
3 minute read
Philosophie Fulminante Gruppenbiografie des Wiener Kreises
Familiengeschichte und Selbstreflexion
Zeitgeschichte: Drei Familienautobiografien beleuchten das Wien des Fin de siècle bis in die Gegenwart
Eine Spezialgattung der Autobiografie sind sogenannte Familienbiografien. Mit „Vienna“ (2005) hat Eva Menasse einst einen Coup gelandet. Was treibt einen dazu, die (Auto-)Biografie einer Familie zu schreiben? Meist ist es der Wunsch nach Selbstfindung oder Selbsterkundung oder auch jener, die Einzigartigkeit der eigenen Familie für die Nachwelt zu dokumentieren.
Keines von beidem dür e Michael Schnitzler bewogen haben, unter dem Titel „Der Geiger und der Regenwald“ eine Autobiografie zu verfassen. Bei ihm ist es eher das Bedürfnis, die eigene Lebensgeschichte nachzuerzählen und zugleich einen flammenden Appell in puncto Klimarettung zu lancieren.
Michael Schnitzler ist niemand Geringerer als der Enkel Arthur Schnitzlers und lebt in Wien im Cottage-Viertel in der unmittelbaren Nähe der Villa seines Großvaters. Aber Michael Schnitzler ist nicht nur Enkel eines Künstlers, sondern selbst einer, und zwar Violinist, als der er jahrzehntelang Konzertmeister der Wiener Symphoniker war und zwei eigene Ensembles auf die Beine gestellt hat, die Wiener Solisten und das Haydn-Trio. Außerdem hat er lange an der Musikhochschule bzw. Universität in Wien unterrichtet.
Sein Buch beginnt mit der Familiengeschichte der Schnitzlers und Strakoschs, zweier großbürgerlicher Familien, die im Wien der Jahrhundertwende zu Reichtum und Ansehen gekommen sind und aus denen Michaels Eltern hervorgehen: der Theaterregisseur Heinrich Schnitzler, Sohn Arthur und Olga Schnitzlers, und die Violinistin Lilly Schnitzler, geborene Strakosch. In beiden Familien ist Musik ein zentrales künstlerisches Ausdrucksmittel.
Prägend für die Schnitzlers und die Strakoschs war jedoch die Tatsache, dass sie als jüdische Familien 1938 emigrieren mussten. Zunächst landeten Heinrich und Lilly Schnitzler mit ihrem Sohn Peter in New York, wo sie auf viele Freunde trafen. Heinrich konnte umgehend am Broadway inszenieren. Dann erhielt er eine Berufung an die Universität Berkeley. Michael wurde 1944 in Kalifornien geboren und wuchs zunächst wie ein „richtiger“ Amerikaner auf. Von klein auf spielte er Geige. 1958 wagte die Familie den Sprung zurück nach Wien. Michael war 14 Jahre alt und sprach kaum Deutsch.
Die Musik bot jedoch viele Anknüpfungspunkte. Bemerkenswert sind die vielen Kapitel, in denen Schnitzler über die Dirigenten schreibt, mit denen er gearbeitet hat und die sich wie ein Who’s who der Musikgeschichte lesen: Karajan, Böhm, Giulini, Sawallisch, Abbado etc. Die Grundlage dieser Sequenzen bilden Tagebuchaufzeichnungen. Immer wieder gelingen ihm dabei komische Passagen, etwa wenn er die Charaktere der Dirigenten beschreibt, über Gastaufenthalte in fremden Ländern oder über eigene Missgeschicke schreibt. Da gerinnt das Buch zu einem einzigartigen Werk über ein Musikerleben im 20. Jahrhundert. Gespickt mit zahlreichen Fotos ist die Ausstattung des Buches auch opulent.
Insgesamt hat Schnitzler im Laufe seines Lebens über 3000 Konzerte gespielt.
Michael Schnitzler: Der Geiger und der Regenwald. Erinnerungen. Mitarbeit und Vorwort von Petra Hartlieb. Amalthea, 272 S., € 28,–
Doch entscheidend für sein Leben war letztlich, wie er beteuert, nicht die Musik, sondern seine Reiseleidenscha . So kam er 1989 nach Costa Rica und verliebte sich auf Anhieb in das mittelamerikanische Land. Er kau e ein Haus und begann damit, sukzessive Regenwald aufzukaufen, um ihn vor der Abholzung zu schützen.
Bald wurde daraus ein Charity-Projekt mit dem Namen „Regenwald der Österreicher“ (www.regenwald.at), in dessen Rahmen schließlich 40 Quadratkilometer Regenwald unter Schutz gestellt wurden. Außerdem sind eine Forschungsstation (www.lagamba.at) und ein Ökotourismus-Projekt (www.esquinaslodge.com) entstanden, bei denen Schnitzler ebenfalls entscheidend tätig war. Für sein Engagement erhielt er schließlich den Staatspreis für Umwelt, den sogenannten Konrad-Lorenz-Preis. Das Schlusswort seines Buches lautet: „Als Geiger und Lehrer war ich ersetzbar, als Naturschützer nicht.“
Der Schauspieler August Zirner hat gemeinsam mit seiner Tochter Ana ein Familienbuchprojekt der ganz besonderen Art ersonnen. Beide schreiben in „Ella und Laura“ über ihre Großmütter. Und zwar abwechselnd, zweistimmig, vierhändig, wie am Klavier. Das birgt die Gefahr, dass man des Ö eren den Faden verliert, weil man nicht weiß, bei welcher Großmutter man gerade ist. Allerdings sind die Damen doch grundverschieden und deswegen auch zeitlebens keine wirklichen Freundinnen geworden. Beide sind jüdischer Herkun , und das veranlasst August Zirner am Beginn des Buches über den Satz „There’s no business ILLUSTRATION: PM HOFFMANN