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REISEN&ENTDECKEN
Hamburger Abendblatt
Sonnabend/Sonntag, 6./7. Juli 2019
Reisen auf Gleisen Hauptsache ankommen? Bahnfahrten sind auch im Urlaub meist Mittel zum Zweck. Doch manchmal ist schon der Weg das Ziel. Fünf Beispiele hof der sächsischen Landeshauptstadt eben noch das ganze Charisma jener Epochen in sich trägt, als die Eisenbahn das mobile Leitmedium war. Und der Bahnhof nicht bloß ein Einkaufszentrum mit Gleisanschluss. Vor allem aber, weil in Dresden mit Mut und gleichzeitigem Maßhalten ein historisches Gebäude in die Gegenwart überführt wurde. Ja, gewissermaßen ist der Dresdener Hauptbahnhof so etwas wie die Reichstagskuppel der Deutschen Bahn. Auch hier ist es eine Dachkonstruktion, die den klassizistischen Bau gleichsam konterkariert und doch harmonisch vollendet. Und auch hier heißt der Architekt Norman Foster. 2007 hat er den Bahnhof mit jener kühnen Dachkonstruktion aus gerade einmal 0,8 Millimeter dünnen, weitgehend lichtdurchlässigen Glasfasermembranen überspannt. Und über dem Hauptportal begrüßt weiterhin der wuchtige Historizismus der Saxonia-Statue die Reisenden. Eine glückliche Konfrontation der Architekturepochen.
C EM EN S N IED EN TH AL
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Nürnberg Hauptbahnhof: Zeuge eines Zeitalters
Nein, damals sah der Bahnhof von Nürnberg noch anders aus. Ein miniaturschönes Spitzgiebelhaus wie in den fränkischen Weinbergen oder in Otto Ubbelohdes Illustrationen zu den Märchen der Brüder Grimm. Aber als zum ersten Mal ein Zug durch Deutschland dampfte, am 7. Dezember 1835, wäre ein großer Bahnhof auch unangebracht gewesen, lag vor dem Bahnhofsgebäude doch nur ein einziges Gleis und auch das sollte nach gerade einmal sechs Kilometern an einem Prellbock enden. NürnbergFürth – bereits zehn Jahre später war daraus ein Streckennetz von 2300 Kilometern und 70 Jahre später eines von rund 57.000 Kilometern Länge geworden. Ungefähr zu dieser Zeit hat auch der Nürnberger Hauptbahnhof seine heutige Form bekommen. Ab 1900 entstand das Gebäude als wuchtige, raumgreifende Architektur des Neobarocks, die Fassade aus Muschelkalk, das geflügelte Rad als Symbol des beschleunigten Fortschritts über dem Hauptportal. Heute ist der Nürnberger Hauptbahnhof ein erkenntnisreicher Zeuge des beginnenden Eisenbahnzeitalters. Schon alleine, weil gleich gegenüber noch die Stadtmauer steht, wie man sie im 19. Jahrhundert eigentlich in der Nähe jedes großen Stadtbahnhofs, des Anhalter Bahnhofs in Berlin wie des Centralbahnhofs in Frankfurt, fand. Der Grund: Mit der Industrialisierung war das Bauland innerhalb der Städte teuer geworden, weshalb die Schienenwege der zunächst privaten Eisenbahngesellschaften an den Stadtgrenzen endeten. In London oder Paris ist das noch heute zu erkennen, beide Metropolen verfügen über keinen zen-tralen Hauptbahnhof.
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Die Zugspitzbahn: Auf die Spitze getrieben
Kaum hatte die Eisenbahn die Horizontale erobert, begann sie auch schon in die Vertikale zu klettern. Die Semmeringbahn ermöglichte vom Wiener Südbahnhof aus bereits ab 1854 die erste Alpenüberquerung auf dem Schienenweg. Am 21. Mai 1871 dampfte die erste Zahnradbahn vom Ufer des Vierwaldstätter Sees das Bergmassiv der Rigi hinauf. Die Bergbahn wurde zu einem Chiffre der massentouristischen Aufbruchsstimmung. Und als im Sommer 1883 die erste deutsche Zahnradbahn zwar keine alpine
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Der Nürnberger Hauptbahnhof setzt dem Geburtsort der Eisenbahn ein Denkmal.
Höhe, aber immerhin den Drachenfels im rheinländischen Siebengebirge erklomm, beförderte sie während der ersten Sommersaison bereits mehr als 67.000 Fahrgäste auf immerhin 320 Meter Meereshöhe. An schönen Wochenenden, so berichten zeitgenössische Quellen, schoben sich die Menschen über den Gipfel – und fortan war die Bergbahn gleichsam Sinnbild wie Antithese der alpinistischen Idee: Alle wollten in die Berge, die wenigsten aber in geschnürten Wanderstiefeln. Zwischen 1928 und 1930 erbaut, ist die Zugspitzbahn ein vergleichsweise junges Technikdenkmal. Mit dem auf 2650 Metern gelegenen Schneefernerhaus steuert die meterspurige Schmalspurbahn allerdings die mit Abstand höchstgelegene Bahnstation Deutschlands an – und das inzwischen mit modernen Triebzügen, während eine der alten Elektrolokomotiven unten in Garmisch-Partenkirchen auf dem Sockel steht. Als Fotomotiv für ganz spezielle Touristen, die man in einschlägigen Kreisen „Pufferküsser“ nennt.
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Der Rheingold-Express: Ganz große Oper
Die Eisenbahntrassen entlang des Rheins, diesem deutschen Urstrom, waren schon immer von so staatstragender Bedeutung, dass einst Kaiser Wilhelm II. höchstselbst über den Standort des Kölner Hauptbahnhofs entschieden hat. So dicht neben dem Kölner Dom sollte der liegen, dass Reisende bis kurz vor dem Bahnsteig das Gefühl hätten, direkt in das Gotteshaus zu steuern. Dabei waren doch die Bahnhöfe, um es mit Roland Barthes zu sagen, längst die Kathedralen der Neuzeit. Das Eisenbahnnetz wurde ihre Wallfahrtsroute – wobei sich gerade die Rheinstrecke so gern ins Gestern sehnt. Überall die Türmchen und Erker an den Brücken und Tunnelportalen. Als gäbe es im Mittelrheintal noch nicht genügend Burgen. Die kultivierteste Art, den Rhein mit dem Zug zu bereisen, war ab 1928 der Rheingold-Express, cremeweiß und royalblau zunächst und in der Nachkriegsmoderne dann in der typi-
FOTO: ISTOCK/TREE4TWO
schen weiß-roten Farbgebung der Intercity-Züge. Der für den Rheingold-Express entworfene Panoramawagen war damals der Rolls-Royce jeder Märklinanlage. Der Rheingold selbst aber fuhr 1987 mit der Einführung der Euro-City-Züge aufs Abstellgleis. „Rembrandt“ hieß fortan die durchgehende EC-Verbindung von Amsterdam bis in die Graubündner Kantonshauptstadt Chur, auch sie liegt ja am Rhein. Der legendäre TEE-Rheingold immerhin fährt noch als touristischer Sonderzug durchs Mittelrheintal.
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Dresden Hauptbahnhof: Der schönste seiner Art
Der Berliner Hauptbahnhof mag in seiner Fokussierung auf das Quantitative, man nehme nur die raumgreifenden Rolltreppenlandschaften, eine Ausnahmestellung unter den großen Bahnhöfen in Deutschland haben. Am schönsten Station machen lässt sich aber wohl in Dresden. Zum einen, weil der ursprünglich 1898 eröffnete Hauptbahn-
Der Hindenburgdamm: Ab in die Ferien
Vielleicht ist der Hindenburgdamm so etwas wie das Feuilletonstück unter den deutschen Eisenbahnstrecken. Popmusik und Popliteratur hängen unmittelbar mit ihm zusammen – in den Achtzigern wollte die Berliner Band Die Ärzte „Zurück nach Westerland“. In den Neunzigern erzählte der Autor Christian Kracht in seinem Debütroman „Faserland“ von dieser eigenartigen Sehnsuchtsinsel Sylt, die ihren Ruf und ihr Charisma eben auch der eigenartigen Idee verdankt, dass der Zug seit 1932 die Autos auf die Insel bringt. Der Hindenburgdamm selbst wurde bereits 1927 eröffnet. Schwer vorstellbar, wie das soziale Gefüge dieser Insel und ihrer Gäste ohne diese geparkten Statussymbole funktionieren könnte. Denn wirklich weit kommt man auf dem Straßennetz des schrumpfenden Eilands – Jahr für Jahr knabbern die Stürme an der Küstenlinie – eigentlich nicht. Es reicht höchstens für Flanierfahrten auf dem Strönwai in Kampen und einen Abstecher zur Sansibar im Süden und/oder zu Fisch Gosch in List im Norden der Insel. Dass es eigentlich praktischer und sowieso billiger wäre, das Auto auf dem Festland in Niebüll zu lassen – geschenkt. Und der Bahn beschert der Hindenburgdamm im rückläufigen Autozuggeschäft immerhin eine florierende Strecke.
Design-Galerie, Restaurant(s) und Hotel in einem Angekommen: In der „Kazerne“ in Eindhoven trifft Tradition auf Zeitgeist
Von außen eher unscheinbar. FRIE D RICH REIP
Wo? Es grenzt an ein Wunder, dass Eindhoven immer noch als Geheimtipp gelten muss. In aller Ruhe bastelt man im einstigen Produktionszentrum des Elektronikgiganten Philips an der eigenen Neuerfindung. Obendrein ist Eindhoven ein Festspielplatz für Freunde von Design, die hier furchtlose Avantgarde ebenso erleben können wie das berühmte niederländische Industriedesign.
Warum? Bereits seit 2014 betreiben Annemoon Geurts und Koen Rijnbeek in einem einstigen Warenlager im Zentrum von Eindhoven die Kazerne, Galerie und Restaurant in einem. Nun ist das Ganze auch noch ein Boutique-Hotel. Jedes Zimmer in den historischen Gebäuden des früheren Kasernengeländes nebenan hat seinen eigenen Charakter: Vom intimen Appartement bis zum zweistöckigen Loft beherbergen alle spannende Einrichtungsgegenstände niederländischer Designer, die man, ganz Galerie, über den hauseigenen Laden auch erstehen kann.
Wie bitte? Seit März gibt es auf der anderen Seite des kleinen Innenhofs ein zweites Restaurant. Das „Benz“ setzt auf gehobene Küche, die Atmosphäre ist aber trotzdem entspannt. Auf der Karte des nur wenige Plätze bietenden Lokals stehen skandinavische Interpretationen niederländischer Klassiker von Käse bis Kabeljau sowie Familienrezepte von Küchenchef Rasmus Olander.
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