 Meßkirch-Langenhart Telefon 07570 951967 dabegoe@t-online.de

Dr. med. Martina Dickhaut Beratungsstelle Flamweg 89 25335 Elmshorn Telefon 0175 6552413 martinadickhaut@gmx.de

Erika Gasper Beratungsstelle Alte Jakobstraße 75 10179 Berlin Telefon 030 27591782 erika.gesper@freenet.de Katrin Lehmann & Annette Kuhn Beratungsstelle Großenhainer Straße 137 01129 Dresden Telefon 0351-84387-77 kathrin.lehmann@deignis-dresden.de

Kompetenz. Und Gottvertrauen. Durchatmen, wenn die Luft raus ist. Effektive Präventionsangebote. Gesundheit ist ein hohes Gut, das es zu schützen gilt. Alle Maßnahmen, die dazu dienen, Gesundheit zu erhalten und Krankheiten zu vermeiden, werden unter dem Oberbegriff „Gesundheitliche Prävention“ zusammengefasst. Dabei ist viel Eigeninitiative gefordert, denn jeder kann die eigene seelische und körperliche Gesundheit stark beeinflussen. Eine praktische Anleitung, wie Körper und Seele gesund gehalten werden können, bieten unsere individuell gestaltbaren Gesundheitswochen und unser Kompaktkurs zur Stressbewältigung und -prävention.

de’ignis-Fachklinik gGmbH auf christlicher Basis für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik Walddorfer Straße 23 · 72227 Egenhausen Telefon 07453 9391-0 Telefax 07453 9391-193 info@deignis.de

www.deignis.de

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Detaillierte Informationen zu den Leistungen, Kosten und Terminen der de’ignis-Präventions-Angebote senden wir Ihnen gerne zu.


Arbeiten mit Gott in der Nähe von Frankreich. Wir sind eine Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Und wir glauben. Daran, dass Menschen dann am besten helfen können, wenn es ihnen selbst gut geht. Dafür tun wir so einiges – Sie werden angenehm überrascht sein. Und wenn Sie glauben, dass Beruf Berufung sein sollte, dann möchten wir Sie kennenlernen. Alle Stellen- und Ausbildungsangebote unter deignis.de z.B. Physiotherapeut/in z.B. Assistenzärztin/-arzt z.B. Koch/Köchin Erster Platz Kategorie „Kliniken“

Möchte ich das de’ignis-Magazin weiterhin? Bitte bestellen Sie das de’ignis-Magazin ab, wenn Sie es nicht mehr lesen oder sich nicht mehr dafür interessieren! Wir gestalten, drucken und versenden das Magazin kostenlos! Wenn es nicht mehr benötigt wird, einfach Postkarte ausfüllen, ausschneiden und diese in den Briefkasten werfen. Dann können wir unseren Verteiler aktualisieren. Vielen Dank, Sie helfen uns damit sehr! Gerne senden wir Ihnen auch mehrere Exemplare zum Verteilen an Interessenten oder zum Auslegen, wie z. B. in Arztpraxen oder Kirchengemeinden. Natürlich geht das auch ganz einfach per E-Mail an: info@deignis.de Foto: Jupiterimages/thinkstockphotos.de

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