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Und noch einmal Dri es Reich: Roman von Alois Hotschnig
Der Nazi hat immer Saison
In „Der Silberfuchs meiner Mu er“ verarbeitet Alois Hotschnig schweren Stoff auf schwerfällige Weise
Die Schatten des Dritten Reiches sind lang, und so kommt es, dass sich nicht nur Eva Menasse und Didi Drobna (siehe Rezension auf Seite 14) an den Verbrechen und Folgen der Nazi-Zeit abarbeiten, sondern auch Alois Hotschnig. Im Falle des gebürtigen Kärntners findet diese Auseinandersetzung in Form einer Ich-Erzählung statt, in der Fakten, Fiktionen, verbürgte und erfundene Biografien miteinander verschnitten, verknüp und in einem Arrangement ausgebreitet werden, in dem man selbst auf dem relativ begrenzten Raum von 220 Seiten leicht einmal den Überblick und den Faden verliert.
Im Zentrum steht, so viel kann immerhin mit Sicherheit gesagt werden, Heinz Fritz, 1942 als Sohn einer Norwegerin und eines aus Hohenems stammenden Wehrmachtssoldaten ebendort geboren. Den Nachnamen hat Heinz von seinem gutaussehenden, aber kaputten, weil bereits im Ersten Weltkrieg verschlissenen Stiefvater, der die skandinavische Schönheit mit dem für deutsche Ohren irritierend maskulin klingenden Vornamen Gerd sitzen lässt, nachdem er ihr zwei Kinder gemacht hat – Heinz’ Halbbruder und -schwester.
In Norwegen ist die mit einem Wehrmachtssoldaten liierte Mu er des Protagonisten die „Nazi-Hure“, in Vorarlberg die „Norweger-Hure“
Dieser vornamenlose Fritz, der vor den Augen des Stiefsohns Kaninchen bei lebendigem Leib zu häuten und deren Herz zu verzehren pflegt, affiziert diesen mit seiner Tötungswut. Den leiblichen Vater mit dem sinnreichen Namen Anton Halbsleben, der in Hohenems eine Metzgerei betreibt, während dessen Ex mit dem gemeinsamen Sohn in Lustenau lebt, erspäht Heinz zum ersten Mal im Alter von 16 Jahren, lernt ihn, nachdem dieser sich jede Kontaktaufnahme per Anwalt verbeten hat, aber erst als 60-Jähriger tatsächlich kennen. „Du darfst Vater zu mir sagen“, sind die ersten Worte, die er während einer gemeinsamen Autofahrt an den Sohn richtet, von dem er immer wieder behauptet hat, dass er in Wirklichkeit von einem ertrunkenen Russen stamme.
Alois Hotschnig: Der Silberfuchs meiner Mu er. Roman. Kiepenheuer & Witsch, 220 S., € 20,60
Die Beziehung zur Mutter ist deutlich inniger, aber auch alles andere als ungetrübt. Der Transfer der schwangeren Gerd vom norwegischen Kirkenes in den Herkun sort des zukün igen Vaters wird gemäß den Zielen des rassenhygienischen LebensbornProgramms organisiert, obgleich diese als Schwester eines Kommunisten nicht zweifelsfrei als „rassisch und ideologisch wertvoll“ eingestu werden kann.
Heinz wächst vorerst auch in einem Heim und bei Zieheltern auf, ist erst ab 1946 mit der Mama zusammen, die mit ihren Zweifeln – der Bub könnte gleich nach der Geburt ja auch vertauscht worden sein – gegenüber diesem auch nicht hinterm Berg hält. Ihre Epilepsie, die sie zu einem potenziellen Eugenik-Opfer macht, vererbt sie diesem zwar nicht, ihre suizidale Disposition aber schon.
Kurz und gut, der weggelegte und verleugnete Sohn der als „Nazi-“ und „Norweger-Hure“ doppelt stigmatisierten Mama hat einen Rucksack aufgepackt bekommen, unter dessen Gewicht selbst robustere Naturen einknicken würden. Tatsächlich kippt die Akkumulation all des Elends mitunter fast schon in die unfreiwillige Selbstparodie. Sturzbesoffen liegen wahlweise die Mutter oder der kleine Heinz im Keller und versuchen sich umzubringen: „Ich wollte mir den Schädel spalten […] und habe mir eine unglaubliche Wunde beigebracht. Mit dem Beil. Die Mutter ahnte schon nichts Gutes und kam die Treppe herunter, ich höre noch ihre Schritte. […] Die Mutter rief und rief. Wer rannte die Tür ein? Mein bester Freund, der sich dann aufgehängt hat. Vor sechs Jahren. Wir wären jetzt beide gleich alt.“
Gleich alt sind sie vermutlich immer schon gewesen, aber dem übersteuerten Pathos fällt dann mitunter auch solch schlichte Logik zum Opfer. Der Überschaubarkeit der Handlung und des Ensembles an realen und erfundenen Figuren, von denen viele bedeutsam nach vorne geschoben werden und dennoch konturlos bleiben, sowie der ästhetischen Stimmigkeit ist dieses ohnedies abträglich.
An den Realien und Motiven, mit denen der Roman behängt wurde wie ein überdekorierter Christbaum, hat der Roman schwer zu tragen. Nazi-Terror, Identitäts- und Vatersuche, Humanität versus Unmenschlichkeit, individuelles Au egehren versus kollektives Mitläufertum sind gewichtige Themen, die freilich eher angetippt und abgewickelt als stringent durchgespielt werden. „Der Silberfuchs meiner Mutter“ – im Übrigen ein Geschenk Antons, mit dem Gerd beim Kirchgang in Hohenems einen eindrucksvollen Au ritt hat – ist eher konfus als komplex ausgefallen. Und das Argument, dass gewaltsam fragmentierte Biografien und Identitäten sich einheitlicher ästhetischer Gestaltung entzögen, kann die stilistische Generalkonfusion auch nicht legitimieren.
Vom gehetzten Hauptsatzstakkato bis zu weitschweifigen bernhardesken Sentenzen ist vieles im Angebot, am anstrengendsten aber das preziös kursivierte, anaphernarmierte ritartando molto depressivo: „Ich habe dann auch erfahren, von meiner Halbschwester in Hohenems, ihre Großmutter, also von meinem vermeintlich richtigen Vater die Mutter, meine Großmutter, die hat mich gehasst. Die hat mich gehasst, und die hat meine Mutter gehasst.“ Das ließe sich ohne Sinnverlust auch kürzer und in deutschlehrerapprobierter Sprache sagen.
Der Danksagung ist zu entnehmen, dass der Schauspieler Heinz Fritz es dem Autor erlaubt hat, „entlang seiner Lebens-Geschichte diesen Roman frei zu entwickeln“. Nach der Lektüre bleibt freilich ein schaler Geschmack und der Verdacht zurück, dass die Lizenz vorschnell erteilt wurde und der Verzicht auf Fiktionalisierung der angemessenere Zugang gewesen wäre.
KLAUS NÜCHTERN
»Präzise, unterhaltsam, überzeugend. Erkenntnisfördernd und wachrüttelnd.«
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»Die Politologin liefert denjenigen Hinweise, die sich fragen, wie es in Deutschlands Mitte nach dem Unionsdebakel weitergeht.« Handelsblatt