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Um Mobbing, Armut und Sexismus geht’s bei Mieko Kawakami
Himmel und Hölle
Mieko Kawakami erzählt auf leichtfüßige Weise von harten Themen wie Mobbing, Armut und Sexismus
Wer ein Trauma erlebt hat, nimmt die Welt durch die Brille seiner Ängste wahr. Als der namenlose 14-jährige Ich-Erzähler an einer Sandkiste vorbeikommt, sieht er Hunde- und Katzenkot. Sofort schießt ihm durch den Kopf: „Den musst du nachher vielleicht essen.“ Welche Qualen haben sich seine Peiniger wohl heute für ihn ausgedacht? „Heaven“ betitelt sich der Roman der japanischen Autorin Mieko Kawakami, 45, der von der täglichen Hölle Schule erzählt. Der schielende Junge wird verprügelt, stundenlang in den Spind gesperrt oder als lebender Fußball eingesetzt. Er leidet einsam vor sich hin, bis er eines Tages eine Nachricht in seiner Federschachtel findet: „Wir gehören zur selben Sorte.“ Ist das bloß eine besonders perfide Falle? Oder versucht da tatsächlich eine verwandte Seele mit ihm Kontakt aufzunehmen?
Tatsächlich erweist sich die Verfasserin, Kojima, als eine unscheinbare Mitschülerin, die sich nicht wäscht, keine Freunde hat und ebenfalls gemobbt wird. Die beiden treffen sich fortan regelmäßig und heimlich. Klassische Liebesgeschichte wird trotzdem keine daraus, eher eine philosophische Betrachtung darüber, welche verqueren Strategien sich Jugendliche zurechtlegen, um das zu ertragen, was andere ihnen antun. Kojima ist fest davon überzeugt, dass sie an Stärke nur gewinnen kann, wenn sie ihr Leiden freudig annimmt – ein Jesus-Komplex, der sich zusehends in einen gefährlichen Wahn verwandelt.
Irgendwann stellt der Erzähler einen seiner Peiniger zur Rede. Warum quält ihr uns, fragt er. „Die Schwachen ertragen es nicht“, antwortet dieser etwas altklug, „dass Leid, Trauer oder das Leben an sich keinen Sinn hat.“ Der Zufall hat sie zum Opfer gemacht. Gewalt ist banal. „Heaven“ ist bereits 2009 erschienen, aber aktuell geblieben, nicht zuletzt, weil der Roman konsequent aus der Innenper-
Mieko Kawakami: Heaven. Deutsch von Katja Busson. Dumont, 192 S., € 22,95
Mieko Kawakami: Brüste und Eier. Roman. Deutsch von Katja Busson. Dumont, 496 S., € 12,95
spektive von Außenseitern erzählt ist und einen völlig unsentimentalen Blick auf die japanische Gesellscha wir . Kawakami schreibt kritische Heimatliteratur, die keineswegs nur ihre Heimat betrifft. Klar verbeugen sich die Jugendlichen voreinander und sind auch sonst irritierend höflich im Umgang, aber im Grunde erzählt „Heaven“ in glasklarer und unprätentiöser Sprache eine universelle Mobbinggeschichte, deren philosophischer Überbau eine individuelle Geschichte in einen größeren Rahmen stellt und das Recht der Stärkeren als eines der Wohlhabenden entlarvt.
Mit ihrer engagierten Popliteratur gilt Kawakami längst als eine der wichtigsten literarischen Stimmen ihres Landes. Sie zeigt ein Japan, das in den Medien kaum vorkommt, erzählt von Menschen, die kaum Chancen auf sozialen Aufstieg haben, von alleinerziehenden Frauen, die sich zu Tode schu en, die gegen das restriktive Bild, das ihnen von der Gesellscha aufoktroyiert wird, rebellieren.
Im Mi elpunkt ihres zweiten, nun als Taschenbuch erschienenen Romans „Brüste und Eier“ stehen zwei Schwestern aus einer armen, zerrüttenden Familie. Ihre Mutter musste mit ihnen vor einem gewalttätigen Ehemann fliehen, sie arbeitete in einer Hostessenbar – so wie einst die Autorin selbst, die ebenfalls in Osaka aufgewachsen ist. Eine der beiden Schwestern schlägt denselben Weg wie ihre Mutter ein, schafft es als Alleinerzieherin nicht, sich aus den prekären Lebens- und Arbeitsverhältnissen zu befreien.
Als Roman ist „Brüste und Eier“ ein Flickwerk, was man beim Lesen aber nicht unbedingt merkt. Der erste Teil geht auf eine Erzählung aus dem Jahr 2007 zurück, zehn Jahre später wurde das Buch dann um die Geschichte der künstlichen Befruchtung der asexuellen Ich-Erzählerin Natsuko Natsume erweitert, die ohne Partner ein Kind bekommen möchte. Rund ein Drittel des Romans spielt im Sommer 2008, Natsuko bekommt Besuch von ihrer Schwester und deren el ähriger Tochter, die nichts redet, aber in ihren Tagebuchaufzeichnungen, die eingeschoben werden, davon berichtet, dass sie Angst hat, ihre erste Periode zu bekommen. Sie fragt sich, was am Kinderkriegen so toll sein soll: „Warum bringt man einen neuen Körper auf die Welt, wenn einem der eigene schon so zu schaffen macht? Mich macht der Gedanke jedenfalls trübsinnig.“ Natsukos Schwester wiederum plant eine Brustvergrößerung, obwohl ihr das Geld dazu fehlt. Sie hat zudem eine Obsession mit rosa Brustwarzen.
Erneut packt Kawakami gewichtige Themen auf unterhaltsame und leicht lesbare Weise an, stattet ihre widerständigen Figuren mit viel Witz aus. Männer kommen so gut wie keine vor. „Brüste und Eier“ eröffnet ein breites feministisches Panorama, anhand von drei Frauen wird da von verqueren Körperbildern, veralteten Rollenvorstellungen und patriarchalen Strukturen erzählt. Dennoch ist der Roman sichtlich gealtert, gerade in Sachen Transgender-Theorie und Homosexualität klingen einige Stellen geradezu antiquiert. Im zweiten Teil des Romans nimmt dann die geplante künstliche Befruchtung von Natsuko viel Raum ein. Man erfährt, wie verpönt, aber auch wie schwierig es für alleinstehende Frauen ist, eine Samenspende zu bekommen, weswegen sich Natsuko an eine Klinik in Dänemark wendet.
Man kann in „Brüste und Eier“ viel über Japan lernen. Sich mit den Figuren zu identifizieren, fällt indes schwer, weil das Buch doch stark in einer Kultur verankert bleibt, die sich nicht verallgemeinern lässt. Bleibt noch zu erwähnen, wie unpassend das deutsche Buchcover ist: Verkitschte Kirschblüten zieren da einen Roman, der radikal Schönheitsnormen und Geschlechterbilder hinterfragt. KARIN CERNY