Schlüsselerlebnis SL Krimi Kapitel 7

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SIEBEN Paula tippte kurzerhand den Namen der Frau auf Facebook ein und klickte sich durch die Einträge durch. Tatsächlich – es gab wirklich eine Anne Maierl und sie war auf dem Bild klar und deutlich zu erkennen. Unverzüglich schrieb Paula ihr eine Freundschaftsanfrage mit der beigefügten Nachricht: „Hallo! Danke für die Infos. Rufen Sie mich bitte so schnell wie möglich an!“ Wenn Anne Maierl ihr die Listen zugesteckt hatte, dann würde sie verstehen. Wenig später läutete Paulas Handy. „Unbekannter Anrufer“. Schon wieder. Paulas Herz begann zu rasen. Doch es meldete sich nicht der Kriminelle vom Nachmittag, sondern Anne Maierl! Sie hatte also Paulas Visitenkarte aufgehoben. Wie nett von ihr, dachte Paula, sollte aber bald eines Besseren belehrt werden. „Hallo! Ich war gerade online, da habe ich gedacht, ich rühr mich gleich.“ „Ich habe ein Kuvert in meinen Unterlagen gefunden. Und ich dachte mir, dass es vielleicht von Ihnen ist?“, fragte Paula unsicher. Anne Maierl lachte auf. „Ja, das ist von mir. Fein, dass Sie es gefunden haben. Ich nehme an, das wird eine gute Story? Und es gibt noch mehr davon. Das Problem ist nur, dass ich noch heute Nacht aus Wien abhauen muss. Wenn Sie möchten, treffen wir uns vorher noch irgendwo? Ich bin grad in einer Pension in der Nähe des Café Eiles. Wie wär’s um neun?“ Paula sah auf die Uhr. Das Kaffeehaus war nicht weit entfernt. Es würde sich also ausgehen. Sie verdrängte das ungute Gefühl, das sie beim Gedanken, die sichere Wohnung nochmals verlassen zu müssen, beschlich. Doch Neugier ist ein starker Antrieb. „Um neun Uhr. Geht klar. Ich werde da sein.“ Als Paula die Straße entlangeilte, war ihr mulmig zumute. Es hatte zu nieseln begonnen. Immer wieder drehte sie sich um. Die Drohung vom Nachmittag hatte ihre Wirkung nicht ganz verfehlt. Vivaldi hatte Paula mitnehmen müssen, weil Alina noch immer nicht nach Hause gekommen war. Als ein Mann vor ihr aus einem Hauseingang trat, zuckte sie zusammen. Doch er sah sie nur verwundert an und ging in entgegengesetzter Richtung davon. Paula war erleichtert, als sie endlich die Tür zum belebten Kaffeehaus öffnete. Anne Maierl saß an einem der hinteren Nischentische und starrte aus dem Fenster. Ihre Hände lagen fest auf einem großen Umschlag, als ob er Reißaus nehmen könnte, wenn sie ihn losließ. „Haben Sie die Unterlagen verstanden?“, begann sie ohne Umschweife, kaum dass Paula sich zu ihr gesetzt hatte. „Ich denke, es handelt sich dabei um ausgefeilte Logistikpläne für Einbrecher samt Bestellungen von konkretem Diebesgut. Wahrscheinlich gibt es dafür auch schon eine Liste von Abnehmern“, mutmaßte Paula. Ein Lächeln huschte über Anne Maierls Gesicht. „Sie können gut kombinieren. Alle Achtung!“ Sie wartete, bis der Kellner Paulas Bestellung aufgenommen hatte und wieder verschwunden war. Dann öffnete sie den Umschlag und legte Paula weitere Unterlagen vor. „Und warum gehen Sie damit nicht zur Polizei?“, fragte Paula. „Nun, ich bin selbst nicht ganz unbeteiligt an alledem. Ich …“ Sie machte eine Pause. „Ich hatte lange Zeit mit dem Chef der Einbrecherbande ein Techtelmechtel. Bis er mich vor einigen Wochen abserviert hat. Ich mache mir nichts vor, er hat mich die ganze Zeit nur für seine kriminellen Projekte benutzt. Und jetzt, wo ich selbst so tief drinstecke, kann ich nicht mehr zur Polizei gehen, ohne selbst belangt zu werden. Nennen wir es Fügung, dass Sie zu uns gekommen sind. Ich dachte mir, Sie freuen sich sicher über eine brisante Story.“ Und dann erzählte sie Paula, dass sie noch am selben Tag, an dem sie ihr das Kuvert zugesteckt hatte, schleunigst das Büro und die Wohnung verlassen hatte und in einer Pension untergetaucht war, in der sie sich sicher wähnte.


Erst gestern habe sie Kovas angerufen und ihm mitgeteilt, dass sie den Schlüssel des Lagers und einige Listen Paula Ender zugesteckt habe. „Da bedanke ich mich auch schön“, grollte Paula. Was für eine Person! Nun sprach alles dafür, dass Kovas der Anrufer gewesen war, weil er wusste, dass sie das Kuvert hatte. „Er hat mir den Pinocchio, der auf Ihrem Schreibtisch stand, als Drohung geschickt. Mit abgebrochenen Armen und Beinen“, echauffierte sich Paula. „Ach, wie theatralisch! Das sieht ihm wieder ähnlich, Ihnen damit Angst zu machen.“ Dabei habe sie ihm den Pinocchio bewusst als Andenken und Mahnung gelassen. Er war ein Geschenk von ihm an sie anlässlich eines gemeinsamen Wochenendes in Florenz gewesen. „Ach ja, und leider habe ich vergessen, Ihnen die Adresse für den Schlüssel zu geben.“ Anne Maierl kramte einen Zettel aus ihrer Tasche hervor und reichte ihn Paula. „Vielleicht finden Sie dort auch noch einige Ihrer gestohlenen Gegenstände.“ Paula blickte sie irritiert an. Sie war sich nicht sicher, ob sie richtig gehört hatte.


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