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Sollen wir alle aufhören zu duschen?

Medizingeschichte: Zwei Bücher zu Seuchenpolitik in Österreich und zur Kulturgeschichte der Körperpflege

Ein schickes Paar: Lederne Handschuhe, Pelzkragen, Seidentuch und Melone tragen sie. Was aber als Erstes ins Auge sticht, ist ein uns seit rund eineinhalb Jahren begleitendes Accessoire: der Mundnasenschutz. Dieses Bild, eine von insgesamt 42 Abbildungen, schmückt das Cover von Daniela Angetter-Pfeiffers „Pandemie sei Dank! Was Seuchen in Österreich bewegten“. Die Autorin ist wissenscha liche Mitarbeiterin des „Österreichischen Biographischen Lexikons“ und dort verantwortlich für die Fachgebiete Medizin, Militär, Naturwissenscha en, Pädagogik und Sport.Ihr Buch legt den Fokus auf Österreich, untersucht aber auch, woher die Epidemien kamen und wie sie die heimische Politik veränderten. Eigentlich weiß man schon lange, dass eine Seuche vieles von einem Tag auf den anderen außer Kra setzen kann, ihrer Bekämpfung aber ein pragmatisches Krisenmanagement zuträglicher ist als politisches Hickhack. Aber die Geschichte wiederholt sich offenbar.

Gerade in der Zeit, in der rigorose Maßnahmen notwendig gewesen wären, war die Staatsführung mit anderen Problemen beschä igt, nämlich mit sich selbst – etwa als die Habsburger-Monarchie zerfiel. Auch anderes ändert sich nie. Etwa dass Viren und Bakterien das Reisen lieben und keine Grenzen kennen, weder territoriale noch soziale und schon gar keine politischen. Wie aber entstanden Impfungen genau? Welche Methoden wurden zum Glück wieder verworfen? Wer war der „Vater der Notärzte“, der die militärmedizinische „Triage“ erfand? Und was hat die Kuh, auf Lateinisch vacca, mit dem Vakzin zu tun?

Diese und andere Fragen beantwortet das Buch. Zu den Irrwegen gehören etwa die Viersä e- oder die Miasmenlehre oder Tipps aus dem Dreißigjährigen Krieg, als man dachte, gekochte Schlangenschwänze sowie die Eingeweide von Nattern oder geriebener Blutstein besäßen eine heilende Wirkung. Die Autorin zieht Parallelen zur Pest, die über die Alpenpässe nach Österreich kam. Zwar wurden in Venedig Kranke von Verdachtsfällen getrennt und auf unterschiedlichen Inseln isoliert, aber ein Schlupfloch (um nicht zu sagen „Kitzloch“) für einen Cluster fand sich damals schon: Händler, die sich von der Quarantäne freikau en, schleppten die Krankheit über den Brenner ein. Angetter-Pfeiffer verwendet an dieser Stelle den schönen Pleonasmus „illegale Bestechung“.

O tempora, o mores in Tirol! Auch die Spanische Grippe hatte ihre österreichischen Wurzeln in diesem Bundesland. Anfangs wurde noch gewitzelt: „Die Spanische Grippe möchten wir ganz gern haben, wenn wir auch die richtige spanische Medizin dazu hätten: einen echten Madeira.“

Kann man Ausnahmesituationen Gutes abgewinnen? Angetter-Pfeiffer lenkt den Blick auf die Impulse für innovative Entwicklungen. Wien verdankt der Pest sein erstes Stadtgesundheitskonzept sowie eine Vorform der MA 15. Mit Hilfe von Wissenscha lern wie dem Geologen Eduard Suess und dem Internisten Joseph Ritter von Škoda bauten die Wiener ihre erste Hochquellenwasserleitung. Das lag nicht zuletzt an Typhus und Cholera, die im Frühjahr 1873 kurz vor der Wiener Weltausstellung ausbrach. Dazu kamen starke Regenfälle, ein komplettes Verkehrschaos und der Börsenkrach. Die Schauplätze, an die AngetterPfeiffer uns führt, liegen o in Wien: Pestsäule, Karlskirche oder Griechenbeisl, das Stammtschocherl vom Lieben Augustin, der ebenso vorstellig wird wie Ignaz Semmelweis, der Erfinder des Händewaschens zur Bekämpfung von Krankenhauskeimen. Was dieser wohl zu James Hamblins „Natürlich waschen!“ gemeint hätte?

Der ehemalige Arzt Hamblin, der heute für die Zeitschri The Atlantic schreibt und an der Yale School of Public Health lehrt, hat sich seit mindestens fünf Jahren nicht geduscht. Das klingt (in der Übersetzung) wilder, als es ist, passt aber zum etwas plakativen, dafür umso spannenderen Reportagenstil, in dem US-amerikanische Sachbücher o geschrieben sind. Tatsächlich hat Hamblin bloß auf Duschgel, Deo und Shampoo verzichtet. Und diese dann irgendwann nicht mehr vermisst.

Seine Haut wurde nämlich nicht mehr so rasch ölig, die Achseln – früher deodorantverwöhnt – nicht mehr so schnell schwitzig. Seine Schilderungen ziehen einen sofort in die Kulturhistorie der Körperpflege. „Natürlich waschen!“ ist im Original zwar schon vor der Pandemie erschienen, aber das derzeitige besondere Augenmerk auf (Hand-) Hygiene spielt dem Buch nun wortwörtlich in die Hände. Die Miasmen- und die Keimtheorie, der Vater der Bakteriologie Robert Koch und John Snow, der dem Choleraausgangspunkt in London detektivisch auf die Schliche kam, finden ebenfalls Eingang in eines der neun Kapitel.

Interessant erweist sich hier der Vergleich mit Angetter-Pfeiffer. Während diese über das Au ommen der Tröpferlbäder in Wien schreibt – das erste Volksbad in der Mondscheingasse entstand 1887 und war das erste Massenreinigungsbad Europas –, macht Hamblin klar, dass das 16. und das 17. Jahrhundert gerade deswegen so schmutzig waren, weil man die Badeanstalten aus Sorge vor Krankheitsübertragung von offizieller Seite geschlossen hatte. Aus Panik und mangelndem Wissen über das Pestbakterium.

Daniela Ange erPfeiffer: Pandemie sei Dank! Was Seuchen in Österreich bewegten. Mit einem Vorwort von Christoph Wenisch. Amalthea, 256 S., € 25,–

James Hamblin: Natürlich waschen! Was unsere Haut wirklich gesund hält. Kunstmann, 288 S., € 24,95

Hamblin erkundet die Geschichte der Seife, führt uns über den Campus der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde NIH, spricht mit Claire Guest, die mit Versuchshunden arbeitet und wissen will, ob diese Krankheiten wie Krebs oder Parkinson riechen können, und mit einem Nachkommen des Seifen-Missionars Emanuel Bronner, der ihn als Erstes gleich einmal zu einem Schaumbad einlädt. Wir erfahren etwas über die Reinigungsriten der Azteken im 15. Jahrhundert, über Tenside und Seifenpflanzen, über Palmöl und Tierfett sowie die Eselmilch Kleopatras.

Der Autor nimmt uns mit zur Deo-Fabrik in Brooklyn und zu den Amish People in die san en Maisfeld-Hügel Pennsylvanias, denn diese lehnen nicht nur Technologien ab, sondern haben auch seltener Hautprobleme. Offenbar wirkt sich das Zusammenleben mit Tieren, der Erde und deren Mikroben positiv aus. Das führt Hamblin wiederum zum Mikrobenforscher Jack Gilbert im Argonne National Laboratory.

Das Themenspektrum dieses Buchs ist breiter, als sein Titel vermuten lässt. Es geht um Berührung, die Rolle von Influencern, die globale Wasserkrise sowie „Männerseife“ in Whiskey-Flaschen oder Bakterien in Spraydosen. Hautpflege symbolisiert den Tau der Jugend, die Selbstermächtigung – und bringt wie so vieles selbsternannte Experten hervor. Hamblin ist zu einem solchen geworden. Er ist, wie er selbst schreibt, „besessen“ vom Mikrobiom der Haut. Sie stellt unser größtes und wichtigstes Immunorgan dar, die Schnittstelle zwischen dem Individuum und der es umgebenden Natur.

Welche Folgen und Schäden entstehen, wenn wir uns abschotten in steriler Umgebung, noch dazu einer Klimaanlage ausgesetzt? Was bewirken all die Cremes und Lotions aus unserem Badezimmerschrank? Wird Neurodermitis überhaupt erst durch häufiges Waschen ausgelöst? Fest steht: Das Geschä mit gesunder, schöner Haut boomt wie nie. Für Körperpflegeprodukte wird jede Menge Geld ausgegeben. Was „gesund“ wirklich bedeutet, was die Haut nährt, darüber ist sich die Forschung hingegen gar nicht einig. Selten ist sie komplett unabhängig von der Kosmetikindustrie, einer Branche, in der falsche Versprechen nicht ungewöhnlich sind.

Fazit: zwei lehrreiche Bücher, die gespickt mit Fakten daherkommen, wobei sich jenes des Journalisten erfrischender und noch eine Spur flotter liest. Apropos: Auf Händewaschen mit Seife hat Hamblin freilich nie verzichtet. Es ist schließlich ein wichtiges Mittel, um die Übertragung von Krankheiten zu verhindern. Das hat sich seit Semmelweis nicht geändert.

JULIANE FISCHER

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