unterwegs 14/2012

Page 1

1. Juli 2012 ISSN 1436-607X

Magazin der Evangelisch-methodistischen Kirche

14/2012

Streit in der Gemeinde: So gehen Sie damit um Gesegnet n

Seit 100 Jahren gibt es Martha-Maria in Halle. Seite 10

Begnadet n

Zum Tod von Dietrich Fischer-Dieskau. Seite 19

Kriminalisiert n

Wie Ungarn mit Obdachlosen umgeht. Seite 23


2 ::: Editorial

kurz gesagt VERDOPPELT HAT SICH DIE ZAHL

der Konfessionslosen in der Schweiz in den vergangenen zehn Jahren. Im Jahr 2000 waren 664.000 Einwohner über 15 Jahre konfessionslos; 2010 waren es über 1,3 Millionen. 2,5 Millionen Schweizer (38,8 Prozent) sind römisch-katholisch – 3,4 Prozent weniger als im Jahr 2000. Rund zwei Mil­ lionen Schweizer (31 Prozent) gehören zur evangelisch-reformierten Landeskirche. Die übrigen christ­ lichen Glaubensgemein­schaften stellen 2,4 Prozent. Muslime machen 4,5 Prozent der Bevölkerung aus (+0,9 Prozent). Die Jüdische Gemeinschaft kommt auf 0,2 Prozent. ERSTMALS STEHT EIN SCHWARZER

an der Spitze der größten protestantischen Kirche in den USA. Die Delegierten des knapp 16 Millionen Mitglieder zählenden Bundes der Südlichen Baptisten wählten den 55-jährigen ­Pastor Fred Luter zu ihrem Präsidenten. Die Southern Baptist Convention entstand 1845 aus einer Abspaltung von den nördlichen Baptisten. Ursache war ein Streit um die Sklaverei, die die Baptisten in den Südstaaten beibehalten wollten. Erst vor rund 20 Jahren bat die Kirche offiziell um Vergebung dafür, dass sie lange den Rassismus gebilligt habe. EIN ZWEIMINÜTIGES LÄUTEN der

So erreichen Sie uns: Redaktion »unterwegs« Telefon 069 242521-150 E-Mail: unterwegs@emk.de Aboservice: 0711 83000-0

Kirchenglocken um 6 Uhr morgens ist zumutbar. Das hat der baden-württembergische Verwaltungsgerichts-

hof entschieden. Damit wies das Gericht die Klage eines älteren Kirchenmitglieds in Remshalden bei Stuttgart ab. Er hatte argumentiert, das Läuten vor Sonnenaufgang beruhe auf der heidnischen Überzeugung, böse Geister abzuwehren. Außerdem störe ihn das frühe Glockengeläut beim Lesen der Bibel oder der Meditation. ISLAMISCHE VERBÄNDE sollen

sich deutlich vom Salafismus distanzieren. Das fordert der Islamwissenschaftler Ralph Ghadban. Die Haltung des Koordinationsrates der Muslime im Blick auf die Salafisten sei fragwürdig. Darüber hi­ naus kritisierte Ghadban einen fehlenden Respekt der Muslime vor anderen Religionen. »Christen werden als potenzielle Muslime gesehen«, sagte der Dozent an der Evangelischen Fachhochschule Berlin. IMMER MEHR MENSCHEN in

Deutschland erhalten regelmäßig Lebensmittel bei den Tafeln. Der Bundesverband Deutsche Tafel verzeichnete in den vergangenen zwölf Monaten einen Anstieg gegenüber dem Vorjahr um etwa 300.000 auf 1,5 Millionen Hilfebedürftige. Der Vorsitzende des Bundesverbandes, Gerd Häuser, forderte die Politik auf, endlich die Ursachen der Armut zu ­bekämpfen. Nötig sei eine gerechte Sozialund Steuerpolitik, sagte Häuser. Die Tafeln seien kein Ersatz für den Sozialstaat. epd/idea

unterwegs 14/2012 14/2012 ::: ::: 1. 1. Juli Juli 2012 2012 unterwegs

Foto: Privat / TitelFoto: SXU.

Erst informieren, dann reden Wie unsere Mediengesellschaft funktioniert, lässt sich derzeit in der Debatte um den Verkauf der ehemaligen EmK-Kirche in Rheydt (Seite 25) an die alevitische Gemeinschaft gut beobachten: Anstatt sich zu informieren, schreiben viele Journalisten einfach ab, was andere geschrieben haben. Oder sie fragen Leute, die sich nicht auskennen. Heraus kommen Halbwahrheiten und schlecht recherchierte Meldungen, die auch durch Wiederholung nicht richtig werden. Was dabei unter den Tisch fällt: Es gibt nicht den einen Islam. Vielmehr existieren zahlreiche Aus­ richtungen unterschiedlichster Prägung. Dabei nehmen die Aleviten eine besondere Stellung ein. In der Türkei, wo etwa ein Drittel der Einwohner Aleviten sind, werden sie nicht als eigenständige Religionsgemeinschaft anerkannt und – ähnlich den Christen – in vielen Bereichen diskriminiert. Viele sind deshalb nach Deutschland ausgewandert, wo sie ihren Glauben frei leben können. Hier engagieren sie sich auch in interreligiösen Gesprächen. Hinzu kommt, dass EmK-Kirchen keine durch Weihe heiligen Räume sind, sondern erst durch die Gemeinde zu heiligen Orten werden. Insofern kann eine EmK-Kirche auch nicht »entweiht« werden. Das alles muss man wissen, wenn über den Verkauf in Rheydt gesprochen wird. Dann würden manche Urteile anders ausfallen. Ihr Volker Kiemle


Titelthema: Streit in der Gemeinde ::: 3

Der Blick von außen hilft Unterschiedliche Meinungen gehören zum Leben – auch in einer Gemeinde. Dabei ist es egal, ob es um einen Streit oder um die Richtung der Arbeit geht. Entscheidend ist, wie wir damit umgehen. Oft ist es hilfreich, wenn Außenstehende sich den Konflikt anschauen und vermitteln. In der EmK gibt es deshalb ein Team, das Gemeinden begleitet. Ein Gespräch mit Pastor Jörg Finkbeiner.

Foto: volker kiemle / medienwerk der emk

Was unterscheidet Gemeindeberatung von ­Gemeindeentwicklung? Jörg Finkbeiner: Die Gemeindeberatung kommt mehr bei Konflikten und in Fragen der Beziehungen innerhalb der Gemeinden zur Anwendung. Häufig ist hier Mediation ge fragt. In der Gemeindeentwicklung geht es stärker um Ziele und Leitbilder. Wie kann sich eine Gemeinde positiv entwickeln, wie kommt sie mit den Herausforderungen an sie zurecht? Da muss kein Konflikt vorliegen. Gemeindeberater sind also eine Art Feuerwehrleute, während die Berater in guten Zeiten kommen … Jörg Finkbeiner: Es gibt in unserem Team einige Personen, die besonders für Mediation und Konfliktmanagement ausgebildet sind. Der klassische Gemeindeberater kommt aus der Organisationsentwicklung. Wo möglich, versuchen wir das zu kombinieren: Mann und Frau, Gemeindeberater und Mediatorin oder umgekehrt. Wenn es nötig ist, schicken wir aber auch Mediatons-Spezialisten in die Gemeinden.

unterwegs 14/2012 ::: 1. Juli 2012

Wie kommen Gemeinden an diese Hilfe heran? Jörg Finkbeiner: Erste Anlaufstelle bin ich, ich ver-

mittle dann die Anfrage an die Gruppe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und stelle die Teams zusammen. Dann wird zwischen Beratern und Gemeinde ein richtiger Vertrag abgeschlossen, in dem Erwartungen, Ziele, Umfang und Zeitplan der Beratung festgelegt werden. Wie hat sich die Arbeit der Gemeindeberater in den vergangenen Jahren verändert? Jörg Finkbeiner: Die Themen haben sich verändert. Zurzeit gibt es häufig Fragen, die durch strukturelle Veränderungen – wie etwa Fusionen oder Personalreduzierungen – ausgelöst wurden. Zwei Beispiele: Ein Bezirk hatte bisher drei Pastorenstellen und muss künftig mit zwei auskommen – wie kann das organisiert werden? Oder: Ein Bezirk hat zwei Kirchen, die beide dringend renoviert werden müssen, das Geld reicht aber nur für eine. Welche Lösungen kommen ­dafür in Frage? Insgesamt gesehen gibt es heute in

»Gemeinden sind sich ­heute mehr bewusst, dass Konflikte bearbeitet werden müssen«, sagt Jörg ­Finkbeiner.


4 ::: Titelthema: Streit in der Gemeinde

den Gemeinden ein größeres Bewusstsein dafür, dass Konflikte bearbeitet werden müssen. Früher hat man ­Konflikte länger schweigend ausgesessen und ihre lähmende Kraft akzeptiert, statt sie wirklich anzugehen. Gibt es einen typischen Konflikt in Gemeinden? Jörg Finkbeiner: Das weniger. Es gibt eher ähnliche

Muster. Aus der Konfliktforschung kennen wir die so genannten Eskalationsstufen – ein Modell etwa stellt neun Stufen vor, von denen die letzten drei in der Regel vor Gericht oder im Gefängnis enden. Wenn der Konflikt zum Beispiel nicht mehr zwischen zwei Kontrahenten direkt ausgetragen wird, sondern sich ganze Lager bilden – man nennt das Arena-Ausweitung –, dann ist es allerhöchste Zeit für eine Schlichtung von außen. Wie kann eine Gemeinde Konflikte verhindern? Jörg Finkbeiner: Das hängt von der Kultur in der Ge-

meinde und von den Kommunikationsstrukturen ab. Ist man geübt, sich kritisieren zu lassen und Kritik zu üben? Wird klar unterschieden zwischen Sache und Person? Werden kritische Dinge frühzeitig benannt? Sie sind schon einige Zeit in der Gemeindemediation tätig. Gibt es in Ihrer Gemeinde jetzt keine Konflikte mehr? Jörg Finkbeiner: Natürlich gibt es auch in meiner Gemeinde Konflikte! Und da merke ich, wie wichtig es ist, dass eine Beratung bei Konflikten von außen kommt. Mir fehlt zwangsläufig die kritische Distanz. Allerdings ist mir durch meine Beratungstätigkeit sehr bewusst, wie wichtig zielgerichtetes Arbeiten ist. Dazu gehört regelmäßiges Draufschauen auf das, was läuft – und wenn es schief läuft, frühzeitig darüber zu reden. Aber die Probleme sind vermutlich in allen Gemeinden ähnlich.

Schon in den ersten Gemeinden gab es Streit. Taugt der Apostel Paulus als Vorbild für Konfliktschlichtung? Jörg Finkbeiner: Streitkultur hatte Paulus – das zeigt etwa die Auseinandersetzung mit Petrus, von der in Galater 2 berichtet wird. Paulus stellt Petrus entschieden zur Rede, und zwar von Angesicht zu Angesicht. Allerdings weicht er später auch aus und reist im Streit ab. Er tat sich als antiker Mensch schwer damit, wenn jemand anderer Meinung war. Hat sich die Christenheit also in Sachen Konfliktbearbeitung seither weiterentwickelt? Jörg Finkbeiner: Noch immer fällt es uns schwer, zu Schwächen zu stehen und zuzugeben, dass wir unseren moralischen Ansprüchen nicht genügen. Da wird noch vieles unter den Teppich gekehrt. Auch in unserer Kirche gibt es Tabuthemen. Aber die meisten Gemeinden haben nach meiner Beobachtung ein zunehmendes Interesse daran, Konflikte zu bearbeiten. Was kann Gemeindeberatung bewirken? Jörg Finkbeiner: Im Idealfall gelingt es Gemeinden, durch die Begleitung der Gemeindeberatung, das herauszufinden, was für sie gerade dran ist. Und das kann vom Bearbeiten von Konflikten über veränderte Schwerpunktsetzungen und konkrete Projekte bis hin zu einem anderen Selbstverständnis führen. Die eine Gemeinde etwa kommt zu der entlastenden Erkenntnis, »wir sind eine Seniorengemeinde 55plus und brauchen uns nicht immer schlecht zu fühlen, wenn wir keine Jugendlichen mehr erreichen, sondern schauen, was sich mit unseren Stärken entwickeln lässt«. Eine andere Gemeinde spürt, dass es dran wäre, an einer »Kultur der Fehlerfreundlichkeit und Wertschätzung vor allem für die Mitarbeitenden« zu arbeiten, … n Mehr Informationen zur Gemeindeberatung und

­ emeindeentwicklung bei Pastor Jörg Finkbeiner, G Telefon 07073 7368, E-Mail: joerg.finkbeiner@emk.de Buchempfehlungen zum Thema Konfliktmanagement

Friedrich Glasl: Konfliktmanagement. Ein Handbuch für Führungskräfte, ­Beraterinnen und Berater, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 8. Auflage 2004, 523 Seiten, 78 Euro. ISBN: 978-3-7725-1089-2 n Relativ teuer, mit hohem Anspruch, aber der Klassiker der Konfliktforschung

Ulrich Müller-Weißner: Chef sein im Haus des Herrn. Führen und Leiten in der Kirche – eine Praxishilfe, ­Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2003 (nur antiquarisch verfügbar). ISBN: 978-3-5790-5412-0. n Der Autor ist der Ausbilder der Evangelischen Kirche in der Pfalz

Friedemann Schulz von Thun: ­Miteinander reden, Band 1 – 3, ­Rowohlt Verlag, Reinbek 2008, 29,95 Euro. ISBN: 978-3-4996-2407-9 n Günstig, allgemeinverständlich und inspirierend

Herta Singer / Christine Malcherczyk: Basisbibliothek Gemeindeleitung, ­Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2005; Band 1: Teamentwicklung, ISBN: 978-3-5790-5562-6; Band 2: Konfliktmanagement ISBN: 978-3-5790-5563-3 (nur antiquarisch verfügbar)

n Ebenfalls allgemeinverständlich,

sehr praktisch gehalten, vom Ausbildungsteam der GemeindeberaterInnen von Rummelsberg/Bayern Arist von Schlippe/Jochen Schweizer: Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung, Verlag Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 10. Auflage 2003, 29,95 Euro. ISBN: 978-3-5254-5659-0 n Grundlagen des »systemischen ­Ansatzes der Gemeindeberatung

unterwegs 14/2012 ::: 1. Juli 2012


Titelthema: Streit in der Gemeinde ::: 5

Streit gehört zum Leben – auch in der Gemeinde

Wenn es brennt, holen wir die Feuerwehr – niemand käme auf die Idee, sich dafür zu schämen. Doch wenn in unseren Gemeinden zwischen Menschen die Funken schlagen, ignorieren wir das oft. Der Essener Superintendent Rainer Bath ermutigt uns, bei Konflikten rasch Hilfe zu holen. Sonst liegt das Gemeindeleben am Ende in Schutt und Asche.

Foto: Helmut j. salzer / pixelio.de

E

ine Gemeinde ohne Konflikte gibt es nicht. Konflikte gehören zum menschlichen Leben. Wer das ausblendet oder leugnet, trägt dazu bei, dass sich Konflikte verschärfen. Konflikte lösen sich auch nicht von selbst. Sie schwelen im Untergrund weiter. Und immer wieder führen sie dazu, dass Menschen die Gemeinde verlassen. Manche wenden sich sogar ganz vom Glauben ab, weil sie es nicht ertragen, Worte der Versöhnung in einer Situation zu hören, in der Schritte zur Versöhnung nicht möglich scheinen. Konflikte haben aber nicht nur Auswirkungen auf Einzelne in der Gemeinde. Über kurz oder lang können sie das Gemeindeleben so stark stören, dass es auf Menschen, die die Gemeinde besuchen, geradezu abschreckend wirken kann. Wenn eine Gemeinde erlebt, dass zwar gelegentlich Neue hinzukommen, diese aber nicht lange bleiben, dann kann es sein, dass dort Konflikte eine positive Gemeindeentwicklung verhindern.

unterwegs 14/2012 ::: 1. Juli 2012

Unterschiedliche Meinungen sind in Ordnung Fast immer verschärfen sich Konflikte mit der Zeit, wenn sie nicht bearbeitet werden. Abwarten, bis sich ein Konflikt von selbst löst, ist deshalb meist ein fatales Rezept. Eine gute Gemeinde erkennt Konflikte frühzeitig, geht sie an und löst sie so, dass die Beteiligten versöhnt miteinander in der Gemeinde leben können. Dazu braucht es Menschen, die sensibel auf Störungen im Miteinander reagieren und sich nicht scheuen, andere darauf anzusprechen. »Du, ich merke doch, dass da irgendetwas nicht stimmt. Was macht dir zu schaffen?«, kann schon ein Anstoß sein, um an einen Konflikt im Frühstadium heranzukommen. Gut, wenn Glieder der Gemeinde dann nicht warten, bis jemand anderes aktiv wird, sondern zur Sprache bringen, dass etwas nicht in Ordnung ist. Denn je später ein Konflikt angegangen wird, desto schwieriger ist er zu lösen.


»Eine Gemeinde ohne Konflikte gibt es nicht«, sagt Rainer Bath.

Sehr hilfreich ist es, wahrzunehmen und anzuerkennen, dass Menschen unterschiedliche Meinungen und Ansichten haben. Eine Gemeinde ist nicht »besser«, wenn alle sich einig sind. Ob in Fragen der Politik oder in Glaubensdingen: Christen dürfen unterschiedliche Standpunkte vertreten. Auch innerhalb der Gemeinde wird es fast immer unterschiedliche Ansichten zu Lebens- und Glaubensthemen geben. Wenn eingeübt wird, dass jedem das Recht auf eine eigene Meinung zusteht, haben Konflikte es schwerer, zu eskalieren. Vielleicht ist das, was dem einen anzuerkennen Mühe bereitet, für den anderen gar kein Problem. Dagegen kann alles zum Problem werden, wenn es heißt: »Als Christ musst du das doch auch so sehen!« Nicht immer lassen sich Probleme gut und einvernehmlich lösen. Manchmal brauchen wir Hilfe. Es ist keine Schande, sich einzugestehen, dass die eigenen Möglichkeiten nicht reichen. Das ist wie bei einem Feuer: Wenn ich merke, dass der Wassereimer oder mein kleiner Feuerlöscher nicht reicht, dann muss ich die Feuerwehr alarmieren. Sonst sitze ich am Ende auf einem Haufen rauchender Asche. Wer sich im Konfliktfall Hilfe von außen holt, ist nicht gescheitert, sondern weise. Mitunter hilft schon der andere Blickwinkel, um Wege zu einer Lösung zu finden. Die Pastorin der Nachbargemeinde oder ein geschulter Seelsorger bewirken manchmal Dinge, die den Beteiligten wie ein Wunder vorkommen. In unserer Kirche gibt es viele Menschen, die in Konfliktbearbeitung geschult sind: Mediatoren, Gemeindeberater sowie Menschen, die in ihrem Beruf mit Streitschlichtung zu tun haben. Auch hier gilt: lieber einmal zu viel um Hilfe gebeten zu haben, als einmal zu wenig.

Wenn alle gewinnen wollen, verlieren alle Als Superintendent werde ich meistens dann angefragt, wenn es Probleme mit dem Pastor oder der Pastorin gibt. Auch hier gilt es, nicht zu lange zu warten. Denn bei Konflikten geht es nicht darum, zu gewinnen oder zu verlieren. Ab einer bestimmten Stufe verlieren nämlich alle. Leider erfahre ich oft zu spät von einem Konflikt in einer Gemeinde. Meist ist er dann schon auf einer Stufe angekommen, bei der ein Miteinander

kaum noch möglich ist. Dann kann nur noch eine Trennung der Konfliktparteien den Widerstreit entschärfen. Nur durch die Trennung können neue Verletzungen vermieden werden, so dass später die Chance auf Versöhnung besteht. Wenn der Konflikt mit dem Pastor eine größere Gruppe der Gemeinde betrifft, vielleicht den gesamten Vorstand, dann ist das Kabinett (Bischöfin und Superintendenten) gefordert. Oft ist dann eine Veränderung der Dienstzuweisung die einzige Lösung. Das bietet die Chance für einen Neuanfang auf beiden Seiten. Aber auch dann braucht es Begleitung und Hilfe, um mit den Folgen des Konflikts umgehen zu können. Zerstörtes Vertrauen muss langsam wieder wachsen. Verletzungen brauchen Zeit, um zu heilen. Versöhnung in der Gemeinde und mit der eigenen Geschichte gelingt meist nicht von allein. Sie ist jedoch wichtig für die Zukunft. Denn nur dann können wir vermeiden, die gleichen Fehler immer wieder zu machen. Nur dann kann sich unser Blick von der Auseinandersetzung lösen und auf anderes gerichtet werden. Bleibt die Frage nach Schuld in einem Konflikt. Viele meinen, wenn die Schuldfrage geklärt ist, ist auch der Konflikt geklärt. Aber nur in den seltensten Fällen ist die Frage nach der Schuld eindeutig zu klären. Es gibt Fälle, in denen augenfälliges Fehlverhalten einen Konflikt ausgelöst hat – etwa Missbrauch oder Verleumdung. Dies kann Anlass sein für eine disziplinarische Untersuchung oder die Prüfung, ob ein Kirchenzuchtverfahren eingeleitet werden muss. Hier ist der zuständige Superintendent der richtige Ansprechpartner. Meistens aber verteilt sich Schuld, wenn sie denn überhaupt dingfest zu machen ist, auf beide Seiten. Das Verhältnis ist zerrüttet, weil viele kleine und große Dinge – Handlungen, Aussagen, Verhaltensweisen – sich zwischen die Parteien geschoben haben und ein Zusammenkommen erschweren oder gar unmöglich machen. Wenn dann eine Seite darauf beharrt, dass der andere schuld ist, dann verhindert das eher eine Lösung. Ein Schlüssel zur Lösung ist meist die Bereitschaft beider Seiten, die eigenen Schuldanteile zu sehen. Manchmal fragen sich Menschen, was denn eine christliche Gemeinde besonders von einer nichtchristlichen Gemeinschaft unterscheidet. Besonders, wenn es in einer Gemeinde immer wieder zu Streit kommt. Es ist sicher nicht die Abwesenheit von Zerrissenheiten, die eine Gemeinschaft als christlich qualifiziert. Wer das meint, wird über kurz oder lang von der Gemeinde enttäuscht werden. Es ist aber die Art, wie wir mit Konflikten umgehen: Weil Christus uns mit Gott versöhnt hat, werden wir fähig, nicht auf unserem vermeintlichen Recht zu bestehen, sondern uns mit dem anderen versöhnen zu lassen. So gesehen ist Gemeinde nicht die »heile Welt«. Sondern ein Übungsraum, der hilft, Gottes Heil in der Welt zu verbreiten.

unterwegs 14/2012 ::: 1. Juli 2012

Foto: Pprivat

6


9

Wir sind unendlich reich! Oft klagen wir in der Kirche über fehlende Mitarbeiter und mangelndes Engagement. Doch wer genau hinschaut, entdeckt viele Menschen, die ihre Gaben für andere zur Ehre Gottes einbringen. Bischöfin Rosemarie Wenner ermutigt uns, diesen Reichtum bewusst wahrzunehmen.

Foto: Volker Kiemle / Medienwerk der EmK

Z

um Abschluss der Süddeutschen Jährlichen Konferenz fuhr ich mit dem Auto nach Heilbronn. Hinweisschilder, an allen Kreuzungen angebracht, wiesen den Weg zur Halle, in der wir den Gemeindetag feierten. Am Parkplatz wurde ich von netten Menschen eingewiesen und fröhlich begrüßt. Die große Halle war liebevoll geschmückt. Wann wurde all dies vorbereitet, waren hier doch am Abend zuvor 250 Jugendliche zusammen gewesen? Viele Freiwillige wirkten mit, damit etwa 3.000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene einen frohen Tag erlebten. Auch bei den Konferenztagungen in Baiersbronn, Dresden und Berlin waren hilfsbereite Gemeindeglieder da, um die Gäste zu versorgen und den Konferenzablauf reibungslos vonstatten gehen zu lassen. Ich weiß, dass intensives Werben und gute Koordination nötig waren, um genügend Mitwirkende zu gewinnen und am Ende die richtigen Menschen am rechten Ort zu haben. Doch diese Menschen ließen sich finden. Und sie waren mit Freude bei der Sache. Die Kirche durch Fürbitte, Mitarbeit und Gaben zu unterstützen, versprechen wir bei der Gliederaufnahme. Viele Menschen halten dieses Versprechen. Dass Kirchengebäude geputzt und im Winter geheizt sind, dass die Menschen unter der Kirchentüre willkommen geheißen werden, dass der Kindergottesdienst stattfinden kann und die Erwachsenen eine Predigt hören können, verdanken wir dem Einsatz so genannter Ehrenamtlicher. Die Hauptamtlichen engagieren sich ebenfalls über ihren direkten Dienstauftrag hinaus. Beim Konferenzgemeindetag in Heilbronn räumten auch Pastoren Stühle zusammen. Und wenn wir mit Gemeinden über Vakanzen zu reden haben, ist zu klä-

unterwegs 14/2012 ::: 1. Juli 2012

ren, wer die Heizung im Kirchengebäude an- und ausschaltet, wenn kein Pastor am Ort wohnt. Am Rande des Katholikentages in Mannheim kehrte ich in unserer EmK ein. Die kleine Gemeinde bietet schon viele Jahre einen Mittagstisch für Bedürftige an. Es war ein Wagnis, diese Aktion mit den paar Leuten zu beginnen, die dafür zur Verfügung standen. Es hat sich gelohnt. Immer wieder machen Freiwillige beim Mittagstisch mit, die nicht aus der Gemeinde kommen. »Wenn wir den Mittagstisch nicht hätten, gäbe es unsere Gemeinde vielleicht gar nicht mehr«, meinte der Pastor, als ich ihn auf den großen Einsatz ansprach. Der Dienst für andere und das gemeinsame Tun gibt der Gemeinde Bedeutung und macht sie einladend. Wir klagen oft über Unverbindlichkeit, über zu wenig Menschen und fehlende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Doch wie sieht es mit dem Danken aus für die, die da sind, damit das Gemeindeleben stattfinden kann, von großen Aktionen wie Konferenzen, Zeltlager, Renovierungen oder missionarischen Einsätzen ganz zu schweigen? Es stimmt, wir stoßen an Grenzen, was unsere Möglichkeiten in der EmK in Deutschland anbetrifft. Wir können längst nicht alles tun, was wir früher einmal taten oder was wir an Aufgaben erkennen. Dennoch ist es erstaunlich, was wir mit den etwa 60.000 Menschen bewegen können, die zu unserer Kirche halten. Sehen wir den Reichtum, den Gott uns durch Geschwister in den Gemeinden schenkt? Danken wir dafür? Ein anerkennendes Wort für den Hausmeister, die Pastorin oder den Kassenverwalter tut diesen Menschen gut und schärft unsere eigene Wahrnehmung. Wir sind reich. Freuen wir uns daran und wuchern wir mit den Pfunden zur Ehre Gottes.


10 ::: Titelthema: Streit in der Gemeinde

Von der Zuversicht getragen – und nie enttäuscht Vor 100 Jahren begannen Diakonissen der Martha-Maria-Schwesternschaft in Halle damit, Kranke zu pflegen – und den Menschen das Evangelium zu verkündigen. Nach einer wechselvollen Geschichte ist die Klinik heute wieder Teil des Martha-Maria-Verbundes. Am 8. Juli wird das Jubiläum gefeiert. Diakonisse Barbara Vogel blickt zurück.

A

ls 1890 der Methodistenprediger Jakob Ekert nach Magdeburg und Halle versetzt wurde, gab es bereits den noch jungen Martha-MariaVerein in Nürnberg, den er noch nebenamtlich führte. Der Verein wuchs schnell, und deshalb kehrte Jakob Ekert bereits nach zwei Jahren wieder zurück nach Nürnberg. In Magdeburg und in Halle hinterließ er zwei methodistische Gemeinden, die sich mit MarthaMaria sehr verbunden fühlten. 1912 gründeten zwei Diakonissen in Halle eine Privatpflegestation, in der bis 1946 immer vier bis sechs Schwestern Dienst taten. Über Schwester Marie Scheindel, die diese Station 25 Jahre lang geleitet hat, lesen wir: »Ihr Name bleibt mit der Geschichte dieser Station unzertrennlich verbunden. Hier hat sie mit großer Tapferkeit die Revolutionskämpfe 1919/20 durchlebt in der Wielandstraße. Hier knüpften sich durch sie viele Beziehungen zum Martha-Maria-Verein an … Im Schloss des Barons von Trotha sowie in den Hütten war Schwester Marie wohlbekannt. … Ihr Eifer um die kleine Methodistengemeinde in Halle sei ihr unvergessen.«

Predigt und Krankenfürsorge 1943, mitten im Zweiten Weltkrieg, wurde die Martha-Maria-Diakonisse Elisabeth Lange nach Halle versetzt, um sich der zahlreichen Flüchtlinge anzunehmen und die Gemeinden ohne Prediger mitzuversorgen. Sie wohnte in der Villa der Fabrikantenwitwe Luise Rabe und war von dort aus in einem Umkreis von rund 80 Kilometern unterwegs in ihrem Dienst. Im Sommer 1946 bot Luise Rabe Schwester Elisabeth einen Teil ihres Hauses für karitative Zwecke an. Sofort nahm Schwester Elisabeth Kontakt mit der Information Das Jubiläum 100 Jahre Martha-Maria Halle wird am 8. Juli gefeiert. Um 11 Uhr beginnt die Festfeier im Festzelt (Röntgenstraße 1), zu der auch Bischöfin Rosemarie Wenner sprechen wird. Am Nachmittag gibt es im Krankenhaus und in der Christlichen ­Akademie für Pflegeberufe zahlreiche Kultur- und www.martha-maria.de Informationsangebote.

g

Mutterhausleitung auf. Auf Anraten von Direktor Christian Jahreiß erkundigte sie sich beim Kreisarzt, womit sie helfen könnte. Da dringend Krankenhausbetten für kranke Kinder benötigt wurden, begann sie sofort, sich um alles Nötige zu kümmern. Wie abenteuerlich es dabei zuging in der Nachkriegszeit, wo es eigentlich nichts gab, was man für eine Klinikeröffnung brauchte, beschreibt Schwester Elisabeth in ihrem Büchlein »Wunderwege Gottes«. Sie hat Gott vertraut und erlebt, wie immer wieder die erstaunlichste Hilfe kam. Ein Zitat aus diesem Büchlein soll hier für viele dieser Wunder stehen: »Als ich an dem Nachmittag nach Sangerhausen fuhr, um dort abends die Bibelstunde zu halten, konnte ich mich auf nichts konzentrieren. Ich sagte nur immer wieder: ›Herr, wie sollen wir denn zu Betten und all dem anderen kommen, was für eine Klinik nötig ist? Ich sehe keinen Weg.‹ Gerade an diesem Abend waren fast zwanzig Menschen in dem kleinen Saal. Da durchdrang mich eine tiefe Freude über all dem, was in den letzten zehn Tagen geschehen war. Und so hielt ich keine Bibelstunde, sondern berichtete von Gottes Führung und der inneren Gewissheit, dass der Herr auch weiterhin Wege zeigen und uns das Nötigste geben würde. Kaum hatte ich geendet, erhoben sich zwei Männer. Sie sagten, sie hätten eine Holzhandlung, und es sei ihnen innerlich klar geworden, das Holz für die benötigten Möbel zu geben. Alle waren tief bewegt, so dass es noch eine unvergessliche Lobund Dankstunde wurde, in der außer dem Kollektenkörbchen noch ein zweiter Teller mit Scheinen für die ›Kinderklinik‹ gefüllt wurde.«

h


Titelthema: Streit in der Gemeinde ::: 11

Fotos: Martha-Maria

So und ähnlich kamen Matratzen, Bettwäsche, Geschirr, Lebensmittel und medizinisches Gerät zusammen, so dass im April 1947 die Kinderklinik mit zunächst 25 Betten eröffnet werden konnte. Nach und nach wurden Räume hinzugewonnen. 1954 hatte die Klinik 82 Betten. Schwere Krankheiten wie Tuberkulose, Ernährungsstörungen, Hepatitis, Asthma und Rheuma machten anfangs monate- und jahrelange Klinikaufenthalte nötig. Bis ein eigenes Röntgengerät angeschafft werden konnte, mussten die Kinder im Handwagen ins Evangelische Diakonissenhaus gefahren werden. Große Verdienste erwarb sich Professor Dr. Walter Grävinghoff. 1964 gab er die ärztliche Leitung an Dr. Bruno Hoyer ab. Dieser führte die neue Fachrichtung »Kinderorthopädie« ein. Das war eine gute Ergänzung zur Kinderheilkunde und machte insbesondere auch die Betreuung behinderter Kinder möglich.

Die politische Großwetterlage nimmt Einfluss Durch die politischen Verhältnisse gestalteten sich seit 1972 die Verbindungen der Mutterhäuser in Westdeutschland zu den Außenstellen in der DDR immer schwieriger. So kam es zum Zusammenschluss der Häuser »Bethanien«, »Martha-Maria« und »Bethesda« in der DDR und zur Gründung des »Evangelischmethodistischen Diakoniewerkes in der DDR«. Mit der politischen Wende 1990 und der Wiedervereinigung Deutschlands kam die Möglichkeit, die Kinderklinik in Halle wieder in die Trägerschaft des Diakoniewerkes Martha-Maria in Nürnberg einzugliedern. Über die ganzen Jahre war die Verbindung zwischen Nürnberg und Halle eng und herzlich geblieben. Anfang 1991 wurde der Trägerwechsel vollzogen.

j

Es folgte eine aufregende Zeit der Überlegungen, wie und wo die Krankenhausarbeit von Martha-Maria in Halle weitergeführt werden kann. Weil der Bedarf für Pädiatrie rapide zurückging, musste leider diese schöne Arbeit beendet werden. Es wurden Abteilungen für (Erwachsenen-)Orthopädie und Neurologie eingerichtet. Nach vielen Verhandlungen und Gesprächen gründeten schließlich im Dezember 1995 die Stadt Halle und Martha-Maria zusammen die »Städtisches Krankenhaus Martha-Maria Halle-Dölau gemeinnützige GmbH«. Mit dem »bestimmenden Einfluss« von Martha-Maria wurde das ehemalige Waldkrankenhaus Halle-Dölau am Rande der Stadt mit rund 600 Betten gemeinsam betrieben. Seit 2007 gehört das Krankenhaus zu 100 Prozent zum Diakoniewerk Martha-Maria. 2002 zogen die letzten vier Diakonissen aus Halle ins Mutterhaus nach Nürnberg. Ein Pastor in der Geschäftsführung, der Ausbau der Seelsorge und die Begleitung der Mitarbeitenden setzen seither diakonische Akzente in dem ehemaligen Bezirkskrankenhaus. Nach einer 13-jährigen Sanierungszeit ist das Martha-Maria Krankenhaus Halle-Dölau jetzt ein modernes, medizinisch und pflegerisch gut ausgestattetes diakonisches Krankenhaus mit vielen Fachabteilungen. Eine Kindertagesstätte und eine Diakonie-Sozialstation ergänzen das Angebot. Auch die schönen Villen am Saale-Ufer wurden generalsaniert. Seit 2007 werden dort junge Menschen in der »Christlichen Akademie für Gesundheits- und Pflegeberufe« aus-, fort- und weitergebildet. Bis heute besteht über all die vielen Jahre eine enge Beziehung und Verbindung zwischen der diakonischen Arbeit von Martha-Maria und der Halleschen EmK-Gemeinde.

k

Nach einer 13-jährigen ­Sanierungszeit ist das MarthaMaria Krankenhaus HalleDölau jetzt ein modernes diakonisches Krankenhaus.

Bildreihe unten:

g Oberschwester Elisabeth Lange (vorn Mitte) mit ihren Schwestern in Halle (ca. 1957)

F Schwester Erna ­Fleischer und Schülerin ­Sigrid Wunderlich beim Rücktransport von der OP durch den Garten zur Station

G Schwester Inge Seidel mit Kindern beim Schachspiel

H Das 1946 ­übernommene Anwesen ­Fährstraße 4


unterwegsinfo

12 ::: SJK aktuell

unterwegs 14/2012 ::: 1. Juli 2012

Beten, diskutieren und entscheiden

g

j

h Die SJK in Zahlen Haushalt 2012 in Kürze (Zahlen in Klammern = Vorjahr) Volumen ::: 12,23 Millionen Euro (12,27 Millionen) Umlagen der Bezirke ::: 11,34 Millionen Euro (11,28 Millionen ) Personalausgaben ::: 9,5 Millionen Euro (9,7 Millionen), davon 6 Millionen Euro für aktive Pastorinnen und Pastoren (6 Millionen)

NJK OJK SJK

Statistik zum 31. Dezember 2011 Kirchenmitglieder ::: 16.436 (16.609) Kirchenangehörige und -zugehörige ::: 14.206 (14.869) Gemeinden ::: 124 (124)

k

J

K

Die Tagung der SJK wurde in der Stadtkirche in Freudenstadt feierlich eröffnet g­ h. Dabei grüßten der Freudenstädter Landrat Klaus Michael Rückert j und der evangelische Dekan Werner Trick k die Konferenzgemeinde. Pastorin Gerda Eschmann J predigte über 1. Könige 3,9. Pastor Wilfried Röcker K hieß die Besucherinnen und Besucher in Freudenstadt willkommen.

M

it einem Gottesdienst in der Stadtkirche Freudenstadt ist am 13. Juni die Tagung der Süddeutschen Jährlichen Konferenz eröffnet worden. Mit Worten, Liedern und instrumentaler Musik stimmte ein großer Mitarbeiterkreis rund 700 Gottesdienstbesucher auf die Tagung ein. In Stille und im Hören, durch Singen, Meditieren und Reden kamen die Konferenzmitglieder und andere Gäste dem Konferenzthema »beten« näher. In ihrer Predigt über 1. Könige 3,9 betonte Pastorin Gerda Esch-

mann, dass Beten mit dem Hören auf Gott beginne. Das könne man von König Salomo lernen. »Ein hörendes Herz ist notwendig für gerechte Entscheidungen, für richtiges Regieren und Leiten«, erklärte sie. Sie lud die 700 Gottesdienstbesucher ein, dieses Hören in Form des »Herzensgebets« zu üben. Als sichtbares Zeichen und als Erinnerung an den Gottesdienst durften alle Gäste ein Holz-Herz mitnehmen. Einige dieser insgesamt 800 hölzernen Symbole waren unter anderem in einem Jung­ scharlager angefertigt worden. kie

unterwegs 14/2012 ::: 1. Juli 2012


SJK aktuell ::: 13

Frauen des Arbeitsausschusses illustrierten mittels gelber Sterne die Arbeit des Frauenwerks. Am Mikrofon Hanna-Ruth Eberhardt.

Von Gott gerufen in die Zukunft Leuchtspuren in Baiers­bronn: Stra­ ßenschilder in Leucht­­­farbe weisen den Weg zum Parkplatz der Schwarz­­waldhalle. Dorthin haben sich etwa 300 Frauen und auch Männer aufgemacht zur Geburts­ tagsparty des Frauenwerks unter dem Motto »Leuchtspuren«.

Fotos: Iris Hahn

B

raucht es das Frauenwerk heute noch?« Diese Frage stellt Bischöfin Rosemarie Wenner in ihrer Predigt nach einem Rückblick auf Stationen der 125-jährigen Geschichte. Passend zum Predigttext aus Psalm 119 – »Dein Wort ist meines Fußes Leuchte, ein Licht auf meinem Weg« – zieht Wenner eine Taschenlampe hervor. Vor einem Flug in den Kongo musste sie die Lampe anschaffen und hat sie ein Jahr herumgetragen, ohne sie zu benutzen.

»Brauchen wir die Taschenlampe noch, wenn es sowieso um uns herum hell ist? Braucht man das Frauenwerk noch?«, fragt die Bischöfin. Die Gleichberechtigung der Frauen sei doch mittlerweile vorangekommen, Frau­en hätten Zu­gang zu allen Äm­tern. Auch der lange Psalm 119 sei heute »nicht mehr dran«, er werde nicht mehr gänzlich gelesen. Ist es wie mit der Taschenlampe und dem Frauenwerk?

Männer lernen von Frauen Wenner beantwortet ihre Frage selbst mit einem klaren Ja. Denn Frauen haben von Anfang an zusam­men die Bibel gelesen und wachsen in ihrem Glauben. Frauen wurden immer wieder in die Mission ausgesandt. Sie entdecken ihre Gaben und engagieren sich. Inzwischen beginnen auch Männer von der

Einige Veränderungen gibt es bei

»Essen und mehr« heißt ein neues

den Bezirks-Zuschnitten: Die Bezirke Heilbronn-Böckingen, HN-Friedenskirche und HNPauluskirche vereinigen sich zum 1. Januar 2013 zum Bezirk »Heilbronn«. Die Bezirke Eppingen/Sinsheim und Bretten/Kürnbach sind bereits zum Jahresanfang zum Bezirk »Kraichgau« zusammengegangen. Die Gemeinde Ruit (bei Bretten) gehört jetzt zum Beunterwegs 14/2012 ::: 1. Juli 2012 zirk Knittlingen/Bauschlott.

diakonisches Projekt in der EmK. Gemeinden sollen damit ermutigt werden, Angebote für Menschen zu schaffen, die wenig Zugang zu Bildungsmöglichkeiten haben. Das Bildungswerk der SJK bietet dazu Konzepte und Beratung an. Gemeinden, die sich in BadenWürttemberg befinden, können vom Land für entsprechende Projekte bis zu 3.000 Euro Zuschuss bekommen.

Frauenarbeit zu lernen und grün­ den männerspezifische Gruppen. Gott teile sich uns mit und schließe mit uns einen Bund, betonte Wenner. Wer sich ansprechen lasse von Gott, komme ins Licht seiner Liebe. »Wir brauchen Orte und Räume, wo Frauen mit Frauen das Wort Gottes gemeinsam buchstabieren können, was es heißt für den Dienst für andere in dieser Welt.« Dafür sei das Frauenwerk da. Was wir tun, sei die Wirkung des Wortes Gottes. »Wir sollen uns von Gott als Salz und Licht gebrauchen lassen.« So wie die Taschenlampe, die sie immer dabeihabe – auch wenn es hell ist. Als Bestätigung spricht die Gottesdienstgemeinde das Soziale Bekenntnis unserer Kirche: »Wir nehmen seinen Auftrag an, sein Evangelium in dieser Welt zu leben.« hn

kurz &bündig »Ride, Ride« heißt das Musical,

das im nächsten Jahr beim Konferenznachmittag auf die Bühne kommen soll. Es erzählt die ­Geschichte einer Frau aus dem frühen Methodismus. ­Anlass ist das Jubiläum »275 Jahre Methodismus«. Finanziert werden soll das Projekt zum größten Teil von Spenden, die SJK schießt 3.500 Euro zu. kie


18 ::: SJK aktuell

Die Gretchenfrage des KU M itglied werden – ja oder nein; und wenn doch: zu welchem Anlass? Mit der Zielsetzung des Kirchlichen Unterrichts und der Frage nach dem geeigneten Zeitpunkt für eine Kirchengliedschaft diskutierten die SJK-Mitglieder in Arbeitsgruppen. Grundlage des Meinungs- und Erfahrungsaustauschs waren vier Thesen von Superintendent Siegfried Reissing: 1. Unser Verständnis von Kirchengliedschaft ist für unser Verständnis des Kirchlichen Unterrichts und insbesondere der Einsegnungsfeier ein Problem. 2. Unsere Einsegnung ist keine Einsegnung.

3. Wir halten Kirchlichen Unterricht ohne klare Zielsetzung. 4. Die Aufnahme in die Gliedschaft der Kirche muss Ziel des Kirchlichen Unterrichts sein. Ein Teilnehmer sagte, dass viele zwischen dem Bekenntnis zu einer Kirche und dem Bekenntnis des Glaubens unterscheiden. Ein Pastor meinte, dass jemand, der seinen Glauben bekenne, auf Dauer nicht Kirchenangehöriger bleiben könne. Einigkeit herrschte bei den Teilnehmern darüber, dass ein öffentliches Bekenntnis in den meisten Fällen zu mehr Verbindlichkeit hinsichtlich eines Engagements in der Gemeinde führt. mk

Mit stehenden Ovationen dankte

Nach acht Jahren hat Pastor

dort 14 Jahre tätig, zuletzt als Referent für Pädagogik. Verabschiedet wurde auch Birgitta Hetzner, neun Jahre lang als Sonntagsschulsekre­

die SJK mit großer Mehrheit ­Pastor Walter Knerr. Er trat seinen Dienst mit Beginn der Tagung an.

tärin der SJK tätig. Die Konferenz berief auch die Nachfolgerinnen: Karin Toth (links) übernimmt das Amt der Sonntagsschulsekretärin in der SJK, Nadine Karrenbauer wird neue Referentin für Pädagogik.

Als Pastorin / Pastor auf Probe

die Konferenz Pastor Hans Martin Hoyer für seine Arbeit im Kinderund Jugendwerk der SJK. Er war

­ ndreas Jahreiß (links) sein Amt A als Sekretär der SJK zurückgegeben. Zu seinem Nachfolger wählte

wurden Stefanie Burck und Daniel Schopf aufgenommen. Stefanie Burck wird in den Bezirk Villingen-Schwenningen entsandt, Daniel Schopf nach Karlsruhe.

Jugendkirche D

ie Karlsruher Jugendkirche soll bis mindestens 2018 weitergeführt werden. Das haben die Mitglieder der SJK mehrheitlich beschlossen. Zudem wird geprüft, ob die sozialpädagogische Stelle von 50 auf 100 Prozent aufgestockt werden kann. Die Beschlüsse fielen nach einer engagierten und zum Teil kontroversen Debatte. Hauptgrund: Die Jugendkirche hat sich – anders als geplant – zu einem sozialdiakonischen Projekt entwickelt. Es kommen viele Jugendliche, die ausgegrenzt sind und in schwierigen Verhältnissen leben. Die Besucherzahl hat sich laut Jugendkirchen-Pastor Oliver Lacher seit dem Start Anfang 2008 nahezu verdreifacht. Delegierte des Bezirks Karlsruhe berichteten bei der SJK-Tagung von teils massiven Problemen im Zusammenleben von Gemeinde und Jugendkirche. Besonders die Nachbarschaft fühle sich durch die Jugendlichen gestört. »Wir hatten ein Projekt ›Kirche für und mit Jugendlichen‹ beschlossen«, sagte Sigrid Großhans, die Laiendelegierte des Bezirks. »Inzwischen ist es ein Jugendzentrum.« Sie frage sich, ob diese Arbeit mit den bestehenden Ressourcen überhaupt möglich sei. Dem hielt Pastor Alexander von Wascinski entgegen, dass es ur-methodistisch sei, sich um ausgegrenzte und benachteiligte Menschen zu kümmern. »Die Schwierigkeiten sind Teil des Projekts, die gelöst werden sollen.« Es sei »nicht die Frage, ob wir professionell genug sind«, sagte Pastor Christoph Klaiber. Mit dieser Frage sei auch schon John Wesley angegriffen worden. Die Jugendkirche sei Methodismus pur. »Da stellt sich nur die Frage, wie man diese Arbeit im Detail richtig macht.« Oliver Lacher, betonte, dass die sozialdiakonische Arbeit nur ein Teil der Jugendkirche sei. Er habe von diesen Jugendlichen enorm viel gelernt. kie

unterwegs 14/2012 ::: 1. Juli 2012


Zeitgeschehen ::: 19

Ein Sänger des Evangeliums Fast 87-jährig starb am 18. Mai der Sänger Dietrich Fischer-Dieskau. An Nachrufen hat es nicht gefehlt. Gepriesen wurde der Lied- und Opernsänger, und das sicherlich zu Recht. Zumeist aber unterschlugen die Autoren den Sänger des Evangeliums. Dabei startete die Karriere des Sängers mit geistlicher Musik. Diederich Lüken hat nachgeforscht.

D

ietrich Fischer-Dieskaus erster öffentlicher Auftritt war 1947 in Badenweiler, als vor einer Aufführung des Deutschen Requiems von Brahms der Bariton-Solist erkrankte. Der junge Sänger sprang ohne jede Probe ein und führte das Konzert zum Erfolg. 1949 begegnete er in Starnberg dem Dirigenten Wilhelm Furtwängler. Auf dem Klavier lagen die »Vier ernsten Gesänge« von Johannes Brahms, Vertonungen biblischer Texte. Furtwängler war skeptisch, aber er begleitete den 24-jährigen Sänger, und das mit wachsendem Erstaunen. Sein Kommentar nach Ende der Vorstellung war ein einfaches Danke, in dem aber große Wertschätzung für den Sänger enthalten war. Die Frau des Dirigenten berichtete, nach der Begegnung sei Furtwängler lange ziemlich still gewesen und habe dann gesagt: »Unglaublich, dass ein so junger Mensch schon so genau weiß, wie man das musizieren muss« (Stuttgarter Zeitung vom 8. Juni 2012). Ein wesentlicher Schwerpunkt des Sängers war die Musik Johann Sebastian Bachs. Bereits 1949 sang er in einer Aufnahme der Matthäus-Passion. 1954 folgte eine Aufnahme mit Wilhelm Furtwängler. Insgesamt sieben Matthäus-Passionen mit dem Sänger weist der Schallplattenkatalog aus. Hinzu kommen zwei Aufnahmen des Weihnachtsoratoriums und je eine Aufnahme der h-Moll-Messe und der Johannes-Passion sowie etwa 17 Kantaten. Die Auffassung, wie man Bach zu musizieren habe, hat sich seitdem zwar entscheidend verändert. Geblieben aber ist die bezwingende Kraft und Eindringlichkeit, mit der FischerDieskau seine Partien gestaltete. Damit sang er die Texte tief in Herz und Gemüt seiner Zuhörer . Die ganze Wucht und Tragik Ein Beispiel dafür ist das kurze Rezitativ aus der Matthäus-Passion: »Nehmet, esset, das ist mein Leib.« Auf einer modernen Aufnahme singt der Sänger diese Worte so, als wolle er sagen: ›Will jemand von euch noch ein Brötchen?‹ Wenn Fischer-Dieskau diese Worte sang, besonders in der alten Aufnahme mit Furtwängler, klang darin die ganze Wucht und Tragik der kommenden Ereignisse mit. Die Kantate Nr. 158 »Der Friede sei mit dir« mit der wunderbaren Arie »Welt ade, ich bin dein müde« ist zweifellos ein Höhepunkt der

unterwegs 14/2012 ::: 1. Juli 2012

Bach-Interpretation Fischer-Dieskaus. Mit welch einer Klarheit und Überzeugungskraft er diese Botschaft ausdrückte, das ist bei jedem Hören wieder bewegend. Wie viele Menschen er dadurch in ihrem Glauben gestärkt hat, kann man nur vermuten. Es ist wohl kaum ein Zufall, dass Fischer-Dieskau zu dieser Ausdruckskraft fand. Er entstammte einer alten Pfarrersfamilie. Zwar war sein Vater Altphilologe, sein Großvater, den er freilich nicht mehr kennen gelernt hat, war Pfarrer und Hymnologe; sein Urgroß­ vater war ebenfalls Pfarrer. Sein Bruder Klaus FischerDieskau war Kirchenmusiker. So darf man annehmen, dass Dietrich Fischer-Dieskau gewusst hat, was er sang. Anlässlich seines 85. Geburtstages äußerte der Sänger den Verdacht, er habe vielleicht umsonst gelebt. Er meinte das im Zusammenhang mit den ihn enttäuschenden sängerischen Leistungen seiner jungen Kollegen. Seine Lebensleistung hingegen wird gekrönt von der überzeugenden Darstellung des Glaubens, in der er so manchen Hörer getröstet und aufgerichtet hat.

Diederich Lüken ist Pastor im Bezirk Stuttgart-Bad Cannstatt.

Dietrich Fischer-Dieskau (1925–2012) bei den Salzburger Festspielen 2005.


unterwegsinfo

20

unterwegs 14/2012 ::: 1. Juli 2012

Was Segeln mit Gemeindeleitung zu tun hat Sieben Pastoren und Pastorinnen und zwei Mitglieder von Gemeindeleitungen lernten unter der Anleitung zweier erfahrener Skipper auf der Ostsee erste Handgriffe im Segeln. Sie machten die Erfahrung, dass es viele Parallelen zum Leiten in Gemeinden gibt. Ein Erfahrungsbericht von Katharina Lange.

D

Der Kurs der anderen führt auch zum Ziel – das ist beim Segeln genauso wie in der Gemeinde.

Einmal segelte das andere Boot weit entfernt von unserem. Wir wunderten uns über dessen eigenartigen Kurs und waren uns schnell einig in unserem Urteil über die im anderen Boot: So kommen die doch nie an. Am Abend legte das andere Boot aber vor uns an und wir waren um eine Erfahrung reicher: Der Kurs der anderen führt auch zum Ziel. Die Bibeltexte, die wir gemeinsam am Morgen gelesen hatten,

leuchteten während der Fahrten immer wieder auf. Marc Nussbaumer und Christhard Elle halfen uns, die Situation unserer Gemeinden und der Leitungsteams deutlicher in den Blick zu bekommen. Und bei der Beantwortung der Frage: Wie geht es als Gemeinde weiter und wohin?, werden wir von ihnen Unterstützung bekommen. Es ist gut zu wissen, dass man im Boot Kirche nicht allein unterwegs ist. Katharina Lange

sich die Einnahmen der OJK (Seite 11) um mehr als 111.000 Euro (drei Prozent) gesteigert. Schließlich liegt die Begegnungs- und Bildungsstätte in Schwarzenshof und nicht in Schwarzenberg. Die Übernahme der Herberge am Klosterwald durch die Fachklinik Klosterwald ist noch nicht vollzogen (Seite 11). Wir bitten, die Fehler zu entschuldigen. Die Redaktion

Einen Stammtisch bietet die EmK-

kurz &bündig Korrektur: In die Berichte über

die Tagung der Ostdeutschen Jährlichen Konferenz haben sich leider Fehler eingeschlichen. So haben wir Steffen Landrock irrtümlich als Pastor bezeichnet (Seite 10). Er ist aber Distriktslaienführer des Distrikts Zwickau und von Beruf Ingenieur. Zudem haben

Gemeinde in Brombach seit Kurzem an: Jeden zweiten Freitag im Monat treffen sich die Gemeindeglieder im Gasthaus »Schmiede« im Ortsteil Hunoldstal zum geselligen Beisammensein. Alle Interessierten sind dazu eingeladen, einander zuzuhören und voneinander zu erfahren. Informationen im Internet unter www.emk-brombach.de

Fotos: privat

as Seil loslassen oder ziehen, was ist jetzt meine Aufgabe? Den richtigen Moment darf ich nicht verpassen. Schnell sein, sonst kostet es viel mehr Kraft. Selbst am fünften Tag des Segeltörns auf der Ostsee muss ich noch nachdenken und bin aufgeregt. Dabei weiß ich, der Skipper ist geduldig mit uns ahnungslosen Pastoren und Pastorinnen. Nur manchmal treibt er uns an: »Das muss zackiger gehen!« Nach den Segeltouren reflektierten wir unsere Erfahrungen. Wir staunten über Parallelen zur Arbeit in den Gemeinden: Wichtig ist, dass jeder seine Aufgabe an Bord hat und genau weiß, was dort zu tun ist. Immer wieder wechselt das Wetter, mal flaut der Wind ab, mal dreht er und wir müssen darauf reagieren, also eine andere Route fahren oder das nächste Ziel kürzer oder weiter stecken.


unterwegs info ::: 21

Calw-Stammheim: Alles fair und öko B

eim JAT-Einsatz während der Pfingstwoche in Calw-Stammheim wurden auch in diesem Jahr für die mehr als 60 Teilnehmer die Regeln für ökofairen Einkauf umgesetzt. Diese Kriterien werden in der Beschaffungsordnung der EmK formuliert. So wurden in Stammheim überwiegend regional beziehungsweise ökologisch produzierte Lebensmittel verwendet: Milch und Milchprodukte, Müsli, außerdem fair gehandelte Bananen und Kaffee wurden vom örtlichen Bioladen bezogen. Fleisch, Wurst und Käse kamen von Stammheimer Metzgern, Brot vom Bäcker nebenan, Obst und Gemüse von der Gärtnerei, die allerdings saisonbedingt noch keine eigene Ware liefern konnte. Zwar bedeutete die Verwendung überwiegend frischer Lebensmittel einen etwas erhöhten Arbeitsaufwand, aber im Zuge der Umset-

zung des »Grünen Gockel« fand sich ein großes Küchenteam, das diese Arbeit gerne schulterte. Die Jugendlichen waren begeistert – selbst die Rohkostteller waren wi-

der Erwarten jeden Tag leer. Auch die Kosten hielten sich deutlich im Rahmen, und wir freuen uns, wenn dieses Projekt noch viele Nachahmer findet. Barbara Blaich

Berlin: Besuch vom »Schlunz« M an muss ihn lieb haben, den Schlunz … Wer oder was ist eigentlich der Schlunz? Die ältere Generation fragt so. Die Jüngeren kannten ihn schon. Aber wir alle lernten ihn so richtig kennen innerhalb der Kinderbibelwoche in der Erlöserkirche in Berlin bei »Kinder in die Mitte«. Und er hatte uns was mitzuteilen, der Schlunz. Jeden Tag ein kleiner Film. Mit seinen Einfällen hat der kecke Kerl das biblische Thema noch einmal auf seine Weise illustriert, Kinderfragen gestellt und unser »Kirchisch« hinterfragt. Glauben kindgerecht machen, das ist wichtig in unseren Tagen. Zusammen mit Hansi Hoyer und seiner Familie aus Süddeutschland erlebten wir viele kunterbunte Nachmittage und einen ebenso

unterwegs 14/2012 ::: 1. Juli 2012

bunten Familiengottesdienst. Wir begannen mit verschiedenen kreativen Angeboten. Die Kinder konnten nach Lust und Laune Stofftaschen bemalen, Karten basteln, Bil­derrahmen gestalten, Schlunze aussägen und Nussknacker bauen. Dann wurden Kuchenberge abgetragen und sogar gebackene Schlunze gegessen. Heiß begehrt waren die aufgeblasene Erdkugel zum Besteigen und das Sprungtuch. Fliegende »Kinder in der Mit-

te« – das muss man gesehen haben. Weiter ging es mit Liedern, leidenschaftlich und mit Mund, Händen und Füßen gesungen. Hansi Hoyer ist es gelungen, die Kinder mit seiner spannenden Erzählweise bei den biblischen Geschichten mitzureißen. Wir wünschen uns für die Kinder Nachahmung – nicht unbedingt die Streiche des Schlunz, aber sein frisches Fragen, seine Offenheit und seine Kreativität in Glaubensdingen. Gabriele Nitschke

Fliegende »Kinder in der Mitte« gab es bei der Kinderbibelwoche in Berlin.


22

persönlich Ebersbrunn ::: am 27. Mai David Fröhlich. Essen-Friedenskirche ::: am 10. Juni Lisa Kanne (17). Kassel ::: am 3. Juni Kristin Becker (18). Mössingen ::: am 27. Mai Jan-Luca Jäger (14). Neuenhain im Taunus ::: am 10. Juni Heinz-Jürgen Großmann (75) und Renate Großmann (73). Oldenburg ::: am 3. Juni Markus Scharf. Raschau ::: am 3. Juni Gregor Neubert (25), Simon Neubert (19) und Reinhard Pflegel (53). Uhingen ::: am 10. Juni ­Augustica Höhn (56). Wuppertal-Elberfeld ::: am 3. Juni Marie-Sophie Ferl (14), Eva Höner (14) und Anna Maleen Knürenhaus (14). Zwickau-Planitz ::: am 27. Mai Susanne Junghänel und Gerd Meyer.

W I R G RAT U LIEREN Berlin-Spandau ::: Elfriede Günther zum 100. Geburtstag. Chemnitz-Friedenskirche ::: Bringfriede und Gerhard Hillert zur goldenen Hochzeit. Dresden-Zion ::: Roswitha und Joachim Küchler zur goldenen Hochzeit; Maria und Horst Langer zur diamantenen Hochzeit; ­Karola und Eberhard Reitz zur goldenen Hochzeit. Ebersbrunn ::: Ingrid und Horst

Teubner zur goldenen Hochzeit. Eisenach ::: Hildegard und Hans-Joachim Reiher zur ­goldenen Hochzeit. Ellefeld ::: Heinz Albrecht zum 90. Geburtstag. Falkenstein ::: Wally Baumann zum 100. Geburtstag. Halle ::: Hertha Lehrer zum 90. Geburtstag. Heidelberg ::: Erna Bernot zum 90. Geburtstag. Lahr ::: Elisabeth und Siegfried Schreiber zur goldenen Hochzeit. Nürnberg Martha-Maria ::: ­Diakonisse Christa Reiff zum 90. Geburtstag. Weitefeld ::: Friedel und Helge Hees zur goldenen Hochzeit. Wilkau-Haßlau ::: Ursula und Johannes Eckhardt zur diamantenen Hochzeit. Winnenden ::: Karin und Rudolf Härer zur goldenen Hochzeit.

H EIMG EG ANGEN Albstadt-Ebingen ::: Hermann Gerstenecker am 16. Mai, 78 Jahre. Bergisches Land ::: Klara ­Nebeling am 1. Juni, 91 Jahre. Bremen-Nord ::: Jürgen ­Leßmann am 23. April, 68 Jahre. Dresden-Zion ::: Pastorenwitwe Witta Wohlgemuth geborene Schulz am 8. Juni, 87 Jahre. Falkenstein ::: Magda Müller am 9. Mai, 80 Jahre. Frankfurt-Innenstadt ::: Peter Huppert am 3. Mai, 67 Jahre; Patrick Stephan am 6. Mai,

wowannwas te r mine Stuttgart-Giebel ::: 26. bis 28. Oktober; Kursreihe Mitarbeit in der Seelsorge. Ein Einführungsund sechs Seminare für Menschen, die Interesse an Seelsorge haben und sich möglicherweise auch schon in diesem ­Arbeitsfeld engagieren. Leitung: Jutta Specht, Krankenhausseelsorgerin, Beratung und Seelsorge; Hans-Ulrich Hofmann, Pastor, Ehe- Familienund ­Lebensberater;

Anmeldung: ­Bildungswerk, Hauptgeschäftsstelle: bildungswerk@emk.de; Telefon 0711 8600691; www.emk-bildung.de

Rundfunk im Internet radio m kompakt: Aktuell und kritisch. radio m gespräch: Glaube im Dialog. radio m ­andachten: Impulse für jeden Tag.

22 Jahre; Christa Schleeweit am 9. Mai, 72 Jahre; Hilde Bankwitz am 29. Mai, 85 Jahre. Friedrichsdorf ::: Otto Maurer am 4. Juni, 92 Jahre. Neuenhain im Taunus ::: Helge Wagenzink am 8. Juni, 77 Jahre. Nürtingen ::: Wolfgang Reichert am 7. Juni, 76 Jahre. Potsdam ::: Christel Knuth ­geborene Matthes am 3. Juni, 82 Jahre. Schleiz ::: Nelda Dörffel am 8. Mai, 97 Jahre. Schlierbach ::: Maria Rieker am 25. Mai, 102 Jahre. Schwenningen ::: Hildegard Plechinger geborene Henrich am 3. Juni, 91 Jahre. Stuttgart-Mitte ::: Friedemann Ruch am 8. Juni, 76 Jahre. Weitefeld ::: Paul Otto Becker am 31. Mai, 71 Jahre. Wuppertal-Elberfeld ::: Klara Nebling am 1. Juni, 91 Jahre. Zwickau-Planitz ::: Gudrun ­Börner am 1. Juni, 79 Jahre.

N ACHRUF Am 22. Mai hat Gott die Pastorenwitwe Ruth Stossberg geborene Huber zu sich in die Ewigkeit ­gerufen. Sie wurde 1920 in Basel geboren, wo sie auch aufwuchs und die Ausbildung zu einer ­Gewerbelehrerin durchlief. Im Januar 1948 fand die Kirchliche Trauung mit Pastor Heinz Stossberg statt. Stationen ihres ­gemeinsamen Wirkens waren

radio m themen: Berichte und ­Reportagen. radio m bei Klassik Radio (bundesweit) Andachten »Carpe diem«: 1. bis 6.7., 6.20 Uhr, mit Anja Kieser; Sonntagsmagazin »Klassik und ­Kirche«, sonntags, 7–8 Uhr, mit Anja Kieser. Radio AREF – sonnund feiertags von 10-12 Uhr. www.aref.de und UKW 92,9 MHz (Großraum Nürnberg)

Velbert, Bielefeld und Essen. Mit dem Aufbau der Konferenzund Begegnungsstätte Haus ­Höhenblick in Braunfels begann für Ehepaar und Familie Stossberg nochmals eine ganz neue Phase des Wirkens. Ruth Stossberg stärkte ihrem Ehemann in seinen vielfältigen Aktivitäten als Evangelist, Heimleiter und in anderen Bereichen den Rücken. Dabei war sie eine sehr ­eigenständige Persönlichkeit. Als sie nach dem frühen Tod des Ehegatten 1974 nach Trossingen in Süddeutschland überwechselte, war es für sie selbstverständlich, sich in Frauenkreis, Chor, Gemeindevorstand und anderen Bereichen einzubringen. Mit ihrem trockenen Humor und ihrem selbstverständlichen Glaubenszeugnis war sie für viele Anstoß zum Nachdenken und Hilfe. Noch mit 89 Jahren wagte sie den Umzug nach Mainz, um näher bei den Kindern zu sein. Nachdem sie noch drei recht intensive Jahre dort erlebte, wurde in den letzten Monaten und Wochen die Kraft immer weniger. – Über der Trauerfeier in Braunfels am 29. Mai stand der Trauspruch von Ruth und Heinz Stossberg aus 1. Petrus 4: »Dienet einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat.« Ruth Stossberg hat ihre Gaben sehr bewusst für ihren Herrn eingesetzt. Dafür sind wir ihr dankbar. Hans Weisenberger

Jeden Donnerstag, 20 Uhr, Bilanz – Leben im Rückblick, mit Horst Marquardt im Gespräch mit Männern und Frauen 60+. B2 Radio 1.7., 6.30 bzw. 6.45 bis 7 Uhr, ­Positionen, mit Reiner ­Kanzleiter.

NordWestRadio (Radio Bremen) 15.7., 10 Uhr, Gottesdienst aus der EmK Bremerhaven, unterwegs 14/2012 ::: 1. Juli 2012 mit Christhard Elle.

Foto: Rolf van Melis / pixelio.de

AU F G E NO M MEN


Titelthema: Streit in der Gemeinde ::: 23

Ungarns kriminalisierte Obdachlose In Ungarn vergeht kaum eine Woche, ohne dass die rechtsnationale Regierung einen weiteren Schritt in Richtung Abbau der Grund- und Sozialrechte geht. Eine der jüngsten Initiativen der Regierung stellt jetzt die Obdachlosigkeit unter Strafe: Wer öffentliche Plätze »sachfremd nutzt«, riskiert eine Geldstrafe von bis zu 500 Euro oder sogar Haft. Doch inzwischen engagieren sich immer mehr Ungarn, vor allem Studenten und junge Akademiker, gegen die Aufräumaktionen der Regierung. Das vergessene Schicksal der Straßenmenschen wird dadurch endlich zu einem politischen Thema in einer tief gespaltenen Gesellschaft. Silviu Mihai (Text) und Dagmar Gester (Fotos) berichten.

A

uf dem Blaha-Lujza-Platz, einem der zentralen Verkehrsknotenpunkte von Budapest, stehen an diesem milden Samstagnachmittag Dutzende Bedürftige Schlange. Sie warten auf eine warme Mahlzeit, die ihnen christliche Hilfsorganisationen regelmäßig anbieten. Aus den Lautsprechern ertönen immer wieder Bibelverse. Eine Frau schüttet rötliche Bohnensuppe in Plastikschüsseln und verteilt sie, zusammen mit einer dicken Scheibe Graubrot, »im Namen Christi«. Männer und Frauen schlürfen wortlos ihre Teller leer, dann verschwinden sie in die benachbarten Seitenstraßen des achten Bezirks. Die meisten Menschen, die hier kurz auftauchen, haben seit Jahren keine Wohnung mehr. Das ist in Ungarn mittlerweile illegal: Wer seit dem 1. Dezember 2011 öffentliche Plätze »sachfremd nutzt«, riskiert eine Geldstrafe von bis zu 500 Euro oder sogar Haft. »Die bisherige Regelung des Problems Obdachlosigkeit ist völlig gescheitert. Jeden Winter erfrieren Obdachlose auf Stadtbänken, und die Bürger trauen sich nicht mehr, mit ihren Kindern durch Budapests Straßen spazieren zu gehen. Das ist kein Zustand«, sagt Máté Kocsis. Der 30-jährige Bezirksbürgermeister mit

unterwegs 14/2012 ::: 1. Juli 2012

schwarzem, eng geschnittenem Sakko und gegeltem Haar ist der Initiator des neuen Gesetzes. Er gilt als einer der ambitioniertesten aufsteigenden Sterne in der rechtspopulistischen Regierungspartei Fidesz. Der achte Bezirk, auch Józsefváros (Josefstadt) genannt, liegt in der Nähe des Ostbahnhofs und genießt spätestens seit der Wende den schlechten Ruf einer verarmten Problemgegend. Wegen der Jugendbanden, Drogensüchtigen und arbeitslosen Alkoholiker traue sich selbst die Polizei nicht mehr dorthin, so wird kolportiert. Doch seit seiner Wahl im Herbst 2010 will der junge Fidesz-Bürgermeister zeigen, dass er hier Ordnung schafft. Eine private Sicherheitsfirma arbeitet jetzt im Auftrag der Bezirksverwaltung. Die Jó Fiúk, zu Deutsch die »Guten Jungs«, patrouillieren regelmäßig durch die Straßen in ihren massiven, schwarzen Geländewagen. István Tóth, 49, meidet mittlerweile den achten Bezirk. Nachmittags steht er zwei Straßen von der Grenze entfernt, nördlich vom Blaha-Lujza-Platz, und verkauft die Obdachlosenzeitung »Fedél Nélkül«, deren Name so viel wie »ohne Dach« bedeutet. »Wie die da oben gegen uns hetzen, ist unerträglich«, sagt der


gebrechlich wirkende Mann mit fast ängstlicher Mine. Der gelernte Maler und Tapezierer hatte kurz nach der Wende einen Unfall und konnte nicht mehr arbeiten. Dann verlor er auch seine Wohnung. »In den letzten 18 Jahren habe ich meistens auf der Straße gelebt, da habe ich auch meine Frau kennengelernt. Wir haben überall geschlafen, in Treppenhäusern, in Kellern, ein ganzes Jahr sogar draußen auf Parkbänken«, erinnert sich der Mann. »Jetzt finanzieren wir uns aus dem Zeitungsverkauf und aus den Spenden eine Wohnungsgemeinschaft mit einem anderen Paar.«

An guten Tagen 10 Euro Spenden Herausgegeben wird die Fedél Nélkül von der Stiftung Menhely (»Obdach«), die sich seit 1989 mit den Problemen der Obdachlosen beschäftigt. »Wir sind die älteste säkulare Organisation in Ungarn, die sich um diese Problematik kümmert. Unsere Sozialarbeiter versuchen, das Leben der Straßenmenschen erträglicher zu machen und ihnen eine Stimme zu geben«, sagt der Menhely-Vorstandsvorsitzende Péter Györi. Die Stiftung betreibt eine Tagesstätte für Obdachlose, sie bietet Abstellräume für ihre persönlichen Sachen, Waschräume, Rechtsberatung. »Vormittags gehen wir in die Kürt-Straße zum Duschen, die Stiftung gibt uns dann die Zeitungen und wir verteilen sie«, erzählt Tóth. An guten Tagen liegt der Erlös bei umgerechnet 10 Euro. Zusammen mit der kleinen Teilrente von Szilvai ist es »genug für Miete, Brot und Wurst«, wie der Mann sagt. Abends gehen Tóth und seine Frau einkaufen. »Der Preis der Lebensmittel ist in den letzten Jahren rasant gestiegen, die ärmsten Leute hierzulande können sich jetzt nicht einmal das Nötigste leisten«, kommentiert er bitter. Der Mann hat zumindest teilweise recht: Mit mehr als 10 Prozent Arbeitslosigkeit, einer hohen Inflation, einer kriselnden Wirtschaft und einem Mehrwertsteuersatz von 27 Prozent, dem höchsten überhaupt in der EU, ist das heutige Ungarn nicht mehr die fröhlichste Baracke Osteuropas. Nach dem Sonnenuntergang machen die Bankfilialen im Erzsébet-Ring zu, die Angestellten der Wechselstuben ziehen die Gitter und Fensterläden herunter. Auf dem Blaha-­ Lujza-Platz riecht es nach Maronen und Glühwein. István Tóth und Judit Szilvai gehen nach Hause.

Die Budapester Initiative »Eine Stadt für alle«, auf Ungarisch »A város mindenkié« oder kurz AVM, wurde 2009 gemeinsam von Obdachlosen und Sozialarbeitern gegründet, um gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Stigmatisierungen zu kämpfen, und die Möglichkeit eines würdigen Lebens für die Straßenmenschen zu schaffen. »In dem osteuropäischen Kontext einer schwachen und oft vom Staat abhängigen Zivilgesellschaft ist eine solche Organisation einmalig«, kommentiert Menhely-Chef Péter Györi. »Ich war von Anfang an dabei«, sagt István Tóth stolz. Doch nicht nur die meisten Obdachlosen, sondern auch viele andere Ungarn, vor allem Studenten und junge Akademiker, sehen das neue Modell skeptisch. Bei der Einweihung einer ähnlichen Einrichtung im neunten Bezirk wurden Mitte Dezember Innenminister Sándor Pintér und Oberbürgermeister István Tarlós von einer laut protestierenden Gruppe Aktivisten empfangen. »Wir wollen den Wohlstandsstaat, keinen Polizeistaat«, stand auf ihren Transparenten. »Werden die Obdachlosen hier kommen und gehen dürfen, wann sie wollen? Sagen Sie uns jetzt die Wahrheit: Ja oder nein?«, attackierte die AVM-Aktivistin Tessza Udvarhelyi den sie zornig anstarrenden Innenminister.

Zelte vor der Polizeiwache Unweit vom Blaha-Lujza-Platz liegt der Hauptsitz der Polizeiabteilung für Ordnungswidrigkeiten. Seit Anfang Dezember ist dieses Amt dafür zuständig, die »sachfremde Nutzung öffentlicher Plätze« zu protokollieren und die Obdachlosen mit Geldstrafen zu belegen. An einem Freitagnachmittag kurz nach 17 Uhr schlagen mehrere Dutzend Aktivisten an einer benachbarten Straßenkreuzung Zelte auf. Es regnet, die improvisierten Transparente werden nass. Attila »Steve« Kopiás, frisch gewählter Pressesprecher der neuen Initiative »Unterkünfte statt Knast«, aber will gemeinsam mit seinen Kollegen die ganze Nacht auf der Straße ausharren. »Hier im achten Bezirk wollen wir zeigen, dass die Politik der Regierung und der Stadtverwaltung heuchlerisch und menschenverachtend ist«, ruft der junge Mann in ein Megaphon. »Wir organisieren unsere Events vor allem über Facebook, weil wir dort angefangen haben«, erklärt Kopiás und setzt sich zurück in sein Zelt. »Wir möchten aber mehr als eine Internet-Gruppe sein. Wir möchten zeigen, dass viele Bürger Ungarns mit diesem Politikstil nicht einverstanden sind«, fährt er fort. Zwei schwarze Geländewagen der Sicherheitsfirma Jó Fiúk ziehen vorbei. »Hallo, gute Jungs!«, rufen die Aktivisten hinterher. Mátá Kocsis, Bürgermeister des achten Bezirks, bei der Eröffnung ­eines Obdachlosenheims in Budapest. Er gilt als Initiator eines Gesetzes, das Obdachlose kriminalisiert.


::: Zeitgeschehen

Meine Meinung ::: 25

EmK-Kirche wurde Cem-Haus

Atmen der Seele

Vor zwei Jahren wurde das ehemalige Kirchengebäude der EmK in Mönchengladbach-Rheydt an die örtliche alevitische Gemeinde verkauft. Jetzt hat die Einweihung des Gebäudes als alevitisches Cemhaus für Aufsehen in der säkularen und kirchlichen Presse gesorgt.

Eine Übung, zu der unsere Chorleiterin uns anleitet, betrifft den Atem. Denn Singen und Sprechen beginnen mit dem Atmen. Und zwar nicht mit dem Einatmen, sondern mit dem Ausatmen. Im Ausatmen befreit sich der Mensch vom Alten, von der verbrauchten Luft, vom Kohlendioxyd. Dann, nach dem Ausatmen, kommt eine Ruhepause. Der Körper will sich ausruhen von der Mühe der Befreiung. Schließlich aber verlangt das Blut nach frischem Sauerstoff. Ganz von selbst fließt die frische Luft in die Lunge. Mit dem neuen Ausatmen beginnt das Singen und das Sprechen, der Kontakt mit der Umwelt, beginnt das Leben.

D

ie EmK-Gemeinde Mönchengladbach-Rheydt hatte in einem Wohnhaus mit Gemeinderäumen und Kirchsaal bis Juni 2009 ihre Gottesdienste gefeiert. Nach Beendigung der dortigen Gemeindearbeit mit einer 135-jährigen Geschichte bemühte sich die EmK über längere Zeit vergebens, das Gebäude zu verkaufen. Das anfängliche Interesse einer christlichen Gemeinschaft zerschlug sich. Über persönliche Kontakte zur alevitischen Gemeinschaft in Mönchengladbach wurde deren Interesse am Kauf der Liegenschaft signalisiert. »Mit dieser Entscheidung für den Verkauf haben wir es uns nicht leichtgemacht«, erklärt Rainer Bath, der für Mönchengladbach zuständige Superintendent der EmK. »Den Ausschlag hat schließlich gegeben, dass wir in der alevitischen Gemeinschaft einen Partner im interreligiösen Dialog sehen, der sich von typischen muslimischen Gemeinschaften deutlich unterscheidet.« Bath betont die Dialogbereitschaft der alevitischen Glaubensgemeinschaft und ihre an gemeinsamen ethischen Werten ausgerichtete Frömmigkeit. Besonders die Betonung des Liebesgebots, die Toleranz gegenüber Andersgläubigen und die Gleichstellung von Mann und Frau seien wichtige Kennzeichen, die die alevitische Gemeinschaft von vielen anderen Gruppierungen im Islam deutlich unterscheide. Dazu gehöre auch die sich vom Moscheeverständnis des Islams unterscheidende Haltung zum eigenen religiösen Gebäude, das Aleviten Cemhaus nennen. Es ist kein heiliger Ort, sondern ein Ort der Versammlung, der Lehre, der Aussprache über Probleme und des Schlichtens von Streit. Hinzu komme eine schon lange währende Tradition von Dialogen, die besonders auf Kirchentagen in großer Offenheit stattfanden und den Boden für eine achtungsvolle Begegnung schufen. Nur auf dieser Basis sei der Verkauf möglich gewesen. Bischöfin Rosemarie Wenner betonte, dass die Versammlungsorte von EmK-Gemeinden dann zu heiligen Räumen werden, »wenn wir darin Gottes Wort verkündigen, Gott anbeten und christliche Gemeinschaft pflegen. Räume und Gebäude an sich betrachten wir nicht als heilig«. Die EmK prüfe im Falle eines Verkaufs alle Optionen sehr genau, weil dies für die Menschen bedeutsam sei, die ein Gebäude bisher als ihr Gotteshaus nutzten. Allerdings sei eine neue Nutzung durch Menschen anderen Glaubens aus Sicht der EmK nicht als »Entweihung« anzusehen. Eine Kirche wie die EmK, die an vielen Orten in Deutschland ihre Arbeit in Gaststätten und Wohnzimmern begonnen habe, wisse, dass die Bedeutung von Räumen nicht durch Weihe oder Widmung gesichert werde, sondern durch die Menschen, die darin Gottesdienste feiern und Gemeinschaft leben. Der Verkauf an die alevitische Gemeinschaft sei daher eine begründete und sorgfältig abgewogene Entscheidung gewesen. Auf die von römisch-katholischer und evangelischer Seite in diesem Zusammenhang reklamierte »ökumenische Vereinbarung« erwidert Wenner, dass die EmK nie an ökumenischen Absprachen beteiligt gewesen sei, die den Verkauf eines kirchlich genutzten Gebäudes an Aleviten ausschließen. Klaus Ulrich Ruof

Das Gebet ist ein Ausatmen in der Gegenwart Gottes. In diesem Ausatmen bringe ich das vor Gott, was mein Leben gerade mit sich bringt: Den Dank zuerst und damit verbunden die Anbetung, das Lob Gottes. Aber auch die Irritationen, die Trauer, die Klage kommen zu ihrem Recht. Mein Leben ist ausgebreitet vor Gott. Das ist Befreiung. Ich bin nicht mehr allein mit dem, was mich freut und betrübt. Ich atme es aus in Gottes Ohr. Und damit beginnt das Leben. Nun kommt die Pause. Ich sage nichts mehr. Ich bewege nichts mehr in meinem Inneren. Ich höre nur noch; ich achte auf das, was Gott mir sagt. Es steht in seiner Entschei­dung, ob er und wie er mich anspricht. Und in der Ruhe merke ich, wie meine Seele nach Gott verlangt. Ich gebe diesem Verlangen Ausdruck: »Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, nach dir!« Ich atme ein, ich atme Gott ein. Er ist die Atemluft meiner Seele. In diesem Einatmen fallen mir auch die irdischen Bedürfnisse ein, die ich vor ihm ausbreite, und die Menschen, für die ich bete, und die Welt, die so sehr das Gebet der Glaubenden braucht.

Diederich Lüken ist Pastor im Bezirk Stuttgart-Bad Cannstatt.

Was meinen Sie?

Diskutieren Sie mit! www.board.emk.de

unterwegs 14/2012 ::: 1. Juli 2012


26 ::: Rätsel Auflösung des Rätsels aus dem letzten Heft 13/2012

Verschenken oder schenken Sie sich selbst ein Jahr »unterwegs« – das Magazin der ­Evangelischmethodistischen Kirche. Für nur 55 Euro*

Für Menschen, die unterwegs sind.

Bestellen Sie jetzt bei Blessings4You, ­ Telefon 0711 83000-51, info@blessings4you.de

Foto: RAINER STURM / Pixelio.de

*bei Postversand zzgl. Versandkosten


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.