Umsetzungstipp
Geleitete Fallarbeit
Situationen aus der Berufspraxis Schritt für Schritt bearbeiten
Publikationsreihe
«Umsetzungstipps – Unterrichtsmethoden»
In unserem Vademecum «ÜberUnterrichten» haben wir die Herausforderungen kompetenzorientierter Unterrichtsmethoden vorgestellt und ein Spektrum verschiedener Unterrichtsmethoden aufgezeigt, mit denen Sie Handlungskompetenz in Ihren Unterricht integrieren.
Im Fokus stehen dabei:
> Methoden, um Lernvoraussetzungen zu schaffen
> Methoden zur Vermittlung und Sicherung von berufsrelevantem Wissen und Verständnis
> Methoden zur Vermittlung, Anwendung und Wissenssicherung von Vorgehensweisen, Fertigkeiten und Techniken
> Methoden zur Förderung und Reflexion des persönlichen, berufsbezogenen Erfahrungswissens
> Methoden zur Festigung von beruflicher Erfahrung
> Methoden, um Auswertung und Abschluss zu gestalten
Die Umsetzungstipps knüpfen an das Vademecum an und vertiefen jeweils eine darin aufgeführte Unterrichtsmethode. Fokus der Umsetzungstipps – sie tragen ihn bereits im Namen – ist die Umsetzung. Während im Vademecum vor allem das Was ins Zentrum gestellt wurde, so geht es in den Umsetzungstipps nun um das Wie der zentralen Unterrichtsmethoden.
Wir hoffen, Ihnen mit den Umsetzungstipps wertvolle, praxisnahe und vor allem hilfreiche Impulse für die Umsetzung der Unterrichtsmethoden geben zu können.
In der geleiteten Fallarbeit bearbeiten die Teilnehmenden komplexe Praxisfälle abgeleitet aus ihrem Berufsalltag. Anhand vorgegebener Teilaufgaben trainieren sie berufsrelevante Fertigkeiten und festigen so ihr Handlungswissen. Dies reicht von der Analyse einer vorgegebenen Situation über die eigentliche Bearbeitung bis hin zum Ziehen von Schlussfolgerungen.
Die geleitete Fallarbeit bildet typische Berufssituationen ab, die durch vorgegebene Aufgabestellungen eigenständig durch die Teilnehmenden bearbeitet werden. Die Teilnehmenden werden damit systematisch durch den Fall geführt und erarbeiten etappenweise die korrekte(n) Lösung(en).
Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass Teilnehmende im konventionellen Unterricht nur einen geringen Teil der Zeit selber aktiv sind. Da die Eigenaktivität von Teilnehmenden aber ein massgeblicher Faktor für die Behaltensleistung ist, sollte dieser mehr Zeit eingeräumt werden (Frey & FreyEiling 2010).
Die geleitete Fallarbeit verspricht hier einen hohen Grad an selbstbestimmtem Lernen, da die Teilaufgaben selbstständig erarbeitet werden. Die Teilnehmenden gestalten das Bearbeitungstempo individuell, indem sie jeder Teilaufgabe ihren Bedürfnissen entsprechend Zeit widmen.
Die Individualisierung der Lerntempi wirkt sich nicht nur förderlich auf die Motivation der Teilnehmenden aus, sondern auch auf deren Erleben von Selbstwirksamkeit. Zum Vergleich: Im traditionellen Unterricht wird das Unterrichtstempo zumeist vom leistungsstärksten Drittel diktiert (Frey & FreyEiling 2010).
Die geleitete Fallarbeit lehnt sich an die Prinzipien der klassischen Fallstudie an, ist aber stärker strukturiert durch konkrete, sequenzielle Anleitungen. Die Adaptionen sind auf Basis des Erfahrungswissens der Ectaveo AG entstanden.
Folgende Literatur ermöglicht einen theoretischen Einblick in die Unterrichtsmethode:
Ellet, W. C. (2008).
Das FallstudienHandbuch der Harvard Business School Press: BusinessCases entwickeln und erfolgreich auswerten. Bern: Haupt.
Frey, K. & FreyEiling, A. (2010). Ausgewählte Methoden der Didaktik. Zürich: vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich.
anforderungen an die unterrichtsmethode
Der Nutzen einer geleiteten Fallarbeit hängt stark von der Auswahl eines geeigneten Praxisfalls und wirksamen Aufgabenstellungen ab. Ein Fall, welcher die Teilnehmenden inhaltlich unterfordert, ist genauso wenig förderlich wie ein Fall, welcher die Teilnehmenden mit Themen konfrontiert, die ihnen noch unbekannt sind.
Die Auswahl einer geeigneten Berufssituation orientiert sich darum an Handlungen, die von den Teilnehmenden in ihrem Arbeitsalltag ausgeführt werden. Ebenso ist es wichtig, dass die Aufgabenstellungen authentisch sind. Das heisst, sie sind Arbeitsaufträgen, welche die Teilnehmenden im wahren Berufsleben ausführen, nachempfunden.
Folglich eignet sich die geleitete Fallarbeit nicht zur Einführung eines neuen Themas oder neuer Praxisvorgänge, sondern dient in erster Linie der Anwendung und dem Aufbau von Routine von neu gelernten Handlungsabläufen.
tipps
Die Unterlagen zur geleiteten Fallarbeit werden von der Lehrperson im Vorfeld des Unterrichts erstellt. Dies umfasst:
> Fallbeschreibung
> Aufgabenstellungen
> Fallmaterial (Belege, Schreiben, Auszüge von Dokumenten usw.)
> Musterlösungen
Ausschlaggebend für den Erfolg einer geleiteten Fallarbeit ist die Qualität der Fallbeschreibung und der Aufgabenstellungen. Diese beiden Elemente zusammen müssen eine stimmige Fallarbeit ergeben.
Vollständige Fallbeschreibung
Die Fallbeschreibung ermöglicht einen umfassenden Einblick in die Ausgangssituation und bettet die nachfolgenden Aufgabenstellungen in einen praktischen Kontext ein.
Sie beinhaltet eine ausführliche Beschreibung der Rolle der Teilnehmenden sowie grundlegende Informationen zum Unternehmen, in welchem die Teilnehmenden in der beschriebenen Rolle tätig sind.
Ausserdem werden in der Fallbeschreibung die aktuellen Geschehnisse oder Problemstellungen im Arbeitsgebiet der Kandidat/innen sowie die Herausforderungen und Rahmenbedingungen aufgeführt.
Zusätzlich zu dieser Beschreibung können den Teilnehmenden Beilagen zur Verfügung gestellt werden, welche vertiefende Informationen enthalten und für das Lösen der Aufgabenstellungen relevant sind. Beispiele hierfür sind betriebliche Planungsgrundlagen, ein Unternehmensporträt, ein Organigramm, eine Übersicht über die Mitarbeitenden
im Team, eine Budgetplanung usw. Kommen solche Beilagen zur Anwendung, so wird im Rahmen der Beschreibung der Ausgangssituation darauf verwiesen.
Treffsichere Aufgabenstellungen
Die Aufgabenstellungen führen die Teilnehmenden sequenziell durch die Fallbearbeitung. In der Regel erhalten die Teilnehmenden zu einer Fallbeschreibung ca. 3–5 Teilaufgaben.
Pro Teilaufgabe können Informationen zur Ergänzung der Fallbeschreibung aufgeführt werden. Wichtig ist, dass die Aufgaben sowohl mit der Fallbeschreibung und der Rolle in Zusammenhang stehen als auch konkrete Aufgaben aus der beruflichen Praxis der Teilnehmenden repräsentieren.
Es gibt verschiedene Arten von möglichen Aufgabenstellungen, die im Rahmen einer geleiteten Fallarbeit zur Anwendung kommen können. Es lohnt sich, mindestens eine Analyseaufgabe zu integrieren. Mit einer Analyseaufgabe kann einerseits sichergestellt werden, dass sich die Teilnehmenden fundiert mit der Fallbeschreibung auseinandersetzen, und andererseits kann damit ihre Analysefähigkeit überprüft werden.
Mögliche Aufgabenstellungen
Aufgabentyp Mögliche Aufgabenstellungen
Analyse
Schlussfolgerung
> Beschreiben der relevanten Anspruchsgruppen und deren Interessen
> Relevante Schnittstellen und Abhängigkeiten aufzeigen
> Beschreiben der für das weitere Vorgehen zu beachtenden Aspekte
> Mögliche Konsequenzen aufzeigen
Konzeption
Umsetzung
> Ein Vorgehenskonzept skizzieren
> Konkrete Massnahmenpläne ausarbeiten
> Erstellen einer Preisberechnung
> Ausarbeiten eines Stellenprofils
> Skizzieren eines Prozessablaufs
Tipps für das Erstellen einer Fallarbeit
Folgende Tipps helfen bei der Ausarbeitung der Fallbeschreibung, der Aufgabenstellungen sowie der Musterlösung.
Merkmale der Fallbeschreibung
> Sie beschreibt eine mittelkomplexe, realistische Situation, die typischerweise in der Praxis der Teilnehmenden vorkommt.
> Sie ist gut nachvollziehbar, logisch aufgebaut und in sich konsistent.
> Sie setzt die nachfolgenden Aufgabenstellungen in einen Kontext.
> Sie beschreibt eine Situation, die ein aktives Handeln von den Teilnehmenden in ihrer beruflichen Rolle erfordert.
> Sie beinhaltet nur Informationen, die für die nachfolgenden Aufgabenstellungen gültig sind.
> Etwaige Beilagen sind selbstsprechend oder werden entsprechend eingeführt.
> In der Regel umfasst die Beschreibung der Ausgangslage ca. 1–2 DINA4Seiten.
Merkmale der Aufgabenstellungen
> Es werden nicht Wissen oder theoretische Kenntnisse gefordert, sondern das Umsetzungspotenzial der Teilnehmenden. Das heisst, die Aufgaben orientieren sich an konkreten Tätigkeiten aus der beruflichen Praxis.
> Die Reihenfolge der einzelnen Teilaufgaben folgt einer gewissen Logik (z. B. entlang des Kernprozesses).
> Die Teilaufgaben sind so weit als möglich voneinander unabhängig, damit Folgefehler vermieden werden.
> Die Anforderungen an die Lösung bezüglich Form und Umfang sind bekannt. Wo sinnvoll, können Lösungsraster vorgegeben werden.
> Die Aufgabenstellungen sind mit den verfügbaren Informationen aus der Fallbeschreibung und den Beilagen lösbar. Ist dies nicht der Fall, werden ergänzend zur Aufgabenstellung Zusatzinformationen abgegeben.
Musterlösung
> Bei einer Fallarbeit gibt es meistens nicht eine richtige Lösung. Deshalb wird für jede Teilaufgabe ein möglicher, idealtypischer Lösungsansatz formuliert.
> Die Lösungsansätze liegen schriftlich vor.
> Die Musterlösung wird parallel zur Ausarbeitung der Fallarbeit entwickelt.
Im Unterricht wird die Fallarbeit von der Kursleitung eingeführt und die Rahmenbedingungen zu Zielen, Erwartungen und Methodik bekannt gegeben.
Wichtig für die Teilnehmenden ist zu verstehen, welche Teile der geleiteten Fallarbeit verpflichtend gelöst werden müssen und welche Teilaufgaben optional bearbeitet werden können.
Die Bearbeitung der Fallarbeit erfolgt in Eigenregie der Teilnehmenden. Sie kann sowohl in Einzelarbeit als auch in Gruppen durchgeführt werden. Die Kursleitung coacht und steuert mit lenkenden Fragen – aber nur punktuell und auf konkretes Nachfragen.
Wichtig ist, dass für eine abschliessende Auswertung genügend Zeit eingeplant wird. Idealerweise wird zur Besprechung der geleiteten Fallarbeit die Musterlösung beigezogen und allfällige Abweichungen der Resultate der Teilnehmenden diskutiert.
Kompetenzorientierter Unterricht auf den Punkt gebracht. Ohne Fragezeichen? Denn obschon das Vermitteln, Sichern und Anwenden von Kompetenzen in aller Munde und Bestandteil jedes zeitgemässen Unterrichtskonzepts ist, zeigen sich die Schwierigkeiten oft erst bei der Umsetzung.
In unserer Reihe «Umsetzungstipps» unterstützen wir Sie bei der Ausgestaltung kompetenzorientierter Bildungsmassnahmen. Wir zeigen Ihnen, wie Sie kompetenzorientierte Unterrichtsmethoden punktgenau im Unterrichtsalltag umsetzen können.
Unsere Publikationsreihe umfasst ein Spektrum von rund 40 Unterrichtsmethoden. Diese werden laufend publiziert.
Im Bereich «Fertigkeiten und Handlungswissen anwenden und trainieren» bietet die Publikationsreihe Umsetzungstipps zu folgenden Unterrichtsmethoden:
Rollenspiel
Handlungssimulation
Geleitete Fallarbeit
Postkorb
Erfolgskritische Situationen (Critical Incident)
Sie finden unsere Umsetzungstipps jeweils nach Erscheinen auf unserer Homepage. Möchten Sie die Umsetzungstipps lieber in gedruckter Form beziehen, tragen Sie sich ein unter: www.ectaveo.ch/abonnement-umsetzungstipps
Wir stellen Ihnen diese gerne regelmässig nach Erscheinen per Post zu.
Herausgeberin
Ectaveo AG
Riedtlistrasse 15a
CH-8006 Zürich info@ectaveo.ch www.ectaveo.ch
Autorin
Ectaveo AG
Gestaltung und Satz dezember und juli gmbh www.dezemberundjuli.ch
Auflage 1. Auflage, 2022
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